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Dr. Bernd Pfeiffer - staff.uni-mainz.de · Galilei aus seiner Zeit betrachtet Ein Versuch eines...

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Galilei aus seiner Zeit betrachtet Ein Versuch eines (Astro-)physikers Dr. Bernd Pfeiffer 1 Ottavio Leoni (1578-1630), Galileo Galilei florentino Naturhistorisches Museum Mainz 08.02.2015
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Galilei aus seiner Zeit betrachtet Ein Versuch eines (Astro-)physikers

Dr. Bernd Pfeiffer

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Ottavio Leoni (1578-1630), Galileo Galilei florentino

Naturhistorisches Museum Mainz 08.02.2015

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2014 – 450. Geburtstag Galileis

Veränderer unseres Weltbildes ???

AAG-Newsletter: 450 Jahre Galileo Galilei

Sonderseite AZ Mainz

Runde Jahrestage sind oft ein will-kommener Anlass für die Medienunisono idealisierende Berichte zuveröffentlichen, wie schon 2010zu den Himmelsbeobachtungen Galileis mit dem Fernrohr.

In keinem (mir bekannten) Beitragwird erwähnt, dass Galileis Zeitge-nossen ein wesentlich kritischeresBild von ihm hatten (und nicht nurdie Inquisition, sondern insbesondereseine Professorenkollegen).

Nach einigen (nicht so oft erwähnten)biographischen Angaben und Arbeitenwerde ich mich dem Wandel des Welt-bildes zu Beginn der frühen Neuzeit zuwenden und Galileis Rolle darin.

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So versuchen Feministinnen den Beitrag von Frauen neu zu bewerten (manchmal aus hehren Beweggründen):

z.B. die Philosophin und Mathematikerin Hypatia von Alexandrien (um 355 - 415):In „AGORA – Die Säulen des Himmels“ von Alejandro Amenábar führt sie elliptische Bahnen in das helio-zentrische Modell von Aristarchos ein.

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Historische Personen als Projektionsflächen für Künstler

Oft projizieren Schriftsteller oder Regisseure ihre persönlichen Ansichten auf bedeutendehistorische Persönlichkeiten.

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Pisa 15.(16.) Februar Julianisch [25.(26.) Februar Gregorianisch] 1564 –29 .Dezember 1641 Julianisch [8. Januar 1642 Gregorianisch ] Arcetri bei Florenz

Das Geburtsdatum wird aus einem von Galilei erstellten Horoskop abgeleitet. Die angegebene Geburtsstunde könnte sich auch auf den 16. Februar beziehen, je nachdem welche der vielen damals verwendeten Stundenzählungen Galilei angewandt hat.

In der Toskana galt noch bis 1750 der julia-nische Kalender, doch werden historischeDaten heute meist umgerechnet .

Two horoscopes which Galileo drew up for himself, omitted from Favaro’s Opere. At the top is written his birthdate as 15th February h.22.30 (the Pisan time-convention) and under it, 16th February h.4.pm. Under this is his computation of the planetary longitudes which are then given on the left hand side, together with latitudes.

Lebensdaten

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Michelangelo

Galilei

Basilika Santa Croce, Florenz

Galleis Grabmal

Nachdem die Kirche ursprünglich eine Beisetzung in ge-weihter Erde verhindert hatte, wurde er später in einem anonymen Grab im „Florentiner Parthenon“ beerdigt.1737 wurden er und sein Schüler Viviani (†1703) in ein neuesGrabmal gegenüber Michelangelo umgebettet.

Fingerreliquie

Galileis Ahnherr Bonaiuti ist auch hier beerdigt.5

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Musikalische Familie

Er entstammt einer Florentiner Patrizierfamilie, benannt nach Galileo Bonaiuti (1370-1450), Arzt, Professor, Politiker.

Vincenzo Galilei (um 1520 – 2. Juli 1591) ∞ Giulia AmmannatiTuchhändler, Lautenspieler (-lehrer), Komponist, MusiktheoretikerMitglied der „Florentiner Camerata“

Galileos jüngerer Bruder Michelagnolo (Florenz 1575 – 1631München) folgte als Lautenist und Komponist seinem Vater,

wie auch 4 seiner Söhne.

Vincenzo Galilei (?)von Alessandro Allori

„Il primo libro d'intavolatura di liuto“ (München 1620)

Galileo war ebenso ein Lautenspieler, auch ein Komponist?

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Vincenzo hatte sieben Kinder, vondenen 2 bis heute bekannt sind:Galileo und Michelagnolo. Nach dem Tode des Vaters kümmertesich Galilei um seinen jüngerenBruder.

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The Divine Monochord, Robert Fludd (1574 - 1637)

Monochordium Mundi symphoniacumJ. Kepplero oppositum, Frankfurt 1622

Kepler studierte Vincenzos Abhandlung, doch bevorzugte er die Harmonielehre des Ptolemaios.

Sphärenklänge

Vincenzo Galilei, nobile fioren-tino: Dialogo della musica anticaet moderna; Fiorenza 1581

Vincenzo setzte sich als Mitgliedder Florentiner Camerata für eine Wiederbelebung der antiken Monodie (Einstim-migkeit) ein.

Robert Fludd setzte sie ineiner Streitschrift gegenKeplers „Harmonici mundi“in Bezug zu den Planeten.

Vincenzo erkannte den nicht-linearen Zusammenhang von Tonhöhe und Zugspannung einer Saite. „Discorso intorno all'opere di messer Gioseffo Zarlino“ (1589) (Galileo untersuchte dies auch.)

