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Duell der Longtrail-Reiter

Date post: 04-Jan-2017
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Bastei

TEXAS-WESTERN

Band 669

Duell der Longtrail-Reiter Ein mitreißender Erfolgsroman von DAN FERGUSON

Ihre Heimat war der Longtrail. Wie einsame Wölfe zogen sie durch das Land, und wo sie auftauchten, gab es meistens Ärger und Verdruß. Sie waren verfemte Außenseiter, die erst dann zur Ruhe kamen, wenn eine todbringende Kugel das letzte Wort gesprochen hatte. Auch Daniel McKinley war ein Longtrail-Reiter, ein großer, hagerer Mann, dessen Stolz durch nichts zu brechen war. Er ahnte nichts Böses, als er auf seinem struppigen Rappen in der texanischen Stadt Waco auftauchte. Er achtete nicht auf Sheriff Gleen Jenkins, der mit grimmigem Gesicht vor seinem Office stand, und hörte auch nicht den Fluch, den der Sternträger ausstieß. Für McKinley hatte sich das Tor zur Hölle bereits geöffnet. Er wußte es nur noch nicht...

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Sheriff Gleen Jenkins fluchte so laut und kräftig, daß sein Gehilfe Way Shane im Office vom Schaukelstuhl sprang und herausgefegt kam.

»Was gibt es, Gleen?« platzte er heraus und schlug die Hände auf die Kolben.

»Reiß deine Augen auf, Way!« schnarrte Gleen Jenkins schlecht gelaunt und deutete dabei mit dem Kopf die Straße hinunter.

Way Shane tat, wie ihm der Sheriff sagte, und riß die Augen weit auf. Er starrte die Fahrbahn hinunter und zuckte mit den Schultern.

Langsam nahm er die Hände von den Eisen und fragte dann: »Wer könnte es...« Doch plötzlich erkannte er den Reiter und schluckte die Worte herunter. Auch sein Gesicht bekam einen düsteren Ausdruck. Er preßte die Lippen zusammen: »Daniel McKinley!«

Der Sheriff nickte nur und beobachtete mit seinen grauen Augen den herankommenden Reiter.

»Du solltest ihn fragen, wie lange er bleiben will! Macht er hier in Waco Station, dann nimm ihm die Waffen weg«, sagte Way Shane und sah den Sheriff an.

Doch Gleen Jenkins schüttelte den Kopf und erwiderte resigniert: »No, Way! – Es würde wenig nützen. Wenn ich einen Krach verhindern will, müßte ich ihn aus der Stadt jagen oder allen Hitzköpfen in diesem Nest die Eisen abnehmen. Wir werden mit McKinley eine Ausnahme machen.«

»Du mußt es wissen.« »Well«, nickte der Sheriff. »Wir wollen es mit McKinley

riskieren. Sein Weg war zwar genauso rauh wie die Wege der anderen Longtrailreiter, aber er ist immer fair geblieben.«

Jenkins drehte sich um und ging in das Office hinein. Sein Gehilfe folgte ihm. Er schlug die Tür hinter sich mit Wucht ins Schloß und sagte: »Wir müssen uns beeilen, wenn wir an Amb Brothers Beerdigung teilnehmen wollen. Es ist fünf vor elf!«

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Sie zogen sich die Jacken über und setzten ihre Hüte auf. Kurz darauf verließen sie das Office.

Als sie über die Straße schritten, kam ihnen der Barbier entgegen. Er blieb stehen, als er die beiden Sternträger sah, und grüßte kurz. »McKinley ist in der Stadt!«

Way Shane schlug dem verdutzten Barbier auf die Schulter und sagte mit einem schlauen Lächeln: »Wir haben ihn schon gesehen, Mister.«

Der Barbier schüttelte verständnislos den Kopf und schaute beiden Männern nach. Dann wandte er den Kopf und äugte die Straße hinauf. Er sah vor dem Tor des Mietstalls den Rappen McKinleys stehen. Das machte ihn wütend.

»Jenkins, du bist ein großspuriger Hund! Du bist fett geworden in Waco. Es war schon lange nichts mehr los in unserem Nest. Aber vielleicht wird es bald anders. Bei Männern wie McKinley sitzt der Verdruß im Sattel! Amb Brothers bringen sie heute unter die Erde. Der große Brothers, auf den alle hörten, ist tot. Ah, ich rieche förmlich, es wird Ärger geben.«

Er drehte sich abrupt um und steuerte auf das Brazos-Inn zu. Als er die Schwingtüren des Inns auseinanderstieß, schrie er schon los: »Hallo, Gents, wißt ihr, wer in der Stadt ist?«

Mit glänzenden Augen spähte er zu Jan Mills hinüber, der hinter der wuchtigen Theke stand und gerade einige Gläser mit Bier füllte. Er wartete, bis Mills aufschaute und zu ihm hinübersah.

Dann blickte er rasch in die Runde, und als er mit Befriedigung feststellte, daß die Blicke der Männer, die um diese Stunde das Brazos-Inn bevölkerten, an seinen Lippen hingen, da platzte er heraus: »Daniel McKinley! – Well, Gents! Daniel McKinley!«

Jan Mills bediente mit flinken Händen seinen neuen Gast. Es schien so, als wollte der Keeper etwas sagen.

Doch einer der Leute im Saloon kam ihm zuvor. Der Mann

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war wie die anderen vom Stuhl aufgesprungen und lehnte sich über den blankgescheuerten Holztisch. »Wer hat ihn gesehen?«

»Sein Pferd steht vor dem Mietstall!« sagte der Barbier und zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Er wird also einige Tage hierbleiben. – Ich selbst sah ihn in die Stadt reiten!« fügte er hinzu, weil er sah, daß sich der Mann mit der Antwort nicht zufriedengeben wollte.

Nun redeten alle im Brazos-Inn wild durcheinander. Rasch bildeten sich zwei Gruppen. Die einen wollten, daß

der Sheriff diesen McKinley rasch wieder aus der Stadt jagte, und die anderen hielten das für ausgemachten Blödsinn.

Doch plötzlich verstummten sie. Die Schwingtüren wurden von harten Fäusten auseinandergedrückt, und McKinley stand im Inn. Er hatte die Satteltaschen über der linken Schulter hängen, und in seinem Gesicht spielte ein dünnes Lächeln. – Es war trotzdem ein hartes Gesicht.

Er blieb bei der Tür stehen. Daniel McKinley war noch jung, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Er war groß und breitschultrig. Sein schwarzes Haar war gescheitelt. Man sah es genau, denn er trug den Stetson am Windriemen im Nacken. Er hatte unter einer ärmellosen Lederweste ein buntes, verwaschenes Baumwollhemd an. Außerdem war es verstaubt und verdreckt.

Auch die Chaps über den dunklen Reithosen waren krustig von Schmutz. Sauber und blank waren nur die beiden Colts an seinen Hüften. Es waren griffige Eisen, und sie hingen sehr tief.

Im Brazos-Inn wußten alle sofort Bescheid. Denn ehe man im Far West einen Mann musterte, prüfte man erst dessen Waffen.

Daniel McKinleys Augen glitten hin und her. Dann erkannte er den Barbier, der in seinem schmutzigweißen Kittel am Tresen stand. Er lachte trocken. »Dein Laden ist leer! Anscheinend bist du nicht gewohnt, um diese Zeit Kunden zu

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haben.« Er strich sich mit der Rechten über das bärtige Kinn.

»Komm! Nimm ihn mir ab!« Der Barbier Jero war zu überrascht, um sich über

McKinleys Worte zu ärgern. Er ließ seinen Whisky stehen, lief zur Tür und schob sich an McKinley vorbei nach draußen.

Der berüchtigte Revolvermann blickte zum Tresen. »Mach mir was zum Essen, Keeper! Bis gleich! Es wird nicht lange dauern.«

Er ging dem Barbier nach und betrat dicht hinter ihm den Laden.

Als er nach einer knappen Stunde wieder herauskam, war er rasiert, und sein schwarzes Haar war kurz geschnitten. McKinley war glänzender Laune. Als er den Sidewalk entlangging, pfiff er vor sich hin.

Doch hundert Yards vor dem Brazos-Inn blieb er plötzlich stehen. Eine Gruppe schwarzgekleideter Männer erregte sein Interesse. Sie redeten laut und hitzig.

Daniel wollte schon weitergehen, doch er wandte den Kopf und sah einen Trupp Reiter herankommen. Mit dem sicheren Instinkt des Longtrailreiters ahnte er, daß hier Ärger in der Luft lag. Er wußte auch sofort, daß es mit dem vornehm und elegant gekleideten Mann zusammenhängen mußte, der vor der Kavalkade einherritt.

Bevor die Reiter heran waren, lief ein junges Mädchen über die Straße und blieb dann neben einem hochgewachsenen Mann auf dem Stepwalk stehen.

Der elegante Reiter zügelte seinen Schecken. Die Männer hinter ihm hielten an. Daniel sah in ein junges und hochmütiges Gesicht. Es war aufgeschwemmt. Unangenehm klang auch die Stimme des dicken jungen Mannes, als er sich zu den Leuten auf dem Sidewalk hinunterbeugte und sagte:

»Für euch dürfte es keine andere Wahl mehr geben. Ich rate euch, gescheit zu sein. Oder wollt ihr das Vieh verrecken

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lassen? Der Frühling ist da, und eure Weiden brauchen Wasser. Mit den Wintervorräten seid ihr am Ende!«

Er zog seinen Hut vor dem Mädchen. Offenbar hatte er es erst jetzt bemerkt.

Der gemeine Ausdruck in seinem schwammigen Gesicht verschwand. Er lächelte süßlich. »Verzeihung, Miß Clayr! – Ich übersah, daß eine Lady anwesend ist. Ich hätte sonst gewiß nicht von geschäftlichen Dingen gesprochen.«

Das Mädchen zog ihr besticktes Tuch fester um die Schultern und erwiderte mit ernstem Gesicht: »Sie sprechen nicht vom Geschäft, Jim Brothers, sondern von einem Verbrechen! Sie können einen Vertragsbruch nicht als Geschäft bezeichnen!«

»Es tut mir leid, Miß Clayr. Aber ich habe die Verträge vor einem Jahr gekündigt und erklärt, daß sie mit dem Tod meines Vaters ablaufen. Nun, wir haben ihn heute begraben. Ich danke Ihnen allen für Ihre Anteilnahme. Ihnen besonders, Madam!« Er deutete im Sattel eine Verbeugung an und lüftete wiederum seinen Hut.

Der große Mann, an dessen Seite das Mädchen stand, trat vor und sagte mit vor Erregung zitternder Stimme: »Jim Brothers, wir werden nicht zahlen! Die Verträge gelten für die Dauer von fünfzig Jahren, und wir werden unser Recht nicht von Ihnen beschneiden lassen. Ich bin sicher, daß wir irgendwo Unterstützung gegen Sie bekommen werden.« Die Männer neben ihm nickten mit ernsten Gesichtern.

Jim Brothers lachte rauh und zerrte an den Zügeln seines Schecken. Er sagte kalt und zynisch: »Entscheidet euch bis zum Sonnenuntergang. Morgen früh lasse ich die Wehre zudrehen. Bedenkt das und vergeßt euer Vieh nicht, Männer!«

»Sie Schuft!« rief das Mädchen und krallte ihre kleinen Fäuste in das Schultertuch.

Und dann begann die Auseinandersetzung, die ein ganzes County auf den Kopf stellen sollte.

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Sie begann hart und rauh. Daniel McKinley machte den Anfang. Er mußte plötzlich lachen, weil es ihm spaßig vorkam, daß

ein junges Mädchen von zwanzig Jahren einen vornehmen und eleganten Gent vor zwei Dutzend Männer herunterputzte.

Das Lachen Daniel McKinleys war von der Art, wie Männer zu lachen pflegen, die es nicht gewohnt sind, sich irgendwelche Zügel anzulegen.

Es war ein hartes und lautes Lachen. Bei Jim Brothers verursachte dieses Lachen helle Wut. Er

trieb seinen Schecken an den Sidewalk heran. »Tramp!« brüllte er los. »Erbärmlicher Satteltramp! Dir

werde ich das Lachen aus dem Gesicht wischen!« Er hielt plötzlich die Klinge seines Wurfmessers in der

Hand und schleuderte es mit Wucht in die Bretterwand des Hauses, unter dessen Vordach Daniel mit verschränkten Armen stand.

Das Messer fuhr haarscharf an Daniel vorbei und blieb mit zitternder Klinge im Holz stecken.

Daniel sagte kein Wort und rührte sich nicht. Er zuckte mit keiner Wimper.

Mit grimmigem Lächeln riß Jim Brothers den Colt aus der Halfter und jagte Daniel das heiße Blei vor die Füße. »Tanze!« schrie er dabei und setzte die Kugeln immer dichter vor Daniels Stiefel, um ihn so vom Sidewalk zu treiben. Doch nach dem vierten Schuß wurde es Daniel zu bunt. Denn diese Kugel prallte an einem Stein ab und fegte ihm singend am Ohr vorbei. Er zuckte zusammen, und seine rechte Faust fiel zur Hüfte hinunter. Das Eisen sprang ihm förmlich in die Hand, und die Kugel, die Sekundenbruchteile später aus dem blanken Lauf hetzte, riß Jim Brothers den Unterarm auf.

Brothers ließ den Colt aus der Hand fallen und nahm mit einem Schrei den Arm hoch.

Und dann knallte es noch einmal. Der Feuerstrahl zuckte in

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Jim Brothers' Reiterschar hinein und fegte einem der Reiter den Stetson vom Kopf.

»Bleib aus dem Spiel, Hombre!« rief Daniel McKinley scharf.

»Das wirst du bezahlen!« heulte Jim Brothers und riß sich das Tuch vom Hals. Er wickelte es hastig um den blutenden Arm und schrie grimmig seine Männer an: »Los, macht ihn fertig! Los, Jeff!«

Doch dazu hatten seine Leute wenig Lust. Sie schauten gebannt in Daniels Coltmündung und sahen etwas höher sein Gesicht, das hart und kantig wirkte.

»Mach keine Narren aus deinen Männern, Gent!« rief Daniel mit Spott in der Stimme. »Reitet! Alle! Ich zähle bis drei!«

»Reitet nur, wenn ihr nicht kämpfen wollt!« brüllte Jim Brothers mit sich überschlagender Stimme. »Los! Reitet ins Valley; ich muß zum Doc! – Ah, wir kaufen uns den Burschen noch!«

»Laß deine Leute aus dem Spiel, Mister!« rief Daniel ihm zu. »Es geht nur uns beide an, und wenn du scharf darauf bist, können wir es gleich hier austragen. Nimm die andere Hand und zieh den Colt aus der Schulterhalfter!«

Doch Brothers riß mit verzerrtem Gesicht seinen Schecken herum und ritt davon.

Zurück blieben sein Colt, der im Staub der Straße lag, und das Wurfmesser in der Wand hinter Daniels Rücken.

Daniel ließ seinen Colt ins Leder zurückgleiten. Er warf einen schnellen Blick in die Runde und erkannte, daß sich die Sidewalks an beiden Straßenseiten mit Menschen gefüllt hatten. Mit kurzen Schritten lief er den Holzsteig entlang. Da sah er plötzlich das Mädchen wieder.

Sie lachte. Er ging vorbei und zog höflich den Hut. Wie aus dem Boden gestampft, stand auf einmal der Sheriff

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vor ihm. »Du bist kaum eine Stunde in der Stadt, Daniel McKinley,

und schon knallt es! Ich muß mich geirrt haben. Du bist nicht besser als die anderen.«

Noch ehe Dan dem Sheriff eine Antwort geben konnte, stand das Mädchen bei ihnen.

»Mr. Jenkins, Sie sind ungerecht! Jim Brothers warf mit dem Messer nach diesem Mann und wollte ihn mit dem Revolver tanzen lassen. Dieser Fremde hat sich nur verteidigt, Sheriff!«

»Ah! Das sagen Sie, Miß Clayr! Sie kennen McKinley eben nicht!« Er schaute mit kleinen Augen abwechselnd auf das Mädchen und auf Daniel McKinley.

»Fragen Sie Dad und die anderen Rancher, Mr. Jenkins!« sagte sie schnell. »Es sind genug Zeugen da.«

Sie drehte sich um und winkte ihrem Vater. Rancher Clayr kam mit großen Schritten heran. »Sheriff, es

war so, wie es May erzählt hat! Jim trat ihm auf den Sporen herum. Da liegt sein Colt, und dort steckt das Messer in der Wand. Sieh es dir nur genau an. Du kennst Jim Brothers und weißt, wie er ist.«

»Well, ich kenne ihn, und deshalb muß McKinley aus der Stadt! Ich will hier Ruhe und Frieden.«

»Du bist nicht gerecht mit deiner Entscheidung, Gleen!« sagte Clayr und schüttelte mißbilligend seinen grauhaarigen Schädel. »Du müßtest dann auch Jim Brothers aus der Stadt schicken.«

»Wie ihr wollt!« schnaufte Jenkins und sah Clayr scharf an. »Wenn du ihn für eure Sache anwerben willst, Harry, hast du dich verrechnet! Denn dann muß er aus dem County! Ich weiß, was sich im Green Valley zusammenbraut.« Jenkins drehte sich um und ging. Er ging mit schnellen Schritten.

Daniel McKinley schluckte seinen Ärger herunter, denn er besann sich darauf, daß das Mädchen neben ihm stand. Er

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drehte sich zu ihr herum und sagte sanft: »Ich danke Ihnen, Miß... May!«

Sie sagte jedoch kein Wort und schaute ihn nur groß an, Ihre Augen waren voller Bewunderung. Auch etwas Mitleid war darin. Daniel spürte das.

Sie weiß jetzt, wer du bist, schoß es ihm schnell durch den Kopf. Der Sheriff nannte deinen Namen. – Er schaute sich um, blickte die Männer an und erkannte auch in ihren Mienen großes Staunen. Daniel biß sich auf die Lippen, tippte mit dem Finger an seinen Hut und ging.

* * *

Das Green Valley war früher groß und weit gewesen, doch nun war es zu eng geworden.

Die größte Ranch im Tal war die Brothers-Ranch, die der alte Brothers vor zwanzig Jahren hier im Valley aufgebaut hatte. Er war der erste Rancher im Tal gewesen. Er hatte sich das Land am River genommen. Die anderen kamen erst später, wie Clayr, Bob Hendrick und John Cole.

Das Green Valley war groß und weit. Es bot genug Platz. Sie ließen sich nieder und bauten ihre Ranches auf. Sie zogen Wassergräben durch das Land des alten Brothers zum Brazos-River, denn Wasser und Weiden gehörten zur Rinderzucht. Brothers sicherte ihnen das Recht zu, Wasser vertraglich aus dem River durch Gräben über sein Land zu leiten.

Doch Ambrose Brothers lebte nicht mehr. Nun war sein Sohn Jim der Herr dieser großen Ranch, und

er wollte noch größer und mächtiger werden, als es sein Vater je gewesen war. – Er wollte das ganze Valley für sich!

Am anderen Morgen ritt Harry Clayr schon vor Sonnenaufgang über sein Land. Mit ihm ritt Kitt Sheram, der Vormann seiner Mannschaft. Sie kontrollierten mit verbissenen Gesichtern ihren Wassergraben.

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»Es steht einen ganzen Fuß tiefer als gestern, Clayr«, sagte der Vormann und beugte sich über den Hals seines Braunen.

Sie zügelten die Pferde, und Clayr sagte mit mißmutigem Gesicht: »Verdammt, er muß das Wehr schon in der Nacht geschlossen haben.«

»Los, reiten wir zu Cole hinüber.« Sie wendeten die Pferde und fegten über das Grasland. Es

wurde heller, und sie sahen schon von weitem die drei Reiter auf Coles Land.

Cole rief auch prompt zu ihnen herüber: »Er hat uns das Wasser abgedreht, Clayr! Wir trommeln

unsere Männer zusammen und ziehen ihm das Fell über die Ohren!«

Harry Clayr saß mit finsterem Gesicht im Sattel. Er war gut zehn Jahre älter als John Cole, und darum war er auch nicht so hitzig wie der Nachbar.

»Verlier die Nerven nicht! Seine Mannschaft ist zu groß. Sie würden unsere Jungs zusammenschießen. Wie du es dir vorstellst, geht es bestimmt nicht, Cole! Laß deine Rinder an den Graben treiben, bevor das Wasser vollends versiegt!«

Er blickte seinen Vormann an. »Reite zurück, Kitt, und laß die Rinder ans Wasser!« Er warf den Kopf wieder zu Cole zurück und fuhr fort: »Wir beide, Cole, reiten zu Hendrick und Cantor hinüber.« Cole nickte grimmig und rief heiser über den Graben: »Reiten wir.« Clayr und Cole besaßen schnelle Pferde. Als sie den Graben

der Hendrick-Ranch erreichten, rissen sie verblüfft ihre Pferde auf die Hinterhand.

Im Graben stand das Wasser bis zum Rand! Sie jagten an der Herde vorbei. – Es war eine große Herde.

Hendrick hatte sechstausend Rinder von seinem Brandzeichen. Seine Weidereiter saßen noch an ihren Feuern und sahen verwundert zu den Reitern herüber.

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Doch die beiden Männer schauten erst auf, als sie durch das Tor der Hendrick-Ranch galoppierten.

Bob Hendrick stand auf der Veranda. Er war allein. Er stand breitbeinig da, und sein Blick, mit dem er die

beiden Männer und deren schweißnasse Pferde musterte, war finster und verschlossen.

Clayr und Cole sprangen aus den Sätteln ihrer dampfenden Tiere. Sie liefen bis zu den Stufen des Hauses und blickten Bob Hendrick hart an.

»Ihr wißt es also schon«, sagt er nach einigen Sekunden des Schweigens. Er stemmte seine Fäuste in die Hüften und brummte:

»Dann brauche ich es euch ja nicht zu erzählen.« Mit unbeweglichem Gesicht starrte er zu den beiden

Männern hinunter. »Wir wußten es nicht, Hendrick!« grollte Cole mit

wütendem Gesicht. »Aber als wir vorhin an deinem Graben vorbeiritten, ahnten wir es. Nun ist es also klar! – Wer ist noch so erbärmlich abgesprungen von unserer Vereinbarung?«

»Cantor und Ben Shave!« gab Hendrick eisig zur Antwort. Clayr und Cole fegte es beinahe aus den Stiefeln. Clayr schluckte ein paarmal, ehe er hervorpreßte: »Wieso Shave? Ihn trifft es doch nicht!« »Er verkauft!« kam es hart über Hendricks Lippen. Clayr trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht glich einer

Maske. Es war kalt und grau. »An Jim Brothers?« Bob Hendrik nickte schweigend. Clayr und Cole sahen sich an. Beide ließen die Schultern

hängen. Dann sagte Hendrick oben auf der Veranda: »Der Preis, den Jim Brothers von Shave forderte, war zu

hoch. Brothers hat das Spiel gewonnen, Gents. Für uns gibt es nur einen Weg: Wassergeld an ihn zu zahlen.«

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»Du zahltest ihm also noch gestern abend die ersten hundert Dollar?« fragte Cole mit blitzenden Augen.

»Yeah«, antwortete Hendrick. »Ich zahlte zwanzig Dollar für drei Tage. Doch wer ihm heute Geld bringt, muß für den gleichen Zeitraum dreißig bezahlen. Er will euren Hochmut strafen, Clayr! Denn du und Cole, ihr seid es, die gegen ihn Front machen. Er weiß es genau. Glaubt es mir.«

»Und auch du scheinst es zu wissen!« brüllte Cole. »Gestern, ehe wir Amb Brothers unter die Erde brachten,

warst du aber anderer Meinung, Hendrick!« sagte Clayr vorwurfsvoll. »Nur wenn wir zusammenhalten, können wir seinem Sohn Jim die Stirn bieten. Und so hatten wir es abgesprochen. Auch du warst dafür! – Aber ich sehe, du hast dir von ihm Honig um den Bart schmieren lassen. – Du bist uns in den Rücken gefallen.«

Hendrick war beleidigt. Zorn wallte in ihm hoch. Seine Hände fuhren zum Colt.

Aber Clayr hatte es kommen sehen und war schneller. Er hatte seine Eisen schon in der Hand, bevor Hendricks Hände die Kolben umschlangen.

»Laß die Hände von der Kanone, Hendrick! Cole ist zu weit gegangen. Aber er hat recht! Du bist uns in den Rücken gefallen! Nun mußt du hinnehmen, daß wir dich beschimpfen! Schluck es runter und friß es in dich hinein! Jim Brothers hat gewonnen, sagtest du? Well, das hat er! Aber nur die erste Runde! Und denk daran, wenn du in drei Tagen wieder zu ihm reitest, um ihm dein Geld in den Rachen zu schmeißen.«

Clayr schob den Revolver wieder in die Halfter. Dann stiegen er und Cole auf die Pferde. Ohne Hendrick noch einmal anzuschauen, ritten sie davon.

Bob Hendrick stand mit bebenden Fäusten da und blickte ihnen nach. Oh, ihr Narren, dachte er wütend. Er wird euch zertreten. Zerquetschen wird er euch zwischen seinen bloßen Händen.

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Er drehte sich um und ging mit stampfenden Schritten in das Haus.

Clayr und Cole verließen das Land der Hendrick-Ranch. Am Wassergraben der Cole-Ranch hielten sie an. Cole war

es, der mit wütendem Gesicht die Faust auf die Chaps schlug: »Ich zahle keinen Dollar. Nicht einen Cent bekommt dieser

Bandit von mir.« Dann besann er sich und fuhr sich mit der flachen Hand über das gerötete Gesicht.

