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Dokumentation nothilfe+neubeginn

Date post: 24-Jun-2015
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Dokumentation der Veranstaltung "Haiti - Nothilfe & Neubeginn", ausgerichtet von Stiftung Umwelt und Entwicklung, Aktion Deutschland hilft und Bündnis Entwicklung hilft am 3. Februar 2011 in Bonn. Auch die Podiusmdiskssion "Medien und HIlfsorganisationen" mit Oliver Numrich wird darin reflektiert.
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1 Haiti ein Jahr nach dem Erdbeben Eine Tagung im Gremiensaal der Deutschen Welle/Bonn am 3. Februar 2011 _____________________________________________________________________ Kooperationspartner _____________________________________________________________________ Am 12. Januar 2010 wurden Teile Haitis durch ein verheerendes Erdbeben zerstört. Nach offiziellen Angaben kamen dabei über 200 000 Menschen ums Leben. Viele Kinder verloren ihre Angehörigen, rund 1,5 Million- en Menschen wurden obdachlos. Insgesamt waren über drei Millionen Menschen - rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung Haitis - von dem Erdbeben betroffen. Die nordrhein-westfälische Landesregier- ung hatte unmittelbar nach der Katastrophe die Spendenaktion „NRW hilft Haiti“ ge- startet. Die Aktion wurde von der Stiftung Umwelt und Entwicklung koordiniert und von zehn Hilfsorganisationen aus NRW gemein- schaftlich getragen. Bis heute kamen dabei über 1,1 Millionen Euro an Spendengeldern zusammen. Die beiden Hilfsbündnisse „Ak- tion Deutschland Hilft“ und „Bündnis Ent- wicklung Hilft“ haben gemeinsam rund 38 Millionen Euro für die Menschen in Haiti ge- sammelt. Die weltweite Spendenbereitschaft und das Engagement der Katastrophen- und Nothilfe-Organisationen haben viel bewirkt, Dennoch leben gut ein Jahr nach dem Erd- beben immer noch über eine Millionen Men- schen in Zelten, eine Cholera-Epidemie hat bislang mehr als 3 000 Opfer gefordert. Am 3. Februar 2011 kamen auf Einladung der Stiftung Umwelt und Entwicklung Ver- treter von „NRW hilft Haiti“ sowie den beiden Spenden- und Nothilfebündnissen „Aktion Deutschland Hilft“ und „Bündnis Entwicklung Hilft“ in Bonn zusammen, um gemeinsam mit Experten den Beitrag der deutschen Or- ganisationen zur Nothilfe und zur weiteren Tagung, 3. 2. 2011 Nothilfe und Neubeginn
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Haiti ein Jahr nach dem Erdbeben Eine Tagung im Gremiensaal der Deutschen Welle/Bonn am 3. Februar 2011

_____________________________________________________________________

Kooperationspartner

_____________________________________________________________________

Am 12. Januar 2010 wurden Teile Haitis durch ein verheerendes Erdbeben zerstört. Nach offiziellen Angaben kamen dabei über 200 000 Menschen ums Leben. Viele Kinder verloren ihre Angehörigen, rund 1,5 Million-en Menschen wurden obdachlos. Insgesamt waren über drei Millionen Menschen - rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung Haitis - von dem Erdbeben betroffen. Die nordrhein-westfälische Landesregier-ung hatte unmittelbar nach der Katastrophe die Spendenaktion „NRW hilft Haiti“ ge-startet. Die Aktion wurde von der Stiftung Umwelt und Entwicklung koordiniert und von zehn Hilfsorganisationen aus NRW gemein-schaftlich getragen. Bis heute kamen dabei über 1,1 Millionen Euro an Spendengeldern zusammen. Die beiden Hilfsbündnisse „Ak-

tion Deutschland Hilft“ und „Bündnis Ent-wicklung Hilft“ haben gemeinsam rund 38 Millionen Euro für die Menschen in Haiti ge-sammelt. Die weltweite Spendenbereitschaft und das Engagement der Katastrophen- und Nothilfe-Organisationen haben viel bewirkt, Dennoch leben gut ein Jahr nach dem Erd-beben immer noch über eine Millionen Men-schen in Zelten, eine Cholera-Epidemie hat bislang mehr als 3 000 Opfer gefordert. Am 3. Februar 2011 kamen auf Einladung der Stiftung Umwelt und Entwicklung Ver-treter von „NRW hilft Haiti“ sowie den beiden Spenden- und Nothilfebündnissen „Aktion Deutschland Hilft“ und „Bündnis Entwicklung Hilft“ in Bonn zusammen, um gemeinsam mit Experten den Beitrag der deutschen Or-ganisationen zur Nothilfe und zur weiteren