1865 entwickelte Newlands ein periodischesSystem der Elemente aus Oktaven.

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Spätestens bei der Umsiedlung nach Florenz 1610 trennte sich Galilei von seiner Haushälterin Marina Gamba mit der er drei Kinder hatte:

Virginia (Ordensname: Maria Celeste; 1600–1634), Livia (Ordensname: Arcangela; 1601–1659) und Vincenzio (1606–1669).

Mit Hilfe eines Bewunderers, des Kardinals Maffeo Barberini(später Papst Urban VIII.), brachte Galilei seine Töchter noch vor Erreichen des Mindestalters in einem Kloster unter, denn sie hatten als uneheliche Kinder kaum Aussichten auf eine standes-gemäße Heirat. Der Sohn wurde 1613 zu seinem Vater nach Florenz geschickt, nachdem Marina Gamba einen Mann namens Giovanni Bartoluzzi geheiratet hatte. Galilei legitimierte ihn später.Er heiratete Sestilia Bocchineri.

Galileis Kinder

Virginia soll zusammen mit ihrem Vater in Santa Croce begraben sein.

Galilei kaufte ein Landhaus in Arcetri nahe des Klosters, in dem er später denHausarrest nach dem Inquisitionsprozess bis zum Lebensende verbrachte.

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Der Übergang zur „modernen“ Wissenschaft geschah langsam

Horoskope von Tycho Brahe , Johannes Kepler, Galilei

Mysterium Cosmographicum (1596)

Keplers Verteidigung der Astrologie

Die Herleitung des „Dritten keplerschenGesetzes“ in Harmonici Mundi (1619) beruht auf pythagoräischer Numerologieund kosmischer Harmonie.

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Die Schöpfer neuer Einsichten wachsen mit den alten Ideen auf.

Horoskope waren zum Lebensunterhaltunabdinglich,

doch glaubten sie auch daran?

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FRANCISCO

For this relief much thanks: 'tis bitter cold,

And I am sick at heart.

BERNARDO

Last night of all,

When yond same star that's westward from the pole

Had made his course to illume that part of heaven

Where now it burns, Marcellus and myself,

The bell then beating one,--

Enter Ghost

ACT ISCENE I. Elsinore. A platform before the castle.………

The Tragedy of Hamlet, Prince of Denmarkby William Shakespeare

Öffentliches Interesse an Astrologie/Astronomie

In gebildeten Kreisen fandenaktuelle astrologische Fragenreges Interesse. Galileis Zeit-genosse Shakespeare bezogsich in seinen Werken und imGlobe öfter auf aktuelle Dis-kussionen.

Tycho Brahe, De nova stella

Tycho Brahe beobachtete den „neuen Stern“ zuerst am24.10.1571jul , wohl eine kalte Novembernacht.

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Hermes Trismegistos galt von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit als Verfasser einer Reihe von philosophischen, astrologischen, magischen und alchemistischen Schriften, die aufgrund seiner Gleichsetzung mit Thotals Zeugnisse uralten Wissens geschätzt wurden, das zumindest auf die Zeit des Moses zu datieren sei.

Schon Cosimo (il Vecchio) de Medici (1389-1464) hatte 1462 MarsilioFicino (1433-1499) beauftragt diverse esoterische Schriften zum Corpus Hermeticum zu vereinen.

Förderung der Wissenschaften durch die Medici

Galilei hatte den Vorteil, in der Toskana zu leben in der frühen Neuzeit. Diese Region war in der Renaissance an der Spitze der neuen Entwicklungen in Kunst und Wissenschaft gewesen.Insbesondere hervorgetan als Mäzene hatten sich die Medici in Florenz. Allerdings sollte man auch die Kehrseite der Medaille nicht übersehen:Astrologiegläubigkeit, Praktizieren Schwarzer Magie, Giftmorde.

Colonne Médicis1572

In Paris kann man eine Säule mit Wendeltreppe besuchen, die Königin Caterina de‘ Medici 1572 für ihren Leibastrologen Côme Ruggieri erbauen ließ. Was sie mit ihrem Schwarzmagier be-obachtete, ist allerdings bis heute rätselhaft.

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Wissenschaftliche Kurzbiographie

1564 Geburt in PisaBis 1580 Novize im Kloster Vallombrosa

u.a. Ausbildung in Astrologie1580 – 1584 abgebrochenes Medizinstudium in Pisa1584 – 1589 Mathematikunterricht in Florenz

lebte von Privatunterricht, hielt Vorträge1589 – 1592 Lektor für Mathematik in Pisa

Fallversuche vom Turm ????nicht verlängert wegen anti-aristotelischer Äußerungen

1592 – 1610 Professor in Paduagab auch Privatunterricht, Vertrieb Proportionalzirkel

ab 1610 Philosoph und Hofmathematiker von Cosimo II. de Medici in FlorenzMathematikprofessor in Pisa ohne Lehrverpflichtung

1611 Aufnahme in die Accademia dei Lincei1633 – 1642 Hausarrest

Zusammenfassung seiner physikalischen Studien 1638ausländische Besucher, z.B. Thomas Hobbes, John Milton

1642 Tod in Arcetri bei Florenz

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"Der Krieg ist aller Dinge Vater." - Fragmente, B 53

Heraklit von Ephesos (* um 520 v.Chr.; † um 460 v.Chr.)