»Was tun wir, wenn unsere Rinder die letzte Pfütze im Graben leergesoffen haben?«

Clayr stieß ein heiseres Lachen hervor und sagte mit bitterer Miene:

»Es gibt nur eins. Entweder wir sehen zu, wie unsere Herden umkommen, oder – wir nehmen uns einfach unser Recht!«

»Und wie stellen wir das an?« Clayr schaute mit zusammengekniffenen Augen über das

weite Land. Er sagte langsam und ruhig, während er seine Blicke hin und her schweifen ließ:

»Es gibt nur eine Chance, Cole! Nachts müssen wir die Wehre öffnen. Nachts! Im Schutze der Dunkelheit. – Heute wird das Wasser noch knapp reichen, obwohl die Gräben nicht voll waren. Einen Tag können wir die Rinder ohne Wasser lassen. Aber dann müssen wir es wagen. Das wäre also morgen nacht, Cole. Doch Jim Brothers ist ein Fuchs. Er wird damit rechnen, daß wir morgen im Schutze der Nacht an den Wehren auftauchen. Er wird sein ganzes Rudel dort zusammenziehen, um es zu verhindern. Also müssen wir schon heute nacht hinüberreiten.«

»Das ist eine glänzende Idee! Doch sie hat einen Haken, Clayr. Wir können unmöglich die Wehre besetzt halten. Er wird alle seine Leute zusammenziehen und uns wie Fliegen vertreiben. Und wenn wir uns zurückziehen, nachdem wir die Wehre hochgezogen haben, wird er sie ganz einfach wieder

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zudrehen, womit die Sache für ihn erledigt ist.« »Wir werden die Wehre zerstören, Cole!« »Auch das ist eine glänzende Idee. Brothers wird mehrere

Tage brauchen, um sie zu reparieren. Yeah, aber wenn das Hochwasser kommt! Wenn die Wehre im Eimer sind, bekommen wir auf unseren Weiden die reinste Sintflut. Dann kommen wir um im Wasser. Und vor allem: Sollte Jim Brothers auch dahinterkommen, rührt er an den zerschlagenen Wehren keinen Finger.«

»Aber es ist unsere einzige Chance. Wir müssen es riskieren. – Also, reiten wir?«

»Ja!« nickte Cole. »Wir reiten. Ich komme mit all meinen Leuten. Wir sind genau ein Dutzend. Deine fünfzehn dazu, das gibt ein großes Rudel. Wir jagen Jim Brothers' Leute heute nacht in den Brazos.«

Clayr nickte, und dann trennten sie sich. Als er in den Hof seiner Ranch einritt, stand seine Tochter

vor dem Haupthaus. Er stieg schnell aus dem Sattel. Ein Cowboy kam aus dem Bunkhouse gelaufen. Ihm warf er die Zügel zu. »Sattle den braunen Wallach für mich. Ich muß in die Stadt.«

Dann ging er zum Haupthaus. May empfing ihn mit besorgten Blicken. Sie seufzte und sah

ihn verängstigt an. »Er hat uns also das Wasser abgedreht?« »So ist es, leider!« erwiderte er und schob die Hand unter

ihren Arm. Sie gingen zusammen ins Haus. Dort setzten sie sich an den Frühstückstisch.

»Und wie soll es nun weitergehen?« fragte sie und schaute nicht auf.

Clayr trank einen Schluck Tee und erwiderte: »Heute nacht zerschlagen wir die Wehre. Es ist für uns der

einzige Ausweg.« »Wie?« fragte sie erstaunt und schaute ihn mit ängstlichen

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Augen an. »Du und Cole...?« »Yeah, Cole und ich werden es vorläufig allein austragen

müssen«, unterbrach er sie. »Aber dieser Zustand wird nur drei Tage dauern. Dann müssen die anderen ihm wieder Geld zahlen. Und verlaß dich darauf, es wird nicht bei dreißig Dollar bleiben. Dann kämpfen alle im Green Valley. Das heißt, wenn sie es noch nicht verlernt haben.«

Eine Stunde später ritten sie von der Ranch. Sie schlugen den Weg nach Waco ein.

Als sie dort eintrafen, war es Mittag. Sie lenkten die Pferde bis zum Sheriff-Office und stiegen aus den Sätteln. Noch während sie die Pferde am Holm festbanden, ging die Tür auf, und Gleen Jenkins trat heraus. Über seine Stirn zogen dunkle Schatten, als er Clayr und dessen Tochter erblickte.

Er wartete breitbeinig, bis die Clayrs zu ihm hochkamen, begrüßte sie und führte sie in das Haus. Drinnen bot er ihnen Stuhle an. Als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte, blickte er den Rancher an und sagte langsam:

»Er hat also seine Drohung wahr gemacht und die Wehre zugedreht!«

»Yeah.« Clayr sagte es kurz und hart. »Alle Wehre?« Clayr lachte rauh auf. »No«, sagte er. »Nur bei Cole und mir. Cantor und Hendrick

haben gezahlt. Ben Shave hat sein Land an ihn verkauft.« Jenkins erhob sich und trat an das Fenster. Er verschränkte

die Arme und starrte hinaus. Nach einer Weile sagte er: »Hör gut zu, Clayr! Das Recht steht auf eurer Seite. Ich bin

im Moment machtlos, aber ich werde den Distrikt-Marshal benachrichtigen. Er soll Jim Brothers zur Vernunft bringen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Bis dahin müßt ihr aushalten, Clayr! Bleibt hart, aber brecht nicht Recht und Gesetz. Am Ende ist das immer ein Nachteil, verstehst du?«

»Du sagst, wir sollen im Valley aushalten. Wie lange? –

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Nirgends säuft Land soviel Wasser wie im Green Valley, nirgends sah ich Gräben schneller versiegen als bei uns draußen! Kalkulier es ein, Jenkins! – Wir wissen, daß es kaum einen Sinn hat, wenn du zur Brothers-Ranch reitest. Aber versuchen solltest du es doch! Du vertrittst in diesem County das Gesetz! Du warst schon immer ein Zauderer, Jenkins. Schon immer! Und sicher wird das einmal auch dein Nachteil sein!«

Clayr stülpte sich den Stetson auf und ging zur Tür. May erhob sich und folgte ihm. Sie warf schnell einen Blick

zu Jenkins, der sich ebenfalls erhoben hatte und mit zusammengepreßten Lippen zu ihr starrte.

Sie sah, daß ein alter Mann dort stand. Ein Mann, der in Ehren ergraut war und sich nun harte Worte an den Kopf werfen lassen mußte. Er tat ihr leid. Sie fand ihren Vater plötzlich hart. »Es ist gut, Jenkins«, sagte Clayr barsch und riß die Tür auf. »Wir werden uns selbst helfen! Aber gib uns keine Ratschläge mehr! Benachrichtige wenigstens den Distrikt-Marshal!«

Als die Clayrs aus dem Office gegangen waren, ließ Jenkins die Schultern herabfallen.

So blieb er stehen und starrte vor sich hin. Als geraume Zeit später sein Gehilfe hereinkam, stand er

immer noch in der gleichen Haltung da. Harry Clayr und seine Tochter May stiegen draußen auf die

Pferde. Das Gesicht Mays war dabei besorgt, und das ihres Vaters war voll Grimm.

Sie ritten an, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Erst als sie am Brazos-Inn vorbeikamen, verhielt Clayr

plötzlich sein Tier und sagte zu seiner Tochter: »Reite heim, May! Ich will bei Mills noch einen Whisky

trinken.« Sie nickte ihm zu und machte ein freundliches Gesicht

dabei, um ihn aufzumuntern. Langsam ritt sie weiter.

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Doch schon nach zwei Pferdelängen griff sie wieder in die Zügel. Neben dem Brazos-Inn lag der Rambo-Store, und aus dessen Tür sah sie Jim Brothers herauskommen. Drei seiner Männer schoben sich hinter ihm auf die Straße.

Als Harry Clayr die Stufen zum Inn hinaufsteigen wollte, trat ihm Jim Brothers in den Weg.

Clayr war über das plötzliche Auftauchen des Mannes sichtlich überrascht. Aber er fing sich schnell.

Jim Brothers wartete mit kaltem Lächeln, bis sich Clayr von der Überraschung erholt hatte.

Er stemmte den linken Arm in die Hüfte. Den rechten Arm trug er in einer schwarzen Schlinge. Er wippte leicht auf den Spitzen seiner hochhackigen

Reitstiefel und sagte dann, während er mit dem Daumen über die Schulter zur Klapptür zeigte:

»Sie werden mir doch den Vortritt lassen, Clayr?« Der Ältere preßte die Lippen und kniff die Augen

zusammen. Er atmete flach und ließ beide Arme lang herunterfallen.

Dann stieß er eisig hervor: »Nein, Jim Brothers!« Männer und auch Frauen, die auf den Sidewalks

entlanggingen, blieben stehen und reckten die Hälse. Sie sahen, wie sich Jim Brothers und der Kleinrancher Harry

Clayr gegenüberstanden. Sie hörten die harten Worte. Und sie wußten, daß diese beiden Männer erbitterte Rivalen waren, rochen förmlich den Streit, der in der Luft lag.

Unter diesen Leuten stand auch Dan McKinley. Das harte und eisige »Nein« Harry Clayrs war noch nicht

ganz verklungen, als Jim Brothers auch schon spöttisch auflachte.

»Sie schulden mir Geld, Clayr«, sagte er mit beißender Stimme. »Sie schulden mir zwanzig – nein, genau dreißig Dollar. Und es ist wohl Sitte, daß der Schuldner vor seinem

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Gläubiger den Hut zieht und ihm auch den Vortritt läßt!« Clayr blieb ruhig. Er sah in den Augen Jim Brothers ein

gefährliches Leuchten wie bei einem Raubtier. Hinter dem Rücken seines Feindes grinsten drei Brothers-Reiter. Clayr nahm sich vor, die Nerven zu behalten.

Ruhig und fast sanft, mit einem nachsichtigen Lächeln auf den Lippen, erwiderte er:

»Sie irren sich, Jim Brothers! Sie irren sich ganz bestimmt. Ich schulde Ihnen keinen Cent! Ich wüßte nicht, was ich von Ihnen erhalten und noch nicht bezahlt habe.«

»Ich habe es mir überlegt, Clayr. Ich werde am Abend die Wehre wieder hochziehen lassen. Cole und Sie sind dann meine Schuldner!« Brothers sagte es mit großmütiger Stimme.

Das Gesicht Harry Clarys wurde finster und drohend. Er neigte sich etwas vor, als er antwortete: »Das brauchen Sie nicht, Brothers! Das werde ich selbst

tun!« Jim Brothers spürte die Drohung und verzog das Gesicht.

Dann sprach er so laut, daß es alle deutlich hören konnten, die mit gespitzten Ohren auf den Sidewalks standen und mit Spannung die Auseinandersetzung verfolgten.

»Ich weiß, was ich darunter zu verstehen habe! Ho, ich weiß es sehr gut. Sie wollen die Wehre zerschlagen, Clayr! Aber ich rate Ihnen ab! Seit gestern abend steigt der Brazos. Sie wissen, was das bedeutet. Wir bekommen Hochwasser. Sie würden Ihr Land in einen See verwandeln. Das Land meiner Ranch liegt hoch genug. Vielleicht werde ich die Wehre abreißen lassen, denn sie stehen auf meinem Land!« Er blitzte Clayr an. »Und sie stehen mir im Weg, genau wie Sie, Clayr.«

Das war zuviel! Das mußte zuviel sein. Die Faust Harry Clayrs zuckte nach vorn. Sie traf Jim Brothers' Gesicht und warf ihn nach hinten. Er fiel seinen Reitern genau in die Arme. Die Männer

stellten ihn wieder auf die Füße. Jim Brothers blutete aus Mund

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und Nase. Er verzog die Mundwinkel und schrie dann in ohnmächtiger

Wut: »Ich werde dich ersaufen lassen – dich und deine

erbärmliche Ranch!« Er drehte sich zu seinen Leuten um und brüllte sie an: »Los – worauf wartet ihr noch! Schlagt ihn zusammen, daß

er auf allen vieren nach Hause kriechen muß!« Sie stürzten auf Clayr zu. Doch May stellte sich vor ihren Vater. Clayr versuchte, sie zur Seite zu schieben. Er tat es mit

hartem Griff – doch sie klammerte sich an seinen Kleidern fest. »Schafft das Weib weg«, schrie Jim Brothers, als er sah, daß

die Männer vor ihr stehenblieben und sich hilflos zu ihm rumdrehten. »Stoßt sie zur Seite! Reiß sie weg, Jeff!«

Er schob sich an seinen Reitern vorbei und packte May mit einem brutalen Griff.

Wild drängte er sie zur Seite. Und ehe Clayr noch einmal nach ihm schlagen konnte, waren die anderen Männer über ihm.

Die Brothers-Reiter schlugen mit harten Fäusten zu. Zu dritt fielen sie über Harry Clayr her. Doch plötzlich wurde es still auf der Straße. McKinley hatte seine Zigarette weggeschnippt und rannte

über die Straße. Auf einmal stand er vor Jim Brothers und schlug dessen

Arm von Mays Schultern. Er tat es gelassen und ruhig. Jim Brothers sah ihn wütend an. Doch dann wurde sein Blick unsicher. Er schaute zu seinen Reitern hinüber, die von Clayr abgelassen hatten und mit herabhängenden Armen zu ihm herübersahen. Ihre Fäuste lagen dicht hinter den Waffen. Sie standen genau hinter McKinleys Rücken. Ihre Augen waren schmal und stechend.

Clayr stand mit keuchenden Lungen da und wischte sich den

Page 22: Duell der Longtrail-Reiter

Dreck aus dem Gesicht. Er blutete. Über seiner rechten Augenbraue klaffte ein breiter Riß.

Auf den Sidewalks hielten die Passanten mit aufgerissenen Augen den Atem an.

Daniel starrte Jim Brothers lange ins Gesicht. Dann drehte er sich herum und rief zu den Leuten auf den

Gehsteigen: »Waco ist die erbärmlichste Stadt, die ich je sah! – Dieser

Schuft vergreift sich an einer Frau, und ihr seht zu!« Er wandte sich wieder Jim Brothers zu und sagte fauchend: »Nimm es! Es ist für dich und kommt aus vollem Herzen!« Dann schlug er zu! Zweimal! Mit der flachen Hand! Mit der

Linken! Dann wirbelte er herum und sah, wie die Fäuste der

Brothers-Reiter zu den Waffen zuckten. McKinley schoß mit beiden Revolvern. Seine schnellen

Kugeln warfen alle drei in den Staub. Jeff, der Vormann der Brothers-Ranch, ließ das Eisen aus

der Hand fallen. Er hatte es schon oben gehabt. Aber er kam nicht mehr zum Schuß.

Es war zu Ende mit ihm. Er faßte sich an die Brust und brach zusammen. McKinley stand zusammengesunken da und hielt die

rauchenden Revolver in den Fäusten. Ein Schrei aus May Clayrs Mund riß ihn herum. Er blickte in das entstellte Gesicht Jim Brothers'. Als er sah,

wie dessen Hand nach dem Colt langte, trat er schnell einen Schritt auf ihn zu und rammte ihm den Ellenbogen in die Magengrube.

Jim Brothers ging stöhnend in die Knie, zog den verwundeten Arm aus der Schlinge und hob beide Hände.

So hockte er am Boden und schnappte nach Luft.

* * *

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Sheriff Jenkins blieb mit seinem Gehilfen vor dem Brazos-Inn stehen.

Dort befanden sich nur noch diejenigen, die es anging – und Mills! Jim Brothers erhob sich stöhnend.

Mit zusammengebissenen Zähnen blickte er Jenkins ins Gesicht und stieß gepreßt hervor:

»Aaah, Jenkins! Es ist nichts! Du bist hier überflüssig. Es war nur eine Meinungsverschiedenheit. Wir bringen es selber in Ordnung.«

Er wandte den Kopf, sah McKinley an und fügte mit Grimm hinzu:

»Später! Jim Brothers vergißt so etwas nie!« Dann machte er kehrt und stapfte zu seinem Gaul. Als er in den Sattel stieg, sah er flüchtig über die Schulter. »Jeff ist selbst schuld. Schaff ihn auf den Friedhof, Jenkins!

Die anderen beiden werden davonkommen. Der Doc kann das erledigen.«

Er ritt davon... Clayr starrte auf den Sheriff. Er knurrte mit gereizter Stimme: »Warum läßt du ihn reiten? Warum, du Zauderer?« »So ist es, Jenkins!« brummte Mills. »Ich sah es durch die

Scheiben. Sie zogen, als er ihnen den Rücken zuwandte. Er schlug Jim Brothers ein paar links und rechts hinter die ungewaschenen Ohren, weil er sich an May Clayr vergriffen hatte.« Er schnaufte empört. »Warum hast du Brothers reiten lassen? Setze ihn fest, und der Krach in Green Valley ist zu Ende. Früher warst du härter, Jenkins, viel härter!«

Er drehte sich um und stampfte in das Inn zurück. Jenkins starrte Jim Brothers nach, obwohl der Mann kaum

noch zu sehen war. Dann kam endlich der Doc mit wehenden Rockschößen heran. Der Deputy hatte ihn geholt. Der Sheriff blickte auf und sah ihm abwartend entgegen.

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Dabei stemmte er die Arme in die Hüften und zog die Stirn in Falten. »McKinley muß aus der Stadt!«

May atmete schnell. Ihre Blicke hingen an Daniels Mund. Und sie hielt den Atem an, als sie ihn sprechen hörte:

»Ich bin noch nie aus einer Stadt geritten, in der noch eine Rechnung offenstand. Es wäre hier das erste Mal, Sheriff.« – Er schüttelte den Kopf und grinste kalt. »No, ich bleibe. Mir gefällt es hier. Ich will Jim Brothers die Gelegenheit geben, alles in Ordnung zu bringen. Du kannst mich nicht aus dieser Stadt jagen, weil ich mich meiner Haut gewehrt habe. Was ich mit Jim Brothers gemacht habe, mußte ich tun, weil es andere vor mir versäumt haben. Er hat die Hand gegen eine Frau erhoben, Sheriff! Und es war sein Pech, daß ich dabei war!«

Er machte eine Pause und sah zu May hinüber, die ein ernstes Gesicht zog. Dann fügte er hinzu:

»Solange ich in dieser Stadt bin, wird es immer so sein!« Danach ging er. Er grüßte May und tippte an den Hut, streifte den Sheriff mit

flüchtigem Blick und stieg die Stufen zum Brazos-Inn hinauf. Doch er hatte die Tür noch nicht aufgestoßen, als er in der

Bewegung einhielt, und sich den Reitern zuwendete, die in scharfem Ritt die Straße entlanggeprescht kamen. Er erkannte sie sofort und zog die Brauen hoch.

Es waren drei Longtrailreiter. Rauhe Burschen wie er. Doch sie zogen im Rudel. David

Prucells war der Leitwolf. Sie hielten vor dem Inn und saßen ab.

McKinley bedauerte den Sheriff und diese Stadt, die nun noch mehr Verdruß bekommen würde.

Waco hatte schon genug davon. So eine Stadt konnte daran zu Grunde gehen, dachte er. Unten auf der Straße hörte er David Prucells, wie er rauh auflachte.

»Zwei Sterne, beim Henker! Waren Sie ganz allein, Mister?« fragte er Clayr belustigt, während er mit schnellen

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Fingern sein Pferd anband. »Sie sind ziemlich lädiert, Mann! Und die Lady an Ihrer Seite ist ganz blaß. Brüder, hier hat's geknallt!« Er winkte seinen Kumpanen.

Sie drängten sich breitbeinig zwischen Deputy Way, Rancher Clayr, dessen Tochter und dem Sheriff zur Treppe durch. Jenkins mußte es schlucken, daß Prucells ihn hämisch angrinste.

Als David Prucells den Fuß auf die unterste Stufe des Brazos-Inn setzte, entdeckte er oben an der Tür McKinley.

Er wurde sofort ernst und blieb stehen. Er stieß seine Partner an. Die zuckten herum und erstarrten.

Sie blieben eine ganze Weile stehen und musterten McKinley mit argwöhnischen Blicken.

McKinley schaute von einem zum anderen. Er schwieg dabei.

Mit einem gefährlichen Ton in der Stimme sagte Prucells: »Daniel McKinley! Du blockierst die Tür! – Wie soll ich

das auffassen?« Doch McKinley brauchte keinen neuen Ärger. Er wollte

wortlos zur Seite treten, aber Jenkins kam ihm zuvor. Der Sheriff hielt plötzlich seinen Revolver in der Hand und

schnarrte mit entschlossener Stimme: »Die Pfoten hoch, ihr drei! – Nehmt sie hoch, oder ihr

überlebt es nicht!« Auch Way Shane, der Deputy, hielt seine Revolver in den

Fäusten. Aber die drei Wölfe dachten nicht daran, dem Befehl Folge

zu leisten. Sie lachten! Unbekümmert schoben sie sich an McKinley vorbei und

verschwanden in der Inn, ohne sich noch einmal umzudrehen. »Warum schießt du nicht?« fauchte Shane den Sheriff an.

Man sah, daß er darüber wütend war. Mit einem Fluch steckte er die Waffen in die Halfter und wandte sich ab.

Er ging mit schnellen Schritten auf dem Gehsteig davon.

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Auch Jenkins schob sein Eisen zurück. Er tat es langsam und nachdenklich. Dann ging er davon.

McKinley schaute ihm nach. Er spürte dabei, daß Mays Blicke an ihm hingen. Kopfschüttelnd wendete er sich den Clayrs zu und sagte, indem er den Rancher anblickte:

»So kommt ihr nie zum Ziel. Ihr braucht einen anderen Sheriff. Jenkins ist schon zu alt. Es wird euer Nachteil sein. – Jim Brothers weiß das!«

Clayr nickte. Er nickte mit düsterem Blick. Dann schaute er McKinley ins Gesicht und sagte:

»Sie haben keine Arbeit. Ich könnte Sie gebrauchen. Hundert Dollar im Monat. Es wäre für Sie ein gutes Angebot, McKinley. Wenn Sie in meinen Sattel steigen, reiten Sie für das Recht.«

McKinley lachte rauh auf. »Recht und Gesetz vertritt der Sheriff. Ich vertrete nur mich

– sonst niemanden.« McKinley tippte an den Stetson und ging in den Inn. Er verschwand so schnell, daß Clayr ihm nichts mehr sagen

konnte. »Alle sind sie zu feige! Alle!« Clayr spie wütend und

angewidert auf den Boden und schob May zu den Pferden hinüber.

Das Mädchen wendete sich noch einmal im Sattel und blickte zum Eingang der Inn hinüber. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf.

Zu feige, hatte ihr Vater gesagt. – Nein, dachte sie, feige war McKinley nicht, nur einsam. Wahrscheinlich hatte er es nie anders kennengelernt im Leben. In seinem ganzen Leben hatte er wohl nie gespürt, daß es noch andere Menschen auf dieser Welt gab. Menschen, die gut waren – zu ihm gut waren. Aber woher sollte er das wissen?

Ihr Vater wollte nur McKinleys Revolver. Er brauchte ihn, um sich gegen Jim Brothers durchzusetzen. Nein, dachte sie

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und schüttelte den Kopf, Daniel konnte gar keine andere Antwort geben.

Mit einem traurigen Zug um den Mund ließ sie das Pferd antraben.

* * *

Daniel McKinley steuerte einen der Tische im Brazos-Inn an.

David Prucells lehnte mit seinen Partnern am Schanktisch. Sie fuhren bei seinem Eintritt herum, wandten sich aber gleich wieder ihren Gläsern zu und grinsten sich nur an.

Daniel setzte sich, und Mills kam schon mit Glas und Flasche heran.

Daniel saß mit gesenktem Kopf da. Doch aus den Augenwinkeln beobachtete er die drei Männer

am Tresen. Er sah, wie David Prucells seine Partner anstieß und mit dem Kopf zu seinem Tisch hinüberwies. Dann drehte er sich um und kam mit dem Glas in der Linken auf McKinley zu.

»Nun, Daniel, sicher willst du mir etwas sagen«, meinte er in einem sanften Ton. Dazu nickte er bedächtig und schürzte die Lippen. Dann fügte er spöttisch hinzu:

»Weshalb standest du vor der Tür?« »Es war rein zufällig, Prucells!« Der Mann lachte rauh auf, schaute kurz zu seinen Partner

hinüber und erwiderte dann: »Das schlucke ich nicht, McKinley! Das ist keine Antwort

auf meine Frage. Du bist doch der große McKinley. – Daniel McKinley, der Tiger!«

Er grinste niederträchtig. »Deine Antwort paßt schlecht dazu. Ich frage mich, wieso

sie dich den Tiger nennen. Was ist eigentlich gefährlich an dir? Ich möchte es ausprobieren!«

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»Ich verstehe dich, Prucells! Die von deiner Sorte wollen das alle!«

Prucells Gesicht wurde hart. »Jesse, Mac!« schrie er zum Tresen hinüber. »Wißt ihr,

warum man ihn den Tiger nennt? – He, wißt ihr es? Gebt mir eine Antwort, wenn ihr das wißt!«

Jesse Thistwaite drehte sich grinsend um. »Wir wissen es nicht, Dave! Aber man sagt, daß er schnell

ist und eine harte Faust haben soll! Man müßte es ausprobieren!«

Sie standen zu dritt lauernd und kampfbereit da und starrten McKinley an.

Doch McKinley blieb ruhig sitzen. Er kannte sie; er wußte, daß diese drei Burschen rauhe Wölfe waren und warum sie es hier im Brazos-Inn auf einen Krach angelegt hatten. Sie waren giftig.

Daniel wußte, daß sie im Brazos-Inn wieder mal einen Beweis ihrer Härte liefern wollten.

