+ All Categories
Home > Documents > Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Date post: 02-Aug-2015
Category:
Upload: convectore
View: 370 times
Download: 45 times
Share this document with a friend
260
Dion Fortune Die mystische Kabbala Verlag Hermann Bauer Freiburg im Breisgau CIP - Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fortune, Dion: Die mystische Kabbala - Dion Fortune. [Übers, ins Dt. durch Brigitte Schwitalla.] - l. Aufl. - Freiburg im Breisgau: Bauer, 1987 (esotera - Taschenbücherei) Einheitssacht.: The mystical Qabalah <dt.) ISBN 3 - 76 26 - 06 36 - 6 Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel The mystical Qabalah bei Ernest Benn Ltd., London. © 1957 by The Society of the Inner Light Der Übersetzung ins Deutsche durch Brigitte Schwitalla liegt die 13. Auflage aus dem Jahre 1979 zugrunde. Die esotera - Taschenbücherei erscheint im Verlag Hermann Bauer, Freiburg im Breisgau. l. Auflage 1987 © für die deutsche Ausgabe 1987 by Verlag Hermann Bauer KG, Freiburg im Breisgau. Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten. Satz: Topset GmbH, Freiburg im Breisgau. Druck und Bindung: May + Co, Darmstadt. Printed in Germany. ISBN 3 - 7626 - 06 36 - 6
Transcript
Page 1: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Dion FortuneDie mystische Kabbala

Verlag Hermann Bauer Freiburg im Breisgau

CIP - Kurztitelaufnahme der Deutschen BibliothekFortune, Dion: Die mystische Kabbala - Dion Fortune. [Übers, insDt. durch Brigitte Schwitalla.] - l. Aufl. - Freiburg imBreisgau: Bauer, 1987 (esotera - Taschenbücherei)Einheitssacht.: The mystical Qabalah <dt.)ISBN 3 - 76 26 - 06 36 - 6Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel Themystical Qabalah bei Ernest Benn Ltd., London.© 1957 by The Society of the Inner Light Der Übersetzung insDeutsche durch Brigitte Schwitalla liegt die 13. Auflage aus demJahre 1979 zugrunde. Die esotera - Taschenbücherei erscheint imVerlag Hermann Bauer, Freiburg im Breisgau. l. Auflage 1987© für die deutsche Ausgabe 1987 by Verlag Hermann Bauer KG,Freiburg im Breisgau. Alle Rechte der deutschen Ausgabevorbehalten. Satz: Topset GmbH, Freiburg im Breisgau. Druck undBindung: May + Co, Darmstadt. Printed in Germany. ISBN 3 - 7626 -06 36 - 6

Page 2: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

InhaltVorwort ..................Erster Teil1. Der Yoga des Westens .........2. Die Wahl des Weges. .........3. Die Methode der Kabbala .......4. Die ungeschriebene Kabbala ......5. Die negative Existenz .........6. Otz Chiim, der Baum des Lebens . . .7. Die drei Überirdischen.........8. Die Struktur des Baumes........9. Die zehn Sephiroth in den vier Welten10. Die Pfade im Baum ..........11. Die subjektiven Sephiroth . ......12. Die Götter im Baum des Lebens . . . .13. Praktische Arbeit mit dem Baum . . .Zweiter Teil14. Allgemeine Überlegungen .......15. Kether, die erste Sephirah .......16. Chockmah, die zweite Sephirah . . . .17. Binah, die dritte Sephirah .......18. Chesed, die vierte Sephirah ......19. Geburah, die fünfte Sephirah.20. Tipheret, die sechste SephirahDritter Teil21. Die vier unteren Sephiroth. .22 - Netzach ...........23. Hod.............24. Jesod ............25. Malkuth. ..........26. Die Kelippoth ........27. Schlußbetrachtung......Vierter Teil1. Anmerkungen des Herausgebers . . .2. DiagrammeDie drei Säulen und das Herabsteigen der Macht. .Die drei TiradenDer Baum des Lebens und die zweiunddreißig Pfade

Page 3: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Vorwort

Der Baum des Lebens bildet den Grundriß für die esoterischeTradition des Westens; seinen Prinzipien folgend, werden auch dieSchüler der Society of the Inner Light unterwiesen.Dieses Buch sowie andere, die ihm folgen werden, sind dieUnterrichtsgrundlage in den Tutorien der Society of the InnerLight. Nähere Informationen über diese Gesellschaft erhalten Sie,wenn Sie sich schriftlich an die Society of the Inner Light, 38Steele's Road, London N.W. 3, wenden.Die Transliteration der hebräischen Begriffe ist einvieldiskutiertes Problem, da jeder Gelehrte offensichtlich seineigenes System hat. Ich beziehe mich im folgenden auf die von MacGregor Mathers in The Kabbalah Unveiled verwendete alphabetischeTabelle, da dieses Werk von den Schülern der Esoterik allgemeinbenutzt wird. Selbst Mac Gregor Mathers hält sich jedoch nichtimmer an seine eigene Liste, sondern verwendet sogar teilweisefür die gleichen Worte unterschiedliche Schreibweisen. Fürjemanden, der mit der gemantrischen Erklärungsmethode arbeitenwill, bei der jeder Buchstabe einer Zahl zugeordnet ist, mag dasverwirrend sein. Deshalb habe ich in den Fällen, in denen Matherseine abweichende Umschrift benutzt, auf diejenigezurückgegriffen, die er in seiner eigenen Tabelle verwendet.Wenn häufig verwendete Begriffe wie Erde oder Weg in ihrerspirituellen Bedeutung gebraucht werden, sind sie deshalb indiesem Buch kursiv geschrieben. Ist das nicht der Fall, sind siein ihrer gebräuchlichen Bedeutung verwendet.Da ich mich oft auf Mac Gregor Mathers und Aleister Crowleybeziehe, wenn es um kabbalistische Mystik geht, möchte ich andieser Stelle meine Beziehung zu diesen beiden Schriftstellernetwas näher erläutern.Ich war einige Zeit Mitglied bei einer von Mathers gegründetenOrganisation. Zu Aleister Crowley hatte ich keine solcheVerbindung. Keinen von beiden kannte ich persönlich, da MacGregorMathers zum Zeitpunkt meines Beitritts zu seiner Organisationbereits verstorben war und Aleister Crowley ihr nicht mehrangehörte.

Erster Teill. Der Yoga des Westens

Die wenigsten Schüler des Okkultismus wissen etwas über denUrsprung der Lehre, der sie folgen. Wissenschaftler lassen sichvon den Sicherheitsvorkehrungen täuschen, die Eingeweihte schonimmer getroffen haben, und kommen zu dem Schluß, daß es sich beiden wenigen uns überlieferten Fragmenten der okkulten Literaturum mittelalterlichen Hokuspokus handelt Sie wären ziemlich

Page 4: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

überrascht, wenn sie wüßten, daß diese Fragmente, die durchandere, nur den Eingeweihten bekannte Manuskripte ergänzt unddurch mündliche Überlieferungen abgerundet werden, in den Schulender Esoterik bis heute Verwendung finden und die Grundlage des imWesten praktizierten Yogas darstellen.Schüler der menschlichen Rassen, deren entwicklungsmäßigeBestimmung es ist, die physische Ebene zu erobern, haben eineeigene Yoga - Technik entwickelt, die ihren speziellen Problemenund Bedürfnissen gerecht wird. Diese Technik basiert auf derbekannten, aber wenig verstandenen Kabbala, der Weisheit Israels.Hier stellt sich die Frage, warum der Westen auf die mystischeTradition der Hebräer zurückgreift Jedem, der mit deresoterischen Theorie der Rassen und Unterrassen vertraut ist,wird die Antwort auf diese Frage einleuchten. Jedes Ding hatseinen Ursprung. Eine Kultur kann nicht aus dem Nichts entstehen.Die Wegbereiter jeder neuen Kulturepoche müssen zwangsläufig dervorhergehenden Kulturepoche entstammen. Es läßt sich kaumbestreiten, daß das Judentum die Matrix für die spirituelleKultur Europas war, wenn man bedenkt, daß Jesus und Paulus Judenwaren. Keine andere als die jüdische Tradition hätte alsGrundstock für die neuen Regeln und Normen dienen können, dennnur die Juden waren monotheistisch. Die Zeiten des Pantheismusund des Polytheismus gingen zu Ende, und eine spirituelle Kulturmußte ihnen folgen. Die Wurzeln der christlichen Religion sindebenso sicher in der jüdischen Kultur zu finden wie die desBuddhismus im Hinduismus.Der israelische Mystizismus bildet die Grundlage des westlichenOkkultismus. Auf der theoretischen Basis dieses Mystizismus habensich sämtliche Zeremonien entwickelt. Seine berühmte Glyphe, derBaum des Lebens, ist das beste Mantra, das wir haben, denn er istallumfassend.Ich will keine geschichtliche Abhandlung über die Ursprünge derKabbala schreiben, sondern aufzeigen, wie sie bei denMysterienschülern angewandt wird. Die Wurzeln unserer Lehreliegen in der Tradition, aber wir sollten an dieser Traditionnicht hartnäckig festhalten. Eine angewandte Technik ist einGebilde, das wächst, denn die Erfahrung jedes Menschen, der damitarbeitet, bereichert es, und so wird diese Erfahrung zu einemTeil des allgemeinen Erbes.Wir müssen nicht zwangläufig dieselben Dinge tun oder Ansichtenhaben wie die Rabbis vor Christi Geburt. Die Welt hat sich seitdamals entwickelt, und es gelten neue Glaubenssysteme. Was damalsgrundsätzlich wahr war, ist es jedoch auch noch heute. Dermoderne Kabbalist hat das Erbe des früheren Kabbalistenangetreten, aber er muß die Lehre im Lichte des neuenGlaubenssystems neu interpretieren und die Methoden neuformulieren, wenn dieses Erbe irgendeinen praktischen Nutzen fürihn haben soll.

Page 5: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Ich sage nicht, daß die moderne kabbalistische Lehre, nach derich unterrichtet wurde, die gleiche ist wie die der Rabbis vorChristus, aber ich behaupte, daß sie deren legitimes Erbeangetreten hat und die natürliche Weiterentwicklung der früherenLehre ist.Je näher seine Quelle ist, desto reiner ist der Strom. Wenn mandie ursprünglichen Prinzipien wiederentdecken will, muß man zurQuelle zurückgehen. Ein Strom hat in seinem Verlauf vieleZuflüsse, und die müssen nicht unbedingt verunreinigt sein. Wennman sie auf ihre Reinheit prüfen will, braucht man sie nur mitdem jungfräulichen Strom zu vergleichen; bestehen sie diesePrüfung, können sie ruhig im Hauptstrom mitfließen und seineKraft verstärken. Genauso ist es mit der Tradition. Alles, wasihr nicht widerspricht, wird in sie integriert. Wie rein eineTradition ist, läßt sich an ihren ursprünglichen Prinzipienerkennen, wie lebendig sie ist, erkennt man an ihrer Fähigkeitzur Assimilation. Ein Glaube, der nicht durch das zeitgenössischeGedankengut beeinflußt wird, ist ein toter Glaube.Der Hauptstrom des hebräischen Mystizismus hatte viele Zuflüsse.Er taucht bei den sternenanbetenden Nomaden von Chaldea auf, woAbraham im Zelt, umgeben von seiner Herde, die Stimme Gotteshörte. Der Hintergrund Abrahams bleibt .unklar, und nurschattenhaft lassen sich die Umrisse von großen Figuren erkennen.Die geheimnisvolle Figur eines großen Priesterkönigs, „geborenohne Vater, ohne Mutter, ohne Abstammung, der weder einen Anfangseiner Tage noch ein Ende seines Lebens kennt", gibt ihm daserste eucharisrische Fest des Brotes und des Weins, nach derSchlacht mit den Königen des Tales, den finsteren Königen vonEdom, „jener, der vordem hier regierte, war ein König in Israel,dessen Königreiche ungeordnete Kraft waren".Über Generationen hinweg läßt sich die Verbindung derisraelischen Prinzen mit den Priesterkönigen Ägyptens verfolgen.Abraham und Jakob gingen dorthin; Josef und Moses unterhieltenenge Verbindungen mit den königlichen Adepten. Wenn man liest,daß Salomon Hiram, den König von Tyros, um Männer und Materialfür den Bau des Tempels bat, weiß man, daß die berühmte Mystikvon Tyros die hebräische Esoterik stark beeinflußt haben muß.Wenn man weiterhin liest, daß Daniel in den Palästen Babylonserzogen wurde, wird klar, daß die Weisheit der Magier denhebräischen Erleuchteten zugänglich gewesen sein muß.Es gibt drei Hauptwerke in der alten mystischen Tradition derHebräer: Die fünf Bücher Moses und das Buch der Propheten, beiuns als Altes Testament bekannt, der Talmud, als Sammlunggelehrter Kommentare dazu, und die Kabbala als mystische Deutungdieser beiden Bücher. Die alten Rabbis pflegten über diese Werkezu sagen, daß das erste der Rumpf der Tradition sei, das zweiteihre rationale Seele und das dritte ihr unsterblicher Geist. Fürunwissende Menschen mag es nützlich sein, das erste Buch zu

Page 6: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

lesen; Gelehrte befassen sich mit dem zweiten Buch;Weise meditieren über das dritte. Es ist eigenartig, daß diechristliche Exegese den Schlüssel zum Alten Testament nie in derKabbala gesucht hat.Zu Lebzeiten Jesu gab es in Palästina drei religiöse Schulen:die Pharisäer und die Saduzäer, von denen wir so oft in denEvangelien lesen, und die Essener, die fast nie erwähnt werden.Nach der esoterischen Tradition heißt es, daß der junge Jesus benJoseph von den Rechtsgelehrten, die ihn im Alter von zwölf Jahrenim Tempel sprechen hörten und seine geistigen Fähigkeitenerkannten, zu der Essener - Gemeinschaft in der Nähe des TotenMeeres geschickt wurde, um dort Unterricht in der mystischenTradition Israels zu erhalten. Dort blieb er, bis er im Alter vondreißig Jahren von Johannes am Jordan getauft wurde und danachseine Mission begann. Ob das stimmt, bleibt dahingestellt,jedenfalls ist der letzte Teil des Vaterunsers reinsterKabbalismus. Malkuth, das Reich, Hod, die Herrlichkeit, Netzach,die Macht, als das grundlegende Dreieck im Baum des Lebens, undJesod, das Fundament oder das Auffanggefäß der Einflüsse alsMittelpunkt Wer dieses Gebet schrieb, kannte seine Kabbala.Die esoterische Seite des Christentums war die Gnosis, dieweitgehend auf griechische und ägyptische Einflüsse zurückgeht.Die Lehren des Pythagoras sind eine Anpassung der kabbalistischenPrinzipien an den griechischen Mystizismus.Die exoterisch ausgerichtete, vom Staat organisierte Seite derChristlichen Kirche verfolgte die esoterische Seite undvernichtete sie, wobei alle auffindbaren Dokumente, deren siehabhaft werden konnte, zerstört wurden, um jede Erinnerung an dieGnosis aus der menschlichen Erinnerung und Geschichte zuverbannen. Es gibt Aufzeichnungen darüber, daß die Bäder undBackhäuser Alexandriens sechs Monate lang mit Manuskripten ausder Hauptbibliothek beheizt wurden. Nur noch wenige Überresteunseres spirituellen Erbes sind erhalten. Alles, was sich überder Erde befand, wurde vernichtet, und erst seit die Ausgrabungenantiker Monumente begannen, die die Erde unter sich begrabenhatte, sind einzelne Fragmente wiederentdeckt worden.Erst im 15. Jahrhundert, als die Macht der Kirche langsam zuschwinden begann, getrauten sich einige wenige, dietraditionellen Weisheiten Israels schriftlich festzuhalten.Gelehrte bezeichnen die Kabbala als mittelalterlichen Hokuspokus,weil sie keine frühen Manuskripte entdecken können, aber jeder,der sich bei den esoterischen Bruderschaften auskennt, weiß, daßdie gesamte Kosmologie und Psychologie in einer einzigen Glypheausgedrückt werden kann, mit der ein Uneingeweihter nichtsanzufangen weiß. Die eigenartigen antiken graphischenDarstellungen konnten von Generation zu Generation weitervererbtwerden, zusammen mit ihrer mündlichen Deutung, ohne daß der wahreBedeutungsgehalt dabei verlorenging. Wenn bezüglich der Deutung

