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„Ein kleiner Beitrag zum Gelingen der Energiewende“ · Konzept, das der Jungunternehmer gerade...

Date post: 11-Aug-2019
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Zur freien Verwendung Heizen mit Strom – und dabei trotzdem die Umwelt schonen. Wie ein Münchner Start-up eine in Deutschland lange gemiedene Technologie wieder salonfähig macht: „Ein kleiner Beitrag zum Gelingen der Energiewende“ München - Philip Mayrhofer ist kein Mann großer Worte. „Als einen kleinen Beitrag zum Gelingen der Energiewende“, bezeichnet er seine Geschäftsidee bescheiden. Dabei ist das Konzept, das der Jungunternehmer gerade mit einem Filzstift anschaulich auf eine Schautafel in seinem Münchner Büro skizziert, ein wichtiger Baustein bei der Lösung des Hauptproblems der erneuerbaren Energien. Denn die Betreiber der Stromnetze befinden sich wegen des Ökostrom-Booms in einem Dilemma: Einerseits ist es politisch gewollt, dass künftig der Großteil der Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Andererseits lässt sich die mithilfe von Windrädern und Solarkollektoren erzeugte Strommenge im Gegensatz zu der aus Gas- oder Kohlekraftwerken stammenden Energie kaum steuern. Unbeeinflussbare Faktoren wie die Gezeiten und das Wetter bestimmen die Produktion bei den Erneuerbaren Energien zu einem großen Teil. Schon mehrmals standen Teile des Stromnetzes aufgrund einer Überlastung kurz vor dem Zusammenbruch. Auch Deutschlands Nachbarländer kritisieren regelmäßig, sie könnten den phasenweise massiven Stromüberschuss aus Deutschland mit ihren Netzkapazitäten kaum noch bewältigen. „Das Problem für die Netzbetreiber ist, dass sich Strom nicht so ohne Weiteres speichern lässt“, sagt der promovierte Betriebswirt Mayrhofer. Bestehende Speicherlösungen wie Pumpspeicherkraftwerke sind aus Sicht von Naturschützern oft problematisch und zudem meist extrem teuer. Umso wichtiger ist es, die Abnahme des Stroms von Seiten der Großkunden wie Industrie und Stadtwerke besser zu koordinieren. Und hier greift Mayrhofers Geschäftskonzept: Denn die enerstorage GmbH, die er gemeinsam mit seinem Kompagnon Tobias Assmann sowie zwei weiteren, erfahrenen Mitgründern geründet hat, schließt hier eine Lücke. Die Münchner Firma verwendet kurzfristige Stromüberschüsse aus Wind- und Solaranlagen zur Produktion von Wärme oder industriellem Prozessdampf. Um dies technisch umzusetzen, hat sich das Start-up auf die Finanzierung von Elektrodenheizkesseln und deren Vermarktung als sogenannte
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Zur freien Verwendung Heizen mit Strom – und dabei trotzdem die Umwelt schonen. Wie ein Münchner Start-up eine in Deutschland lange gemiedene Technologie wieder salonfähig macht:

