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Dr. rer. pol., geb. 1957, Mathematiker und Politologe,€¦ · Michael Heinrich, Dr. rer. pol.,...

Date post: 19-Oct-2020
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  • Michael Heinrich, Dr. rer. pol., geb. 1957, Mathematiker und Politologe, 1987 bis 1993 wiss. Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin, danach Lehrbeauftragter und geschäftsführender Redakteur der PROKLA, Arbeitsschwerpunkte: Marxsche Theorie, Geschichte der ökono-mischen Theoriebildung.

  • Michael Heinrich

    Die Wissenschaft vom Wert Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wis-

    senschaftlicher Revolution und klassischer Tradition

    Überarbeitete und erweiterte Neuauf lage

    WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT

  • Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    4. korr. Auflage Münster 2006 © 1999 Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster Alle Rechte vorbehalten Umschlag: Lütke • Fahle • Seifert, Münster Druck: Rosch Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem Papier ISBN 3-89691-454-5

  • Inhaltsverzeichnis

    Vorwort zur 2. Auflage 9

    Einleitung 1. Zum Stand der Diskussion um die Marxsche Wert- und Geldtheorie 13 2. Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte 19

    Erster Teil Anthropologie als Affirmation: Das theoretische Feld der politischen Ökonomie

    Erstes Kapitel Die klassische politische Ökonomie 28 1. Arbeit und Eigentum in der frühen bürgerlichen Sozialphilosophie 31 2. Subjektive Arbeitswertlehre und Produktionskostentheorie bei Adam Smith 34 3. Smith als Mehrwerttheoretiker (Zur Kritik an Marx' Klassik-Rezeption Teil I) 42 4. Wert und Durchschnittsprofit bei David Ricardo 46 5. Ricardo als inkonsequenter Arbeitswerttheoretiker

    (Zur Kritik an Marx' Klassik-Rezeption Teil II) 50 6. Werttheorie als Kapitalismuskritik: die „ricardianischen Sozialisten" 58

    Zweites Kapitel Marginalismus und Neoklassik 62 1. Die marginalistische Revolution 62 2. Die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts 68 3. Klassik und Neoklassik 75 4. Wissenschaftliche Ökonomie und Vulgärökonomie

    (Zur Kritik an Marx' Klassik-Rezeption Teil III) 78

  • Zweiter Teil Die wissenschaftliche Revolution von Marx

    Drittes Kapitel Anthropologie als Kritik: Die theoretische Konzeption des jungen Marx 86 1. Marx als Junghegelianer 88 2. Kritik der Hegeischen Philosophie 93 3. Kritik der Politik: Menschliche Emanzipation und Revolution 97 4. Kritik der Nationalökonomie als Wissenschaft innerhalb der Entfremdung 104 5. Menschliches Wesen (Kritik der Hegeischen Philosophie, Fortsetzung) 111 6. Kommunismus: Ursprünglichkeit und Utopie 114 7. Auflösungsmomente der Marxschen Konzeption 118

    Viertes Kapitel Der Bruch mit dem theoretischen Feld der politischen Ökonomie 121 1. Die Abkehr von der Feuerbachschen Anthropologie 122 2. Die Kritik der Wesensphilosophie 128 3. Erste Ansätze der materialistischen Geschichtsauffassung 139 4. Kontinuität der Entfremdungsproblematik? 141 5. Der neue Begriff von gesellschaftlicher Wirklichkeit 144 6. Geschichtliche Dynamik oder Geschichtsphilosophie 148 7. Die neue Konzeption von Wissenschaft (Kritik der frühen Hegelkritik) 153

    Dritter Teil Die Ambivalenz der Grundkategorien der Kritik der politischen Ökonomie

    Fünftes Kapitel Die Architektonik der Kritik der politischen Ökonomie 160 1. Interpretationen der Marxschen Dialektik (Marx und Hegel) 164 2. Dialektische Darstellung als Form wissenschaftlicher Begründung 171 3. Der 6-Bücher-Plan und die Unterscheidung zwischen dem

    „Kapital im Allgemeinen" und der „Konkurrenz der vielen Kapitalien" 179 4. Die Auflösung des „Kapital im Allgemeinen" 185 5. Die Struktur des Kapital 189