Page 7: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

irgendeines schwerverständlichen Punktes Zweifel bestanden, nahmman sich das heilige Symbol vor und meditierte darüber. Dabeitrat dann das zutage, was jahrhundertelange Meditationhineingelegt hatte. Mystiker wissen, daß ein Mensch, der über einSymbol meditiert, das durch frühere Meditationen bereits mitbestimmten Vorstellungen verbunden ist, Zugang zu diesenVorstellungen hat. Dazu muß ihm die Glyphe nicht einmal jemanderklärt haben, der sie aus mündlicher Überlieferung kennt.Der organisierten Macht der Kirche zu damaliger Zeit gelang es,alle Rivalen vom Spielfeld zu vertreiben und ihre Spuren zuverwischen. Wir wissen so gut wie nichts darüber, welcheSamenkörner mystischer Tradition im dunklen Mittelalteraufgingen, nur um gleich wieder ausgerupft zu werden. Da aber diemystische Tradition unmittelbar mit der menschlichen Rasseverbunden ist, und obwohl es der Kirche gelungen war, sämtlicheWurzeln der Tradition aus ihrer kollektiven Seele gewaltsam zuentfernen, entdeckten doch einige ergebene Geister in ihrem Schoßdie Methode wieder, wie man in seiner Seele Gott näherkommenkann, und entwickelten eine charakteristische Art des Yoga, dersehr dem Bhakti - Yoga der östlichen Welt ähnelt. In derkatholischen Literatur finden sich viele Abhandlungen über diemystische Theologie, aus denen klar hervorgeht, daß denVerfassern die höheren Bewußtseinsstufen bekannt waren, auch wennsie teilweise eine etwas naive Vorstellung von dendahinterstehenden psychologischen Zusammenhängen hatten. Hierwird deutlich, wie geistig arm eine Lehre ist, die nicht aus denErfahrungen der Tradition schöpfen kann.Der Bhakti - Yoga der katholischen Kirche spricht nur Gläubigemit devoter Natur an, die sich gern in liebenderSelbstaufopferung üben. Nicht jeder hat eine solche Natur, unddeswegen ist es schade, daß das Christentum seinen Anhängernkeinerlei Alternative zu bieten hat. Der Osten ist in dieserBeziehung großzügiger und klüger und hat verschiedeneYogamethoden entwickelt. Obwohl die Anhänger einer Methodeausschließlich mit ihr arbeiten, würde keine Gruppe bestreiten,daß auch die anderen Methoden jenen, denen sie entsprechen, denWeg zu Gott ebnen.Der obengenannte bedauernswerte Zustand in der westlichen Welthat zur Folge, daß viele Suchende bei den Methoden des OstensZuflucht nehmen. Das mag für Schüler zum Erfolg führen, die unteröstlichen Lebensbedingungen und unter der unmittelbaren Anleitungeines Gurus ihren Weg gehen. Der Erfolg muß jedoch ausbleiben,wenn die Anleitung nur aus einem Buch stammt und die Technikenunter ganz normalen westlichen Lebensbedingungen ausgeübt werden.Aus diesem Grund würde ich den Angehörigen der weißen Rasseempfehlen, den traditionellen abendländischen Weg zu wählen, derihrer psychischen Natur besonders entgegenkommt. Auf diesem Wegwerden sofort konkrete Ergebnisse sichtbar, und wenn er unter der

Page 8: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

richtigen Anleitung gegangen wird, kann man nicht nur eineStörung des geistigen oder physischen Gleichgewichts vermeiden,die leider nur zu oft auftritt, wenn eine ungeeignete Methodegewählt wird, sondern auch eine erstaunliche Steigerung derVitalität erreichen. Aufgrund dieser besonderen Vitalität derAdepten ist der Begriff Lebenselixier entstanden. Ich habe eineganze Menge Menschen gekannt, die man Adepten nennen kann undderen besondere unendliche Vitalität mich jedesmal erstaunt hat.Andererseits kann ich nur unterstreichen, was alle Gurus deröstlichen Schule immer wieder gesagt haben, nämlich, daß jederWeg der psycho- spirituellen Weiterentwicklung nur unterAnleitung eines erfahrenen Lehrers erfolgreich und sichergegangen werden kann. Aus diesem Grund werde ich zwar auf denfolgenden Seiten die Zusammenhänge der mystischen Kabbala nähererläutern, aber nicht erklären, wie sie praktiziert wird. Dennich bin der Meinung, daß das weder im Interesse meiner Leserliegt, noch mein Anliegen sein kann, abgesehen davon, daß mir dasmeine eigene Einweihung untersagt. Andererseits finde ich es denLesern gegenüber nicht fair, absichtlich Informationen zuverschleiern oder Fehlinformationen zu geben. Deswegen sind dieInformationen, die ich gebe, nach meinem Wissen und Glaubenrichtig, wenn auch unvollständig.Die zweiunddreißig geheimen Pfade der verborgenen Herrlichkeitsind Lebenswege, die jeder gehen muß, der ihre Geheimnisseentdecken will. So wie ich unterrichtet wurde, so kann auch jederandere unterrichtet werden, der bereit ist, diese Schule zudurchlaufen. Ich bin gern bereit, jedem ernsthaft Suchenden denWeg zu zeigen.

2. Die Wahl des Weges

Niemand, der wie ein Schmetterling zwischen verschiedenen Lehrenhin - und herfliegt — zuerst einige New - Thought Affirmationen,dann einige Atemübungen aus dem Yoga und danach ein Versuch mitmystischen Gebeten —, wird Fortschritte machen. Jeder Weg hatseinen Wert, aber man begreift ihn nur, wenn man den Weg bis zuEnde geht. Jeder der Wege dient dem Training des Bewußtseins undder stetigen Entwicklung der geistigen Kräfte. Nicht in denÜbungen selbst liegt ihr Wert, sondern darin, daß sie beibeständiger Anwendung zur Entwicklung der geistigen Kräfteführen. Wenn man das Studium des okkulten Wissens ernsthaftbetreiben will und nicht nur als unterhaltsame Lektüre, ist eswichtig, eine Lehre zu wählen und sie so lange zu praktizieren,bis man, wenn auch nicht zum letzten Ziel, so doch wenigstens zukonkreten Ergebnissen und zu einer Erweiterung des Bewußtseinsgelangt. Ist das erreicht, kann man auch andere Wege und ihreTechniken mit Erfolg ausprobieren und daraus auf eklektischem Weg

Page 9: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

eine Philosophie entwickeln. Ein Schüler, der ein Eklektiker seinwill, bevor er in einer Methode Experte ist, wird immer Amateurbleiben.Jeder, der praktische Erfahrungen mit den verschiedenen Methodender Bewußtseinserweiterung hat, weiß, daß die Methode demCharakter der Person und ihrer Entwicklungsstufe entsprechen muß.Die Menschen der westlichen Welt, besonders diejenigen, die denokkulten Weg dem mystischen vorziehen, streben die Einweihung oftin einem spirituellen Entwicklungsstadium an, das ein östlicherGuru als sehr unreif ansehen würde. Jede auf den Westenanwendbare Methode muß über eine Technik verfügen, die diesenSchülern zu Beginn als Starthilfe dienen kann; von ihnen zuverlangen, daß sie sich gleich in metaphysische Höhenemporschwingen, ist in den meisten Fällen sinnlos und hindert sieeher daran, einen Anfang zu machen.Eine für den Westen geeignete Methode der spirituellenEntwicklung muß ganz bestimmten Anforderungen genügen. Zunächsteinmal müssen ihre Grundtechniken so beschaffen sein, daß dieseauch für eine Person nachvollziehbar sind, die mit der Mystiknicht vertraut ist. Als zweites müssen die durch sie angeregtenKräfte, die die Entwicklung der höheren Bewußtseinsebenen fördernsollen, stark und konzentriert genug sein, um die Sinne einesdurchschnittlichen Europäers zu erreichen, der mit subtilenSchwingungen nichts anzufangen weiß. Drittens müssen die Kräfteauch in der relativ kurzen Zeitspanne ihre Wirkung entfalten, dieein in unserer modernen Welt lebender Mensch am Anfang des Wegesvon seinen täglichen Beschäftigungen abzweigen kann. Da derwestliche Mensch nach dem Dharma des materiellen Fortschrittslebt, wird er in den meisten Fällen weder die Möglichkeit nochdie Neigung haben, das Leben eines Einsiedlers zu führen. DieTechnik muß also so beschaffen sein, daß sofort ein Zustand derKonzentration erreicht wird und ein ebenso schnelles Zurückkehrenin den normalen Bewußtseinszustand möglich ist, denn die hohepsychische Spannung eines anderen Bewußtseinszustandes kann derwestliche Mensch während des anforderungsreichen täglichen Lebensin einer europäischen Großstadt nicht aufrechterhalten. DieErfahrung zeigt immer wieder, daß Methoden zurBewußtseinserweiterung, die bei einsam lebenden Menschen zu gutenErgebnissen führen, in unserem streßbeladenen modernen Leben zuNeurosen und Nervenzusammenbrüchen führen.Einige sehen das als Beweis dafür an, daß die moderne Lebensweiseschlecht ist und geändert werden muß. Ich bin weit davonentfernt, zu behaupten, daß unsere Zivilisation perfekt ist oderdaß wir die letzte Weisheit erfunden haben und sie uns von derGeburt bis zum Tode begleitet; aber wenn es unser Karma(Schicksal) ist, daß wir in den Körper einer bestimmtenMenschenrasse mit bestimmten Eigenschaften hineingeboren werden,läßt sich daraus schließen, daß das die Disziplin und die

Page 10: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Erfahrung ist, die die Herren des Karma uns in dieser Inkarnationzugedacht haben. Wir sollten unserer Entwicklungsgeschichte nichtvorgreifen, indem wir ihr entfliehen oder sie umgehen wollen. Ichhabe so oft erlebt, daß Menschen die spirituelle Entwicklung nurdeshalb angestrebt haben, um dadurch den Problemen des Lebens zuentfliehen. Deswegen stehe ich jeder Methode, die einen Bruch mitder kollektiven Seele einer Rasse verlangt, skeptisch gegenüber.Genauso fragwürdig finde ich spezielle Kleidung, andersartigesVerhalten, einen besonderen Haarschnitt oder auch gar keinenHaarschnitt als Zeichen dafür, daß man sich einem höheren Lebenwidmet. Echte Spiritualität äußert sich nicht so auffällig.Das Dharma des Westens ist die Bezwingung der festen Materie.Würden wir das erkennen, könnten wir uns viele Probleme in denBeziehungen zwischen Osten und Westen besser erklären. Unserewestliche Rasse ist mit einer Physis und einem speziellenNervensystem ausgestattet, damit wir feste Materie bezwingen undden Sinn für das Konkrete entwickeln können. Andere menschlicheRassen, wie zum Beispiel die gelbe oder schwarze Rasse, bringenandere Voraussetzungen mit.Die auf einen psychosozialen Typus zugeschnittenenEntwicklungsmethoden auf einen anderen Typus anwenden zu wollen,wäre unsinnig. Die Ergebnisse würden entweder ganz ausbleibenoder unvorhergesehen, möglicherweise sogar unerwünscht sein. Mitdieser Feststellung will ich weder die Methoden des Ostensverdammen, noch die Beschaffenheit des westlichen Menschenkritisieren — schließlich ist er so, wie Gott ihn gemacht hat —,sondern nur das alte Sprichwort bestätigen, das besagt, daß »Deseinen sin Uhl des anderen sin Nachtigall« ist. Das Dharma desWestens unterscheidet sich vom Dharma des Ostens. Ist es deshalbeigentlich wünschenswert, zu versuchen, die östlichen Idealeeinem westlichen Menschen einpflanzen zu wollen? Der Rückzug ausder Welt ist nicht seine Art, sich weiterzuentwickeln. Dernormale, gesunde Mensch der westlichen Kultur verspürt nicht denDrang, dem Leben zu entfliehen, sondern möchte es eher erobernund in eine harmonische Ordnung bringen. Nur psychisch krankeMenschen möchten »ihrem Leben ein schmerzloses Ende bereiten«, umendlich vom Schicksalsrad erlöst zu sein. Der durchschnittlichewestliche Mensch verlangt nach »Leben und noch mehr Leben«.Diese konzentrierte Lebenskraft beschwört der westliche Okkultistherauf, wenn er praktiziert. Er versucht keineswegs, von derMaterie in den Geist zu entfliehen und damit ein unerobertes Landsich selbst zu überlassen; sein Anliegen ist es, die Gottheitherunterzuholen zur Menschheit und den göttlichen Gesetzen selbstim Reich der Schatten Gültigkeit zu verleihen. Das ist dasGrundmotiv für die Aneignung okkulter Kräfte auf dem rechten Pfadund erklärt, warum Eingeweihte nicht alles aufgeben, um diemystische Einheit mit Gort zu erlangen, sondern statt dessen denWeg der Weißen Magie gehen.

Page 11: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Mit Hilfe der Weißen Magie, in der okkulte Kräfte spirituellenZielen dienen, werden die westlichen Schüler ausgebildet und ihrBewußtsein entwickelt — zumindest spielt die Weiße Magie einewichtige Rolle dabei. Ich kenne ziemlich viele unterschiedlicheMethoden und bin der Meinung, daß es gewaltige Nachteile mit sichbringt, wenn man ohne Zeremonien auskommen will. Der Weg dergeistigen Weiterentwicklung durch die Meditation allein ist imWesten ein langsamer Weg, da das geistige Grundmaterial und diegeistige Atmosphäre eher hemmend wirken. Die einzige reinmeditative westliche Yogaschule ist die der Quäker, und ichdenke, der Leser wird mit mir darin übereinstimmen, daß ihr Wegnur für wenige geeignet ist Die katholische Kirche kombiniertMantra - Yoga mit ihrem Bhakti - Yoga.Mit Hilfe von Formeln wählt der Okkultist die Kräfte aus, mitdenen er arbeiten will, und konzentriert sie. Diese Formeln gehenauf den kabbalistischen Baum des Lebens zurück. Egal, mit welchemSystem er arbeitet, ob er die ägyptischen Götterformen übernimmtoder den Geist lakchos mit Gesang und Tanz heraufbeschwört, immerhat er dabei das Diagramm des Baumes im Hintergrund. DieEingeweihten der westlichen Welt werden in der Symbolik desBaumes genauestens unterrichtet, der die Grundordnungsstrukturdarstellt, zu der alle anderen Systeme in Beziehung gesetztwerden können. Der Strahl, auf dem der westliche Adept arbeitet,hat sich in den unterschiedlichsten Kulturen und aufunterschiedlichste Art und Weise gezeigt und manifestiert und injeder Kultur seine charakteristische Ausprägung entwickelt. DerEingeweihte unserer Zeit arbeitet mit einer Synthese derverschiedenen Methoden. Manchmal wendet er eine ägyptische,manchmal eine griechische oder gar eine Methode druidischenUrsprungs an, denn je nach Zweck und Bedingungen mag diese oderjene Methode besser geeignet sein als eine andere. Auf jeden Fallist die magische Handlung eng verbunden mit den Pfaden desBaumes, die er beherrscht. Wenn er den Grad erreicht hat, der derSephirah Netzach entspricht, kann er, unabhängig vom System, mitder Manifestation der Kraft dieses Aspektes der Gottheit arbeiten(der von den Kabbalisten als Tetragrammaton Elohim bezeichnetwird). In der ägyptischen Mystik ist das die Isis der Natur, beiden Griechen ist es Aphrodite, im nordischen System Freyja, beiden Druiden Keridwen. Anders ausgedrückt, er verfügt jetzt überdie Kräfte der Venus - Sphäre, unabhängig davon, in welchem dertraditionellen Systeme er sich bewegt. Hat er in einem derSysteme einen bestimmten Stand erreicht, so hat er damitgleichzeitig auch Zugang zu den entsprechenden Graden alleranderen Systeme seiner Tradition.Selbst wenn er sich in bestimmten Fällen dieser anderen Systemebedient, hat die Erfahrung gezeigt, daß die Lehren der Kabbalafür jeden Schüler die beste Vorbereitung für eventuelle spätereExperimente mit den heidnischen Systemen sind. Die Kabbala ist

Page 12: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

grundsätzlich monotheistisch. Die verschiedenen Mächte, die indiesem System unterschieden werden, sind immer Boten Gottes undihm niemals gleichgestellt. Dieses Prinzip untermauert dasKonzept einer zentralen Leitung des Kosmos und der Wirksamkeitdes göttlichen Gesetzes für die gesamte Schöpfung und solltejedem Schüler der arkanen Mächte nahegebracht werden. Aufgrundder Reinheit, der Gesundheit und der Klarheit der kabbalistischenKonzepte, die im Baum des Lebens zusammengefaßt sind, ist dieseGlyphe so besonders gut zur bewußtseinserweiternden Meditationgeeignet, und wir dürfen die Kabbala mit Recht als den Yoga desWestens bezeichnen.