Original altgriech.: ''πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστι.“

Galilei war nicht ein weltfremder Theoretiker im „Elfenbeinturm“ (als den man ihn später beschrieb), sondern war eingebunden in die technischen und wissenschaftlichen Entwick-lungen seiner Zeit, auch als Hochschullehrer. Ein Beispiel ist sein Buch:

Le Operazioni del Compasso Geometrico et Militare, Padova, 1606.Es ist eine „Gebrauchsanweisung“ für einen Proportionalzirkel, den er von einem in seinemHaus wohnenden Mechaniker bauen ließ und dessen Anwendung er in seinen Vorlesungenlehrte. Doch weshalb Compasso Militare? Die Einführung leichter, mobiler Kanonen hatte das Kriegs-handwerk verändert. Insbesondere Artillerieoffiziere mussten jetzt Kenntnisse in Mathematikaufweisen. Galilei war auch beteiligt an der Gründung der „Accademia Delia“ 1608 in Padua,die junge Adlige auf eine Laufbahn beim Militär vorbereiten sollte. Unterrichtet wurde Reiten, Fechten, aber auch Mathematik.

Astronomen hatten das Astrolab als vielfältiges Messinstrument entwickelt und schon seit dem Mittelalter hatten sie ihren BüchernVolvellen, mehrlagige Drehscheiben, beigefügt, mit denen auchmathematisch wenig unterrichtete Personen Zugang zu den kom-plexen Resultaten hatten. (Peter Apian hatte sein Instrumentbuchin deutsch verfasst für Praktiker wie Landvermesser. ) Galilei entwickelte ein Multifunktionsinstrument, den Proportional-zirkel, weiter für u.A. Anwendung im Kriegshandwerk.

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Er wurde später zum Rechenschieber weiterentwickelt.

Proportionalzirkel nach Galilei

Eine militärische Anwendung

Dieses Analogrecheninstrument wurde zwarspeziell für militärische Anwendungen entwickelt,doch lassen sich damit vielfältige Operationendurchführen (selbst Zinsrechnung). Auf den Schenkelnbefinden sich Linien, die es z.B. gestatten, Strecken nach dem „Goldenen Schnitt“ zu teilen.

Die physikalischen Studien Galileis zu dieser Zeitstehen auch in Zusammenhang mit militärischenFragen: • Die Festigkeitslehre untersucht z.B. die Vergrößerungvon Baumaschinen für den Festungsbau und• die Fallversuche gehen der Flugbahn von Geschossennach.Er hat sie nach 1632 wieder aufgenommen

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Operazioni del compasso militare

1606 druckte Galilei die Gebrauchsanweisung in 60 Exemplaren. Da sie zusammen mit den Instru-menten verkauft wurde, befindet sich darin keine Abbildung des Instrumentes.

Im Vorwort erwähnt er einige Adlige,denen er den Zirkel erläutert hatte.Darunter „L‘Illustrissimo ed Excellen-tissimo Sig. Filippo Landgraviodi Assia e Conte di Nidda“ .Dies war der spätere LandgrafPhilipp III. von Hessen-Butzbach,

der Padua während einer langjährigen Bildungs-reise besucht hatte. Er errichtete eine Sternwarte in Butzbach (in der ihn Kepler besuchte) und bliebmit Galilei in Briefkontakt.

Galilei war anscheinend schon so bekannt, dass er Anlaufstelle für die Kavaliersturenhochstehender junger Adliger war.

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Galilei und das Thermometer?

Galileo-Thermometer

http://www.freunde-alter-wetterinstrumente.de/22theges.htm

Die Galileo-Thermometer sind sehr dekorativ, doch nicht von Galilei.Sie wurden durch die „Accademia del Cimento“ entwickelt, die 1657durch Schüler Galileis gegründet wurde.

Allerdings hatte Galilei in Padua (zwischen 1592 und 1610) in einer Vorlesung ein Luft-Thermoskop vorgeführt. (Verein-facht ausgedrückt ist ein Thermoskop ein Thermometerohne Skala.)Er selbst hat nie darüber berichtet, sodass es viele Spekulationen gibt, ob er weitere Studien durchführte.

Im Verlauf des 17. Jahrhunderts erkannte man dann, dass die Temperatur eine quantifizierbare Größe ist und entwickelte Thermometer und Maßsysteme, z.B. Fahren-heitskala 1714.

Thermoskop16

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Jupitermonde als „universelle“ Uhren

Zur Lösung des Längengradproblems schlug Galilei 1616 Philipp II. von Spanien vor, beobachtete Positionen der Monde des Jupiters mit für einen Referenzort tabellierten Werten zu vergleichen. Mit festem Grund unter den Teleskop- und eigenen Füßen erwies sich der Vorschlag durchaus als praktikabel. Mit diesem Verfahren wurden die ersten korrekten Landkarten angefertigt, wie man z.B. an der Karte Frankreichs sehen kann. [Allerdings war Ludwig XIV wenig erfreut über die Tatsache, dass sein Königsreich plötzlich kleiner war.]

Allerdings war die Methode von den Plankeneines Schiffes aus praktisch undurchführbar.

"Carte de France: Corrigée par Ordre du Roy sur lesObservations de Mss. de l'Académie des Sciences“(Paris,1693).

