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Drägerheft - draeger.com · 2018. 5. 22. · Technisches Gerätemanagement von Dräger bietet...

Date post: 16-Mar-2021
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Drägerheft Technik für das Leben 2017 Drägerheft 402 2. Ausgabe 2017 Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte Gewalt gegen Einsatzkräfte Lust auf Neues! Zwei ehemalige Studenten erfinden ein innovatives Gasmessgerät S. 40 Bart ab! Wer Atemschutz trägt, muss mancher Mode entsagen S. 22 Leinen los! Im Baukastensystem entstehen neue Kreuzfahrtriesen S. 34 Wenn Gaffer plötzlich zu Gegnern werden
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Drägerheft Technik für das Leben 2017

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rägerheft 402

2. Ausgabe 2017

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lizisten und Rettung

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Einsatzkräfte

Lust auf Neues!Zwei ehemalige Studenten erfinden ein innovatives Gasmessgerät S. 40

Bart ab!Wer Atemschutz trägt, muss mancher Mode entsagen S. 22

Leinen los!Im Baukastensystem entstehen neue Kreuzfahrtriesen S. 34

Wenn Gaffer plötzlich zu Gegnern werden

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2 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

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Inhalt 402

6 GEGNERSCHAFT

Gewalt gegen Einsatzkräftebleibt ein Rätsel: Warum

werden sie angegriffen statt unterstützt? Eine irritierende

Haltung, die vielen Helfern dennoch vertraut vorkommt. Neben Erklärungen gibt es

auch Konzepte dagegen.

34 AUF GROSSER FAHRT

Europas Werften dominieren den Markt, wenn es um den Bau von Kreuzfahrtschiffen geht. Lokaltermin bei der Meyer Werft in Papenburg, die einen Weltmarkt aufmischt, der immer größere Ansprüche stellt.

14 WENIG SPIELRAUM

Bei Neugeborenen bietet deren Luftröhre wenig Spielraum für die korrekte Positionierung des Tubus bei der Narkose. Eine große europäische Studie wertete die Erfahrungen auf diesem Gebiet nun aus – und lieferte überraschende Erkenntnisse.

Circa 30.000 Barthaare

haben Männer durchschnittlich im Gesicht – mehr ab Seite 22.

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3DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Die Beiträge im Drägerheft infor-

mieren über Produkte und deren

Anwendungsmöglichkeiten im Allge-

meinen. Sie haben nicht die Bedeu-

tung, bestimmte Eigenschaften der

Produkte oder deren Eignung für

einen konkreten Einsatzzweck zuzu-

sichern. Alle Fachkräfte werden auf-

gefordert, ausschließlich ihre durch

Aus- und Fortbildung erworbenen

Kenntnisse und praktischen Erfah rungen an zuwenden. Die

Ansichten, Meinungen und Äußerungen der namentlich

genannten Personen sowie der Autoren, die in den Texten

zum Ausdruck kommen, entsprechen nicht notwendiger-

weise der Auffassung der Dräger werk AG & Co. KGaA. Es

handelt sich ausschließlich um die Meinung der jeweili-

gen Personen. Nicht alle Produkte, die in diesem Magazin

genannt wer den, sind weltweit erhältlich. Ausstattungs -

pakete können sich von Land zu Land unter schei den. Än-

derungen der Produkte bleiben vorbehalten. Die ak tuellen

Informatio nen erhalten Sie bei Ihrer zuständigen Dräger-

Vertretung. © Drägerwerk AG & Co. KGaA, 2017. Alle Rechte

vorbehalten. Diese Veröffent lichung darf weder ganz noch

teilweise ohne vorherige Zustimmung der Drägerwerk AG

& Co. KGaA wiedergegeben werden, in einem Datensystem

gespeichert, in irgendeiner Form oder auf irgendeine Wei-

se, weder elektronisch noch mechanisch, durch Fotokopie,

Aufnahme oder andere Art übertragen werden.

Die Dräger Safety AG & Co. KGaA, Lübeck, ist Hersteller

der FPS 7000 (Seite 23), des X-am 7000 (Seite 36 f.), von

Flugzeugbrand-Simulatoren (Seite 44 ff.), des DrugTest

5000 (Seite 63) sowie des Secor 7000 (Seite 68). Die Dräger

MSI GmbH, Hagen, ist Hersteller des X-pid 9000/9500

(Seite 42 ff.). Die Drägerwerk AG & Co. KGaA, Lübeck, ist

Hersteller des Zeus IE [Infi nity Empowered] (Seite 16),

des PulmoVista 500 (Seite 26 ff.) und des Babyleo TN500

(Seite 56). Die Draeger Medical Systems Inc., Telford/

USA, ist Hersteller des Infi nity M540 (Seite 52).

H E R A U S G E B E R : Drägerwerk AG & Co. KGaA,

Unternehmenskommunikation

A N S C H R I F T D E R R E D A K T I O N : Moislinger Allee 53–55, 23558 Lübeck

[email protected]

C H E F R E D A K T I O N : Björn Wölke,

Tel. +49 451 882 2009, Fax +49 451 882 2080

R E D A K T I O N E L L E B E R A T U N G : Nils Schiffhauer

A R T D I R E K T I O N , G E S T A L T U N G , B I L D R E D A K T I O N U N D K O O R D I N A T I O N :Redaktion 4 GmbH

S C H L U S S R E D A K T I O N : Lektornet GmbH

D R U C K : Dräger+Wullenwever print+media Lübeck

GmbH & Co. KG

I S S N : 1869-7275

S A C H N U M M E R : 90 70 431

www.draeger.com

IMPRESSUM4Menschen, die bewegenDavid Casolaro trainiert

Flughafenfeuerwehrleute bei

Châteauroux, Stanisław Wojtan

arbeitet als Krankenpfleger

in Krakau.

6Freund oder Feind?Warum werden Einsatzkräfte angegrif-

fen, und woher rührt die Ablehnung?

14Kein KinderspielEine große europäische Studie

hat gezeigt, dass Narkosen bei

Kindern komplikationsträchtiger

sind als bislang angenommen.

18Haushohes Risiko?Bei der Feuerkatastrophe im Londoner

Grenfell Tower spielten sich erschüt-

ternde Szenen ab. Wie steht es um den

Brandschutz deutscher Hochhäuser?

22Haarige AngelegenheitFrüher galt der Bart als Schutz vor

Rauchgasen, heute ist er Atemschutz-

geräteträgern untersagt. Zu Recht?

26Auf einen BlickDie elektrische Impedanztomographie

bringt die Atmung auf den Bildschirm.

30 Die Krux mit den KeimenVon den Risiken der Desinfektion.

32Keime im KrankenhausUS-Forscher haben untersucht,

wie sie sich in einer neu

eröffneten Klinik ausbreiteten.

34Ein Schiff wird kommenRund eine Viertelmillion Menschen

bestaunen jährlich, wie in der Ems-

Region neue Kreuzfahrtriesen entstehen.

40 Start-up mit guter NaseZwei ehemalige Studenten entwickeln

ein Gasmessgerät und gründen ein Unter-

nehmen, an dem sich Dräger beteiligt.

44Feuer und Flamme In Frankreich steht das weltweit

einzige ICAO-zertifizierte Trainings-

zentrum für Flugzeugbrände.

50„Wir tragen das Risiko“Technisches Gerätemanagement

von Dräger bietet Service aus

einer Hand – wie am Universitäts-

klinikum Schleswig-Holstein.

54Mit 500 Gramm ins LebenAuch in Krakau helfen Eltern ihren

Frühchen in die Zukunft.

58Drogenjagd in Los AngelesDas LAPD bildet Polizisten aus,

die gezielt gegen Drogenkonsumenten

ermitteln.

64Schnaps-DrosselnAuch Tiere trinken – und schlagen

dabei mitunter über die Stränge.

67Was wir beitragenProdukte von Dräger, die im Zusammen-

hang mit dieser Ausgabe stehen.

68Secor 7000So funktioniert der Atemregler für

Tauchgänge im professionellen Umfeld.

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ERFAHRUNGEN AUS ALLER WELT

4

Menschen,die

bewegen

David Casolaro, 44, Feuer-wehrmann und Trainer am Ausbildungszentrum C2FPA bei Châteauroux/Frankreich

„Als Kind wohnte ich gerade mal 200 Meter von einer Feuerwache entfernt. Mein Cousin war Mitgliedbei der freiwilligen Feuerwehr. Ich fand das spannend – mit 16 trat ich auch dort ein. Das war in Velaux, einem kleinen Ort in der Provence. Viele Einsätze hatten wir nicht. Mein Vorgesetzter war zuvor bei der Feuerwehr in Marseille. Er riet mir, mich dort zu bewerben.

Mit 22 bin ich dann dem Bataillon des Marins-Pompiers de Marseille beigetre-ten. Marseille hat eine große Altstadt, dahin wurden wir oft zu Bränden gerufen. Im Sommer hatte ich häufiger Einsätze bei Waldbränden. Je nach Wind und Bewuchs wüten Feuer in der Natur sehr unterschiedlich. Schlimm waren die Waldbrände in Südfrank-reich im Jahr 1997. Die dauerten drei Tage. Fast 19 Jahre bin ich in Marseille geblieben. Danach war ich am Flugha-fen Marseille-Provence und habe mich bei Airbus Helicopters um Hubschrau-berbrände gekümmert. Seit drei Jahren trainiere ich nun Flughafenfeuerwehr-

leute am C2FPA. Wir üben an Flug-zeugbrand-Simulatoren und kommen der Realität sehr nahe. Es geht darum, die Pompiers auf alle möglichen Sze-narien vorzubereiten – auch wenn auf Flughäfen nur selten etwas passiert. Das Leben eines Brandschützers be-steht aus vielen Übungen für den Tag X. Bei meinen Einsätzen in Marseille habe ich einige Tote gesehen. Solche Bilder bekommt man nicht mehr aus dem Kopf. Aber als Feuerwehrmann ist man nicht allein, sondern im Team. Wichtig ist, mit den Kollegen über das Erlebte zu sprechen. Das muss raus, um weitermachen zu können.“

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Stanisław Wojtan, 52, leitender Krankenpfleger am Universitätskrankenhaus in Krakau/Polen„An meiner Tür steht die Funktion ,Head Nurse‘. Mancher ist dann überrascht, wenn er mich hinter dem Schreibtisch sitzen sieht. Aber ,Schwester‘ ist eben die Berufsbezeichnung – für genau den Job, der mir Spaß macht. Schon als Jugend-licher wollte ich im Krankenhaus arbeiten und besuchte 1984 die Schwesternschule. Als Mann war ich da in der absoluten Minderheit, also stärker sichtbar, und musste somit immer etwas besser sein! Sechs Jahre später fing ich dann hier an. Wir haben 30 Intensivbetten, sechs OP-Säle und neun Aufwachbetten. Ich organisiere das Team der Pflegekräfte: 140 sind wir insgesamt, 30 von ihnen muss ich jeden Tag einteilen. Manchmal habe ich zwei Handys gleichzeitig an den Ohren und vor mir den Bildschirm, auf dem ich die Pläne für die Zwölf-Stunden-Schichtensehe. Unser Krankenhaus liegt mitten in Krakau und wurde 2013 zu einer zen tralen Aufnahmestelle für einen Massen anfall von Verletzten ausgebaut. Gott sei dank ist das noch nicht passiert. Auch nicht beim Besuch von Papst Franziskus zum 31. Weltjugendtag 2016, als wir in der Stadt über zwei Millionen Besucher hatten. Der Papst hat sogar auf unserer Station vorbeigeschaut! Alle sechs Monate trainieren wir den Ernstfall, um gut gerüs-tet zu sein. In der Stadt haben wir weniger Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden; in ländlichen Gegenden ist das schon schwieriger. Daher engagiere ich mich in der Ausbildung und gebe Kurse an der Universität, um junge Leute für die-sen Beruf zu begeistern. Von der Arbeit erhole ich mich beim Skifahren. Auf der Piste bekommt man einen freien Kopf.“

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FOKUS GESELLSCHAFT

AUF EINER DEMONSTRATION IN KÖLN WERDEN SANITÄTER MIT PFLA

+++ IN EINER SCHWEIZER NOTAUFNAHME RANDALIEREN FAMILIENANG

GIPFELN IN VANDALISMUS +++ WÄHREND EINES GROSSEINSATZES

ARBEIT GEHINDERT UND TÄTLICH ANGEGRIFFEN +++ PARIS, WIEN, BERL

Einsatzkräfte jeglicher Couleur müssen heute einiges über sich ergehen lassen. Gewalt gegen sie gehört fast schon zum Alltag. Warum ist das so, und woher rührt die Ablehnung?

Text: Isabell Spilker

Freund

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Es fehlten nur wenige Zentimeter. Das

wird Feuerwehrmann Frank Hachemer

allerdings erst bewusst, als ihn ein Kolle-

ge auf die Bierflasche hinweist, die neben

ihm zerschellte. Der nächtliche Einsatz

in einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz lös-

te Unmut beim Nachbarn aus: Genera-

toren, Schlauchkupplungen, Blaulicht –

der Schlaf war gestört, die Brandschützer

wurden angegriffen. Warum richtet sich

manche Wut ausgerechnet gegen jene,

die Menschen helfen und ohnehin schon

am Limit schuften? Einige Krankenhäu-

ser in den USA schützen sich mittlerweile

durch Mauern und Kontrollpunkte. Mit-

arbeiter werden in Deeskalation geschult,

Rettungswagen fahren auch in Deutsch-

land manchmal nur unter Polizeischutz

in bestimmte Gebiete.

Schüsse aus dem HinterhaltFür Frank Hachemer, Vizepräsident des

Deutschen Feuerwehrverbands, war die

zerplatzte Bierflasche wie ein Alarm-

ruf: Helfer sind nicht mehr unantastbar,

ganz gleich ob sie bei der Polizei, freiwil-

ligen Feuerwehr, Berufsfeuerwehr oder

in Krankenhäusern, Arztpraxen oder Ret-

tungsdiensten arbeiten. Hachemer ist seit

Kindheitstagen in der freiwilligen Feuer-

wehr und kämpft heute mit der Aktion

„Helfende Hände schlägt man nicht!“ um

mehr Aufmerksamkeit für das Thema.

Mit einer ähnlichen Aktion sorgt auch

die „Junge Gruppe“ der Gewerkschaft

der Polizei für Aufsehen: „Auch Mensch“

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ASTERSTEINEN BEWORFEN, RETTUNGSWAGEN IN BRAND GESTECKT

GEHÖRIGE EINER WERDENDEN MUTTER. UNFLÄTIGE BESCHIMPFUNGEN

IN ROCHESTER/USA WERDEN FEUERWEHRLEUTE MASSIV AN IHRER

LIN: POLIZISTEN WERDEN BEDROHT, BESPUCKT UND GESCHLAGEN +++

oder Feind?Die Polizei, dein Feind und Helfer?

In Paris kam es am 1. Mai 2017 zu schweren Ausschreitungen. Randalierer warfen Molotowcocktails

und verletzten vier Polizisten zum Teil schwer

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FOKUS GESELLSCHAFT

8 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

will für die zunehmende Aggression und

Gewalt gegen Polizisten sensibilisieren.

Die Gewalt gegen Einsatzkräfte hat

in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr

um elf Prozent zugenommen. Im vergan-

genen Jahr lag sie bei über 26.000 Fäl-

len, dabei wurden mehr als 2.000 Polizis-

ten zum Teil schwer verletzt. Auch in der

Schweiz stiegen die Aggressionen gegen-

über Beamten und Behörden in den ver-

gangenen 20 Jahren – von 423 auf 2.808

Fälle jährlich. In Österreich wurden 2016

so viele Beamte angegriffen wie nie zuvor:

1.039 erlitten Verletzungen. In den USA

befindet sich die Zahl der im Einsatz getö-

teten Polizisten mit 135 auf einem Fünf-

jahreshoch und liegt dennoch unter dem

Durchschnitt (151) der letzten zehn Jah-

Hannover: Die Arbeit der Rettungskräfte zu fotografieren, und sich damit in sozialen Netzwerken zu brüsten, ist heute

mitunter wichtiger, als die Helfer ungehindert arbeiten zu lassen – und eine Facette des veränderten Respekts gegenüber Rettungskräften

re. Bedenklich ist allerdings die Zahl

derer, die unter Vorsatz getötet wurden:

21 von 64 tödlichen Schüssen kamen aus

einem Hinterhalt.

Nicht wirklich willkommenFür ihre Studie „Gewalt gegen Rettungs-

kräfte“, eine der ersten ihrer Art in

Deutschland, hat die Juristin Dr. Janina

Lara Dressler mehr als 1.600 Feuerwehr-

leute und Rettungskräfte befragt. Dabei

spürten gut 85 Prozent einen Respektver-

lust gegenüber ihrer Zunft. Die Studie

offenbart: Die Zahl der Übergriffe über-

steigt die Anzahl der tatsächlichen Anzei-

gen deutlich. „Feuerwehrleute sind heu-

te für die allermeisten Menschen immer

noch die Guten, aber es scheint eine stei-

26.000 Angriffe auf Einsatzkräfte wurden 2016 in Deutsch-land registriert

Bremervörde: Drei Männer behindern im Juli 2015, nach einem tödlichen Unfall, die Arbeit der Rettungskräfte. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Im vergan-genen Jahr mussten sie sich vor Gericht verantworten – das Urteil erging im April 2017

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9DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Frank Hachemer, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands

„Gefühlt wird es schlimmer“Herr Hachemer, stellen Sie eine zunehmende aggressive Grundhaltung gegenüber Feuerwehrleuten fest?Die gesamtgesellschaftliche Situation schlägt sich auch in unserer Arbeit nieder. Das Verhältnis zwischen uns und den Menschen um uns herum hat sich geändert. Wir sind nicht mehr wie früher durch eine natürliche Autorität geschützt. Die Feuerwehr wird mittlerweile oft gleichgestellt mit der Polizei, als Staatsmacht. Viele Menschen differenzieren da nicht. Wir schneiden zwar als Beruf mit dem höchsten Vertrauen ab, aber das schützt uns vor gar nichts.Wird diese Entwicklung auch bei Themen wie der Rettungsgasse sichtbar?Auch das ist ein gesellschaftliches Problem. Das „Ich“ steht an erster Stelle. Es hat nicht mehr oberste Priorität, Einsatzwagen durchzulassen, sondern selbst dabei gut wegzukommen. Unsere Gesellschaft ist zunehmend darauf bedacht, alles an einer Frage auszurichten: Was bringt mir das? Sind für Sie Beschimpfungen schon Gewalt oder erst Handgreiflichkeiten?Es gibt verbale Gewalt. Der atmosphärische Umgang ist entscheidend dafür, wie ich mich fühle. Gefühlt wird es schlimmer, das melden viele Kameraden. Wenn früher Schaulustige auch mal unwirsch zurückgedrängt wurden, gab es kein Murren. Heute wird diskutiert und infrage gestellt. Das alles sorgt für eine angespanntere Atmosphäre.Werden Einsatzkräfte heute in Deeskalation geschult?Das wird von den Kollegen sehr unterschiedlich gehandhabt und akzeptiert – je nach Landesverband. Wir haben die Aktion „Helfende Hände schlägt man nicht“, die Multiplikatoren ausbildet und das Thema weitertragen soll. Der Bedarf daran wird größer.

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gende Anzahl an Personen zu geben, die

das nicht mehr so sehen“, so Dressler. „Sie

ordnen die Feuerwehr in ihr Feindbild

,Staatsdiener‘ ein und verkennen damit

die Absicht der Hilfeleistung.“ In man-

chen Situationen werde Brandschützern

das Recht auf seelische Unversehrtheit

geradezu abgesprochen – weil sie in ihrer

Uniform als „Staatsdiener“ wahrgenom-

men werden. „Dabei wird völlig ignoriert,

dass mehr als 95 Prozent der Feuerwehr-

leute in Deutschland ihren Dienst frei-

willig und ehrenamtlich tun“, bekräftigt

Frank Hachemer. „Und gerade die tref-

fen solche Angriffe besonders.“ Wer einen

Feuerwehrmann schlage oder beschimp-

fe, gerate mit einiger Sicherheit an jeman-

den, der weder per se den Staat repräsen-

tiert noch für seine Arbeit bezahlt wird.

Von zunehmender Gewaltbereitschaft

und Übergriffen berichten auch Kliniken.

Hauptgrund hierfür ist neben der Über-

lastung des Personals oft mangelnde

Kommunikation. Wartende lässt man im

Unklaren darüber, nach welchem Schema

behandelt wird, der Blick für Notfälle fehlt

oder wird vom eigenen Empfinden über-

blendet. Fast ein Viertel der deutschen

Hausärzte hat schon einmal Gewalt erlebt.

„In der Psychotherapie oder Psychiatrie ist

das Risiko noch höher. Doch Anfeindun-

gen gibt es überall, das berichten auch

Kollegen aus anderen Fachrichtungen.

Geschimpft und gedroht wird bereits,

wenn kein Termin frei ist oder ich kein

Attest ausstellen kann“, bestätigt Dr. Hans

Ramm, Neurologe und Psychotherapeut

sowie Vorstandsmitglied der Hamburger

Ärztekammer. Dr. Ellen Douglas, Referen-

tin am Krankenhaus Buchholz, vor den

Toren Hamburgs, sagt: „Die Gewalt hat

zwar nicht zugenommen, aber wir haben

öfter mit Patienten zu tun, die nicht ver-

stehen, warum sie warten müssen. Der

Ton wird dann rauer.“ Sie empfänden es

als Schikane, nicht sofort behandelt zu

werden. Dr. Douglas verweist auf ein Pro-

blem, das viele Krankenhäuser kennen:

Notaufnahmen, die überlastet sind, mit

Nicht-Notfällen. Und gerade denen, die

schon wochenlang auf einen Facharzt-

termin warten und am Wochenende die

Geduld verlieren, platze beim Warten im

Krankenhaus endgültig der Kragen. Ähn-

lich, nur sehr viel deutlicher, erlebt es

Dr. Daniel Schachinger, Ärztlicher Lei-

ter der Zentralen Notaufnahme der DRK

Kliniken Berlin/Westend: „Seit gut zehn

Jahren nehmen die Angriffe spürbar zu.

Beschimpfungen, Handgreiflichkeiten

und auch massive körperliche Gewalt sind

zur Realität geworden.“

Das Problem wird sichtbarerObwohl die Berichte und Statistiken

deutlich sind, wiegeln viele Experten ab.

Der deutsche Sozialwissenschaftler und

Aggressionsforscher Klaus Wahl spricht

von subjektiven Eindrücken und sieht im

großen geschichtlichen Kontext keinen

gesamtgesellschaftlichen Trend zur Ver-

rohung: „Wir leben grundsätzlich in einer

immer friedlicher werdenden Welt –

die Gewalt nimmt stetig ab.“ Und auch

Dr. Rafael Behr, Professor für Polizei-

wissenschaften mit den Schwerpunkten

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10 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Kriminologie und Soziologie an der Aka-

demie der Polizei Hamburg, versucht zu

beruhigen: „Aktuelle Studien belegen

keinen eklatanten und übergreifenden

Anstieg der Gewalt. Das Problem drängt

nur stärker in die Öffentlichkeit und wird

sichtbarer.“ Die Übergriffe beträfen weni-

ger als ein Prozent aller Polizisten. Und

als schwer verletzt gelte bereits, wer mit

einer Gehirnerschütterung für 24 Stun-

den zur Überwachung ins Krankenhaus

müsse. „Aktuelle Studien zeigen, dass sich

die Wahrnehmung von Gewalt und Aggres-

sion verändert“, erklärt der Hamburger

Polizeiwissenschaftler. Die Menschen sei-

en heute viel entsetzter und berührter,

wenn ihnen Aggressivität begegne. Mit

der Berichterstattung da rüber potenziere

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG)

„Aus banalen Situationen wächst Aggression“Herr Wendt, gegen wen richtet sich die Gewalt gegenüber Einsatzkräften in Deutschland vor allem?Wir spüren eine zunehmende Gewalt gegen alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst – Lehrer ebenso wie Finanzbeamte, Justizbeamte, Zugbegleiter oder Polizisten. Die Bereitschaft zur Gewalt ist in der Gesellschaft angekommen. Es ist erschreckend: Aus banalen Situationen wächst Aggression.Woran liegt das?Die Gewalt richtet sich meist nicht gegen Einzelne, sondern gegen den Staat. Der Polizist, als Vollstrecker der staatlichen Gewalt, spürt einen zunehmenden Autoritätsverlust. Der Staat ist zum Dienst-leister geworden, der Bürger zum Kunden. Das war der falsche Weg.Wie ließe sich das Problem lösen?Durch einen starken Staat! Und das heißt nicht, eine stärkere Hand anzuwenden, sondern eine bessere Demokratie aufzubauen. Der öffentliche Dienst muss gestärkt werden. Wir brauchen mehr Personal. Ist die Strafmaßerhöhung für Angriffe gegen Polizisten ein möglicher Weg?Es ist schlimm, wenn Einsatzkräfte angegriffen werden. Ihnen gebührt ein strafrechtlicher Schutz. Wenn mit dem Gesetz vermieden werden kann, dass die Täter lächelnd und unbestraft davonkommen, ist der Sache geholfen – das gesellschaftliche Problem aber bleibt.