Tagung, 3. 2. 2011

Nothilfe und Neubeginn

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Entwicklung in Haiti zu diskutieren. Für die insgesamt 90 Teilnehmerinnen und Teilneh-mer stand dabei auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Medien und Hilfs-organisationen angesichts solcher Katastro-phen wie in Haiti im Blickpunkt.

In seiner Begrüßung rief Karl Lamers, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen, noch einmal die einmalige Tragweite des Erdbe-bens und seine verheerenden Folgen für ein ohnehin von Naturkatastrophen gebeuteltes Land in Erinnerung. Lamers erinnerte daran, dass unter den Opfern auch ein junger UN-Mitarbeiter aus Bonn gewesen ist, und be-grüßte die anwesenden Eltern ganz beson-ders herzlich.

Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzen-den (s. Bild oben) der Stiftung habe die er-folgreiche Spendenkampagne wieder einmal gezeigt, dass sich die Deutschen vor der Entwicklung und den Problemen anderer Länder nicht verschließen - die Spendenbe-reitschaft sei „weltmeisterlich“. Lamers be-

zeichnete es als eminent wichtig, aus den Erfahrungen mit der Nothilfe und dem Wie-deraufbau in Haiti zu lernen, um die Eine Welt tatsächlich besser gestalten zu können. Die heutige Veranstaltung könne dazu si-cher einen Beitrag leisten. Karl Lamers be-dankte sich ausdrücklich bei der Deutschen Welle, dem Gastgeber von „Nothilfe und Neubeginn“.

Podium Haiti - ein Jahr nach dem Erdbeben

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Podiumsteilnehmer begann Moderator Jerry Sommer mit einer Frage an Elmar Frank nach dessen Einschätzung der aktuellen Situation in Haiti. Frank betonte die bisheri-gen enormen Leistungen der Nothilfe ange-sichts der gewaltigen Herausforderung, mit der man es in Haiti zu tun habe. Immerhin seien mehr als 800 000 Opfer in provisori-schen Unterkünften untergebracht, auch bei der Betreuung der Opfer habe man schon einiges erreicht. Allerdings sei viel Geduld nötig, schließlich habe auch in Deutschland 20 Jahre nach dem 2. Weltkrieg noch vieles in Trümmern gelegen. Der Wiederaufbau könne nur gemeinsam mit den Menschen in Haiti geschehen, allerdings müssten dazu erst einmal die notwendigen staatlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wolfgang Jamann von der Welthunger-hilfe teilte diese Einschätzung der erfolgrei-chen Nothilfe grundsätzlich, zeigte sich aber insgesamt deutlich skeptischer. Haiti sei nicht nur von Naturkatastrophen heimge-sucht, sondern ein ausgeplündertes und zerrissenes Land, ein „failed state“. Es seien zu hohe Erwartungen an die Möglich-keiten eines raschen Neubeginns geweckt worden, realistisch sei ein Zeithorizont von

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mindestens 15 Jahren. Es bedürfe sowohl einer Menge Glück als auch der „richtigen“ politisch Verantwortlichen in Haiti, um hier tatsächlich langfristige Verbesserungen zu erreichen.

Podiumsteilnehmer v.l.n.r.:

Elmar Frank (Aktion Deutschland Hilft), Dr. Wolf-

gang Jamann (Welthungerhilfe), Moderator Jerry

Sommer (freier Journalist), Michael Kaasch (Haiti-

Care), Ulrich Mercker (Journalist), Bernd Pastors

(action medeor)