Anmerkung:Bei Messungen zur Erstellung dieser Tabellenfiel Ole Roemer in Paris 1676 auf, dass derZeitpunkt des Wiederauftauchens der Mondeaus dem Jupiterschatten von der EntfernungErde-Jupiter abhängt. Er deutete dies mit derEndlichkeit der Lichtgeschwindigkeit und konnteeinen ersten Schätzwert von

c ≈ 250000 km/sermitteln.

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Galileo erkannte die Bedeutung der Pendelgesetze für dieZeitmessung. 1641 skizzierte er eine Pendeluhr. Sein SohnVincenzo begann mit dem Bau, konnte sie aber bis zu seinem Tod 1669 nicht vollenden.Eine erste Uhr wurde 1656 von Christian Huygens gebaut.

Astronomische Pendeluhren mit Sekundenpendeln blieben fürca. 250 Jahre die genauesten Zeitmesser.

Kathedrale Pisa

18Just Bürgi, um 1570, Kassel

Bernhard Walther hatte um 1500 in Nürnberg erste Versuche mit mechanischen Uhren gemacht. Astronomen spornten in der Folge dieUhrmacher zu immer besseren Chronometern an.

Pendelgesetz

Galileis Sohn berichtet, dass Galilei bei einem Gottesdienst in derKathedrale von Pisa 1582 zu den Pendelgesetzen inspiriert wurde.Er selbst berichtet darüber in einem Brief um 1602. Galilei interpretierte seine Beobachtungen nicht aus aristotelischerSicht, sondern mit Hilfe der scholastischen Impetustheorie aus dem14. Jhrdt von Jean Buridan, die zuvor Nicolas Oresme zu ähnlichenGedanken führte$. Das Mittelalter war nicht ganz so finster!

$ Kuhn, Structure of Scientific Revolutions

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Sandro Botticello 1480-1490

Erste öffentliche Aufmerksamkeit

Insbesondere in Florenz versuchte man eine Landkarte der Hölle aus Dantes „Göttlicher Komödie“ abzuleiten.

Im Winter 1587/8 beauftragte die FlorentinerAkademie einen jungen Studienabbrecher inzwei Vorträgen die toskanische Auslegunggegen eine Kritik von A. Velutello aus Lucca,einer Rivalenstadt von Florenz, zu verteidigen.

Galilei versuchte, „la figura, sito e grandezzadell‘ Inferno di Dante“ naturwissenschaftlich zu bestimmen und zu beschreiben.

War dies schon „eine geistesgeschichtliche Wende hin zueiner Trennung von naturwissenschaftlichem und geistes-wissenschaftlichem Denken“?

G. Galilei, Due lezioni all’Accademia Fiorentina circa la figura, sito e grandezza dell’Inferno di Dante, in Le opere di Galileo Galilei, A. Favaro, vol. IX, 29-57

Die Universität Pisa bot Galilei daraufhin einen Dreijahresvertrag an.

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Experimentelle Bestätigungen der Bewegungen der Erde

Bahnbewegunga) Robert Hooke meinte eine Fixsternparallaxe beobachtet zu haben.

Riesenteleskop im „Monument to the Great Fire of London“Aberration des Sternenlichts 1728 von James Bradley

b) Fixsternparallaxe 1837 von Friedrich Wilhelm Bessel

Erdrotationa) Kometen wurden als atmosphärische Erscheinung betrachtet. Ihre Bewegung wurde als

Bewegung der Erdatmosphäre gedeutet. Streitpunkt: Haftet die Luft an der Erdober-fläche? Zeigt die Bewegung der Kometen, dass die Erde rotiert?

b) Foucaultsches Pendel 1851 in ParisZuerst 1661 von Galileis Schüler Vincenzo Viviani durchgeführt.

Jupitermonde zeigen, dass es mehrere Zentren der Bewegung geben kann. Dies stützt aber auchdas geo-heliozentrische tychonische System.

Fazit: Vor 1728 bzw. 1837 gab es keine experimentellen Beweise für das heliozentrische System!

Aristarchos von Samos fand, dass Sonne fünfmal größer alsErde ist und setzte Sonne ins Zentrum.Nicht zwingend ohne Gravitationsgesetz.

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Adam Elsheimer: Flucht nach Ägypten, 1609

Frühe Anwendungen von Teleskopen in der Astronomie

Thomas Harriot: 26. Juli 1609jul

Die Priorität Galileis wird allerdings angezweifelt. In England favorisiert man den Mathematiker Thomas Harriot (1560-1621), der seine Zeichnungen aber nicht veröffentlichte. Adam Elsheimers (1578-1610) Gemälde deutet darauf hin, dass er den Himmel in Rom mit einem Teleskop beobachtet hat. Federico Cesi, der Gründer der Accademiadei Lincei, besaß ein Teleskop und war mit Elsheimer (und Galilei) befreundet.

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Simon Marius (1573-1624)Mathematicus und Arztperspiculus = Teleskop

Portrait aus „Mundus Iovialis“ 1614

Die „Mediceischen Gestirne“

Der Prioritätsstreit um die Entdeckung der Jupiter-monde beruhte z.T. auf der Verwendung verschie-dener Kalender. Galilei sah sie am 7. Januar 1610.Marius veröffentlichte erst 1614 mit der Angabe29. Dezember 1609. Aus seiner Beschreibung kannman berechnen, dass die Beobachtung am 8. Januar1610 erfolgte, bei Verwendung des GregorianischenKalenders. Julianisch entspricht dem der 29.12.1609.Die Entdeckung erfolgte also unabhängig fast zumgleichen Zeitpunkt.(In England schreibt man diese Entdeckung auchHarriot zu.)