„Ein kleiner Beitrag zum Gelingen der Energiewende“

München - Philip Mayrhofer ist kein Mann großer Worte. „Als einen kleinen Beitrag zum Gelingen der Energiewende“, bezeichnet er seine Geschäftsidee bescheiden. Dabei ist das Konzept, das der Jungunternehmer gerade mit einem Filzstift anschaulich auf eine Schautafel in seinem Münchner Büro skizziert, ein wichtiger Baustein bei der Lösung des Hauptproblems der erneuerbaren Energien. Denn die Betreiber der Stromnetze befinden sich wegen des Ökostrom-Booms in einem Dilemma: Einerseits ist es politisch gewollt, dass künftig der Großteil der Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Andererseits lässt sich die mithilfe von Windrädern und Solarkollektoren erzeugte Strommenge im Gegensatz zu der aus Gas- oder Kohlekraftwerken stammenden Energie kaum steuern. Unbeeinflussbare Faktoren wie die Gezeiten und das Wetter bestimmen die Produktion bei den Erneuerbaren Energien zu einem großen Teil. Schon mehrmals standen Teile des Stromnetzes aufgrund einer Überlastung kurz vor dem Zusammenbruch. Auch Deutschlands Nachbarländer kritisieren regelmäßig, sie könnten den phasenweise massiven Stromüberschuss aus Deutschland mit ihren Netzkapazitäten kaum noch bewältigen. „Das Problem für die Netzbetreiber ist, dass sich Strom nicht so ohne Weiteres speichern lässt“, sagt der promovierte Betriebswirt Mayrhofer. Bestehende Speicherlösungen wie Pumpspeicherkraftwerke sind aus Sicht von Naturschützern oft problematisch und zudem meist extrem teuer. Umso wichtiger ist es, die Abnahme des Stroms von Seiten der Großkunden wie Industrie und Stadtwerke besser zu koordinieren. Und hier greift Mayrhofers Geschäftskonzept: Denn die enerstorage GmbH, die er gemeinsam mit seinem Kompagnon Tobias Assmann sowie zwei weiteren, erfahrenen Mitgründern geründet hat, schließt hier eine Lücke. Die Münchner Firma verwendet kurzfristige Stromüberschüsse aus Wind- und Solaranlagen zur Produktion von Wärme oder industriellem Prozessdampf. Um dies technisch umzusetzen, hat sich das Start-up auf die Finanzierung von Elektrodenheizkesseln und deren Vermarktung als sogenannte

„Power-to-Heat“-Anwendung als Systemdienstleister auf dem deutschen Strommarkt spezialisiert. Die Kunden von enerstorage sind energieintensive Großunternehmen etwa aus der Chemie- oder Papierindustrie sowie kleinere und mittelgroße Stadtwerke. Enerstorage lässt riesige Elektro-Tauchsieder bauen. Diese funktionieren vom Prinzip her ähnlich wie der heimische Teekocher. „Nur sind sie natürlich 1.000 mal größer“, feixt der 32-jährige Mayrhofer, der an diesem Nachmittag Jeans und Strickjacke statt Anzug und Krawatte trägt. Diese Elektroden-Heizkessel versorgen etwa städtische Wärmenetze oder Industrieunternehmen mit Heizungswärme oder Dampf. Herrscht in der Republik gerade ein Überangebot an Strom nutzen diese Kunden die Wärme und drehen ihre Gas- oder Ölkessel herunter. Mayrhofer weiß: „Für den Spitzenbedarf nutzen viele der Firmen oft recht alte Ölkessel. Die Entlastung für die Umwelt ist dann enorm.“ Zudem sparen die enerstorage-Kunden auch jede Menge Kosten. Der Grund ist einfach: In Phasen, in denen gerade extrem viel Strom ins Netz eingespeist wird, verkauft die Leipziger Strombörse den Strom zum Nulltarif oder der Abnehmer bekommt sogar noch Geld. Durch das Weiterverkaufen überschüssiger Energie trägt enerstorage dazu bei, dass das Stromnetz nicht zusammenbricht und die Kunden können ganz nebenbei ihre Umweltbilanz aufbessern. Bis Winter 2013 werden die ersten Pilotprojekte umgesetzt. Das durch die extrem energiefressenden Nachtspeicherheizungen in Verruf geratene Heizen mit Strom könnte Dank des enerstorage-Modells gerade im industriellen Bereich schon bald eine kleine Renaissance erleben. Wegen des sowohl ökologisch als ökonomisch überzeugenden Geschäftskonzepts wird enerstorage künftig auch vom neuen Münchner Co-Location Center der sogenannten EIT ICT Labs gefördert. Seit 2010 fördern die EIT ICT Labs mit vielen Millionen Euro aus Brüssel effektiv die Vernetzung von Forschung und Wirtschaft in mehreren EU-Staaten. Das von der Europäischen Union initiierte Netzwerk hat seit 2010 mehrere so genannte Co-Location-Center in einer Reihe europäischer Großstädte eingerichtet. Am Freitag, den 5. Juli, eröffnet nun der zweite deutsche Standort der Organisation in der bayerischen Landeshauptstadt seine Pforten. Das neue Zentrum an der Isar soll vor allem hiesige Start-ups und mittelständische Unternehmen im Informations- und Telekommunikationssektor (IKT) fördern. Diese sollen sich themenorientiert und nachhaltig mit Technologieführern wie etwa Siemens vernetzen können. „Der Münchner Satellit bringt potente Partner aus Wissenschaft und Industrie im Süden Deutschlands zusammen“, sagt Willem Jonker, CEO der EIT ICT Labs. Die Co-Location-Center sind aus Sicht des Professors „pulsierenden Orte, an denen sich Studenten, Lehrer, Wissenschaftler und Geschäftsleute sich treffen und gemeinsam an Innovationen und Ausbildung arbeiten.“ Manches Start-up sei dort bereits entstanden. Das gesamte Budget der EIT ICT Labors beläuft sich laut Jonker im Jahr 2013 auf nahezu 200 Millionen Euro. Auch der Freistaat profitiert von den Fördermillionen. Der hauptsächliche Nutzen des Zentrums für das südlichste Bundesland bestehe aber „in der Förderung kleinerer und mittlerer High-Tech-Unternehmen und der Einbindung dieser Firmen in ein europaweites Innovations-Netzwerk mit Zugang zu weiteren Märkten in ganz Europa“, erläutert Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Der bayerischen Staatsregierung gelang es neben einer Reihe von Start-ups auch Global