Der Journalist Ulrich Mercker bezeichne-te die Präsidentschaftswahlen in Haiti mit einer Wahlbeteiligung von 25 Prozent als „absehbares Desaster“. Die internationale Gemeinschaft habe in dem Wunsch, ver-lässliche Ansprechpartner in Haiti zu finden, die prekären Voraussetzungen für Wahlen in dem völlig fragmentierten Land einfach igno-riert. Zudem sei die Mehrheit der politisch denkenden Bevölkerung immer noch An-hänger der verbotenen Partei des früheren Präsidenten Aristide, die anderen Anwärter wie die frühere First Lady Mirlande Manigat oder der Kandidat des scheidenden Präsi-denten René Préval, Jude Célestin, hätten

keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Michael Kaasch von Haiti-Care bestätigte die Einschätzung, dass die meisten Haitia-ner - in der Mehrzahl politische Menschen - die Präsidentschaftswahlen als Betrug emp-

finden würden. Am meisten Rückhalt bei der einfachen Bevölkerung habe noch der Sän-ger Michel Martelly (der am 20. März mit Mirlande Manigat in die Stichwahl geht, Anm. der Redaktion). Bisher habe noch kein Präsident einen guten Job gemacht, nicht Aristide und schon gar nicht Duvalier. Es sei daher beunruhigend, dass beide wieder in Haiti mitmischen wollten. Für Bernd Pastors von action medeor sind die Hilfsorganisationen in Haiti an ihre Grenzen gestoßen. Das übliche Handwerk habe wegen fehlender Partner vor Ort nur schlecht funktioniert. Es komme jetzt we-sentlich darauf an, in Haiti die Ansätze einer Zivilgesellschaft zu stärken und auszubau-en. Möglicherweise sei es eine Aufgabe der politischen Stiftungen, vor Ort zur Ausbil-dung politischer und organisatorischer Strukturen beizutragen. Michael Kaasch kritisierte die fehlenden Kenntnisse über Haiti bei einigen Hilfsorga-

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nisationen. So seien Häuser mit Innenkü-chen geplant und gebaut worden, obwohl in Haiti überwiegend mit Holzkohle vor dem Haus gekocht werde. Elmar Frank stimmte dem grundsätzlich zu, richtete den Blick aber auf eine grundsätzliche Ebene. In ei-nem Land wie Haiti, das immer ein Spielball der großen Mächte gewesen sei, müsse Demokratie erst langsam erlernt werden. Um solide und nachhaltige Grundlagen für eine staatliche Entwicklung gemeinsam mit der Bevölkerung zu schaffen, sei sehr viel Geduld notwendig. Der Einfluss der internationalen Gemein-schaft sei viel zu groß, als dass eine eigen-ständige Entwicklung in Haiti möglich wäre - so die These von Ulrich Mercker. Es gehe um geopolitische Interessen, möglicherwei-se auch um den Aufbau einer Industrie mit billigen Arbeitskräften im Hinterhof der USA. Mercker richtete den Blick dann auf ein an-deres, seiner Meinung nach zentrales Prob-lem: Viele Hilfsorganisationen seien vor al-lem auf kurzfristige, vorzeigbare Erfolge wie den Bau einer Schule bedacht, es gebe zwar „viele Tropfen auf den heißen Stein“, aber weder eine Koordination untereinander noch mit den haitianischen Akteuren. Die notwendige Prioritätensetzung bei der Hilfe finde nicht statt. Die Öffentlichkeitsarbeit mancher Hilfsorganisationen bezeichnete Mercker in diesem Zusammenhang als „Blendwerk“, das strukturelle Elend und die eigenen Misserfolge würden einfach ausge-blendet. Diese Kritik wurde von den Vertretern der Hilfsorganisationen einhellig zurückgewie-sen. Zwar gebe es durchaus Probleme bei der Koordination, aber die Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen habe sich deutlich verbessert. Auf haitianischer Seite allerdings fehlten bislang die dafür notwendigen Part-ner. Deshalb habe der langfristige Aufbau von Strukturen in Haiti höchste Priorität, und