Die vier Monde zusammen wurden später nachGalilei benannt, die Namen der einzelnenMonde wurden von Marius vorgeschlagen.

22Das Teleskop hatte Marius des nachts von einem Offizier ausgeliehen.

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Il saggiatore, In Roma, appresso Giacomo Mascardi, 1623

Venusphasen

Mit den Teleskopen gelang erstmals die Beobachtung, dass Venus wie der MondPhasen zeigt. Daraus folgt, dass der Planet Venus Sonnenlicht reflektiert.

Wenn man den zeitlichenVerlauf der Phasen verfolgt (wie Galilei in derlinken Skizze), so kannman die Beobachtung(insbesondere eine vollbeleuchtete Venus ganzrechts) mit Vorhersagenaus Modellen des Sonnen-systems vergleichen.

Das Ringsystem des Saturnskonnte nicht aufgelöst werden.

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Venusphasen im ptolemaischen und kopernikanischen System

Was bedeuten die Venusphasen (außer dass die Venus nicht selbst leuchtet)? Nicht nur die Astronomen der Jesuiten zogen sofort den Schluss, dass damit das ptolemaische (geozentrische) System widerlegt war.

Im Gegensatz zur heutigenweit verbreiteten Ansicht erkannten die Jesuiten jedoch, dass nicht nur das heliozentrische kopernika-nische sondern auch das geo-heliozentrische tychonische System dies beschreiben kann.Verständlicherweise lehrten die Jesuiten in derFolge das tychonischeSystem.Weshalb Galilei in demDialogo darauf nicht ein-geht ist unklar!

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Tychonic ModelErde fest im ZentrumSonne führt Planeten mit

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„Mathematisch“ „Physikalisch“

„Antike“ Weltsysteme

Astronomie wurde als Hilfswissenschaft der Astrologie betrachtet. Der Sterndeuter muss als erstes das Basishoroskop berechnen, d.h. die Position der Planeten auf der Ekliptik für Zeit-punkt und Ort der Geburt des Ratsuchenden.Der Abstand der Planeten von der Erde spielt kei-ne Rolle, muss also auch nicht berechnet werden.

Die babylonischen Astronomen verwandten alge-braische Reihen: Ephemeridentafeln ca. 500 v.Chr. von Nabu-rimanni, verbessert von Kidinnu ca. 350 v.Chr. [Basis für Antikythera-Mechanismus?]

Die hellenistischen Astronomen gingen vongeometrischen Modellen aus, zusammengefasstvon Ptolemäus in der „Syntaxis Mathematica“,weiterentwickelt von islamischen Astronomender Maragha-Tradition, die mit Kopernikuskulminiert.

Im Almagest werden die Abstände der Planeten nicht explizit behandelt, sondernin Ptolemäus‘ „Hypotheses planetarum“,die nur in arabischer Übersetzung über-liefert sind. Zusammen mit ibn al-Haythams„Liber de mundo et coelo“ entstand dieanonyme „Theoricae planetarum“, die diemathematischen Theorien in ein physi-kalisches System aus materiellen konzen-trischen Sphären und ihren nicht-konzen-trischen Teilsphären überträgt.Die Planeten sind an ihre jeweiligen Kris-tallsphären befestigt, die Theorie beschreibtprimär die Bewegungen der Sphären, nicht der Planeten.Die endgültige Fassung stammt von Peuer-bach, sie wurde 1473 von seinem SchülerRegiomontanus gedruckt.

Das Lehrbuch für die Universitäten „Tractatus de sphaera“ wurde jahrhundertelang benutzt. 25

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Ausgabe Ratdolt, 1482, Venedig

Puerbachs Theoricae novae planetarum

Regiomontan, Nürnberg 1473

Neben dem rein mathematischen ptolemaischen Modell zur Berechnung von Horoskopengab es noch ein „physikalisches“ Modell: die Theoricae Planetarum.Danach ist das ganze Weltall von sich einander berührenden Kristallkalotten erfüllt, andie die Planeten und die Sterne angeheftet sind. Damit erklärte man, dass sich die himm-lichen Körper (im Gegensatz zu den irdischen) auf Kreisbahnen bewegen. Die äußersteSphäre des „Ersten Bewegers“ überträgt die Bewegung durch Reibung auf die innerenSphären.

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Erschütterung der aristotelischen Kosmologie

In der auf Aristoteles beruhenden Kosmologie gab es keine Veränderungen in den himm-lischen Sphären. Alle transienten Phänomene wie Novae und Kometen wurden als atmo-sphärische Erscheinungen gedeutet.

Mit Google Book kann man einen Teildes Buches lesen. Erwähnt werden Kometenparallaxen bei Aristoteles:Mete 1, 7 344b9-13

Messungen der Position der (Super-)Nova SN1572 er-gaben aber, dass der „Neue Stern“ zur Sternen-sphäre gehörte. (In dieser Abhandlung werden aufca. 700 Seiten die folgenden theologischen/natur-philosophischen Diskussionen behandelt.)

1577 erschien der „Große Komet“ C/1577 V1 Tycho.Tycho konnte mit Hilfe von Brieffreunden (z.B. in Prag)im Gegensatz zur Erwartung keine große Parallaxe messen. Dies wurde am Kometen von 1588 bestätigt.

Also konnten Kometen keine leuchtenden Nacht-wolken sein, sondern sie bewegten sich im Raum

jenseits des Mondes.