3. Die Methode der Kabbala

Ein Rabbi sagt über die Methode der Kabbala, daß ein Engel, dersich auf die Erde begibt, eine menschliche Form annehmen' müsse,um mit den Menschen sprechen zu können. Das eigenartige Systemvon Symbolen, das bei uns Baum des Lebens genannt wird, ist einVersuch, jede im manifestierten Universum und in der Seele desMenschen vorkommende Kraft und jeden Faktor in einem Diagrammzusammenzufassen. Es ist der Versuch, diese Kräfte und Faktorenmiteinander in Verbindung zu setzen und sie wie auf einerLandkarte darzustellen, so daß die jeweiligen Positionen jederEinheit sichtbar gemacht werden und die Verbindungen zwischenihnen offen liegen. Kurz gesagt ist der Baum des Lebens einHandbuch der Wissenschaft, Psychologie, Philosophie undTheologie.Ein Schüler der Kabbala macht genau das Gegenteil von einemSchüler der Naturwissenschaften. Der letztere stellt synthetischeTheorien auf, der erstere analysiert abstrakte Theorien.Natürlich muß eine Theorie zunächst geschaffen werden. Irgendjemand muß die Grundsätze erdacht haben, die später im Symbolzusammengefaßt wurden, über das die Kabbalisten meditieren. Werwaren also die ersten Kabbalisten, die dieses Schema aufgestellthaben? Die Rabbis sind sich einig darüber, daß es Engel waren.Mit anderen Worten: Es waren Wesen nichtmenschlicher Natur, dieden auserwählten Menschen ihre Kabbala gaben.Jedem modern denkenden Menschen mag diese Aussage so absurderscheinen wie die Behauptung, daß Babies der Klapperstorchbringt. Wenn wir uns jedoch die mystischen Lehren vergleichbarerReligionen anschauen, werden wir feststellen, daß sich alleErleuchteten in diesem Punkt einig sind. Alle Männer und Frauen,die praktische Erfahrungen im spirituellen Leben haben, sagen,daß sie von göttlichen Wesen unterrichtet werden. Es wäre äußersttöricht von uns, solch eine Menge von Zeugen einfach alsunglaubwürdig abstempeln zu wollen, besonders wenn wir selbstniemals persönliche Erfahrungen auf den höheren Bewußtseinsebenen

Page 13: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

machen konnten.Einige Psychologen behaupten, daß die Engel der Kabbalisten unddie Götter und Manus in anderen Systemen lediglich unsere eigenenunterdrückten Komplexe sind; andere, deren Scheuklappen nicht sofest sitzen, sagen, daß diese göttlichen Wesen latenteFähigkeiten unseres Höheren Selbst darstellen. Für den devotenMystiker ist diese Frage nicht besonders wichtig. Er erhält diegewünschten Ergebnisse, und allein das zählt. Der philosophischeMystiker oder, anders ausgedrückt, der Okkultist, denkt über eineSache nach und kommt zu bestimmten Ergebnissen. Diese Ergebnissesind jedoch nur dann nachvollziehbar, wenn man genau weiß, wasman unter Realität versteht und Subjektives und Objektives klarzu trennen vermag. Jedem, der in den philosophischen Methodenbewandert ist, ist klar, daß das bereits ziemlich viel verlangtist.Die indischen Schulen der Metaphysik verfügen über komplizierte,hochentwickelte philosophische Lehren, mit Hilfe derer versuchtwird, diese Konzepte nachvollziehbar zu machen. ObwohlGenerationen von Sehern es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben,diese Konzepte zu erfassen, sind sie doch so abstrakt geblieben,daß sie nur nach langer Praxis in einer Disziplin, die im OstenYoga genannt wird, überhaupt vom Verstand erfaßt werden können.Der Kabbalist geht die Sache anders an. Er versucht nicht, denVerstand auf metaphysischen Flügeln in die dünne Luft derabstrakten Realität emporzuheben. Er denkt sich ein konkretesSymbol aus, das für das menschliche Auge sichtbar ist, undverwendet es als Sinnbild für die abstrakte Realität, die keinungeübter menschlicher Geist zu erfassen vermag.Das ist genau das gleiche Prinzip wie in der Algebra. Denken wiruns X als unbekannte Größe, Y als die Hälfte von X und Z als eineuns bekannte Größe. Wenn wir uns jetzt mit Y beschäftigen, es zuZ in Beziehung setzen und herausfinden, in welchemGrößenverhältnis es zu Z steht, wird Y bald keine völligunbekannte Größe mehr für uns sein. Auf jeden Fall haben wiretwas über sie gelernt, und wenn wir geschickt genug sind, könnenwir vielleicht irgendwann Y mit Z erklären und so anfangen, X zuverstehen.Viele Symbole werden als Meditationsobjekte benutzt; das Kreuz imChristentum, die Götterbilder bei den Ägyptern, phallischeSymbole in anderen Glaubenslehren. Diese Symbole helfen demUneingeweihten, sich zu konzentrieren und seinen Geist mitbestimmten Gedanken vertraut zu machen, die wiederum bestimmtedamit verbundene Assoziationen und bestimmte Gefühle auslösen.Der Eingeweihte wendet ein Symbolsystem ganz anders an. Erbenutzt es wie Algebra, mit der er die Geheimnisse unbekannterPotenzen studieren kann; anders ausgedrückt verwendet er dasSymbol als Leitgedanken bei seiner Reise ins Unbekannte undUnfaßbare.

Page 14: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Aber wie geht er vor? Er benutzt ein umfassendes Symbol; einlosgelöstes Symbol wäre für seine Zwecke nutzlos. Bei derMeditation über ein solch umfassendes Symbol wie den Baum desLebens wird ihm klar, daß zwischen seinen einzelnen Teilen klardefinierte Verbindungen bestehen. Über einige Teile weiß eretwas, bei anderen kann er sich intuitiv etwas vorstellen oder,grob gesagt, von den Grundprinzipien ausgehend, Vermutungenanstellen. Der Geist wandert von einer bekannten Größe zurnächsten und legt dabei, metaphorisch ausgedrückt, bestimmteEntfernungen zurück. Er ist wie ein Wanderer in der Wüste, derden Standort zweier Oasen kennt und einen Gewaltmarsch macht, umvon einer zur anderen zu gelangen. Am Ende seiner Reise weiß ernicht nur wesentlich mehr über die zweite Oase, sondern auch überdie Strecke, die zwischen den Oasen liegt So erforscht erallmählich die Wüste, indem er Gewaltmärsche von Oase zu Oasemacht, vor und zurück, kreuz und quer durch die Öde, obwohl inder Wüste eigentlich kein Überleben möglich ist.So ist es auch mit dem kabbalistischen Symbolsystem. Die Dinge,die es beinhaltet, liegen jenseits unseres Vorstellungsvermögens,und trotzdem ist unser Verstand fähig, darüber nachzusinnen,indem er von Symbol zu Symbol wandert. Wir sollten schonzufrieden sein, wenn wir etwas dunkel erahnen können. Und dennochhaben wir allen Grund zu der Hoffnung, daß wir am Ende den Dingenvon Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen werden und erkennenwerden, so wie wir erkannt sind. Der menschliche Geist wächst mitder Übung, und was uns zunächst so unvorstellbar war wie dieMathematik einem Kind, das nicht rechnen kann, rückt schließlichdoch in den Bereich des Erreichbaren. Wenn wir über etwasnachdenken, formen wir dabei ein Konzept zu seiner Realisation.Es heißt, daß die Gedanken aus der Sprache entstanden sind, nichtdie Sprache aus den Gedanken. Das Verhältnis zwischen Wort undGedanke ist das gleiche wie zwischen Symbol und Intuition. Soseltsam das klingen mag, das Symbol ist schon vor seiner Deutungda. Deshalb sagen wir, daß die Kabbala ein System ist, das wächstund kein historisches Monument. Aus den Symbolen der Kabbalakönnen wir heutzutage wesentlich mehr herausziehen als zur Zeitihrer Entstehung, denn heute ist unser geistiges Spektrum vielgrößer. Wieviel mehr als ein Rabbi zu damaliger Zeit kann zumBeispiel heute ein Biologe mit der Sephirah Jesod anfangen, inder die Kräfte des Wachstums und der Vermehrung wirken. Alles,was mit Wachstum und Vermehrung zu tun hat, gehört in die Sphäredes Mondes. Diese Sphäre jedoch steht, wie man in der Darstellungdes Baumes des Lebens sehen kann, mit anderen Sephiroth durchPfade in Verbindung. Daraus kann der kabbalistische Biologeschließen, daß es ganz bestimmte Zusammenhänge zwischen den inJesod vereinigten Kräften und den Kräften der Symbole gibt, diediesen Pfaden zugeordnet sind. Wenn er über die Symbolenachgrübelt, eröffnen sich ihm Einsichten in Zusammenhänge, die

Page 15: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

er nicht sehen könnte, wenn er die Dinge lediglich vommateriellen Aspekt aus betrachten würde. Wertet er die sogewonnenen Erkenntnisse in seinen Studien aus, wird er zu demErgebnis kommen, daß sie wichtige Hinweise enthalten.So führt beim Studium des Baumes eine Erkenntnis zur nächsten,und aus dem Verhältnis der einzelnen Symbole dieser mächtigen,künstlichen Glyphe zueinander und ihren Verbindungenuntereinander ergibt sich eine Erklärung der verborgenenUrsachen.Jedes einzelne Symbol läßt sich darüber hinaus auf verschiedenenEbenen deuten und kann aufgrund seiner astrologischen Aspekte zuden Göttern jedes beliebigen Pantheons in Beziehung gesetztwerden. Dabei eröffnen sich dem menschlichen Geist immens vieleneue Möglichkeiten; in einer ununterbrochenen Assoziationskettekann er von Symbol zu Symbol wandern, wobei jedes dasdarauffolgende stützt, und sich die weitverzweigten Äste wiederzu einer synthetischen Glyphe zusammenfinden, deren einzelneSymbole auf jeder dem Menschen vorstellbaren Ebene interpretiertwerden können.Diese mächtige, allumfassende Glyphe der menschlichen Seele unddes Universums erzeugt aufgrund ihrer logischen Aneinanderreihungvon Symbolen bestimmte Bilder im menschlichen Geist. Diese Bildersind keine Zufallsprodukte, sondern folgen klar definiertenAssoziationspfaden des kollektiven Geistes. Für den kollektivenGeist ist der Baum des Lebens als Symbol so wichtig wie der Traumfür das individuelle Ego: Er ist eine Glyphe, die dasUnterbewußtsein als Abbild seiner verborgenen Kräfte geschaffenhat.Das Universum ist im Grunde eine Gedankenform, die aus dem GeistGottes geboren wurde. Man könnte den kabbalistischen Baum miteinem Traumbild vergleichen, entstanden aus dem UnterbewußtseinGottes, das den unbewußten Aspekt der Gottheit in dramatisierterForm wiedergibt. Mit anderen Worten: Wenn das Universum dasbewußt hervorgebrachte Endprodukt der geistigen Aktivität desLogos ist, dann ist der Baum des Lebens die symbolischeDarstellung des Rohmaterials des göttlichen Bewußtseins und desSchöpfungsprozesses des Universums.Der Baum des Lebens ist jedoch nicht nur auf den Makrokosmos,sondern auch auf den Mikrokosmos anwendbar, der, wie jederOkkultist bestätigen wird, eine Miniaturausgabe des Makrokosmosist. Auf diese Weise sind Prophezeiungen möglich. Die Grundlagedieser wenig verstandenen und vielgeschmähten Kunst ist dasSystem der Entsprechungen, das durch Symbole dargestellt wird.Diese Entsprechungen zwischen der menschlichen Seele und demUniversum sind nicht zufällig, sondern beruhen aufentwicklungsgeschichtlichen Übereinstimmungen. Bestimmte Stufendes Bewußtseins haben sich als Reaktion auf bestimmteEvolutionsphasen entwickelt und beinhalten deshalb die gleichen

Page 16: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Prinzipien. Entsprechend reagieren sie auch auf die gleichenEinflüsse. Die menschliche Seele ist wie eine Bucht, die mit demMeer durch einen unterirdischen Kanal verbunden ist. Obwohl sieallem äußeren Anschein nach von Land umschlossen ist, steigt undfällt ihr Wasserpegel aufgrund der unterirdischen Verbindung mitden Gezeiten des Meeres. Mit dem menschlichen Bewußtsein ist esgenauso. Zwischen jeder einzelnen Seele und ^kollektiven Seeleexistiert eine unterbewußte Verbindung, versteckt in den tiefstenTiefen des Unterbewußtseins, die die Seele jedes Menschen mitEbbe und Flut der kosmischen Gezeiten verbindet.Jedes Symbol des Baumes stellt eine der kosmischen Kräfte oderFaktoren dar. Wird der Geist darauf ausgerichtet, nimmt er mitdieser Kraft Kontakt auf. Man kann auch sagen, es ist einoberirdischer Kanal entstanden, eine Verbindung zwischen dembewußten Geist des Menschen und einem bestimmten Faktor derkollektiven Seele. Durch diesen Kanal ergießen sich die Wasserdes Ozeans in die stille Bucht. Der Schüler, der den Baum desLebens als Meditationssymbol benutzt, baut Stück für Stück eineVerbindung zwischen seiner Seele und der kollektiven Seele auf.Das führt zu einem ungeheueren Energiezufluß in der Seele deseinzelnen Menschen, durch den sie magische Kräfte erhält.So wie das Universum von Gott regiert werden muß, so muß dievielschichtige Seele der Menschen von dem Gott dieser Seeleregiert werden, vom Geist des Menschen. Das höhere Selbst mußsein Universum beherrschen, sonst entsteht ein Ungleichgewichtder Kräfte. Dann würde jeder Bewußtseinsfaktor nur über seineneigenen Teilaspekt herrschen und die Aspekte sich untereinanderbekämpfen. Das Ergebnis wäre die Herrschaft der Könige von Edom,deren Königreiche ungeordnete Kräfte sind.