man müsse dabei an der Basis beginnen: mit der Bildung von Interessengruppen in den Dörfern, mit der Gründung von Kinder-gärten und Schulen. Gerade im Bildungsbe-reich gebe es ermutigende Ansätze zu einer Zusammenarbeit zwischen staatlichen In-stanzen und den in Haiti traditionell privat organisierten Bildungsträgern. Grundsätzlich allerdings sollten die Hilfsorganisationen nicht so tun, als hätten sie für alle Probleme eine Lösung - man könne lediglich dazu bei-tragen, dass die Menschen in Haiti die eige-nen Potenziale künftig stärker ausschöpften. Bei der Diskussion mit dem Publikum ging es zunächst um die fehlende Einbezie-hung der Haitianer, auch der haitianischen Diaspora in den USA, in Kanada und Euro-pa. Es sei bezeichnend, dass bislang kein Haitianer in den zuständigen internationalen Gremien zu finden sei, auch bei dieser Ver-anstaltung säße kein Haitianer auf einem Podium. Die Runde war sich einig, dass man diese Einbeziehung ausbauen müsse, trotz fehlender Partner vor Ort und einer vielfach zersplitterten haitianischen Diaspo-ra. Vor Ort werde schon - wo möglich - nach dem Prinzip „cash for work“ verfahren, die Menschen in Haiti würden viele Arbeiten selber übernehmen und auch dafür bezahlt. Als weiteres Problem wurde der so genann-te „brain drain“ benannt, also die Abwan-derung der gebildeten und ausgebildeten Menschen aus Haiti. Dies erschwere den Aufbau funktionierender Strukturen und ei-ner Zivilgesellschaft ungemein, sei aber ein grundsätzliches Problem der Entwicklungs-arbeit. Verhindern lasse sich der brain drain nur durch eine nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen - was durchaus möglich sei, wie etwa das positive Beispiel Ghana zeige.

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Der provokante Vorschlag, angesichts der chaotischen Verhältnisse in Haiti ein UN-Protektorat einzurichten, wurde einhellig zurückgewiesen. Ein solches Vorgehen würde den Stolz der Haitianer auf die eigene antikoloniale Vergangenheit mit Füßen treten. Vielmehr müsse der begonnene Dia-log mit den vorhandenen Partnern in Haiti ausgebaut werden. Es gehe darum, die Menschen dort in die Lage zu versetzen, selber das zu entwickeln, was sie wollen. Die Hilfsorganisationen überflüssig zu ma-chen - das sei die richtige Perspektive.

Podium

Von der Nothilfe zu Wiederaufbau und erfolgreicher Entwicklung

Am Beginn der Podiumsrunde stand die Frage nach der Kooperation und Koordinati-on bei den Hilfsmaßnahmen in Haiti. Für Karin Settele von Help ist beides extrem wichtig, hängt aber immer von den Struktu-ren und Ansprechpartnern vor Ort ab. Bei der Zusammenarbeit mit der einheimischen Bevölkerung sei die Kooperation auf Augen-höhe entscheidend, niemand dürfe von oben herab handeln. Eine andere Perspektive als die von unserem Effizienzverständnis ge-prägte sei notwendig, man müsse sich manchmal Zeit nehmen, selbst wenn gar keine Zeit da sein. Dietmar Roller von der Kindernothilfe verwies auf die Fähigkeiten der Betroffenen, ihr Überleben selbst zu sichern. So hätten die Menschen nach dem Tsunami vor der indonesischen Küste im Dezember 2004

mitten im Chaos rasch damit begonnen, ihr Leben neu zu organisieren. Daran müsse jede Hilfe von außen anknüpfen, auch wenn sich der gewünschte Fortschritt dadurch mitunter verzögere. „Servant leadership“ sei die Maxime, an der die Hilfsorganisatio-nen ihre Arbeit ausrichten sollten. Eine andere Perspektive wählte Thomas Fues vom DIE für seinen einleitenden Bei-trag. In Anlehnung an das Buch „How to run the world“ von Parag Khanna stellte er die Frage nach den künftigen Handlungsop-tionen von Hilfsorganisationen. Nach Khan-na seien die gewohnten globalen Machtver-hältnisse im Umbruch, die Fragmentierung staatlicher Autorität sei verbunden mit der Herausbildung neuer Machtzentren und re-levanter Einzelakteure wie globale Konzer-ne, Medien, Prominente (z. B. der U2-Sänger Bono), aber eben auch international tätige Hilfsorganisationen. Diese nähmen im Hilfsfall - ob sie wollten oder nicht - ange-sichts fehlender Strukturen bereits jetzt oft kompensatorisch staatliche Funktionen wahr, und sie müssten sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob sie langfristig zumindest in Teilbereichen - und in Koope-ration mit anderen Akteuren, die Ressour-cen zur Problemlösung mobilisieren könnten - politische Steuerungsverantwortung über-nehmen wollten. Hier widersprach Dietmar Roller vehe-ment und plädierte für strikte Neutralität. Es sei eine abwegige Vorstellung, dass Nicht-regierungsorganisationen (NGOs) auch nur in Teilen Regierungsverantwortung über-nähmen - Regierungen hartnäckig in die Verantwortung zu nehmen sei die tatsächli-che Aufgabe. Dazu gehöre auch, dass man die Menschen vor Ort befähige, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Roller verwies auf vermeintlich altmodische, aber nach wie vor in der Entwicklungshilfe gültige Werte wie Demut und Respekt.