Er sah kaum auf, als Prucells zischte: »Du hast gehört, daß wir es ausprobieren wollen! – Los, nun

sag schon, daß du mir vor dem Inn den Weg versperren wolltest. Sag es! Du bist doch McKinley, der Tiger! Steh auf und kämpfe, Tiger!«

Das Gesicht David Prucells' verzerrte sich zu einer Grimasse. Mit blitzenden Augen sah er auf Daniels Haarschopf, da dieser den Kopf nicht hob.

Dann stand plötzlich Mills hinter ihm und legte ihm die Hand fest auf die Schulter.

Prucells erstarrte, und das Blut schoß ihm ins Gesicht. »Du steigst groß ein. Zu groß! Du willst Krach in den Laden

tragen. Laß es sein! Laß McKinley in Ruhe!« verlangte Mills. Jan Mills hätte diese Worte niemals aussprechen dürfen!

Vor allen nicht zu David Prucells! Denn der schluckte so etwas nicht.

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Mills hatte diese Worte kaum über die Lippen bringen können, da fuhr Prucells auch schon herum. Er warf Mills das Whiskyglas ins Gesicht und schlug ihn hart unter das Kinn.

Er führte den Schlag mit Wucht. Zu wuchtig, denn es riß ihn herum.

In diesem Moment sprang Daniel hoch. Die Revolver flogen ihm förmlich in die Fäuste, und noch

ehe das wilde Rudel es ganz begreifen konnte, sah es in seine Coltmündung.

David Prucells fluchte. Ein ohnmächtiger Grimm wollte seine Hände doch noch zu den Eisen schnellen lassen, aber er war schlau genug, sich trotz seiner rauchenden Wut einzugestehen, daß sie alle ohne jede Chance waren.

McKinley grinste gelassen. »Und nun geh, David Prucells! Nimm deine Partner mit!

Haut ab!« Dave Prucells schluckte. Es wollte ihm nicht in den Schädel, daß er in diesem Inn

eine bittere Abfuhr erleiden sollte. In den Augen flackerte es. Er suchte nach einer Chance, um

das Spiel noch an sich zu reißen. Aber er fand sie nicht. Daniel McKinley sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

Das war die Sorte, die sich nicht so leicht geschlagen geben konnte.

»Du wendest es nicht mehr! Nimm deine Leute mit und geh!«

Da nickte David Prucells und deutete seinen Gefährten mit einer Kopfbewegung den Weg zur Tür.

Langsam setzten sie sich in Bewegung. An der Tür sahen sie noch einmal zu ihrem Leitwolf hin, ob er nicht doch noch einen Ausweg gefunden hätte. Aber Prucells gab nach.

»Wir räumen das Feld, McKinley!« McKinley grinste übelgelaunt. »Well, wir verziehen uns! Aber du irrst, wenn du annimmst, daß es erledigt ist. Es wird in dieser Stadt erst

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beginnen! Wir wollen es groß anlegen mit dir! Daran denke Tag und Nacht! Vielleicht ist es besser für dich, wenn du dieser Stadt den Rücken kehrst! Aber damit kannst du diese Sache nur verschieben. Wir werden dich überall aufspüren. Das nächste Mal kannst du uns zeigen, was groß an dir ist!«

Daniel zog die Mundwinkel nach unten und nickte. Dann erwiderte er:

»Ich werde diese Stadt nicht verlassen, Prucells. Hier scheint die Sonne so schön. Und euer Schatten stört mich nicht.«

Dave Prucells ging, und die beiden Männer folgten ihm rasch.

Nachdem die drei draußen waren und die Tür hinter ihnen zuschlug, schob McKinley mit nachdenklichem Gesicht die Revolver in die Halfter, zog sich den Stuhl heran und nahm wieder Platz. Er trank einen Whisky.

Nun erst wagten die wenigen Gäste, sich von ihren Sitzen zu erheben. Sie liefen rasch zu Jan Mills und bemühten sich um ihn. Es dauerte auch nicht lange, da schlug er die Augen auf. Er war reichlich verwundert.

Als sein Blick auf McKinley fiel, wurde er plötzlich nachdenklich.

»Du hast sie also bezwungen«, sagte er. »Ich dachte es mir. Ich wollte nur, daß es ohne Blei und ohne Blut abläuft!«

McKinley stand auf und sagte, während er ein Geldstück auf den Tisch fallen ließ;

»Du hast es gewendet, Mills! Es hätte anders kommen können. Hüte dich vor ihnen. Es sind rauhe Burschen.«

McKinley grüßte und ging aus dem Inn. Er ließ Männer zurück, die sehr nachdenklich geworden

waren, die ihre Hände unter die Hutränder schoben und sich die Schädel kratzten. Diesen Tag würden sie nie vergessen. Ein Mann kam in die Stadt, der Jim Brothers, den wilden und herrschsüchtigen Jim Brothers, zweimal hintereinander hatte

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abfahren lassen. Daniel McKinley! Ein Mann, der vor nichts zurückschreckte

– vor nichts! Nicht vor Jim Brothers und auch nicht vor einem rauhen Rudel, dessen Leitwolf David Prucells war.

So machte es die Runde durch Waco. Durch eine Stadt, die in Texas am Brazos-River lag und

schon viele wilde und harte Männer gesehen hatte. Auch bis zum Green Valley – zu Jim Brothers! Well, auch

er erfuhr, daß McKinley drei rauhe und wilde Gegner in dieser Stadt dazubekommen hatte. Seine beiden Männer, die McKinley vor dem Brazos-Inn fertiggemacht hatte, brachten ihm diese Kunde.

* * *

In Green Valley ging es auf Mitternacht zu. Auf der Clayr-Ranch stiegen fünfzehn Männer mit kantigen

Gesichtern in die schweren Bocksättel. Sie taten es lautlos, denn sie ritten zum Kampf. Sie ordneten die Zügel und zogen die Winchestergewehre aus den Scabbards, legten sie quer über die Sättel und schauten abwartend zum Haupthaus hinüber.

Dort stand der Rancher mit seiner Tochter. Auch er stieg in den Sattel, als er sah, daß seine Mannschaft aufgesessen war. Vom Pferd herunter blickte er May noch einmal an und sagte zu ihr mit zuversichtlich klingender Stimme:

»Wenn wir sie niedergeritten haben, May, dann schicke ich sofort ein paar Boys auf die Ranch zurück. Geh solange auf dein Zimmer. Verschließ das Haus!«

Dann ritt er an und gab den Männern ein Zeichen. Kitt Sheram, der Vormann dieser kleinen Crew, trieb sein Pferd neben das des Ranchers. Er nickte ihm zu, als dieser ihn fragend anschaute. Und dann ritten sie scharf aus dem Hof.

May Clayr blieb zurück...

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* * *

Die Männer der Clayr-Ranch ritten stumm, und ihre Gesichter waren entschlossen und verbissen. Bald erreichten sie das Land der Brothers-Ranch.

Dort wartete schon John Cole mit seinen Männern. Es war ein Dutzend Reiter, das sich plötzlich, wie aus dem Boden gestampft, gegen den schwarzen Nachthimmel abzeichnete. Sie saßen auf ungeduldigen Pferden. Und so ungeduldig wie diese Pferde war auch John Cole.

Als er Clayr ausmachen konnte, legte er sofort los: »Clayr! Ich dachte schon, ich müßte es allein ausfechten!« Clayr hob die Hand zum Gruß und trieb sein Pferd zu John

Cole hin. »Die Nacht ist schwarz wie der Mantel des Teufels, Cole!«

stieß er hervor. »Er ist für uns das richtige. Wie viele seid ihr?« »Mit mir sind wir genau dreizehn, eine Unglückszahl! Aber

für Jim Brothers!« Er sagte es hitzig und mit Haß in der Stimme. Dann fügte er schnell hinzu:

»Auch Jerry Jeffer ist mit seinem Cowboy gekommen. Er reitet mit uns, da sein Land ja aus meinem Graben Wasser bezieht. Sie sind zum Brazos geritten. Vor einer Stunde sind sie weg. Der River steigt, Clayr!«

Er fuhr mit der Hand durch die Luft, wie immer, wenn ihn etwas erregte, und sagte dann:

»Wenn das so ist, können wir die Wehre nur hochdrehen!« »Es ist so, Cole! Jim Brothers sagte es mir!« »Aaah – du hattest Krach mit ihm? McKinley kam

dazwischen? Wegen May, sagte man mir?« »Yeah, wegen May!« erwiderte Clayr grimmig. Und er

fluchte laut, weil McKinley ihm nur aus diesem Grund geholfen hatte. Und er wurde noch wütender, als Cole fragte:

»Konntest du McKinley nicht in deinen Sattel nehmen? – Ich schätze, es würde sich auszahlen! Nicht einer von uns ist so

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schnell wie McKinley. Sein Revolverlohn dürfte kaum...« Doch Harry Clayr unterbrach ihn. »Er nimmt keinen

Revolverlohn! Ich habe es versucht. Aber dieser Bursche interessiert sich nur für seine eigenen Angelegenheiten.«

John Cole wollte etwas sagen. Er machte schon den Mund auf. Doch dann klappte er die Kinnlade wieder zu und hob seinen Kopf. Hufschlag stand in der Nacht... Die Männer hinter den beiden Ranchern wurden unruhig. Sicherungsflügel schnappten knackend, und einige Pferde wurden zur Seite gerissen.

Cole wandte den Kopf und rief verhalten: »Nicht schießen, Boys! Es ist Jerry Jeffer.« Vor dem dunklen Pulk der fast dreißig Cowboys hielten

Jerry Jeffer und sein Cowboy die Pferde an. Jeffer wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Grüß dich, Clayr!« rief er erregt. »Der Brazos steigt! Wenn wir die Wehre zerschlagen, ersäuft uns das Land.«

Er hatte es so laut gesagt, daß es auch die Mannschaft hören konnte. Nun schwiegen alle betreten und senkten die Köpfe.

In die Stille hinein grollte Harry Clayr: »Wenn wir es nicht tun, wird es Jim Brothers besorgen. Er kündigte es mir an!«

Da heulte John Cole auf und fegte mit der Faust durch die Luft:

»Laß uns reiten, Clayr! Laß uns reiten, damit wir es ihm endlich besorgen können!«

Er war so wütend, daß er sich in die Steigbügel stemmte und mit lauter Stimme über die Köpfe der Männer hinweg schrie:

»Reiten wir! – Reiten wir zusammen!« Und da stieß Clayr die Faust empor. »Reiten wir!

Vorwärts!« Sie hetzten zum Brazos-River – zu den Wehren! Sie trieben die Tiere mit wilden Rufen an. An der Spitze

ritten Harry Clayr und John Cole, dichtauf Jerry Jeffer mit seinem Cowboy. Er war der einzige Reiter, der auf Jeffers

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Lohnliste stand. In dieser Nacht führten die beiden Rancher ein wildes

Rudel! Jim Brothers' Leute hörten es schon von weitem herangefegt

kommen. Aber den Brothers-Reitern, die an den Wehren Wache

standen, nützte es nichts, daß sie die Mannschaft der Clayr- und Cole-Ranch schon von weitem hörten. Für sie war es zu spät! Sie konnten wohl noch einmal ihre Waffen überprüfen, aber um Hilfe zu holen, war es zu spät. Denn wenig später waren die dreißig rauhen Gesellen über ihnen. In dichtem Pulk jagten die Männer zwischen den Wehren hindurch. Sie schossen auf jeden Schatten.

Nach wenigen Minuten blitzte ihnen nicht ein einziges Mündungsfeuer mehr entgegen.

»Diese Runde ging an uns, Clayr!« rief Cole mit blitzenden Augen und fügte hinzu: »Was machen wir nun? Hauen wir die Wehre in Stücke? Der Brazos tritt über die Ufer!«

Jeffer trieb seinen Gaul zu den beiden Ranchern. Auch er war auch noch ganz außer Atem. Er rang mächtig nach Luft.

»Drehen wir sie nur hoch, Clayr! Wir richten uns sonst selbst zugrunde. Wir kommen um im Wasser!«

Clayr überlegte einen Moment lang. Dann stemmte er sich in die Steigbügel und rief mit fester Stimme: »Aus den Satteln, Boys! Drehen wir die Wehre hoch!«

Während sich die Männer an die Arbeit machten, ließ Clayr feststellen, wie viele Reiter es erwischt hatte.

Alle, die im Gras lagen, gehörten zu Brothers' Leuten. Es waren sieben Mann von Coles oder Clayrs Leuten, die

mit dem Blei der Brothers-Reiter Bekanntschaft machen mußten. Doch bis auf einen, der einen Hüftschuß einfing, konnten sie alle im Sattel bleiben.

Clayr nickte, als Kitt Sheram, der Vormann, herankam und das den beiden Ranchern meldete.

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Als die Wehre oben waren und die Männer von den Windenkurbeln zurücktraten, jagte Clayr vier Reiter in die Sättel und schickte sie zur Ranch zurück. Auch Cole ließ sie nach Hause reiten. Den Mann mit dem Hüftschuß nahmen sie mit

Dann stellten sie Posten aus. Sie schoben sie weit ins Land hinaus, um rechtzeitig die Brothers-Mannschaft zu erkennen, falls die wirklich noch in dieser Nacht den Versuch wagen sollte, die Wehre wieder in ihre Hand zu bekommen.

Die drei Rancher standen beisammen. Sie hielten Zigaretten zwischen den Lippen, starrten jedoch dabei dumpf vor sich hin. Als erster fand John Cole ein paar Worte.

»Wie soll es nun weiterlaufen?« fragte er. Clayr starrte lange in das gurgelnde Wasser hinunter, ehe er

antwortete: »Diese Frage ist überflüssig. Es wird von selbst laufen. Jim Brothers hat die Zügel in der Hand, nicht wir. Warten wir also ab! Warten wir ab, wie es Jim Brothers aufnimmt. An ihm wird es liegen, wie es hier weitergehen soll.« Clayr atmete tief. »Denn er verfügt über das größere Rudel!«

Jerry Jeffer, der Mann, der das kleinste Anwesen von ihnen besaß, richtete sich auf.

»Gut!« sagte er. »Warten wir ab, bis er über uns kommt. Seine Mannschaft zählt über ein halbes Hundert, und er wird nicht eher reiten, bis er alle im Sattel hat. Dann wird der Tanz beginnen. Sie werden uns treiben wie Freiwild!«

Clayr wendete sich Jeffer zu. Er sah ihn an und legte ihm die Hand beruhigend auf die Schulter.

»Wir können nicht einfach davonreiten oder ihm gar aufs Fell rücken.«

»Du hast recht, Clayr!« meinte John Cole. »Warten wir hier auf ihn, selbst wenn es übel werden sollte.«

Also blieben sie. Drei Männer, die wußten, was sie erwartete. Sie brauchten in dieser Nacht auf die Brothers-Reiter

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nicht lange zu warten. Jim Brothers traf mit seiner großen Mannschaft an den

Wehren ein, noch ehe der Morgen graute. Kitt Sheram meldete es den drei Ranchern. Er kam mit den

aufgestellten Posten zurückgeritten. Die Rancher brauchten nicht zu fragen, wie viele Reiter Jim Brothers aufgeboten hatte. Sie wußten, daß er mit all seinen Leuten kam.

Seine Mannschaft zählte weit über ein halbes Hundert. Clayr zog die Männer zwischen den Wehren zusammen.

Seine Worte klangen laut und hart, als er über ihre Köpfe hinweg rief: »Wir lassen sie herankommen! Schießt erst, wenn sie über den Graben setzen! Sie sind mehr als wir.«

An den Wehren wußten sie nun, daß wenige Yards vor ihnen, irgendwo in der Dunkelheit, Jim Brothers mit seinem Rudel angehalten hatte, und daß es nur noch Augenblicke sein konnten bis zum großen Kampf.

Dann ließ sie die Stimme Jim Brothers' zusammenfahren: »Clayr! He, Clayr! Steckt auf, oder es ist für euch für alle

Zeiten vorüber in diesem Valley! Ihr steht auf meinem Land. Verlaßt es! Wir geben euch eine Minute Zeit, Clayr! Entweder ihr reitet – oder es ist die letzte Minute eures Lebens. – Wählt!«

Cole, Jeffer und Clayr standen dicht beisammen. Sie standen aufrecht hinter einem der Wehre und starrten mit kantigen Gesichtern in die Dunkelheit zu Jim Brothers hinüber, dorthin, wo sie ihn vermuteten.

Cole begehrte auf und rammte Clayr den Ellenbogen in die Seite. Seine Stimme glich einem wütenden Geheul, als er hervorstieß: »Sag es ihm, Clayr! Sag ihm, daß wir hier stehen, weil wir auf ihn und seine Banditen warten.«

Da jagte Clayr eine Kugel aus dem Lauf und schrie in die Nacht: »Das ist unsere Antwort, Jim Brothers!«

»Es ist gut, Clayr«, rief Jim Brothers voll Hohn zurück. »Es ist gut, ich nehme es an!«

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Die Stimme Jim Brothers wurde scharf und schneidend, als er nach einer knappen Pause fortfuhr und sich an die Cowboys der Kleinrancher richtete: »Wer seine Haut und sein Leben retten will, der steige in den Sattel! Wir lassen ihn ungeschoren.«

Jim Brothers begann den Kampf. Seine wütenden Kommandoworte gingen unter im Prasseln

der Hufe anreitender Pferde. Dann fegten sie heran... Genau zwischen zwei Gräben ritten sie entlang. Und dann wurde es hart... Clayr und Cole erkannten die Absicht Jim Brothers' sofort. Wollte dieser es doch genauso machen, wie sie es vor

wenigen Stunden vorexerziert hatten. Bevor die Brothers-Leute heran waren, konnten sie ihre Befehle geben und die Cowboys in die Gräben in Deckung schicken.

Doch es half ihnen nicht viel. Jim Brothers ließ seine Männer die Pferde genau zwischen

den Wehren parieren. Es blitzte und krachte. Revolver und Gewehre dröhnten.

Dann jagte die Meute der Brothers-Reiter zum Brazos hinunter. Dort formierten sie sich neu.

Jim Brothers griff sofort wieder an. Aber dieses Mal ließ er seine Meute nicht zwischen den

Wehren verhalten, sondern führte sie in jagendem Ritt hindurch. Sie schossen aus allen Rohren. In beiden Händen hielten sie ihre Colts und jagten das Blei zu den Mündungsfeuern links und rechts auf den Grabenrändern.

Wie ein Spuk war es vorüber. Draußen auf der Weide rissen sie ihre Pferde herum und

wollten abermals losjagen. Die harte und keifende Stimme Jim Brothers' riß sie zurück. Er teilte seine Mannschaft in drei Rudel. In ein großes und zwei kleinere. Es wurde langsam hell, und das wollte er für sich ausnutzen. Er hatte es verflucht, daß

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die Cowboys der Kleinrancher in die Gräben gekrochen waren und er sie nicht heraustreiben konnte. Doch nun wollte er sie herausschießen. Das größere Rudel ließ er wie zuvor zwischen den Gräben reiten. Die anderen jagte er rechts und links an den Kanälen entlang. Von da aus sollten sie die Männer aus den schützenden Gräben drängen.

Clayr und Cole erkannten es zu spät. Ihren Leuten wurde es zum Verhängnis.

Als die drei Rudel Jim Brothers' im Grau der schwindenden Nacht auftauchten, gab es für sie kein Entrinnen mehr.

Die es überlebten, sprangen auf und rannten zu den Pferden. Sie erreichten diese, bevor Jim Brothers' Reiter abermals heran waren.

Clayr ritt mit Kitt Sheram als letzter davon. Die Brothers-Reiter hingen ihnen dicht auf den Fersen. Weit über das Land verstreut, jagten die geschlagenen

Männer ihren Ranches zu. An der Grenze seines Weidelandes hielt Jim Brothers seine

Reiter zurück. In seinem Gesicht spiegelte sich Triumph. Er wußte, daß er diesen Kampf entschieden hatte – daß dies für alle Zeiten entscheidend sein konnte.

* * *

May Clayr fuhr am Morgen mit einem der Cowboys zur Stadt. Sie saßen nebeneinander auf dem Bock des hohen Planwagens. Slim Stone, so hieß der Cowboy, führte die Zügel des Vierspänners.

Mit kreischenden Rädern riß Slim das Gefährt eine Meile vor der Stadt herum und bog zur Straße hin ein. Dann ging es weiter in jagender Fahrt, die erst vor dem Haus des Doc unterbrochen wurde.

May sprang herab. Doc Sandforth hatte das Geräusch des heranbrausenden Wagens vernommen und kam aus dem

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Behandlungsraum. Als er May erkannte, stutzte er und blieb stehen, die

Türklinke in der Hand. »Miß Clayr!« rief er erstaunt. »So früh?« »Guten Morgen, Doc!« erwiderte sie tonlos. »Sie müssen

schnell zur Ranch kommen! Es hat heute nacht an den Wehren eine Schießerei gegeben und...«

Sie verstummte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ist – ist etwas mit Ihrem Vater, Miß Clayr?« Sie schüttelte den Kopf. Sie tat es mit gesenkten Lidern. Sie

konnte nicht aufschauen. Die Tränen verzerrten ihren Blick. Doc Sandforth schwieg betroffen. Dann fragte er mit

besorgter Stimme: »Ihr habt alles verloren?« »Ja«, preßte May unter Tränen hervor. »Die Mannschaft Jim

Brothers' ist zu groß für uns. Cole und mein Vater sind allein zu schwach, um gegen ihn zu bestehen.«

»Yeah, ich hörte, Cantor und Hendrick haben gezahlt. Sie wollen nicht kämpfen. Aber sie werden es bereuen.« Er warf den Kittel durch die offene Tür in das Behandlungszimmer.

»Ich komme sofort mit.« Als May Clayr auf den Wagen stieg, wischte sie sich mit

einem Tuch die Tränen aus dem Gesicht.

* * *

Vor dem Rambo-Store, dicht neben dem Brazos-Inn, zog Slim die Zügel an und stoppte den Wagen.

Mr. Rambo, der Besitzer des gutgehenden Store, kam ihnen entgegen.

Slim Stone druckste herum. Doch als ihn May auffordernd anschaute, rückte er mit der Sprache heraus und bat sie, ihn zu einem kurzen Drink ins Brazos-Inn zu entlassen.

Sie nickte ihm zu, und mit einem wohlgemeinten Lächeln sagte sie:

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»Well, Slim! Gehen Sie hinüber. Ich lasse Sie rufen, wenn alles aufgeladen ist.«

Slim bedankte sich und lief davon. May schaute ihm versonnen nach. Sie dachte daran, wie leicht und schnell es auch für Slim in dieser Nacht an den Wehren zu Ende hätte gehen können. So gönnte sie ihm den Whisky, den er jetzt trinken wollte.

Sie reichte Rambo die Einkaufsliste. Der Storekeeper hakte eifrig die Waren auf dem Zettel ab, die von den Boys hinausgetragen wurden. Ab und zu blitzte er mit seinen kleinen Augen zu May Clayr hinüber. Er sah die Blässe in ihrem Gesicht, den schwermütigen Zug um den Mund, und er begann zu ahnen, daß in dieser Nacht im Valley der Teufel los gewesen war. Er rang eine ganze Weile mit dem Entschluß, sie einfach danach zu fragen, und als einer seiner Gehilfen die auf dem Zettel notierte Gewehr- und Pistolenmunition herausschleppte, ergriff er die Gelegenheit:

»Also fing es in dieser Nacht an? Konntet ihr euch behaupten?«

May schüttelte wortlos den Kopf. Rambo sah, daß sie mit den Tränen kämpfte.

»Yeah«, brummte er bitter, »Brothers' Mannschaft ist zu stark für euch. Hinzu kommt noch, daß die Stadt einen Mann zum Sheriff hat, der alt ist. Yeah, wenn...«

Er verstummte. Die Gehilfen kamen beide ins Magazin zurück, und nur einer von ihnen ging sogleich mit einem Zuckersack auf dem Rücken wieder hinaus.

Rambo war Geschäftsmann. Ein unvorsichtiges Wort über eine noch nicht entschiedene Sache konnte den Ruin für ihn bedeuten. Die Brothers-Ranch kaufte ihm mehr Waren ab als das ganze übrige Green Valley zusammen. Und Geschäft war noch immer Geschäft.

May legte er dann die Quittung vor, nahm das Geld entgegen und legte die Dollarnoten, ohne sie nachzuzählen, in

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die Kasse. – Das tat er sonst nie. Es sollte eine freundliche Geste sein. Er glaubte auch, daß es May so auffaßte, denn sie reichte ihm die Hand und lächelte.

Rambo grinste geschmeidig und verneigte sich. »Grüßen Sie Ihren Vater, Miß!«

Die Gehilfen zogen ihre Hüte, und Rambo geleitete das Mädchen zur Tür.

May wollte stehenbleiben und einen Gehilfen Rambos in die Inn schicken, um Slim zu rufen. Doch im selben Augenblick gingen die Flügeltüren weit auseinander, und Slim kam heraus. Rasch stieg er die Stufen hinunter und lief um das Fuhrwerk herum. Mit prüfenden Augen überblickte er die Ladung und wartete dann vorn am Wagen auf May.

Als sie kam, half er ihr hinauf. Er stieg von der anderen Seite auf.

»Halt ein, Boy!« brüllte eine kehlige Männerstimme von der Seite her. »Halt ein! Die Kleine an deiner Seite ist so hübsch, daß ich mich unbedingt mit ihr unterhalten muß.«

Dave Prucells war es, der diese Worte zu Slim hinaufrief. Er grinste Slim an, lief vorn an den Pferden vorbei und trat auf May zu, lüftete den Hut und sagte, während er sie mit flammenden Augen fast verzehrte: »Hallo, Miß! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. An so einem herrlichen Frühlingsmorgen sollten Sie es wirklich nicht so eilig haben. Wie wäre es...«

Doch May ließ ihn nicht weitersprechen. Sie wandte sich ruckartig von ihm ab und sagte hell und scharf zu dem Cowboy an ihrer Seite: »Fahr zu, Slim!«

Prucells war einen Schritt zurückgetreten. Er hielt plötzlich den Colt in der Faust und richtete ihn auf Slim. »Bleib!« zischte er.