4. Die ungeschriebene Kabbala

Die in diesem Buch dargestellte Sichtweise der Kabbalaunterscheidet sich meines Wissens von der aller anderen Autoren,die jemals über dieses Thema geschrieben haben, denn für mich istdie Kabbala ein lebendiges Gebilde geistiger Entwicklung und keinhistorisches Denkmal. Selbst unter denjenigen, die sich fürOkkultismus interessieren, ist nur wenigen klar, daß es einelebendige esoterische Tradition mitten unter uns gibt, die inpersönlichen Manuskripten und von Mund zu Mund weitergegebenwird. Noch weniger Menschen wissen, daß die Grundlage dieserlebendigen Tradition die Heilige Kabbala, die mystische LehreIsraels ist. Wo sollten wir unsere okkulten Inspirationen mitmehr Fug und Recht suchen als in der Tradition, die uns Christusschenkte.Die Deutung der Kabbala finden wir weniger bei den Rabbis, dieäußerlich gesehen Israelis sind, sondern bei den Menschen, die

Page 17: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

spirituell gesehen das erwählte Volk sind — anders gesagt: unterden Eingeweihten. Die Kabbala, so wie ich sie kennengelernt habe,ist auch kein rein hebräisches System, sondern wurde imMittelalter stark durch alchemistisches Gedankengut und durch denwunderbaren Tarot, mit dem sie eng verbunden ist, beeinflußt.Bei meiner Bearbeitung dieses Themas stütze ich mich deshalbweniger auf die Tradition zur Untermauerung meiner Ansichten,sondern eher auf die heurige Praxis derjenigen Okkultisten, diedie Kabbala als ihre okkulte Technik anwenden. An dieser Stellekönnte der Einwand auftauchen, daß die alten Rabbis einige derhier vorgebrachten Konzepte nicht kannten. Darauf kann ich nurantworten, daß man das auch kaum von ihnen erwarten kann, dadiese Dinge zu ihrer Zeit völlig unbekannt waren und das Werkihrer Nachfolger im spirituellen Israel sind. Ich für meinenTeil, obwohl ich niemanden absichtlich falsch über dietraditionsreichen Lehren informieren würde, und mich, was diehistorische Richtigkeit betrifft, gern von denen belehren lassen,die in diesen Dingen besser informiert sind als ich (und davongibt es wahrlich genügend), kümmere mich nicht einen Deut um dieAutorität der Tradition, wenn sie die freie Weiterentwicklungeines Systems hemmt, das einen so hohen praktischen Wert hat wiedie Kabbala. Das Werk meiner Vorgänger benutze ich alsSteinbruch, aus dessen Felsen ich die Steine für meine Stadtschlage. Keine mir bekannten Bestimmungen hindern mich jedochdaran, Zedern aus dem Libanon oder Gold aus Ophir beim Bau zuverwenden, wenn ich es für angebracht halte.Ich möchte klarstellen, daß ich nicht behaupte, dies seien dieLehren der alten Rabbis, sondern vielmehr, daß es sich hier umdie Praxis des modernen Kabbalisten handelt, die für uns alspraktisches System zur spirituellen Entfaltung sehr vielwichtiger ist. Sie ist der Yoga des Westens.Nachdem ich mich auf diese Weise so gut wie möglich gegen allegefeit habe, die mir vorwerfen könnten, daß ich etwas ausgelassenhabe, was ich nie vorhatte einzubeziehen, möchte ich nun aufmeine Qualifikationen zu sprechen kommen, die die mir gestellteAufgabe betreffen. Was meine Gelehrtheit angeht, stehe ich etwaauf derselben Stufe wie William Shakespeare. Ich verstehe wenigLatein und noch weniger Griechisch. Hebräisch kenne ich nurinsoweit, als es von den Okkultisten gebraucht wird, also geradesoviel, daß ich einfache hebräische Skripte für gematrischeBerechnungen übertragen kann. Der Kenntnis der hebräischenSprache erkläre ich mich unkundig.Ob dieses freimütige Eingeständnis meiner Wissenslücken derKritik an meinen Aussagen die Spitze nehmen wird, weiß ich nicht.Sicherlich kann die Tatsache gegen mich verwendet werden, und dasmit Recht, daß jemand, der so schlechtes Rüstzeug mitbringt wieich, sich überhaupt an eine solche Aufgabe wagt. Dazu möchte ichantworten, daß man einem Verwundeten, den man auf der Straße

Page 18: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

liegen sieht, ja auch jede einem nur mögliche Hilfe angedeihenläßt, bis qualifizierte ärztliche Hilfe da ist, selbst wenn mankein Mediziner ist. Meine Arbeit in diesem Buch ist mit dieserArt von Erster Hilfe zu vergleichen. Ich habe festgestellt, daßein System von unschätzbarem Wert nicht genutzt wird, und setzemich dafür ein, so ungeeignet ich auch für diese Aufgabe seinmag, daß die in ihm steckenden Möglichkeiten erkannt werden undes den ihm gebührenden Platz als Schlüssel zum Okkultismus desWestens zurückerlangt. Im wesentlichen erhoffe ich mir davon, daßich das Interesse der Gelehrten wecke und daß diese dieÜbersetzung und Untersuchung der kabbalistischen Manuskriptefortsetzen, welche ich mit einer Gesteinsader vergleichen möchte,die man nur an der Oberfläche abgetragen hat.Ich kann mir zugute halten, daß ich eine wichtige Voraussetzungmitbringe, nämlich die, daß ich während der letzten zehn Jahremit der praktischen Kabbala gelebt, mich mit ihr bewegt und mitmeinem ganzen Wesen mit ihr gearbeitet habe. Ich habe ihreMethoden sowohl subjektiv als auch objektiv angewandt, bis sie zueinem Teil meiner selbst wurden. Ich weiß aus Erfahrung, zuwelchen Ergebnissen sie in psychischer und spiritueller Hinsichtführen, und ich kenne ihren unschätzbaren Wert als Werkzeug zumTrainieren des Geistes.Menschen, die die Kabbala als ihren Yoga anwenden, müssen keineumfangreichen Kenntnisse der hebräischen Sprache haben, siemüssen nur die hebräischen Buchstaben lesen können. Die moderneKabbala ist ausreichend korrekt ins Englische übertragen, abersie verwendet noch immer die hebräischen Worte der Macht und dassoll auch so bleiben, denn Hebräisch ist die heilige Sprache imWesten so wie Sanskrit im Osten. Einige sind gegen die freieVerwendung von Sanskrit - Ausdrucken in der okkulten Literaturund werden sich noch vehementer gegen hebräische Buchstabenwehren, aber ihre Benutzung ist unabdingbar, da jeder Buchstabeim Hebräischen einer Zahl entspricht und die Zahlenfolge einesWortes nicht nur ein wichtiger Schlüssel zu seiner Bedeutung ist,sondern auch die Verbindungen zwischen bestimmten Vorstellungenund Mächten beinhaltet.Mac Gregor Mathers untergliedert die Kabbala in derhervorragenden Einleitung zu seinem Buch in vier Teile: Diepraktische Kabbala, die sich mit talismanischer und zeremoniellerMagie beschäftigt, die dogmatische Kabbala oder kabbalistischeLiteratur, die buchstäbliche Kabbala, die sich mit den Buchstabenund Zahlen auseinandersetzt, und die ungeschriebene Kabbala, dasechte Wissen darüber, wie die Symbolsysteme im Baum des Lebensverteilt sind, sowie die Kenntnisse über andere Zusammenhänge.MacGregor Mathers schreibt dazu: »Zu diesem Punkt kann ich nichtsweiter sagen, noch nicht einmal, ob ich es (das Wissen) besitzeoder nicht« Auf diesen gewichtigen Hinweis bezieht sich dieverstorbene Frau MacGregor Mathers in ihrer Einleitung zur

Page 19: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Neuauflage seines Buches mit den folgenden offenen Worten:»Gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Kabbala im Jahr 1887bekam er von seinen okkulten Lehrern den Auftrag, dieVorbereitung für seine später geplante esoterische Schule zutreffen.« Die Feststellung, daß, falls er die ungeschriebeneKabbala übermittelt bekam, sie seit einigen Jahren nicht mehrungeschrieben ist, dürfte gerechtfertigt sein, denn nach einemStreit mit MacGregor Mathers veröffentlichte Aleister Crowley,der bekannte Schriftsteller und Gelehrte, das Material. SeineBücher sind heute selten und schwer zu bekommen, und da diegelehrteren Kabbalisten sie hoch schätzen, ist ihr Preis inschwindelerregende Höhen gestiegen, und sie sind selten inAntiquariaten zu finden.Es ist eine schwerwiegende Tat, einen bei der Einweihunggeleisteten Eid zu brechen, und ich für meinen Teil möchte dasnicht tun. Es hält mich jedoch keine Autorität davon ab, allesverfügbare, bereits veröffentlichte Material über bestimmteThemen zu sammeln, zusammenzustellen und es zu interpretieren sogut ich es vermag. Auf diesen Seiten bediene ich mich des vonCrowley benutzten Systems, um Punkte zu ergänzen, über dieMacGregor Mathers, Wynn Westcott und A. E. Waite, diezeitgenössischen Autoritäten in bezug auf die Kabbala, sichausschweigen.Was die Frage betrifft, ob ich selbst Kenntnisse über dieungeschriebene Kabbala habe, so steht es mir genausowenig an wieMacGregor Mathers, mich in diesem Punkt eindeutig zu äußern.Ich folge seinem klassischen Beispiel, stecke meinen Kopf in denSand, wedle mit dem Schwanz und kehre zum Thema von vorhinzurück.Der Kern der ungeschriebenen Kabbala liegt in der Anordnungbestimmter Symbolgruppen im Baum des Lebens. Dieser Baum, OtzChiim, besteht aus den in einer bestimmten Weise angeordnetenzehn heiligen Sephiroth, die durch Linien verbunden sind, die mandie zweiunddreißig Pfade des Sepher Jezirah oder auch göttlicheEmanationen nennt (vgl. The Sepher Yetzirah von Wynn Westcott).Hier finden wir eine der »Tarnungen« oder Fallen, die die altenRabbis den Uneingeweihten mit Vorliebe legten. Wenn wirnachzählen, kommen wir auf die Summe von zweiundzwanzig Pfaden imBaum, und nicht zweiunddreißig. Die Rabbis behandelten die zehnSephiroth ebenfalls als Pfade und verwirrten so denUneingeweihten. Die ersten zehn Pfade des Sepher Jezirah sindalso die zehn Sephiroth, und die restlichen zweiundzwanzig sinddie eigentlichen Pfade. Die zweiundzwanzig Buchstaben deshebräischen Alphabets lassen sich mit den Pfaden in Verbindungbringen, ohne daß einer zuviel oder zuwenig wäre. Auch diezweiundzwanzig Trümpfe im Tarot, auch Atus oder Wohnstätten desThoth genannt, passen zu den zweiundzwanzig Buchstaben und denzweiundzwanzig Pfaden. Was die Tarotkarten betrifft, gibt es drei

Page 20: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

nennenswerte zeitgenössische Autoritäten: Dr. Encausse oderPapus, der französische Schriftsteller, A. E. Waite und dieManuskripte von MacGregor Mathers Orden des Golden Davon, dieCrowley unter seinem Namen veröffentlichte. Alle drei Systemesind verschieden. Was Waites System angeht, so sagt er selbstdarüber: »Es existiert eine andere Methode, die den Eingeweihtenbekannt ist« Es besteht Grund zur Annahme, daß er hier die vonMathers benutzte Methode meint.Papus' Methode stimmt mit keiner der beiden anderen überein, dasie aber, auf den Baum des Lebens angewandt, der der endgültigePrüfstein für alle Systeme ist, viele der vorhandenenEntsprechungen vergewaltigt, während das Mathers - Crowley -System sich erstaunlich genau einrügen läßt, kann man meinerAnsicht nach daraus schließen, daß die letztgenannte Anordnungdie korrekte, traditionelle ist. Ich werde mich deshalb in diesenSeiten an ihr orientieren.Die Kabbalisten haben die Pfade des Baumes außerdem mit demZodiakos, den Planeten und den Elementen verbunden. Es gibt zwölfTierkreiszeichen, sieben Planeten und vier Elemente, alsoinsgesamt dreiundzwanzig Symbole. Wie sollen diese Symbole nunauf die zweiundzwanzig Pfade verteilt werden? Hier stehen wir vorder zweiten »Tarnung«, die zu durchschauen aber einfach ist Aufder physischen Ebene sind wir selbst im Element der Erde unddeshalb taucht dieses Symbol auf den Pfaden, die uns insUnbekannte führen, nicht auf. Ohne dieses Symbol verbleiben nochzweiundzwanzig, also genau die passende Anzahl. Wenn diesezweiundzwanzig Symbole im Baum richtig angeordnet werden,entsprechen sie genau den Tarot - Trümpfen, wobei eineSymbolgruppe jeweils in erstaunlicher Art und Weise dazubeiträgt, die andere Symbolgruppe in ihrer Bedeutung zu erhellen,und beide Gruppen zusammen die Schlüssel zur esoterischenAstrologie und zum Tarot liefern.Die Hauptbedeutung jedes einzelnen Pfades liegt in der Tatsache,daß er zwei Sephiroth miteinander verbindet, und wir können seineBedeutung nur dann nachvollziehen, wenn wir auch die Natur derbeiden miteinander verbundenen Sphären im Baum mit einbeziehen.Eine Sephirah kann man nicht nur auf einer einzigen Ebeneansiedeln, jede ist vierfacher Natur. Die Kabbalisten drücken dasaus, indem sie von den vier Welten sprechen:Aziluth, die archetypische Welt oder Welt der Emanationen.Die Göttliche Welt.Beriah, die Welt der Schöpfung, auch Kursiya, die Welt der Thronegenannt.Jezirah, die Welt der Gestaltung und der Engel.Assia, die Welt der Handlung und der Materie.(vgl. MacGregor Mathers, The Qabalah Unveiled)Von den zehn heiligen Sephiroth heißt es, daß jede ihren eigenenBerührungspunkt mit den vier Welten der Kabbalisten hat. In der

Page 21: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Azilut - Welt manifestieren sie sich durch die zehn heiligenNamen Gottes. Anders ausgedrückt, manifestiert sich das großeNichts, das von den drei negativen Schleiern der Existenzüberschattet wird, die hinter der Krone hängen, in zehnverschiedenen Aspekten, die den verschiedenen Namen Gottes in denhebräischen Manuskripten entsprechen. Diese Namen werden in derenglischen Bibelfassung von 1611 unterschiedlich wiedergegeben,und die Kenntnis ihrer wahren Bedeutung und der Sphären, zu denensie gehören, ermöglicht es uns, viele der Rätsel zu lösen, diedas Alte Testament uns aufgibt.In der Beriah - Welt heißt es über die göttlichen Emanationen,daß sie sich in den zehn mächtigen Erzengeln manifestieren, derenNamen in der Zeremonienmagie eine wichtige Rolle spielen. Diebarbarischen Namen der Heraufbeschwörung in der mittelalterlichenMagie, »von denen nicht ein Buchstabe geändert werden darf«, sinddie armseligen, fad gewordenen Überbleibsel dieser Worte derMacht. Es läßt sich leicht nachvollziehen, warum kein Buchstabegeändert werden darf, wenn wir uns daran erinnern, daß imHebräischen einem Buchstaben auch immer eine Zahl zugeordnet ist,und daß die Zahlen, aus denen sich ein Name zusammensetzt, vongroßer Bedeutung sind.In der Jezirah - Welt manifestieren sich die göttlichenEmanationen nicht in einem einzigen Wesen, sondern inverschiedenen Arten und Wesen, die Engelscharen oder Engelschöregenannt werden.Vom sephirothischen Standpunkt aus ist die Assia - Welt strenggenommen nicht die Welt der Materie, sondern bezeichnet dieniederen Strahlen und ätherischen Ebenen, die zusammen denGrundstock für die Materie bilden. Auf der physischen Ebenemanifestieren sich die göttlichen Emanationen in dem, was manrecht passend als die zehn weltlichen Chakras bezeichnen könnte,wobei man diese Zentren der Manifestation zu den Energiezentrenim Körper in Beziehung setzt. Diese Chakras, das Primum Mobileoder die ersten Wirbel, die Sphäre des Zodiaks, die siebenPlaneten und die Elemente ergeben zusammengerechnet die Zahlzehn.Aus dem Vorhergehenden läßt sich schließen, daß jede Sephiraherstens aus ihrem weltlichen Chakra besteht, zweitens aus Scharenengelhafter Wesen, den Devas oder Archons, Fürsten oder Mächten,je nachdem, welche Terminologie verwendet wird; drittens auseinem erzengelhaften Bewußtsein oder Thron und viertens aus einembestimmten Aspekt der Gottheit. Gott als Er, in SeinerGesamtheit, ist hinter den negativen Schleiern der Existenzverborgen und dem unerleuchteten menschlichen Bewußtseinunfaßbar.Die Sephiroth können mit Recht als makrokosmisch und die Pfadeals mikrokosmisch definiert werden, wenn die Sephiroth, die inalten Diagrammen oft durch Lichtblitze verbunden sind, die