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Für Peter Hesse gibt es bei der Entwick-lungshilfe nur einen Weg, und zwar den ge-duldigen Aufbau von unten. Er selbst habe lange gebraucht um zu verstehen, wie Haiti funktioniert, was die Menschen dort selber wollen. Er berichtete von seinen Erfahrun-gen beim Aufbau von Montessori-Bildungseinrichtungen, von der Überwin-dung vorhandener Skepsis - und auch von den Erfolgen. Bis heute hat die Peter-Hesse-Stiftung zur Ausbildung von über 800 Montessori-Erzieherinnen in Haiti beigetra-gen, die selbst wiederum als Kommunikato-ren und Multiplikatoren bei der Herausbil-dung regionaler, sich selbst tragender Netz-werke fungieren.

Podiumsteilnehmerin und -teilnehmer v.l.n.r.:

Peter Hesse (Peter-Hesse-Stiftung), Karin Settele

(Help), Moderator Peter Mucke (Bündnis Entwick-

lung Hilft), Heinrich Ölers (Misereor), Dietmar Roller

(Kindernothilfe), Thomas Fues (Deutsches Institut

für Entwicklungspolitik, DIE)

Misereor hat keine eigenen Projekte in Haiti, deshalb berichtete Heinrich Ölers von grundsätzlichen Erfahrungen bei der Nothilfe und in der Entwicklungsarbeit. Die lokale

Ebene sei extrem wichtig, und man müsse sich immer die Frage stellen, welche Hilfe die Menschen tatsächlich stark mache. Manche Intervention von außen sei trotz guten Willens kontraproduktiv, wenn etwa die vorhandene Solidarität vor Ort durch den Streit um externe Hilfsleistungen zerstört werde. Hilfe müsse immer an vorhandene Strukturen anschließen, die lokalen Res-sourcen müssten maximal genutzt werden. Ebenso sei es beim „Rhythmus des Hel-fens“, also dem Tempo der Verbesserungen in den zerstörten Gebieten. Auch da müsse man als Hilfsorganisation gegebenenfalls langsamere Fortschritte akzeptieren, trotz des herrschenden Effizienzdruckes. Das

mancherorts vorhandene Selbstverständnis von Hilfsorganisationen, „wir kommen da hin und dann wird alles gut“, werde zwar durch die Medien noch verstärkt, sei aber grund-falsch. Bei der Diskussion mit dem Publikum ging es zunächst um die Evaluation der Ar-beit von Entwicklungsorganisationen. So komplex diese auch sein möge, so sei eine ständige kritische Überprüfung doch not-wendig. Dem wurde auf dem Podium weit-

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gehend zugestimmt. Die Unterstellung, die Hilfsorganisationen drückten den Betroffe-nen vor Ort ihr Programm auf, wurde jedoch zurückgewiesen. Jede Hilfsmaßnahme wür-de vorher mit den Menschen vor Ort geklärt, und alle Hilfsorganisationen seien froh, wenn sich aus punktuellen Ansätzen lang-fristige und eigenständige Strukturen vor Ort entwickelten. Auch über die These von Thomas Fues, Hilfsorganisationen müssten künftig teilwei-se staatliche Funktionen übernehmen, wur-de kontrovers debattiert. Für Eberhard Neu-gebohrn von der Stiftung Umwelt und Ent-wicklung sei das schon längst der Fall, wenn z. B. Hilfsorganisationen den Schutz von Kindern vor Verschleppung gewährleisteten - eigentlich eine staatliche Aufgabe. Dietmar Roller stimmte im konkreten Fall der Durch-setzung von Kinderrechten zu, allerdings sollten diese legitimatorischen Funktionen nicht von externen NGOs, sondern von de-ren Partnern vor Ort übernommen werden. Fues selbst bekräftige seine These ab-schließend: NGOs hätten Macht, ob sie woll-ten oder nicht, und müssten sich darüber im Klaren sein, wie und für wen sie diese Macht effektiv einsetzen wollten.