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Gewalt gegen Polizisten

richtet sich in erster Linie gegen den

Staat

Januar 2015: Die Bilder einer Überwachungskamera des Philadelphia Police Department zeigen, wie sich ein Mann mit gezogener Waffe dem Streifenwagen nähert, schießt und anschließend flieht. Der Polizeibeamte wird schwer verletzt

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GESELLSCHAFT FOKUS

11DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

ein schiefes Bild dieser Konfrontation. So

betont Polizeigewerkschaftspräsident Rai-

ner Wendt, dass 80 Prozent der Angriffe

auf Polizisten eben nicht auf Demonst-

rationen passieren, sondern im banalen

Alltag. Und der Kriminologe Prof. Behr

spricht von einer zunehmenden Gehor-

samsverweigerung der Zivilgesellschaft

gegenüber dem Staat. Dabei werden Feu-

erwehrleute, Rettungskräfte oder Ärzte

und Pflegekräfte oft in eben diese Schub-

lade gesteckt.

Respekt dank Fairness„Unsere Gesellschaft artikuliert, was

ihr missfällt, und stellt sich quer, was ja

grundsätzlich nicht verkehrt ist“, so Behr.

„Viele Polizisten aber nehmen genau das

stärker als Widerstand wahr.“ Sie ver-

stünden nicht, dass sich die Aggression

eben nicht gegen sie als Individuum rich-

tet, sondern gegen den Staat, den sie mit

ihrer Uniform repräsentieren. Ist zuneh-

mende Respektlosigkeit also die Ursache?

Sie würde die Angriffe auf Helfer erklären.

Doch auch hier gibt es keine allgemeingül-

tige Antwort. „Die Bedingung für Respekt

ist Fairness“, bekräftigt Behr. „Respekt

ist nicht einfach da, sondern entsteht erst

in einer sozialen Interaktion.“ Es bedarf

guter Kommunikation, für die sich aller-

dings nicht jede Gelegenheit eignet: Ein

brennendes Haus, ein schwerer Unfall,

eine überfüllte Notaufnahme – all diese

Situationen erfordern ein professionelles

Vorgehen, wobei oft keine Zeit für Erklä-

rungen oder gar Diskussionen bleibt. Die

Zeit ist knapp, was herrisch wirken und

zur Eskalation beitragen kann. Mehr als

60 Prozent der tätlichen Angriffe geht von

sich das Gefühl – alles werde nur noch

schlimmer und brutaler. „Wir sehen die

Dinge aus einer vergleichenden Perspek-

tive. Nach dem Motto: ,Früher hat es das

nicht gegeben!‘ Wer aber glaubt, früher

hätten die Leute gewusst, wann man auf-

hört, und wären Menschen, die am Boden

liegen, nicht getreten worden, der irrt.“

Es sei der Versuch, durch scheinbar prä-

zise Erinnertes die Entwicklung einzu-

ordnen und zu deuten. Tatsächlich ist es

meist nicht mehr als das Erstaunen über

das Unerklärliche.

Ausdruck von EmanzipationRichten sich Aggressionen gegen Helfer,

muss zunächst unterschieden werden

zwischen der Gewalt gegen Polizisten und

der gegen Rettungskräfte. Während sich

Angriffe auf Feuerwehrleute und ande-

re Helfer durch eine Ablehnung der Hilfe

an sich erklären lassen, geht es bei jenen

gegen Polizisten eher um einen Aufstand

gegen den Staat. Es scheint, dass sich der

Respekt in den vergangenen Jahren konti-

nuierlich verändert hat. Eltern und Schu-

le erziehen dazu, staatliche Autoritäten

auf Augenhöhe wahrzunehmen. Hierzu

gesellt sich eine latente Wut über alles,

was im eigenen Leben oder im Land nicht

funktioniert. Dafür wird meist der Staat

verantwortlich gemacht, der dann in Uni-

form, etwa als Polizist, vor einem steht.

Ihn nimmt der Bürger nicht mehr als Mit-

bürger wahr, sondern als Personifizierung

des Staates. Die Medien liefern mitunter

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Nach einem gezielten Attentat starben 2012 zwei Brandschützer im US-Bundesstaat New York – zwei weitere wurden verletzt. Auf einem Feuerwehrwagen tragen die Männer des West Webster Fire Department einen der Kollegen zu Grabe

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FOKUS GESELLSCHAFT

12 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Alkoholisierten aus. „Alkohol ist wie ein

Katalysator: Er senkt die Hemmschwelle,

hebelt Kontrollmechanismen aus und ver-

stärkt vorhandene Verhaltenstendenzen“,

sagt Sozial wissenschaftler Wahl. Wer zur

Gewalt neige, wird sich unter Alkoholein-

fluss noch schwerer kontrollieren können.

Zunehmendes Maß an BrutalitätDie Neigung zur Gewalt wird durch vie-

le Faktoren bestimmt. Einerseits von

biologischen, wie Sensibilität oder Tem-

perament. Noch stärker wirken sich Lern-

komponenten aus. „Gewalt ist in aller

Regel gelernte Gewalt“, sagt Dr. Ulrich

Wagner, Professor für Sozialpsychologie

an der Universität Marburg. „Wir lernen

von anderen, wie man sie auslebt und

zum Erfolg führt.“ Aber auch Frustrati-

on, Unzufriedenheit und die Unfähigkeit,

Konflikte zu lösen, führten zu gewalttäti-

gem Verhalten. Besonders auffällig und

mit einer ganz eigenen Dynamik präsen-

tieren sich aggressive Tendenzen in Grup-

pen. „Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe

führt dazu, andere – die nicht dazugehö-

ren – abzuwerten“, sagt Wagner. „Das

geht bis zu einer Entmenschlichung der

Fremden.“ Vor allem dieser Mechanis-

mus der Abwertung erklärt viele Gewalt-

taten – übrigens auf beiden Seiten. Denn

auch bei Polizisten greifen dieselben grup-

pendynamischen Verhaltensmuster. „Man

sieht die Übergriffe der jeweils anderen

Seite gegen die eigene Gruppe gerichtet“,

so Wagner. „Das erhöht die Bereitschaft,

sich mit Gegengewalt zu revanchieren.“

Auch deshalb sei das Vermummungsver-

bot sinnvoll, weil eine Anonymität in der

Masse derartige Gewaltbereitschaft noch

erhöhe. Und doch sind es häufig Einzel-

ne, die zu Tätern werden und Flaschen

werfen, Gerätschaften demolieren oder

Pflegekräfte drangsalieren. Individuel-

Sachbeschädigung: In Bergisch Gladbach wurde während eines Einsatzes ein Rettungswagen gestohlen und zerstört

Die Zugehörig-keit zu einer

Gruppe führtdazu, andere

abzuwerten

Oft entlädt sich im Kontakt mit Rettungskräften eine aufgestaute Wut. Ein Patient mit zwei schmerzenden Gipsbeinen im österreichischen Wels prügelte sogar auf einen Sanitäter ein, weil ihm die Aufnahme in ein Krankenhaus verwehrt wurde

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13DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Der Theologe, Notfallpsychologe und Rettungsassistent Michael Steil ist Gründer des Netzwerks zur psychosozialen Notfallversorgung sowie Buchautor

„Dann machen die Menschen ihrem Ärger Luft“Herr Steil, war es vor 20 Jahren leichter, Menschenleben zu retten?Heute ist der Anspruch daran zumindest gestiegen. Nicht nur gegenüber dem Qualitätsmanagement, sondern auch gegenüber der Leistung der Rettungsdienste an sich. Wir leben in einer Gesellschaft mit Versorgungsmentalität: Es gibt für alles eine Lösung. Und wenn es die nicht gibt, dann machen die Menschen ihrem Ärger Luft – zur Not auch gegenüber Einsatzkräften.Gilt das für alle Bevölkerungsschichten?Das Verhalten lässt sich bei allen Bevölkerungsschichten beobachten. Der Auftrag der Rettungskräfte wird, etwa im Kampf um das beste Foto – getreu dem Motto: ,Mittendrin statt nur dabei‘ – mitunter völlig ignoriert, ihre Arbeit manchmal sogar behindert oder verunglimpft.In der Berufsstatistik ist Rettungssanitäter aber ein angesehener Beruf!Das mag sein. In der Realität aber müssen Rettungssanitäter in immer weniger Zeit immer größere Strecken zurücklegen. Unser Sicherheitsbedürfnis ist gegenläufig zur Versorgungsrealität – so entsteht Frust bei den Patienten.

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le, aggressive Täter – ohne Alkoholein-

fluss, ohne Gruppenzugehörigkeit, ohne

psychische Vorerkrankung. Der Konflikt-

forscher Professor Dr. Klaus Wahl erklärt

die mögliche Entstehung dieser Aggressi-

on als Zusammenspiel von Gedanken und

Gefühlen: „Diese Menschen mit einem

überempfindlichen Sozialradar bewe-

gen sich in einer Welt von Feinden. Das

ist zumindest ihr subjektiver Eindruck.“

Sie hätten auffallend oft eine verzerr-

te Wahrnehmung der Gefühle und Ver-

haltensweisen anderer Menschen – und

interpretierten ein normales Verhalten

als provokant, bedrohlich oder aggressiv

und gegen sich gerichtet. Oft neigten sie

dazu, dem durch eigene Gewalt zuvorzu-

kommen und sich zu wehren. Professor

Wagner sieht im Gegensatz zu seinen Kol-

legen eine Steigerung in der Heftigkeit der

Übergriffe. „Seit geraumer Zeit scheint

es bei einigen Tätern ein zunehmendes

Maß an Brutalität zu geben“, formuliert er

jedoch eher vorsichtig. Das könne – psycho-

logisch betrachtet – zwei Gründe haben:

ein großes Maß an Erregbarkeit sowie das

Erlernen von Gewalt. „Das Betrachten

aggressiver Medien und Computerspiele

erhöht die Aggressionsbereitschaft, das ist

wissenschaftlich gut abgesichert.“ Men-

schen seien dann nicht nur eher bereit,

mit Aggression zu reagieren, es sei auch

die Art beeinflusst, wie reagiert werde.

„Der Mensch ist ein lernendes Wesen.“

Lösungen sucht jeder für sich. Wäh-

rend Feuerwehren am Image des Helfers

arbeiten, verspricht die in Deutschland

jüngst verabschiedete Strafmaßerweite-

rung härtere Konsequenzen für Angrif-

fe auf Polizisten. Sowohl Ärzte als auch

Rettungskräfte fühlen sich benachteiligt.

Sozialwissenschaftler Wagner sieht das

nicht unkritisch: „Welches Signal wird

denn da ausgesendet, wenn Übergriffe

auf eine Berufsgruppe härter geahndet

werden als auf andere?“ Vielversprechen-

der scheinen Wege zu sein, die einen mit

kommunikationsstarkem Personal und

effizienten Deeskalationsstrategien aus-

statten. Moderne Notaufnahmen haben

das Problem erkannt und begegnen ihm

mit großen, offenen Wartezonen sowie

transparenten Aufnahme- und Behand-

lungsverfahren. Und auch Feuerwehren

und Rettungsdiensten ist mit personeller

Aufstockung, kürzeren Wartezeiten und

Schulungen mehr geholfen als mit höhe-

ren Strafen für Gewalttäter. Ein respekt-

voller Umgang beruht auf Gegenseitig-

keit. „Meist sind nicht die Konflikte das

Problem, sondern der Mangel an Kompe-

tenz, sie zu lösen“, findet Wagner.

LITERATURJanina Lara Dressler:Gewalt gegen Rettungskräfte. Eine kriminologische Großstadtanalyse, LIT Verlag

Hans-Peter Nolting: Psychologie der Aggression. Warum Ursachen und Auswege so vielfältig sind, Rowohlt

Hochschule der Polizei Hamburg (Hrsg.): Die Polizei als „Freiwild“ der aggressiven Spaßgesellschaft Verlag für Polizeiwissenschaft

Michael Steil:Gib der Gewalt keine Chance: So schützen Sie Ihre Kameraden und sich selbst am Einsatzort! ecomed Sicherheit

„DIE MEISTEN SIND GESTRESST“Dr. Daniel Schachinger, Ärztlicher Leiter in Berlin, über aggressive Pa-tienten, geeignete Deeskalationsmaß-nahmen und die Macht der Reflexion. www.draeger.com/402-13

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Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene, das gilt auch in der Medizin. Eine große europäische Studie hat gezeigt, dass NARKOSEN bei ihnen komplikationsträchtiger sind, als bislang angenom-men – und unterstreicht, wie wichtig eine längere Einarbeitung in dieses schwierige Feld ist.

Text: Dr. Hildegard Kaulen Fotos: Patrick OhligschlägerKeinKinderspiel

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 201714

KRANKENHAUS ANÄSTHESIE

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Manchmal lassen sich Herausforderungen an kleinen Dingen

festmachen: Die Luftröhre eines Neugeborenen ist gerade mal

vier Zentimeter lang und hat einen Durchmesser von vier Mil-

limetern. Mehr Spielraum gibt es nicht für die korrekte Posi-

tionierung des Tubus während einer Narkose. Mehr noch: Die

Atemwege eines Neugeborenen sind wegen seiner untrainier-

ten Stütz- und Atemmuskulatur wenig stabil. Der Brustkorb ist

elastisch und kann durch paradoxe Bewegungen den Eindruck

erwecken, dass die Lunge belüftet wird, obwohl dies gar nicht der

Fall ist. Ungewöhnlich ist auch, dass sich die engste Stelle in den

Atemwegen nicht – wie bei Erwachsenen – auf Ebene der Stimm-

ritze befindet, sondern tiefer. Und: Kinder brauchen etwa doppelt

so viel Sauerstoff je Kilogramm Körpergewicht wie Erwachsene,

weil sie einen höheren Grundumsatz haben. Wenn sie ausatmen,

bleibt nur wenig Sauerstoff in den Lungen zurück. Neugebore-

ne und Säuglinge geraten deshalb schnell in Atemnot, wenn der

Nachschub ausbleibt. Die Folgen können vielfältig sein, bis hin

zum Herzstillstand.

Bei Kindern fehlt oft das intuitive GefühlDr. Jost Kaufmann kennt diese Herausforderungen. Er ist seit

2009 Oberarzt am Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße in

Köln. Der Facharzt für Anästhesie und Pädiatrie ist auch als

Baby-Notarzt unterwegs. Geleitet wird die Abteilung von Profes-

sor Dr. Frank Wappler, der den Lehrstuhl für Anästhesiologie II

an der Universität Witten/Herdecke innehat. Was macht Kin-

dernarkosen eigentlich so komplikationsträchtig? „Bei Kindern,

insbesondere denen unter drei Jahren, ist nichts Standard“, sagt

Kaufmann. „Das fängt schon mit den anatomischen wie physio-

logischen Besonderheiten an – und endet bei der Dosierung der

Narkosemittel und Medikamente, die individuell berechnet und

ins Verhältnis zum Körpergewicht gesetzt werden müssen“, so

Kaufmann. „Dafür sollte man das Körpergewicht zunächst zuver-

lässig ermitteln und dokumentieren. Anästhesisten sind mit die-

sen Dosierungen meist weniger vertraut, weil sie Kinder in der

Regel nur selten narkotisieren – es sei denn, sie arbeiten in einem

M

Alles im Blick: Anästhesistin Katrin Bode, Schwester Ariane Habor und Oberarzt Dr. Jost Kaufmann (v. l. n. r.) verfolgen die Vital-daten ihres kleinen Patienten. Noch darf der Tiger dabei sein, dann muss er auf seinen Freund warten

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017 15

Voller Anspannung: Mit Tiger an seiner Seite

wartet dieser wenige Monate alte Patient auf

seine Narkose. Die Anspannung ist ihm

anzusehen

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16 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

spezialisierten Zentrum“, so der Oberarzt. „Vielen Kollegen fehlt

das intuitive Gefühl, ob ihre Berechnungen richtig oder falsch

sind. Ein Rechenfehler in der Größenordnung einer Zehnerpo-

tenz kann – je nach Medikament – das Leben und die Gesund-

heit eines Kindes erheblich gefährden.“

Komplikationen bei jeder 20. NarkoseFür Gesprächsstoff sorgt seit Frühjahr 2017 eine in der renom-

mierten Zeitschrift „The Lancet Respiratory Medicine“ erschie-

nene Studie: APRICOT* vermittelt einen Eindruck vom Stand

der Kinderanästhesien in Europa sowie von der Art und Häufig-

keit schwerer Komplikationen. Mit 261 beteiligten Kliniken aus

33 Ländern und 31.127 ausgewerteten Narkosen liefert sie die bis-

her größte Datenbasis in Europa. Professor Wapplers Abteilung

war mit 27 weiteren deutschen Zentren an der Datenerhebung

beteiligt. Die Kliniken sollten über einen Zwei-Wochen-Zeitraum

alle schweren Komplikationen melden, die sich aus anfallenden

und unfallbedingten Eingriffen an Kindern aller Altersklassen

ergeben haben. Als schwere Komplikation galten jene Ereignis-

se, die ein sofortiges Eingreifen erforderten, um Schaden von

den Kindern abzuwenden.

Schwere Komplikationen traten, den erhobenen Daten

zufolge, bei jeder 20. Kindernarkose auf. Zu den häufigsten zähl-

ten der Verschluss des Kehlkopfs sowie Krämpfe in der Bronchi-

almuskulatur. Beides verhindert die Belüftung der Lunge und

führt bei kleinen Kindern rasch zu einem Sauerstoffmangel.

Neun Kinder erlitten einen Herzstillstand und mussten reani-

miert werden. Das größte Risiko hatten sehr kleine und kran-

ke Kinder sowie jene mit risikoträchtigen Vorerkrankungen. Bei

der Studie traten auch große Unterschiede zwischen den einzel-

nen europäischen Ländern zutage. So wurden in einigen 20- bis

30-mal mehr schwere Komplikationen gemeldet. Es zeigte sich

auch, dass jedes zusätzliche Jahr an Erfahrung mit Kindernar-

kosen das Risiko für schwere Komplikationen um ein Prozent

senkte. Wer also viele Kinder anästhesiert, macht offensichtlich

weniger Fehler. Ein großer Pluspunkt der Studie ist ihre schiere

Größe. Nie zuvor wurden so viele Länder, Zentren und Kinder in

eine derartige Datenerhebung eingebunden. Es gibt allerdings

auch Kritikpunkte. Einer bezieht sich auf das Studiendesign. Die

beteiligten Anästhesisten haben die Vorkommnisse nach den Ein-

Schon ein kleiner Rechenfehler kann lebensgefährlich sein

Alles ist so anders: die

Umgebung, die Kleidung und von

der Anästhesie-schwester sind

nur die Augen zu sehen. Wie mag

sich der kleine Patient fühlen?

Zerbrechliche Wesen: An Säuglingen istalles winzig; der Körper, die Atemwege, die Blutgefäße. Man braucht Erfahrung, um sie zu narko-tisieren – wie hier am Kinder-krankenhaus Ams-terdamer Straße in Köln, mit dem Dräger Zeus IE

Erfahrung zählt: Ein eingespieltes Team ist überall wichtig; insbesondere aber dort, wo sehr kleine und kranke Kinder operiert werden

* Anaesthesia Practice In Children Observational Trial

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ANÄSTHESIE KRANKENHAUS

S2e-Leitlinie:Empfehlungen für die Medikamentensicherheit in der Kinderanästhesiewww.draeger.com/402-17

griffen selbst gemeldet, zusammen mit ihrer persönlichen Iden-

tifikationsnummer. So konnten die Meldungen den einzelnen

Personen zugeordnet werden. Objektiver wäre es gewesen, die

Narkosen von externen Beobachtern begutachten und die schwe-

ren Komplikationen von ihnen melden zu lassen. Bei einer Studie

dieser Größenordnung war das jedoch nicht möglich. „Bei Selbst-

berichten besteht immer die Gefahr, dass nicht alle Vorkommnis-

se ans Licht kommen“, sagt Professor Wappler. „Entweder, weil

sie gar nicht aufgefallen sind oder weil der Anästhesist sie nicht

weitergeben wollte.“ Dass wahrscheinlich nicht alles gemeldet

wurde, macht Dr. Jost Kaufmann auch an der Zahl der Medika-

mentenfehler fest. Nach den Daten der APRICOT-Studie hat es

nur bei einer von 500 Medikamentengaben einen schwerwiegen-

den Fehler gegeben: „Das deckt sich nicht mit unserer Erfah-

rung, auch nicht mit dem, was wir aus anderen Studien wissen.“

Qualitätsmängel oder mangelnde Fehlerkultur?Zur Medikamentensicherheit in der Kinderanästhesie hat er

2016, zusammen mit anderen Kollegen, eine Leitlinie veröffent-

licht, die sich auf eine evidenzbasierte Recherche stützt. „Wir

wissen aus einer Studie mit Erwachsenen, bei der externe Beob-

achter die Fehler gemeldet haben, dass bei jeder 20. Medika-

mentengabe ein Fehler aufgetreten ist. Weil jeder Patient in der

Regel zehn Medikamente und mehr bekommt, ist in jeder zwei-

ten Narkose ein Medikamentenfehler aufgetreten. Man kann

kaum glauben, dass es bei den vielen individuellen Dosierungen

in der Kinderanästhesie nur bei jeder 500. Medikamentengabe

zu einem Fehler gekommen sein soll.“ Ähnliches gilt für den Ver-

schluss des Kehlkopfs, den sogenannten Laryngospasmus. In der

APRICOT-Studie lag die Häufigkeit bei 1,2 Prozent – und damit

genauso hoch wie für einen Bronchospasmus, bei dem die Bron-

chialmuskulatur verkrampft. „Nach unserer Erfahrung und den

Angaben in der Literatur ist die berichtete Rate an Laryngospas-

men überraschend niedrig. Dabei dürfte es wesentlich häufiger

zu einem Laryngospasmus als zu einem Bronchospasmus kom-

men. Das spricht gegen eine vollständige Meldung aller Fälle.“

Auffällig ist auch der 20- bis 30-fache Unterschied zwischen den

Melderaten einzelner europäischer Länder. In einem Kommen-

tar zur Studie in „The Lancet Respiratory Medicine“ vermutet

Professor Dr. Jerrold Lerman vom Women and Children’s Hos-

pital im amerikanischen Buffalo, dass die Unterschiede mit der

Qualität der Ausbildung und der Kliniken zu tun haben könnten.

Aber auch damit, ob Vorerkrankungen, die das Risiko für Kom-

plikationen bei der Narkose erhöhen, überall gleichermaßen gut

behandelt werden, wie etwa kindliches Asthma. Allerdings ist

auch eine andere Erklärung möglich. „Vielleicht waren die Kol-

legen in einigen Ländern einfach nur ehrlicher und haben tat-

sächlich alles gemeldet, was ihnen an Fehlern unterlaufen ist“,

sagt Dr. Kaufmann. Womöglich sind die Unterschiede zwischen

den Ländern also nicht Ausdruck einer unterschiedlichen Qua-

lität, sondern einer unterschiedlichen Fehlerkultur. Dennoch ist

für Professor Wappler die APRICOT-Studie ein wichtiges Bezugs-

system für weitere Qualitätsverbesserungen: „Unsere Zunft ist

der Studie zufolge offensichtlich weniger erfolgreich als gedacht.