  • Sechstes Kapitel Die monetäre Werttheorie 196 1. Die Kritik an der Marxschen Werttheorie 198 2. Werttheorie zwischen Naturalismus und Gesellschaftstheorie 206

    Abstrakte Arbeit 208 Wertgegenständlichkeit 214 Wert große 217

    3. Wertformanalyse, Austauschprozeß und Geld 220 4. Das Problem der Geldware 233 5. Geld und einfache Zirkulation - die „Nicht-Neutralität" des Geldes 240

    Wertgröße und Preis 240 Kritik der Quantitätstheorie 244 Geld als Selbstzweck 248

    Siebtes Kapitel Grundzüge der Marxschen Kapitaltheorie 252 1. Werttheorie und Kapitaltheorie 252

    Der fehlende Übergang vom Geld zum Kapital 253 Arbeitskraft - eine ganz normale Ware? 257 Klassen- und staatstheoretische Implikationen der Kapitaltheorie 263

    2. Werte und Produktionspreise 267 Das Transformationsproblem 267 Der neoricardianische Ansatz von Piero Sraffa und die Kritik an der Marxschen Werttheorie 272 Mehrwert und Durchschnittsprofit in der monetären Werttheorie 277

    3. Zinstragendes Kapital und Kredit 284 Durchschnittsprofit und Zins 285 Kredit und fiktives Kapital 289 Geld- und Kreditkrisen 296 Die Steuerungsfunktion des Kreditsystems 299 Die Marxsche Kredittheorie und das gegenwärtige Geldsystem 302

    4. Kapitaltheorie als Destruktion des Scheins kapitalistischer Empirie 306

    Achtes Kapitel Zur Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise 311 1. Gleichgewicht und Dynamik 311 2. Produktivkraftentwicklung und Wertzusammensetzung des Kapitals 315 3. Industrielle Reservearmee und „Verelendungstheorie" 322 4. Das „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate" - eine Kritik 327

  • 5. Krisentheorie 341 Rekonstruktion der Krisentheorie ? 341 Grundrisse 1857/58: Unterkonsumtionsdynamik und Zusammenbruchstheorie 345 Manuskript 1861-63: Kritik der Harmonievorstellungen der Klassik, Grenzen der Unterkonsumtionstheorie, Krise als Ausgleichsbewegung 351 Möglichkeit und Wirklichkeit der Krise 355 Krisentheorie im Kapital: Zyklentheoretischer und allgemeiner Krisenbegriff 357

    Neuntes Kapitel Kapitalismuskritik und Sozialismus 371 1. Normative Fundamente der Marxschen Kapitalismuskritik?

    (Der „Umschlag der Aneignungsgesetze") 372 2. Wissenschaft als Kritik 380 3. Werttheorie und Sozialismuskonzeption 385

    Literaturverzeichnis 393

    Zur Zitierweise: Werke von Marx und Engels werden grundsätzlich nach der Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA), Berlin (DDR) 1975ff zitiert. Parallel wird die entsprechende Stelle, sofern vorhanden, in Marx Engels Werke (MEW), Berlin (DDR) 1956ff nachgewiesen, die aber nicht immer texti-dentisch mit der MEGA ist. (II.2/56) bedeutet dabei MEGA II. Abteilung, Band 2, Seite 56 und (23/117) bedeutet MEW Band 23, S.l 17. Die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf) werden nach MEGA parallel aber nicht nach MEW 42, sondern nach der Ausgabe Berlin (DDR) 1953, abgekürzt Gr zitiert. Hervorhebungen von Marx und Engels werden über-nommen. eigene Hervorhebungen werden stets als solche vermerkt.