Page 22: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

meistens wie feurige Schwerter mit Griff aussehen, dieaufeinanderfolgende göttliche Emanationen sind, die dieschöpferische Evolution ausmachen. Die Pfade hingegensymbolisieren die verschiedenen Stadien der Erkenntnis kosmischerZusammenhänge im menschlichen Bewußtsein. In alten Bildern findetman oft Darstellungen einer um die Äste eines Baumes gewundenenSchlange. Es handelt sich hier um die Schlange Ne - chushtan,»die ihren Schwanz im Maul hält«, als Symbol der Weisheit und derEinweihung. Die Windungen des Schlangenkörpers, sofern siekorrekt im Baum eingezeichnet sind, kreuzen nacheinandersämtliche Pfade und weisen damit auf die richtige Reihenfolgeihrer Numerierung hin. Mit Hilfe dieser Glyphe ist es leicht, dieSymbolreihen an ihrem richtigen Platz im Baum anzuordnen,vorausgesetzt, die Symbole sind in den jeweiligen Tabellen in derrichtigen Reihenfolge angegeben. In einigen neueren Büchern istdie Reihenfolge nicht korrekt angegeben, da die Autorenoffensichtlich der Meinung waren, daß diese InformationUneingeweihten nicht zugänglich sein sollte. Die Weigerung,bestimmte Informationen zu verbreiten, mag gerechtfertigt sein,aber wie lassen sich bewußte Fehlinformationen rechtfertigen?Niemand wird heutzutage mehr verfolgt, weil er sich mitunorthodoxen Wissenschaften beschäftigt. Es kann also nur einenZweck haben, Informationen zu unterschlagen, die sich lediglichauf die Theorie des Universums und die daraus abgeleitetePhilosophie beziehen und keineswegs auf die Methoden derangewandten Magie. Der Zweck ist, ein Monopol des Wissensaufrechtzuerhalten, das Prestige, wenn nicht gar Macht bedeutet.Ich persönlich bin der Meinung, daß ein solcher Egoismus und einsolcher Exklusivitätsanspruch der okkulten Bewegung eherschädlich als dienlich sind. Wir haben es hier mit der uraltenSünde zu tun, daß man das Wissen über Gott auf die Priesterschaftbeschränken und es der übrigen Welt verweigern möchte. Das war zuZeiten, als die Menschen noch Wilde waren, sicherlich angebracht,aber nicht mehr in unserer heutigen Zeit. Schließlich kann jeder,der sich die Mühe macht, die gewünschten Informationen aus dervorhandenen Literatur heraussuchen oder sie in heute allerdingsseltenen Büchern finden, vorausgesetzt, er kann sich die hohenPreise leisten. Viel Zeit oder viel Geld zu haben, sollte dochwohl nicht als Grundvoraussetzung zur Erlangung des heiligenWissens dienen.Wahrscheinlich setze ich mich damit einem Hagel vonBeschimpfungen seitens derer aus, die sich selbst zu Hüterndieses Wissens ernannt haben und nun der Meinung sind, daß ihrekostbaren Geheimnisse preisgegeben wurden. Dazu möchte ich nurbemerken, daß ich keinerlei Geheimnisse preisgebe, sondern nurdas Material sammle, das der Welt bereits zugänglich,leichtverständlich und bekannt ist. Als ich bestimmte Manuskriptezum ersten Mal las, glaubte ich, sie seien geheim und dem größten

Page 23: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Teil der Allgemeinheit nicht bekannt; als ich jedoch spätervertrauter mit der okkulten Literatur wurde, war mir klar, daßdieselben Informationen verstreut auch dort auftauchen. Vielesvon dem, was der Eingeweihte unter Eid schwört geheimzuhalten,ist von Mathers und Wynn Westcott selbst publiziert worden. 1926erschien eine Neuausgabe von Mathers Werk über die Kabbala,herausgegeben von seiner Witwe, von der man ja wohl annehmenkann, daß sie seine Wünsche kannte. In dieser Neuausgabe findensich die meisten der von mir hier aufgeführten Tabellen. Da dieursprüngliche Aufstellung über die Wesen von Jesaja, Hesekiel undverschiedenen Rabbis aus dem Mittelalter stammt, ist wohlanzunehmen, daß deren Urheberrechte nach so langer Zeit erloschensind. Alle etwaigen Rechte an diesen Ideen liegen ohnehin beimOriginalautor und nicht bei irgendwelchen späteren Kommentatoren.Nach der Kabbala selbst ist dieser Originalautor der ErzengelMetatron.Vieles, was früher allgemein bekannt war, wurde gesammelt undspäter dem Eingeweihten unter dem Siegel der Verschwiegenheitweitergegeben. Crowley spottet darüber, daß seine Lehrer ihnunter schrecklichen Eiden zur Geheimhaltung verpflichteten undihm dann das »hebräische Alphabet zur sicheren Verwahrunganvertrauten«.Die Philosophie der Kabbala ist die Esoterik des Westens. Dortfinden wir die gleiche Kosmogonie wie in den Stanzen von Dyzan,der Grundlage vom Mme. Blavatskys Werk. Dort stieß sie auf diegrundlegende Struktur der traditionellen Doktrin, die sie inihrem großartigen Werk Die Geheimlehre darlegt. Diesekabbalistische Kosmogonie ist die christliche Gnosis. Ohne sieist unsere Religion unvollständig, und genau dieseUnvollständigkeit ist schon immer die Schwachstelle desChristentums gewesen. Die Alten Väter haben, um eine bekannteMetapher zu benutzen, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Schoneine oberflächliche Kenntnis der Kabbala genügt, um aufzuzeigen,daß wir hier die wichtigsten Schlüssel zu den Rätseln finden, diedie Heilige Schrift allgemein und das Buch der Propheteninsbesondere uns aufgeben. Ist es sinnvoll, daß die Eingeweihtenheute dieses gesamte Wissen in eine geheime Truhe packen und sichdann auf den Deckel setzen? Wenn sie der Meinung sind, daß ichfalsch handle, weil ich wahrheitsgetreue Informationen über Dingegebe, die sie als ihren Privatschatz betrachten, dann antworteich ihnen darauf, daß dies ein freies Land ist und sie ein Rechtauf ihre Meinung haben.

5. Die negative Existenz

Der Esoteriker, der seine Philosophie so darlegen will, daß sieauch anderen verständlich wird, sieht sich mit dem Problem

Page 24: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

konfrontiert, daß sein Wissen um höhere Existenzformen dasErgebnis eines Prozesses ist, der mit Denken nichts zu tun hat,eines Prozesses, der da beginnt, wo das Denken aufhört. Folglichkann die höchste Form transzendentaler Ideen auch nur mit jenemBereich des Bewußtseins, in dem das Denken transzendiert wurde,erfaßt und verstanden werden. Er kann seine Ideen nur denjenigenMenschen in ihrer ursprünglichen Form nahebringen, die mit diesemspeziellen Aspekt des Bewußtseins vertraut sind. Will er sieMenschen mitteilen, die keine Erfahrungen in den entsprechendenBewußtseinsbereichen haben, muß er sie in eine faßbare Formkleiden, sonst wird er bei seinem Versuch, sie begreifbar zumachen, scheitern. In dem Bemühen, diese Eindrücke wiederzugeben,haben Mystiker jedes nur denkbare Gleichnis herangezogen;Philosophen haben sich in einem Wust von Erklärungen ergangen,und keiner von beiden Gruppen ist es gelungen, die Ideen eineruneingeweihten Seele zu vermitteln. Die Kabbalisten wenden eineandere Methode an. Sie versuchen nicht, dem Verstand etwas zuerklären, was er gar nicht erfassen kann, sondern sie geben ihmeine Reihe von Symbolen, über die er meditiert, und mit derenHilfe er Stück für Stück eine Leiter baut, um sprossenweise Höhenzu erklimmen, in die er nicht fliegen kann. Der Verstand istebensowenig in der Lage, transzendentale Philosophien zuerfassen, wie das Auge fähig ist, Musik zu sehen.Der Baum des Lebens, das kann nicht oft genug gesagt werden, istweniger ein System, als vielmehr eine Methode, dieses Problemanzugehen. Diejenigen, die ihn aufgestellt haben, haben diewichtige Tatsache berücksichtigt, daß man, um etwas klar erkennenzu können, zunächst das Sichtfeld eingrenzen muß. Die meistenPhilosophen sind bei ihrer Theorie vom Absoluten ausgegangen,einem wackeligen Fundament, da der menschliche Geist das Absoluteweder zu definieren, noch zu erfassen imstande ist Einigeverwenden eine Negation als Ausgangspunkt und sagen, daß dasAbsolute unbekannt ist und es auch immer bleiben wird. DieKabbalisten behaupten weder das eine noch das andere, sondernbegnügen sich damit festzustellen, daß das Absolute uns in demBewußtseinszustand unbekannt ist, in dem wir Menschen unsnormalerweise befinden.Deswegen finden wir in ihrem System an einem bestimmten Punkt derManifestation einen Schleier, nicht etwa deshalb, weil dahinternichts wäre, sondern weil der normale menschliche Geist an dieserStelle zwangsläufig haltmachen muß. Erst wenn er zur höchstenStufe seiner Vollendung gelangt ist und das Bewußtsein sich vonihm zu lösen vermag, um sozusagen auf eigenen Beinen zu stehen,kann er die Schleier der negativen Existenz, wie sie genanntwerden, durchdringen. Für die Praxis heißt das, daß wir die Naturdes Kosmos begreifen können, wenn wir bereit sind, diese Schleierals philosophische Konvention zu betrachten und uns klarmachen,daß sie ein Symbol für die Grenzen menschlichen Bewußtseins sind

Page 25: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

und kein kosmisches Faktum. In unserer menschlichen Philosophiegibt es keine Erklärung für den Ursprung aller Dinge. Wie weitwir auch bei unserer Erforschung der Welt der Manifestationenzurückgehen mögen, immer stoßen wir auf etwas, was vorher da war.Nur wenn wir uns damit begnügen, den Schleier der negativenExistenz über den Weg zu ziehen, der zu den Ursprüngen führt,erhalten wir einen Hintergrund, vor dem sich der Erste Ursprungabzeichnet Dieser erste Ursprung ist nicht wurzellos, sondern dieerste Erscheinungsform auf der Ebene der Manifestation. Nur bisdahin vermag der menschliche Geist zurückzugehen. Dabei dürfenwir aber nicht vergessen, daß jeder Geist den Weg unterschiedlichweit zurückverfolgen kann, was bedeutet, daß jeweils an eineranderen Stelle der Schleier fällt. Der Unwissende geht nur bis zuder Vorstellung von Gott als altem Mann, mit einem langen weißenBart, der auf einem goldenen Thron sitzt und Anweisungen für dieSchöpfung gibt. Der Wissenschaftler geht ein Stück weiter zurück,bis der Schleier fällt, den er Äther nennt. Der Philosoph gehtnoch ein Stück weiter zurück, bevor er einen Schleier mit Namendas Absolute vorzieht. Der Eingeweihte geht am weitesten zurück,da er gelernt hat, seinen Weg mit Hilfe von Symbolen zu gehen,denn Symbole sind für den Geist das, was Werkzeuge für die Händesind: eine Erweiterung und Verstärkung ihrer Fähigkeiten.Der Kabbalist macht Kether, die Krone, die erste Sephirah zuseinem Ausgangspunkt und wählt für sie als Symbol die Zahl Eins,die Einheit und den Punkt im Kreis. Von Kether aus geht er diedrei Schleier der negativen Existenz rückwärts, was etwas völliganderes ist, als beim Absoluten anzusetzen und von dort aus zuversuchen, vorwärts den Weg bis hin zur Evolution zu gehen.Vielleicht führt der Weg von Kether aus nicht sofort zum genauen,allumfassenden Wissen des Ursprungs aller Dinge, aber erermöglicht es dem menschlichen Geist, einen Anfang zu machen. Wokein Anfang ist, da ist auch keine Hoffnung auf ein Ende möglich.Der Kabbalist setzt da an, wo er noch ansetzen kann: am erstenPunkt, den das endliche menschliche Bewußtsein zu erfassenvermag. Kether ist gleichzusetzen mit der transzendentesten FormGottes, die wir wahrnehmen können, deren Name Ehyeh ist, was inder Bibelfassung von 1611 mit Ich bin, oder noch deutlicher mitder aus sich selbst Existierende, die reine Wesenheit bezeichnetwird.Das sind alles nur Worte, was sie auch bleiben, solange sie immenschlichen Geist nicht eine Vorstellung erzeugen, was sie auseigener Kraft nicht können. Sie müssen in Beziehung zu anderenVorstellungen gesetzt werden, bevor sie eine Bedeutung erhaltenkönnen. Wir fangen erst an, Kether zu verstehen, wenn wir uns mitChockmah, der zweiten Sephirah, die aus ihr emaniert, befassen.Erst wenn wir die zehn Sephiroth in ihrer ganzen Entfaltungübersehen, können wir anfangen, uns mit Kether zu beschäftigen,denn dann haben wir Zugang zu den Einzelheiten, die den Schlüssel

Page 26: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

zur Natur dieser Sephirah darstellen. Wenn wir mit dem Baumarbeiten, ist es besser, ihn immer wieder ganz oder in Teilen zubetrachten, statt sich so lange auf einen einzigen Punkt zukonzentrieren, bis wir ihn gemeistert haben, denn eins erklärt imBaum das andere, und erst wenn wir die Beziehung derverschiedenen Symbole zueinander begreifen, kommen wir zurErleuchtung. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, daßder Baum eine Methode ist, den Geist zu benutzen, und nicht dasWissen an sich versinnbildlicht.Wir wollen uns hier jedoch nicht mit dem Studium der Emanationenbeschäftigen, sondern mit den Ursprüngen, jedenfalls soweit, alsder menschliche Geist hoffen darf, sie zu begreifen. So paradoxes auch scheinen mag, wir kommen in ihrer Erforschung weiter,wenn wir die Schleier vorziehen, statt zu versuchen, mit unserenAugen die Dunkelheit zu durchdringen. Ich möchte die PositionReihers in einem Satz zusammenfassen, der sicher für einenSchüler, der sich zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt,wenig aussagt, den er sich aber merken sollte, denn seineBedeutung wird ihm bald klar werden. Damit folge ich der altenesoterischen Tradition, nach der dem Schüler ein Symbol gegebenwird, das sein Geist so lange in sich bewahrt, bis es keimt undNeues, Faßbares entsteht, statt ihm festumrissene Anweisungen zugeben, die ihm doch nichts sagen. Dieser Samen, den ich in denGeist des Lesers einpflanzen will, ist:»Kether ist Malkuth des Nichts.« Mathers sagt (op. cit): »Dergrenzenlose Ozean negativen Lichtes geht nicht von einem Zentrumaus, denn er hat kein Zentrum, aber er kondensiert zu einemZentrum, und dieses Zentrum ist die Nummer Eins der manifestenSephiroth, Kether, die Krone, die erste Sephirah.«Diese Worte sind in sich selbst widersprüchlich undunvorstellbar. Der Ausdruck negatives Licht bedeutet einfach, daßdas beschriebene Medium nicht das ist, was wir gemeinhin alsLicht bezeichnen, obwohl es einige Eigenschaften des Lichtes hat.Diese Beschreibung sagt über das Medium selbst sehr wenig aus. Esheißt darin nur, daß wir nicht den Fehler machen sollen, es unsals Licht vorzustellen, aber nicht, wie wir es uns konkretvorstellen können. Der Grund dafür ist, daß der menschliche Geistnicht eingerichtet ist, um die entsprechende Vorstellunghervorzubringen, und wir deswegen warten müssen, bis unser Geistin diese Art von Vorstellungsmöglichkeit hineingewachsen ist.Obwohl die Worte nicht das aussagen, was wir gerne wissen würden,entstehen vor unserem geistigen Auge doch bestimmte Bilder dazu.Diese Bilder sinken in unser Unterbewußtsein und werden in demMoment aktiviert, in dem das Bewußtsein Ideen aufnimmt, die damitin irgendeinem Zusammenhang stehen. So wächst das Wissen mit derAnwendung der kabbalistischen Methode in der Praxis, durch dieAnwendung des Yoga des Westens.Die Kabbalisten unterscheiden vier verschiedene Ebenen der