Podium Medien und Hilfsorganisationen

Für Manuela Roßbach vom Bündnis „Ak-tion Deutschland Hilft“ ist das Verhältnis zwischen Medien und Hilfsorganisationen zwangsläufig eng. Um Spenden, Mitglieder und damit die Basis für Hilfsleistungen zu organisieren, sei eine rasche Berichterstat-tung der Medien bei Katastrophen sehr wichtig. Ansonsten habe sie den Eindruck, dass Hilfsorganisationen und ihre Arbeit von den Medien oft zum Stopfen von „Themen-löchern“ benutzt würden. Die Journalistin Renate Wilke-Launer warnte die Vertreterinnen und Vertreter ihrer Profession davor, sich für noch so gute Zwecke instrumentalisieren zu lassen. Lei-der gebe es bei der Berichterstattung über Katastrophen oft eine Verstrickung von Me-dien und NGOs, die sie als „wechselseitiges Parasitentum“ bezeichnete. Dabei hätten die Hilfsorganisationen wegen ihrer stärkeren Ressourcen die Nase vorn, Journalisten seien auch wegen des Abbaus von Stellen auf den guten Willen und die Informationen der Hilfsorganisationen angewiesen. Merk-würdigerweise gebe es kaum Journalismus, der sich systematisch und kritisch mit der Arbeit von Hilfsorganisationen auseinander-setze. Wolfgang Tyderle von Care beschrieb das enge Zeitfenster, innerhalb dessen in den Medien öffentliche Aufmerksamkeit für die notwendige Hilfe bei Katastrophen erzeugt werden müsse. Fraglos gebe es bei Hilfsor-ganisationen Konflikte zwischen den eher sachorientierten Programmabteilungen und den Kommunikationsfachleuten, die gerne plakative Bilder - wie etwa das Beladen ei-nes Flugzeugs mit Hilfsgütern - liefern wür-den. Dabei habe sich das Gewicht immer

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mehr zugunsten der Programmabteilungen verschoben. Es sei mittlerweile Konsens, mehr auf Sachinformation als auf Betroffen-heit zu setzen. Regelmäßige Hintergrundge-spräche mit Journalisten zu den komplexen Zusammenhängen der Nothilfe und der Entwicklungsarbeit seien daher sehr wichtig. Katja Maurer, Pressesprecherin von medico international, machte ihren Anspruch deutlich, die Komplexität der Projektarbeit auch gegenüber den Medien zu verdeutli-chen. Platte Bilder wolle medico internatio-nal nicht liefern, sondern auch über die Probleme und Fehler reden. NGOs könnten sowohl den Medien als auch ihren Spendern mehr zutrauen, als sie dies häufig tun.

Podiumsteilnehmerinnen und –teilnehmer v.l.n.r.:

Oliver Numrich (Blätterwald), Manuela Roßbach

(Aktion Deutschland Hilft), Moderatorin Mirjam

Gehrke (Deutsche Welle), Renate Wilke-Launer

(Journalistin), Katja Maurer (medico international),

Wolfgang Tyderle (Care Deutschland-Luxemburg)

„blätterwald“ ist ein Büro für Medienreso-nanzanalyse und Medienbeobachtung. Ge-schäftsführer Oliver Numrich relativierte in seinem Beitrag das allgemeine Bekenntnis zu Komplexität und Bedachtsamkeit bei der Pressearbeit von Hilfswerken. Die Auswer-

tung der Medienberichte nach dem Erdbe-ben in Haiti habe ergeben, dass vor allem solche Organisationen häufig in den Medien vorkamen, die früh plakative Bilder lieferten. Das sei wichtig, weil die Spendenkonten vor allem in den ersten zwei Tagen der Bericht-erstattung genannt wurden - und weil die meisten Menschen auch unmittelbar nach einer solchen Katastrophe spenden. Numrich ergänzte seine Ausführungen mit der These, dass Medien Hilfsorganisati-onen im Katastrophenfall gerne als aufop-fernd idealisieren würden. Wenn dann die Realität anders aussehen mag - wie im Fall von UNICEF vor wenigen Jahren - seien Medien dann auch aus „enttäuschter Liebe“

besonders ungnädig. Auch Spendenbriefe oder Mitgliederwerbung kämen in der Be-richterstattung nicht gut weg, obwohl klar sei, dass Spendenorganisationen in ihrer Arbeit auf Geld und Mitglieder angewiesen sind. Das Fernsehen unterwirft sich einem vermeintlichen Bilderzwang, der sich auch in der Schwarz-Weiß-Malerei der Boulevard-presse wiederfindet. In diesem Punkt bestä-tigte Renate Wilke-Launer die Ausführungen von Oliver Numrich. Allerdings würden "seri-öse" Printmedien sehr viel differenzierter über Katastrophen und die Arbeit der Hilfs-