  • Siebtes Kapitel Grundzüge der Marxschen Kapitaltheorie Wie schon zu Beginn des letzten Kapitels erwähnt wurde, war Marx der Auf-fassung, daß die klassische politische Ökonomie drei fundamentale Probleme nicht bewältigt hatte: das Verständnis des Zusammenhangs von Wert- und Geldtheorie, die Erklärung des Austauschs von Kapital und Arbeit auf der Grundlage des Äquivalententausches und die Vermittlung der Werttheorie mit der Existenz der Durchschnittsprofitrate. Das erste Problem bildete den Ge-genstand von Marx' monetärer Werttheorie. Die beiden anderen Probleme wollte Marx im Rahmen seiner Kapitaltheorie lösen. Die Marxsche Erklärung des Austauschs von Kapital und Arbeit beruht auf seiner Auffassung der Arbeitskraft als einer spezifischen Ware. Ein Ansatz, der inzwischen von ganz verschiedenen Seiten der Kritik unterzogen wurde. Der mit der Erklärung der Durchschnittsprofitrate verbundene Übergang von Werten zu Produktionspreisen veranlaßte bereits Böhm-Bawerk (1896) von einem „Widerspruch" zwischen dem ersten und dem dritten Band des Kapital zu sprechen. Seither ist die Debatte um das sogenannte „Transformationspro-blem" nicht abgerissen. In den 60er und 70er Jahren erhielt diese Debatte im Anschluß an Sraffas „neoricardianischen" Ansatz neuen Auftrieb und führte zu der bisher folgenreichsten Kritik an der Marxschen Werttheorie. Ein weiteres Problem ist die Darstellung von Zins und Kredit im dritten Band des Kapital. Vor allem die fragmentarische Darstellung des Kreditwesens er-scheint im Marxschen Originalmanuskript in etwas anderem Licht, als in der von Engels besorgten Edition. Die bereits in der Werttheorie festgestellten Ambivalenzen machen sich auch in der Marxschen Kapitaltheorie geltend und führen insbesondere bei Marx' Transformation von Werten in Produktionspreise zu verheerenden Konse-quenzen. Es wird daher notwendig sein, die Grundzüge der Marxschen Kapi-taltheorie ausgehend von der im letzten Kapitel dargestellten monetären Werttheorie zu rekonstruieren.

    1. Werttheorie und Kapitaltheorie Im vierten Kapitel des Kapital führt Marx die Kapitalform als weitere Form-bestimmung des Werts ein: Kapital ist „sich selbst verwertender Wert", Wert, der die Bewegung G-W-G' ausführt, sich in seiner eigenen Bewegung ver-mehrt. Der Wert verwandelt sich so in ein „automatisches, in sich selbst pro-zessirendes Subjekt" (II.5/109; 23/169), für das Ware und Geld nur verschie-dene Existenzweisen sind. Diese beiden Existenzweisen sind keineswegs gleichberechtigt. Als Subjekt des Prozesses, bedarf der Wert einer

  • Grundzüge der Marxschen Kapitaltheorie 253 „selbstständigen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatirt werden kann. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Dieß bildet daher Ausgangspunkt und Schlußpunkt jedes Verwer-thungsprozesses." (II.5/109; 23/169) Im Gegensatz zur Klassik, die Kapital meist mit den Kapitalgütern identifi-zierte und wie schon in ihrer Werttheorie dem Geld allenfalls eine vermitteln-de Funktion zubilligte, hebt Marx hervor, daß der Verwertungsprozeß die Verfugung über Geld voraussetzt und wieder in Geld resultiert. Insofern kann bei Marx von einer monetären Kapitaltheorie gesprochen werden. Indem Marx Kapital als eine bestimmte Bewegungsform des Werts einfuhrt, d.h. als eine weiterentwickelte Formbestimmung gesellschaftlicher Arbeit, ist von vornherein klar, daß sich Kapital nicht aus dem Willen oder dem Interesse der Individuen erklären läßt. Die Kapitalform ist Ausdruck einer objektiven gesellschaftlichen Struktur, die die Einzelnen bereits fertig vorfinden und die ihnen die Rationalität ihrer Handlungen vorgibt. Die Individuen finden nicht nur eine bestimmte Verteilung vor (einige werden als Geldbesitzer geboren, andere nicht), sie finden auch die Möglichkeit der Kapitalbewegung vor. Erst nachdem Marx die Kapitalform dargestellt hat, betrachtet er den Kapitalisten: als „bewußter Träger" der Kapitalbewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist, „personificirtes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital" (II.5/108; 23/167f). Hier zeigt sich wieder der Bruch mit dem theoretischen Feld der po-litischen Ökonomie. Der gesellschaftliche Zusammenhang wird nicht mehr ausgehend von den Individuen rekonstruiert, vielmehr folgt deren Rationalität erst aus diesem Zusammenhang.1 Insofern agieren sie als „Charaktermasken": damit wird den Individuen nicht ihr willentliches Handeln abgesprochen, son-dern darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Wille einer bestimmten Logik folgen muß, sofern nicht der (ökonomische) Untergang riskiert werden soll.