Page 27: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Manifestation und drei Ebenen der Nicht - Manifestation odernegativen Existenz. Die erste Ebene heißt Ayin, Negativität, diezweite wird als En Soph, das Unendliche bezeichnet, die dritteEbene hat den Namen Or En Soph, das unendliche Licht. Aus diesemLicht heraus wird Kether konzentriert. Die drei Ebenen werdenauch die drei Schleier der negativen Existenz genannt, die vonKether aus nach hinten hängen. Anders ausgedrückt sind siealgebraische Symbole, die es uns ermöglichen, an etwas zu denken,was unsere Denkfähigkeit übersteigt. Gleichzeitig verhüllen dieSchleier das, was sie darstellen. Sie sind die Masken dertranszendenten Realitäten. Wenn wir uns die drei Zustände dernegativen Existenz als etwas vorstellen, was wir kennen, dannirren wir uns darin sicher, denn was immer sie auch sein mögen,sie sind jedenfalls nichts, was wir uns vorstellen können, da sienicht manifest sind. Der Begriff Schleier signalisiert uns, daßwir diese Vorstellungen sozusagen als Spielfiguren benutzensollen, die zwar an sich keinen Wert haben, die aber für uns beiunseren Überlegungen nützlich sind. Das gilt für alle Symbole.Sie umgeben das, wofür sie stehen, mit einem Schleier, bis wir soweit sind, sie in eine Form kleiden zu können. Andererseitskönnen wir mit ihrer Hilfe Ideen in unsere Überlegungen miteinbeziehen, die sonst praktisch unvorstellbar wären. Da dasGrundprinzip des Baumes des Lebens darin liegt, daß seine Symbolesich durch ihre jeweiligen Positionen gegenseitig erklären,dienen die Schleier als Gedankengerüst, das uns hilft, uns auchin uns völlig unbekannten Dimensionen orientieren zu können.Diese Schleier oder nicht - gegenständlichen Symbole sind unsjedoch nur dann eine Hilfe, wenn die Vorderseite des Schleierssich in einer uns bekannten Dimension befindet. Obwohl dieSchleier das verbergen, wofür sie stehen, ermöglicht ihrVorhandensein es uns, die Dinge, die sich vor ihrem Hintergrundabzeichnen, klarer zu sehen. Darin liegt ihr Zweck, und deshalbbeschäftigen wir uns mit ihnen. Nur aufgrund unsererUnzulänglichkeit brauchen wir diese unlösbaren Symbole, und derin der esoterischen Philosophie geübte Geist fängt nach kürzesterZeit an, innerhalb dieser Grenzen zu arbeiten und sich einSymbol, das sich seiner Kenntnis entzieht, als gemalten Schleiervorzustellen. Auf diesem Wege entfaltet sich die Weisheit, dennder Geist wächst durch das, womit er sich ernährt, und einesTages, wenn wir bis zu Kether hinaufgestiegen sind, können wirvielleicht die Hand heben, den Schleier zerreißen und in dasgrenzenlose Licht schauen. Der Esoteriker schränkt sich nichtselbst ein, indem er sagt, daß das Unerfaßte auch gleichzeitigdas Unfaßbare ist. Vor allem anderen ist er Evolutionär und weiß,daß das, was er im Heute nicht erfassen kann, vielleicht imMorgen der kosmischen Zeit verwirklicht wird. Er weiß auch, daßdie Zeitspanne, die dieser Evolutionsprozeß erfordert,individuell verschieden ist, da die Entwicklung sich auf den

Page 28: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

inneren Ebenen abspielt und an der Drehung der Erde um ihreeigene Achse zwar gemessen, aber nicht von ihr gesteuert wird.Diese drei Schleier — Ayin, Negativität, En Soph, das Unendliche,und Or En Soph, das unendliche Licht — rufen, auch wenn wir sieüberhaupt nicht erfassen können, in unserem Geist bestimmteVorstellungen hervor. Das Wort Negativität beinhaltet ein Seinoder eine Existenz, deren Natur wir nicht begreifen können. Wirkönnen uns kein Ding vorstellen, das existiert und doch nichtexistiert. Deshalb müssen wir uns eine Seinsform vorstellen, diewir mit unserem Bewußtsein niemals wahrgenommen haben, eineSeinsform, die nach unserer gängigen Vorstellung nicht existiert,die aber, so könnte man sagen, nach ihrer eigenenSeinsvorstellung sehr wohl existiert. Um es mit den Worten einessehr weisen Mannes zu sagen: »Es gibt Dinge zwischen Himmel undErde, die sich eure Schulweisheit nicht träumen läßt.«Wenn ich sage, daß die Negative Existenz außerhalb unseresVorstellungsvermögens liegt, heißt das jedoch nicht, daß wiraußerhalb ihres Einflußbereiches liegen. Wenn das der Fall wäre,könnten wir sie als nicht - existent bezeichnen, soweit es unsbetrifft, und damit wäre unser Interesse an ihr erschöpft. DasGegenteil ist aber der Fall: Obwohl wir keinen direkten Zugang zuihrer Form von Sein haben, wissen wir, daß alles, was ist, indieser negativen Existenz wurzelt, und daß, obwohl wir sie inihrem Wesen nicht selbst kennen, unsere Erfahrungen sozusagen ineiner Verwandtschaft ersten Grades zu ihr stehen. Das heißt, daßwir, obwohl wir ihr Wesen nicht kennen, ihre Auswirkung auf unskennen, etwa so, wie wir das Wesen der Elektrizität zwar nichtkennen, sie aber in unserem Leben mit großem Nutzen einsetzen undaufgrund unserer Erfahrungen mit der Auswirkung dieserElektrizität gewisse Rückschlüsse, zumindest auf einen Teil ihrerEigenschaften, ziehen. Diejenigen, die am weitesten insUnbekannte vorgedrungen sind, haben uns Beschreibungen gegeben,mit deren Hilfe wir unseren Geist zum Absoluten hin ausrichtenkönnen, auch wenn wir es nicht erreichen. Sie haben von dernegativen Existenz als Licht gesprochen: »Or En Soph, dasunendliche Licht«. Sie haben vom Klang als erster Manifestationgesprochen: »Am Anfang war das Wort.« Ich erinnere mich, wieeinmal ein Mann, den ich als den Adepten schlechthin bezeichnenwürde, gesagt hat: »Wenn ihr wissen wollt, was Gott ist, dannläßt sich das mit einem Wort beschreiben: »Gott ist Wucht.«Sofort hatte ich eine Vorstellung vor meinem geistigen Auge, undich erkannte etwas. Ich konnte spüren, wie das Leben aus allenKanälen der Existenz floß, und ich fühlte, daß ich zu einerechten Erkenntnis über das Wesen Gottes gelangt war. Wenn man dieWorte analysiert, sagen sie eigentlich nichts aus. Dennoch habensie die Kraft, im Geist ein Bild, ein Symbol zu erzeugen, und derGeist arbeitet mit diesem Symbol im Bereich der Intuition, derüber die Verstandessphäre hinausgeht, und gelangt zu einer

Page 29: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Erkenntnis, auch wenn diese Erkenntnis sich im Bereich deskonkreten Denkens nur als Vorstellung ausdrücken kann.Wir müssen uns klarmachen, daß der Geist in diesen äußerstabstrakten Bereichen nur mit Symbolen arbeiten kann, aber dieseSymbole haben die Fähigkeit, demjenigen Geist, der mit ihnenumzugehen vermag, Erkenntnisse zu vermitteln. Sie sind dieSamenkörner, aus denen das Verstehen erwächst, selbst wenn sieals Symbol an sich nicht zu einer direkten Erkenntnis führen.Allmählich, so wie die langsam zunehmende Flut, macht dieErkenntnis das Abstrakte faßbar, integriert es und drückt Dinge,die zu einer anderen Sphäre gehören, in Begriffen aus, die ihrereigenen Natur entsprechen. Wir würden einen großen Fehlerbegehen, wenn wir wie Herbert Spencer beweisen wollten, daß einDing, weil wir es mit unseren gegenwärtigen geistigen Fähigkeitennicht erfassen können, auch für immer unerfaßbar bleibt. Mit derZeit wächst nicht nur unser Wissen, sondern mit der Evolutionwächst auch unsere Fähigkeit. Initiation ist das Treibhaus derEvolution, in dem Fähigkeiten auch außerhalb der Saisonheranwachsen und in dem das Bewußtsein des Adepten in Reichweitevon immensen Erkenntnissen gebracht wird, die noch über denHorizont des menschlichen Geistes hinausgehen. Er kann dieseErkenntnis nur in Symbole kleiden, aber jeder menschliche Geist,der irgendwelche Erfahrungen mit dieser erweitertenBewußtseinsform hat, wird die Ideen auf der Ebene verstehen, dersie entstammen, wenn er auch vielleicht nicht in der Lage seinwird, sie in die Sphäre bewußten Denkens zu übersetzen. So sindüberall in der Literatur der esoterischen Wissenschaft solcheSamenkörner für Ideen verstreut wie die Aussage:»Gott ist Wucht« und »Kether ist Malkuth der Negativen Existenz.«Diese Vorstellungen, deren Inhalte gar nicht in unsere Sphäregehören, sind wie die männlichen Gedankensamen, die das Ei derkonkreten Erkenntnis befruchten. Die Samen selbst leben nur füreinen kurzen Moment im Bewußtsein, als blitzartige Erkenntnis,aber ohne sie wäre das Ei des philosophischen Gedankensunfruchtbar. Durch den Samen befruchtet, der beim Akt derBefruchtung verschmilzt, wird ein Wachstumsprozeß im formlosenGedankensamen ausgelöst, und nach Ablauf eines Reifeprozesses,der sich unterhalb der Bewußtseinsschwelle abspielt, gebiert derGeist eine Idee.Wenn wir aus unserem Geist das Bestmögliche machen wollen, müssenwir uns diesem Prozeß öffnen, dieser Befruchtung unseres Geistesdurch etwas außerhalb unseres Existenzbereiches und demReifeprozeß unterhalb unserer Bewußtseinsschwelle. Die Riteneiner Einweihungszeremonie sollen diesen befruchtenden Einflußauf den Geist des Einzuweihenden herbeiführen. Deshalb sind diePfade des Baumes, die gleichbedeutend sind mit den verschiedenenStufen der Erleuchtung der Seele, so eng mit dem Symbolismus derEinweihungszeremonien verbunden.

Page 30: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

6. Otz Chiim, der Baum des Lebens

Bevor wir die Bedeutung einer einzelnen Sephirah verstehenkönnen, müssen wir zunächst in groben Zügen Otz Chiim als Ganzesverstehen lernen.Es handelt sich hier um eine Glyphe, ein zusammengesetztesSymbol, das den Kosmos in seiner Ganzheit und die Beziehungen dermenschlichen Seele zu ihm darstellen soll. Je mehr wir uns mitdieser Glyphe beschäftigen, desto öfter werden wir feststellen,daß sie eine erstaunlich passende Darstellungsform ist. Wirbenutzen den Baum des Lebens wie der Techniker oder derMathematiker seinen Rechenschieber benutzt, um die Zusammenhängeder Existenz zu zerlegen und zu berechnen, die sichtbaren und dieunsichtbaren, die äußerlichen Zusammenhänge und die Zusammenhängein den geheimen Tiefen der Seele.Der Baum wird, wie wir es im Diagramm III sehen können, als eineEinheit von zehn Kreisen dargestellt, die eine bestimmteAnordnung haben und untereinander durch Linien verbunden sind.Diese zehn Kreise sind die Sephiroth, und die Linien, die siemiteinander verbinden, 22 an der Zahl, werden Pfade genanntJede Sephirah (Einzahl des Wortes Sephiroth) steht für eineEntwicklungsphase. In der Sprache der Rabbis werden sie die zehnheiligen Emanationen genannt. Die Pfade, die sie verbinden, sindsubjektive Bewußtseinsstufen, die Pfade oder Stufen (lateinisch:gradus — Stufe), in denen die Seele den Kosmos erfaßt. DieSephiroth sind objektiv, die Pfade subjektiv.Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, daß ich hier nichtdie traditionelle Kabbala der Rabbis als historische Kuriositätbehandeln will, sondern die Kabbala, die sich in Generationen derForschung aus ihr heraus entwickelt hat Alle Forscher warenEingeweihte, einige von ihnen Adepten, und sie haben den Baum desLebens zum Instrument ihrer spirituellen Entwicklung und ihrermagischen Arbeit gemacht. Ich spreche hier von der modernenKabbala oder auch alchemistischen Kabbala, wie sie manchmalgenannt wird. Sie enthält, wie wir bald sehen werden, neben dentraditionellen Überlieferungen der Rabbis eine ganze Mengeanderer Dinge.Wir wollen uns jetzt mit der Anordnung und Bedeutung desLebensbaumes im allgemeinen befassen. Die Kreise, die dieSephiroth darstellen, sind in drei vertikalen Säulen angeordnet(vgl. Diagramm I). Am Kopf der mittleren Säule, höher als alleanderen Sephiroth, finden wir Kether, die Sephirah, die imvorigen Kapitel besprochen wurde, als höchsten Punkt des oberstender von den Sephiroth gebildeten Dreiecke. Ich möchte noch einmaldie Worte MacGregor Mathers zitieren: »Der grenzenlose Ozeannegativen Lichtes geht nicht von einem Zentrum aus, denn er hat

Page 31: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

kein Zentrum, aber er kondensiert zu einem Zentrum, und diesesZentrum ist die Nummer Eins der manifesten Sephiroth, Kether. dieKrone, die erste Sephirah.«Mme. Blavatsky verwendet den aus östlichen Quellen stammendenBegriff »Der Punkt im Kreis«, um das erste Werden derManifestation auszudrücken. Diese Vorstellung findet sich auch indem von den Rabbis stammenden Begriff, Nequdah Rashunah, derUrpunkt, wie Kether genannt wurde.Kether nimmt im Raum keinen Platz ein. Das Or En Soph wurde auchals Kreis bezeichnet, dessen Zentrum überall, dessen Umfang abernirgendwo ist, eine Aussage, die wie so viele andere imOkkultismus nicht faßbar ist, im Geist aber eine Vorstellungerzeugt und so ihren Zweck erfüllt. Kether (das gleiche gilt auchfür die anderen Sephiroth) ist ein bestimmter Seinszustand. Wirdürfen nicht vergessen, daß die Ebenen im Empyräum nichtaufeinandergetürmt sind wie die Stockwerke eines Gebäudes,sondern daß sie verschiedene Seinszustände darstellen, und daßsie, obwohl zeitlich nacheinander entstanden, räumlich gesehengleichzeitig existieren. Alle Formen des Seins sind in einemeinzigen Wesen vorhanden. Das wird uns klar, wenn wir darandenken, daß der Mensch aus einer Physis, aus Gefühlen, Verstandund Geist besteht, die alle gleichzeitig im gleichen Raumexistieren.Wenn wir eine erhitzte Flüssigkeit am Sättigungspunkt beobachten,wie sie danach beim Erkalten kristallisiert, haben wir einbrauchbares Symbol für Reiher gefunden. Füllen Sie ein Glas mitkochendem Wasser und lösen Sie darin soviel Zucker auf, wie dasWasser aufnimmt, und dann beobachten Sie, wie beim Erkalten derLösung Zuckerkristalle entstehen. Wenn Sie das selbstausprobieren und nicht nur darüber lesen, werden Sie einegedanklich anwendbare Vorstellung haben, wie das erste Sein ausdem Ur - Nichts entstanden ist. Die Flüssigkeit ist zunächsttransparent und formlos, aber dann geht eine Wandlung mit ihrvor. Es bilden sich Kristalle, die eine feste, sichtbare,endgültige Form haben. Etwa so können wir auch begreifen, daß dasunendliche Licht eine Wandlung durchläuft und sich Ketherherauskristallisiert.Ich möchte an dieser Stelle nicht tiefer auf das Wesen einereinzelnen Sephirah eingehen, sondern nur generell den Aufbau desBaumes behandeln. Wir werden immer wieder auf dieses Themazurückkommen, bis wir ein allumfassendes Konzept zur Verfügunghaben. Das kann nur Schritt für Schritt geschehen, und wenn derSchüler sich lange mit einem Punkt beschäftigt, bevor er eineallgemeine Vorstellung entwickelt hat, ist das meistens reineZeitverschwendung, denn der Einfluß dieses Punktes auf das Ganzeist noch nicht erfaßt. Die Rabbis geben Kether die Namen dasVerborgene des Verborgenen und die unergründliche Höhe. DieBezeichnungen deuten an, daß der menschliche Geist nicht hoffen