Slim blickte in die Coltmündung und hielt in seiner Bewegung inne. Er hatte den kurzen Peitschenstiel in der erhobenen Faust und lächelte Dave Prucells eiskalt ins Gesicht.

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»Steck dein Eisen, weg, Stranger!« rief er. »Oder ich bringe dir bei, wie man sich in Gegenwart einer Lady benimmt, auch wenn es Frühling ist.«

Für Slim Stone war Prucells ein Fremder. Er kannte ihn nicht. Er merkte aber, daß er es mit einem Schießer zu tun hatte. Doch das beeindruckte ihn nicht. Er wußte, daß er mit dem Colt kein Könner war, aber um so besser verstand er es, mit der langen Fahrerpeitsche umzugehen.

Aber Dave Prucells war ein zu ausgekochter Fuchs. Er war ein Mann, der sämtliche Tricks und Schliche in diesem Land kannte. So kam es, daß er die Absicht des Cowboys auf dem Bock des Prärieschoners sofort durchschaute. Er sah es auch an der Art, wie Slim seine Peitsche hielt. Darum schoß er, ehe Slim mit der Peitsche ausholen konnte. Mit seinem Schuß fegte er Slim die Peitsche aus der Faust.

May stieß erschrocken einen spitzen Schrei aus und ließ sich zurückfallen.

Slim schoß das Blut ins Gesicht. Der Schmerz jagte ihn vom Bock hoch, und das Gesicht zornrot, zuckte seine Hand zum Eisen hinunter. Doch diese Bewegung stoppte Dave Prucells' rauhe Stimme:

»Ehe du deinen Prügel erreichst, liegst du als toter Mann auf der Fahrbahn.«

In Slim Stones Gesicht stand Wut. Seine Hand schwebte dicht über dem Eisen. Doch die Coltmündung, in die ihn der Fremde schauen ließ, schreckte ihn zurück.

Er schleuderte Prucells einige saftige Flüche an den Kopf. Aber in diesem Moment ergriff May die Zügel und ließ die Pferde antraben. Slim wurde durch den Ruck der anziehenden Tiere auf den Sitz zurückgestoßen. Er fluchte deswegen.

In dem Moment schnellte Dave Prucells plötzlich nach vorn. Er sprang an dem Wagen hoch und riß so heftig an den Zügeln, daß sich die vier Pferde vor dem Wagen aufbäumten. Er lachte gehässig.

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Die Passanten auf dem Sidewalk schrien erschrocken. Aber was nützte es? Sie kannten Dave Prucells, und unter ihnen war nicht einer, der es wagte, sich gegen dessen rauhe Manieren aufzulehnen.

Plötzlich stand Daniel McKinley vor Prucells, aber kein Mensch wußte, woher er gekommen war.

»Du hast dich vertan, Prucells!« Dave Prucells zog die Brauen hoch und drehte sich mit einer

Bewegung, die so langsam war, daß die Passanten glaubten, sie dauerte eine Ewigkeit, nach McKinley um.

»Du hast dich vertan, Dave Prucells!« sagte McKinley noch einmal. Er sagte es schneidend und eiskalt. »Du wirst dich sofort entschuldigen, Prucells!« Um seinen Mund hatte sich ein harter und entschlossener Zug eingegraben.

Als Dave Prucells zur Antwort nur rauh auflachte, setzte er sich in Bewegung und trat dicht an ihn heran.

Prucells Hände legten sich dichter an die Kolben, aber er zauderte noch. Er mußte es also austragen. Diesen Gedanken unterbrach McKinley mit einem harten Schlag.

Doch Dave Prucells hatte es so kommen sehen. Er duckte sich geschickt, und die Faust Daniels glitt ihm nur über den Schädel.

Prucells war ein Mann, der einiges hinnehmen konnte. Er war von diesem Hieb nicht im geringsten beeindruckt. Als er hochkam, grinste er über das ganze breite Gesicht und schlug hart und trocken zurück.

Aber Daniel blockierte die kurzen und schnellen Schläge Prucells, schmetterte sie zur Seite weg und hämmerte ihm dann blitzschnell die Faust unters Kinn.

Es traf Prucells wie der Schlag eines Dampfhammers. Dave Prucells fiel um wie ein Sack. May hatte den Kampf mit Entsetzen verfolgt. Sie hielt beide

Hände fest ineinandergepreßt. Die Fingernägel drückten rote Spuren in die weiße Haut ihrer schmalen Hände. – Sie spürte

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diesen Schmerz jedoch nicht. Slim, den der plötzliche Ruck der scheuenden Pferde wieder nach vorn geworfen hatte, lehnte mit erstauntem Gesicht über der Wagenwand. Seine Augen waren groß. Er wollte May fragen, wer dieser Bursche sei, der dem Revolverschwinger so hart die rauhen Manieren austrieb. Er hatte diese Frage schon auf der Zunge, doch da sah er zwei junge Männer, die Gesichter verzerrt, hinter diesen großen Burschen treten. Sie kamen aus der Menge der Passanten, und diese rückten weit auseinander.

Auch May sah die beiden Männer sofort. Sie rief laut und schrill: »Daniel!«

McKinley fuhr hoch. Stocksteif stand er vor dem regungslosen Körper von Dave

Prucells. Er wußte im gleichen Augenblick, daß es für ihn zu spät sein mußte. Er spürte, daß hinter seinem Rücken Jesse Thistwaite und Mac Corris stehen mußten, die Partner von Dave Prucells.

Sein Hirn arbeitete fieberhaft, aber doch exakt. Er suchte nach einem Ausweg, nach einer Chance.

Daniel wußte zu gut, daß er gegen Mac Corris und Jesse Thistwaite im Nachteil sein mußte, wenn er sich auf eine Auseinandersetzung einließ; wenn er wagen sollte, herumzufahren und beide zu erwischen.

Jesse Thistwaite und Mac Corris standen hinter ihm und hielten die Hände wie Krallen um die Kolben ihrer Waffen. Sie warteten mit schmalen Augen darauf, daß McKinley herumschnellen würde. Doch sie spürten, daß er zögerte, und Mac Corris rief ihm deshalb zu:

»Nun ist es soweit, McKinley! Dreh dich um, wir wollen es ausprobieren!«

Mac Corris sah klar seinen Vorteil, und diese Gelegenheit wollte er nicht ungenutzt vorüberstreichen lassen. Hoch warf er seinen Kopf auf und schrie noch einmal zu McKinley hinüber: »Los, nun dreh dich um! Du kannst uns jetzt deine Größe

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beweisen!« Slim hatte die Hand am Eisen, und er war entschlossen, eine

Hölle zu entfachen, wenn diese Wölfe es wagen sollten, auf den unbekannten Freund loszugehen.

Doch es kam anders! Die Wendung erzwang May Clayr! May erkannte, daß die Dinge für McKinley, für den Mann,

der sich so oft für sie in tödliche Gefahren gestürzt hatte, eine falsche Richtung genommen hatten.

Sie sprang schnell vom Wagen herunter, lief flink auf Daniel zu und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor dessen Rücken.

Es nützte Thistwaite und Corris nichts, daß sie laut zu fluchen begannen; sie hatten vergebens gezogen! May war eine Frau. Das respektierten auch Männer wie die beiden. Sie stießen die Waffen zurück.

Als May vom Wagen sprang, fuhr Slim auf. Er sah, daß die Killer blitzschnell ihre Eisen zogen, und schlug die Hand ebenfalls um den Kolben. Doch er brachte das Eisen erst über den Wagenrand, als die anderen beiden die Waffen schon wieder in den Halftern hatten.

Und das war für ihn der unerwartete Vorteil! Seine langsame Hand brachte die Chance – das große Blatt! Thistwaite und Corris sahen die Mündung über dem

Wagenrand, und schnell, wie sie waren, wollten sie noch einmal nachlangen, doch da war auch Daniel inzwischen herum, den das plötzliche Dazwischenspringen Mays genauso verwirrt hatte wie die Killer.

»Steck den Revolver weg, Cowboy!« rief Daniel Slim Stone zu. »Ich trage es allein mit ihnen aus! Nun, wie ist es?« fragte er mit einem sarkastischen Lächeln in den Zügen. »Ihr wolltet es doch ausprobieren!«

Zaudernd schob Slim den Colt zurück und schaute dabei mit lauernden Augen zu den Partnern hinüber. Und da mußte er

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sich wundern, denn die Entschlossenheit zum Töten wich plötzlich aus deren Gesichtern und machte einem schmierigen Lächeln Platz. Er hörte, wie Mac Corris sagte:

»Oh, McKinley! Wir haben es uns überlegt. Wir machen es ein andermal. Die Lady an deiner Seite scheint eine ganze Menge für dich übrig zu haben. Wir sind Gentlemen, McKinley! Das sind wir, und wir wollen es ihr ersparen, ihren Herzbuben im Staub liegen zu sehen.«

Auf den Sidewalks atmeten die Passanten auf. In Daniels Gesicht stand ein mitleidloser Zug. Er schaute

mit engen und harten Augen zu Thistwaite und Corris hinüber. Er wollte ihnen zurufen, daß es jetzt – an dieser Stelle – für immer und alle Zeiten zwischen ihnen geklärt werden mußte. Doch er sah plötzlich May Clayrs Augen flehend auf sich gerichtet. Er las darin, daß sie Angst um ihn hatte, daß sie um ihn bangte. Und so entschloß er sich nachzugeben.

»Nun gut«, murmelte er. »Lassen wir es heute. Das Glück sprang zu schnell auf meine Seite. Und das fuhr euch in die Knochen. Bringt euren Leitwolf weg! Hebt ihn auf und tragt ihn fort!«

Daniel sah sie noch einmal kalt an, dann nickte er und trat zur Seite, stellte sich neben May Clayr und beobachtete die beiden Killer mit wachsamen Blicken.

Die beiden gingen mit hängenden Armen zu Dave Prucells, zerrten ihn hoch und trugen ihn weg. Sie mußten mit ihm durch die Menge der Passanten hindurch und mußten es dabei schlucken, daß ihnen so mancher bissige Blick zugeworfen wurde. – Ein andermal, dachten sie beide grimmig.

Bald verschwanden auch die Passanten. Nur May und Daniel standen beieinander – und Slim. Doch

er hatte plötzlich so allerhand mit den Pferden zu tun, daß er sich um die Tochter seines Ranchers nicht kümmern konnte.

So kam es also, daß die beiden an der Hinterachse des Planwagens auf einmal allein waren.

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Diese Situation überraschte sie beide etwas. Daniel warf einen scheuen Blick zu ihr hin. Doch er streifte

damit nur ihr langes Haar. Denn sie war genauso verlegen geworden wie er, und mit klopfendem Herzen wartete sie auf ein Wort von ihm.

So sehr sie auf ein Wort des Mannes an ihrer Seite wartete, so sehr erschrak sie auch, als dieser dann endlich heiser herauswürgte: »Verzeihung, Miß Clayr! Ich glaube – ich glaube, ich muß mich bei Ihnen bedanken. Sie haben mir aus einer gefährli...«

Doch da drehte sie sich um und schaute ihm ins Gesicht. Daniel verstummte, als er ihr so unvermutet in die Augen

sah. Sie schüttelte energisch den Kopf und hob die Hand. Mit

leiser Stimme entgegnete sie ihm: »Sprechen Sie nicht so, Daniel. – Mr. McKinley«, verbesserte sie sich schnell. »Ich stehe in Ihrer Schuld. Sie wagten Ihr Leben für mich. Sie wagten es nicht nur einmal.«

»Ich werde es jederzeit wieder tun – May! Und ich wäre der zufriedenste Mensch unter der Sonne, wenn Sie das glücklich machen würde. Macht es Sie glücklich, May?«

Diese Frage klang in ihren Ohren wie eine zarte Melodie. Sie schwieg und lauschte in sich hinein, bis es verklungen war. Dann nickte sie.

Daniel sah das Leuchten in ihren Augen und mochte aus den Stiefeln fahren. Sein Herz machte kühne Sprünge, und der Wunsch, dieses Mädchen jetzt an sich zu ziehen und zu küssen, wollte ihn überwältigen.

Doch da drehte sie sich schnell um und lief den Wagen entlang.

Dann rumpelte der Wagen an, und Daniel mußte rasch zur Seite treten. Er blieb auf dem Gehsteig stehen und schaute dem Gefährt nach. Als der Wagen in eine Seitenstraße einbog und er das Mädchen wieder sehen konnte, zog er den Stetson und

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winkte. Er sah ihr Gesicht – sah, daß sie lächelte und mit einer

Handbewegung seinen Gruß erwiderte. Er setzte erst den Hut wieder auf, als die Staubfahne des Wagens hinter den Häusern verschwunden war.

* * *

Der Brazos-River stieg! Und auf den Weiden der Clayr-Ranch verendete das Vieh.

Vor Durst! Zwölf Tage nach der mörderischen Stampede an den

Wehren am Brazos ritt Kitt Sheram in den Hof der Ranch ein. Er hielt den Kopf gesenkt. Das Kinn stieß auf die Brust. Erst als ihn Harry Clayr vom Haupthaus her anrief, blickte er auf und trieb sein müdes Pferd zur Veranda hin, auf der Clayr mit seiner Tochter stand.

»Es geht los!« sagte er, als er vor den Stufen das Pferd anhielt und langsam aus dem Sattel stieg. »Zwei von den jungen Stieren sind eben krepiert.« Er klopfte sich den Staub von den Chaps und erklärte dann mit bitterem Gesicht: »Von den Jungstieren steht kein einziger mehr auf den Beinen. Sie liegen am ausgetrockneten Wassergraben und sind nicht wegzukriegen. Die Herde grast nun auch nicht mehr. Es ist zu trocken.«

Clayr schwieg und starrte in den Sand. Erst nach einer Weile hob er den Kopf und fragte: »Hat es bei Cole auch schon angefangen?«

»Yes, dem krepierten schon gestern mittag die ersten Jungstiere. Aber Cole wird gleich hier sein; du kannst ihn dann selbst fragen.«

May stand mit erschrockenem Gesicht neben ihrem Vater. Sie war sich im klaren, daß dies nun das Ende sein mußte und es keine Rettung mehr geben würde.

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Der Hufschlag von John Coles Pferd riß nach kurzer Zeit alle drei aus ihren brütenden Gedanken.

John kam scharf in den Hof hereingeritten und sprang flink aus dem Sattel.

Er zog seinen Hut vor May, gab ihr die Hand und wandte sich dann Clayr zu. Er gab auch ihm die Hand, »Nun ist es soweit, Clayr. Wir dürften fertig sein. Mir verrecken die Jungstiere reihenweise. Heute morgen war ich bei Jenkins. Der Distrikt-Marshal ist immer noch nicht da! Ich bezweifle, daß Jenkins ihn überhaupt benachrichtigt hat. Es muß etwas faul sein an der Sache. Das geht mir nicht aus dem Schädel.«

Er hielt inne und zerrte einen stark zerknitterten Brief aus der Tasche. »Hier! Schau dir das an, Clayr! Es ist ein Brief. Ich schrieb ihn heute morgen an den Distrikt-Marshal und jagte einen Boy damit los. Meine Männer fanden den Jungen drüben am West Point. Mit einer Kugel im Rücken. – Dieser Brief, schau ihn dir an, ist geöffnet worden. Und wie zum Hohn steckte er am Zaumzeug des Pferdes.«

Clayr schaute John Cole ungläubig in die Augen. »Weißt du, was das für uns bedeutet, Clayr?« schrie Cole

plötzlich auf. »Brothers hat uns im Griff. Wir kommen nicht mehr aus dem Valley! Seine Leute überwachen uns mit Argusaugen. Als ich heute morgen zur Stadt ritt, da kam es mir so vor, als sei jemand hinter mir her. Jetzt weiß ich, daß es Brothers' Leute waren, die mich beobachteten und hinter mir herritten. Ich sah auch in der Stadt Männer von ihm. Aber ich maß dem keine Bedeutung bei. Jetzt, Clayr, jetzt weiß ich, daß diese Halunken nicht zufällig dort waren, wie ich zuerst annahm.«

Er schwieg und blickte mit wilden Augen um sich. An Clayrs Augen blieb sein lodernder Blick hängen.

»Wir müssen etwas tun, Clayr! Wir müssen irgend etwas tun! Das Vieh verreckt uns. Und daß Jenkins den Distrikt-Marshal benachrichtigt hat, daran glaube ich nicht mehr. Jim

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Brothers muß es auf irgendeine Art verhindert haben. Ein Zeichen, daß der Distrikt-Marshal keine Nachricht erhalten hat, ist der Tod meines Cowboys. Sie hätten ihn nicht hinterrücks vom Pferd geknallt, wenn sie sicher wären, daß der Distrikt-Marshal informiert ist. Dann wäre es für sie sinnlos gewesen, Clayr.«

Clayr nickte und starrte finster vor sich hin. Ohne aufzublicken, sagte er:

»Recht hast du, Cole. Wir müssen etwas unternehmen! Aber was? Schicken wir einen Boten zum Distrikt-Marshal, wissen wir nicht, ob er ankommt. Es war ein Fehler von Brothers, den Mann so liegenzulassen. Jetzt wissen wir, woran wir sind, Cole, und...«

»Ein Fehler! Aaah, der ist zu gerissen, als daß er einen Fehler begeht. No!« Er schüttelte heftig den Kopf. »Das war kein Fehler, Clayr. Damit zeigte er uns, wie sicher wir in der Falle sitzen.«

»Wir müßten Jenkins noch einmal ins Gewissen reden«, meinte Clayr.

Mit aller Heftigkeit, der John Cole fähig war, redete er auf Clayr ein. May unterstützte ihn dabei. Und als nach einer Stunde Jerry Jeffer angeritten kam, waren sie sich immer noch nicht einig. Auch Jerry Jeffer war dafür, daß sie an Jim Brothers Wassergeld zahlen sollten. Ein- oder zweimal, um die Tiere vor dem Verdursten zu bewahren.

Erst als ein Reiter von der Weide kam und den Männern die Nachricht brachte, daß weitere Jungstiere draufgegangen waren, gab Clayr nach. Kitt Sheram erklärte sich sofort bereit, das Geld zu Brothers zu bringen.

* * *

Am späten Nachmittag ritt Kitt Sheram los. Er hielt auf Brothers' Ranch zu und ließ sein Pferd schnell

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laufen. Es dauerte auch nicht lange, da ritt er durch das weite Tor der Brothers-Ranch.

Etwa fünfzehn Männer standen auf dem Hof. Jim Brothers befand sich mitten unter ihnen. Kitt Sheram

erkannte ihn sofort. Jim Brothers trug den rechten Arm noch in der Schlinge.

Den linken stemmte er fest in die Hüfte ein, und mit gespanntem Gesicht schaute er zu Kitt Sheram auf. Er musterte ihn mit flinken Augen und brüllte dann, auch für seine Leute unvermittelt:

»Ich nehme an, daß du mit mir sprechen willst, Sheram! Steige gefälligst aus dem Sattel!«

Doch Clayrs Vormann überhörte das, blieb auf seinem Pferd sitzen und kramte das Geld aus der Tasche. Dann drückte er sein Pferd etwas herum, da Jim Brothers genau vor dessen Kopf stand, und reichte ihm das Geld hinunter. Mit ruhiger Stimme sagte er dazu:

»Es ist das Wassergeld für Clayr, Cole und Jeffer. Genau hundertfünfzig Dollar. Zähl es nach und gib mir eine Quittung.«

Die Augen Jim Brothers' wurden stechend. Er schlug mit der Linken die ausgestreckte Hand Kitt Sherams zur Seite und heulte auf: »Ich sagte, du sollst vom Pferd steigen!«

Die Männer hinter Brothers' Rücken hörten auf mit ihrem Gelächter, in das sie ausgebrochen waren, als sie hörten, daß der Vormann der Clayr-Ranch Jim Brothers Wassergeld bringen wollte. Sie schoben sich näher an Jim Brothers heran und schauten mit ernsten und zum Teil auch drohenden Blicken zu Clayrs Vormann auf.

Einer von ihnen schob sich besonders weit vor. Er hatte seine Hände tief in den Taschen, als er Kitt ansah. »Du steigst zu groß ein, Sheram! Wir können es rauh mit dir machen. Jim braucht nur ein Wort...«

Doch Jim Brothers war das Gewäsch dieses Mannes

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unerwünscht. Er schnellte fauchend herum. »Du bist zu vorlaut! Ich habe um deinen Kommentar nicht

gebeten!« Der so Angesprochene trat wortlos zurück und stellte sich

wieder zwischen seine Partner. Jim Brothers hatte sich Kitt Sheram zugewandt und sagte

mit klirrender Stimme. »Höre verdammt gut zu! Entweder du springst sofort ab, oder ich lasse dich herunterholen!«

Da erst gab Kitt Sheram nach. Wortlos stieg er vom Pferd. Er wußte, wieviel von diesem Ritt abhing, und er wollte es nicht auf die Spitze treiben. Sollte Jim Brothers das Wassergeld nicht annehmen, so gab es für die Kleinrancher keine Rettung mehr.

Kitt stieg also vom Pferd und hielt Jim Brothers das Geld noch einmal hin.

»Nimm es! Es sind hundertfünfzig Dollar.« Doch Jim Brothers schüttelte mit spöttischen Augen den

Kopf. Er lachte laut und hart auf. – Auch die Männer hinter seinem

Rücken brachen in schallendes Gelächter aus. Doch als Jim Brothers' Lachen plötzlich abbrach, saß in

dessen Augen ein gefährliches Leuchten, und da wußte Kitt Sheram, daß er hier auf der Ranch Verdruß bekommen würde. Er hörte an der Stimme Jim Brothers', daß es einen Zusammenstoß geben mußte.

»So etwas wagst du mir zu sagen, Sheram?« fragte Brothers. »Es ist schon eine Beleidigung, daß du mir unter die Augen zu kommen wagst, Sheram!« Er warf sich herum und schrie zu seinen Männern: »Zeigt es ihm! Zeigt ihm, wie es jedem ergehen wird, der von diesen Kerlen wagt, meine Ranch, mein Land zu betreten.«

Die Männer stürzten sich wild auf ihn. Da ließ sich Kitt Sheram hinreißen und langte zur Waffe. Er spürte plötzlich einen Schlag gegen die Stirn, dann wurde

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es dunkel vor seinen Augen. Doch der Schuß, der ihn traf, der sein Leben beendete, der kam nicht von diesem Rudel, sondern vom Ranchhaus her.

Dort stand Mac Corris mit breiten Beinen. Er beobachtete den Vorgang mit wachsamen Augen. Und als sich die Männer auf Kitt Sheram stürzen wollten, der zum Eisen langte, da schnellte die Faust Mac Corris' nach unten. Er zog und schoß.

Kitt Sheram blieb nicht der Schatten einer Chance. Jim Brothers und das Rudel standen da wie erstarrt und

rissen die Augen weit auf. Sie erkannten Mac Corris, und dann ging die Tür hinter seinem Rücken auf. Dave Prucells und Jesse Thistwaite schoben sich heraus. Auch sie hatten die Hände um die Kolben geschlungen. Sie traten bis zu Mac Corris vor.

Dave Prucells stieß pfeifend die Luft durch die Zähne. »Ich glaubte schon, ihr seid aneinandergeraten, Jim Brothers! Wer ist dieser Narr gewesen? Hat er etwas mit McKinley zu tun, Jim Brothers?«

»No, Dave«, antwortete der Rancher. »No, es ist die andere Sache, die euch eigentlich nichts angeht. Doch ich überlege es mir gerade. Auch da könnt ihr mitspielen, Dave. Wegen dieser Geschichte geriet ich ja mit McKinley zusammen.«

Prucells wandte sich Jim Brothers zu und sagte: »Mach uns ein anständiges Angebot, Brothers. Wenn du willst, daß wir uns für dich und deine Mannschaft schießen, so mußt du großzügig sein. Wir wollten nicht länger als zwei, drei Tage in diesem langweiligen Nest bleiben. Kalkuliere das mit ein, Brothers.«

»Wir werden ins reine kommen, Dave. Es wird euer Schaden nicht sein, wenn ihr ein paar Tage länger bleibt, als ihr euch vorgenommen habt. Waco ist ein langweiliges Nest. Das wird anders werden.«

Jim Brothers drehte sich zu seinen Leuten um und wies auf Sheram.

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»Packt ihn auf seinen Schinder und jagt ihn zur Clayr-Ranch hinüber. Ich schätze, die werden dort vor Staunen, ha, und auch vor Wut, vor rauchender Wut, aus den Stiefeln fahren. Einer soll das Geld aufheben und ihm in die Hand drücken. Als wenn ich, Jim Brothers, die schmierigen und ausgetrockneten Dollars dieser Kuhschinder brauche! Alle aus diesem Valley sollten mit ihren Pferden und Kühen krepieren! Jetzt, da sie mit hängenden Zungen am Boden liegen, kommen sie gekrochen. Ich brauche und will ihr Geld nicht. Wenn Cantor und Hendricks kommen, jagt sie zum Henker. Auch sie sollen zugrunde gehen mit ihren Herden! Los!« fauchte er die Männer an. »Worauf wartet ihr noch! Bindet ihn auf sein Pferd, und dann hinüber zur Clayr-Ranch mit ihm! – Sie werden dort auf ihn warten!«

Da kam Dave Prucells mit seinen Partnern heran. Er legte Jim Brothers die Hand auf die Schulter.