Es scheint mehr Komplikationen bei Kindernarkosen zu geben

als bislang angenommen. Damit haben wir ein Problem, das wir

angehen müssen – ganz gleich, wie unscharf die Ergebnisse letzt-

lich sind, und unabhängig davon, wie viel Kritik man an der Stu-

die üben kann.“ Wappler ist der Ansicht, dass man die bestehen-

den Konzepte und Prozesse in der Kinderanästhesie hinterfragen

sollte. „Dazu müssen wir die Daten der Studie noch genauer aus-

werten und prüfen, was sich mit neuen, eindeutigen Studien-

designs in der notwendigen Präzision klären lässt.“

Für Professor Wappler und Dr. Kaufmann ist die Studie ein

Plädoyer für eine bessere und längere Einarbeitung unter Super-

vision – besonders, wenn es um Narkosen bei Kindern unter

drei Jahren geht. In einigen europäischen Ländern werden jun-

ge Anästhesisten lange von erfahrenen Kollegen begleitet. In

Deutschland ist meist nur ein Narkosearzt im OP anwesend. „Wir

täten gut daran“, so Wappler, „unsere Fort- und Weiterbildung

an die Möglichkeiten und Bedingungen der anderen europäi-

schen Länder anzupassen.“ Auch die Autoren der APRICOT-Stu-

die sehen einen dringenden Bedarf nach standardisierten Trai-

nings und europaweit geltenden Regeln.

Weiß, worauf es ankommt: Professor Dr. Frank Wappler, Chefarzt der Abteilung für Kinderanästhesiologie

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PANORAMA BRANDSCHUTZ

Die BRANDSCHUTZVORSCHRIFTEN für deutsche Hochhäuser gelten im internationalen Vergleich als hervorragend. Doch reicht das? Und wie steht es um Gebäude unterhalb von 22 Metern Nutzhöhe?

Text: Peter Thomas

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aufzug vor. Bei Hochhäusern von über

60 Metern Höhe sind zudem Brandmel-

deanlagen und Löscheinrichtungen

(meist Sprinkler) Pflicht. Auch hinsicht-

lich der Wärmedämmung gibt es kei-

ne Kompromisse: Bauten über 22 Meter

dürfen ausschließlich mit nichtbrenn-

barem Material energetisch ertüchtigt

werden. Meist handelt es sich dabei um

Wärmedämmverbundsysteme (WDVS)

aus Mineralwolle oder Mineralschaum.

Genügt „schwer entflammbar“?Dass sich das Unglück von London in

genau dieser Art in Deutschland wieder-

holt, halten Brandschützer für so gut

wie ausgeschlossen. Dennoch verweisen

Fachleute auf das Risiko, das von WDVS

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Mainhattan: Diesen Spitznamen trägt Frankfurt am Main in Anlehnung an den New Yorker Bezirk – auch in der Hessenmetropole sind die zahlreichen Hochhäuser eine Herausforderung für den Brandschutz

Moskau: Einsatz unter Atemschutz in einer unterirdischen Verkehrsanlage

Extrem hoher AtemluftbedarfBrandschützer stehen bei Einsätzen in Hochhäusern vor extremen Herausforderungen: Ist kein Feuerwehraufzug vorhanden, müssen sie in voller und 30 Kilogramm schwerer Ausrüstung über das Treppenhaus vorrücken. „Solche Einsätze lassen sich mit denen in unterirdischen Verkehrsanlagen vergleichen – auch hier sind die Einsatzzeiten lang und der Bedarf an Atemluft groß“, sagt Carsten Joester von Dräger. Berufs-feuerwehren, die entsprechende Infrastrukturen im Verantwortungsbereich haben, halten deshalb auch Kreislauf-Atemschutzgeräte vor. Allein bei der Moskauer Feuerwehr, die für ein knapp 350 Kilometer langes U-Bahn-Netz verantwortlich ist, sollen es mehrere Tausend Geräte sein.

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Evakuierung von mehr als 400

Wohnungen in Dortmund, Räumung

eines elfstöckigen Gebäudes in Wupper-

tal, Brandsicherheitswachen vor Mehrfa-

milienhäusern im Landkreis Offenbach:

Der Brandschutz von Hochhäusern

führte im Sommer 2017 zu einschnei-

denden Maßnahmen in Deutschland.

Auch die Öffentlichkeit stellt seither

jede Menge Fragen an die geltenden

Vorschriften zur Fassadendämmung.

Vorausgegangen war das verheeren-

de Feuer im Londoner Grenfell Tower,

bei dem am 14. Juni 2017 Dutzende

Menschen ums Leben kamen. Für das

Ausmaß dieser Katastrophe wird die

Dämmung der Fassade mit Sandwich-

EElementen aus Aluminiumblech und

einer brennbaren Beschichtung aus

Polyethylen verantwortlich gemacht.

Die Platten wurden außerdem mit

einem Luftspalt zum Baukörper mon-

tiert. Das sorgte für einen Kamineffekt –

binnen 20 Minuten standen alle vier

Seiten des 67 Meter hohen Wohnturms

vollständig in Flammen. Das Feuer in

London hat erneut gezeigt, dass mit der

Höhe des Gebäudes auch die Brandrisi-

ken steigen. Einschlägige Bauverordnun-

gen in Deutschland stellen sehr hohe

Anforderungen an den Brandschutz in

Hochhäusern. Maßgeblich ist die Mus-

ter-Hochhaus-Richtlinie (MHHR); sie

schreibt unter anderem ein Sicherheits-

treppenhaus sowie einen Feuerwehr-

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PANORAMA BRANDSCHUTZ

20 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Stock-werke,die binnen Minutenbrennen

ausgehen kann. So hatten erst zwei

Tage vor dem Brand des Grenfell Towers

die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der

Berufsfeuerwehren im Deutschen Städte-

tag (AGBF), der Deutsche Feuerwehrver-

band (DFV) sowie die Vereinigung zur

Förderung des deutschen Brandschutzes

(vfdb) gemeinsam das Positionspapier

„Brandsicherheit von Wärmedämmver-

bundsystemen an Fassaden mit Polysty-

rolschaum (EPS) als Dämmstoff“ veröf-

fentlicht. Hinter dem Kürzel verbirgt sich

Expandiertes Polystyrol, also Styropor.

Solche Dämmungen gelten als „schwer

entflammbar“, sie sind mit einem

Schutzmittel behandelt. Dafür wurde

lange Zeit die Chemikalie Hexabromcy-

clododecan (HBCD) eingesetzt, was 2016

zu erheblichen Problemen bei der Ent-

sorgung alter Dämmmaterialien führte.

Mittlerweile verwendet man bromiertes

Styrol-Butadien-Copolymer (FR-Poly-

mer). Diese Elemente dürfen zwar an

Hochhäusern (Gebäude mit Nutzfläche

in mehr als 22 Metern Höhe) nicht ver-

baut werden, doch auch unterhalb dieser

Grenze liegen viele Objekte mit zahlrei-

chen Wohneinheiten.

Was passiert, wenn dort ein Feuer

auf die Dämmung übergreift? „Die ex -

trem schnelle Brandausbreitung an der

Fassade, die bei diesen Systemen wieder-

holt aufgetreten ist, stellt für die Feuer-

wehr ein unlösbares Problem dar: Bei

einer Hilfsfrist von zehn Minuten ist eine

Brandausbreitung auf mehr als zwei

Stockwerke nicht zu verhindern“, heißt

es in dem Positionspapier. Erfahrungen

zeigten, dass eine Rettung von Personen

auch in höheren Gebäuden unterhalb

von 22 Metern bei brennenden Fassaden

gefährlich, schwierig und im Grunde

nicht möglich ist, so die Architekten- und

Stadtplanerkammer Hessen (AKH). Das

gelte vor allem, wenn der zweite Flucht-

und Rettungsweg durch Hubrettungs-

geräte der Feuerwehr (wie Drehleitern

oder Teleskopmaste) sichergestellt wird.

Auch deshalb forderte die Kammer im

Juli 2017, Polystyroldämmungen künftig

schon ab sieben Metern Gebäudehöhe

(Klasse 4) zu verbieten – ein Thema,

dass laut AKH in der Fachwelt schon

lange diskutiert wird, nicht erst seit dem

tragischen Unglück von London.

Der Branchenverband für Dämm-

systeme, Putz und Mörtel (VDPM) hält

dagegen: Die bewährten und weit ver-

breiteten Dämmsysteme seien brand-

hemmend ausgestattet und würden

luftdicht verputzt verbaut. Wobei es in

Grenfell Tower: Mit dem Brand in London rückten Mitte 2017 die besonderen Herausforde-

rungen beim Brandschutz von Hochhäusern auch in den Fokus der allgemeinen Öffentlichkeit

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21DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Brandschutz„Es geht nicht darum, WDVS aus EPS grundsätzlich zu verteufeln.“ Lesen Sie hier das vollständige Interview:www.draeger.com/402-21

Professor Reinhard Ries: Den Architekten und Chef der Frankfurter Feuerwehr beschäftigt das Brandrisiko von Fassaden schon seit Jahren

„Dann wird es gefährlich!“Professor Reinhard Ries ist seit 1993 Leiter der Berufsfeuerwehr Frankfurt am Main. In dieser Funktion zeichnet der 1956 geborene dreifache Familienvater verantwortlich für den abwehrenden, vorbeugenden und baulichen Brandschutz in der Großstadt sowie für Katastrophenschutz, Rettungsdienst und Flugrettung. Der Diplom-Ingenieur für Architektur unterrichtet zudem an verschiedenen Universitäten und Hochschulen. Mit dem Drägerheft sprach Ries über das Brandrisiko von Wärmedämmverbundsystemen.

Herr Prof. Ries, der Brand des Grenfell Tower in London hat den Brandschutz in Hochhäusern auch in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit gerückt. Lässt sich das Risiko in beiden Ländern überhaupt vergleichen?Prof. Ries: Nein, es gibt deutliche Unterschiede. Bereits in den frühen 1980er-Jahren legte die Hochhaus-Richtlinie fest, dass u. a. ausschließlich nichtbrennbare Fassaden-verkleidungen verwendet werden dürfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Insofern sind Hochhäuser in Deutschland im Allgemeinen sehr sicher.

Was hat zu dem schweren Brand in London geführt?Da gibt es wohl nicht den einen, einzigen Auslöser – vielmehr kamen verschiedene Faktoren zusammen. Die Elemente der Fassadenverkleidung waren nicht nur brennbar, sondern auch hinterlüftet. Das löste einen Kamineffekt aus. Hinzu kamen mangelnde Brandschutztechnik im Gebäude, unterdimensionierte Fluchtwege sowie hohe Brand-lasten. Nach meiner Kenntnis hätte keine Feuerwehr der Welt diesen Brand unter Kontrolle bringen können – auch nicht die sehr gut aufgestellte London Fire Brigade.

Wenn die Vorschriften in Deutschland strenger sind, warum warnen Brandschutzexperten dennoch vor dem Risiko, das von wärmegedämmten Fassaden ausgeht?Dabei geht es vor allem um Gebäude mit einer Höhe bis 22 Metern, die immer häufiger mit immer dickeren Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) aus expandiertem Polystyrol (EPS) verkleidet werden. Da herrscht seit einigen Jahren geradezu ein Boom energetischer Ertüchtigung von Neu- und Bestandsbauten. Wenn diese Maßnahmen nicht richtig ausgeführt wurden, wird es gefährlich. Hinzu kommt, dass wir (die Feuerwehren) die bisherigen Prüfverfahren für diese Fassaden für nicht ausreichend halten.

Was genau gibt den Ausschlag?WDVS müssen immer zuverlässig gekapselt sein, damit sich ein Feuer nicht ausbreiten kann. Dabei sind Brandriegel ebenso wichtig wie die fachgerechte Montage der Wärme-dämmung am Baukörper. Leider findet im Rahmen der Deregulierung im Bauwesen keine Prüfung durch Behörden, wie etwa der Bauaufsicht, statt. Aus Erfahrung wissen wir, dass viele Fassaden nicht ordentlich verbaut wurden. Es gibt wiederholt Fälle, bei denen – nach einer Kontrolle durch Sachverständige – die komplette Dämmung wieder abgerissen, entsorgt und erneuert aufgebaut werden musste.

der Praxis wegen Beschädigungen von

außen – etwa durch Spechte – nicht

immer bleibt. Seit Anfang 2016 sind

zusätzliche Brandriegel in unteren

Etagen (bei mehrgeschossigen Gebäu-

den mit sieben bis 22 Metern Höhe) vor-

geschrieben. Sollte eine Fassadendäm-

mung aus schwer entflammbaren WDVS

dennoch in Brand geraten, ist das Risiko

für alle Beteiligten geradezu haushoch.

Kaum zu beherrschen„Die Fassade könnte wie eine Fackel

abbrennen, das Feuer wäre dann kaum

noch zu beherrschen“, schildert Pro-

fessor Reinhard Ries, Leiter der Berufs-

feuerwehr in Frankfurt am Main, sei-

ne Erfahrungen aus einem Großbrand

2012. Das Thema brennbare Fassaden-

dämmung begleitet ihn schon seit vielen

Jahren. Ries ist in der Main-Metropole

für einen der größten Hochhausbestän-

de verantwortlich: Dort gibt es mehrere

hundert Hochhäuser bis 60 Meter Höhe

– weitere Dutzend Objekte sind bis zu

200 Meter hoch, einige Wolkenkratzer

ragen sogar noch weiter in den Himmel.

Aber nicht nur bei Bauten der Gebäude-

klasse 4 sehen Experten Handlungsbe-

darf. Es geht auch darum, die Risiken

bei bestehenden Hochhäusern im Blick

zu behalten, die vor der derzeit gelten-

den MHHR (Stand: April 2008, aktuali-

siert im Februar 2012) gebaut wurden.

Falls sie nicht saniert worden sind,

gelten für sie – je nach Baujahr – die

Richtlinien aus den Jahren 1983, 1973

und 1955. Hinzu kommt, dass bei Nach-

rüstungen nicht immer alle Vorgaben

umgesetzt werden: „Es ist richtig, dass

die deutschen Brandschutzvorschrif-

ten in Hochhäusern als streng gelten.

Aber es zeigt sich immer wieder, dass sie

nicht überall konsequent eingehalten

werden“, sagt Dirk Aschenbrenner, Chef

der Berufsfeuerwehr Dortmund und Prä-

sident der vfdb. „Gerade ältere Gebäude

sollten regelmäßig überprüft werden.“

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Haarige

Der Bart muss ab, daran kommen Atem-

schutzgeräteträgernicht vorbei. Denn die

BARTHAARE entlang der Dichtungen ihrer

Masken sorgen für Leckagen – kurze

Stoppeln sind beson-ders riskant. Ein

Besuch im Barber-shop tut trotzdem gut.

Text & Fotos: Peter Thomas

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Haarscharf:Kostja Epp, Inhaber eines Barbershops

in Offenbach, rasiert klassisch – mit

Messer, Schaum und viel Gefühl

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ATEMSCHUTZ FEUERWEHR

23

dagegen regt sich immer wieder, spätestens seit den sogenann-

ten Barterlassen deutscher Bundesländer in den 1970er-Jahren.

Anfang 2017 hat der Streit zwischen einer Kreisbrand inspektorin

und freiwilligen Feuerwehrleuten um deren Bärte mediales Auf-

sehen erregt. Ändern wird sich an den Vorschriften auf absehba-

re Zeit dennoch nichts, denn derzeit gibt es keine Atemschutz-

maske für die Brandbekämpfung, deren Dichtlinie außerhalb des

Gesichts liegt. Die neue ISO-Norm 17420 für Atemschutzgeräte

soll voraussichtlich 2020 als internationaler Standard veröffent-

licht werden. „Auch sie wird zur Konsequenz haben, dass Atem-

schutzgeräteträger weiter bartlos in den Einsatz gehen müssen“,

sagt Wolfgang Drews. Der Ingenieur ist seit 2011 an der Erstel-

lung der Norm beteiligt. Sie argumentiere stets aus Perspektive

des Anwenders, der gegen die Gefahren seines Arbeitsumfelds

geschützt werden soll. Und dies bedeute nun einmal bei Bart-

trägern, dass die Dichtlinie unterhalb des Adamsapfels verlau-

fen muss, da im Halsbereich in den meisten Fällen kein Bart-

wuchs auftritt. Die entsprechenden Szenarien reichen bis zur

Vision eines flammgeschützten und gasdichten Chemikalien-

schutzanzugs (CSA).

Die klassische Nassrasur bleibt unerreichtUnd wie kommt man derweil zum perfekt rasierten Gesicht,

wenn es kein Bart sein darf? Die klassische Nassrasur ist unter

den Depilationsverfahren (so heißt die Entfernung der über der

Hauptoberfläche liegenden Bestandteile des Haars; bei der Epi-

lation wird das komplette Haar samt Wurzel entfernt) nach wie

vor unerreicht. Das liegt nicht nur an der Schärfe der Klinge, son-

dern auch an der aufwendigen Prozedur. Im Offenbacher Barber-

shop hat Kostja Epp mittlerweile eine neue Klinge in die Shavette

(ein Rasiermesser mit klassischem Klappgriff) eingesetzt. Das

Messer besitzt keine feste Schneide, sondern einen Halter für

Angelegenheit

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Sanft gleitet die Klinge über die Haut, ihre Schneide ist weni-

ger als einen Mikrometer (0,001 mm) dünn. Bahn für Bahn

kämpft sie sich durch Schaum und Bart. Was bleibt, ist ein perfekt

rasiertes Gesicht – und ein gutes Gefühl. „Die klassische Nassra-

sur ist Wellness für den Mann“, sagt Kostja Epp. Der Zwei-Meter-

Hüne mit tätowierten Armen und schwarzem Vollbart ist Inhaber

des Barbershops „Blckbrd“ in Offenbach am Main. Die Kunden

kommen auch aus der benachbarten Finanzmetropole Frankfurt.

Gehört es nicht zur Frankfurter Folklore, auf Offenbach hinab-

zuschauen? „Wir sind vielleicht der kleinere, dafür aber der coo-

lere Bruder“, grinst Epp. Die Barber-Branche boomt. Vollbärte

liegen wieder im Trend. Ob Ducktail, Hollywoodian oder mäch-

tiger Garibaldi: Vom hippen Digitalnomaden bis zum Banker gilt

vielerorts die Maxime, dass Mann seine Gesichtsbehaarung wie-

der zeigt und pflegt. Dabei steht den urbanen Helden von heu-

te der gleiche Fachmann zur Seite, der schon ihren Ururgroß-

vätern mit scharfer Klinge ums Kinn gegangen ist: der Barbier.

Ein Problem mit der Bartmode haben allerdings Atemschutz-

geräteträger in der Feuerwehr und Industrie. Denn Gesichtsbe-

haarung entlang der Dichtkonturen ihrer Atemschutzmasken

ist ein Ausschlusskriterium für den Einsatz, weil sie zu lebens-

gefährlichen Leckagen führen kann. Dadurch können Rauch-

gase und andere gefährliche Stoffe von außen eindringen, oder

die Atemluft entweicht unkontrolliert, was die Einsatzzeiten der

Pressluftatmer verkürzt. Der Bart muss also ab, schon aus Grün-

den des Selbstschutzes. Das betont auch die Feuerwehrdienstvor-

schrift 7 (Stand: 2002, mit den Ergänzungen des Jahres 2005):

„Einsatzkräfte mit Bart oder Koteletten im Bereich der Dichtli-

nie von Atemanschlüssen sind für das Tragen von Atemschutz-

geräten ungeeignet.“

Das ist keine Schikane, sondern dient der eigenen Sicherheit

und der der Menschen, die gerettet werden sollen. Widerstand

S

Dräger FPS 7000:Damit die Atemschutz-

vollmaske gut abdichtet, sollten Feuerwehrmänner

immer frisch rasiert in den Einsatz gehen

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FEUERWEHR ATEMSCHUTZ

24 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Fotostrecke: Streetwear, scharfe Klingen und jede Menge Tattoos – zu Besuch im Barbershop „Blckbrd“ in Offenbach.www.draeger.com/402-24

Wechselklingen. Die Shavette ist bei vielen Barbieren beliebt,

schon aus hygienischen Gründen. Im Hintergrund tönt Musik,

so rau wie die blanken Backsteinwände des Altbaus. Der Meister

legt warme Kompressen auf das zuvor mit einer Pre-Shave-Flüs-

sigkeit behandelte Gesicht des Kunden. „Das öffnet die Poren,

entspannt die Haut und macht die Haare weich“, sagt Epp, wäh-

rend er Rasiercreme und heißes Wasser mit dem Dachshaarpin-

sel in einem Metallschälchen aufschlägt. Nach dem Auftragen

der dünnen Seifenschicht schauen die Bartstoppeln aus dem wei-

ßen Schaum hervor. Mit den Fingerspitzen einer Hand zieht er

die Haut straff, die andere führt mit geübtem Strich das Messer.

Zurück bleibt eine glatte Haut. Darauf kommen anschließend

ein beruhigender Balsam und eine gekühlte Kompresse. Knapp

eine halbe Stunde hat die Prozedur gedauert.

34 Seiten über Bartwuchs und AtemschutzWer sich als Brandschützer die Fertigkeit eines Barbiers gönnt,

genießt auch ein Stück Wellness – und tut etwas für die eige-

ne Sicherheit im Einsatz. Feuerwehrleute sollten immer frisch

rasiert in den Einsatz gehen. Darauf verweist auch die Feuer-

wehr-Unfallkasse (FUK) Niedersachsen: Untersuchungen hätten

bereits „messbare Veränderungen der Leckagewerte zwischen

frisch rasierten Feuerwehrangehörigen und denen mit einem

Zwölf-Stunden-Bart“ ergeben. Stoppeln gelten als besonders

gefährlich. Das zeigt auch die

Zusammenfassung von Normen

und Forschung aus aller Welt

im „Handbuch Atemschutz“ von

Lothar Brauer: Dieses Standard-

werk fasste von 1982 bis 1990 auf

34 Seiten, über mehrere Ergän-

zungslieferungen hinweg, zahl-

reiche Informationen rund um

das Thema Bartwuchs und Atem-

schutz zusammen. Dort wird

auch erklärt, warum kurze Stoppeln physikalisch besonders ris-

kant sind. Sie haben einen hohen Widerstand gegen das Umkni-

cken, bleiben auch bei Krafteinwirkung weitgehend im rechten

Winkel zur Haut stehen und heben so die gesamte Dichtebene

der Maske an. Damit entsteht ein Spalt zwischen Haut und Mas-

ke. Längere Barthaare hingegen werden durch die Dichtkontur

umgelegt und an die Haut gepresst. Eine Leckage ist dennoch

vorhanden, allerdings ist die Durchströmung der Räume zwi-

schen den zylindrischen Haarquerschnitten meist geringer als

bei Stoppelbärten. Neben der Länge der Haare beeinflussen auch

deren Dicke, die Dichte des Bartwuchses und die Form der Haare

die Größe der Leckage. Trotz der aktuellen Renaissance der Bar-

bershops rasieren sich die meisten Männer nach wie vor selbst.

Dabei gehörte dieses Handwerk einst zum Alltag.

Ausgerechnet Feuerwehrleute zählten einst nicht zu den

Kunden der Barbiere. Sie waren bis zur Entwicklung marktrei-

fer Atemschutz-Lösungen dazu angehalten, sich einen Vollbart

stehen zu lassen, der sie bei Löschangriffen vor schädlichen

Stoffen schützen sollte. Heute lässt sich nicht mehr nachvoll-

ziehen, ob zuerst der Bart dagewesen ist oder der Wunsch nach

dem Schutz vor Rauchpartikeln. Der Zusammenhang schien

damals jedoch klar. So berichtete Bernhard Peill in seiner 1951

erschienenen „Chronik der Berliner Feuerwehr“, es sei „früh-

zeitig die filtrierende Wirkung des damals beliebten Vollbartes

in raucherfüllten Räumen erkannt worden“.

Ein solcher Schutz war ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch

nötig, denn der Berliner Branddirektor Ludwig Carl Scabell pro-

pagierte 1851, mit Gründung der Berliner Berufsfeuerwehr, auch

in Deutschland den Innenangriff. Dabei sollten sich die Brand-

schützer den angefeuchteten Bart vor Mund und Nase binden.

Das schützte aber höchstens vor größeren Partikeln. Kleinere und

vor allem die gefährlichen Rauchgase wurden von den Brand-

schützern nach wie vor eingeatmet. Eine Antwort auf dieses Risi-

ko gab erst die flächendeckende Einführung von umluftunabhän-

gigen Atemschutzgeräten.