Page 32: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

darf, viel von Kether zu begreifen.Es ist an dieser Stelle erwähnenswert, daß das exoterischeJudentum, dessen nicht unbedingt glückliches Erbe das Christentumangetreten hat, keine Emanationen und kein Überfließen einerSephirah in eine andere kennt. Dort heißt es, daß Gott das Meerund die Berge und die Tiere auf dem Felde schuf, und wir stellenuns das, wenn überhaupt, so vor, daß ein himmlischer Handwerkerjede neue Form der Manifestation kreiert und das Endprodukt dannauf seinen Platz in der Welt stellt. Diese Vorstellung hat dieWissenschaft in Westeuropa jahrhundertelang in ihrer Entwicklunggehemmt und dazu geführt, daß sich die Wissenschaftler von derReligion distanzieren mußten und dann als Ketzer verfolgt wurden.Und all das nur, um zu einem Evolutionskonzept zu kommen, das inder mystischen Tradition Israels ausdrücklich gelehrt wurde,einer Tradition, die den Schreibern des Alten Testamentszweifellos vertraut gewesen sein muß, denn ihr Werk steckt vollerkabbalistischer Bezüge und Einflüsse.Die Kabbala betrachtet Gott nicht als Schöpfer jeder einzelnenPhase der Schöpfung, sondern sagt, daß jede Phase derManifestation sich aus einer anderen Phase heraus entwickelt hat,so als ob jede Sephirah ein Gefäß wäre, das sich, wenn es gefülltist, in das nächst tieferliegende Gefäß hinein ergießt. Um esnoch einmal mit MacGregor Mathers Worten zu sagen, ist in derEichel eine Eiche versteckt, die wiederum Eicheln hat, und injeder dieser Eicheln befindet sich eine neue Eiche mit ihrenEicheln. So enthält jede Sephirah das Potential aller ihr beimProzeß des Herunterfließens der Manifestation nachfolgendenSephiroth. In Kether sind alle nachfolgenden Sephiroth, neun ander Zahl, enthalten, und Chockmah, die zweite Sephirah, enthältdas Potential aller acht ihr nachfolgenden Sephiroth. In jederSephirah entfaltet sich aber nur ein einziger Aspekt derManifestation. Alle nachfolgenden Aspekte sind latent in ihrvorhanden, und die vorhergehenden Aspekte werden von ihrreflektiert. Diese Aspekte sind sozusagen ein Stadium früherherauskristallisiert worden und nicht länger Teil der Lösung,nicht länger Teil des ausfließenden Stroms der Manifestation, dersich beständig aus dem Nichts durch den Kanal Kether ergießt.Wenn wir zum Beispiel die Wesensessenz, die Grundlage derManifestation eines bestimmten Seinstypus suchen, können wir siein der ihm entsprechenden Sephirah finden, wenn wir über dieUrform dieser Sephirah meditieren. Es gibt vier Formen oderWelten in der kabbalistischen Vorstellung, die wir an geeigneterStelle behandeln werden. Ich erwähne sie hier nur, damit derSchüler genügend Hintergrund hat, um sich ein perspektivischesBild zu machen.Für jeden Schüler wird es hilfreich sein, sich mit den Kapitelnaus Annie Besants Buch Uralte Weisheit zu befassen, die dieEvolutionsphasen behandeln. Dort wird auf das Thema, das wir hier

Page 33: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

behandeln, genauer eingegangen, auch wenn Annie Besant nicht dasgleiche Klassifizierungsmodell zugrunde legt wie wir.Wir wollen uns Kether wie einen Brunnen vorstellen, dessen Beckensich füllt und dann überfließt. Das Nichts fließt ständig untergroßem Druck in Kether und kommt dann an einen Punkt, wo dieEvolution innerhalb der sehr einfachen Existenzformen, die wir imersten Sein antreffen, bis an ihre Grenzen gelangt ist Allemöglichen Verbindungen sind entstanden, und sie haben allemöglichen Kombinationen durchlaufen. Aktion und Reaktion sindstereotyp, und eine neue Entwicklung ist nicht mehr möglich,außer der Verbindung der Verbindungen untereinander. Die Krafthat alle möglichen einfachen Einheiten geschaffen, und dienächste Entwicklungsphase ist, daß sich diese Einheiten zukomplexeren Strukturen verbinden. An diesem Punkt beginnt sicheine höhere organische Existenzform zu entwickeln. Alles, wasbereits da ist, existiert weiter, aber das Neue, das sichentwickelt, ist mehr als die Summe der vorher vorhandenen Teile,denn es werden neue Eigenschaften herausgebildet In dieser neuenEvolutionsphase entsteht eine veränderte Form des Lebens. So wiesich Kether aus dem unendlichen Licht herauskristallisiert hat,so kristallisiert sich die zweite Sephirah, Chockmah, aus Ketherheraus. Sie ist enthalten in dieser neuen Lebensform, dieserneuen Form von Aktion und Reaktion, die nicht mehr einfach unddirekt ist, sondern komplex und tangential. Wir haben jetzt zweiLebensformen: die Einfachheit Kethers und die relativeKomplexität Chockmahs. Beide Formen sind noch so einfach, daßkeine uns bekannte Art von Leben in ihnen existieren könnte, unddoch sind sie die Vorläufer des organischen Lebens. Man könnte esso ausdrücken, daß Kether der erste Akt der Manifestation ist,ein Zustand reinen Werdens, Reshith ha - Gilgulim, die erstenStrudel, der Anfang der wirbelnden Bewegung wie die Kabbalistensagen. Die Alchemisten nennen es Primum Mobile. Chockmah, diezweite Sephirah, wird von den Rabbis Mazzaloth, die Sphäre desZodiaks, genannt. Hier wird der Kreis mit seinen Segmenteneingeführt. Die Schöpfung hat sich fortentwickelt. Aus dem Ureihat sich die Schlange entwickelt, die ihren Schwanz im Maul hält,wie Mme. Blavatsky in ihrer unschätzbaren Fundgrube archaischerSymbolik Die Geheimlehre und Entschleierte Isis schreibt.Ähnlich wie Kether in Chockmah überfließt, fließt Chockmah inBinah, die dritte Sephirah, über. Die Wege, denen die Emanationenbei diesem ständigen Überfließen folgen, werden im Baum desLebens durch einen Lichtblitz dargestellt, in einigen Diagrammenauch durch ein Schwert. Wenn wir uns das Diagramm I anschauen,werden wir feststellen, daß der Blitz aus Kether heraus nachunten rechts einschlagen muß, um Chockmah zu erreichen, und sichdann auf gleicher Höhe und von Kether aus gesehen gleichweit nachlinks bewegt und Binah entstehen läßt. Das Ergebnis ist einDreieck innerhalb der Glyphe, das Dreieck der drei Überirdischen

Page 34: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

oder die erste Trinität, die von den anderen Sephiroth durch denAbgrund getrennt ist, den das normale menschliche Bewußtseinnicht überwinden kann. Dort liegen die Wurzeln des Seins vorunseren Augen verborgen.

7. Die drei Überirdischen

Nachdem wir uns im Groben mit der Entwicklung der drei erstengöttlichen Emanationen befaßt haben, sind wir jetzt soweit, einentieferen Einblick in ihr Wesen und ihre Bedeutung zu nehmen, dennjetzt können wir sie zueinander in Beziehung setzen. Nur so isteine Erforschung der Sephiroth möglich, denn eine einzelneSephirah ist ohne Bedeutung. Der Baum des Lebens ist vor allemein System von Beziehungen, Gewichtungen und Reflektionen (vgl.Diagramm II).In den Büchern der Rabbis finden sich eigenartige Bezeichnungenfür die Sephiroth, und wir können viel lernen, wenn wir uns mitihnen befassen. Jedes der Worte in diesen Büchern ist von großerBedeutung, keins davon wurde lediglich aufgrund seiner poetischenMethaphorik gewählt, jedes ist so präzis wie einwissenschaftlicher Begriff, ja ist im Grunde ein solcher.Das Wort Kether, das haben wir bereits festgestellt, bedeutetKrone. Chockmah bedeutet Weisheit und Binah Verstehen. InVerbindung mit den beiden letztgenannten Sephiroth existiert eineeigenartige und mysteriöse dritte Sephirah, die im Baum nieerscheint. Es ist Daath, die unsichtbare Sephirah Wissen, diesich aus der Verbindung von Chockmah und Binah gebildet habensoll und an der Spitze einer Pyramide sitzt, deren Sockel Kether,Chockmah und Binah bilden.Wir wollen jetzt die drei Überirdischen nach der Methode dermystischen Kabbala beleuchten, die darin besteht, den verstandmit allen Entsprechungen und den dazugehörigen Symbolen zufüttern und dann die Kontemplation daran arbeiten zu lassen.Es wäre zu bemerken, daß diese drei Sephiroth sowie diegeheimnisvolle vierte sich in ihrer Symbolik alle auf den Kopfbeziehen, der beim archetypischen Menschen die höchsteBewußtseinsebene darstellt. Wenn wir uns in der rabbinischenLiteratur umschauen, um zu sehen, welche anderen Namen dieseSepiroth dort haben, werden wir feststellen, daß sich dort nochmehr Kopf - Symbolik findet Was die anderen obengenanntenSephiroth betrifft, so werden sie zwar nicht explizit genannt,man kann aber davon ausgehen, daß sie in dieser Symbolikebenfalls mit eingeschlossen sind, da sie Aspekte von Kether aufeiner tiefer liegenden Ebene darstellen.Die Rabbis gaben Kether unter anderen Bezeichnungen, die uns hiernicht interessieren, die Namen Arik Anpin, das große Antlitz, das

Page 35: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

weiße Haupt und das Haupt, das nicht ist. Das magische Symbol fürKether ist nach Crowley ein alter, bärtiger König, der vom Profilher zu sehen ist. MacGregor Mathers sagt:»Die Symbolik des, großen Antlitzes ist ein Profil, das nur eineSeite des Gesichtes zeigt, oder, wie es in der Kabbala heißt: ,Erist nur rechte Seite'. Die linke Seite, die dem Nichts zugewandtist, ist für uns wie die dunkle Seite des Mondes.Kether ist in erster Linie die Krone. Nun ist die Krone abernicht der Kopf, sondern sie sitzt auf ihm und über ihm. Deshalbkann Kether nicht das Bewußtsein sein, sondern, mikrokosmischgesehen, der Rohstoff der Existenz. Wir müssen ja den Baum, wiewir bereits wissen, von zwei Seiten her betrachten:einerseits als das Universum und andererseits als die Seele desMenschen, wobei die beiden Seiten sich gegenseitig beleuchten. Umes mit den Worten auf der Smaragdtafel des Hermes zu sagen: »Wieoben, so unten.«Bevor Kether die phänomenale Existenzform erlangt, teilt sie sichin Chokmah und Binah, und diese beiden Sepiroth nennen dieKabbalisten Abba, den höchsten Vater, und Ama, die höchsteMutter. Binah wird auch als das große Meer und als Shabbathai,die Sphäre Saturns, bezeichnet. Gehen wir weiter, so stellen wirfest, daß die Sepiroth nacheinander die Namen der verschiedenenSphären der Planeten tragen. Binah ist die erste Emanation, dieeinen solchen Namen erhält. Kether heißt auch erste Wirbel, undChockmah wird als die erste Sphäre des Zodiaks bezeichnet.Saturn ist der Göttervater, der mächtigste der alten Götter, dieals Vorfahren der Götter des Olymps gelten und die von Jupiterregiert werden. Bei den geheimen Bezeichnungen, die den Tarot -Trümpfen zugeordnet sind, wird der Pfad des Saturn laut Crowleyder große Pfad der Nacht der Zeit genannt.Kether spaltet sich also in eine aktive, männliche Kraft,Chockmah, und eine passive, weibliche Kraft, Binah. Beide bildenjeweils das obere Ende der beiden seitlichen Säulen, wenn man dieAnordnung der Sephiroth im Baum vertikal betrachtet Die linkedieser beiden Säulen, unterhalb von Binah, heißt Härte, dierechte trägt den Namen Barmherzigkeit, und die mildere Säuleunterhalb von Kether ist die Säule der Milde. Es heißt von ihr,daß sie die Säule des Gleichgewichts ist. Die beiden seitlichenSäulen gelten auch als die Säulen von König Salomons Tempel undsind bei allen Mysterienlogen zu finden. Der Prüfling selbstbildet die mittlere Säule, die Säule des Gleichgewichts, wenn erzwischen ihnen steht.Hier treffen wir auf die von Mme. Blavatsky vertretene Meinung,daß eine Manifestation ohne die Differenzierung in Gegensatzpaarenicht möglich ist Kether differenziert seine beiden Aspekte zuChockmah und Binah, und die Manifestation ist im Werdenbegriffen. Dieses erhabene Dreieck, das Haupt, das nicht ist, derVater und die Mutter, sind die Wurzel unserer Kosmogonie, und wir

Page 36: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

werden immer wieder unter verschiedenen Aspekten auf siezurückkommen, wobei wir jedesmal Erleuchtung erlangen. Es war inden vorangehenden Kapiteln nicht mein Anliegen, einen derangesprochenen Punkte erschöpfend zu behandeln. Die Gründe dafürsind bekannt: Ein Schüler, der mit diesem Thema vertraut ist (undes gibt wenig Schüler, die damit vertraut sind), verfügt nochnicht über die nötigen geistigen Voraussetzungen und Fakten, umin einem genaueren Studium die Bedeutung zu erfassen. Im Momentsind wir dabei, diese Voraussetzungen hinzustellen wie Möbel, undzum geeigneten Zeitpunkt werden wir damit beginnen, ihnen ihrenfesten Platz im Hause des Lebens zu geben und dieses Haus genauerzu studieren.Binah, die große Mutter (im Gegensatz zu Malkuth, der unterenMutter, der Braut des Mikroposopos, der Isis der Natur, derZehnten Sephirah) hat zwei Aspekte. Den Aspekt der Ama, derdunklen, unfruchtbaren Mutter, und den Aspekt der Aima, derhellen, fruchtbaren Mutter. Wir haben bereits erwähnt, daß siedas Große Meer genannt wird, nämlich Marah, was nicht nur bitterheißt, sondern auch die Wurzel für Maria ist. An dieser Stelletreffen wir wieder auf die Idee der Mutter, zunächst als Jungfrauund später als Schwangere, die ein Kind vom Heiligen Geistempfängt.Binah wird mit Meer assoziiert, was uns daran erinnert, daß derUranfang des Lebens im Element Wasser liegt. Venus, diearchetypische Frau, stieg aus dem Meer. Die Assoziation mitSaturn legt den Begriff des Urzeitalters nahe. »Bevor die Götter,die diese Götter schufen, am Vorabend ihren Durst gelöscht hatten...« Diese Assoziation läßt ebenfalls die Vorstellung derältesten Steine aufkommen: »In der schattigen Stille des Tales...saß der grauhaarige Saturn so still wie ein Stein.« Max Heindelspricht von den Herren der Form als einer der ältestenEvolutionsphasen, und ein inspiriertes Werk in meinem Besitz, TheCosmic Doctrine, setzt die Herren der Form mit den Gesetzen derGeologie gleich.Wenn wir nun zur Symbolik der beiden seitlichen Säulen des Baumeszurückkehren, erkennen wir in Chokmah und Binah Kraft und Form,die beiden Elemente der Manifestation.Es wäre sinnlos, im Moment noch weiter in die endlosenVerzweigungen dieses Symboles einsteigen zu wollen, denn dasführt uns über die drei Sephiroth, die wir behandelt haben,hinaus. Wir wollen uns jetzt näher mit der mysteriösen SephirahDaath beschäftigen, die nie im Baum erscheint die keinengöttlichen Namen hat, der keine Engelsschar zugeordnet wird unddie auch keine weltliche Entsprechung in Form eines Planeten odereines Elementes hat, im Gegensatz zu allen anderen Stationen desLebensbaumes.Wie bereits erwähnt, entsteht Daath durch die Verbindung vonChockmah und Binah. Abba, der höchste Vater, heiratet Ama, die