    Der fehlende Übergang zum Kapital Problematisch ist die Art und Weise wie die Kapitalform des Werts im Kapi-tal eingeführt wird. Nachdem Marx die Warenzirkulation W-G-W als „ver-kaufen um zu kaufen" charakterisiert hat, fahrt er fort: „Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedene vor, die Form G-W-G, Verwandlung von Geld in Waare und Rückverwandlung von Waare in Geld, kaufen um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Cirkulationsform beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon an sich, d.h. seiner Bestimmung nach, Kapital." (11.5/103:23/162) Die zweite Zirkulationsform G-W-G wird also einfach vorgefunden („finden wir"). Man gewinnt den Eindruck, daß diese Form lediglich empirisch aufge-nommen wird und die Formanalyse jetzt gewissermaßen einen neuen Anfang

    1) Für die Darstellung bedeutet dies, daß stets zunächst der sachliche Zusammenhang behandelt werden muß und erst dann die Handlungen der Personen betrachtet werden können, eine Abfolge die man bereits bei der Darstellung von Ware und Austauschprozeß beobachten konnte.

  • 254 Siebtes Kapitel erhält. Die einfache Zirkulation von Ware und Geld ist zwar eine Vorausset-zung für die Existenz des Kapitals, ob Kapital aber tatsächlich existiert, scheint der einfachen Zirkulation äußerlich zu sein. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß in den ersten drei Kapiteln des Kapital, in denen die einfache Zirkulation dargestellt wird, mit Ausnahme des allerersten Satzes von der kapitalistischen Produktionsweise nicht die Rede ist. In einem Großteil der Literatur wird diese einfache Zirkulation als abstrakte Darstellung einer historischen Phase der „einfachen Warenproduktion" aufge-faßt, die der kapitalistischen Warenproduktion vorangegangen sei. Eine Inter-pretation, die sich auch auf den im letzten Kapitel erwähnten Engelsschen Nachtrag (Wertgesetz und Profitrate) zum dritten Band des Kapital stützen kann (insbesondere 25/905ff). Im Urtext von Zur Kritik grenzte sich Marx al-lerdings von jeder historisierenden Auffassung der einfachen Zirkulation ab: „Wir haben es hier jedoch nicht mit historischem Uebergang der Circulation in das Capital zu thun. Die einfache Circulation ist vielmehr eine abstrakte Sphäre des bürgerlichen Gesammtpro-ductionsprocesses, die durch ihre eigenen Bestimmungen sich als Moment, blose Erscheinungs-form eines hinter ihr liegenden, ebenso aus ihr resultirenden, wie sie producirenden tieferen Pro-cesses - das industrielle Capital - ausweist." (II.2/68f; Gr 922f, Herv. von mir) Bei der einfachen Zirkulation handelt es sich auch nicht bloß um ein erstes, allgemeines Modell, das dann im Verlauf der weiteren Darstellung durch die Hereinnahme des Kapitalverhältnisses nur zu spezifizieren ist.2 Es geht Marx von Anfang an um die Untersuchung von Ware und Geld im Kapitalismus.3 Die einfache Zirkulation ist keine mehr oder weniger willkürliche Anfangsab-straktion, sondern eine durch die Struktur des Erkenntnisobjekts selbst not-wendige Ebene der begrifflichen Darstellung. Der „bürgerliche Gesammtproductionsprocess" stellt sich der Anschauung zu-nächst als bloßer Kauf und Verkauf von Waren dar. Die einfache Zirkulation er-scheint „als das unmittelbar Vorhandne an der Oberfläche der bürgerlichen Ge-sellschaft" (II. 1.1/177; Gr 166). Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu Waren- und Geldverhältnissen in vorkapitalistischen Produktionsweisen. Dort kommen die Warenverhältnisse immer nur neben anderen für diese Pro-duktionsweisen typischen Formen der gesellschaftlichen Arbeit als ein bloß untergeordnetes Moment vor.4 Marx kommt daher zu dem Ergebnis, „daß das ganze System der bürgerlichen Production vorausgesezt ist, damit der Tauschwerth als einfacher Ausgangspunkt an der Oberfläche erscheine und der Austauschprocess, wie er sich in