»Laß uns das erledigen, Brothers. Erstens sieht es so besser aus, da keine Seele weiß, daß wir in deinem Sattel sitzen – und zweitens wollen wir uns die Lady einmal aus der Nähe betrachten. Sie hat so hübsche Augen.«

Alle drei sahen grinsend in Jim Brothers' Gesicht und erwarteten seine Antwort.

Brothers überlegte einen Moment. Doch dann gab er seine Zustimmung.

Sie wandten sich ab und holten ihre Pferde aus dem Stall. Nach einer Weile ritten sie vom Hof der Brothers-Ranch. Hinter Jesse Thistwaites Pferd zuckelte an der langen Leine das Pferd des Vormannes der Clayr-Ranch mit seiner traurigen Last auf dem Rücken.

* * *

Ein rauhes Rudel zog über die Weide. Sie ritten schweigend.

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Erst als sie an den Posten Jim Brothers vorbei waren und ihre Pferde das Land der Clayr-Ranch unter den Hufen hatten, reckte sich Jesse Thistwaite im Sattel und blickte kurz zu seinen Partnern hinüber.

»Der Satan weiß«, meinte er, »ob es richtig war, nun auch noch die andere Sache von Jim Brothers zu übernehmen. Was er hier mit den Kuhleuten in diesem Valley vorhat, sollte uns einen alten Hut angehen. Daß die Sache mit McKinley dazwischenkam, hält uns schon lange genug auf. Und wenn ich...«

»Laß das Gerede!« fuhr ihm Dave Prucells dazwischen. »Wir verlieren wegen McKinley ohnehin Zeit. Das läßt sich nicht mehr ändern. Wir reiten nicht eher aus dieser Stadt, bis er lang daliegt. Und warum sollten wir die Gelegenheit nicht ergreifen, nebenbei noch harte Dollars zu machen?«

Dave Prucells grinste verschlagen und sah von einem zum anderen. Corris legte sein Gesicht gleichfalls in Falten und grinste zurück. Nach einer Weile tat es auch Jesse Thistwaite, und damit war es zwischen ihnen wieder klar.

Als die Sonne am Horizont untertauchte, erreichten sie die Clayr-Ranch.

Die Männer auf dem Hof bemerkten die drei Reiter erst, als sie bereits durch das Tor ritten.

Harry Clayr stand am Haupthaus. Neben ihm standen May und die beiden Rancher Cole und Jeffer. Drüben vor dem Bunkhouse saßen vier Cowboys beim Kartenspiel.

Sie alle fuhren auf, als sie die Reiter erkannten. Ihre Hände schnellten zu den Waffen hinunter, denn sie

sahen auch das vierte Pferd, auf dessen Rücken Kitt Sheram leblos lag.

In die Gesichter der drei Rancher zog flammender Haß. Sie wurden aschgrau. Heiser rief Clayr seiner Tochter zu:

»Geh ins Haus, May!« May zögerte – doch dann folgte sie und ging mit Entsetzen

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die Stufen hinauf. Sie hatte die drei Männer sofort erkannt. Sie wußte, daß es rauhe und brutale Burschen waren. Sie dachte schnell an Daniel. Doch der leblose Körper des Vormannes wischte diesen Gedanken sogleich wieder fort. Als sie die Tür hinter sich schloß, sah sie, daß die Reiter angehalten hatten. Zitternd lehnte sie sich an die Wand des Flures. Und dann dachte sie wieder an Daniel.

Und sie wünschte ihn herbei, wünschte, daß er ihr, ihrem Vater beistehen möge. Dann hörte sie die harte Stimme ihres Vaters draußen auf dem Hof und schloß die Augen.

»Brothers hat ihn ermordet!« schrie Clayr in ohnmächtigem Zorn. Seine großen Hände ballten sich zu harten Fäusten, und sein Blick, mit dem er die drei Reiter überflog, war voller Haß.

Doch Dave Prucells kümmerte sich nicht darum. Er lachte. »No, Mister! Ich glaube nicht, daß es Jim Brothers war. Wir fanden ihn draußen auf der Weide. Sicher ist er vom Pferd gefallen und hat sich das Genick gebrochen. – Scheint ein schlechter Reiter gewesen zu sein.«

Clayr ging mit steifen Beinen auf Prucells zu und schrie zu ihm hinauf: »Du bist Dave Prucells, nicht wahr? Diese beiden sind deine Partner. Ihr seid fremd hier in dieser Gegend. Woher wißt ihr, daß er auf diese Ranch gehört?«

»Sicher hat uns das eine innere Stimme geblasen, Mister! Nehmen Sie an, wir sind helle Köpfe und errieten es.«

Dave Prucells hätte Clayr auf jeden Fall eine andere Antwort geben können. Er hätte zum Beispiel sagen können, daß sie hier auf dieser Ranch nur fragen wollten, ob sie den Toten kannten.

Dave Prucells wollte es nicht. Die aufreizende Haltung der Männer auf dieser Ranch ließ

seine Finger kribbeln. Mit seinen beiden Partnern hatte er nun auch die andere Sache übernommen, und die wollte er kurz und schnell beenden. Darum nahm er sich vor, sogleich mit ihr zu beginnen.

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Als sie zuvor in den weiten Hof einritten, hatte er das Mädchen weglaufen sehen. Er sah, wie sie die Stufen hinaufhastete und im Haus verschwand. Um Dave Prucells Mundwinkel zuckte es. Er warf einen suchenden Blick zu den Fenstern des langen Hauses hin. Doch er konnte May nirgendwo entdecken. Während sich sein Blick den Bau entlangtastete, tauchte Slim Stone auf.

Slim Stone kam hinter dem Haupthaus hervor und lief genau in die Blickrichtung Dave Prucells' hinein.

Dave und seine Partner erkannten in diesem Mann, der da langsam um das Gebäude trat, sofort den Frachtwagenfahrer wieder.

Harry Clayr, dem eine Antwort schon auf der Zunge lag, hielt inne und folgte der Blickrichtung dieser drei Revolvermänner, und da sah auch er seinen Cowboy Slim Stone.

Ein heißer Schreck jagte ihm durch den Körper. Denn May hatte ihm noch am gleichen Tag von jenem Vorfall vor dem Store berichtet. Er dachte sofort an McKinley, der, wie schon so oft, auch an diesem Tage dazwischengesprungen war und Schlimmes verhindert hatte. Aber nun sah es so aus, als verschaffte McKinley seinem Cowboy Slim Stone nur eine Galgenfrist. Harry Clayr blickte wieder zu den Revolvermännern und erkannte in ihren Augen den Mord, das Verbrechen, den Willen zum Verdruß.

Alle Augen richteten sich auf Slim Stone. Sie erwarteten, daß er am Haus stehenblieb. Doch er schien

nicht daran zu denken. Seine Schritte waren ruhig und fest. Dicht neben seinem Rancher blieb er stehen. Und da erst erblickte er Kitt Sherams leblosen Körper im Sattel.

Er sah zu Dave Prucells hinüber. Er tat es lange und grimmig. Dann sagte er langsam – fast schleppend: »Sicher hat ihn einer von euch umgebracht. Wer war es?«

»Cowboy, mit diesen Worten willst du mich doch nicht etwa

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herausfordern? Du überschätzt deine Fähigkeiten! Der große McKinley verhinderte in der Stadt dein schnelles Ende!« lachte Dave Prucells. Zu Harry Clayr gewandt, fuhr er fort:

»Ich könnte die Worte des Cowboys, deines verdammt großspurigen Cowboys, übel auffassen, Rancher. Jag ihn weg! Jag ihn weg, oder er überlebt es dieses Mal bestimmt nicht.«

Im Hof standen sie starr. Clayr drehte sich langsam zu Slim herum. Er wollte ihm

befehlen, sich ins Bunkhouse hinüber zu verziehen. Er wollte ihm das sagen, weil er Slim schonen wollte.

Doch sein Cowboy kam ihm zuvor. Er sagte mit knallharter Stimme: »Ich konnte Kitt Sheram gut leiden, Rancher. Ich bleibe also! Und wenn du mich dennoch wegschickst, so sitze ich in diesem Moment nicht mehr in deinem Sattel.«

Und so mußte Clayr diese Worte schlucken. Es fiel ihm leichter, als er aus den Augenwinkeln heraus sah, daß sich die vier wachfreien Cowboys vor dem Bunkhouse erhoben hatten und langsam über den Hof kamen.

Auch die drei Revolvermänner sahen die vier herankommen. Und da gab Dave Prucells das Zeichen.

Er nickte nur leicht und kaum merklich. Seine Partner verstanden es. Sie verstanden es richtig, denn plötzlich langten sie alle drei blitzschnell zu den Hüften hinunter.

Doch auf der Clayr-Ranch waren sie an diesem Tag auf der Hut.

Als die Hände der Revolvermänner zu den Waffen sausten, da zuckten auch ihre Fäuste zu den Kolben hinunter. Freilich war keiner unter ihnen, der so glatt und so schnell ein Eisen herausbekam wie Mac Corris zum Beispiel. Doch ihre Chance lag darin, daß sie den Longtrailreitern in zwei Gruppen gegenüberstanden. Einmal Clayr, Cole, Jeffer und Slim, und dann die vier Cowboys, die halbrechts vom Bunkhouse herankamen.

Die Revolvermänner eröffneten den Reigen.

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Slim Stone traf es als ersten. Er war auch an diesem Tag nicht schneller als vor Tagen auf

dem Wagen. Es traf ihn, ehe er das Eisen aus der Halfter hatte. Clayr riß beide Colts mit einem Fluch aus den Halftern. Er

sah, wie Slim zusammenbrach und wie es auch Jeffer an seiner Seite herumwarf. Im gleichen Augenblick traf auch ihn ein harter Schlag. Er spürte noch, wie ihm die Colts aus den Händen fielen und er nach vorn kippte. Dann umgab ihn schwarze Nacht.

Well, so waren es gleich drei Mann auf der Clayr-Ranch, die über den Anfang dieses Kampfes nicht hinauskamen. Cole erkannte, daß er plötzlich alleinstand, und der Grimm, der ihn deshalb erfaßte, ließ ihn zum Heißsporn werden. Er stand aufrecht, die Augen zusammengekniffen, und jagte Schuß auf Schuß zu den Coltmännern hin, die ihre Pferde zurückrissen und zu den vier Cowboys Front machten.

Cole fluchte, weil seine Kugeln das Ziel verfehlten. Doch trotz rauchender Wut schrak er zusammen, als Thistwaites Pferd direkt in seinen Kugelregen hineinlief.

Thistwaite flog in hohem Bogen aus dem Sattel. Die Kugeln der Cowboys schlugen neben ihm in den Sand und zauberten kleine Rauchfontänen in die flimmernde Luft.

Alle schossen auf Thistwaite, aber sie erwischten ihn nicht. Dann hetzte Prucells sein Pferd herum – alles geschah in Sekunden – und jagte den Cowboys das Blei vor die Stiefel. Das verschaffte Thistwaite die große Chance. Er nutzte sie und flog mit einem Panthersprung hinter Prucells auf den Rücken des dahinstürmenden Pferdes. So fegten die drei auf zwei Pferden aus dem Hof. Als sie hinter dem Zaun ritten, waren sie von den Coltkugeln der Ranchleute schon nicht mehr zu erreichen. Und bevor diese in das Bunkhouse gelaufen waren und mit den Winchestern zurückkehrten, hatten sie sich eine ganze Meile von der Ranch entfernt.

Dave Prucells hielt draußen auf der Weide das Pferd an und

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murmelte Thistwaite hinter seinem Rücken zu: »Bruder! Das war eine Sache nach meinem Geschmack.«

Er blickte zu Mac Corris hinüber. Corris saß mit gesenktem Kopf im Sattel und stützte sich mit der Linken auf das Sattelhorn.

»He, Mac!« riefen Dave und Jesse fast zugleich. »Was ist los, Boy?«

Doch Mac schüttelte den Kopf und winkte ab. »Es ist nicht schlimm, Jungens. Eine Kugel riß mir die

Hüfte auf. Aber es geht vorüber. Es geht vorüber!« Er lächelte und fiel aus dem Sattel.

Dave und Jesse sprangen vom Pferd. »Zum Henker!« fauchte Dave Prucells wütend. »Das fehlt

uns noch! Wir können auf ihn nicht verzichten. Er besitzt die schnellste Hand von uns.«

Jesse Thistwaite nickte zustimmend und drehte Mac Corris herum. Er riß ihm die Jacke auf, zog das Hemd hoch und erkannte, daß es mehr als ein Streifschuß war.

Er hob den Kopf und sagte zu Dave Prucells, der fragend mit schmalen Augen auf ihn niedersah: »Er wird in wenigen Tagen wieder in seinen Stiefeln stehen, Dave! Aber er braucht sofort einen Doc. Wie stellen wir es an?«

»Bringen wir ihn in die Stadt«, entgegnete Dave ungerührt Doch Jesse Thistwaite schüttelte energisch den Kopf und

erwiderte dazu: »No, das können wir nicht wagen, Dave. Auch von der Clayr-Ranch wird sich einer aufs Pferd schwingen und in die Stadt reiten. Dort können wir uns nicht blicken lassen. Durch Mac wären wir sehr behindert, und sollte es noch einmal rauh werden heute, so kann es für uns übel enden.«

»All right!« sagte Prucells. »Reite mit ihm zur Brothers-Ranch. Ich reite in die Stadt und bringe den Doc hinaus.«

Sie hoben Mac Corris in den Sattel. Jesse Thistwaite klemmte sich hinter ihm auf den Rücken des Pferdes und legte sich die Zügel zurecht. Langsam ritt er an.

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Dave Prucells schaute ihnen nach. Dann jagte er zur Stadt. Es wurde bereits dunkel, als er Waco erreichte. Da er nicht

wußte, wo der Doc sein Haus hatte, wollte er es noch vor Anbruch der Nacht schaffen.

Doch er schaffte es nicht ganz. Als er die Mainstreet entlangritt und mit scharfen Augen

nach dem Türschild Doc Sandforths spähte, da war es schon dunkel. So kam es, daß er am Haus des Docs vorbeiritt. Erst unter der Lampe des Brazos-Inn zerrte er an den Zügeln seines Pferdes und stieg aus dem Sattel. Er hielt einen Mann an und fragte ihn nach dem Haus des Doc.

Der Gent stutzte einen Lidschlag lang, fuhr sich dann erschrocken mit der Hand über das Gesicht und rief: »Aah, Prucells! Das Haus vom Doc liegt da hinten, am Ende der Stadt.« Er zeigte dabei mit der Hand in jene Richtung, aus der Dave Prucells eben geritten kam. Er schaute ihm noch einmal mit einem argwöhnischen Blick ins Gesicht, das unter dem Schein der matten Laterne merkwürdig grau und brutal erschien, und ging dann rasch weiter.

Dave Prucells war zusammengefahren, als ihn der Fremde so lauernd anschaute. Ein furchtbarer Verdacht tauchte in seinem Schädel auf. – Zum Teufel! dachte er und drehte sich mit eingezogenen Schultern zu seinem Pferd herum. Sollte jemand von der Clayr-Ranch bereits vor ihm die Stadt erreicht haben? Mit schmalen Augen warf er forschende Blicke über die Straße. Und dann trat er hinter seinem Pferd in Deckung.

Auf der anderen Straßenseite sah er Sheriff Jenkins mit einem der Cowboys, die es auf der Ranch überlebt hatten. Als sie vorüber waren und er endlich in den Sattel wollte, zuckte er noch einmal zusammen. Auf wild galoppierendem Pferd jagte der Hilfssheriff aus der Stadt.

Dave ritt weiter. Dieses Mal verfehlte er das Haus des Arztes nicht.

Er verhielt den Gaul und sprang rasch aus dem Sattel. Mit

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schnellen Schritten lief er auf die Tür des Hauses zu. Dann warf er einen lauernden Blick über die Sidewalks, und im nächsten Moment stand er schon im Flur des Hauses. Er hielt beide Colts in den Fäusten.

»He, Doc!« rief er verhalten und lauschte angestrengt. Im Haus war alles dunkel. Ringsum war es still. Dann gab er sich einen Ruck und rief noch einmal in das

Dunkel des Hauses: »Hallo, Doc!« Er hatte etwas lauter gerufen und vernahm jetzt über sich

knarrende Tritte. Quietschend schob sich oben eine Tür auf, und im Schein eines Kerzenlichtes sah er den Doc an das Treppengeländer treten.

Flink stieß Dave Prucells die Eisen zurück. Er wollte Sandforth nicht scheu machen. Auf dessen Frage, was es gäbe, antwortete er scheinheilig: »Rancher Clayr schickt mich, Doc. Auf der Ranch hat es eine Schießerei gegeben. Sie sollen sofort kommen.«

Einen Moment war es ruhig über ihm. Nur der Schatten des Doc zitterte im flackernden Schein des Kerzenlichtes hin und her. Dann kam es von oben herab: »Ich komme. Wer sind Sie? Warum schickt Clayr nicht einen von seinen Leuten?«

Dave Prucells zuckte unwillkürlich zusammen. Er biß sich auf die Lippen. Der alte Gauner kannte sie also alle aus dieser Ecke. Doch dann kam ihm der rettende Gedanke, und er erwiderte kurz entschlossen: »Ich reite für ihn, Doc! Noch nicht lange. Seit drei Tagen!«

Der Doc verschwand wieder im Zimmer und mit ihm der Schein des Kerzenlichtes.

Im Haus war es wieder dunkel. Dave Prucells wartete mitten im Flur. Er hielt die Hände an

den Eisen. Schon nach wenigen Sekunden wurde ihm die Zeit zur Ewigkeit. Er wußte den Sheriff mit dem Cowboy der Clayr-Ranch auf der Straße. Wie leicht konnte es sein, daß sie später den gleichen Weg einschlugen. Viele Gedanken zogen

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ihm in diesen Augenblicken, die der Doc benötigte, um seinen Rock überzuwerfen und seinen Koffer zu packen, durch den Kopf.

Schritte vor dem Haus rissen ihn aus diesen Gedanken. Im gleichen Moment knarrte über ihm wieder die Tür.

Matter Lichtschein fiel von oben auf ihn herab. Er wurde heller. Doc Sandforth kam angezogen, mit dem Koffer und dem Licht in den Händen, die Stufen herab. Und als er halb auf der Treppe stand, als der Schein seiner Kerze die Gestalt Dave Prucells' grell anleuchtete, ging die Tür zur Straße ihn auf, und der Sheriff trat ein.

Jenkins riß es beinahe aus den Stiefeln, so schrak er zusammen, als er Dave Prucells erkannte. Blitzschnell griff er zum Revolver!

Doch Dave Prucells war schneller! Dave Prucells, der Coltmann, war schneller als Jenkins, der

ewige Zauderer. Er zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Nur den Bruchteil davon, und es kostete ihn trotzdem das Leben.

Die Schüsse Dave Prucells' fegten peitschend durch den Flur, und Jenkins, der mit seiner Gestalt die Türöffnung ausfüllte, bot ein gutes Ziel. Ehe der Oldtimer es richtig begriffen hatte, war es schon vorbei.

Der Clayr-Cowboy hinter seinem Rücken schaffte es genausowenig. Auch er erfaßte die Zusammenhänge zu spät.

»Los, schnell, Doc!« brüllte Prucells. »Zu Ihrem Pferd! Wir werden es schnell satteln. Wir müssen weg, bevor Neugierige auftauchen.«

Doc Sandforth hatte die Zusammenhänge nicht begriffen. Es würgte ihn im Hals.

»Los, worauf warten Sie noch? Ich tue Ihnen nichts, Doc! Ich krümme Ihnen nicht eines Ihrer Haare. Aber gescheit müssen Sie sein. Los, zu Ihrem Pferd, Mister!«

Gerade als der Doc die Stalltür öffnen wollte, sprang diese

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von selbst auf, und Jan, der Boy des Doc, schob zitternd seinen Kopf hindurch.

Doch ehe Sandforth seinem Boy ein warnendes Wort zuraunen konnte, wurde er von Dave Prucells rauh zur Seite gerissen und niedergeschlagen.

Jan rutschte im Türrahmen zusammen. »Weiter!« schnauzte Dave Prucells kalt. »Der wacht wieder

auf! Er hat einen Schädel aus Eisen. Ich habe es deutlich gespürt.«

Schnell waren sie im Stall. Zu zweit zäumten und sattelten sie einen hochbeinigen Wallach. Dave schob den Doc hinauf und ergriff danach die Zügel des Tieres. Während der Doc seinen Koffer noch hinter dem Sattel festschnallte, führte Dave das Pferd aus dem Stall. Sie überquerten den Hof, und kurz vor dem Tor warf Dave Prucells dem Doc die Zügel zu.

»Sie sind schon auf der Straße!« raunte er dem Arzt zu. »Reiten Sie los, Doc! Reiten Sie, als ginge es um Ihr Leben. Reiten Sie ins Valley hinaus. Ich werde Sie bald einholen. Ihr Leben ist einen Dreck wert, wenn Sie versuchen, sich der Sache zu entziehen! Los, vorwärts!«

Mit der Faust schlug Dave dem Wallach auf die Rippen, so daß sich der Gaul aufbäumte und dann wie der Blitz aus dem Hof schoß.

Obwohl seit dem Augenblick, da der erste Schuß aus Prucells' Eisen gefallen war, nur Minuten verstrichen waren, wimmelte es auf dem Gehsteig von schwarzen Schatten. Noch standen sie abseits und schauten nur argwöhnisch zum Haus des Doc hin.

Rufe wurden laut, und die heisere Stimme eines Mannes machte auf die vor der Tür liegenden Gestalten aufmerksam und auf das einsame Pferd, das dicht am Sidewalk vor dem Haus stand.

Das war Dave Prucells' Pferd. Und dieses Tier war gut trainiert. Denn als Dave Prucells

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einen langgezogenen Pfiff ausstieß, riß es den Kopf hoch und trabte zu seinem Reiter hin.

Dave sauste zum Sidewalk hinüber. Mit einem Satz sprang er in den Sattel seines heranjagenden Pferdes. Und dann hetzte er los.

Dave Prucells ritt auf seinem Pferd durch die schwarze Nacht. Nicht ein Stern stand am Himmel.

Dann tauchte plötzlich der Schatten des Doc vor ihm auf. Der Arzt hatte seinen Wallach angehalten und wartete auf ihn. Der Renner Dave Prucells' war so in Fahrt, daß Dave das Tier erst einige Pferdelängen hinter Sandforth zügeln konnte. Dann ritten sie zusammen weiter. Über das Gesicht des Arztes zog ein düsterer Schatten, als er erkennen mußte, daß der Stranger an dem Weg, der zur Clayr-Ranch hinausführte, vorbeiritt. Mit sorgenvollen Gedanken ritt er hinter dem Schatten dieses geheimnisvollen Mannes her. Und er verfluchte in dieser Nacht seine Gewohnheit, nie eine Waffe zu tragen.

* * *

Im Brazos-Inn ging es hoch her. Auch der letzte Tisch war besetzt.

Jan Mills hatte zuwenig Hände an diesem Vormittag. Seit dem frühen Morgen war er auf den Beinen. Er lief zwischen den Tischen hin und her und trug Whisky und kühles Bier. So kühl das Bier auch war, die Gemüter der Gäste wurden immer hitziger. Sie redeten über die Ereignisse der letzten Tage. Besonders beschäftigte sie die Schießerei am vergangenen Abend im Hause des Doc, der bis zur Stunde nicht wieder aufgetaucht war.

Doch das war noch nicht alles. Die Stadt brauchte einen neuen Sheriff. Der Gehilfe Gleen

Jenkins' war ein zu junger Dachs. Und es fand sich niemand unter den vielen Männern, der bereit gewesen wäre, den Stern

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anzustecken und für das Recht zu kämpfen. Denn dieser Mann hätte schneller sein müssen als Dave Prucells, Mac Corris, Jesse Thistwaite, Jim Brothers und alle, die für ihn ritten.

Verstohlen streifte mancher Blick zu McKinley hinüber, der teilnahmslos am Tresen lehnte und sein Bier trank. So manchem lag der Name dieses Mannes auf der Zunge. Doch keiner wagte, ihn anzusprechen.

Daniel trank sein Glas leer, schob es Jan Mills hinüber, der endlich einen Moment Zeit fand, in dem er verschnaufen und sich den Schweiß aus dem Gesicht wischen konnte. Als er Daniel das Glas füllte, hoben sie beide den Kopf und lauschten gespannt.

Auch die Männer verstummten, horchten zur Straße hinaus und sahen sich mit mißtrauischen Blicken in die Augen.

Es waren mindestens zehn Reiter, die vor dem Inn mit lautem Hallo von den Pferden stiegen.

Die Ahnung der Männer im Brazos-Inn bestätigte sich. Es war Jim Brothers! Sie hörten seine ölige Stimme, und dann stand er auch schon

in der Tür. Hinter ihm die grienenden Gesichter seiner Männer. Er hielt mit beiden Armen die Flügeltüren der Inn

auseinander und lächelte böse zu den Tischen hin. Langsam streifte sein Blick durch den Raum. An Daniels Gesicht blieb er kurz haften, streifte aber sogleich weiter, als sei McKinley für ihn ein Unbekannter.

»Nun?« spottete Brothers von der Tür her. »Was verschließt euch den Mund?«

Die Männer, die ihn anstarrten wie einen Geist, sahen weg. Das befriedigte ihn ungemein. Breitbeinig und mit

wiegenden Hüften ging er auf den Tresen zu. Seine neun Reiter folgten ihm. Brothers lümmelte sich etwa drei Yards rechts neben McKinley an den Schanktisch. Die Männer seiner Crew bauten sich neben ihm auf. Keiner stellte sich zwischen seinen Boß und McKinley.