Player wie Siemens für die Zusammenarbeit in der Münchner Dependance der EIT ICT Labs zu gewinnen. Die Konzerne hoffen, durch die Zusammenarbeit mit Start-ups im Rahmen der EIT ICT Labs, junge Forscher und Firmengründer für sich zu gewinnen frühzeitig deren Innovationen nutzen zu können. Die Eröffnung des Co-Location-Centers in direkter Nähe der Siemens-Forschungslabore in München-Neuperlach sei für Siemens „aus drei Gesichtspunkten ein Glücksfall“, freut sich Klaus Helmrich, der im Siemens-Vorstand für den Bereich Technology verantwortlich ist. Der Satellit der Berliner Dependance sei sowohl mit Blick auf die Weiterentwicklung der Forschungs- und Innovationskultur als auch aufgrund der generell zunehmenden Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologie sowie für die gemeinsame Gestaltung europäischer Industrie- und Forschungspolitik von Bedeutung.

„Über die klassischen Kooperationsmodelle mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen hinaus hat die Zusammenarbeit mit Start-ups für Siemens große Bedeutung“, erläutert Helmrich. Schließlich hätten Neugründungen die Fähigkeit, „schneller und flexibler technische Innovationen und neue Geschäftsmodelle zu erproben“. Umgekehrt könne Siemens durch seine internationale Präsenz, durch weltweite Marktzugänge und Fertigungskapazitäten einem Start-Up zum internationalen Durchbruch verhelfen. Siemens werde hierzu seine Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen einbringen und die Aktivitäten der EIT ICT Labs im Bereich der Gründungsförderung unterstützen. Und auch enerstorage-Mitgründer Mayrhofer freut sich auf die Zusammenarbeit mit dem Münchner Co-Location Center: „Bei der Steuerung und Optimierung unserer Elektrodenkessel ist die Verwendung von moderner IKT unverzichtbar. So ist auch eine Kooperation etwa mit Siemens als führenden Anbieter von Kraftwerks-Steuerungstechnik für uns sicher sinnvoll.“ Beide Seiten hätten davon Vorteile. Denn die deutsche Energiewirtschaft wird unaufhaltsam kleinteiliger und dezentraler. „Deswegen ist es für die Systemstabilität essentiell, dass auch junge, dynamische Unternehmen mit neuen Anlagen- und Geschäftskonzepten effizient mit den etablierten Spielern im Markt kooperieren“, so Mayrhofer Vielleicht gewinnt enerstorage durch die Zusammenarbeit mit den EIT ICT Labs auch bald erste Kunden im Ausland. Noch haben er und Assmann, ganz so, wie man es von einem Start-up erwartet, ein kleines Büro unweit der Münchner Museumsinsel. Ein eher unscheinbares Klingelschild lässt nicht erahnen, welches Potenzial in der kleinen Firma schlummert. Im lichtdurchfluteten Büro tippen zwei junge Männer eifrig in die Tasten ihrer Computer. Mayrhofer nimmt auf dem Büro-Balkon inmitten eines gepflegten Hinterhofgartens Platz. Der blühende Garten passt zum Wunsch der Firma, Ökologie und Ökonomie zu verbinden. Denn für Mayrhofer ist klar: „Nur so kann die Energiewende gewinnen.“


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