    2) Diese Auffassung findet sich z.B. bei Meek (1973, S.180f), der von der Wertheorie als einer „first approximation" spricht; ähnlich auch Dobb (1969, S.12) und Schabacker (1998). 3) Insofern ist auch Brunhoff (1976, S. 19ff) nicht zuzustimmen, die in den ersten drei Kapiteln des Kapital eine über den Kapitalismus hinausgreifende „allgemeine Theorie des Geldes" sieht. 4) Dies hebt Marx bei seiner Auseinandersetzung mit Steuart besonders hervor; „Steuart wußte na-türlich sehr wohl, daß das Produkt auch in vorbürgerlichen Epochen die Form der Waare und die Waare die Form des Geldes erhält, aber er weist ausführlich nach, daß die Waare als elementari-sche Grundform des Reichthums und die Entäußerung als die herrschende Form der Aneignung nur der bürgerlichen Produktionsperiode angehören, also der Charakter der Tauschwerth setzenden Arbeit specifisch bürgerlich ist." (II.2/136; 13/44)

  • Grundzüge der Manschen Kapitaltheorie 255 der einfachen Circulation auseinanderlegt, als der einfache, aber die ganze Production wie Con-sumtion, umfassende gesellschaftliche Stoffwechsel." (II.2/52; Gr 907) Diese sachliche Voraussetzung zeigt sich auch innerhalb der einfachen Zirku-lation, die selbst auf eine hinter ihr liegende Sphäre verweist: „Die Circulation in sich selbst betrachtet ist die Vermittlung vorausgesezter Extreme. Aber sie sezt diese Extreme nicht. Als Ganzes der Vermittlung, als totaler Proceß selbst muß sie daher vermittelt sein. Ihr unmittelbares Sein ist daher reiner Schein. Sie ist das Phänomen eines hinter ihrem Rük-ken vorgehnden Processes. ( . . . ) Die Circulation trägt daher nicht in sich selbst das Princip der Selbstemeuerung." (II.2/64; Gr 920) Die Zirkulation ist unselbständig, sie vermittelt nur etwas von außen kom-mendes: ob Ware und Geld überhaupt kontinuierlich getauscht oder als Pro-dukte festgehalten werden, fällt nicht unter die Bestimmungen der einfachen Zirkulation. Ob die einfache Zirkulation existiert, hängt daher von einem an-deren, außer ihr liegenden Prozeß ab. Soweit kann das Argument auf allge-meine Zustimmung rechnen. Die Frage ist aber, welches dieser Prozeß ist: kann es sich um die Produktion „einfacher Warenproduzenten" handeln oder muß es kapitalistische Produktion sein? Soll das Marxsche Insistieren darauf, daß es sich bei der einfachen Zirkula-tion nur um die Oberfläche des „bürgerlichen Gesammtprocesses" handelt, nicht eine bloß dogmatische Versicherung bleiben, muß gezeigt werden, daß die einfache Zirkulation eine weitere Formbestimmung notwendig macht, daß ein begrifflicher Übergang aus der einfachen Zirkulation zum Kapital existiert (eine „dialektische Entwicklung" wie sie im fünften Kapitel cha-rakterisiert wurde). In den Grundrissen (II.l .l/157ff; Gr 144ff) und im Ur-text von Zur Kritik der politischen Ökonomie (II.2/63ff; Gr 919ff) hat Marx den Versuch einer kategorialen Ableitung des Kapitals unternommen; im Manuskript von 1861-63 und im Kapital fehlt ein solcher Übergang. Ausgangspunkt dieses Übergangs bildet in den Grundrissen und im Urtext das Geld, wie es sich als Resultat der einfachen Zirkulation ergibt. Kurz zusam-mengefaßt besteht das Argument darin, daß der Wert im Geld zwar eine selb-ständige Form besitzt, daß aber diese Selbständigkeit „bioser Schein" (II.2/67; Gr 920) sei: wird das Geld außerhalb der Zirkulation festgehalten, so ist es ein „reines Hirngespinst" (II.2/64; Gr 920), es ist „ebenso werthlos, als läge es im tiefsten Bergschacht" (II.2/74; Gr 929). Wird es aber in die Zirkulation gewor-fen, so verwandelt sich das Geld in Ware. Der Wert verliert seine selbständige Gestalt und wird mit der Konsumtion der Ware gänzlich vernichtet (ebd.). Die Verselbständigung des Wertes im Geld ist innerhalb der einfachen Zirkulation immer nur momentan zu erreichen, sie gelingt nie dauerhaft. Der Wert erlangt nicht wirklich eine intertemporale Existenz. Damit handelt es sich aber gar nicht um eine tatsächliche Verselbständigung des Werts. Der Wert ist im Rahmen der einfachen Zirkulation daher immer noch mangelhaft bestimmt. Als zunächst abstrakte Bedingung einer wirklichen Verselbständigung des