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Die Kometen rasen durch die Kristallsphären!

Was machte die „Sprengkraft“ der Kometenentfernungen aus?

F. Godwin (ca. 1600) J. Wilkins (1638)

Der Ersatz der Kristallsphären durch Luft/Äther eröffneteneue Wege:• seien es Planetenmodelle mit sich kreuzenden Bahnen, • ein unendliches Universum oder• Überlegungen, wie man Reisen zu den Zivilisationen auf dem

Mond durchführen könnte (ohne Zauberei wie in KeplersSomnium).

Frühe SciFi-Romane?

Die Autoren benutzten die Gelegenheit, um ihren Zeit-genossen das kopernikanische System darzulegen.

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Physica coelestis

De magnete, 1600

Terrella

Die zerschmetterten Kristallsphären erforderten einenneuen Grund, warum die Planeten auf stabilen Kreis-bahnen umlaufen. Kepler z.B. war nicht damit zufrieden,eine rein formalistisch-mathematische Beschreibung zu entwickeln, er strebte nach einer “Physica coelestis”(MS Apologia, 1600/1).

Er hatte Gilberts Werk über den Magnetismus studiert.Es ist sowohl ein frühes Beispiel für durch Experimen-te gestützte Forschung als auch ein Werk in der Tra-diton des Codex Hermeticus.

Analog zu Gilberts “magnetischen Seelen” postulier-te Kepler eine von der Sonne ausgehende “vismotrix”, die mit dem Quadrat der Entfernung abnahm und so die unterschiedlichen Winkelgeschwindigkeiten der Planeten erklärt. In “Harmonice mundi” diskutiert er eine von der Masse abhängige Kraft.Newton verband beide Ansätze später zum Gravitationsgesetz.

Kepler war allerdings auch darin seiner Zeit zu weit voraus.Sein Lehrer Maestlin tadelte ihn für die Einführung physikalischer Prinzipien.

Volker Bialas, “Johannes Kepler”, beck’sche reihe denker

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Fritz Krafft: „orbis (sphaera), circulus, via, iter, orbita – Zur terminologischen Kennzeichnung des wesentlichen Paradigmawechsels in der Astronomie durch Johannes Kepler“Beiträge zur Astronomiegeschichte Band 11 (2011) 63 – 99; Acta Historica Astronomiae Vol. 43

Dies wurde mir von einem Kollegen gemailt zur evtl. Verwendung in diesem Vortrag.Ich nehme mal an, dass gebildete Leute damals wussten, was ein Planet und eine Ellipse ist.Der Begriff „Orbit“ wurde nach Krafft allerdings erst von Kepler in der Astronomia Nova ein-geführt. Und im Gegensatz zu Galilei wurden Keplers Arbeiten zu seiner Zeit wenig beachtet. Er lebte lange Zeit außerhalb der geistigen Zentren, veröffentlichte wenige Bücher, teilte seine Ergebnisse nur einem kleinen Kreis von Freunden brieflich mit. Galilei war Professor und hatteSchüler, die seine Erkenntnisse weiter verbreiteten und teilweise selbst fortführten.

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1618 trat wieder ein „Großer Komet“ (C/1618 W1) auf. Die Beo-bachtungen der Jesuiten wurden zentral am Collegium Romanumvon Horatio Grassi ausgewertet. Die Daten zeigten eindeutig, dassder Komet sich außerhalb der Mondbahnbewegte. Allerdings erstreckte sich der Groß-kreis weit außerhalb der damaligen Ansichtüber die Größe des Sonnensystems.

Aus nicht völlig einsehbaren Gründen begannGalilei eine Kontroverse. In dem von ihm ver-fassten „Discorso delle Comete“ verwandte erwieder die aristotelische Hypothese, dassKometen lediglich leuchtende Wolken in derHochatmosphäre sind, zum Entsetzen derAstronomen. Kepler z.B. sah darin einenAngriff auf Tycho Brahes Arbeiten von 1577/88.

Horatio Grassi antwortete sofort unter dem Pseudonym Lothario Sarsi.Galilei blieb uneinsichtig und konterte 1623 mit dem Buch „Die Gold-waage“, in dem er sich über Grassi und die Professoren am CollegiumRomanum lustig machte.

Die KometenkontroverseGalileis peinlichste Kontroverse?

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Il Saggiatore: Galileis „Wissenschaftliches Manifest“

Schon Kopernikus hatte das angebliche Motto der platonischen Akademie

(„Ohne Kenntnis der Geometrie soll keiner eintreten.“)

auf das Titelblatt von „De revolutionibus“ geschrieben.

Sed omnia in mensura et numero et pondere disposuisti. (Sap 11, 20) ‡

‡ Aber du hast alles geordnet mit Maß, Zahl und Gewicht. Weish 11:20 32

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….mirabilem illam et singularem conversionem totius substantiae panis in corpus et

totius substantiae vini in sanguinem, manentibus dumtaxat speciebus panis et vini.

Conc. Oecum. Trid., Sessio XIII, Canones II, 11 octobris 1551

Dies wäre lutherische Häresie!

Anzeige(n) bei der InquisitionDie Angriffe auf die Jesuiten sollen Papst Urban VIII. gefallen haben,die Jesuiten dagegen waren „not amused“.