Stattlich:Ein langer Bart

verlangt viel Zeit und Pflege – wie

jede Mode

Die Klinge sollte einen Winkel von 30 Grad zur Haut haben – so rasiert sie das Barthaar am besten

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ZENTIMETER IM JAHR WÄCHST EIN BARTHAAR

DURCHSCHNITTLICH – ALSO RUND EINEN

ZENTIMETER IM MONAT.

KING CAMP GILLETTE ERFAND DIE WEGWERF-

RASIERKLINGE UND BRACHTE SIE 1903 AUF DEN MARKT.

ALLEIN DIE US-ARMEE BESTELLTE VOR 100

JAHREN 36 MILLIONEN KLINGEN FÜR DIE IM ERSTEN WELTKRIEG

KÄMPFENDEN SOLDATEN.

BARTHAARE HABEN MÄNNER DURCHSCHNITTLICH

IM GESICHT.

STUNDEN SEINES LEBENS VERBRINGT EIN MANN DAMIT, SICH ZU RASIEREN.

13,97

50 %ALLER MÄNNER WELTWEIT

TRAGEN EINEN BART.

40BIS WEIT ÜBER 200 STRICHE

BRAUCHT MAN MIT DEM MEHRWEGRASIERER FÜR

EINE NASSRASUR.

30GRAD BETRÄGT IN

ETWA DER WINKEL, IN DEM DIE KLINGE BEI DER

KLASSISCHEN NASSRASUR ZUR HAUT GEFÜHRT WIRD.

30.000

3.350

METER LANG WAR DER LÄNGSTE BISLANG

DOKUMENTIERTE BART. SEIN BESITZER HANS

NIELSEN LANGSETH LEBTE VON 1846 BIS 1927.

WAHRSCHEINLICH WAR EINE WETTE MIT SEINEM

NACHBARN AUSLÖSER DES BARTREKORDS.

5,33

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017 25

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50 Bilder

26

WISSENSCHAFT MEDIZIN

Ohne Zeitverzug zeigt der Bildschirm des Dräger PulmoVista 500, wie sich das Atemvolumen in denverschiedenen Lungen-regionen darstellt

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

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pro Sekunde

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017 27

MMartin Schwertner weiß, wie man eine Intensivmedizin

effizient organisiert. Seit 33 Jahren arbeitet der Fachkranken-

pfleger und Atmungstherapeut (DGP) im Universitätsklinikum

Knappschaftskrankenhaus Bochum – zwei Drittel dieser Zeit

als Pflegedienstleiter auf der Intensivstation. In der Klinik für

Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie wer-

den jährlich rund 10.000 Narkosen durchgeführt. Jeder siebte

Patient wird anschließend auf der Intensivstation versorgt, oft

auch künstlich beatmet. 60 Mitarbeiter kümmern sich hier um

maximal 20 Patienten gleichzeitig. Schwertner schätzt diese

gute Betreuungsquote. Sie gibt ihm die Zeit, sich auch innova-

tiven Dingen zu widmen. Der Neubau, der 2006 entstand, trägt

auch seine Handschrift. Er sorgte dafür, dass die Anregungen

und Wünsche des Pflegepersonals beim Architekturkonzept

berücksichtigt wurden. Die Station kommt heute dank boden-

tiefer Fenster in den Genuss von reichlich Tageslicht. Die

Zimmer bieten ausreichend Platz, um Betten und medizini-

sche Geräte zu rangieren, ohne damit dauernd anzuecken.

Das Gleiche gilt für den Flur, in dem selbst bei großer Hektik

keine Karambolagen mit dem Mobiliar zu erwarten sind. „Wir

haben alle Schränke in Nischen versenkt, damit wir die Betten

ohne Hindernisse durch den Gang schieben können“, sagt

Schwertner. Effizienzgewinn bringt hier nicht eine umwerfend

neue Idee, sondern die Beschäftigung mit den Details.

Bio-Feedback für neue Anwendungen Aktuell ist es der PulmoVista 500, der das Interesse und die

Neugier des Stationsleiters geweckt hat. Das mobile Mess-

gerät von Dräger hat die Elektrische Impedanztomographie

(EIT) auf die Intensivstation gebracht. Fast täglich testet

er es: „Geplant war, das Gerät vor allem zur Echtzeitüber-

Die Wissenschaft kennt den Nutzen der ELEKTRISCHEN IMPEDANZTOMOGRAPHIE schon lange. Nun haben sich Ärzte und Pfleger am Universitätsklinikum Bochum von den Vorteilen dieser Technologie überzeugt. Ihre überraschende Erkenntnis: Nicht nur künstlich beatmete Patienten profitieren davon, sondern auch aktive Rekonvaleszenten.

Autor: Frank Grünberg Fotos: Patrick Ohligschläger

wachung der Lungenfunktion beatmeter Patienten zu nutzen.

Dann stellten wir fest, dass weitere Einsatzszenarien infrage

kommen und damit sogar das Bio-Feedback bei wachen Pati-

enten funktioniert. Das eröffnete uns völlig neue Möglichkei-

ten.“ Nach einer Operation ist das Risiko einer Lungenentzün-

dung besonders groß. Chirurgische Eingriffe hindern Patienten

oft daran, anschließend kräftig durchzuatmen. Wenn die Lun-

ge nicht ausreichend belüftet wird, steigt die Gefahr, dass sich

Wasser im Pleuraspalt einlagert, dem normalerweise schma-

len Spalt zwischen Lunge und Brustkorb. Wie viel Flüssigkeit

sich bei einer Entzündung hier sammeln kann, davon weiß

Dr. Günther Oprea, geschäftsführender Oberarzt der Klinik

für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, zu

berichten: „Bei einer Patientin haben wir kürzlich fast einen

Liter Wasser gemessen. Rund ein Drittel der linken Lunge war

betroffen. Diese Seite konnte nicht mehr suffizient am

pulmonalen Gasaustausch teilnehmen.“

Eine solche Beobachtung ist beim Einsatz herkömmlicher

Verfahren mit viel Aufwand für das Klinikpersonal und Stress

für die Patienten verbunden. Letztere müssen samt Bett zur

Computertomographie (CT) gebracht werden, wo sie einer

Unter Strom: Je ein Elektrodenpaar auf dem

Gürtel schickt eine geringe Menge Strom in den Körper.

Die anderen werten die resul-tierenden Spannungen aus

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„Mithilfe derEIT haben wir schon mancheCT gespart“Dr. Günther Oprea, Oberarzt am Uniklinikum Bochum

WISSENSCHAFT MEDIZIN

Regelmäßig im Einsatz: Seit Dezember 2015 wird das mobile Messgerät am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum genutzt

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

hohen Strahlungsbelastung ausgesetzt sind – und nur eine

Momentaufnahme erstellt wird. Auch eine endoskopische

Lungenspiegelung ist für die Betroffenen unangenehm und

somit als unmittelbare Kontrollmaßnahme bei einer künst-

lichen Beatmung wenig geeignet. Ein mobiles Gerät bietet

dagegen Vorteile: Der PulmoVista 500 arbeitet mit niedrigen

elektrischen Spannungen, die der Patient nicht spürt. Zudem

lässt sich das Gerät direkt ans Krankenbett fahren, um dort

die Lungenfunktion mit verhältnismäßig wenig Aufwand

in Echtzeit zu messen. „Mithilfe der EIT haben wir schon

manche CT gespart“, betont Oprea, auch wenn EIT keine

CT ersetzt. Warum kommt das Verfahren in Krankenhäusern

dann nicht öfter zum Einsatz? „Weil es recht kostspielig

in der Anschaffung ist und gegenüber Krankenkassen bislang

nicht abgerechnet werden kann.“

Mobile Geräte bieten VorteileDräger lieferte das Gerät im Dezember 2015 an die Bochu-

mer Klinik aus. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Bil-

dern pro Sekunde stellt es dar, wie sich die Luft in der Lunge

verteilt und wie sich das Lungenvolumen dabei zeitlich verän-

dert. Um diese Dynamik leicht verständlich zu machen, wer-

den die Lungenbereiche auf dem Monitor je nach regionaler

Dr. Günther Opreasieht weitere

Einsatzfelder für den PulmoVista 500 – etwa

in Rettungswagenoder Operationssälen

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Volumenänderung unterschiedlich eingefärbt. Die Wirkung

von therapeutischen Maßnahmen, die über das Beatmungs-

gerät gesteuert werden, lassen sich damit unmittelbar verfolgen

und bei Bedarf korrigieren. Tut dem Patienten eine Druckerhö-

hung wirklich gut? Wird die gesamte Lunge beatmet, ohne sie

zu überblähen? Diese Fragen lassen sich sofort beantworten.

Den technologischen Kern bildet die Elektrische Impedanzto-

mographie. Sie macht sich die Tatsache zunutze, dass der Luft-

gehalt die bioelektrischen Eigenschaften des Lungengewebes

beeinflusst. Dabei gilt: Je mehr Luft das Gewebe enthält, des-

to größer ist der elektrische Widerstand, die Impedanz. Durch

kontinuierliche Messungen kann die Ventilationsverteilung in

der Lunge sowohl zeitlich als auch räumlich ermittelt werden.

Dadurch lassen sich unmittelbar Rückschlüsse auf die Vorgän-

ge innerhalb der Lunge ziehen. Die Wissenschaft hat das große

Potenzial der EIT für die Intensivmedizin schon lange erkannt.

Mehr als 30 klinische und präklinische Studien haben den

Nutzen der Technologie für eine lungenschonendere Beat-

mung inzwischen unterstrichen. Was fehlte, waren Erfahrun-

gen aus dem Klinikalltag. Diese holen Martin Schwertner

und Dr. Günther Oprea seit fast zwei Jahren konsequent ein.

Intensive Tests während des klinischen Alltags„Die intensive Beschäftigung mit der Technik und der

gedankliche Austausch sind notwendig, um Innovationen in

einer eng getakteten Krankenhausroutine zu testen und zu

etablieren. Ein Einzelner könnte das nicht meistern“, sagen

Schwertner und Oprea. Das gelte auch für die Pionierarbeit

am Krankenbett. Hier legen sie im Schnitt zweimal täglich

gemeinsam Hand an, wenn sie Bettlägerige wenden, um ihnen

den Silikon gurt um den Brustkorb zu legen, der mit 16 Elek-

troden bestückt die gewünschten Messdaten liefert. Jeweils

ein Elektrodenpaar auf dem Gürtel schickt eine sehr geringe

Menge Strom in den Körper des Patienten, während an den

restlichen die daraus resultierenden Spannungen gemessen

werden. Weil die Position der Stromeinspeisung während einer

EIT um den Brustkorb rotiert, wechseln auch die Orte der

Spannungsmessung: Nach einer 360-Grad-Drehung lassen sich

alle Werte zu einer Art „tomographischem Bild“ verrechnen,

das Informationen über die Luftverteilung in den bauchseitigen

(ventralen) und rückenseitigen (dorsalen) Lungenregionen

liefert. Die Daten werden in Form von Schnittbildern, Kurven

oder Zahlenwerten auf dem Monitor dargestellt.

Schwertners Favorit für das Bio-Feedback ist der Vollbild-

modus. Er zeigt die Ventilation in der größten Auflösung und

ermöglicht es wachen Rekonvaleszenten, ihr Atemtraining

unmittelbar zu beurteilen und zu steuern. Die Funktion führt

ihnen bildhaft und ohne Zeitverzug vor Augen, zu welchen

Verbesserungen ihre Aktivtherapie führt. „Tatsächlich könnten

Patienten das Gerät auch ohne fremde Hilfe für ein quantita-

tives Bio-Feedback nutzen“, sagt Oberarzt Oprea. Dazu gibt

es bislang allerdings keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Eine Erweiterung der Zweckbestimmung des Gerätes käme

nur auf dieser Basis in Frage. Einen ersten Anstoß hierzu könn-

te beispielsweise eine Vergleichsstudie mit zwei Patientengrup-

pen geben. Eine, die für ihre Atemtherapie den PulmoVista 500

nutzte, die andere, der dieses Werkzeug nicht zur Verfügung

stünde. „Ich könnte wetten“, so Oprea, „dass die Patienten,

die die Ventilation in ihrer Lunge unmittelbar verfolgen, weit

weniger unter Komplikationen leiden und die Intensivstation

schneller wieder verlassen.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass

sich eine neue Technologie als vielfältiger erweist als zunächst

gedacht. Wer hätte beispielsweise bei der Selfie-Funktion für

Smartphone-Kameras geahnt, dass sie den Taschenspiegel erset-

zen könnte? Schminken mithilfe des Mobiltelefons – eine inno-

vative, aber zunächst abwegige Idee. Auch der PulmoVista 500

könnte Patienten künftig den Spiegel vorhalten, um schneller

wieder gesund zu werden. Dr. Oprea sieht weitere Einsatzfel-

der: im Rettungswagen oder Operationssaal, wo es immer wie-

der vorkomme, dass narkotisierte Patienten falsch oder unzurei-

chend intubiert würden. „Mithilfe der EIT ließe sich das sofort

erkennen.“ In Bochum denkt man inzwischen darüber nach,

den PulmoVista 500 im OP zu testen. Gleichzeitig wächst mit

der Zahl der Einsatzszenarien auch der Wunsch nach funktio-

nalen Verbesserungen: Weil etwa die Länge des Elektrodengür-

tels beschränkt ist, sei das Anlegen bei korpulenten Patienten

schwierig, mitunter unmöglich. Auch, dass die Elektroden nicht

durch Verbände hindurch wirkten, schränke den Einsatz im All-

tag gelegentlich ein. Ein Meilenstein wäre es, wenn sich neben

der Ventilation auch der Blutdurchfluss (Perfusion) der Lunge

mobil messen ließe. „Wenn ich auf einen Blick sehen könnte,

wie sich Luft und Blut verteilen“, sagt Dr. Oprea, „hätte ich die

Lunge ganz unter Kontrolle.“ Technisch wäre das möglich.

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Martin Schwertner, Fachkrankenpfleger

und Stationsleiter: „Das eröffnet uns völlig

neue Möglichkeiten“

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30 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Putzen hilft – auch gegen die Verbreitung von Viren und Bakterien. Doch selbst DESINFEKTIONSMITTEL bergen Gesundheitsrisiken und können Resistenzen fördern.

Text: Sascha Karberg

In den 1980er-Jahren war die Welt

noch in Ordnung: Es gab die „bösen“

Bakterien und Viren, die auf schmieri-

gen Türklinken und an ungewaschenen

Händen lauerten. Eine stete Gefahr

für mehr oder weniger gefährliche Infek-

tionen. Die „guten“, kraftvollen Des-

infektionsmittel sorgten für Sauberkeit

und Gesundheit. Viel half damals noch

viel. Eine möglichst sterile Umgebung

war das Maß aller Dinge. Inzwischen

wissen Forscher, dass zu viel Sauberkeit

auch schaden kann. So leiden Kinder,

die in sterilen Umgebungen aufwachsen,

später eher an Allergien als diejenigen,

die auch mal die heruntergefallene

Eiskugel vom Boden kratzen und so

I

Die Krux mit den

Keimen

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KRANKENHAUSHYGIENE MEDIZIN

31DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

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ihr Immunsystem mit Bakterien und

Viren trainieren. Zudem können chemi-

sche Wirkstoffe, die in Desinfektions-

mitteln enthalten sind, gesundheitliche

Risiken bergen. Ebenso beunruhigend

ist, dass sie Bakterien und Viren

nicht nur abtöten, sondern auch deren

Evolution vorantreiben. Das stete Put-

zen sortiert zwar die Keime aus, die

keine Widerstandskraft gegen Biozide

haben, doch bei Millionen und Milliar-

den von Keimen bleiben mitunter einige

übrig, die dem Mittel trotzen – und sich

anschließend konkurrenzlos vermehren.

Wie Desinfektionsmittel wirkenEin Beispiel ist das verbreitete Bakteri-

ozid Triclosan. Einst entwickelt für

die Anwendung in Krankenhäusern, wird

es längst auch anderweitig eingesetzt,

etwa um Textilien frei von Keimen

zu halten. In der Elbe messen Umwelt-

forscher den Stoff mittlerweile in so

großen Mengen, dass er dort auch Algen

schädigen dürfte. Triclosan steht unter

dem Verdacht, Muskelzellen zu beein-

trächtigen. Zudem wird es bei unsachge-

mäßer Anwendung meist nicht in ausrei-

chend hoher Konzentration verabreicht,

was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass

sich widerstandsfähige Keime entwi-

ckeln. 2013 fanden Forscher des Cary

Institute of Ecosystem Studies in drei

Abwasserkanälen (nahe Chicago/USA)

Bakterien, denen Triclosan keine Fla-

gelle – den fadenförmigen Fortsatz zur

Bewegung – krümmen konnte. Verständ-

licherweise wollen Gesetzgeber diesen

Tendenzen entgegenwirken, auch um

die Umwelt zu schützen. Das hat aller-

sondern auch das tatsächlich daraus

resultierende Risiko zu betrachten“,

schreiben die Verbände. Dabei sollten

mögliche Resistenz entwicklungen und

Umweltschäden berücksichtigt werden,

aber auch die messbaren Auswirkun-

gen auf den Gesundheitsschutz, wenn

man die Mittel nicht einsetzt.

Nicht weiter reduzierenEin Teufelskreis. Denn einerseits hat

ein Patient in einem Zimmer, dessen

Oberflächen mit keimtötenden Substan-

zen desinfiziert wurden, ein geringe-

res Infektionsrisiko als in einem Raum,

in dem sich die mikrobiellen Hinterlas-

senschaften mehrerer Patientengenera-

tionen türmen. Insofern ist es plausibel,

dass die Verbände fordern, den Aspekten

des Gesundheitsschutzes einen wesent-

lich höheren Stellenwert einzuräumen.

Andererseits ist es sinnvoll, den Ein-

satz der Mittel streng zu regulieren, um

Resistenzbildungen sowie Umwelt- und

Gesundheitsschäden – etwa beim Perso-

nal, das den Wirkstoffen häufig ausge-

setzt ist – zu verhindern. Das dürfe aber

nicht zu einer weiteren Reduzierung

von Desinfektionswirkstoffen führen,

warnt der Verbund für angewandte

Hygiene. Das sei „im Sinne des öffent-

lichen Gesundheitsschutzes nicht mehr

hinzunehmen“.

dings dazu geführt, dass nicht nur die

Anwendung, sondern auch die Bewer-

tung und Zulassung neuer Biozide ein-

geschränkt wurde, bemängeln der Ver-

bund für Angewandte Hygiene sowie der

Industrieverband Hygiene e.V. und Ober-

flächenschutz für industrielle und insti-

tutionelle Anwendung. In einer gemein-

samen Erklärung kritisieren sie, dass die

Gesetze „vor allem auf Gefahren für die

Umwelt und das Personal abheben, ohne

die Bedeutung der Desinfektionsmittel

für den Gesundheitsschutz ausreichend

zu berücksichtigen“. Bestimmte Wirk-

stoffe, die in Desinfektionsmitteln ent-

halten sind und Bakterien wie Viren aus-

schalten können, seien für die Hy giene

in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen

und anderen öffentlichen Institutionen

unerlässlich. Ein Argument ist beispiels-

weise, dass angesichts des Fehlens neuer

Antibiotika die Bedeutung von Desinfek-

tionsmitteln umso wichtiger wird. Und

dass Bakterien, die Resistenzen gegen

Desinfektionsmittel entwickeln, keines-

wegs auch resistent gegen Antibiotika

werden. Weiter heißt es in der Stellung-

nahme, dass Eigenschaften der Antibio-

tikaresistenz üblicherweise nicht mit

einer erhöhten Resistenz gegenüber

Desinfektionsverfahren einhergehen.

Im Gegenteil, es liege zum Teil sogar

eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber

Desinfektionsmaßnahmen vor.

Trotzdem werde die Verwendung

einiger bewährter Wirkstoffe so stark

eingeschränkt, dass diese damit der

Hygiene in der Human- und Veterinär-

medizin praktisch nicht mehr zur

Verfügung stehen. Ein Beispiel dafür

sind Desinfektionsmittel vom Typ

der Aldehyde. Sie wirken gegen viele

Bakterien sowie Viren und gelten als

besonders geeignet für den Einsatz

an Geräten, die nicht mithilfe von Hit-

ze sterilisiert werden können. Doch

weil sie bei ständiger Anwendung

als krebserregend eingestuft wur-

den, können sie in Krankenhäu-

sern kaum noch eingesetzt wer-

den. „Deshalb ist es notwendig,

nicht nur die ‚abstrakte‘ Gefahr,

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32 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Immer wenn Klinikräume neu bezogen werden, siedeln auch jede Menge BAKTERIEN mit um. Das haben Forscher in den USA beobachtet.

Text: Sascha Karberg

Sie begleiten einen auf Schritt und

Tritt: Bakterien, die zu Abermilliarden auf

der Haut oder im Darm eines jeden Men-

schen leben. Das ist auch gut so. Einer-

seits helfen sie bei der Verdauung, trainie-

ren das Immunsystem und arbeiten auch

sonst einträchtig mit dem Körper zusam-

men. Andererseits werden diese Unter-

mieter unweigerlich mitgeschleppt, wenn

man ins Krankenhaus muss oder dort

arbeitet. Dann können selbst harmlose

Mikroorganismen zu gefürchteten Kran-

kenhauskeimen werden – und zu einer

tödlichen Gefahr, vor allem für immun-

geschwächte Patienten. Allein in Deutsch-

land infizieren sich jährlich rund eine hal-

be Million Menschen – mindestens 30.000

von ihnen sterben daran, schätzt die Deut-

sche Gesellschaft für Krankenhaushygiene

(DGKH). Forscher vom Mikrobiom-Zen-

trum der Universität Chicago haben die

Neueröffnung einer Klinik genutzt, um zu

beobachten, wie sie von Bakterien besie-

delt wird, welche Mikroben Pfleger, Ärzte

und Patienten einschleppen und wie sich

die mikrobielle Flora auf Türklinken oder

Bettgestellen verändert.

S

Wie MikroorganismenKrankenhäuser kapern

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KRANKENHAUSHYGIENE MEDIZIN

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017 33

Umweltkeime (wie Acinetobacter und

Pseudomonas) vorherrschten, breiteten

sich mit Einzug der Menschen vor allem

hauttypische Keime (wie Staphylokokken,

Streptokokken und Corynebakterien) aus.

In den Zimmern der Patienten, vor allem

an den Bettgestellen, fanden die Forscher

nach kurzer Zeit jene individuelle Mikro-

benzusammensetzung, die für den jeweili-

gen Patienten typisch war. „Innerhalb von

24 Stunden übernahm das Mikrobiom des

Patienten den Krankenhausraum“, sagt

Gilbert.

Kein einheitliches MusterDie Forscher stellten fest, dass sich auf

der Haut neuer Patienten – zumindest

anfangs – auch die Bakterien wiederfan-

den, die in den Räumen vorherrschten.

Erst danach übernahm die patiententypi-

sche Mikroorganismengemeinschaft den

Raum. Bei 92 Patienten, die über mehre-

re Monate im Krankenhaus bleiben muss-

ten und engmaschiger untersucht wur-

den, entdeckten die Forscher Bakterien

wie Staphylococcus aureus und Staphylo-

coccus epidermidis, die vor allem immun-

geschwächte Patienten infizieren können.