  • 256 Siebtes Kapitel

    Werts formuliert Marx: „Sein Eingehn in die Circulation muß selbst ein Moment seines Beisichbleibens, und sein Beisich-bleiben ein Eingehn in die Circulation sein. Der Tauschwerth ist also jezt bestimmt als ein Process" (11.2/77; Gr 931). Dieser Prozeß hat die Form G-W-G. Die einzige Veränderung, deren der Wert fähig ist, ist aber eine quantitative. Soll der Prozeß G-W-G nicht bloß formell sein, Tausch von Geld gegen eine Ware und Tausch derselben Ware wieder gegen Geld, so muß sich der Wert in diesem Prozeß vermehren.5 „Das aus der Circulation als adaequater Tauschwerth resultirende und verselbständigte aber wieder in die Circulation eingehnde, sich in und durch sie verewigende und verwerthende (vervielfälti-gende) Geld, ist Capital. ( . . . ) Geld und Waare als solche, ebenso wie die einfache Circulation selbst existiren fiir das Capital nur noch als besondre abstrakte Momente seines Daseins, in denen es ebenso beständig erscheint, von einem in das andre übergeht, wie beständig verschwindet. Die Verselbstständigung erscheint nicht nur in der Form, daß es als selbstständiger abstrakter Tausch-werth - Geld - der Circulation gegenübersteht, sondern daß diese zugleich der Process seiner Ver-selbstständigung ist" (11.2/82; Gr 937). Die dialektische Entwicklung der Kategorien soll die nicht-empirischen, son-dern strukturellen Beziehungen der in diesen Kategorien fixierten Verhältnisse begrifflich reproduzieren. Der kategoriale Übergang vom Geld zum Kapital, d.h. der Nachweis, daß das Geld als verselbständigte Form des Werts auf der Ebene der einfachen Zirkulation eine weitere Formbestimmung, die des Kapi-tals, notwendig macht, drückt aus, daß das Geld, als das, was es ist (verselb-ständigte Gestalt des Werts), nur unter kapitalistischen Produktionsverhältnis-sen existieren kann. Das heißt aber, die Marxsche Werttheorie ist nicht nur monetäre Werttheorie, sie ist Werttheorie nur als Kapitaltheorie, denn erst in seiner Bewegung als Kapital erhält der Wert Dauerhaftigkeit.6 Umgekehrt ist der Wert dann nur der abstrakte Ausdruck des Kapitals, was von Marx am deutlichsten in den Grundrissen ausgesprochen wurde: „Es hat sich im Lauf unserer Darstellung gezeigt, wie Werth, der als eine Abstraction erschien, nur als solche Abstraction möglich ist sobald das Geld gesezt ist; die Geldcirculation anderseits führt zum Capital, kann also nur vollständig entwickelt sein auf Grundlage des Capitals... Der Begriff von Werth ganz der modernsten Oekonomie angehörig, weil er der abstracteste Ausdruck des Ca-pitals selbst und der auf ihm ruhenden Production ist." (II. 1.2/646; Gr 662, Herv. von mir) Im Kapital fehlen allerdings nicht nur die expliziten Hinweise darauf, daß die

    5) Nur durch diese Bewegung gelingt es dem Wert, die quantitative Schranke als eine bestimmte Wertsumme, die seiner qualitativen Unbeschränktheit entgegensteht, zu überwinden. Schatzbil-dung ist dagegen nur eine imaginäre Vermehrung des Werts, denn der Zirkulation wird lediglich in Gestalt des Geldes entzogen, was ihr als Ware gegeben wird (vergl. II.2/80; Gr 936). Darüberhin-aus bleibt die Verselbständigung des Werts im Schatz auch nur formell: verselbständigt ist der Wert hier nur gegen die Zirkulation aber nicht in der Zirkulation. 6) Auf diesem Zusammenhang insistiert insbesondere Brentel: „eine Werttheorie als Arbeitswert-theorie ist nur als Kapitaltheorie explizierbar... Wert-Sein ist nicht eine überhistorische 'Eigen-schaft' von 'Waren'-Produkten überhaupt, vom unentwickeltsten Tauschhandel bis zum industriel-len Produkt, sondern im strengen Sinne immer nur als Kapital-Wert zu begreifen" (Brentel 1989, S.266).