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organisationen berichten. Als Beispiele nannte sie die ZEIT, die FAZ, die Süddeut-sche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. Viele, auch vermeintlich seriöse Medien finden unspektakuläre Informationen seitens der Organisationen im Katastrophenfall nicht spannend und sind enttäuscht, wenn ihre reißerischen Erwartungen nicht bedient werden - so die Erfahrungen von Manuela Roßbach. Natürlich sei dies auch ein Zeit- und Ressourcenproblem von NGOs und Medien, aber trotz der bescheidenen Rah-menbedingungen auf beiden Seiten sei es wichtig, über die Voraussetzungen für eine gute und informative Berichterstattung mit-einander im Gespräch zu bleiben. Katja Maurer und Wolfgang Tyderle wa-ren einhellig der Auffassung, dass eine reine Erfolgsberichterstattung auch nicht im Sinne der Hilfsorganisationen sein könne. Tyderle führte als Beispiel die Flutkatastrophe in Pa-kistan an, wo die Hilfsorganisationen durch-aus kritische Informationen an die Medien weitergegeben hätten. Dies hätte sich auch in vielen Medienberichten widergespiegelt. Einige Vertreter aus dem Publikum ver-missten die Kreativität der Medien bei der Berichterstattung über Haiti. Es gebe auch schöne Aspekte wie die verbreitete Solidari-tät unter den Bewohnern Haitis. Für deut-sche Mediennutzer allerdings entstehe der verfälschte Eindruck, die Haitianer seien vor allem Weltmeister im Betteln. Die anschließende Diskussion drehte sich zunächst um die Möglichkeit, gemeinsame Interessen und Strategien von Medien und NGOs im Sinne einer optimal informierten Öffentlichkeit zu entwickeln. Dazu gehörte auch der Vorschlag, dass die Stiftung Um-welt und Entwicklung eine Runde aus Poli-tik, Medien, Hilfswerken und Entwicklungs-organisationen einladen solle, die sich auf gemeinsame Standards verständigen könn-te.

Oliver Numrich erinnerte daran, dass Medien nicht nur optimal informieren, son-dern vor allem auch verkaufen wollten. Trau-rige Bilder, möglichst viele Opfer - das sei die Währung, die in den Medien zähle. Die Sensation, die Katastrophe sei entschei-dend, der Alltag in Haiti interessiere nur eine ganz kleine Gruppe. Das könne man mit gutem Grund bedauern, müsse sich dieser Realität aber stellen. Die anderen Vertreterinnen und Vertreter auf dem Podium, aber auch die Mehrzahl des Publikums plädierte dagegen für eine anspruchsvolle, sachliche und differenzierte Berichterstattung. Die Hilfsorganisationen hätten durchaus die Möglichkeit, mit ihren exklusiven Informationen die Inhalte in den Medien positiv zu beeinflussen. Renate Wilke-Launer ermahnte die Ver-treter der Organisationen und die Journalis-ten, nicht nur an Spender, sondern an alle Bürger zu denken. Die hätten einen An-spruch auf kritische Berichterstattung, auch über die Hilfsorganisationen, die oft genug als „Mitleidsindustrie“ aufträten. Es sei durchaus legitim, dass private Medien aus wirtschaftlichem Druck auf plakative Be-richterstattung und Personalisierung setzen würden. Bei öffentlich-rechtlichen Medien sehe das allerdings anders aus. Wir alle seien gefordert, hier Druck im Sinne eines anspruchsvollen, auch Hintergründe vermit-telnden Journalismus zu machen. Wolfgang Tyderle wehrte sich gegen den Begriff Mitleidsindustrie. Die Hilfsorganisati-onen betrieben eine Art globaler Sozialar-beit, unter schweren Bedingungen und für relativ wenig Geld. Es sei im Interesse aller, dass diese Arbeit nicht schlecht geredet würde. Kritische Fragen von Journalisten würden den NGOs dabei helfen, noch besser zu werden, so Katja Maurer. Die Presseabtei-lungen der Hilfsorganisationen müssten sich

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entscheiden: bedienen sie vordergründige Wünsche nach stereotypen Bildern, oder bemühen sie sich um eine komplexe, diffe-renzierte und selbstkritische Information der Medien und der Öffentlichkeit.