Varianten von Staphylococcus aureus, die

gegen das Reserveantibiotikum Methicil-

lin resistent sind, sind für schätzungswei-

se 30 Prozent aller Krankenhausinfektio-

nen verantwortlich. Tatsächlich fand man

im Erbgut einiger dieser Bakterien Gen-

varianten, die resistent gegen verschie-

dene Antibiotika machen und somit die

Gefahr einer nicht mehr zu kontrollieren-

den bakteriellen Infektion erhöhen. Ob

dafür der lange Aufenthalt ursächlich war,

oder sich solche Resistenzen auch nach

langer Krankheit und häuslicher Pflege zu

Hause finden würden, konnte die Studie

nicht klären. Ohnehin entdeckte Gilberts

Team die Spuren der resistenten Bakte-

rien nur selten auf der Haut der Patien-ILLU

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Im Februar 2013 eröffnete die Universität

von Chicago das Center for Care and Dis-covery; zwei Monate zuvor war das Team

von Jack Gilbert, Direktor des Mikro biom-

Zentrums der Uni, in dem Gebäude unter-

wegs. Bewaffnet mit Petrischalen, Tupfern

und anderem Handwerkszeug stellten sie

fest, welche Bakterien schon vor Inbetrieb-

nahme in den Räumen und an den Ein-

richtungsgegenständen existierten. Als

dann Ärzte, Pfleger und Patienten einzo-

gen, nahmen sie zehn Monate lang mehr

als 10.000 Proben – von Bettgestellen,

Armaturen, Fußböden und Abluftanla-

gen. Patienten und Pflegepersonal muss-

ten sich zudem Abstriche von Händen, aus

der Nase sowie den Achseln gefallen las-

sen. Dabei stellten die Forscher nicht nur

die Bakterienarten und ihre Häufigkeit

fest, sondern untersuchten in 6.523 Pro-

ben zudem das Erbgut der Mikroben nach

Genvarianten, die resistent gegen Antibio-

tika machen. Auch Temperatur und Luft-

feuchtigkeit in den Räumen zeichneten

die Forscher auf, um mögliche Einflüs-

se auf die Übertragung und Verbreitung

der Erreger erkennen zu können. Die Aus-

wertung der Daten dauerte Jahre. Im Mai

2017 schließlich wurden die Ergebnisse

im Fachblatt „Science Translational Medi-

cine“ veröffentlicht. Demnach nahm die

Anzahl und Unterschiedlichkeit der Bakte-

rien mit Beginn des Krankenhausbetriebs

erwartungsgemäß zu. Während anfangs

ten und viel häufiger auf den Oberflächen

der Krankenhausräumlichkeiten. Die Erb-

gutanalysen ergaben, dass vor allem Sta-

phylokokken- und Propionibakterien die-

se Resistenzgene tragen. Wie sich die

Keime, insbesondere die antibiotikaresis-

tenten, im Krankenhaus verbreiten, kann

auch Gilberts Studie nicht abschließend

klären. „Statistisch gesehen ist es wahr-

scheinlicher, dass das Krankenhausperso-

nal eine Quelle für Bakterien auf der Haut

von Patienten ist als umgekehrt“, schrei-

ben die Forscher. Allerdings sei kein ein-

heitliches Übertragungsmuster zu erken-

nen gewesen.

Temperatur fördert AusbreitungDie Art der Behandlung steht Gilberts Stu-

die zufolge jedenfalls nicht im Zusam-

menhang mit der Verbreitung der Keime:

Weder oral oder per Spritze verabreich-

te Antibiotika noch Chemotherapie sowie

operative Eingriffe änderten den Mikro-

benmix auf der Haut der Patienten. Allein

die Temperatur scheint die Ausbreitung

der Bakterien zu fördern: In den wärme-

ren Monaten tauschten Patienten und

Pflegepersonal vermehrt Mikroben aus.

Auch wenn die Studie den Weg der Keime,

insbesondere der hochinfektiösen und

resistenten, durch das Krankenhaus noch

nicht vollständig nachzeichnen kann, zei-

ge sie, so Gilbert, wie sehr die mikrobio-

logischen Gemeinschaften der Patienten-

haut und der Krankenhausoberflächen

miteinander verflochten sind und aufei-

nander reagieren.

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UMWELT & TECHNIK KREUZFAHRTSCHIFFE

Schwimmende

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Die Nordsee ist 40 Kilometer entfernt – und doch entstehen hier, am Ufer der schmalen Ems, jährlich zwei mehr als 300 Meter lange Kreuzfahrtschiffe. In dieser Nische hat die Meyer Werft einen weltweiten Marktanteil von 22 Prozent.

Text: Olaf Krohn Fotos: Patrick Ohligschläger

Schiffsgarage XXL: 335 Meter lang, 18 Decks hoch – die chinesische „World Dream“ verließ Mitte September 2017 die Meyer Werft in Papenburg. Das Schiff ist für 3.300 Passagiere und 1.700 Crewmitglieder ausgelegt. Es soll künftig von China aus unter anderem die Philippinen anlaufen

34

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Freizeitparks

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017 35

Und dann geht es abwärts, über steile

Behelfstreppen bis auf Deck 1, gewisser-

maßen in den Keller des Schiffs, sieben

Meter unter dem Meeresspiegel – wenn

der Ozeanriese denn eines Tages Wasser

unter dem Kiel hat. Überall Rohre, Lei-

tungen, Aggregate und in Kopfhöhe ein

vielfach eingeschnittener Schlauch, der

Frischluft in den Unterleib der „Norwe-

gian Bliss“ leitet. „Hier wird unter Ver-

wendung von Brenn- und Schutzgasen

geschweißt. Die Räume sind eng, da müs-

sen wir sichergehen, dass die Luft rein

ist“, sagt Wilfried de Haan. Er ist Mitglied

eines Freimesstrupps, der immer dann

vorausgeschickt wird, wenn Mitarbeiter

in hermetisch abgeriegelten Bereichen

arbeiten müssen.

De Haan aktiviert sein Gasmessgerät.

„Es hat vier Sensoren – je einen für Koh-

lendioxid, Kohlenmonoxid, Methan und

Sauerstoff.“ Hier unten, auf Deck 1, ist

für ihn immer noch nicht Schluss. Rasch

U

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36 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

zwängt er sich durch eine kleine Öffnung

und klettert in die Finsternis – in einen

künftigen Flüssiggastank. Nach einiger

Zeit kommt er wieder zum Vorschein:

„Keine besonderen Auffälligkeiten bei

den Messungen!“ De Haan füllt ein Pro-

tokoll aus. Jetzt können seine Kollegen

hier bedenkenlos arbeiten. Sicherheits-

routine auf einer der modernsten Werf-

ten der Welt – 400- bis 600-mal im Monat

werden die Freimesstrupps angefordert.

Dr. Roland Wittig leitet auf der Meyer

Werft in Papenburg den Bereich Arbeits-

und Umweltschutz. „Die alte Formel ‚Ein

Schiff, ein Toter‘ gilt nicht mehr. Unse-

re Kollegen sollen gesund zur Arbeit

kommen und gesund wieder nach Hau-

se gehen!“ Dabei geht es dem studier-

ten Chemiker nicht nur darum, die Kol-

legen vor Arbeitsunfällen zu schützen.

„Wir ermitteln alle Arten von Gefährdun-

gen und Belastungen, auch psychische.

Das nimmt einen immer größeren Raum

ein.“ Vom klassischen Schiffbau, der gern

auch naserümpfend 3D-Industry (dirty,

dangerous, difficult; schmutzig, gefähr-

lich, schwierig) genannt wird, habe sich

die Werft meilenweit entfernt, wie Wit-

tig betont. „Das hier ist Hightech!“ Allein

500 Ingenieure stellen sicher, dass alle

sechs Monate ein neues Kreuzfahrtschiff

ausgeliefert wird, das möglichst noch grö-

ßer, grandioser und grüner ist als alles,

was die Seefahrt bis dahin gesehen hat.

Die Auslieferung ist jedes Mal ein Spek-

takel. Denn Kapitän, Steuermann sowie

diversen Schlepperbesatzungen steht ein

echter Balanceakt bevor, wenn sich der

neue Ozeanriese rückwärts der Nordsee

entgegentastet. Schiff und Fluss schei-

nen nicht zueinanderzupassen: oben die

350 Meter langen, 60 Meter hohen Stahl-

kolosse, unten ein schmaler Wasserlauf,

der dem Teutoburger Wald entspringt und

doch eher ein Habitat für Binnenschiffe

und Fischkutter bildet.

Nächster Schritt: Wasserstoff?„Immer eine Handbreit Wasser unter

dem Kiel!“ Diese geflügelten Worte, die

bei Schiffstaufen nicht fehlen dürfen, pas-

sen nirgends besser als bei den Ems-Über-

führungen der Meyer Werft. Zweimal im

Jahr staut das Sperrwerk in Gandersum

den Fluss an, bis die Fahrrinne eine Tiefe

von 8,50 Meter erreicht hat. Durch diesen

Geburtskanal muss jeder frischgebackene

Pott. Die Meyer Werft erfüllt alle Anforde-

rungen an einen typischen Hidden Cham-

pion: ein Familienunternehmen aus der

Provinz, das kaum jemand kennt, aber in

seinem Metier den Weltmarkt aufmischt.

So richtig verbergen kann es seine Akti-

vitäten im extrem flachen Westen Nie-

dersachsens nicht. Mit 75 Metern Höhe

stellen die Werfthallen alle Kirchtürme

in der Umgebung in den Schatten. „Wir

beschäftigen rund 3.500 eigene Mitarbei-

ter in Papenburg, haben durchschnittlich

aber 6.000 bis 7.000 Menschen auf dem

Gelände“, sagt Werftsprecher Günther

Kolbe. Es sind Mitarbeiter von zahllosen

Zulieferern, die Motoren, Aufzüge, Büh-

nentechnik oder einen Autoskooterpar-

cours in die Schiffe einbauen. Die Reede-

reien lassen ihre Schiffe mehr und mehr

zu schwimmenden Freizeitparks hoch-

rüsten – mit angeschlossener Großhotelle-

rie. Und die Schiffe wachsen immer wei-

ter: Mit der „AIDAnova“ wird die Meyer

Werft bald den ersten Kreuzfahrer vom

Stapel lassen, der ab Herbst 2018 mehr

als 5.000 Passagieren Platz bieten wird.

Und Meyer wäre nicht Meyer, wenn die

Werft damit nicht zugleich eine Weltur-

aufführung plante: Die „AIDAnova“ wird

das erste Kreuzfahrtschiff weltweit sein,

das weder Schweröl noch Marinediesel

verbrennt, sondern ausschließlich Flüs-

siggas (LNG). Ein Quantensprung in

einer Branche, die mit der Nutzung des

billigen, aber extrem schwefelhaltigen

Schweröls stark in der Kritik steht (siehe

auch Drägerheft 400, Seite 50-55). „Und

der nächste Schritt“, kündigt Kolbe an,

„könnte dann der Brennstoffzellenan-

trieb sein.“

Der Verband für Schiffbau und

Meerestechnik (VSM) nennt den Kreuz-

fahrtschiffbau die Königsdisziplin der

Werftindustrie. Die Meyer Werft hat in

den vergangenen Jahrzehnten ihre Pro-

duktion immer weiter perfektioniert.

Schon seit 1994 bildet Europas größtes

Laser zentrum das dortige Kernstück des

Platz für mehr als 5.000 Passagiere

Mit 100 dB Multitonalarm:Die Freimesstrupps der Meyer Werftverwenden das Mehrgas-Messgerät Dräger X-am 7000, das mit bis zu fünf Sensoren erhältlich ist. Es verfügt über eine optische 360-Grad-Rund-um-Warnfunktion und einen kreis-sägelauten 100-dB(A)-Multitonalarm

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KREUZFAHRTSCHIFFE UMWELT & TECHNIK

37

Messen bietet Sicherheit:Wo mit Brenn- und Schutzgasen gearbeitet wird, hat die Prüfung der Luftqualität hohe Priorität. Dieser Mit-arbeiter der Meyer Werft (links) gehört einem Freimesstrupp an und kontrolliert einen Gasöltank – wenn die Luft rein ist, dürfen seine Kollegen hier arbeiten. Er nutzt dafür das Mehrgas-Messgerät X-am 7000 von Dräger (oben)

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

K(l)eine Atempause:Doch eigentlich gibt es kei-nen Stillstand in der Meyer

Werft – die Auftragsbüchersind bis 2023 gefüllt

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38 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

UMWELT & TECHNIK KREUZFAHRTSCHIFFE

Stahl bauzentrums. Die Produktion von

Passagierkabinen, Nasszellen und Rohren

hat man in Tochterunternehmen ausge-

lagert. Die eigentliche Schiffsfertigung

erinnert an Lego oder Duplo. Zunächst

entstehen kleinere Stahlsektionen, die

anschließend zu Blöcken verschweißt

werden – jeder mehrere hundert Tonnen

schwer. Ein Kreuzfahrtschiff entsteht aus

mehreren Dutzend Blöcken. Eigentlich

ein einleuchtendes Verfahren, dennoch

sind sie ein bizarrer Anblick: turmhohe

Strukturen ohne Bug und Heck; stählerne

Tortenstücke, als künftiges Schiff kaum

zu erkennen.

Trotz Brand: pünktliche Lieferung„Das Know-how, Kreuzfahrtschiffe kos-

tendeckend herzustellen, muss man sich

mühsam erarbeiten“, sagt Kolbe. Schon

1986 traf Firmenchef Bernard Meyer die

Entscheidung für eine Spezialisierung

auf große Passagierschiffe. In Deutsch-

land waren Kreuzfahrten seinerzeit vor

allem betuchten Pensionären mit ausge-

prägter sozialer Distinktion vorbehalten.

Erst ab 1996 mischte die Ur-Aida (heu-

te: „AIDAcara“) den Markt auf. Zwischen

2008 und 2016 schnellte die Zahl deut-

scher Hochsee-Urlauber von über 900.000

auf mehr als zwei Millionen. Während der

Bau von Tankern und Containerschif-

fen wegen Überkapazitäten weltweit fast

auf dem Trockenen liegt, erweisen sich

Kreuzfahrtschiffe als lukrative Nische, die

trotz diverser Enterversuche fernöstlicher

Werften weiterhin in europäischer Hand

ist. Frankreich, Italien, Deutschland und

Finnland sind die Länder, die den Welt-

markt beliefern, wobei das finnische Tur-

ku seit 2014 neben Papenburg ein zweiter

Meyer-Standort für den Bau von Hochsee-

schiffen ist. Der Anteil des Familienun-

ternehmens am Weltmarkt liegt derzeit

bei 22 Prozent, die Auftragsbücher sind

bis 2023 gefüllt.

Wenn eine Werft schon so ikonische

Produkte wie Traumschiffe baut, dann

wird sie eines Tages selbst zum Sehn-

suchtsort. Die Führungen im Besucher-

zentrum locken jährlich 250.000 Men-

schen an: Von Panoramafenstern aus

können sie auf die Produktion in der gro-

ßen Dockhalle hinabschauen und Schiffs-

modelle sowie Originalbauteile bestau-

nen. Das Zentrum war noch geschlossen,

als es im Herbst 2016 an einem Samstag-

morgen in der Dockhalle brannte: „Auf

Deck 9 der ‚Norwegian Joy‘ breitete sich

das Feuer rasend schnell aus“, erinnert

sich Erik Feimann. Der Chef der Werk-

feuerwehr musste damals Vollalarm für

ganz Papenburg auslösen. „Wegen der

großen Hitze war ein Innenangriff nicht

möglich.“ Doch auch die Brandbekämp-

fung von außen gestaltete sich aufgrund

der großen Höhe schwierig. „Glückli-

cherweise gab es keine Verletzten, dafür

aber einen enormen Sachschaden“,

erklärt Feimann. Als Konsequenz aus

diesem Vorfall beschaffte das Unterneh-

men für seine Werkfeuerwehr eine neue

Hubrettungsbühne mit einer Rettungs-

höhe von 51 Metern und einer Pumpen-

leistung von 5.000 Litern pro Minute.

90 Brandschützer gehören der Werkfeu-

erwehr an. „Wir üben natürlich auch

mit freiwilligen Feuerwehren“, sagt Fei-

mann. „Allerdings haben wir es hier mit

Schiffen zu tun, nicht mit Einfamilien-

häusern.“ Im Brandfall verursache der

Schiffsstahl eine enorme Hitzestrahlung.

Außerdem müssen die Feuerwehrleute

zur Brandbekämpfung möglichst in das

Schiff h inein. „Diese Innenangriffe füh-

ren über sehr weite Wege“, schildert Fei-

mann die besonderen Begleitumstände.

Auch deshalb setzt man auf Langzeit-

Atemschutz-Geräte und Wärmebildka-

meras von Dräger: „Die Kameras sollte

man stets bei sich haben, wenn man sich

bei null Sicht im Kriechgang durch das

Schiff bewegt.“ Übrigens: Die Norwegian

Joy, die vor einem Jahr durch den Brand

im Kabinenbereich so schweren Schaden

nahm, wurde ebenso pünktlich ausgelie-

fert wie alle anderen Kreuzfahrtschif-

fe zuvor. Das muss den Leuten von der

Meyer Werft auch erst mal einer nach-

machen.

Europas Werften dominieren den Markt

Stählernes Tortenstück: Kreuzfahrtschiffe entstehen nicht aus einem Guss, sondern aus zahlreichen Segmenten, die am Schluss zu einem kompletten Ganzen zusammengefügt werden

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39

Rauchfrei: Die Meyer Werft baut für Aida Cruises das erste Kreuzfahrtschiff der Welt, das mit Flüssiggas angetrieben wird. www.draeger.com/402-39

Hoch hinaus:Kreuzfahrtschiffe sind keine Ein-familienhäuser, sondern Bauwerke von außerordentlichen Dimensio-nen. Um künftig auch Brände auf oberen Decks wirksam bekämpfen zu können, schaffte die Meyer Werft im Sommer 2017 ein Fahrzeug mit Hubrettungsbühne an, die sich auf bis zu 51 Meter Höhe ausfahren lässt

Gewusst, wo: In der Wache der Werkfeuerwehr lagern Ausrüstung und Dokumente

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Page 40: Drägerheft - draeger.com · 2018. 5. 22. · Technisches Gerätemanagement von Dräger bietet Service aus einer Hand – wie am Universitäts-klinikum Schleswig-Holstein. 54 Mit

Gründer

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 201740

Gute Aussichten:Matthias Schmittmann

(links) und Johannes Weber entwickelten ein

innovatives Gasmessgerät

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GEFAHRSTOFFE NATUR & WISSENSCHAFT

41

„Ein auf Umweltanalysen speziali-

sierter Hochschullehrer“, nimmt Johan-

nes Weber den Faden auf, „zeigte uns das

Funktionsmuster eines Gaschromato-

graphen, mit dem sich Schadstoffe auf-

spüren lassen.“ Die beiden Endzwanziger

holen ein solches Exemplar in den Bespre-

chungsraum ihres Unternehmens, das als

Ausgründung der Technischen Universi-

tät Hamburg-Harburg ständiger Gast auf

dem Campus ist. Weber hält das Gerät

hoch, das an eine Laserkanone erinnert.

Was sie hingegen in zwei Jahren Entwick-

lungszeit daraus gemacht haben, ist klein

und handlich: das mobile Gasmessgerät

Dräger X-pid 9500 als Spitzenmodell einer

kleinen Reihe von Varianten.

„Damit“, so Matthias Schmittmann,

der neben seinem Studium zum Chemie-

ingenieur noch einen MBA draufsattelte,

„können wir präzise jede Menge flüchti-

ge Kohlenwasserstoffe bestimmen und in

kleinsten Konzentrationen messen.“ Vor

allem das krebserregende Benzol, für das

der EU-Grenzwert am Arbeitsplatz 2018

nochmals kräftig sinken wird (von 60 ppb

auf nur noch 6 ppb). Die Abkürzung ppb

steht für eine Konzentration von einem

Teil pro einer Milliarde anderer Teile

(parts per billion). „Schon heute liegt

allein in Hamburg das Grundrauschen an

Benzol zwischen einem und zwei ppb“,

ergänzt Johannes Weber, der sich als Wirt-

schaftsingenieur um die kaufmännischen

Dinge und die immer wichtiger werdende

Software des X-pid kümmert.

Selbst Laien können es bedienenBis das fertige Gerät allerdings vor ihnen

lag, war einiges zu tun. Dafür erwies sich

das Duo als ideales Gespann. Es erforsch-

te den Markt, befragte Anwender und

erkundete Potenziale. Die Idee reifte zu

einem Businessplan, der wiederum zu

einem Unternehmen. Das sammelte Prei-

se, warb um Förderungen und überzeugte

kritische Investoren. „Offenbar lagen wir

mit unserer Idee richtig“, sagt Schmitt-

mann. „Viele Start-ups“, ergänzt Weber,

„konzentrierten sich auf Service konzepte.

Mittlerweile scheint der Trend wieder zu

Geschäftsmodellen zu gehen, in denen

technische Innovationen im Mittelpunkt

stehen.“ Und genau darauf konzentrierte

E

mit guter NaseChemikalien können die Umwelt und die Gesundheit belasten. Deshalb gibt es Grenzwerte, deren Einhaltung von Gasmessgeräten überprüft werden kann. Das Hamburger Start-up BENTEKK hat mit seiner analytischen Messtechnik auch Dräger begeistert. Im Frühjahr 2017 erwarb der Lübecker Technologiekonzern eine 51-Prozent-Mehrheit an dem Unternehmen.

Text: Nils Schiffhauer Fotos: Patrick Ohligschläger

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

sich das Start-up mit seinen mittler weile

elf Mitarbeitern: die technischen Verfah-

ren von Gaschromatograph (GC) und

Photoionisationsdetektor (PID) in ein

handliches Gerät zu transformieren.

„Entwickelt haben wir das Produkt eher

evolutionär“, blickt Schmittmann zurück.

Das ursprüngliche Muster ihres Profes-

sors eignete sich viel mehr für die Schad-

stoffmessung von Altlasten. „Doch“, so

Weber, „dieser Markt ist gesättigt. Labo-

re konkurrieren zu kleinen Preisen.“ Aber

Gefahrstoffmessungen in der Industrie, in

Raffinerien und auf Bohrinseln verspra-

chen einen lukrativen Markt. Dafür muss-

te die Technik allerdings sehr viel kleiner

werden und sich auch von Laien bedie-

nen lassen. Dabei spielte der Stromver-

brauch ebenso eine Rolle wie eine kurze

Messzeit. Lange Messzeiten bieten zwar

eine hohe Auflösung bei der Identifikati-

on verschiedener Substanzen, mindern

den Gebrauchswert jedoch drastisch.

Zunächst auf Benzol konzentriertHier kam das Duo auf innovative Lösun-

gen. So misst das Gerät laufend die

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NATUR & WISSENSCHAFT GEFAHRSTOFFE

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 201742

Summe leichtflüchtiger Stoffe in der

Umgebungsluft. Johannes Weber nimmt

die Kappe von einem Filzstift, dessen

Lösungsmittel sich kaum bemerkbar im

Raum verteilt. Fast augenblicklich meldet

sich das X-pid. „Jetzt wissen wir zwar, dass

ein leichtflüchtiger Kohlenwasserstoff in

der Luft liegt, aber noch nicht, welcher.

Auch nicht, ob er krebserregend ist.“ Wur-

de im ersten Messmodus eine verdächti-

ge Substanz gefunden, lässt sie sich im

zweiten identifizieren und der Gehalt in

ppb oder ppm (parts per million) anzei-

gen. Eine ebenso clevere wie praxisnahe

Methode, deren technisches Kernstück

sich die Erfinder patentieren ließen.

einführung.“ Im Frühjahr 2017 erwarb

Dräger 51 Prozent der Anteile des Unter-

nehmens. Aus dem bentekk X-PID wurde

das Dräger X-pid 9000 und 9500. Letzte-

res misst mehr Zielstoffe und lässt sich

vom Benutzer konfigurieren. Beide Vari-

anten wurden erstmals auf der Düssel-

dorfer Arbeitsschutzmesse A+A im Okto-

ber 2017 präsentiert und sollen künftig

explosionsgeschützt ausgeliefert werden.

„Hierfür haben wir das eigentliche

Messgerät von der Einheit zur Anzeige,

Steuerung und Messdatenauswertung

getrennt“, erläutert Johannes Weber das

Konzept, das eine explosionsgeschützte

Sensoreinheit mit einem ebenfalls explosi-

onsgeschützten Android-Smartphone über

Bluetooth verbindet. „Wir hätten Jahre

gebraucht, um selbst ein ex-geschütztes

Kommunikationsmodul zu entwickeln,

das die Daten unseres Messgeräts nicht

zuletzt auch via Mobilfunk an beliebigen

Orten verfügbar macht.“ Konsequent ver-

stehen sie das X-pid als Teil des Internet of Things (IoT), wobei natürlich die Informa-

tionen nur geschützt übertragen werden.

Nach drei Jahren ist aus der Idee ein

Produkt entstanden, das Dräger als ein

weltweit führendes Unternehmen in der

Gasmesstechnik restlos überzeugte. „Es

war gut, dass wir von den Kenntnissen

und Interessen her breit aufgestellt sind –

Chemie, Hardware, Software, Betriebs-

wirtschaft“, sagt Matthias Schmittmann.

Ihr Elan lässt daran zweifeln, ob alle

Vorurteile über die Generation Y auch

wirklich stimmen.