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»Zehn Whiskys, Mills! Vom besten, den du im Laden hast!« rief Brothers.

Während Mills die Gläser füllte, warf Brothers einen schnellen Blick in den Raum und musterte McKinley wie zufällig. Er tat erstaunt und sagte mit gespielter Höflichkeit: »Ho, McKinley! Noch in der Stadt?«

»Warum nicht, Brothers? Jetzt, da es hier interessant wird!« gab ihm McKinley gelassen zurück.

Jim Brothers prostete seinen Leuten zu und kippte seinen Whisky hinunter. Als er das Glas absetzte, wandte er sich Daniel wieder zu und sagte: »Wie ich hörte, sind harte Männer hinter dir her.«

»Ich fürchte sie nicht«, gab Daniel zurück und lächelte. »Du solltest reiten.« »Ich habe noch nie eine Rechnung offengelassen, Brothers«,

gab Daniel zurück. Langsam fügte er hinzu: »Und soviel ich weiß, hältst du auch eine Rechnung bereit.«

Daniel zog langsam ein Geldstück aus der Hosentasche und warf es auf den Tresen. Dann griff er sich den Stetson aus dem Nacken und stülpte ihn über den Kopf, nickte grüßend zu Jan Mills hin und richtete sich auf. Er wollte hinaus. Doch nach dem ersten Schritt blieb er stehen und drehte sich zu Jim Brothers um, der ihm mit einem geringschätzigen Lächeln nachschaute.

»Höre gut zu, Brothers!« erklärte er kühl und fixierte den Rancher durchdringend. »Ich weiß, daß Prucells mit seinem Rudel in deinen Sattel gesprungen ist. Sie begannen für dich die Schießerei auf der Clayr-Ranch. Sie erschossen den Sheriff, und auch das Verschwinden des Doc hängt mit diesen Burschen zusammen. Ich kenne sie gut, diese Sattelpiraten. Und ich weiß, welche Wege sie reiten. An ihren schlimmen und üblen Tricks sind sie gut zu erkennen. Du machst es zu rauh hier im Land, Brothers! Ab heute gefällt mir das nicht. Du bist unfair und gewalttätig. Du hast dir ein rauhes Rudel an die

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Seite genommen, gegen das deine Gegner im Valley nur schwer ankönnen. Dein rauhes Rudel will mit mir kämpfen, Brothers. Sage ihnen, daß ich draußen im Valley auf sie warte, draußen auf der Clayr-Ranch. Jeder Schießer da draußen muß ab heute mit mir rechnen, Brothers!«

Als Daniel sich abwendete und zur Tür schritt, stand in seinem jungen und harten Gesicht ein entschlossener Zug.

Jim Brothers stieg der Grimm in den Schädel. Seine Fäuste zuckten und wollten zu den Eisen hinunter. Doch er beherrschte sich. Er wußte, wie schnell und hart dieser junge Bursche war, und er verspürte in diesem Moment wenig Lust, eine weitere Lektion erteilt zu bekommen. Er hatte genug Männer an der Seite. Aber die waren nicht hart genug. Und so schluckte er seinen Groll hinunter.

Die Männer an den Tischen hörten McKinleys Rede Wort für Wort. Als die Schwingtüren hinter Daniels Rücken zusammenfielen, blitzten die Gäste sich aus leuchtenden Augen an.

McKinley hatte die Zähne gezeigt! Endlich! Sie wußten es schon immer, McKinley war ihr Mann! Obgleich Jenkins sein Gesicht in tausend Falten gelegt hatte,

als McKinley vor Tagen in Waco eingeritten war, konnten die Leute jetzt froh sein, daß der Trail des Longreiters durch Waco geführt hatte. Wie sie es fast alle von Anfang an erhofften, war er nun in den Sattel der Kleinrancher gestiegen, hatte sich an ihre Seite gestellt. Die Rancher im Green Valley, diese so hart bedrängten Kleinrancher da draußen waren nicht die ersten, denen McKinley das Ungeziefer von den Weiden fegte.

Die Leute hatten auf diesen Tag gewartet. Sie ahnten, daß es nun anders werden mußte. Doch ob es McKinley da draußen im Valley gelingen würde, war ungewiß. Zu groß war die Mannschaft Jim Brothers', und einer Kugel aus dem Hinterhalt war auch der schnellste und härteste Mann im Far West unterlegen. Dagegen gab es kein Mittel – keinen Trick!

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Das wußten sie genau. Doch sie wußten auch, daß es für die Kleinrancher im Green

Valley die große Chance war, einen Mann wie McKinley zum Partner zu haben. Ihre Gesichter waren nicht mehr so ängstlich, als sie mit neugierigen Augen zum Tresen hinsahen, um zu erfahren, wie Jim Brothers die Worte McKinleys schluckte.

Daniel stieg draußen vor dem Brazos-Inn auf sein Pferd. Im Süden der Stadt Waco lag das Green Valley. Und dorthin lenkte Daniel seinen Rappen. Er dachte an May, an ihren Vater, der Prucells' Rudel zum

Opfer gefallen war, und er dachte daran, daß sie nun Jim Brothers und dessen rauhen Gesellen allein gegenüberstand – hilflos und schutzlos. Ein schwaches Girl gegen mitleidlose Gesellen. Eine ungleiche Partie, dachte er und ließ den Rappen schneller laufen. Er dachte auch daran, daß er sich nun die mitleidlosen Gesellen auf den Hals ziehen würde.

Doch diese Gedanken, sosehr sie ihn auch angingen, beschäftigten ihn nur kurz. Seine Gedanken waren bei May, und er fragte sich, wie sie den Tod ihres Vaters tragen würde. Er wußte, daß es für sie doppelt schwer sein mußte, da sie nun Jim Brothers allein gegenüberstand.

Darum ritt er schneller. Er ließ dem Rappen die Zügel frei. Schon nach einer knappen halben Stunde sah er die Ranch Harry Clayrs vor sich liegen. Er lenkte den Rappen auf das Tor zu, und kurz davor zügelte er ihn. Dann ritt er im Schritt in den Hof ein.

Auf der Clayr-Ranch hatten sie den Reiter schon von weitem herankommen sehen. Way Shane, der Hilfsheriff von Waco, und May standen vor den Stufen des Haupthauses. Das Gesicht May Clayrs verriet Furcht, als sie auf den Reiter blickte.

Doch dann blieb ihr fast das Herz stehen, als sie McKinley im Sattel des Rappen erkannte.

Anders Way Shane. Als Daniel mit einem Gruß aus dem

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Sattel glitt, schnaubte er mit dunkler Stimme und blitzenden Augen: »Du solltest einen anderen Weg wählen, Daniel McKinley! Verdruß gibt es in Green Valley genug!«

Daniel blickte ihn an und nickte. Er zog vor May den Hut und wandte sich dann erst dem Hilfssheriff zu.

»Es gibt Verdruß im Land!« entgegnete er ruhig. »Großen Verdruß, und ich glaube kaum, daß es irgend etwas gibt, das diesen Verdruß noch größer machen könnte. Steig auf dein Pferd, Mister! Dave Prucells' Rudel ist zu rauh für dich. Mach dir um das Green Valley keine Sorgen mehr. Ich habe mit Dave Prucells und dessen Partner etwas auszuhandeln. Da sie in Jim Brothers' Sattel sitzen, will ich es mit ihnen im Valley austragen. Also reite nach Waco, Stern! Dave Prucells ist zu schnell für dich!«

May sah ihn ungläubig und erstaunt an. Ihre Augen waren ganz groß dabei. Sie atmete schnell und heftig. Auch ihr Herz pochte laut und wild.

Way Shanes Augen leuchteten auf. Fast erleichtert sagte er: »Wenn es so ist, habe ich keinen

Grund, dir in den Weg zu treten. Nur werden sie in der Stadt vielleicht schiefe Gesichter ziehen, und ob der neue Sheriff damit einverstanden ist, daß du dich der Sache der Kleinrancher hier annimmst, weiß ich auch nicht.«

Daniel McKinley griente bloß. Way Shane stand eine Weile unentschlossen. »Ich sollte

besser hier im Valley bleiben. Wir wären dann zu zweit, McKinley.«

»Das ist nicht nötig, Stern! Reite nach Waco und sorge dort für Ordnung. Wenn es rauh wird, rufen sie dich doch zurück. Reite also und gib acht, daß sie dich nicht herausfordern. Du widerstehst ihnen so wenig, wie ihnen Jenkins widerstehen konnte.«

Nach einer Weile entschloß sich Way Shane zu reiten. Er tat es nicht gern. May sah es und McKinley auch. Doch der war

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ein Einzelgänger und hatte noch nie die Hilfe eines anderen für sich in Anspruch genommen.

No, Stern, dachte er, ich brauche dich nicht. Und er blickte May ins Gesicht.

Sie erwiderte den Blick und errötete. Während Way Shane auf sein Pferd stieg, standen sie sich

stumm gegenüber. In den Augen des Mädchens leuchtete es kurz auf. Doch als der Hilfssheriff sein Pferd antrieb und davonritt, senkte sie den Kopf.

»Sie hätten nicht kommen sollen, Daniel!« sagte sie leise. »Es ist doch alles umsonst. Gestern wurde mein Vater erschossen. Die Ranch ist verloren. Das Vieh verendet uns reihenweise. Die Männer sind verwundet oder tot. Sie wagten Ihr Leben zu oft für mich, Daniel. Noch einmal kann ich es nicht geschehen lassen. Ich werde die Ranch an Brothers verkaufen, wie es auch die anderen tun wollen.«

May schwieg. Daniel faßte ihr – wie schon einmal – unters Kinn und hob ihren Kopf an. Er sah die Tränen, die ihr übers Gesicht rannen, und biß sich auf die Lippen.

Dann sagte er ruhig: »Warten Sie noch ein paar Tage mit dem Verkauf, May. Noch heute nacht wird in den Gräben das Wasser stehen. Noch heute nacht.«

Sie schüttelte den Kopf und erwiderte mit tränenerstickter Stimme, während sie angstvoll zu ihm aufsah: »Ich weiß, daß Sie keine Furcht haben, Daniel. Aber ich bitte Sie trotzdem: Lassen Sie es bleiben. Sie riskieren Ihr Leben. Sie riskieren es für eine Sache, die schon verloren ist. Jim Brothers hat eine große Mannschaft. Was sind Sie allein gegen fünfzig mitleidlose Gesellen? Sie riskieren Ihr Leben für eine Sache, die nicht mehr zu gewinnen ist.«

»Ein Mann muß bereit sein, für seine Sache zu sterben, May. Und sicher war Ihr Vater ein Mann.«

Sie weinte leise und senkte den Kopf. »Für welche Sache wollen Sie sterben, Daniel?« fragte sie.

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»Ich weiß, daß Sie ein einsamer Mann sind. Sie verbringen Ihr Leben im Sattel. Sie ziehen durch das Land. Von Stadt zu Stadt. – Nein, Daniel, meine Sorgen sind nichts für Sie, für das es sich zu sterben lohnt.« Sie schaute ihn lange an.

Um Daniels Mund zog ein kühnes Lächeln. Er blickte ihr fest in die Augen, als er nahe an sie herantrat, und sagte: »Eine Frau, May! Wäre eine Frau etwa nichts? Wenn ich Ihnen sage, daß ich für Sie reite...«

»Daniel!« rief sie laut und legte ihm die Hand auf den Mund. »Nein, ich weiß, was Sie sagen wollen, Daniel. Nein, ich will nicht, daß Sie sich für mich opfern.«

Sie senkte den Blick und schwieg. Da beugte er sich zu ihr nieder und küßte sie sachte auf die

Stirn. Er faßte ihre Schultern mit beiden Händen und zog sie zu sich heran. Sie verwehrte es ihm nicht. Sie lehnte den Kopf an seine breite Brust und weinte vor sich hin. Er nahm ihr dann das Taschentuch aus den Fingern und trocknete ihr die Tränen aus dem Gesicht.

»Habe Mut, May!« sagte er voller Zärtlichkeit. »Noch ist es nicht zu spät.«

»Nein«, unterbrach sie ihn. »Ich will dich nicht verlieren, Daniel. Ich wußte von Anfang an, daß wir uns lieben würden. Ich wußte es vom ersten Tag an, als wir uns sahen. Seitdem habe ich Angst um dich, Dan. Doch das soll nun vorbei sein. Wir können überall glücklich werden, es muß nicht Green Valley sein. Ich ziehe mit dir, wohin du willst.«

»Ich liebe dich, May. Ich liebe dich sehr. Ich will dir jeden Wunsch von den Augen ablesen. Aber jetzt kann ich nicht mehr zurück. Ich stehe schon drin. Es würde mir nicht viel nützen, wenn ich mit dir aus dieser Gegend ritte. Dave Prucells ist darauf versessen, sich mit mir zu schießen. Wir hätten vor ihm und seinem Rudel nirgends Ruhe. Du weißt, wer ich bin. Ich trage einen bekannten Namen, ich trage ihn gegen meinen Willen. Und überall, wo ich zur Ruhe kommen will, gleich, wo

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es ist, müßte ich für diese Ruhe kämpfen. Noch nie ist einem Mann etwas in den Schoß gefallen, May. Wenn, dann war es nie von Dauer. Ich will, daß unser Glück von Dauer sein wird.«

Sie schwieg und dachte nach. Ich will ihn nicht verlieren, sagte sie sich. – Doch dann

eilten ihre Gedanken zu ihrem Vater, und sie erkannte, daß Daniel recht hatte. Er war ein Mann, und in diesem rauhen Land mußten Männer immer kämpfen. Ihre Mutter war im Kampf umgekommen, damals, als sie noch ein kleines Kind war und Indianerhorden die Ranches in diesem Valley überfielen.

Dann hatte sie sich durchgerungen. Sie seufzte tief und schaute zu ihm auf. »Es ist gut, Daniel McKinley. Tu, wie du es tun mußt. Ein

Mann denkt wohl oft anders als eine Frau – als eine liebende Frau. Ich will versuchen, dich zu verstehen. Jetzt und immer in unserem Leben will ich es versuchen, Daniel. Es fällt mir sehr schwer, dich kämpfen zu lassen, denn ich habe große Angst, dich zu verlieren. Verstehst du das, Daniel?«

Er nickte und küßte sie dann auf den Mund. »Reite also! Ich will hoffen, daß es gut ausgeht. Ich werde

hier auf dich warten.« Da küßte er sie noch einmal und machte sich dann frei von

ihr. Er ging zu seinem Pferd. Bevor er sich in den Sattel zog, schaute er sich noch einmal um und lächelte ihr zu. Er sah ihr besorgtes Gesicht, er sah die Angst darin, die sie um ihn hatte, und das gequälte Lächeln.

»Bevor der Morgen graut, werde ich zurücksein, May!« versprach er. »Sage deinen Boys, sie sollen das Vieh an die Gräben treiben.«

Sie nickte lebhaft und erwiderte: »Well, Daniel. Ich werde ihnen den Auftrag geben.«

Dann ritt er davon.

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* * *

In der Nacht glänzten die Sterne am Himmel. Der Brazos-River rauschte, denn er führte viel Wasser. Es war Frühling im Land, und tausend Meilen weit entfernt in den Bergen schmolz der Schnee.

Daniel fiel dem Rappen in die Zügel und blickte versonnen auf die schmutzigdunkle und rauschende Flut des Brazos. Dann stieg er aus dem Sattel, nahm das Tier beim Zügel und führte es in die Mitte hoher Büsche. Dort band er es fest. Er tätschelte dem Tier noch ein wenig die warmen Nüstern und ermahnte es mit sanften Worten zur Ruhe.

Er schob sich die Colts zurecht und ging los. Ihr Campfeuer sah er schon von weitem. Er lächelte, weil er wußte, daß die Brothers-Leute sorglos

waren. Nicht einer von ihnen würde auf den Gedanken kommen, daß die Kleinrancher noch einmal einen Angriff auf die Wehre wagten.

Daniel ging langsam auf das Feuer zu. Er verhielt sich sehr vorsichtig und vermied es, fest

aufzutreten. Angestrengt spähte er in die Runde. Als er die Gestalten am Feuer erkennen konnte, ließ er sich

sachte zu Boden gleiten und kroch auf allen vieren weiter. Er schob sich so weit an das Feuer heran, daß er ihre Worte genau verstehen konnte.

Sie waren noch immer arglos. Sie ahnten nicht, daß keine fünfzehn Yards hinter ihnen ein Mann im Gras lag, auf den günstigsten Augenblick lauerte und einen Überfall plante.

»... Gents!« sagte einer laut. »Der Boß sollte uns zurückrufen, es ist stinklangweilig hier draußen. Was sollen wir noch hier? Ihr Vieh verreckt vor Durst. Brothers hat gewonnen. Die Drei-Kühe-Rancher werden keinen Gedanken daran verschwenden, noch einmal hier anzugreifen. Habt ihr schon gehört, daß viele ihrer Boys den letzten Lohn nahmen

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und aus dem Valley ritten? Es ist vorbei, sage ich euch, und Brothers sollte uns zurückrufen, ehe wir vor Langeweile umkommen. Ich drehe doch durch, weil ich schon drei Tage keinen Whisky mehr getrunken habe. Und du doch sicher auch, Jimmy?«

Er stieß ein heiseres Lachen hervor, und seine Partner stimmten ein.

Ihr werdet euch die Augen reiben, Burschen, dachte Daniel und wollte aufspringen. Doch er sah gerade noch früh genug die beiden Gestalten aus der Dunkelheit auftauchen. Sie traten zu den anderen ans Feuer.

Sie standen mit den Gesichtern zu Daniel und hätten ihn todsicher aufspringen sehen.

Daniel duckte sich dicht auf den Boden der Mulde. Am Tage waren es sechs, und nur in der Nacht waren es auf einmal acht Männer, die hier draußen Wache hielten. Er wußte, daß acht Mann für sein Vorhaben zuviel waren. Aber nun blieb ihm keine Wahl mehr. Er mußte an die Wehre heran.

Er spähte angestrengt über den Rand der Mulde zu den Männern und sah, wie die beiden Ankömmlinge sich an das Feuer hockten. Er hörte, wie einer von ihnen sagte: »... nichts zu sehen! Boys, sie sind fertig, sie zwingen sich im Leben nie mehr in die Sättel. Aah, Jack und Conny! Wenn ihr nachher hinüberreitet, weckt ihn und sagt, er soll uns einreiten lassen.«

Der Sprecher spie ins Feuer und langte nach der Kaffeekanne. Er nahm einen kräftigen Schluck, setzte sie zurück und wischte sich mit dem Handrücken den Mund. Danach blickte er seine Gefährten der Reihe nach an und brummte schlecht gelaunt: »Brothers war ein Dummkopf, daß er uns hier draußen herumhocken ließ. Los, Jack! Reite! Sag ihm, es ist nichts los.«

Jack und Conny erhoben sich gähnend. Sie waren zwei rauhbeinige Gesellen. Sie rückten sich die Waffengurte zurecht. Kurz darauf ritten sie weg.

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Und nun wußte Daniel, daß seine Stunde gekommen war. Er schaute zu den Sternen hinauf und mußte feststellen, daß die Zeit vorangeschritten war und er sich beeilen mußte. Denn wenn die Gräben bis zum Morgengrauen voll Wasser laufen sollten, mußte er die Wehre jetzt öffnen.

Als sich einer der Männer erhob, mit dem Rücken zu ihm stand und laut gähnend zu seinem Lager wollte, um sich niederzulegen, sprang Daniel wie von einer Sehne geschnellt auf die Beine.

»Nehmt sie hoch, Gents!« brüllte er und richtete seinen Colt auf die Männer.

Sie fuhren empor und rissen die Mäuler weit auf. Es war mehr ein Staunen als ein Schreck, was sie lähmte

und ihnen die Gedanken durcheinanderwirbelte. Sie sahen Daniel aus aufgerissenen Augen an. Doch diejenigen, die mit dem Rücken zu ihm aufgesprungen waren, glaubten, es wenden zu können. Sie ahnten, daß es nur einer war.

Sie fuhren herum und schlugen die Hände um die Revolverkolben.

Sie erkannten zu spät, wer ihnen das »Nehmt sie hoch, Gents« zugerufen hatte.

Sie erkannten McKinley erst, als sie ihre Colts schon aus den Halftern zerrten.

Plötzlich blitzte es an Daniels Hüfte auf und zuckte auf sie zu. Sie wollten die Waffen wieder zurückstoßen. Doch es war zu spät.

Sie ritten in rauhen Sätteln, sie ritten für Jim Brothers, ritten für einen Banditen, für einen Verbrecher. Und sie erhielten ihren Lohn.

Hier mußten sie es erkennen. Drei von diesen sechs Männern bekamen es zu spüren. Sie

lagen verletzt im Gras. Drei Männer standen noch am Feuer, die Hände erhoben. »Legt eure Waffen ab!« sagte McKinley rauh und heiser.

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»Legt sie ab! Das ist mein bester Ratschlag!« In ihren Gesichtern stand die Not. »Versorgt eure Kumpane. Sagt ihnen, daß beim nächstenmal

meine Kugeln ins Leben treffen!« Sie taten es ohne Murren. Daniel schob ein Eisen zurück. Das andere hielt er auf sie

gerichtet. Die Männer warfen ihre Waffen auf einen Haufen. Die Verwundeten legten auch ihre Gurte ab. McKinley meinte alle, als er sagte: »Vorwärts! Zu den Wehren! Wir drehen sie hoch!«

Einer von ihnen richtete sich auf und blickte Daniel kalt an. Mit herabgezogenen Mundwinkeln würgte er heraus: »Das wird dich dein Leben kosten, McKinley.«

»Darum kümmere dich nicht, Buddy! Los, vorwärts!« Nacheinander gingen sie hinüber zu den Wehren. Der Mond spiegelte sich im gestauten Wasser. Sie liefen

über die schmalen Holzbrücken bis an das letzte Wehr. »So!« sagte Daniel, als sie vor der Winde dieses Wehrs

stehenblieben und sich unschlüssig anschauten. »Nun fangt an! Dreht sie bis zum oberen Anschlag auf. Bis zum Morgengrauen müssen die Gräben voller Wasser sein.«

Sie schluckten ihren Zorn gegen diesen Mann hinunter und beugten sich mit krummen Rücken über die hölzerne Winde.

Knarrend und quietschend öffnete sich das Wehr. Das Wasser quirlte in den ausgetrockneten Graben der

Hendrick-Ranch. Gurgelnd ergoß sich die blitzende, glitzernde Flut ins trockene Bett, wirbelte die verharschte Kruste auf und schoß brausend weiter.

Zuletzt war es ein Tosen, und wie ein Lebensstrom rann das Wasser zur Ranch hinüber.

Kurz darauf schob sich die nächste Holzwand empor. Rasselnd und kreischend drehte sich die Winde unter den Griffen der keuchenden Männer. Das Wasser schoß schäumend in den Graben der Cole-Ranch.

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Lächelnd sah Daniel dem glitzernden Band nach, das sich schnell den Graben entlang schob. Dann trieb er die Männer zum dritten Wehr.

Und diesesmal war es Wasser für die Clayr-Ranch. Die Zeit schritt mächtig voran. Bevor Brothers mit seiner

Mannschaft hier auftauchte, mußten die vier Gräben voll sein, mußten diese so viel Wasser führen, daß es für zwei oder auch drei Tage reichte.

»Noch weiter«, rief Daniel ihnen zu, als sie vorzeitig von der Winde wegtraten und schwer atmend die Arme in die Hüften stemmten. »Los, bis zum Anschlag, habe ich gesagt! Bevor Brothers sie wieder zudrehen kann, müssen die Gräben bis zum Rand vollstehen.«

Als sie das vierte Wehr oben hatten, lehnten sich die Männer erschöpft an das Geländer der schmalen Holzbrücke. Mit wütenden Gesichtern starrten sie zu Daniel hinüber, der rauchend auf dem Rad der Winde Platz genommen hatte.

In der Dunkelheit konnten sie sein Gesicht nicht mehr erkennen. Aber sie spürten deutlich, daß dieser Mann triumphierte. Als sich einer von ihnen langsam am Geländer davonschleichen wollte, riß ihn die harte Stimme McKinleys zurück.

»Bleib am Platz, Mister! Du riskierst dein Leben. Ich laß mir nicht die Suppe versalzen, merke dir das! Wenn es Tag wird, könnt ihr verschwinden.«

Das machte sie noch wütender. Denn die drei Brothers-Reiter wußten genau, daß bis dahin die Gräben voll Wasser gelaufen waren und daß dies die Kleinrancher vor dem Ruin bewahren würde, zumindest würde es das Ende hinausschieben.

So warteten die Männer auf den neuen Tag. Erst als sich dieser im Osten ankündigte, als ein feiner heller

Streifen sich im Osten über den Horizont schob, glitt Daniel zu den auf den Brücken sitzenden Männern.

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Die Brothers-Reiter erhoben sich mit klammen Gliedern und schauten ihm erwartungsvoll entgegen. Er musterte sie kurz. »Nun könnt ihr reiten«, sagte er lächelnd. »Nehmt eure Waffen und schwingt euch in die Sättel. Grüßt auch Dave Prucells und seine beiden Partner. Sagt ihnen, daß ich auf der Clayr-Ranch auf sie warte. Sagt ihnen, daß ich mit ihnen abrechne!«

»Well«, entgegnete ihm einer von ihnen, »wir reiten, McKinley, und wir werden Brothers berichten. Wenn er durch uns erfährt, daß du in den Sattel der Kleinrancher gesprungen ist, wird er todsicher aus der Haut fahren. Ho, McKinley! Du kennst Jim Brothers nicht! Er wird dich durch den Wolf drehen, und du wirst bereuen, daß du an die Seite der Drei-Kühe-Rancher getreten bist. Wenn er es erfährt, dann wird...«

»Das weiß er schon, Buddy. Ich habe es ihm selbst gesagt. Dumm von ihm, daß er sich nicht sofort darauf einstellt. Nun reitet!«

Da drehten sie sich wortlos um und schritten zur ausgebrannten Feuerstelle hinüber. Sie hoben ihre Gurte auf und banden sie um. Doch keinem kam der Gedanke, es jetzt noch einmal zu versuchen. Im Grau des neuen Tages sahen die Angeschossenen ihre Wunden, und mit finsteren Gesichtern dachten sie daran, wie schnell McKinley war. No, sie ließen es bleiben. Sie dachten an Brothers' große Mannschaft. An Dave Prucells und dessen Rudel. Well, McKinleys Stunden waren gezählt.