Eberhard Neugebohrn, Geschäftsführer der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen (Bild oben), erinnerte abschließend daran, dass es „die“ Öffent-lichkeit nicht gebe, sondern dass Öffentlich-keit immer hoch differenziert sei. In diesem Sinne seien alle Teilnehmerinnen und Teil-nehmer der Veranstaltung eine spezifische, aber für Nothilfe und Entwicklungspolitik wichtige Öffentlichkeit. „Die offene Diskussi-on der tatsächlichen Schwierigkeiten bei den Hilfsmaßnahmen ist unverzichtbar. Dem Spender muss die Wahrheit zugemutet wer-den.“

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Glossar Failed State Als gescheitert gilt ein Staat, der seine grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Der private „Fund for Peace“ veröffentlicht in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Foreign Policy jährlich den sogenannten Failed States Index, der das Zerfallsrisiko der Staaten mit Hilfe von zwölf Indikatoren beschreibt. www.fundforpeace.org Servant Leadership Ursprünglich ein Führungskonzept aus der Wirtschaft, das die Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und die Vorgesetzten zu „Dienenden“ erklärt. Ebenso wichtig ist die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwor-tung, der Corporate Social Responsibility (CSR). Im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe bedeutet Servant Leadership die Orientierung an den Fähigkeiten, Potenzialen und Bedürfnissen derer, die unterstützt werden sollen. Cash for Work Bei Cash for Work arbeiten die Betroffenen einer Katastrophe selbst gegen Bezahlung an Wiederaufbauprojekten mit. Der Lohn in diesen „Bargeld für Arbeit“-Programmen wird in der Regel von der ausführenden Hilfsorganisation bezahlt. Weil die Bevölkerung dadurch in die Katastrophenbewältigung mit einbezogen wird und sich ihre finanzielle Situation verbessert, werden Hilfsmaßnahmen besser akzeptiert. Im Idealfall wird so der Keim für eine eigenständige wirtschaftli-che Entwicklung der Region gelegt. Mögliche Probleme entstehen durch die Abzweigung des Geldflusses durch lokale Eliten sowie die Entwicklung von Neid und Missgunst, da nicht alle Betroffenen von Cash for Work-Programmen profitie-ren können. Brain Drain Als brain drain (wörtlich deutsch: Gehirn-Abfluss) bezeichnet man den Verlust der menschlichen Ressourcen eines Landes durch die Abwanderung besonders gut ausgebildeter oder talentierter Menschen. Der in einer fehlenden Per-spektive begründete Verlust von Spitzenkräften aus Wissenschaft oder Wirtschaft führt oft zu einem volkswirtschaftli-chen Niedergang. Es gibt allerdings auch positive Effekte, etwa durch den Rückfluss von Mitteln in das Heimatland. Die antikoloniale Vergangenheit Haitis Der wirtschaftliche Aufschwung Haitis im 18. Jahrhundert durch den Handel mit Zucker und Kaffee beruhte auf Skla-venarbeit und Sklavenhandel. Nach Beginn der französischen Revolution begannen die Sklaven auf der Insel His-paniola für die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten zu rebellieren. Im Jahr 1801 erklärte der neu gegründete Staat, der erst ab diesem Zeitpunkt offiziell den Namen „Haiti“ trug, seine Unabhängigkeit und gab sich eine Verfas-sung. Parag Khanna How to run the world. Charting a course to the next Renaissance. Random House, New York, ISBN: 978-4000-6827-2

UNICEF 2007 geriet UNICEF wegen des Verdachts finanzieller Unregelmäßigkeiten bei Beraterverträgen und Provisionszahlun-gen stark in die Kritik. Obwohl sich manche Vorwürfe als übertrieben erwiesen, kam es zu einem Wechsel in Vorstand und Geschäftsführung. In der Folge entwickelte sich eine breite gesellschaftliche Diskussion über Professionalität und Transparenz der Arbeit von Hilfsorganisationen.

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