Auf und davon: Das Dräger X-pid misst leichtflüchtige Gefahrstof-fe in der Umgebungsluft und zeigt ihre Konzentration im Milliardstelbereich an

Von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt vergingen gerade mal drei Jahre

„Unser Vorteil war“, erklärt Schmittmann,

„dass wir uns zunächst auf das besonders

kritische Benzol konzentriert und unser

Gerät erst dann schrittweise um weitere

Stoffgruppen erweitert haben.“ Das ist

in erster Linie eine Frage der Software.

Sie ordnet die Messwerte (nach Intensität

und Zeit) selbst dann noch den richtigen

Stoffen zu, wenn die gemessenen Roh-

daten gewissermaßen ineinanderlaufen.

Das blieb nicht unbemerkt. Auch Dräger

wurde auf die Innovatoren aufmerksam.

„Die waren von der Technologie begeis-

tert“, erinnert sich Johannes Weber, „und

unterstützen uns seit ihrem Einstieg vor

allem bei der bevorstehenden Markt-

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43DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

So funktioniert das X-pidDas Gerät kombiniert zwei verschiedene Technologien, um die Konzentration bestimmter Stoffe in Gasen anzuzeigen: Die Gaschromatographie (GC) trennt unterschiedliche Moleküle voneinander. Hierzu durchläuft die Umgebungsluft eine Trennsäule, die unterschiedlich großen Molekülen unterschiedliche Widerstände entgegensetzt. Im Ergebnis treten kleine und leichtflüchtige Stoffe als Erstes aus der Säule aus, während größere und schwerflüchtige später den Ausgang erreichen. Jedes Molekül benötigt dafür eine gewisse Zeit (Retentionszeit). Je länger die Säule, desto präziser die Trennung der Molekü-le – desto länger ist allerdings auch die Mess-zeit. Beim X-pid ist die Säule in ihrer optimierten Länge wie eine Spule aufgewickelt, um einer-seits das physikalisch erforderliche Maß mit den andererseits geringen Abmessungen des Gerätes zu kombinieren.An die Gaschromatographie schließt sich der Photoionisationsdetektor (PID) an. Das vom Ausgang der Trennsäule kommende Gas wird durch UV-Licht ionisiert: Das energiereiche Licht schlägt Elektronen aus spezifischen Molekülgruppen heraus. Dadurch entsteht ein elektrisch leitfähiges Gas, ein kaltes Plasma. Trifft es auf den Detektor, wird ein Raum zwischen zwei Drähten leitend, und es fließt ein Strom. Durch Trennung der Stoffe im Gaschromatographen sowie deren nachfolgende Ionisierung und Detektion entsteht das charak-teristische Muster einer Probe. Jeder detektierte Stoff zeichnet sich als Zacken (Peak) auf einer Zeitskala ab. An deren Anfang finden sich leichtflüchtige Stoffe, während im weiteren Verlauf immer schwerflüchtigere Moleküle folgen. Die Trennung eng beieinanderliegender Peaks sowie den weitgehenden Schutz vor Wechselwirkungen der einzelnen Substanzen (Querempfindlichkeit) stellen komplexe mathematische Verfahren sicher.

Mittels Gaschromatographie werden unterschiedliche Moleküle voneinander getrennt: Sie verlassen die Trennsäulen in unterschiedlichen zeitlichen Abständen.

Im Sensormodul wird die aus der Trennsäule kommende Luft ionisiert. Bestimmte Bestandteile werden dadurch elektrisch leitend und im eigentlichen Sensor nach Menge und zeitlichem Auftreten registriert.

Auswertung: Auf einer Skala zeichnen sich daraufhin bestimmte Stoffe nach ihrem zeitlichen Eintreffen (Position) und ihrer Menge (Stärke) ab. Leistungsstarke Algorithmen trennen ineinanderlaufende Kurven und ordnen sie über Daten-banken den spezifischen Substanzen – nach Art und Konzentration – zu.

Stoßsicher verpackt ist das Gasmessgerät samt Zubehör. Seine Entwicklung verlief nicht immer so gut gepolstert. Doch die Macher hatten stets eine neue Idee parat

Signal

Zeit

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Das linke Triebwerk brennt. „Bird

strike!“, meldet der Kontrollturm den

Feuerwehrleuten per Funk: Vogelschlag.

Ein Schwarm ist in das Triebwerk gera-

ten. Notlandung. Vier Löschfahrzeuge

rasen heran, nähern sich dem Airbus

A320 – zwei zielen mit ihren Dachwerfern

mehrere Minuten direkt auf das gewalti-

D

Brennt ein Flugzeug, sind die ersten Minuten die wichtigsten, um die Passagiere zu retten. Auch deshalb müssen Feuerwehr-leute immer wieder praxisnah trainieren – wie im französischen Châteauroux.

Text: Michael Neubauer Fotos: Patrick Ohligschläger

Flammenim Flieger

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 201744

FEUERWEHR BRANDSIMULATION

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ge Feuer. „Das gefällt mir gut“, sagt Gil-

les Vidalie, Ausbilder am Centre Français

de Formation des Pompiers d’Aéroport

(C2FPA). Er steht am Fenster eines Kon-

trollraums und schaut der Übung aus

sicherer Entfernung zu. „Die Männer

haben die Fahrzeuge gut positioniert.“

Vidalie macht sich Notizen, und wird die

Brandschützer nachher loben. Der 48-jäh-

rige Franzose, der zuvor bei der Pariser

Feuerwehr und am Flughafen von Poitiers

gearbeitet hat, lehrt seit elf Jahren am Aus-

bildungszentrum der französischen Flug-

hafenfeuerwehr. Der Airbus ist nur eine

Attrappe: ein rostbrauner Brandsimulator

aus Cortenstahl. „Intervention beendet“,

melden die Brandschützer per Funk. Das

Feuer ist gelöscht. Seit 2007 üben Flugha-

fenfeuerwehrleute auf dem 15 Hektar gro-

ßen Gelände des C2FPA. Hier, in der Nähe

von Châteauroux, rund drei Autostunden

südlich von Paris, lernen sie, wie man mit

gefährlichen Situationen umgehen muss.

Nicht weit vom A320 steht der größte

Simulator der Welt, der einer Boeing 747.

Während nur wenige Hundert Meter ent-

fernt, auf einem ehemaligen Nato-Flugha-

Bodenattrappe: Die stählernen Flugzeuge bei Châteauroux heben nie ab – denn sie sollen brennen, immer wieder

45DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

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fen, Frachtmaschinen starten und landen,

heben diese Simulatoren nie ab. Stattdes-

sen brennen sie, immer wieder. Dafür

sind sie gemacht. Ob Rumpf, Flügel, Fahr-

werk, Triebwerke, Cockpit, Decke, Kabi-

ne, Toiletten oder Frachtraum: Insgesamt

bieten beide Anlagen dreißig verschiedene

Stellen, an denen Feuer ausbrechen kann.

Auch ein Flächenbrand auf dem Rollfeld

lässt sich simulieren. Die Anlagen stam-

men von Dräger, ebenso wie die Technik-

räume samt Steuerung per Fernbedie-

nung. Auch die Zufuhr von flüssigem

und gasförmigem Propan, die Versor-

gung mit Druckluft sowie die Kühlung der

Simulatoren mit Wasser erfolgen mittels

Dräger-Technik. Bei den Übungen müssen

die Männer unter schwerem Atemschutz

in den Bauch der Flugzeuge vordringen,

Türen aufschneiden und Überlebende ret-

ten – dabei werden sie von dichtem Rauch

eingenebelt. Die Ausbilder können über

Lautsprecher Menschengeschrei ertönen

lassen, um den Stress der Teilnehmer zu

erhöhen. „Wichtig ist, dass die Schulungs-

inhalte realitätsnah sind“, sagt Gilles Vida-

lie. Am Ende seien die Männer selbstsiche-

rer, weil sie wüssten, wie sie im Ernstfall

zu reagieren haben. Im Vergleich zu den

Kameraden in der Stadt müssten Ein-

satzkräfte am Flughafen vor allem eines:

wesentlich schneller intervenieren.

Oft überhitzen die BremsenIn dieser Woche trainiert hier die Flugha-

fenfeuerwehr Luxemburg. Die neun Män-

ner kommen in den Besprechungsraum,

legen ihre schwere Montur ab und setzen

sich auf die Bank. Die letzte Übung sei

schon besser gelaufen als die davor, berich-

tet einer von ihnen. Da musste er mit dem

Löschschlauch am Simulator die überhitz-

ten Bremsen kühlen und hatte sich dafür

am Fahrwerk falsch positioniert: „Wegen

der enormen Hitze können Felgen oder

Reifenteile mit großer Wucht davonflie-

gen. Deshalb sollte man bei Löscharbei-

ten immer darauf achten, sich in einem

bestimmten Winkel hinzustellen.“ Die

Brandschützer haben den theoretischen

Teil der Ausbildung bereits hinter sich. Am

Morgen haben sie eine schriftliche Prü-

fung abgelegt. Jetzt muss die Praxis trai-

niert werden. Zu Hause können sie keine

Übungen dieser Größenordnung durch-

führen. „Es ist wichtig, die Erfahrung zu

machen und derartige Feuersbrünste zu

erleben“, sagt einer der Luxemburger

Brandschützer.

Die ausrangierte Boeing 747 stand

einst im Dienst von Air France. An die-

Viele Menschen haben Angst vordem Fliegen – schwere Unfälle ereignen sich allerdings selten

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Kontrolliert: Ausbilder Gilles Vidalie plant, überwacht und dokumentiert die Abläufe der Trainings

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ser Maschine wird auch geübt, wie sie

sich belüften lässt, damit die Passagiere

nicht im Rauch ersticken. In unmittelba-

rer Nähe liegt eine Boeing 737 ohne Fahr-

werk, die Flugzeugspitze ist bereits von

Gras umwachsen: ein simulierter Crash.

Die Flügel sind abgerissen, einige Sitze

liegen draußen verstreut. Auch im Inne-

ren sieht alles sehr mitgenommen aus.

Schwere, Menschenkörpern ähnliche,

Puppen liegen in den Gängen. Auch hier

üben die Feuerwehrleute das Retten und

Bergen von Unfallopfern. Oft berührt sie

diese Aufgabe mehr als die Löscharbeiten.

Schwere Flugzeugunfälle mit Toten

ereignen sich relativ selten. 2017 wurde

ein neuer („sensationell niedriger“) Wert

für die Flugsicherheit in der weltweiten

Luftfahrt gemeldet. Nach einer Analyse

des JACDEC (Jet Airliner Crash Data Eva-

luation Centre), dem Hamburger Flugun-

fallbüro, sank die Zahl der Todesopfer bei

Flugunfällen im ersten Halbjahr 2017 auf

16, im Vorjahreszeitraum waren es noch

175. Ganz aber lassen sich solche Unfälle

nicht vermeiden. Dank der Flughafenfeu-

erwehren kommen die Passagiere meist

glimpflich davon. Zum Beispiel, wenn ein

Flugzeug von der Start- oder Landebahn

abkommt und in die Rasenfläche rutscht.

Nicht selten überhitzen die Bremsen, etwa

wenn der Pilot den Start plötzlich abbre-

chen muss. Dann ist es Aufgabe der Flug-

hafenfeuerwehr sie zu kühlen, damit erst

gar kein Feuer entsteht. „Der Start ist

eine kritische Phase“, fügt Jean-Michel

Feuer in der Passagierkabine: Ein Brandschützer kämpft sich

mit schwerer Ausrüstung ins Innere des Brandsimulators vor

Auf Abstand: Per Fernbedienung können die Ausbilder die Feuer an den Simulatoren zünden und löschen

Rohr frei: Den Trainingsteilnehmern stehen mehrere Löschfahrzeuge

zur Verfügung. Sie müssen lernen, dieWasserkanone möglichst effektiv auf den

Brandherd am Flugzeug auszurichten

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

FEUERWEHR BRANDSIMULATION

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Azémar, Vorsitzender des Trainingszen-

trums, hinzu. Die Triebwerke geben vol-

len Schub, damit die Maschine abheben

kann und schnell an Höhe gewinnt. In

dieser Phase darf es keine Panne geben.

Azémar sitzt im Schulungszentrum vor

einem Modell der Boeing 747 und zeigt

auf die zehn Ausgänge. „Wenn es an Bord

brennt, sind die ersten Sekunden die wich-

tigsten.“ Sie entscheiden über Leben und

Tod der Passagiere, die binnen weniger

als 90 Sekunden evakuiert werden sollten.

Die Europäische Flugsicherheits-

behörde (EASA) verpflichtet Flughafen-

feuerwehren in Europa dazu, Übungen

zur Brandbekämpfung in regelmäßigen

Abständen durchzuführen. Die Brand-

schützer haben eine Basisausbildung,

zudem eine spezialisierte Fortbildung. „Je

größer die Flugzeuge, desto umfangrei-

cher die Sicherheitsvorschriften“, so Azé-

mar. Viele Brandschützer erleben in ihrer

Laufbahn nie einen solch schweren Ein-

satz. Dennoch müssen sie dafür gewapp-

net sein. „Wenn es wirklich dazu kommt,

dürfen einem keine Fehler unterlaufen“,

erklärt Azémar. Auch deshalb seien prakti-

sche Übungen an Simulatoren so wichtig.

Nur wenige Trainingszentren weltweit

können eine derartige Ausbildung anbie-

ten; das C2FPA gehört dazu. 35 französi-

sche Flughäfen haben 2003 gemeinsam

mit der Union der französischen Flug-

häfen (UAF) 15 Millionen Euro in die

Struktur des C2FPA investiert – darun-

ter vor allem die Betreibergesellschaft

der Pariser Flughäfen Aéroports de Paris

(ADP) sowie Paris-Charles de Gaulle, einer

der zehn größten Passagierflughäfen der

Welt. Unter den Ausbildungszentren, die

sich auf die Feuerwehrausbildung spezi-

alisiert haben, ist das C2FPA mit seinem

„Trainair plus Programm“ weltweit das

einzige, das durch die Internationale Zivil-

luftfahrt-Organisation (ICAO) zertifiziert

ist. So erhalten ausländische Feuerwehr-

leute ein Zertifikat, das in ihrem Heimat-

land anerkannt wird. Seit elf Jahren fin-

den hier bereits Schulungen statt, jährlich

nehmen rund 1.000 Brandschützer daran

teil. Die verschiedenen Programme dau-

ern zwei bis drei Wochen. Feuerwehrleu-

te aus Belgien, Luxemburg, der Schweiz

oder Polen kamen bereits hierher; eben-

so wie aus den französischen Übersee-

departements und -gebieten, darunter

Brandschützer der Flughäfen von Fran-

zösisch-Polynesien.

Ohne Training regiert die AngstFeuerwehrleute müssen im Falle einer

Katastrophe einen kühlen Kopf bewah-

ren und lernen, mit ihrer Angst umzu-

gehen. „Wenn man nicht weiß, was auf

einen zukommt, hat man in der Regel

Fitnesstrainer der besonderen Art: Die Teilnehmer mit allen möglichen Brand- und Katastrophenszenarien vertraut zu machen, das ist sein Ziel: Jean-Michel Azémar, Chef des Trainingszentrums C2FPA auf dem Übungsgelände in Châteauroux

Feuerpause: Die Trainingsteilnehmer besprechen vor und nach jeder Übung, worauf es ankommt – und wie es ihnen ergangen ist

Jährlich trainieren hier rund 1.000 Brandschützer aus aller Welt

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

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Gefahr am Himmel:Zusammenstöße mit Vögeln sind gefürchtet – im schlimmsten Fall können sie ein Flugzeug zum Absturz bringen. www.draeger.com/402-49

Angst“, erklärt Azémar. Tote, Schwer-

verletzte, Feuer, Dunkelheit, Rauch und

Schreie – aber auch die Situation für einen

Gruppenchef, der mit nur sechs Mann bei

einem Flugzeugabsturz vor Ort ist, kann

belastend sein. Er muss binnen weniger

Sekunden die Lage analysieren und dann

die richtigen Befehle geben: „In diesen

Momenten kann man sich sehr einsam

fühlen“, weiß Azémar. Es gibt Überlegun-

gen, eine virtuelle Simulationsplattform

für Flugzeugbrände anzubieten. „Stellen

Sie sich einen Flugzeugcrash vor, bei dem

500 Passagiere über Notrutschen aus der

Maschine drängen.“ Eine echte Übung

mit so vielen Menschen sei nicht zu leis-

ten. Aber mit einem Simulator, vergleich-

bar mit einem Videospiel, wäre das mög-

lich. Die praktische Ausbildung an den

Brandsimulatoren werde es natürlich

weiterhin geben: „Der Feuerwehrmann

muss mit dem Feuer in Kontakt sein, das

ist lebensnotwendig“, sagt Azémar.

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

FEUERWEHR BRANDSIMULATION

Umweltschutz rund um die Feuerhölle Die Gesetze in Frankreich verbieten Brandschutzübungen mit Kerosin. Die Brandsimulatoren B747 und A320 arbeiten deshalb mit flüssigem (außerhalb des Simulators) und gasförmigem Propan (innerhalb). Propan setzt beim Verbrennen – im Gegensatz zu Kerosin – weniger Rauch, Kohlenmonoxid und -dioxid frei. „Die Simulatoren arbeiten sehr umwelt-freundlich“, sagt C2FPA-Präsident Jean-Michel Azémar. „Das Feuer sieht einem Kerosinfeuer sehr ähnlich.“ Für die Brandschutzübungen verbraucht das Trainingszentrum rund 100 Tonnen Propan im Jahr. Die Feuer werden vom Kontrollraum aus gesteuert, per Computer oder Fernbedienung. Es gibt zwei Möglichkeiten, sie zu beenden. Das Gas kann manuell abgestellt werden oder automatisch: Sobald man ausreichend Wasser auf die Feuer-stellen gespritzt, und sich so die Temperatur des Brandherds reduziert hat, mindern Sensoren die Gaszufuhr. „Ziel ist es, Brandschützer mit einer möglichst realen Situation zu konfrontieren“, betont Jean-Luc Vogler-Finck von Dräger. Auch in Sachen Löschwasser setzt das C2FPA auf eine umweltfreundliche Lösung. Es wird gereinigt, in ein Rückhaltebecken geleitet und bei kommenden Übungen wieder verwendet. Die Teilnehmer können auch mit speziellem Übungsschaum löschen. Die Rückstände werden dann in einer Kläranlage aufbereitet.

Schöner parken: In diesem Gebäude, am Rande des Übungsgeländes,sind die Löschfahrzeuge untergebracht

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Routiniertes Netzwerk:Dräger TGM-Servicetechniker

Christopher Joost unterwegs mit einem Ultraschallgerät im Zentral-

OP des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel

„Wir tragen das

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MEDIZINTECHNIK WIRTSCHAFT

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017 Risiko“51

Service aus einer Hand, auch für heterogene Gerätelandschaften: Das ist nicht nur der Traum vieler Kliniken, sondern zugleich das Geschäftsmodell des TECHNISCHEN-GERÄTEMANAGEMENTS von Dräger. So gewährleistet man höchste Verfügbarkeit – wie etwa am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Text: Constanze Sanders Fotos: Patrick Ohligschläger

Erfolg besteht darin, dass man über

genau die Fähigkeit verfügt, die im

Moment gefragt ist. Was ein amerikani-

scher Automobilkonstrukteur zur Grund-

lage der Arbeitsteilung erklärte, weiß auch

Christopher Joost, wenn er morgens um

halb sieben in die Werkstatt kommt. Im

Haus 11 auf dem Gelände des Universi-

tätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH)

prüft der Medizintechniker zuerst, welche

Station ihn sofort braucht. „Jeden Mor-

gen checke ich meine Mails und sehe, was

über Nacht reingekommen ist.“ Mit sei-

nen Kollegen von Dräger TGM sorgt er

dafür, dass auf dem Kieler Campus des

UKSH kein Schräubchen locker bleibt.

„Schon ein kleines defektes Einzelteil

kann einen Magnetresonanztomographen

oder ein Beatmungsgerät rasch zum Still-

stand bringen“, weiß Joost. „So etwas hat

dann oberste Priorität.“

Seit 2010 befindet sich der Service

für die Medizintechnik am UKSH in der

Hand Drägers. Größe und Komplexität

des Klinikums – mit seinen rund 13.000

Mitarbeitern, 85 Kliniken, Instituten und

der medizinischen Spitzenforschung in

Lübeck und Kiel – waren ein Hauptgrund

dafür, die technische Kompetenz arbeits-

teilig an einen Systempartner zu übertra-

gen. Dräger TGM nimmt dem UKSH das

technische Gerätemanagement herstel-

lerübergreifend ab. Im vergangenen Jahr

wurde der Vertrag um weitere fünf Jahre

verlängert. „Unsere Medizin- und Service-

techniker sorgen für den zielgerichteten

Einsatz der Geräte und koordinieren den

wirtschaftlichen Gebrauch innerhalb der

Klinik“, sagt Projektleiter Sven Wach, der

in Kiel das TGM-Budget im Blick behält.

98 Prozent VerfügbarkeitNeun Techniker sind täglich allein auf

dem weitläufigen Kieler Areal unter-

wegs. Jeder von ihnen ist verantwort-

lich für einzelne Gebäude, zudem auf

bestimmte Geräte spezialisiert. „Wir

haben ein Störmeldemodul“, sagt Joost.

„Schwestern und Pfleger können rund um

die Uhr jedes Gerät anhand einer Num-

mer online als defekt melden.“ Das Fin-

gerspitzengefühl dafür, was sofort erle-

digt werden muss, resultiert aus dem

engen Kontakt zum Klinikpersonal. Drä-

ger gewährleistet 95 Prozent Betriebsbe-

reitschaft für die normale und 98 für die

diffizile Technik des operativen Betriebs.

„Wir tragen das Risiko“, sagt Christopher

Eggert, TGM-Regionalleiter für Schleswig-

Holstein und Hamburg. Etwa 65.000 doku-

mentierte Gerätebewegungen gibt es pro

Jahr. Das bedeutet: 180 Aufgaben und Ein-

sätze pro Tag – für 25 Mitarbeiter in den

Bereichen Technik, Support und Verwal-

tung in Lübeck und Kiel.

Die Vorteile für die Klinik liegen auf

der Hand: Die Technikexperten im Haus

bieten einen One-Stop-Shop für Repa-

ratur, Ersatz- und Leihgeräte, Instand-

haltung sowie Administration – egal um

welchen Hersteller es geht. Der hat gleich-

zeitig einen zentralen Ansprechpartner

für den störungsfreien Betrieb seiner Pro-

dukte. Dräger TGM ist Schnittstelle und

Dienstleister für beide und verschafft der

Klinik so Freiräume für die Patientenver-

sorgung. Dafür zahlt das UKSH jährlich

einen festen Millionenbetrag. Ausfallzei-

ten werden elektronisch erfasst und minu-

tiös abgerechnet. Die umfangreiche Doku-

mentation stützt die für Ärzte und Pfleger

gesetzlich vorgeschriebene Rechenschafts-

pflicht und Beweissicherung. Dazu zählen

Zeitpunkt der Abschaltung und Prüfung,

E

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52 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Alles im Griff: Sauber geordnet, sichert das Werkstattzubehör höchste Verfügbarkeit

Täglicher Teamcheck: stellvertretender Pflegedienst-leiter Patrick Ehlers (links) und Christopher Joost an einem Überwachungsmonitor (Typ: Dräger Infinity M540)

samt Ergebnis der Prüfung – jeder Schritt

ein Eintrag. Die Stationen sehen den Sta-

tus der Reparatur im System inklusive der

voraussichtlichen Fertigstellung. „Wir wol-

len so transparent wie möglich sein“, sagt

Eggert. Zwischen den 25 Kieler Campus-

gebäuden bringt es TGM-Techniker Joost

täglich auf etliche Kilometer, wenn er ein

defektes Gerät abholt oder ein reparier-

tes zurückbringt. Jedes Kabel, jeder Sen-

sor, jeder Schlauch kann ausgetauscht

werden. Werkstätten und Ersatzteillager

ermöglichen Reparaturen vor Ort.

Firstline-Service im MedizinbetriebJoost und seine Kollegen arbeiten im

Team mit Schwestern, Pflegern und Ärz-

ten, um Fehler zu beheben und Anwen-

dungen zu verbessern. „Wir sind immer

hochinteressiert, was los ist mit der

Maschine“, sagt Oberarzt Dr. Dirk Schäd-

ler. „Zumal wir meldepflichtig sind.“ Ist

ein Gerät auf der Station defekt, nimmt

es Joost sofort außer Betrieb. „Der per-

sönliche Kontakt ist den Anwendern sehr

wichtig“, sagt Projektleiter Wach. „Das

verbessert natürlich die Kommunikation

und spart letztlich Kosten.“ Gemeinsa-

mes Ziel ist die Sicherheit aller Patienten.