Und die Jesuiten waren nicht nur ausgezeichnete Mathematiker undAstronomen, sondern natürlich auch Theologen.Sie studierten den Saggiatore sorgfältig, insbesondere auch die nicht-astronomischen Aussagen. Angelehnt an den antiken Atomismus nahm Galilei an, dass sich dieMaterie aus geometrischen Körpern zusammensetzt, die unveränder-lich sind, auch bei chemischen Reaktionen.

Prof. Redondi fand eine (anonyme) Anzeige in den Archiven der Inquisition, in der gefragt wird,ob dieser Atomismus nicht der Lehre der Transsubstantiation widerspricht:

Nach Teilöffnung der Archive der Inquisition fand man, dass der Brief nicht von Oratio Grassi geschrieben wurde. Das Wasserzeichen wurde in der Kanzlei eines Kardinals verwandt, der in Opposition zum Papst stand.

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http://inters.org/Galilei-Benedetto-Castelli http://inters.org/galilei-madame-christina-Lorraine

Heliozentrismus und die Heilige SchriftGalilei wollte Philosophen und Theologen das kopernikanische Weltbild vermitteln, indem er(im Gefolge von Augustins „De Genesis ad literam“) eine Neuinterpretation derjenigen Stellenin der Bibel forderte, die gegen den Heliozentrismus sprechen (wie Josua 10,13).Hervorzuheben sind zwei Briefe, zum einen 1613 an Benedetto Castelli und 1615 an Groß-herzogin Christina. Im letzteren bekennt er sich unzweideutig zum Heliozentrismus:

“I hold the sun to be situated motionless in the center of the revolution of the celestial orbs while the earth rotates on its axis and revolves about the sun.”

Allerdings erreichte er seine Absicht, Religion und Wissenschaft einander näherzubringen, nicht.Ganz im Gegenteil, viele Historiker sehen darin eher den Beginn der Kontroverse.

Es gab Philosophen und Theologen (wie die Kardinäle Bellarmin und Barberini und Astronomender Jesuiten), die bereit waren, Galileis Ansichten zu diskutieren. Doch er spricht nur von Ver-blendeten, die um jeden Preis an überholten Thesen festhalten. Vielen missfiel sein arroganter,selbstüberheblicher Ton und dass er als Mathematiker theologische Fragen diskutierte.

1614 sandte der Dominikaner Lorini den Brief an Castelli an die Heilige Inquisition. Bei GalileisReise nach Rom 1616 unterrichtete ihn Kardinal Bellarmin von der Absicht, den Heliozentrismuszu verbieten und forderte ihn auf, seine Unterstützung einzustellen (solange er keine über-zeugenden neue Beweise vorweisen kann).

34Rheticus hatte ähnlich argumentiert, doch sein Traktat wurde erst 1651 gedruckt.

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Die römische Inquisition setzte „De revolutionibus“ 1616 auf den Index, bis zu einer Korrektur.1620 verfügte sie 10 Änderungen, die alle Besitzer vornehmen sollten.Auch Galilei korrigierte sein Exemplar, doch wohl eher nicht im Sinne der Inquisition, da derinkriminierte Text weiterhin lesbar blieb.

Die beiden Exemplare in der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz sind nicht korrigiert.

AusO. Gingerich:„The BookNobodyRead“2004

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Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano , 1632

1616 hatte Galilei eine Herleitung der Gezeitenaus der Rotation der Erde in einem Brief dargestellt:''Discorso sul flusso e il reflusso del mare''

1630 nahm er diesen Ansatz wieder auf, obwohlihn Freunde auf die Widersprüche zu antiken Kenntnissen (z.B. von Plinius dem Älteren zusam-

mengefasst in „Naturalis Historia“ ‡ ) hinwiesen.

Der ursprüngliche Arbeitstitel lautete daher auch«Dialogo sul flusso e reflusso del mare».

Weshalb er das (von ihm selbst widerlegte) ptole-maische anstelle des tychonischen Systems dis-kutierte, ist unklar. Geschweige denn die kepler-schen Gesetze!

Er preist zwar zum Schluss das geozentrische Modell,doch lässt er dies von Simplicio vortragen, in dem man den Papst zu erkennen glaubte.

Enthält das galileische Relativitätsprinzip‡ 1609 hatte Kepler aus antiker Überlieferung eine bessere Theorie erstellt!

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Der Dialogo

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Some of the topics they discuss are not surprising:

In another chapter, the duo moves from astronomy to history in an effort to try and rehabilitate the reputation of the Catholic Church regarding its treatment of Galileo. They suggest Galileo may have been the victim of politics linked to the Thirty Years War when he was arrested and put on trial by the church. And, they suggest, Galileo may have had it coming:

“Galileo’s style of argument humiliated people… when Galileo got into trouble, it was payback time.”

Buchbesprechung von Jeff Foust in „The Space Review“ Montag 5. Januar 2015

Heutige Sicht der Vatikan-Astronomen

Zusammenhänge mit dem 30-jährigen Krieg werden ausführlich vonRedondi in „Galilei der Ketzer“ diskutiert.Der Papst wurde von einigen Kardinälen in Frage gestellt, undzu Beginn 1632 hatte die schwedische Armee Böhmen RichtungSüden verlassen. Rom erinnerte sich der Kimbern und Teutonen.Der Dialogo wurde im August verboten und der Prozeß eingeleitet.Das Jahr endete allerdings mit dem Tod Gustav Adolfs bei Lützen.

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Discorsi e Dimostrazioni Matematiche intornoa due nuove scienze

Die Verurteilung wegen Ungehorsam gegen die

Kirche statt Häresie ersparte Galilei den Scheiter-

haufen, auf dem nur 33 Jahre zuvor noch Giordano

Bruno hingerichtet worden war.