Sie liefen zu ihren Pferden und stiegen in die Sättel. Ohne noch einmal zu dem Longtrailreiter hinüberzublicken, ritten sie davon.

Daniel blickte ihnen nach, bis sie am Horizont verschwunden waren. Dann ging er zum River hinunter. Er holte seinen Rappen aus den Büschen und saß auf. Und nach wenigen Minuten zog er schon in gestrecktem Galopp an den Wehren vorbei. Am Graben der Clayr-Ranch ritt er entlang.

Er zog seinen Rappen an der Herde vorbei und erwiderte die

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Zurufe der Cowboys, die über das viele und plötzliche Wasser wie aus dem Häuschen waren und jubelnd ihre Hüte schwenkten.

Dann ritt er durch das Tor der Ranch. Als Daniel in den Hof einritt, erblickte er sofort die Gruppe

der Kleinrancher, die vor dem Haupthaus stand und May umringt hatte.

Vor ihnen fiel er dem Rappen in die Zügel und stieg aus dem Sattel.

Cantor, Hendrick und John Cole rissen ihm beinahe die Arme aus dem Leib, so kräftig schütteln sie ihm die Hände. Auch einige der Cowboys kamen eiligst heran und schlugen ihm auf die Schultern. Lachend wehrte er ab, und dann erst konnte er May begrüßen.

Doch Cole ließ die beiden nicht viele Worte wechseln. Laut fuhr er dazwischen: »Als mir meine Reiter das Wasser meldeten, glaubte ich zunächst, die Boys spinnen. Und dann dachte ich, Jim Brothers wäre über Nacht ein Engel geworden. Ich habe mich sofort auf mein Pferd geschwungen und bin hierhergeritten, weil ich ahnte, daß wir Hilfe bekommen haben. An Sie dachte ich zuletzt, Mister!« Er schüttelte Daniel noch einmal kräftig die Hand.

Die anderen Rancher nickten zustimmend und beteuerten mit vielen Worten, daß es ihnen ähnlich ergangen war, als sie von ihren Herdenwächtern mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wurden und erfuhren, daß in ihren Gräbern das Wasser stieg.

»Well«, sagte Cole und fuhr fort: »Wir haben schon ausgerechnet, wie viele Boys wir in die Sättel bekommen. Zwanzig Mann, Mister! Damit müssen wir es schaffen.« Er hielt ein und blickte Daniel abwartend an. Doch als dieser schwieg, sprach er weiter: »Sicher, gegen Jim Brothers' Mannschaft können wir damit kaum ankommen. Aber Sie haben gewiß eine Chance ausgerechnet, bevor Sie an unsere

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Seite getreten sind.« Hendrick kratzte sich seinen weißhaarigen Schädel und

fragte: »McKinley, wie soll es weitergehen? Drei Tage haben wir Luft, schätze ich.«

»Jim Brothers wird bestimmen, wie es hier im Valley weitergeht«, gab Daniel dem Mann zur Antwort. »Wenn ich euch und eure Mannschaft brauche, werde ich es euch rechtzeitig genug wissen lassen.«

Mehr erklärte er ihnen nicht. Was er ihnen sagte, sollte nur ein Vorwand sein, um sie wieder loszuwerden. Denn er wußte zu gut, daß dieser Kampf hier draußen im Green Valley ein Kampf zwischen ihm und Brothers – und zwischen ihm und Dave Prucells – geworden war. Er wollte diese Männer, die nicht den Schatten einer Chance gegen die schnellen Colts des Prucells-Rudels hatten, nicht hineinziehen. Er wollte es mit Dave Prucells und dessen Partnern allein ausfechten.

Die Entscheidung hier im Valley würde fallen, wenn er es mit Dave Prucells, Jesse Thistwaite und Mac Corris ausgetragen hatte.

Diese Entscheidung war unabänderlich. So oder so! Die Kleinrancher sahen ein, daß sie ihre Ranches

beschützen mußten. Denn für Brothers würde es ums Ganze gehen.

Jim Brothers würde kämpfen – härter, rauher und mitleidsloser als bisher.

Das wußten sie. Aus diesem Grund nickten sie zu Daniels Worten. Sie sagen

ihm noch einmal, daß er mit ihnen und ihren Reitern rechnen konnte. Dann verabschiedeten sie sich und stiegen in die Sättel.

Auch die Cowboys gingen wieder zum Bunkhouse hinüber. May und Daniel blieben vor dem Haupthaus stehen und

blickten den Reitern nach. Erst als sie diese nicht mehr sahen, drehten sie sich um und schauten sich an. Daniel lächelte, und May war glücklich, daß er wieder bei ihr war. Sie sagte es ihm

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auch. »Ich hatte Angst um dich, Daniel. Die ganze Nacht stand ich

hier draußen auf dem Vorbau und lauschte in die Dunkelheit. Ich wünschte, es wäre schon alles vorüber, Dan.«

»Es wird vorübergehen, May. Bald! In zwei oder drei Tagen.«

»Daniel«, sagte sie, »hier in diesem Valley soll dein ruheloses Reiten zu Ende gehen. Du sollst immer bei mir bleiben, ein ganzes Leben lang sollst du das. Du wirst es doch?«

Er drückte sie fest an sich und küßte sie abermals. Sie schloß die Augen dabei und schlang ihm die Arme um den Nacken.

Dann sagte sie leise und mit noch immer geschlossenen Augen, während ihr große Tränen unter den Lidern hervorquollen: »Noch ist es nicht entschieden, Dan, und ich habe Angst um dich. Ich will dich nicht verlieren. Es wäre gräßlich.«

Er küßte ihr die Tränen fort und führte sie in das Haus hinein.

Dann war der Hof der Clayr-Ranch leer. Der gelbe Sand flimmerte unter den warmen Strahlen der Frühlingssonne, die sich höher und höher in den Himmel hinaufschob. Wie hatten die Leute im Valley die Sonne in den letzten Tagen verflucht und Regen herbeigewünscht!

Seit der letzten Nacht schöpften sie wieder Hoffnung. In ihren Gräben stand das Wasser bis zum Rand. In langen Reihen standen die Rinder brüllend vor dem so lange entbehrten Naß. Die Cowboys der Kleinrancher gebärdeten sich vor Freude wie toll.

Die Männer auf den Ranches rüsteten sich zur Entscheidung. Sie kannten Jim Brothers. Er würde es nie im Leben schlucken, daß McKinley so einfach die Wehre geöffnet hatte.

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Es lag in der Luft, daß Krieg im Green Valley aufbranden würde.

Jim Brothers war ein gerissener Fuchs. Er griff nicht an. Er ritt nicht gegen die Ranches. Er ritt auch nicht gegen McKinley. Er tat nichts. Nur die Wehre ließ er schließen.

Nun arbeitete die Zeit wieder für ihn. Fünf Tage gingen im Valley vorüber, ohne daß sich etwas

ereignete. Das Wasser wurde in diesen Tagen verbraucht. Am Nachmittag des fünften waren die Gräben wieder leer. In den ehemals vollen Wassergräben waren am Nachmittag dieses fünften Tages nur noch lächerliche Pfützen. Das Wasser versickerte zu schnell.

Und Jim Brothers wartete ab. Nur selten sahen die Cowboys der Kleinranches draußen

weit im Land seine Reiter über die Weiden ziehen. Doch außer den vertrocknenden Gräben war dies alles, was

sie an den Krieg mit Jim Brothers erinnerte. Das Verhängnis, der Ruin schritt wieder mit mächtigen

Schritten auf die Kleinrancher zu. Sie mußten etwas tun. Sie wußten, daß Jim Brothers auf ihren Angriff lauerte wie ein Coyote auf seine Beute.

Es waren zu viele, die für ihn ritten, die in seinem Sattel hockten und für ihn die Revolver führten.

Sie wußten es! Wenn sie am Wassergraben standen und mit steilen Falten auf der Stirn in das versickernde Wasser blickten, dann eilten ihre Gedanken zur Clayr-Ranch hinüber, zu McKinley, dem Longtrailreiter.

Er war ihre Hoffnung, ihre einzige Rettung. Bevor er auftauchte, hatten sie die letzte Hoffnung schon

einmal fahren lassen. Da waren sie schon so weit, daß sie ihr Land, ihre Ranches und die Herden verkaufen wollten. Sie alle wollten, mußten verkauften. Nicht nur May Clayr. Die Not zwang sie dazu. Doch McKinley war im Valley aufgetaucht und an ihre Seite getreten.

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Das änderte alles. Das brachte ihnen Wasser und neue Hoffnung. Doch das Wasser war nun versickert. Nur lächerliche

Pfützen waren noch da und – die Hoffnung. Das war wenig oder viel. Wie man es nahm. John Cole dachte wie schon so oft an den Distrikt-Marshal.

Doch wer sollte losreiten und versuchen, die Stadt zu erreichen? Jim Brothers' rauhe Reiter würden ihn aus dem Sattel stoßen, noch ehe er das Green Valley verlassen hatte. Auch John Cole hatte die Brothers-Reiter weit draußen im Valley umherstreifen sehen.

Wer also sollte reiten? McKinley vielleicht? Doch Cole verwarf diesen Gedanken, denn er glaubte, daß

sich McKinley sicher einen Plan zurechtgelegt hatte und wohl bald damit anfangen würde.

Während ihm diese Gedanken durch den Schädel gingen, trat sein Vormann zu ihm an den Grabenrand. Er hatte die Hände in den Taschen und einen Grashalm zwischen den Zähnen. Den Stetson trug er weit im Nacken.

Er schob den Grashalm in den Mundwinkel und sagte mit einem Blick in den Graben:

»Es geht zu Ende damit, Cole! Was soll werden?« Cole zuckte nur mit den Schultern. Sie schwiegen und starrten in den Graben. Nach einer Weile

hob der Vormann den Kopf und schaute über das Land. Plötzlich zog er seine Hände aus den Taschen und spuckte

den Grashalm in den Graben. Heftig stieß er hervor: »Es scheint loszugehen! Cantor und Hendrick mit ihren

Mannschaften!« Cole fuhr auf und blickte auf die Weide hinaus. Und da sah

er die Reiter herankommen. Ein gutes Dutzend mochte es sein. Der Vormann sprach es aus.

»Ho, Cole«, sagte er, »sie sind fünfzehn Mann. Wir bekommen eine große Crew. Mehr, als wir erwarteten.«

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»Wir werden trotzdem nicht genug sein!« gab Cole knurrend zur Antwort.

Nach zehn Minuten waren die Reiter heran. Hendrick und Cantor stiegen aus den Sätteln. Sie gingen auf Cole und den Vormann zu.

Hendrick war es, der das Wort ergriff und sagte: »Wir wollen es heute entscheiden, Cole. Das Wasser geht

zur Neige, und ich will verflucht sein, wenn ich noch einmal tatenlos zusehe, wie das Vieh stirbt.«

Cole legte seine Stirn in Falten und dachte grimmig: Als es begann, warst du zu feige, Hendrick! Auch Cantor! Vielleicht hätten wir es damals geschafft. Aber ohne eure Mannschaften waren wir Brothers nicht gewachsen.

Doch das war vorbei und nicht mehr zu ändern. Darum sprach Cole es auch nicht aus. Statt dessen sagte er:

»Ich reite mit. Wir sind acht Mann. Wie will McKinley es anstellen? Will er wieder zu den Wehren? Und...«

»Es ist nicht McKinleys Wille, daß wir reiten, Cole«, fuhr ihm Cantor dazwischen. »Er hat uns wohl Wasser gebracht. Aber nur für fünf Tage. Nun weiß er anscheinend selber nicht, wie es weitergehen soll. Nein, es kommt nicht von ihm. Wir haben es uns so ausgedacht. Wir wollen nicht länger warten. Reiten wir hinüber! Die Mannschaft der Clayr-Ranch sollte sich uns anschließen. Wenn McKinley mitkommen will, nun, dann ist es uns recht. Aber länger warten wollen wir auf keinen Fall.«

»Nun gut!« erwiderte Cole. »Reiten wir hinüber. Wir werden sehen, was er uns zu sagen hat und wie er sich entscheiden wird.«

Als sie im dichten Haufen in den Hof der Clayr-Ranch einritten, kamen May und Daniel aus dem Haus. Sie liefen bis zum Geländer der Veranda vor und sahen erstaunt auf die Reiter hinab, die vor den Stufen angehalten hatten und aus den Sätteln stiegen.

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Daniel wußte sofort, daß die Ungeduld die Männer in die Sättel getrieben hatte.

Er wußte so gut wie sie, daß das Wasser in den Gräben zu Ende ging und nun etwas geschehen mußte.

Drei lange Tage wartete er nun schon auf Jim Brothers, auf Dave Prucells' rauhes Rudel.

Doch nun mußte Daniel einsehen, daß Brothers gerissener war, als er angenommen hatte.

Er wußte auch, daß Brothers nicht angreifen würde. Mac Corris war angeschossen. – Der Doc war wieder in

Waco aufgetaucht und hatte es berichtet. Das war wohl für Dave Prucells der Grund, sich zurückzuhalten.

Corris war der schnellste von ihnen, und auf ihn würde Dave Prucells schlecht verzichten können, wenn sie es auskämpfen wollten.

Und über all diesem Warten und Lauern war Zeit verstrichen.

Daniel wußte es. Darum war er den Männern nicht gram. Es war ihr Land, um das es ging, ihr Vieh, ihre Heimat.

Er blickte auf May und dachte daran, daß es auch ihr Land, ihre Heimat war. Er sah wieder in den weiten Hof hinunter, der voller Reiter war, die zu ihm heraufsahen.

Du hast ihnen die Hoffnung gebracht, dachte er. Nun darfst du sie ihnen nicht nehmen. Du mußt ihnen helfen, diesen Kampf zu bestehen!

Doch im gleichen Moment wußte er, daß es ein Blutbad an den Wehren geben würde. Wie schon einmal. Die Kleinrancher würden dabei ihre Cowboys verlieren, und Jim Brothers wäre der Sieger im Valley. Der Kampf, den diese Männer führen wollten, sollte also die Entscheidung bringen. Sie würde unabwendbar sein, dieses Mal endgültig.

Hendrick kam bis dicht an die Stufen heran. »Wir wollen sie an den Wehren zusammenreiten!« sagte er

rauh.

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»Für Jim Brothers reiten fünfzig Mann, Hendrick«, gab ihm May zur Antwort, die erkannt hatte, daß Daniel den Plan der Männer mißbilligte. Auch sie ahnte sofort, daß es an den Wehren nur ein Blutbad geben konnte.

»Es ist die einzige Chance, die wir haben, May. Ob wir dort zur Hölle fahren oder hier, es bleibt sich gleich. Alle fünfzig Reiter werden nicht an den Wehren stehen«, rief Hendrick zurück.

»Er wird sie alle an den Wehren stehen haben«, antwortete Daniel. »Er wartet auf unseren Angriff. Ein sicheres Zeichen dafür ist, daß er uns fünf Tage in Ruhe ließ. Er weiß genau, daß wir angreifen werden, daß wir es seiner Meinung nach müssen.«

»Was müssen wir deiner Meinung nach tun, McKinley?« fragte Hendrick. Dabei spielte ein hämischer Zug um seinen Mund. Er machte sich seine eigenen Gedanken.

»Vorläufig weiß ich es auch noch nicht, Hendrick! Aber eines weiß ich genau: Wir dürfen nicht in eine Falle laufen. Und das tun wir, wenn wir die Wehre angreifen. Brothers wird uns zusammenreiten lassen!«

Cole und viele der Männer, die jene mörderische Nacht an den Wehren zu Beginn des Weidekrieges miterlebt hatten, gaben ihm recht. Sie murmelten ihre Zustimmung und nickten heftig.

Doch plötzlich verstummten alle und fuhren auf. Vor dem Tor der Ranch parierten drei Reiter ihre Pferde. Im

Hof sahen sie sofort, daß es Brothers-Reiter waren. Ein Brothers-Reiter drängte sein Pferd mitten durch den

Haufen der Männer und Pferde und hielt direkt auf das Haupthaus zu. Etwas unsicher ließen die Männer im Hof den Reiter passieren. Am liebsten hätten sie ihn vom Pferd gerissen. Doch die Ahnung, daß der Besuch dieses Cowboys eine Wendung brachte, hielt sie davon ab. So standen sie da mit harten Gesichtern. Sie hielten ihre Pferde mit beiden

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Fäusten, um leichter der Versuchung zu widerstehen, mit einer Hand zur Waffe zu langen. Denn sie alle dachten in diesem Augenblick an Kitt Sheram, ihren Boten, der in den Tod geritten war.

Der Reiter parierte sein Pferd vor den Stufen, dicht neben Hendrick, und warf den Kopf zurück. Er grüßte zu May hin und wendete sich dann McKinley zu. In seinen Augen blitzten Spott und Hohn, als er laut zu ihm hinauf rief:

»Jim Brothers läßt dir sagen, daß er im Brazos-Inn auf dich wartet. Dave Prucells' Rudel ist bei ihm. Sie wollen mit dir sprechen, McKinley.«

Im weiten Hof der Clayr-Ranch war es so still wie auf einem Friedhof.

Die Männer an ihren Pferden wußten, daß dies die große Wendung für sie war. McKinley konnte es für sie gewinnen, wenn er ritt. Wenn er gegen vier rauhe und schnelle Männer ritt, falls er den Mut aufbringen würde dazu. McKinley war schnell. Er hatte es oft genug bewiesen.

Doch sie waren vier Mann! May war vorhin bis zur Brüstung der Veranda getreten.

Doch als der Brothers-Reiter seine gellenden Worte herausrief, drehte sie sich erschrocken nach Daniel um. In ihren Augen stand das Entsetzen, stand die Angst um ihn. Ihr Herzschlag drohte auszusetzen vor Furcht um sein Leben.

Im Gegensatz zu den Männern im Hof wußte sie sofort, daß er reiten würde.

Sie wollte ein lautes »Nein« zu ihm hinschreien, doch ihr Schrei erstarb, bevor er über ihre Lippen kam. Denn sie schaute in Daniels hartes und kantiges Gesicht, das von Sekunde zu Sekunde entschlossener wurde. Sie sah die Kerben um seinen Mund, die sich tiefer und tiefer zu graben schienen.

Alles Blut wich aus ihrem Gesicht, als sie ihn wie aus weiter Ferne hart und schneidend antworten hörte:

»Sage Jim Brothers und seinem Revolverrudel, daß ich

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komme! Reite und sage ihm, daß ich in einer Stunde in Waco bin!«

Da riß der Brothers-Reiter sein Pferd herum, daß die Männer zur Seite sprangen, und jagte davon. Er jagte in gestrecktem Galopp aus dem Hof. Die beiden Reiter vor dem Tor sahen ihn heranfegen und rissen die Pferde gleichfalls wild herum. Zu dritt stoben sie in das Land hinaus.

Daniel stand oben auf der Veranda und schaute ihnen nach. Nun ist dir also die Zeit doch zu lang geworden, Brothers!

dachte er und zog schnaufend die Luft ein. Fünf Tage haben dich die Kleinrancher auf die Folter gespannt. Deine Nerven sind also doch nicht so stark, wie ich dachte! Du willst es beenden. Well, ich komme, Brothers! Ich komme, und dann wollen wir es bereinigen. Ein für allemal wollen wir es klären.

Er schaute in den Hof hinunter. Er sah die starren Gesichter der Männer auf sich gerichtet. Sein Blick flog zu Hendrick, und da sagte er zu ihm: »Nun weiß ich es, Hendrick. Nun weiß ich, wie es weitergehen wird.«

Hendrick trat einen Schritt zurück, und flammende Röte schoß ihm ins lederne Gesicht.

Er schluckte heftig und sagte dann mit heiserer Stimme: »So rauh meinte ich es vorhin nicht, McKinley. Wir reiten natürlich mit. Wir reiten alle mit.«

»Nein, Hendrick. Ihr bleibt hier. Es soll nicht mehr Blut fließen, als unbedingt notwendig ist. Auch Brothers wird seine Mannschaft heraushalten.«

Dann wendete er sich May zu. Sein Gefühl war nun nicht mehr so hart. Sein kühnes Lächeln stand wieder darin, als er zu ihr sagte:

»Nun ist es soweit, May. Drücke mir beide Daumen. Bevor die Sonne sinkt, werde ich zurück sein.«

Er sah, daß sie mit den Tränen kämpfte. Da zog er sie zu sich heran und küßte sie auf die Stirn.

Well, er küßte sie vor all den rauhen Männern, und die

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wußten nun, was McKinley auf ihre Seite gebracht hatte. Es war die Liebe, die Liebe zu May Clayr. Doch dieses Mal grinsten sie nicht, wie es die Art der Cowboys sonst war. Sie schauten alle weg, hatten plötzlich mit ihren Pferden zu tun, denn sie wußten genau, daß das Glück dieser beiden jungen Leute schon in einer Stunde vorüber sein konnte. Vorüber! Vorbei für immer!

Ein Cowboy der Clayr-Ranch holte den Rappen aus dem Corral und sattelte ihn. Er führte ihn zum Haupthaus und ließ ihn dort vor der Treppe stehen. Dann trat er zu den anderen zurück.

Der Rappe machte einen nervösen Eindruck. Die vielen Männer waren ihm ungewohnt. Sein Leben war bisher so einsam gewesen wie das seines Reiters. Deshalb machten ihn die vielen Tiere und Menschen nervös.

Er warf den Kopf ein paarmal auf, als wollte er damit seinem Reiter sagen: Komm, Mister! Komm schon! In Waco warten sie auf uns! Dann wollen wir weiter!

Daniel sah es. Er erkannte die Ungeduld seines nachtschwarzen Tieres, so wie er vorher die Ungeduld der Männer erkannt hatte. Er machte sich zärtlich von May frei und stieg dann langsam die Stufen hinab. Auf der unteren blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu May. Er sah die Angst des Mädchens und winkte ihm lächelnd zu. Dann sprang er schnell in den Sattel.

Er ritt sofort an.

* * *

McKinley blickte nicht mehr zurück. Er schaute auch nicht zu den Männern hinunter. Er saß verwegen im Sattel. Die Zügel hielt er mit einer Hand, und die linke Schulter hatte er weit nach vorn geschoben. Der Stetson flappte ihm am Windriemen im Nacken. Sein schwarzes Haar glänzte in der

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Sonne. May und auch die Männer im Hof schauten ihm mit ernsten

Gesichtern nach. Sie sahen ihn einsam über das weite Land reiten. Er wollte

allein in einen rauhen Kampf ziehen. Und viele fragten sich, wie ein junger Mann so eisenhart sein konnte.

John Cole, der schon immer ein Heißsporn war, packte es so hart, daß er sich den Stetson vom Schädel riß und mit flammenden Augen auf die Stufen der Verandatreppe sprang. Mit lauter Stimme schrie er über den weiten Hof der Clayr-Ranch:

»McKinley reitet für uns alle. Er reitet für uns allein gegen Jim Brothers! Doch, Hölle und schwarze Pest! Wer garantiert, daß Jim Brothers seine Mannschaft nicht vor der Stadt stehen hat, um ihm den Weg zu verlegen, wenn McKinley es im Brazos-Inn für uns entscheiden kann? Wer garantiert es, Männer? Wer? Jim Brothers ist zu gerissen, um nicht mit jeder Möglichkeit zu rechnen. In die Sättel, ihr Männer, und geritten! Reiten wir bis vor die Stadt.«

»Well, reiten wir bis vor die Stadt!« brüllten die Männer laut und wild durcheinander. Sie sprangen so ungestüm in die Sättel, daß sich die Pferde im Kreise drehten und Staubwolken in den Himmel jagten.

John Cole stemmte sich in die Steigbügel seines auskeilenden Pferdes und ritt zur Veranda.

»In zwei Stunden, May! In zwei Stunden sind wir zurück! Und er wird unter uns sein!«

Dann stieß er die Faust gegen den Himmel, und eine heulende Meute wilder Reiter schoß aus dem Hof der Clayr-Ranch.

Zurück blieb ein Girl auf der Veranda, und ein alter Cowboy im Bunkhouse betrachtete die Staubwolke, die sich langsam und schwer auf den Platz legte.

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* * *

Der einsame Mann trieb sein Pferd hart über das Land. Er trieb es aus dem Green Valley der Stadt Waco zu. Waco,

die Stadt, in der ein Rudel Wölfe auf ihn wartete und auf ihn lauerte. Denn dieses Rudel wollte seinen Tod!

In der Stadt war bekannt geworden, daß der große Weidekrieg im Green Valley zu einem blutigen Kampf der Longtrailreiter geworden war. Die einsamen Männer mit der stählernen Faust wollten es unter sich ausfechten. Sie würden sich in den Straßen dieser Stadt gegenüberstehen, in einen Kampf ohne Mitleid, ohne Erbarmen!