Auch unterwegs sind die Techniker über

ihre Pieper sofort zur Stelle und machen

als Erstes eine Fehleranalyse. Mit Einfüh-

lungsvermögen und technischem Know-

how entspannt der Firstline-Service die

akute Behandlungssituation und hilft, in

der Hektik des Medizinbetriebs Fehler zu

vermeiden. Eine falsche Einstellung oder

Verkabelung am Gerät ist schnell beho-

ben. „Es geht auch um Reaktionszeiten“,

so Wach. „Alle Hersteller haben ein Inter-

esse daran, dass ihre Geräte möglichst zu

100 Prozent funktionieren.“ Das will auch

Dräger TGM, denn der Fremdservice geht

zulasten des eigenen Budgets. Make-or-

buy-Entscheidungen gehören daher zu

den täglichen Herausforderungen der

Techniker. Sie gehen nur an die Gerä-

te, für die sie geschult und zugelassen

sind. Alles andere geht an den betreffen-

den Hersteller. Das Krankenhaus gewinnt

dabei Planungssicherheit. Mit Patrick

Ehlers arbeitet Joost oft zusammen. Als

stellvertretender Pflegedienstleiter ist er

auch Gerätebeauftragter. „Da wir nonstop

mit den verschiedenen Produkten arbei-

ten, kann auch mal eins beschädigt wer-

den.“ Ehlers hat Ausstattung und Zube-

hör ständig im Blick und den direkten

Draht zum Servicetechniker. Anästhesie-

und Intensivbeatmungsgeräte laufen oft

rund um die Uhr, teilweise wochenlang.

„Dennoch fallen die Geräte extrem selten

aus“, sagt Oberarzt Schädler. Und wenn

doch? „Dann haben wir immer Handbe-

atmungsbeutel griffbereit. Wir können

das Gerät sofort vom Patienten trennen

und mit der Hand weiter beatmen. In der

Zwischenzeit suchen wir uns ein Ersatz-

gerät.“ Das UKSH funktioniert als routi-

niertes Netzwerk für ein komplexes Inst-

rumentarium, das Dräger TGM effizient

ausstattet, organisiert und optimiert. Weil

sich Ausfälle nicht völlig vermeiden las-

sen, gibt es für jede Funktion – ob Beat-

mung, Dialyse oder Infusionstechnik –

Ein gemeinsamesZiel: die Sicherheit aller Patienten

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53DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

MEDIZINTECHNIK WIRTSCHAFT

Leasing: Am UKSH in Kiel hält Dräger TGM eine voll ausgestattete Intensivstation bereit – gegen Gebühr kann die Klinik frei darüber verfügen. www.draeger.com/402-53

Lupenreine Präzision: Reparieren mit Know-how und Leidenschaft – auch für daskleinste Detail. Denn auchdas trägt zumErfolg und zur Sicherheit bei

Den Druck mindern: Vor-Ort-Service

an einem mobilen Sauerstoffgerät

tet und überprüft werden. Besonderheiten

inklusive, wie das durch ein halbes Dut-

zend Schleusen gesicherte Reinraumla-

bor, in dem an Nanosensoren geforscht

wird. An einem Termin im Jahr wird es

komplett stillgelegt, damit alle Wartungs-

arbeiten erledigt werden können.

Auch im UKSH richtet sich die Prüf-

routine nach dem Medizinproduktegesetz

(MPG) und individuellen Vorschriften der

Hersteller. Die umfassende Gerätedatei

im Dräger TGM-Support enthält pro Ein-

heit eine Prüfkarte mit Daten zu den frist-

gemäßen Sicht- oder Funktionsprüfungen.

„Das machen wir in der Regel selbst“, sagt

Eggert. Gleiches gelte für Instandsetzun-

gen, wenn das TGM-Personal entspre-

chend geschult ist. Die Digitalisierung hat

längst die Medizintechnik erreicht. Beat-

mungs- oder bildgebende Ultraschall- und

Radiologiegeräte sind softwaregesteuert

und bieten detaillierte und schnelle Aus-

wertungs- wie Kommunikationsmöglich-

keiten für Ärzte und Pfleger. Die Vernet-

zung mit dem Kliniksystem sichert die

laufende Überwachung der Patienten.

„Diese Schnittstellen sind die große He-

rausforderung“, sagt Eggert. Ein Monitor

sendet die Vitaldaten in Echtzeit an die

Zentrale, wo der Nachtdienst kontrolliert,

ob es dem Patienten gut geht. „Fällt für

zehn Sekunden das Netzwerk aus, muss

sofort eingegriffen und die Unterbre-

chung aufgehoben werden.“

IT-Netzwerkrisiko minimierenDie Norm IEC 80001 empfiehlt daher eine

Risikonanalyse für jede Schnittstelle zwi-

schen Medizinprodukt und verbundenem

Netzwerk: Was passiert bei einem Aus-

fall? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit,

dass es ausfällt? Wie lassen sich die Risi-

ken eindämmen? Dräger bietet als bislang

einziges Unternehmen bundesweit eine

IHK-zertifizierte Ausbildung zum Medical-

IT-Network-Riskmanager an (siehe auch:

Drägerheft 401, Seite 15). Dieser soll die

IT-Sicherheit in komplex vernetzten Kli-

niksystemen gewährleisten. Das UKSH

plant, einen zentralen Risikomanager ein-

zustellen, der die geforderten Risikobewer-

tungen erarbeitet. „Man sollte auf Cyber-

Angriffe vorbereitet sein“, sagt Eggert.

Rund 150 Einrichtungen

und Kliniken betreut die Dräger

TGM GmbH in Deutschland –

darunter auch das Universitäts-

klinikum Schleswig Holstein (UKSH).

Hier werden jährlich etwa 15.000

Störmeldungen bearbeitet und

10.000 Reparaturen durchgeführt.

Das UKSH unterhält verschiedene Kliniken,

Institute und Forschungseinrichtungen,

die jährlich rund 400.000

Patienten versorgen. An den

Standorten in Lübeck und Kiel

arbeiten etwa 13.000 Menschen.

ein Ausweichkonzept sowie Leih- oder

Ersatzgeräte. Das ist vertraglich festge-

legt. „Die gesamte Ressourcenplanung

dafür machen wir“, sagt TGM-Regional-

leiter Eggert. Patientensicherheit stützt

sich auf eine Art Stand-by-Redundanz von

gleichen Systemen für Behandlung und

Therapie – vor allem aber auf Teamgeist

und Schnelligkeit. Der technische Dienst

ist 24/7 erreichbar, der Support tagsüber

per Telefon oder online. Nachts und an

Wochenenden laufen Notfälle beim Blau-

en Draht auf, einer zen-tralen Hotline bei

Dräger in Lübeck, die mit allen Herstel-

lern vernetzt ist. Mehr als 45.000 aktive

medizinische Geräte müssen in festen

Intervallen, jährlich oder halbjährlich,

während des laufenden Betriebs gewar-

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DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Mit 500 Gramm

54

KRANKENHAUS NEONATOLOGIE

Eine Handvoll Mensch, die eher in ein Vogelnest zu passen scheint als in einen Inkubator: Frühchen sind unsagbar klein – und doch beseelt von unbändigem Lebenswillen. Ihnen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen ist auch die Aufgabe dieser FRÜHGEBORENENSTATION im polnischen Krakau.

TEXT: NILS SCHIFFHAUER FOTOS: PATRICK OHLIGSCHLÄGER

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ins Leben

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017 55

VVom Foto an der Wand strahlt eine Gruppe junger Damen:

„Fünflinge, die hier 2008 und in der 25. Schwangerschaftswo-

che geboren wurden“, sagt Professor Ryszard Lauterbach. „Gut,

dass es Mädchen sind“, ergänzt der Chef der Neonatologie an

dem traditionsreichen Krakauer Universitätskrankenhaus Jagiel-

lonen. „Mädchen haben als Frühchen größere Chancen zu über-

leben und sich später normal zu entwickeln.“ Mit einem Gewicht

Behütet von Eltern (links),engagiertem Personal sowie

moderner Technik (rechts) werden Frühchen in der

Krakauer Uniklinik versorgt

von jeweils 570 bis 800 Gramm haben sie sich seitdem körper-

lich wie geistig genauso entwickelt wie gleichaltrige Kinder, die

nach neun Monaten Schwangerschaft zur Welt gekommen sind.

Immer noch staunt der 66-Jährige über die Erfolge seines

Fachs, die er im Laufe seiner Karriere nicht nur erleben, son-

dern auch mitgestalten konnte: „Vor zehn bis 15 Jahren wur-

de es ab einem Geburtsgewicht von unter 2.000 Gramm kri-

tisch. Heute haben Extrem-Frühchen mit einem Gewicht von

500 Gramm noch reelle Überlebenschancen.“ Ging es früher um

das reine Überleben, steht heute neben der körperlichen auch die

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56 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

KomplexesZusammenspielverschiedenerMuskeln

wirkt“, ergänzt Lauterbach das, was er als „holistische Sichtwei-

se“ und den „Blick aufs Ganze“ bezeichnet. Sich auch darum zu

kümmern hat in Krakau lange Tradition. „Schon 1983 hatten wir

einen niederländischen Kollegen zu Gast, der uns mit dem The-

ma ,Kangarooing‘ vertraut machte“, erinnert er sich. Ihm und

seinem Team leuchtete die Methode des direkten Körperkontakts

zwischen Frühchen und Eltern sofort ein. Bis dahin hatte man

Frühchen und Eltern immer voneinander getrennt – um das Baby

nicht zu stören und aus hygienischen Gründen. Heute zieht sich

Zwillingsmutter Bernadette routiniert einen Kittel über, desinfi-

ziert sich die Hände wie eine langjährige Stationsschwester und

verteilt ihre Gunst so gut es geht gerecht zwischen ihren beiden

Töchtern Oliwia und Weronika. Und auch der Vater beteiligt sich

am Kangarooing. Verwandte wie Tanten und Großeltern sind

ebenfalls gern gesehen. Das alles hat einen positiven Einfluss,

wie auch Professor Lauterbach anhand seiner Forschungen bele-

gen kann: „Wir verfolgen die Kinder ja auch über jene Monate

hinaus, die sie bei uns bleiben.“ In den kommenden Jahren wer-

den sie regelmäßig auf ihre Entwicklung hin untersucht. „Man-

che halten uns sogar darüber hinaus die Treue und besuchen uns

als Erwachsene“, sagt Lauterbach.

Auch Nuckeln will gelernt seinIst das Frühchen aus dem Gröbsten raus,

muss es Dinge lernen, die zum Termin

geborene Kinder von sich aus mitbringen –

etwa das selbstständige Saugen. „Wenn ich

es überschlage, sind es gut 7.000 Kinder“,

antwortet die Physiotherapeutin Agnieszka

Kulig auf die Frage, wie vielen Kindern sie

in den vergangenen 23 Jahren, die sie hier

schon arbeitet, das Nuckeln beigebracht

hat. Funktioniert dieser Saugreflex nicht

automatisch, durch das Berühren der

Lippen? „Leider nicht, denn viele Früh-

chen verbinden aufgrund ihrer bisherigen

Ernährung per Magensonde nicht unbe-

dingt Angenehmes damit.“ Diese Form

der direkten Ernährung ist notwendig, da

Frühgeborene entweder überhaupt noch

keinen Saugreflex ausgebildet haben oder

bei der für sie anstrengenden Tätigkeit

ermüden, noch bevor ihr Hunger gestillt

ist. Hierbei wird durch einen dünnen

Schlauch im Mund die Nährlösung direkt

in den Magen geleitet. Alles Gründe, wes-

psychosoziale Entwicklung im Vordergrund. „Sie entscheidet maß-

geblich darüber, wie sich ein Frühchen im späteren Leben ent-

wickelt“, sagt Lauterbach. „Gerade in den letzten Wochen einer

normalen Schwangerschaft entwickelt sich das Gehirn am stärks-

ten.“ Um diese Entwicklung zu fördern, forscht er auch an einer

optimierten Ernährung für Frühchen. Man merkt dem Mann mit

dem deutschsprachigen Namen („Ein österreichisches Erbe!“) an,

wie ihn sein Beruf bis heute fasziniert. Dabei hätte er auch Inge-

nieur oder Pianist werden können. „Am Ende habe ich die Fertig-

keiten, die dafür nötig sind, in einem Medizinstudium vereint.“

Und doch hat er von seinen anderen Talenten nicht ganz gelassen.

„Wir platzen hier aus allen Nähten“, sagt Dr. Joanna Hurkała,

die eine von drei Stationen mit betreut. Sie zeigt auf die belegten

Inkubatoren: „Maja 580 g“, oder „Mateusz 770 g“ – Frühgebore-

ne und ihr Gewicht. Schicksale, die sie und ihre Kollegen zum

Besseren wenden. Das ist auch bei Weronika und Oliwia der Fall,

die auf der nach ihren Schmuckfarben genannten „roten Station“

liegen. Sie wurden am 4. Juli 2017 mit 1.520 und 1.070 Gramm

geboren. „Die unterschiedlichen Geburtsgewichte der Zwillings-

schwestern weisen darauf hin, dass es bei der Mutter Probleme

mit der Versorgung der Föten durch die Plazenta gab“, erläutert

Dr. Hurkała. Gerade steht sie vor einem Dräger-Inkubator (Typ:

Babyleo TN500; siehe auch Drägerheft 401, Seite 64), in dem

Dominik mit seinen knapp 600 Gramm die nächsten Wochen her-

anwachsen wird. Mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Profes-

sionalität liest sie Temperatur und Herzschlag ab: „Alles in Ord-

nung.“ Sie mag einen Inkubator wie diesen: „Er hat alles, was ein

Frühchen braucht, zudem lässt er sich leicht bedienen.“ Das soll-

te er auch, denn nur so bleiben Personal wie Eltern genug Zeit,

Raum und Möglichkeiten, sich um die seelisch-geistige Entwick-

lung dieser unfassbar kleinen Menschen zu kümmern.

Mit ganzheitlichem Blick„Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten erlebt“, sagt Profes-

sor Lauterbach, „wie sich der Blick auf Frühchen gewandelt hat –

sie haben sich gewissermaßen vom Objekt, für das man vor allem

gute physische Bedingungen schaffen wollte, zum Subjekt ent-

wickelt, das eben auch psychosoziale Bedürfnisse hat.“ Und die

trügen nicht nur zum Wohlbefinden bei, sondern überhaupt zu

einer besseren Entwicklung. „Wir können beispielsweise an den

Vitalparametern sehen, wie positiv sich die Nähe der Eltern aus-

KRANKENHAUS NEONATOLOGIE

Vertrauen wächst durch Nähe. Für Frühchen ist auch der Körperkontakt mit dem Vater wichtig

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DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Seit 1788 im Dienste der Menschen Vor beinahe 230 Jahren wurde das Universitätskrankenhaus in Krakau gegründet und dem Heiligen Lazarus geweiht. Heute ist das Szpital Uniwersytecki w Krakowie – mit seinen 32 Abteilungen und 1.600 Betten – eines der führenden in Polen. Fast 4.000 Mitarbeiter behandeln jährlich annähernd 75.000 Patienten, die Zahl der medizinischen Beratungen in ambulanten Kliniken übersteigt die Zahl von 380.000. Mehr als 300 junge Ärztinnen und Ärzte bereiten sich in diesem Lehrkrankenhaus unter Anleitung erfahrener Spezialisten auf ihre Berufspraxis vor. In der Neonatologie sorgen sieben promovierte Mediziner mit ihrem Team aus Kinderkrankenschwestern, einer Physio-therapeutin und Psychologin für das Wohl von Frühchen und ihren Eltern. Bei Bedarf greifen sie auf 14 Spezialisten verschiedener Fachrichtungen zurück – von Chirurgie über Genetik und Nephrologie bis hin zu Radiologie oder Augenheilkunde.

57

halb Agnieszka Kulig und ihre Kollegin Iwona Opach den Früh-

chen später das Nuckeln beibringen müssen. „Saugen, Schlu-

cken und Atmen ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener

Muskeln“, so Kulig. Nach dem Bobath-Konzept stimulieren und

trainieren sie die notwendigen Partien so lange, bis es von selbst

klappt. Das ist dann die letzte Entwicklungsstufe im Kranken-

haus, danach können die Kinder zu ihren Eltern.

Überall ist ein sehr hohes Engagement zu spüren. Doch das

Personal arbeitet oft am Rande der Kapazität: Die Zahl der Früh-

geburten von rund zwölf Prozent steigt, vor allem in den Städ-

ten. Stress und Unsicherheit im Job werden als Ursache vermu-

tet. „Zudem verdient ein Arzt im Praktikum hier weniger, als es

dem ohnehin schon geringen Durchschnittseinkommen in Polen

entspricht“, sagt Professor Ryszard Lauterbach. Es liegt bei nicht

einmal 1.000 Euro, wobei im quirligen Krakau auch noch alles

gut ein Viertel teurer ist als im Landesdurchschnitt. Was jedoch

alle motiviert: dass man hier für das Leben arbeitet und den

Erfolg unmittelbar sieht und spürt. Das kann ansteckend sein,

wie Professor Lauterbach abschließend bemerkt: „Mein Sohn ist

auch Neonatologe geworden!“

Weitblick: Professor Ryszard Lauterbach, Leiter der Neonatologie, setzt

schon seit 1983 auf das „Kangarooing“

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Die Drug Recognition Experts der Polizei von Los Angeles müssen eine schwierige Ausbildung absolvieren, bevor sie Verdächtigen den Gebrauch illegaler Substanzen nachweisen können. Ein Tag auf Streife in einem der gefährlichsten Gebiete der Viermillionenstadt.

Text: Steffan Heuer Fotos: Patrick Strattner

POLIZEI DROGENBEKÄMPFUNG

Auf Drogenjagd in Downtown

58 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

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„Am besten dreht man frühmorgens

seine Runden. Dann sind die meisten

Junkies unterwegs, um sich ihren ersten

Fix zu besorgen“, sagt Jayson Siller. Er

blickt über das Lenkrad seines Streifen-

wagens auf eine Reihe Zelte, die Obdach-

lose auf einem Bürgersteig im Zentrum

von Los Angeles errichtet haben. Es ist

kurz vor sieben. Einige Bewohner sind

bereits auf den Beinen. Direkt gegen-

über der kleinen Zeltstadt auf 6th Street

und Wall Street liegt die Polizeiwache

von Skid Row, vor der Siller seinen fast

zwei Tonnen schweren Ford Crown

Victoria parkt.

„Schiefe Bahn“ heißt dieser Teil von

Downtown L. A. – aus gutem Grund. Wer

einmal hier gelandet ist, dem sind die

Zügel des normalen Lebens in der Regel

auf Dauer entglitten. Mehrere Tausend

Obdachlose, viele von ihnen drogen-

abhängig, mitunter psychisch krank,

A

Skid Row – auf wenigen Quadratkilometern drängen sich Tausende Obdachlose,

viele von ihnen sind drogen-abhängig. Experten des LAPD überprüfen regel-mäßig Verdächtige und

nehmen sie auf frischer Tat fest – wie die Besitzerin

dieser Crackpfeife

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

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60 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

nachweist: von Neurodepressiva, Lösungs-

und Betäubungsmitteln bis zu Cannabis,

Methamphetamin, Crack und Heroin.

Gemeinsam mit Kamaron Sardar lei-

tet Siller die kleine Eliteeinheit von

Drug Recognition Experts (DRE). Das

LAPD zählt rund 9.000 Beamte, die auf

1.300 Quadratkilometern für knapp

vier Millionen Einwohner zuständig

sind – aber es besitzt nur rund 90 solcher

Drogenfachleute. Wer zu Sillers und

Sardars Team gehören will, muss sich aus

freien Stücken monatelang fortbilden und

regelmäßig neu zertifizieren lassen.

„Es ist nicht einfach,Nachwuchs zu finden“Nach einer kurzen Lagebesprechung teilt

Siller vier Teams ein, die heute unter den

Funkkennungen Queen 51, 53, 55 und

57 in Skid Row unterwegs sein werden.

„Los geht’s, schnappen wir uns ein paar

von ihnen“, gibt der Ausbilder den Poli-

zisten mit auf den Weg. Es ist eine bunt

gemischte Truppe aus männlichen und

weiblichen Beamten verschiedener Ethni-

en, die aus allen Teilen der Stadt zusam-

mengekommen sind – von Mitgliedern

der Hundestaffel bis zur Verkehrspoli-

zei. Sie tragen die übliche, mehrere Kilo

schwere Ausrüstung, die ein Polizist in

der südkalifornischen Metropole am Leib

haben muss: kugelsichere Weste, Dienst-

waffe plus zwei Extramagazine, Elektro-

schockpistole, Schlagstock, Taschenlam-

pe, Handschellen und eine Bodycam vor

der Brust, die aktiviert wird, sobald man

den Streifenwagen verlassen hat. Dazu

ein laminiertes Kärtchen, das die wich-

tigsten Drogen und ihre Wirkung auf den

Millionen-metropole und nur 90 Drogen-experten

leben hier auf offener Straße, in Sicht-

weite der Banken, Apartmenttürme und

Galerien des Zentrums. Manche wandeln

am helllichten Tag barfuß und mit lee-

rem Blick umher, andere haben sich mit

Holzkohle grill, Stromkabeln und Wach-

hunden häuslich eingerichtet.

Wie an diesem Freitagmorgen ruft

Siller einmal im Monat ein Team von 20

bis 25 Kollegen des L. A. Police Depart-

ment (LAPD) zusammen, um ihnen am

lebenden Objekt beizubringen, wie man

die Effekte gängiger Drogen erkennt und

Jayson Siller ist engagierter Drogenexperte beim LAPD und einer der Leiter des Expertenlehrgangs

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DROGENBEKÄMPFUNG POLIZEI

oder Drogen standen, sind zwei Mitglie-

der meiner Familie zu Schaden gekom-

men – eines ist sogar gestorben.“

Seitdem hat er sich vorgenommen,

Personen dingfest zu machen, die unter

dem Einfluss von Alkohol oder illegalen

Substanzen hinterm Steuer sitzen. Er

belegte zuerst einen Fortbildungskurs

zur Identifizierung betrunkener Fahrer

und wurde dann DRE. „Die Legalisie-

rung von Cannabis in Kalifornien dürfte

das Problem noch vergrößern“, fürch-

tet der Beamte – vor allem in Verbin-

dung mit einem zweiten Volksentscheid,

der den Besitz selbst harter Drogen wie

Heroin oder Kokain nur noch als Verge-

hen und nicht mehr als Straftat behan-

delt. Aus ähnlichen Gründen ist Jennifer

Bernardino eine seiner neuesten Auszu-

bildenden. Achtzehn Jahre lang arbeitete

sie als Krankenschwester in der Notauf-

nahme eines Krankenhauses und hatte

sich auf die Opfer sexueller Gewalt kon-

zentriert, bevor sie Ermittlerin für unge-

klärte Todesfälle wurde und anschließend

die Polizeiakademie absolvierte. Skid Row

gehört zu ihrem Abschnitt, sagt die Beam-

tin mit den penibel nach hinten gekämm-

ten schwarzen Haaren. „Hier sieht man

in jeder Schicht, welche Wunden Drogen-

missbrauch reißen kann und wie sich eine

Welle der Beschaffungskriminalität rund

um Skid Row ausbreitet. Das Mindeste,

was wir tun können, ist, Abhängige aus

dem Verkehr zu ziehen, bevor sie andere

verletzen“, sagt Bernardino.