Seine letzten Jahre verbrachte er in Hausarrest in

seinem Haus in Arcetri, weitgehend abgeschnitten

von sozialen Kontakten.

Allerdings gestattete man ihm, seine früheren

Forschungen auf „unbedenklichen“ Gebieten

wieder aufzunehmen. Er fasste sie in seinem

Hauptwerk, den „Discorsi“, zusammen. Die beiden

neuen Wissenschaften nennt man heute Festig-

keitslehre und Kinetik, und dieses Buch begründete

die „Klassische Mechanik“.

Eine Veröffentlichung in Italien war nicht möglich.

So erschien 1635 erst Berneggers lateinische

Übersetzung „Systema cosmicum“ in Straßburg,

dann 1638 das italienische Original bei Elsevier in

Leiden.38

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Galilei und heutige Kosmologen

Spätestens seit Galilei wird Naturwissenschaft betrieben, indem man eine (mathematisch)formulierte Hypothese zur Beschreibung von Phänomen experimentell überprüft. Wenn auch daraus abgeleitete neue Phänomene der experimentellen Überprüfung standhalten,kann die Hypothese zur allgemein anerkannten Theorie werden. Kosmologen haben in den letzten Jahren Modelle entwickelt, für die sie keine experimentelleÜberprüfung angeben können. Einige Wissenschaftler schlagen daher vor, dafür wieder denBegriff Naturphilosophie zu verwenden.

Galilei schrieb im Saggitario, die Sprache der Natur sei die Mathematik. Einige Philosophenspekulieren nun, ob die Mathematik nicht nur eine Beschreibung der „Realität“ darstellt,sondern dass die Welt eine mathematische Konstruktion ist. Eine neuere (sehr persönliche) Übersicht stammt von Max Tegmark: „Unser mathematisches Universum: Auf der Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit“

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Zum Schluss etwas Lokalkolorit:

Mainz, Salzburg, the antipodes and GalileiApologists of Galilei made references to a letter of Pope Zacharias to Bonifacius. In 748, St. Boni-facius, archbishop of Mainz, had accused St. Virgil (later bishop of Salzburg) of heresy because he hold the Earth as a sphere and believed in the existence of the antipodes (and the necessity of different Redeemers). Pope St. Zacharias condemned the ideas of Virgil based on Augustine. He had refuted the sermons of Lactancius on the form of the Earth as a disc, but had insisted on the non-existence of further continents inhabited by men not descended from Adam based on the Scripture. Citing Psalms 19:4, Paul had declared that the Gospel had been preached to all men on all continents:

But, the discovery of America and the Indians had shown that the antipodes existed notwithstanding the interdiction of Pope Zacharias. After the condemnation of Galilei, leading philosophers as BlaisePascal and Rene Descartes expressed their conviction that the interdiction of the heliocentric system by Urban VIII would not prevent (eventually) the discovery of facts in favour of this system as had been the case with the antipodes.

Book of Romans 10:18But I say, Have they not heard? Yes verily, their sound went into all the earth, and their words unto the ends of the world.

Russbach05 BP

There were truths derived from the Scripture and truths derived from the “book of nature”.

But there can be only one truth!

Virgil / Faergall was of Irish origin, presumably educated at the college at Armagh.

World map according to“De nuptiis Philologiae etMercurii”Martianus Capella; ~420 AD

Lamberti Liber Floridus, 12th century

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http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42625078.html

„Besonders Galilei ist in Koestlers Sicht entgegen der geläufigeren Legende ein wahnwitziges, geltungsbedürftiges Genie, das uneinsichtig in Dutzenden von Irrtümern verharrte, ein Wissenschaftler, der nicht vernünftig handelte und bewußt log. Sein übersteigerter Geltungs-drang trieb ihn schließlich dazu, die katholische Kirche unnötigerweise herauszufordern.“

SchlußbemerkungZumindest für den Referenten ist die Beschäftigung mit der historischen Person und ihrem Umfeld interessanter gewesen als die heroisierenden Darstellungen, die schon sehr früh ent-standen und im Laufe der Zeit den Blick auf den Menschen Galilei mit all seinen Höhen und Tiefen verdeckten.

Einen äußerst kritischen Blick auf Galilei wirft Arthur Koestler 1959 in seinem Buch „DieSchlafwandler“. Eine Zusammenfassung findet sich on-line in einer Buchbesprechung desSpiegels: „Wenn Galilei gewartet hätte“ Der Spiegel, Mittwoch 15.4.1959, S. 69

"Entgegen Behauptungen in selbst neueren Lehrbüchern der Naturwissenschaft", resümiert Koestler, "hat Galilei weder das Teleskop noch das Mikroskop, das Thermometer oder die Pendeluhr erfunden. Er hat weder das Gesetz der Trägheit noch das Parallelogramm der Kräfte oder die Sonnenflecken entdeckt und hat keinen Beitrag zur theoretischen Astronomie entwickelt und keine Gewichte vom schiefen Turm zu Pisa heruntergeworfen."

"Die Wahrheit des kopernikanischen Systems hat er nicht bewiesen. Er ist nicht von der Inquisition gefoltert worden, hat nicht in ihren Kerkern geschmachtet, hat nicht 'Und sie bewegt sich doch!' gerufen und ist kein Märtyrer der Naturwissenschaften gewesen."

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