  • Grundzüge der Marxschen Kapitaltheorie 257 einfache Zirkulation nur die Oberfläche des kapitalistischen Gesamtprozesses ist, es fehlt auch die Darstellung des Übergangs vom Geld ins Kapital, wo-durch Interpretationen, die in der einfachen Zirkulation eine selbständige, vom Kapital unabhängige Sphäre sehen, Vorschub geleistet wird. Daß die Marxsche Werttheorie nur als Kapitaltheorie Werttheorie ist, wird in der ver-kürzten Darstellung des Kapital nicht mehr richtig sichtbar.7 Marx äußerte sich nicht darüber, warum er diesen Übergang wegfallen ließ.8 Man kann jedoch vermuten, daß sich diese Auslassung, dem Marxschen Be-streben um „Popularisierung" verdankt, von der bereits in einem Brief an Engels vom 9.12.1861 die Rede war. Dort heißt über die Fortsetzung von Zur Kritik, sie werde „viel populärer und die Methode viel mehr versteckt als in Teil I" (30/207). Noch weit mehr als bei der oben diskutierten Einfü-gung der Geldform in die Wertformanalyse läuft die hier diskutierte „Popu-larisierung" auf einen Bruch in der dialektischen Darstellung hinaus: der dialektische Übergang wird einfach weggelassen. Zumindest an diesem Punkt muß der im fünften Kapitel diskutierten These von Backhaus und Reichelt, daß aufgrund des Marxschen „Versteckens" seiner Methode ein zureichendes Verständnis des Kapital nur mittels der Grundrisse und des Urtextes gewonnen werden kann, zugestimmt werden.

    Arbeitskraft — eine ganz normale Ware? Daß das selbständige Dasein des Tauschwerts nur als sich verwertender Wert adäquat ausgedrückt wird, sagt noch nichts darüber aus, wie diese Verwertung überhaupt möglich ist. Es stellt sich daher die Frage, wie sich auf der Grund-lage des Äquivalententausches die Existenz eines Kapitalgewinns erklären läßt. Dies ist die grundlegende Frage, die Marx mit seiner Mehrwerttheorie beantworten will.9

    7) Lediglich in zwei Fußnoten wird dieser Zusammenhang angedeutet. Im ersten Kapitel heißt es: „Die Werthform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürger-lichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondre Art gesellschaftlicher Produktionsweise und damit zugleich historisch charakterisirt wird" (II.5/43; 23/95). Und in einer Note zur 2. Aufla-ge bemerkt Marx im vierten Kapitel: „Was also die kapitalistische Epoche charakterisirt, ist, daß die Arbeitskraft für den Arbeiter selbst die Form einer ihm gehörigen Waare, seine Arbeit daher die Form der Lohnarbeit erhält. Andrerseits verallgemeinert sich erst von diesem Augenblick die Waarenform der Arbeitsprodukte" (II.6/186; 23/184, Herv. von mir). 8) Die These von Riedel (1998), Marx habe aufgrund der Schwierigkeiten, die ihm dieser Über-gang im Urtext bereitet habe, eine Alternative zur dialektischen Darstellung gesucht, wurde bereits oben, im zweiten Abschnitt des fünften Kapitels diskutiert. 9) „Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf der Grundlage dem Waarenaustausch imma-nenter Gesetze zu entwickeln, so daß der Austausch von Aequivalenten als Ausgangspunkt gilt. Unser nur noch als Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muß die Waaren zu ihrem Werth kaufen, zu ihrem Werth verkaufen und dennoch am Ende des Prozesses mehr Werth herausziehn als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muß in der Cirkulationssphäre und muß nicht in der Cirkulationssphäre vorgehn. Dieß sind die Bedingungen des Problems. Hic Rhodus, hic salta!" (H.5/119; 23/180f).


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