Abgeführt in HandschellenKurz nach der Lagebesprechung wird

sie auch schon fündig. Auf der Industrial

Street kauert eine spindeldürre Afroame-

rikanerin zwischen zwei geparkten Autos

und hat sich gerade eine Crackpfeife

angezündet. Bernardino und ihr DRE-

Mitschüler The Duong (Team Queen 51)

kontrollieren die Frau, Ende 40. Sie pro-

tokollieren ihren unsteten Gang, die ver-

größerten Pupillen und den erhöhten

Puls von 110. Nachdem sie Drogenkon-

sum zugegeben hat, legen ihr die Beam-

Körper tabellarisch auflistet. Wer wie

Siller ein DRE werden will, muss noch

etwas mitbringen: die richtige Motivati-

on, ohne zusätzliche Bezahlung tägliche

Mehrarbeit zu verrichten, denn der Rest

der Truppe verlässt sich auf sie. „Wenn

ein Streifenbeamter auf jemanden trifft,

der unter dem Einfluss von Drogen steht,

rufen sie uns“, sagt der drahtige Polizei-

beamte mit kurzem, grau meliertem

Haar. „Wir kriegen jedes Jahr Hunderte

von Anfragen, während wir unseren nor-

malen Dienst schieben. Deshalb können

wir leider nicht überall sein.“

Seit acht Jahren ist Siller Drogen-

experte, seit sieben arbeitet er als Aus-

bilder. „Es ist nicht einfach, Nachwuchs

zu finden. Wir verlieren jedes Jahr rund

20 Leute, weil sie nach ein paar Jahren

ausscheiden. Also kämpfen wir ständig

gegen Unterbesetzung.“ Warum hat er

sich für die freiwillige Mehrarbeit ent-

schieden? Er muss nicht lange überle-

gen: „Das war eine sehr persönliche

Sache. Wegen Fahrern, die unter Alkohol

Warten: Die Drogenex-perten des LAPD bringen Verdächtige ins städtische

Gefängnis, die dort auf einen eingehenden Test warten müssen. Oft wer-den die Beamten fündig.

Doch an den Ursachen können sie nichts ändern

DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017 61

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POLIZEI DROGENBEKÄMPFUNG

Bestand. Der DRE-Kurs dauert zweiein-

halb Wochen. Wer ihn absolviert hat,

muss auf den Fahrten durch Skid Row

innerhalb von drei Monaten mindestens

zwölf Festnahmen verbuchen, die sieben

Hauptkategorien an Drogen abdecken

und neun dieser Festnahmen korrekt dia-

gnostizieren.

Keine verbindlichen Grenzwerte„Es ist einer der schwierigsten Kurse, die

das LAPD zu bieten hat. Die Materie und

die Prüfung schrecken viele ab, auch die

alle zwei Jahre wiederkehrenden Tests.

Man muss wirklich DRE sein wollen, weil

man den Menschen in seiner Community

etwas Gutes tun möchte. Ich mache das

für mich – nicht wegen der Anerkennung

oder irgendwelcher Auszeichnungen“,

sagt Christina Reveles. Die Verkehrs-

polizistin mit den streng gescheitelten

schwarzen Haaren tat sechs Jahre Dienst

beim LAPD, bevor sie 2013 den DRE-Kurs

absolvierte. Seit Anfang 2017 arbeitet sie

als Ausbilderin und geht an diesem Mor-

gen mit Bernardino die Ergebnisse ihrer

bestandenen Prüfung durch.

So sehr sie sich über die Verstärkung

freut: „Es gibt einfach zu wenige von uns

für eine Stadt dieser Größe. Immer wenn

ich früher über Funk einen Drogenexper-

ten anforderte, kam keiner.“ Nur zu Unfäl-

len mit Schwerverletzten oder Toten, bei

denen Drogen im Spiel gewesen sein

könnten, erscheint ein DRE. Zur Not wer-

den die Experten sogar mit einem der

26 Polizeihubschrauber ans andere Ende

der Stadt geflogen. Das heißt, dass viele

Drogenkonsumenten der Polizei durch die

Maschen gehen. Während man mit einem

einfachen Alkoholtest feststellen kann, ob

ten Handschellen an und bringen sie zum

nahe gelegenen Stadtgefängnis. Dort fin-

det der eigentliche Teil des DRE-Kurses

statt. Sillers Studenten müssen ein mehr-

seitiges zwölfstufiges Protokoll ausfüllen:

mehrmals mit zeitlichem Abstand den

Puls und Blutdruck messen, die Pupillen-

größe unter verschiedenen Lichtverhält-

nissen auf den Millimeter genau bestim-

men, sowie Tests zum Gleichgewichtssinn

durchführen. Die längere Befragung und

Untersuchung soll Symptome möglichst

genau dokumentieren, denn nur so hat

das Protokoll – in Verbindung mit einem

toxikologischen Bericht – vor Gericht

Zur Not werden die Experten auch per Hubschrauber eingeflogen

DRÄGERHEFT 402 | 2 / 201762

Training live: Beamte des LAPD messen den Puls eines Verdächtigen. Die Polizisten lernen im Zuge ihrer Ausbildung zum Drogenexperten, Personen nach einem zwölf Schritte umfas-senden Programm zu untersuchen

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63DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

Fotostrecke:Unterwegs mit Drogenexperten des LAPD in Skid Row, dem Viertel der Verlorenen.www.draeger.com/402-63

jemand über der gesetzlichen Promille-

grenze liegt, gibt es für Drogen keine ver-

bindlichen Grenzwerte. Die Entschei-

dung, ob jemand unter Drogeneinfluss

steht und dadurch wirklich beeinträchtigt

ist, unterliegt meist einem Polizisten vor

Ort, der schnell urteilen muss und selten

über eines der mobilen Drogentest geräte

(Typ: Dräger DrugTest 5000) verfügt. Bis

ein Verdächtiger auf der Wache ist und

getestet werden kann, sind die Effekte vie-

ler Substanzen bereits abgeklungen, selbst

wenn sie noch tagelang im Körper nach-

weisbar sind.

Freundliche Verwarnung„Was für das ungeübte Auge nach Drogen-

konsum aussieht, kann ebenso gut das

Symptom einer psychischen Erkrankung

oder eines medizinischen Notfalls sein.

Und was umgekehrt wie Müdigkeit wirkt,

kann von einem Opiat stammen. Um das

eine vom anderen zu trennen, muss man

viele Fälle vor der Nase gehabt haben“,

sagt Jillian Klee. Die Beamtin aus dem

Bezirk North Hollywood ist seit zehn Jah-

ren DRE und ständig auf der Suche nach

neuen Kollegen, die sie rekrutieren kann.

„Wenn ich über Funk eine Anforderung

reinbekomme, muss ich abwägen, ob ich

es mir erlauben kann, mein Revier mehre-

re Stunden zu verlassen“, sagt Klee – und

lauscht wenige Minuten später gebannt

dem Funkverkehr. In ihrem Gebiet hat

sich ein bewaffneter Mann verschanzt.

Natürlich würde sie jetzt nichts lieber tun,

als ihren Kollegen zu helfen, statt zu beob-

achten, wie Bernardino und andere Stu-

denten Verdächtige untersuchen.

Bis Mittag wurden zwei Festgenomme-

ne befragt und getestet – zuletzt ein junger

Mann Anfang 20, der keine Schuhe trägt,

vor Dreck starrt und sich wegen nervöser

Zuckungen kaum auf dem Stuhl halten

kann. Wer wie er keine Drogen bei sich

trägt, wird mit einer freundlichen War-

nung und einem Strafzettel entlassen, um

sofort wieder in der Szene von Skid Row

unterzutauchen. Die Frau mit der Crack-

pfeife bleibt wegen Drogenbesitzes eine

Nacht im Gefängnis, bevor ein Haftrich-

ter ihren Fall am nächsten Morgen schlie-

ßen wird. „Sie kennt die Routine bereits.

Zumindest kriegt sie für eine Nacht ein

Dokumentiert: Nur was detailliert vermerkt wird, hat später auch vor Gericht Bestand. Die Drogenexperten machen sich bei ihren Untersuchungen genaue Vermerke zu jedem Verdächtigen und ergänzen den Fragebogen mit handschriftlichen Notizen aus den Gesprächen

Nüchterne Werte:Der DrugTest 5000 untersucht Speichel-proben auf Drogen – das System detektiert bis zu acht Substanzen mit vordefinierten Nach-weisgrenzen. Seit 2016 kann es in Kalifornien auch als Hilfsmittel bei Gerichtsverfahren verwendet werden

Bett, eine Dusche und etwas zu essen“,

beschreibt DRE-Kursleiter Siller nüch-

tern die ewige Wiederkehr des toderns-

ten Spiels von Junkie und Gendarm. „Um

wirklich etwas zu bewirken, bräuchten wir

in Los Angeles etwa tausend von uns – und

mehr mobile Drogentestgeräte. Aber das

ist nur meine idealistische Hoffnung.“

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laben sich an Alkoholpfützen. Forscher

sind sich sicher, dass sie seit Generationen

eine Trinktradition pflegen. Die Affen

lebten in den Plantagen, wo abgeerntetes

Zuckerrohr rasch zu gären begann. Heute

nutzen sie den Komfort, der den Alkohol

auch für Menschen zu einer Alltagsdroge

gemacht hat: billig, weitestgehend akzep-

tiert, überall zu haben. Doch warum ist

Ethylalkohol bei Mensch und Tier über-

haupt so beliebt?

Das Spiel mit dem Alkohol ist riskant

und unfallträchtig, daher für potenzielle

Beutetiere zunächst unlogisch. Dass auch

Lebewesen trinken, denen Rituale feh-

len, weist Forscher obendrein darauf hin,

dass es eine Neigung zum Ethanol gibt, FO

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Dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere dem ALKOHOL frönen, scheint zunächst paradox – denn wer trunken ist, ist leicht zu jagen. Und doch kann manche Spezies dem Ethanol nicht widerstehen. Warum nur?

Text: Silke Umbach

Romanze

MMit den Schiffen kamen die Affen. Als

vor gut dreihundert Jahren regelmäßig

Sklavenhändler aus Afrika in der Karibik

anlandeten, verschleppten sie nicht nur

Menschen in die Zuckerrohrplantagen.

Auch Grüne Meerkatzen waren an Bord:

Allesfresser, bis zu 60 Zentimeter groß

und ziemlich verspielt. Die Sklavenhal-

ter wurden vertrieben, die Affen blieben –

vor allem auf St. Kitts, fast 900 Kilometer

nördlich von Venezuelas Hauptstadt

Caracas entfernt. Dort entwickelten die

Primaten eine Passion, die Touristen

unterhält und Wissenschaftler beschäf-

tigt: die Lust an der Trunkenheit. An den

Stränden rauben Meerkatzen Drinks,

saugen Cocktails durch Strohhalme und

mit Hindernissen

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65DRÄGERHEFT 402 | 2/ 2017

ALKOHOL GESELLSCHAFT

die tiefer greift als das, was im Sichtfeld

unseres Bewusstseins liegt. Es macht plau-

sibel, wieso die meisten Menschen, die der

Trunksucht verfallen, das so lange und

konsequent verleugnen – auch vor sich

selbst. Auch wenn alkoholische Selbstver-

giftungen gefährlich sind, werden sie von

vielen Gehirnen nicht gescheut. Als vor gut

zehn Jahren hungrige Seidenschwänze,

18 Zentimeter große Singvögel, aus der

eisigen Taiga nach Wien zogen, verun-

glückten während des Flugs mehrere Dut-

zend von ihnen tödlich. Sie hatten sich an

überreifen Beeren berauscht. Auf späteren

Zügen wiederholten die Überlebenden die

Selbstbetäubung, verzichteten allerdings

vorerst auf das Fliegen.

Opfer des ÜberflussesDer Mediziner Rainer Thomasius, einer

der führenden Suchtexperten Deutsch-

lands und Professor am Hamburger Uni-

versitätsklinikum Eppendorf, vermutet,

dass der Entdeckung des Ethanolkonsums

Rationalität innewohnte: „Tiere konnten

auf das Energieangebot nicht verzich-

ten, obwohl die Früchte längst vergo-

ren waren.“ Ein Gramm Ethanol liefert

sieben Kilokalorien, durchschnittliche

Kohlenhydrate nur vier. Für diese These

spricht, dass Ethanol der einzige einiger-

maßen verträgliche Alkohol ist. Methanol

oder der Desinfektionsalkohol Isopropa-

nol sind schon in geringen Dosen toxisch.

Bei einigen Spezies hat sich die Toleranz

für Ethanol durch regelmäßigen Genuss

sogar verstärkt. Fruchtfressende Fle-

dermausarten, deren Vorräte oft gären,

können bei hohen Blutalkoholspiegeln

sicher fliegen.

Die Folgen des Tauschgeschäfts mit

der Natur, Energie gegen neurologi-

sche Beeinträchtigung, sieht der Sucht-

mediziner Thomasius bei seinen oft sehr

jungen Patienten täglich. Es ist gerade

der Rausch, in der Regel gemeinschaft-

lich erlebt, der die Menschen lockt. Vie-

le können in Maßen damit umgehen,

doch immer sucht sich Ethanol auch

Opfer. „Unser typischer Patient hat sehr

früh Erfahrungen mit Alkohol gemacht.

Schnell kamen Vollräusche am Wochen-

ende hinzu – daraus entwickelte sich ein

täglicher Konsum.“ Eine intensive Sucht,

aus eigener Kraft nicht zu bezwingen,

meist verbunden mit einem angeschlage-

nen Selbstwertgefühl. Gerade unter jun-

gen Männern steht Alkoholmissbrauch

in der Statistik für Todesursachen ganz

oben – er ist ein wahres Düngemittel für

Gewalt und Unfälle: im Verkehr, bei der

Arbeit oder in der Freizeit (siehe auch

Seite 6 ff.). Obwohl das spätestens mit

der Erfindung gebrannter Spirituosen vor

über 1.000 Jahren offensichtlich wurde,

ist die kulturelle Akzeptanz für Alkohol in

der gesamten westlichen Welt die höchs-

te von allen Rauschmitteln. Was genau

macht ihn so attraktiv, selbst in Zeiten des

Überflusses?

Der wesentliche Grund liegt wohl in

der Struktur des Gehirns. Diese ist bei Affe,

Vogel und Mensch ziemlich ähnlich, auch

wenn sich Größe und Komplexität unter-

scheiden. Das Paradoxe: Alkohol wirkt wie

negatives Doping, zudem – anders als vie-

le Drogen und Medikamente – nicht spezi-

fisch auf bestimmte Rezeptoren oder Sys-

teme. Auf breiter Front gehen kognitive

Leistungen verloren, die Selbstkontrolle

Seidenschwänze berauschten sich am Alkohol aus überreifen

Beeren der Eberesche – zahlreiche von ihnen verunglückten danach

tödlich. Sie lernten daraus. Die Singvögel bevölkern die Taiga, sind jedoch in großen Schwärmen auch

in Europa anzutreffen. Was nicht zu allen Zeiten als gutes Zeichen

galt, wie ihr niederländischer Name „Pestvogel“ bezeugt

Fingertiere leben auf der Insel Mada-gaskar im Indischen Ozean. Die Prima-ten sind Allesfresser und offenbar auch Allestrinker. Alle Finger und Zehen enden in Krallen – bis auf die große Zehe, die am Ende einen Nagel trägt. Ihr Gebiss erinnert eher an Nagetiere als an Affen. Am liebsten fressen sie Bockkäfer, die sie durch rhythmisches Klopfen ihres verlängerten dritten Fingers im Baumholz erjagen. Dabei nehmen ihre empfindlichen Ohren die Hohlräume der Insekten wahr, die sie sich dann ähnlich wie Spechte angeln. Nein, fliegen können sie nicht

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GESELLSCHAFT ALKOHOL

66 DRÄGERHEFT 402 | 2 / 2017

Prozente und Promille: Herstellung und Vertrieb alkoholischer Getränke ist ein Milliardengeschäft – der Missbrauch kann teuer werden. www.draeger.com/402-66

schwindet, die Präzision der Bewegungen

verfällt, das Reaktions- und Urteilsvermö-

gen leidet. Doch genau das scheint den

Reiz auszumachen. Die Enthemmung, bei

der sich Verhaltensschranken lösen, die

subjektiv für Routine und eine umzäun-

te Freiheit des Alltäglichen stehen, tritt

als eine der ersten Wirkungen ein. Und so

ist es wohl der Schein einer unverhofften

Leichtigkeit, den der Alkohol Menschen

wie Tieren kurzfristig schenkt. Ausgerech-

net die Betäubung hemmender Hirnsyste-

me aber erleichtert das weitere „über den

Durst Trinken“.

Allgemeine Abstinenz – eine UtopieProfessor Alan Wayne Jones, forensischer

Toxikologe an der Universität von Lin-

köping in Schweden, hat sich jahrzehn-

telang nicht nur mit der kontinuierli-

chen Weiterentwicklung von Alkohol- und

Drogen nachweisverfahren befasst. Der

heute emeritierte Chemiker studierte

auch eingehend die Geschichte des Subs-

tanzmissbrauchs. „Die Prohibition in

Amerika nährte nur das illegale Brennen

und den Schmuggel aus Kanada“, sagt

Jones. Auch die skandinavischen Kampag-

nen zur Abstinenz hätten sich nicht durch-

setzen können – aber zumindest ein Limit

von 0,2 Promille auf schwedischen Stra-

ßen beschert, das niedrigste in Europa.

Das habe Gefahren gemildert. „Dennoch

sollten wir nicht verdrängen, dass etwa

zehn Prozent der Bevölkerung, überwie-

gend Männer, Alkohol missbrauchen und

klinisch als Alkoholiker beschrieben wer-

den können. Alkohol tötet viel mehr Men-

schen als Heroin und Kokain zusammen,

weil er so leicht zu haben ist.“ Die alkohol-

lüsternen Meerkatzen wurden rasch zu

Studienobjekten der Forscher. Lange Rei-

hen von Laboruntersuchungen an ihnen

und die langjährige Erfahrung von Thera-

peuten wie Professor Thomasius zeigen: Je

höher der soziale Status eines Konsumen-

ten, ob Affe oder Mensch, desto weniger ist

er gefährdet. Doch auch ökonomisch bes-

ser gestellte Menschen kann es treffen.

Eine Alkoholabhängigkeit zieht sich durch

alle sozialen Schichten der Gesellschaft.

„Das Zusammentreffen unterschiedlicher

Risikofaktoren erhöht die Wahrscheinlich-

keit für eine Abhängigkeit“, sagt Thoma-

sius. Er und seine Mitarbeiter haben es

sehr häufig mit einem ganzen Bündel

von Risikofaktoren zu tun – genetisch,

psychisch, sozial.

Viele junge Klienten kommen aus

instabilen Familien. Sie haben Pro-

bleme, sich selbst zu vertrauen, müssen

umfassend gestärkt und entwöhnt wer-

den. Sowohl Thomasius als auch Jones

sind sich bewusst, dass es keinen radika-

len Ausstieg aus der jahrtausende alten

Romanze des Menschen geben wird.

Gerade die Trinklust seiner tierischen

Verwandtschaft spricht für deren archai-

sche Intensität. Beide Experten sprechen

sich gegen eine übergroße Toleranz aus.

Jones sagt: „In den USA gilt noch immer

die viel zu hohe 0,8-Promille-Grenze im

Straßenverkehr. Die American Medical

Association verlangt schon lange eine

He rabsetzung. Wann immer das disku-

tiert wird, bricht eine Kampagne der

Brauer, Brenner und Wirte los – und die

Initiative scheitert.“ Thomasius kritisiert:

„In traditionellen Kulturen wird eine kla-

re Grenze gezogen. Franzosen und Italie-

ner trinken zwar Wein zum Mittagessen,

aber unter Erwachsenen. Sie dulden das

Rausch trinken bei Jugendlichen nicht.

Bei uns wird regelmäßig weggeschaut,

wenn wir junge Menschen Alkohol trin-

ken sehen.“ Das dürfe nicht sein.

Denn das unreife Menschenhirn ist

beim Ethanolkonsum vermutlich kaum

selbstkritischer eingestellt als das des

Seidenschwanzes oder der Meerkatze.

Meerkatzen sind natürlich keine Katzen, sondern Primaten. Ob ihr Name daher rührt, weil sie an Katzen erinnern und übers Meer kamen? Oder ist ihre Bezeichnung doch eher eine Verballhornung von „markata“, des Sanskritwortes für „Affe“? Sie begrüßen einander wie in einer Bussi-Gesellschaft, indem sie die Nasen aneinanderdrücken

Die Ent-hemmung tritt als Erstes ein – sie scheint den Reiz aus-zumachen

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INFOS SERVICE

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Was wir beitragenEinige PRODUKTE dieser Aus gabe finden sich hier im Überblick – in der Reihenfolge ihres Erscheinens. Zu jedem Produkt gehört ein QR-Code, der sich mit einem Smartphone oder Tablet scannen lässt. Danach öffnet sich die jeweilige Produkt-information. Haben Sie Fragen zu einem Gerät oder zum Drägerheft? Schreiben Sie uns: [email protected]

Zeus IE Anästhesiearbeitsplatz mit verschiedenen Kernfunk-tionen, u. a. einer regelkreis-orientierten Gasdosierung im komplett geschlossenen System.Seite 16

Infinity M540 Mobiler Patientenmonitor, der für diverse Vitalparameter Echtzeit-Monitoring-Informationen zur Verfügung stellt. Seite 52

FPS 7000 Atemschutzvollmaske mit großem Sichtfeld, die mit verschiedenem Zubehör kombiniert werden kann.Seite 23

Babyleo TN500 Dieser IncuWarmer sorgt für eine konstante, optimale Thermo-regulation in der offenen und geschlossenen Pflege von Frühgeborenen. Seite 56

X-am 7000 Misst gleichzeitig und kontinuierlich bis zu fünf Gase – für die Überwachung der Umgebungsluft in industriellen Anwendungen. Seite 36

DrugTest 5000 Analysesystem zum Nachweis von Drogen auf Speichelbasis. Seite 63

PulmoVista 500 Elektrischer Impedanztomograph, mit dem sich

die Ventilation unterschiedlicher Lungenregionen beobachten lässt.

Seite 26

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EINBLICK TAUCHTECHNIK

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Mit dem Druckmindererventil Lubeca

begann 1889 die Erfolgsgeschichte von

Dräger. 128 Jahre später zeigt der Secor

7000, wo diese Technologie heute steht:

Der Druckminderer 1 aus verchromten

Messing und ein Lungenautomat 2

versorgen Berufstaucher zuverlässig mit

Atemluft. Die kommt aus einer unter

200 bis 300 bar Druck stehenden Flasche,

die am Handradanschluss 3 nach

DIN-Norm (oder einem INT-Anschluss)

an den Druckminderer angeschraubt

wird. Dort gibt es drei Hoch- und fünf

Mitteldruckabgänge. An den Mitteldruck-

abgängen 4 lassen sich über einen

anschraubbaren Infl atorschlauch

etwa ein Trockentauchanzug oder eine

Tarierweste (BC Jacket) anschließen,

sodass der Taucher sich unter Wasser im

gewünschten Zustand der Schwerelosig-

keit befi ndet. An den Hochdruckab-

gängen 5 können unter anderem eine

Restdruckanzeige (Finimeter) und Rest-

druckwarnung („Specht“) angeschlossen

werden. Die Restdruckwarnung signa-

lisiert dem Taucher akustisch wie senso-

risch das Erreichen eines Flaschen-

drucks von 50 bar. Der dritte

Hochdruckanschluss ist für die Sendeein-

heit eines Tauchcomputers vorgesehen.

Der Lungenautomat wird über

seinen Eingang 6 mit dem Druck-

minderer verbunden und reduziert den

Mitteldruck auf jenen Druck, der

ein natürliches Atmen ermöglicht – in

10 Meter Wassertiefe sind das 2 bar. Diese

Luft steht dann entweder am Beißmund-

stück 7 oder an einem Steckanschluss

für eine Vollmaske (Typ: Dräger Panora-

ma Nova Dive) zur Verfügung. In diesem

Fall verhindert eine besondere Konstruk-

tion Verwirbelungen wie Resonanzen

und somit das „Flattern“ beim Atmen.

Ein kurzes Drücken der Vorderseite 8

entfernt als „Luftdusche“ eingetretenes

Wasser aus dem System. Zur einfachen

Reinigung lässt sich das Gehäuse ohne

Werkzeug öffnen. Das System muss alle

zwei Jahre gewartet werden und soll – bei

entsprechender Pfl ege – mindestens zehn

Jahre halten. Ein Blasenabweiser 9

lenkt die ausgeatmete Luft an der

Tauchmaske vorbei, sodass das Gesichts-

feld frei bleibt. Der Secor 7000 erfüllt

die Anforderungen der EN 250 und

ist damit auch zum Tauchen in kalten

Gewässern (bis 2°C) geeignet.

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Natürlich atmen, unter Wasser

Durchatmen:Der Secor 7000 steckt nicht nur voller Tradition, sondern auch voller innovativer Details, die dasArbeiten unter Wasser sicherermachen und – aufgrund des niedrigen Atemwiderstands – erleichtern


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