Vier gefährliche Wölfe sollten über einen Tiger herfallen. In langen Reihen standen die Bürger dieser Stadt auf den

Sidewalks der Mainstreet. Die Stadt lebte an diesem Tag nur auf dieser Straße. Alle anderen Stadtteile waren wie tot – ausgestorben! Darum standen die Leute in Waco auf der Straße und schauten nach Süden hinunter, denn jeden Moment mußte dieser einsame Reiter auftauchen, dieser einsame Tiger, der so hart und so zäh war, daß er selbst gegen den Satan reiten würde.

Jim Brothers saß mit seinem Rudel schon im Brazos-Inn. Und er wartete, wie alle warteten.

Dann ging es wie ein Raunen die Straße entlang, denn am Horizont tauchte er auf.

McKinley, der Longtrailreiter. Die gegen ihn gewettet hatten, waren um ein paar Dollar ärmer.

Er kam schnell näher, denn er ritt scharf. Vor der Stadt fiel Daniel seinem Rappen in die Zügel und

ritt im Schritt ein. Er sah die vielen Menschen auf den Sidewalks und die vielen Neugierigen in den Fenstern und vor den Türen. Er spürte, daß alle Blicke an ihm hingen. Doch er beachtete sie nicht.

Der Rappe trug ihn in die Stadt, in der Sieg oder Tod auf ihn

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wartete. Er saß aufrecht im Sattel. Der Stetson hing ihm am

Windriemen im Nacken, und die Spitzen des bunten Halstuches lagen auf seiner linken Schulter, die er, wie immer, weit nach vorn geschoben hatte.

So ritt er mit steinhartem Gesicht. Noch weit vor dem Inn lenkte plötzlich Way Shane sein

Pferd auf die Fahrbahn. Als Daniel seinen Rappen vor ihm anhielt, hob er die Hand

hoch und sagte ernst: »Ich werde mit dir reiten, McKinley! Vier Revolver treffen

mehr als zwei.« »Bleib aus dem Spiel, Stern! Es ist dein Tod! Es führt zu

nichts, wenn ich dich neben mir dulde. Sie sind zu schnell für dich. Bevor du deine Eisen aus den Halftern angeln kannst, bist du erledigt. Halte dich da raus; sie haben nur nach mir gerufen!«

Doch Way Shane gab nicht auf. »Ich vertrete in dieser Stadt das Gesetz, McKinley. Darum

muß ich an deine Seite, denn Jim Brothers...« »Laß das!« fuhr ihm Daniel dazwischen. »Nur wenn ich es

nicht schaffe, kannst du dich an ihnen versuchen. Bleib also hier stehen und achte darauf, wer das Brazos-Inn verläßt. Sollten sie es sein, dann sprich dein letztes Gebet!«

Ohne sich weiter um den jungen Sternträger zu kümmern, zog er den Rappen an dessen Pferd vorbei und setzte den Ritt fort.

Auf den Sidewalks schüttelten sie die Köpfe. Way Shane wollte es nur schlecht schlucken, daß ihn McKinley abgewiesen hatte. Er beugte sich weit im Sattel vor und rief:

»Gib acht, sie legen dir todsicher eine Falle. Bilde dir nicht ein, daß sie dir fair gegenübertreten.«

Daniel ritt weiter und kümmerte sich nicht um die hitzigen Worte des Hilfssheriffs. Er wußte, warum er jede Hilfe

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ablehnte – ablehnen mußte. Er wollte Jim Brothers den Grund nehmen, seine Mannschaft mit hineinzuziehen. Wenigstens vorläufig mußte er die Männer aus dem Spiel lassen, wenn sie eine Chance gegen ihn haben wollten. Erst mußte er das Prucells-Rudel auseinanderbrechen und Jim Brothers erwischen. Well, denn dann würde auch seine Mannschaft nicht mehr reiten wollen.

So hatte er es sich zurechtgelegt, um ein großes Gemetzel zu vermeiden.

Yard um Yard trug ihn der Rappe zum Brazos-Inn. Auf den Sidewalks blieben sie nun zurück, je näher er an

das Brazos-Inn heranritt. Hinter seinem Rücken füllte sich die Fahrbahn, denn die Männer und die wenigen Frauen, die den Nerv hatten, sich eine höllische Schießerei mit anzusehen, drängten nach.

Die Sidewalks waren zu schmal und zu eng, um all die Leute zu fassen. Darum kamen sie in dichten Pulks auf die Fahrbahn, um ihn reiten zu sehen. Etwa hundert Yards vor dem Brazos-Inn blieben sie stehen.

Dann verstummte auf der Straße auch der letzte Zuruf, die letzte Unterhaltung, denn McKinley hatte vor dem Rambo-Store den Rappen angehalten und stieg aus dem Sattel. Mit wilden Blicken verfolgten sie jede seiner Bewegungen, und als er sich den Waffengurt zurechtschob, sprangen sie vor Spannung beinahe aus den Stiefeln.

Die Schritte McKinleys waren fest und gleichmäßig, als er auf den Vorbau des Brazos-Inn zuging. Er sah schon von weitem, daß die Schwingtüren weit offenstanden. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er daran dachte, daß Jan Mills an diesem Nachmittag sicher einen großen Verdienstausfall hatte; Jim Brothers und das Prucells-Rudel würden nicht allzuviel trinken. Aber Daniel gab sich zufrieden bei dem Gedanken, daß im Anschluß an den Kampf das Inn zu klein sein und die Tische nicht ausreichen würden.

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Dann stieg er die Stufen hoch. Er tat es langsam, und er wirkte sehr ruhig dabei.

Auf der Fahrbahn und auf den Sidewalks hielten sie jetzt den Atem an. Mit aufgerissenen Augen erwarteten sie den ersten Schuß aus dem Inn, der diesen Narren glatt aus den Stiefeln fegen würde.

Doch sie irrten sich! Als McKinleys große Gestalt vor der Tür auftauchte, flog

ihm keine Kugel entgegen. Er sah nur das teuflische Grinsen Jim Brothers.

Der stand anstelle von Jan Mills hinter dem Tresen. Er war gerade dabei, sich ein Glas Whisky zu füllen. In dieser Beschäftigung ließ er sich nicht unterbrechen. Dann hob er das Glas und prostete McKinley zu.

Daniel spähte mit schnellen und lauernden Blicken in den Raum des Inn. Er sah, daß Jan Mills nicht da war, und er erkannte auch, daß sie es sehr schlau anfangen wollten. Dave Prucells und dessen Partner saßen weit auseinander. Dave selbst saß auf einem Stuhl direkt vor dem Tresen. Jesse Thistwaite lehnte rechts hinten an der Wand, und Mac Corris saß links hinter einem der Tische.

Sonst war keine Seele im Inn! An ihrer Platzverteilung merkte er, daß sie seine

Gewohnheiten genau kannten, denn sein linkes Eisen war immer um den Bruchteil einer Sekunde früher aus der Halfter als das rechte. Und da Mac Corris ihr schnellster Mann war, hatten sie die Rollen ziemlich gut verteilt.

Doch auch McKinley kannte die Gewohnheiten des Rudels, und so wollte er ihnen erst einmal den Nerv nehmen, wenn sie ihm die Zeit dazu ließen. Er hoffte, den Anfang zum Reigen bestimmen zu können. Zu gut wußte er, wie sie reagierten.

Daniel ließ seinen Blick zu Jim Brothers gleiten, der genau über Dave Prucells hinter dem Tresen stand. Er deutete mit der Rechten auf das Glas in dessen Hand und sagte zu ihm: »Du

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hast mich rufen lassen, Brothers! Doch nicht nur, um mir zuzuprosten?«

»No«, lächelte dieser glatt. »No, McKinley, nicht nur deswegen. Ich habe viel auf dem Herzen. Wir wollen es heute mit dir aushandeln. Du stärktest den Kleinranchern im Valley das Rückgrat, als du meine Leute an den Wehren ausspielen konntest. Aber das macht nichts. Wenn es hier zu Ende ist, lasse ich die Wehre zerschlagen und schwemme das ganze Ungeziefer von den Weiden meines Valleys.«

»Dazu wirst du bestimmt nicht mehr kommen. Verlaß dich darauf, Brothers. Wenn ich spiele, ist auch dein Spiel aus! No, die Sache mit den Wehren wisch dir aus dem Schädel! Es war ein Fehler von dir, daß du mit Prucells hierhergekommen bist. Ich lasse dich nicht mehr weg. Sobald du dir einfallen läßt zu verschwinden, jage ich dir eine Kugel in den Kopf!«

Doch Jim Brothers hatte für diese Worte nur ein spöttisches Lächeln.

Daniel kümmerte sich nicht darum. Er behielt sie alle im Auge, um sich keine ihrer Bewegungen entgehen zu lassen. Er sagte dabei zu Dave Prucells:

»Ihr seid zu hart zu Mac, Dave. Er kann sich kaum auf den Beinen halten, denn das Stück Blei, das ihn erwischte, steckt noch in ihm drin! Es ist unfair von euch, ihn ausgerechnet an meine schnellste Seite zu postieren.«

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Mac Corris zusammenzuckte und einen lauernden Blick zu Prucells hinübersetzte. Darum fügte er schnell hinzu: »Er ist heute bestimmt nicht so schnell wie sonst, Dave. Ihr hättet es wissen müssen. So wie ich. Darum wird der erste, den es trifft, ein anderer von euch sein!«

Er lächelte zynisch zu Prucells hin, da er sah, daß dem Mann die Wut ins Gesicht stieg. Ich habe also euren Plan erkannt, dachte Daniel. Ihr Aasgeier wollt Mac Corris opfern. Wollt mich im Glauben lassen, daß er heute so schnell ist wie

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sonst, damit ich mein Blei zu ihm hinjage und ihr es nutzen könnt, um mich von der anderen Seite mit Blei zu spicken. Nun, wir werden es anders machen.

Dave Prucells sprang die Wut in den Bauch. Er fing den mißtrauischen Blick von Mac Corris auf und wollte voll Haß und Grimm über Daniels Worte aus der Haut fahren. Doch Jim Brothers, der hinter ihm am Tresen stand, zwang ihn mit den Worten, die er an Daniel richtete, nieder:

»Du hast dir verdammt viel vorgenommen, McKinley.« Brothers sagte es sehr grimmig. »Ich schätze, daß dir schon zuviel gelang. Doch damit ist es vorbei. Ah, du willst den ersten Schuß auf einen anderen riskieren, McKinley? Für dich ist keine Chance mehr drin, nicht der Schatten davon! Es ist vorbei. Alles! Die Sache an den Wehren war dein letzter Coup. Schluck es runter, du Bastard!«

»Du malst es zu schwarz für mich, Brothers«, entgegnete Daniel kalt. »Well, ich habe mir viel vorgenommen. Du sagst es, Brothers. Doch ist es zu schaffen. Ich bin nicht so vermessen, mir einzubilden, daß ich es hier klar für mich entscheiden kann. Aber dich nehme ich mit!«

Wort für Wort hatte er den letzten Satz zum Tresen hinübergestoßen. Dabei fielen seine großen Hände langsam hinter die Eisen. Sie ruhten dicht hinter den Kolben der griffigen Waffen.

Brothers lachte hinter dem Tresen hart auf. »Du bist groß, McKinley! Du trägst einen großen Namen! Schon allein daran stoßen wir uns. Aber noch größer sind deine Worte! Prucells brennt darauf, es auszuprobieren, womit du dir deinen großen Namen verdientest – mit den Eisen oder mit der Zunge. Nun mußt du kämpfen, McKinley!«

Daniel schwieg und spannte jeden Muskel. Mit schmalen Augen blickte er zum Tresen, denn während seiner Rede hatte Brothers wie zufällig seine Hände hinter den Tresen gleiten lassen. Daniel jagte schnelle Blicke zu den anderen hin und

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sah, daß sie aufgefahren waren und in starrer Haltung zu ihm herübersahen. Er lächelte zynisch zu Brothers hinüber und sagte:

»Well, Brothers! Wenn du deine Hände wieder über den Tresen zauberst, soll der Reigen sicher beginnen.«

Daniel hatte seine Worte noch nicht ganz über die Lippen gebracht, da heulte Jim Brothers auf wie ein geschundener Wolf. Wie ein Hexer hatte er plötzlich eine Schrotflinte in den Fäusten.

Dave Prucells' Hände und die seiner Partner flogen zu den Waffen hinunter. Prucells selbst warf sich dabei zu Boden, um seinen Kopf aus Jim Brothers' mörderischer Schußbahn zu bekommen.

Doch das war unnötig, war überflüssig. Jim Brothers kam nicht mehr zum Zuge. Als er die Waffe

über dem Tresen in Anschlag brachte, da war es Daniel McKinley, der im Brazos-Inn zur Furie wurde.

Der Longtrailreiter kämpfte! Er entfesselte einen wahren Feuerzauber, und der war so heiß, daß Jim Brothers nicht überleben konnte. Die erste Kugel, die McKinley aus seinen Revolvern hetzte, warf ihn hinter den Schanktisch zu Boden.

Es war die erste Kugel aus seiner linken Waffe. Doch schon mit dem ersten Schuß aus seinem rechten Eisen

fuhren auch die Bleistücke des Prucells-Rudels aus deren Colts. Die Pulverfahnen wölkten auf. Die Detonationen der Schüsse zerhämmerten die Luft.

Draußen auf der Straße rissen die Passanten die Köpfe hoch und schauten mit entsetzten Augen zum Eingang des Brazos-Inn. Sie hörten das Aufbellen der Colts, hörten den Höllenzauber, der aus dem Inn herausdröhnte und sie ansprang, daß ihnen das Blut gefror. Alle Neugier war gewichen. Mit entsetzten Augen starrten sie zum Eingang.

Denn der Tod wütete im Brazos-Inn. Jim Brothers war der erste, den der Sensenmann erwischte.

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Auch über Jesse Thistwaite fiel der Schatten des Todes. Daniel traf Jesse, bevor er selbst die Kugel aus Dave

Prucells' Colt einstecken mußte. Er spürte den harten Schlag in der linken Schulter.

Der Schmerz drückte ihm beinahe den Colt aus der Hand, und ehe er auf Prucells anlegen konnte, rollte sich der Mann geschickt aus der Schußlinie. Die Ladung, die er dabei auf Daniel abfeuerte, ging hoch über ihn hinweg und schlug fetzend in den Querpfosten der Flügeltür.

Mac Corris war hinter den Tisch gerutscht. Er hatte ihn umgeworfen und feuerte mit einem Colt Schuß auf Schuß zu Daniel hinüber.

Doch Daniel hechtete geschickt in den Raum hinein. Er warf dabei gleichfalls einen Tisch um und brachte sich in Deckung. Er kam jedoch unglücklich auf, rammte mit der angeschossenen Schulter hart auf den Fußboden.

Obwohl er die Zähne zusammenbiß spürte er, daß ihm die Sinne schwanden.

Es dauerte Sekunden, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. Aber für Dave Prucells reichte es aus. Ihm reichte es, um seine sichere Chance wahrzunehmen.

Mit einem weiten Panthersprung hetzte er zur Tür. Er konnte dabei Daniel noch einmal treffen, da er ihm in die Flanke kam. Er sah noch, wie die Kugel McKinley herumwarf, dann war er durch die Tür.

Auch Mac Corris wollte aus dem Bau, wollte seinem Leitwolf nach. Doch für ihn war der Moment zu knapp bemessen. Auch die Kugel, die Daniel von Prucells hatte einstecken müssen, änderte daran nichts. Der Hüftschuß lähmte Corris, und seine Bewegungen waren zu schwer und zu langsam für diese knappe Zeit.

Als ihn noch drei Schritte von der Tür trennten, war seine Chance vorbei. Daniel war wieder Herr seiner Sinne, und das erste, was er erkannte, war Mac Corris, der auf die Tür zulief,

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sein Schießeisen in der Faust. Corris war im Glauben, daß sein Partner McKinley matt

setzte. Doch die Rechnung dieses angeschossenen Wolfes ging

nicht auf. Prucells war nicht mehr da! Drei Schritte vor der Tür riß ihn Daniels rauhes und heiseres

»Halt!« herum. Er blickte in zwei rauchende Coltmündungen und setzte alles auf eine Karte.

Doch es nützte ihm nichts. Es nützte ihm genausowenig, wie es Jim Brothers nützte, daß er als erster im Brazos-Inn zur Waffe gegriffen hatte.

Seine Kugeln waren wohl die schnelleren. Doch sie trafen den Tiger nicht. Sie schlugen hart und berstend in die Tischplatte, und dann fegte vom Tisch her das heiße Blei auf ihn zu.

Daniel schoß ihm den Colt aus der Hand. Mac Corris heulte auf wie ein waidwunder Wolf. Der Schmerz in der aufgerissenen Hand brachte ihn um den

Verstand und ließ ihn einen Griff tun, der ihm das Leben kosten sollte. Mit einem Schrei riß er mit der gesunden Hand ein Wurfmesser unter der Jacke hervor. Mit gemeinen Augen, die den Tod in Gestalt der sausenden Klinge auf die Reise schickten, warf er mit einem kräftigen Schwung das Messer zum Tisch hinüber.

Doch in dieser Bewegung traf ihn der Schuß McKinleys tödlich.

Drei Schritte vor der rettenden Tür brach Mac Corris zusammen.

Daniel taumelte hinter dem Tisch hoch, in dessen Platte das Messer steckte. Das Hemd war an der linken Seite zweimal aufgerissen und rot von Blut.

Er biß sich fest auf die Lippen und schob sich mit schwerfälligen Schritten den offenstehenden Flügeltüren zu.

Er taumelte dabei und mußte sich stützen. Einen Schritt vor

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der Tür blieb er stehen und holte tief Luft. Ringe tanzten ihm vor den Augen. Mit der Colthand wischte er sich den Schweiß aus der Stirn.

Seinen Stetson hatte er beim Sprung hinter den Tisch verloren.

Mit hängenden Schultern trat er durch die Tür. Die Fahrbahn und die Sidewalks, auf denen vorher die Bürger der Stadt standen, waren wie leergefegt. Daniel wußte sofort, daß Dave Prucells irgendwo auf ihn lauerte. Und da raste auch schon die erste Kugel zu ihm herauf. Blitzschnell ließ Daniel sich fallen und die Stufen zum Sidewalk hinunterrollen.

Er reagierte so schnell, daß er der zweiten Kugel, die genauer gezielt war, ausweichen konnte. Und als es zum drittenmal knallte, war er schon in Deckung. Die Kugel jagte über seinen Kopf hinweg und schlug hinter ihm in die Bretterwand des Brazos-Inn.

Die Bürger von Waco hatten sich ängstlich zurückgezogen, als sie Dave Prucells herausspringen sahen.

Sie dachten im ersten Moment, daß es Jim Brothers mit seinem Rudel für sich entschieden hatte. Sie liefen auseinander, verzogen sich in Häuser, Toreinfahrten und Seitenstraßen. Sie verzogen sich, um nicht dem Spott Jim Brothers' ausgesetzt zu sein. Sie verschwanden mit dem Gedanken, daß es nun für die Kleinrancher im Green Valley keine Rettung mehr geben würde.

Doch während sie davonrannten, hörten sie wieder die Colts im Inn aufbellen. Und da kehrte auch ihr Glaube an McKinley zurück. »Er kämpft noch!« schrien sie sich zu.

Daniel lag im Schutze der Treppe. Es war keine gute Deckung, denn die Bleistücke Dave Prucells' nagelten ihn fest. Er konnte nicht einmal den Kopf heben, ohne wie ein Magnet Dave Prucells' Kugeln anzuziehen.

Die Gedanken in seinem Hirn rasten wild durcheinander. Er dachte an Prucells, an May – und dann wieder an Prucells.

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Plötzlich riß ihn Dave Prucells' beißende und spöttische Stimme aus seinen trüben Gedanken. »He, McKinley!« brüllte Prucells. McKinley hob den Kopf. »Komm vor, McKinley, wir wollen es fair beenden. Jim Brothers' Sache ist zum Teufel. Mein Rudel hast du zerbrochen. Es war ein gutes Rudel. Komm hoch, laß es uns fair zu Ende bringen! Laß uns fair kämpfen, Tiger!« Daniel lächelte grimmig vor sich hin. Er kannte Dave Prucells zu gut, um nicht zu wissen, daß es eine Falle sein sollte. No, er wußte zu gut, daß Dave Prucells es niemals fair ausmachen würde.

Er will doch nur, daß ich hochkomme und ihm ein Ziel biete! dachte Daniel.

Doch sein Gesicht wurde steinhart, als er sich überlegte, daß er auch Dave Prucells vor den Lauf bekommen würde. Immerhin bot sich eine Chance.

Es war zwar nur eine geringe Chance, der Schatten einer Chance, und er würde auch nur dann überleben, wenn er schnell genug wäre. Daniel wußte, daß er so schnell sein mußte wie noch nie im Leben.

»All right, Prucells!« rief er deshalb zurück. »Machen wir es fair!«

»Dann stecke deine Eisen weg!« gab Prucells zur Antwort. »Steck sie weg! Ich habe meine Kanonen schon in der Halfter.«

Daniel schob sein Eisen in die Halfter zurück. Er spannte sich zum Sprung. Er spannte seine Muskeln bis zum Zerreißen und rief laut und deutlich zu Prucells hinüber:

»Komm! Ich hab' sie weg!« Im gleichen Augenblick sprang er, wie von einer Sehne geschnellt, auf die Beine.

Drüben auf der anderen Straßenseite, in der Toreinfahrt eines Hauses, sah er Dave Prucells stehen. Er sah ihn und seine Mündungsfeuer. Grelle Blitze jagten zu ihm heran.

Seine Rechte zuckte zur Hüfte. Das Eisen sprang ihm fast von selbst entgegen, so schnell war er. Doch trotzdem löste

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sich der Schuß erst, als ihn Prucells' Blei schon erreicht hatte. Es stieß ihn um.

Es warf ihn rückwärts gegen die Bretterwand des Brazos-Inn, und dort rutschte Daniel langsam zusammen. Er bemühte sich krampfhaft, auf den Beinen zu bleiben. Aber es gelang ihm nicht. Es gelang ihm genausowenig wie die Bemühung, seine Augen offenzuhalten. So sehr er sich auch anstrengte, er bekam Dave Prucells nicht noch einmal zu Gesicht.

Daniel sackte den Sidewalk hinunter. Vorbei! dachte er. Es ist vorbei. Ich habe ihn nicht erwischen können. Aus! Zu Ende!

Seine Gedanken brachen ab. Die bunten Ringe vor seinen Augen wurden schwarz, und dann war es Nacht um ihn. Das Eisen fiel aus seiner kraftlosen Hand.

Und so konnte er nicht mehr sehen, daß Dave Prucells' die Arme hochriß und auf das Gesicht schlug. Mit einer Kugel im Herzen, die hier auf ihn gewartet hatte – hier in Waco.

Ein mitleidloser Weidekrieg war ausgefochten. Und gewonnen!

Die Bürger der Stadt Waco strömten auf der Fahrbahn und den Sidewalks zusammen. Sie rannten mit rudernden Armen zu Dave Prucells. Sie atmeten auf, wie von einer schlimmen Plage befreit, als sie ihn herumdrehten und erkannten, daß er tot war. Dann stürmten sie weiter, hinüber zum Brazos-Inn, zu McKinley, dem Longtrailreiter.

Dort standen sie unschlüssig herum. Sie zogen ihre großen Hüte und drehten sie verlegen in den Händen. Sie waren heilfroh, als sich Doc Sandforth einen Weg durch ihre Mitte bahnte. Der Arzt kniete nieder und riß das blutige Hemd auf.

Hastig untersuchte er den Mann. Seine Hände zitterten dabei. Doch dann wurde er ruhig. Er richtete sich auf und schob sich seinen schwarzen Hut aus der Stirn.

»Die Stadt Waco wird ihren Helden behalten, Leute!« sagte er lächelnd.

Viele schlugen sich vor Freude auf die Schulter und stülpten

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ihre Hüte wieder über die Köpfe. Doch plötzlich fuhren sie alle auf. Eine Mannschaft von mehr als dreißig Cowboys ritt in die

Stadt. Die Spitze hielt Way Shane, und neben ihm ritt May Clayr, die es auf der Ranch allein nicht ausgehalten hatte.

Vor dem Inn hielten sie an und sprangen aus den Sätteln. May stieß einen Schrei aus und eilte durch die Menge zu

Daniel. Sie kniete nieder und barg seinen Kopf in ihrem Schoß. Große Tränen fielen auf sein Gesicht.

Die Männer, die um Daniel, den Doc und das Girl herumstanden, bekamen harte und graue Gesichter. Die Tränen des Mädchens waren für sie alle wie ein bitterer Vorwurf, weil sie es zugelassen hatten, daß ein Mann es für sie allein ausgefochten hatte.

Doch der Doc hob den Kopf, und seine Worte waren für sie und auch für May die reinste Erlösung.

»Er wird bald wieder auf eigenen Beinen stehen und einen Gaul besteigen können. Er hat viel Blut verloren, aber die Wunden sind nicht gefährlich. Er hat es vergessen, noch ehe der Sommer ins Land zieht.«

* * *

Alles andere war schnell geklärt. Die Ranch von Jim Brothers zerfiel, da sie keinen Erben hatte.

Das Land wurde versteigert. Besitzer wurden die Kleinrancher, die das Land billig und auf Kredit bekamen. Es wurde so aufgeteilt, daß jede Ranch im Valley Landanteile am River erhielt.

Daniel McKinley, der Mann, der Jim Brothers und dessen rauhes Rudel zerschlagen hatte, ritt wieder.

Doch er ritt nicht weiter auf seinem langen Trail, sondern er ritt mit May Clayr zur Kirche.

Und in Waco standen die Leute an diesem Tag auf den

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Sidewalks und warfen ihre Hüte in die Luft. Der lange Ritt von Daniel McKinley war zu Ende.

ENDE


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