Page 37: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

höchste Mutter, und das Ergebnis ist Daath. Die Kabbalistenbenutzen einige eigenartige Namen für Daath, von denen wir hierein paar anführen wollen.Im Vers 38 des Buches der Geheimnisse (in der englischenÜbertragung von Mathers der lateinischen Übersetzung von KnorrVon Rosenroth) heißt es: »Denn Vater und Mutter sind in Jesod,dem Fundament, der neunten Sephirah, auf ewig verbunden, aberverborgen unter dem Geheimnis von Daath, dem Wissen.« In Vers 40lesen wir über Daath: »Der Mensch, der sagen wird, ich bin desHerrn, wird herabsteigen... Yod (der zehnte Buchstabe deshebräischen Alphabets), ist die Grundlage des Wissens über denVater, aber alle Dinge werden Byodo genannt, das heißt, alleDinge in diesen Erklärungen beziehen sich auf Yod. Alle Dingehängen zusammen in der Zunge, die in der Mutter verborgen ist Dasheißt in Daath oder dem Wissen, wo Weisheit mit Verstehen gepaartwird, und dem herrlichen Pfad (Tiphereth, der sechsten Sephirah)mit seiner Braut, der Königin (Malkuth, der zehnten Sephirah).Das ist der verborgene Gedanke oder die Seele, die die ganzeEmanation durchzieht. Weil es geöffnet ist für das, was aus sichselbst entsteht Das bedeutet, Daath selbst ist der herrlichePfad, aber auch der innere, von dem Moses spricht. Und dieserPfad liegt verborgen in der Mutter und ist das Medium seinerVerbindung.« Wenn wir uns verdeutlichen, daß Yod imhinduistischen System dem Lingam entspricht, und daß Kether,Daath und der herrliche Pfad (Tiphereth, die sechste Sephirah)auf der mittleren Säule des Baumes liegen - die mittlere Säuleentspricht dem Rückgrat des Menschen, dem Mikrokosmos - , undwenn wir uns noch vor Augen führen, daß die Kundalini in Jesodzusammengerollt liegt, ebenfalls auf der mittleren Säule, dannhaben wir damit einen wichtigen Schlüssel für jene gefunden, dieihn zu benutzen verstehen.In der Großen Heiligen Versammlung, Vers 566 (Mathers'Übersetzung), lesen wir über das Haupt des Mikroposopos', dessenganzer Körper als Glyphe für den Kosmos gesehen wurde: »Von derdritten Höhle gehen tausend mal tausend geheime Zusammenkünfteund Versammlungen aus, in denen Daath, das Wissen, enthalten istund wohnt. Und der hohle Raum dieser Höhle ist zwischen denbeiden anderen Höhlen; und alle diese geheimen Zusammenkünftewerden von beiden Seiten gefüllt. So steht es in den Worten: »Undim Wissen (Daath) werden die Zusammenkünfte gefüllt werden! Unddiese drei dehnen sich über den ganzen Körper aus, auf der einenSeite wie auf der anderen, und durch sie hängt der ganze Körperzusammen, und der Körper wird durch sie eingeschlossen auf beidenSeiten, und sie werden auf den ganzen Körper ausgedehnt undverteilt.«Wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, daß Daath an dem Punkt liegt,wo der Abgrund die mittlere Säule in zwei Hälften teilt, und daßoben an der mittleren Säule der Pfad des Pfeils liegt, der Weg,

Page 38: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

den das Bewußtsein nimmt, wenn der übersinnliche Mensch dieEbenen emporsteigt, und wenn wir uns darüber hinaus daranerinnern, daß dort auch die Kundalini liegt, begreifen wir, daßDaath das Geheimnis der Erzeugung und der Erneuerung in sichbirgt, den Schlüssel zur Manifestation aller Dinge durch dieDifferenzierung in Gegensatzpaare und ihre Vereinigung in einemDritten.So entfaltet der Baum seine Geheimnisse vor den Kabbalisten. Daszweite Dreieck im Baum bilden die Sephiroth Chesed, Geburah undTiphereth. Chesed entsteht durch das Überfließen Binahs und liegtauf der rechten Säule der Barmherzigkeit, direkt unter Chockmah.Der Lichtblitz, der den Weg der Emanationen im Baum anzeigt,richtet sich von Binah, am oberen Ende der Säule der Härte querüber die Glyphe nach rechts auf Chesed, die in der Mitte derSäule der Barmherzigkeit angeordnet ist. Danach wendet sich derLichtblitz horizontal nach links und trifft in der Mitte derSäule der Härte auf die Sephirah Geburah. Dann richtet sich dasSymbol der emanierenden Kraft auf Tiphereth, in der Mitte derSäule der Milde oder des Gleichgewichts. Diese drei Sephirothbilden das zweite Funktionsdreieck im Baum, mit dem wir unsbefassen müssen. Auch wenn wir ihre Symbolik nicht erschöpfendbehandeln wollen, bevor wir unsere schematische Untersuchung desGesamtsystems abgeschlossen haben, müssen wir sie doch so weitbeleuchten, daß wir wichtige Hinweise bezüglich ihrer Bedeutungerhalten und ihnen den gebührenden Platz in dem Konzept gebenkönnen, mit dessen Aufstellung wir gerade beschäftigt sind.Dieses Konzept ist so umfangreich und vielfältig in seinenDetails, daß der Versuch, es von A bis Z zu erarbeiten, imDurcheinander enden muß. Der Schüler kann seine Bedeutung nurstückweise erfassen, weil ein Aspekt den anderen erklärt. MeineMethode der Einführung in den Baum mag vom Standpunkt dessystematischen Denkens aus gesehen nicht gerade ideal erscheinen,aber sie ist meiner Meinung nach die einzig mögliche, damit derSchüler »einen Einstieg« in das Thema bekommt. Ich habe meineigenes Studium der Mystik an diesem Baum absolviert; ich habelange Jahre mit ihm gelebt und mich mit ihm beschäftigt, und ichdenke, daß ich genügend Erfahrung habe, um vom Standpunkt derangewandten Mystik aus über ihn zu berichten. Ich weiß auseigener Erfahrung, auf welche Schwierigkeiten man bei derErarbeitung des kabbalistischen Systems stößt, das zwarkompliziert, abstrakt und umfangreich ist, aber ebenso umfassendund befriedigend, wenn man es erst einmal gemeistert hatBevor wir uns mit dem zweiten Dreieck im Baum als Ganzes befassenkönnen, müssen wir zunächst die Bedeutung der drei Sephirothkennen, aus denen es sich zusammensetzt. Chesed bedeutet Gnadeoder Liebe. Man nennt sie auch Gedulah, Größe oder Großartigkeit,und sie gehört zur Spare des Planeten Jupiter. Geburah bedeutetStärke und heißt auch Pachad, Furcht. Zu dieser Sephirah gehört

Page 39: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

die Sphäre des Planeten Mars. Tiphereth heißt Schönheit und istder Sphäre der Sonne zugeordnet. Wenn die Götter derverschiedenen heidnischen Pantheone zu den Sphären des Baumes inBeziehung gesetzt werden, stellt sich heraus, daß die geopfertenGötter zu Tiphereth kommen, weshalb diese Sephirah in derchristlichen Kabbala auch das Christuszentrum genannt wurde.Jetzt verfügen wir über genügend Material, um das zweite Dreieckzu untersuchen. Der Gegensatz Jupiters, des mildtätigenHerrschers und Gesetzgebers, ist Mars, der Krieger, die feurige,zerstörerische Kraft, und die beiden werden durch Tiphereth, denErlöser, ins Gleichgewicht gebracht Im höchsten Dreieck emaniertdie erste Sephirah ein Gegensatzpaar, das die beiden Seiten ihresWesens darstellt: Chockmah, Kraft, und Binah, Form, die erstemännlich, die zweite weiblich. Im zweiten Dreieck treffen wir aufein Gegensatzpaar, das sein Gleichgewicht in einer drittenSephirah findet, die auf der mittleren Säule liegt. Daraus könnenwir schließen, daß beim ersten Dreieck sein Ursprung von großerBedeutung ist, während beim zweiten Dreieck eher das wichtig ist,was es hervorbringt. Im ersten Dreieck sind die Kräfteversinnbildlicht, die die Substanz des Universums schaffen, imzweiten Dreieck sind die Kräfte dargestellt, die auf das sichentwickelnde Leben ordnend einwirken. In Chesed finden wir denweisen, freundlichen König, den Vater seines Volkes, der seinReich ordnet, Handel und Gewerbe aufbaut, die Bildung fördert undseinem Volk die Geschenke der Zivilisation bringt. In Geburahtreffen wir auf den kriegerischen König, der sein Volk im Kampfführt, sein Königreich gegen die Angriffe des Feindes verteidigt,seine Landesgrenzen erweitert, Verbrechen bestraft und Übeltätervernichtet. In Tiphereth erkennen wir den Retter, der am Kreuzstirbt, um sein Volk zu retten und so Geburah und Gedulah (oderChesed) ins Gleichgewicht bringt. So verbinden sich dieBarmherzigkeit Gedulahs und die Härte Geburahs, um die Völker zuheilen.Hinter Tiphereth durchkreuzt Parokheth, der Schleier des Tempels,den Baum. Er ist auf einer tiefer gelegenen Ebene, die die dreiÜberirdischen vom übrigen Baum trennt, die Entsprechung zumAbgrund. Wie der Abgrund, so steht auch der Schleier für eineKluft im Bewußtsein. Die Art der geistigen Vorgänge auf der einenSeite der Kluft unterscheidet sich von den auf der anderen Seitevorherrschenden geistigen Prozessen. Tiphereth ist die höchsteEbene, zu der das menschliche Bewußtsein aufsteigen kann. AlsPhilippus zu unserem Herrn sagte: »Zeig uns den Vater«,antwortete Jesus: »Der mich gesehen hat, der hat auch den Vatergesehen.« Was der menschliche Geist über Kether begreifen kann,ist ihre Reflektion in Tiphereth, dem Christuszentrum, der Sphäreder Sonne. Parokheth ist der Vorhang des Tempels, der bei derKreuzigung zerissen wurde.Jetzt kommen wir im Rahmen unserer allgemeinen Erforschung zum

Page 40: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

dritten Dreieck, das sich aus den Sephiroth Netzach, Hod undJesod zusammensetzt. Netzach ist die unterste Sephirah an derSäule der Barmherzigkeit, Hod die unterste an der Säule derHärte, und Jesod liegt auf der Säule der Milde oder desGleichgewichts, direkt unter Kether und Tiphereth. Das dritteDreieck ist also das genaue Abbild des zweiten Dreiecks auf einemtiefergelegenen Boden.Netzach bedeutet Sieg, und diese Sephirah wird der Sphäre desPlaneten Venus zugeordnet; Hod heißt Herrlichkeit und gehört zurSphäre des Planeten Merkur; Jesod, Fundament, fällt in die Sphäredes Mondes.Für das zweite Dreieck bietet sich die Bezeichnung ethischesDreieck an, das dritte Dreieck könnte man das magische Dreiecknennen. Wenn wir nun in Reiher die Sphäre der Drei - in - Einemsehen, die ungeteilte Einheit, in Tiphereth die Sphäre desErlösers oder Sohnes, dann können wir wohlbegründet Jesod als dieSphäre des Heiligen Geistes bezeichnen. Diese Aufteilung derchristlichen Dreieinigkeit auf die Symbole des Baumes fügt sichbesser in die Glyphe ein als die Zuordnung der Trinität zumhöchsten Dreieck, wobei der Gottessohn an der Stelle Abbas, desVaters, und der Heilige Geist an der Stelle Amas, der Mutter,stünde, was ganz offensichtlich unsinnig ist und schon zu vielenWidersprüchen in den Entsprechungen und der Symbolik geführt hat.Hier zeigt sich der Wert des Baumes als Möglichkeit zurÜberprüfung von Visionen und Meditationen. Eine korrekteZuordnung läßt sich im Baum über schier endlose Symbolketten und- Verzweigungen verfolgen, wie wir am Beispiel der Zuordnung vonBinah zum Begriff der Mutter gesehen haben; eine falscheZuordnung wird bereits beim ersten Versuch, der Kette derEntsprechungen zu folgen, augenscheinlich. Es ist erstaunlich,welch verzweigte Assoziationsketten sich aufstellen lassen, wenndie Zuordnung korrekt ist. Es scheint, als ob lediglich unserWissensstand die Länge der Assoziationskette bestimmt, die sichlogisch aneinanderreihen läßt, und dieses Wissen wird mit derWissenschaft, der Kunst, der Mathematik und der Entwicklung derGeschichte, mit Ethik, Psychologie und Physiologie ständigwachsen. Höchstwahrscheinlich sind die Gelehrten des Altertumsdurch diese Methode, die geistigen Fähigkeiten einzusetzen, zuihren vorzeitigen Erkenntnissen über naturwissenschaftlicheZusammenhänge gelangt, deren Bestätigung erst viel später durchdie Erfindung der geeigneten Präzisionsinstrumente erfolgenkonnte. Wichtige Hinweise über diese Methode finden wir in deranalytischen Psychologie, speziell bei der Traumanalyse. Mankönnte die Methode auch als Fähigkeit des Unterbewußtseinsbeschreiben, sich verschiedener Symbole zu bedienen. Es ist einlehrreiches Experiment, den Geist mit einer Menge an sichunsinniger Symbole zu füttern und dann zu verfolgen, wie sie sichdurch Meditation über den Baum ordnen und, ähnlich wie bei der

Page 41: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Traumanalyse, in langen Assoziationsketten die Schwelle desBewußtseins überschreiten.Netzach ist das Reich der Naturgöttin Venus. Hod ist die SphäreMerkurs, des griechischen Gegenstücks zum ägyptischen Gott Thoth,Herrscher über die Bücher und die Gelehrsamkeit. Wir vermutenrichtig, daß dieses Gegensatzpaar sein Gleichgewicht in Jesod,der Sphäre des Mondes, findet. Dieses Dreieck wird also gebildetvon der Herrscherin über die Natur, dem Herrscher über die Bücherund der Meisterin der Zauberei. Mit anderen Worten stehen dasUnterbewußtsein und das Über - Bewußtsein in der Sphäre desÜbersinnlichen in Verbindung miteinander.Jeder, der in der mystischen Praxis bewandert ist, weiß, daß esdrei Pfade des Über - Bewußtseins gibt: devoter Mystizismus, derzu Tiphereth gehört, Mystizismus in der Art der »berauschenden«dionysichen Zeremonien, entsprechend der Sphäre der Venus,Netzach, und intellektueller Mystizismus okkulter Art, der Hod,dem Reich Thoths, des Meisters der Magie, entspricht. Tiphereth,das läßt sich bei Betrachtung des Baumes sagen, steht auf einerhöheren Ebene als die das dritte Dreieck bildenden Sephiroth, undJesod liegt sehr nahe an der Sphäre der Erde.Alle Götter, in deren Symbolik der Mond auftaucht, gehören zuJesod: Luna selbst, Hekate, die Herrscherin über die SchwarzeMagie, und Diana, die Schutzpatronin der Geburt. Der Mond selbst,Jesod in Assia, wie die Kabbalisten sagen würden, mit seinem 28 -Tage - Rhythmus, deckt sich mit dem Monatsrhythmus der Frau. Wennwir die Symbolik des Halbmondes in den verschiedenen Pantheonenuntersuchen, ergibt sich, daß vor allem Götter weiblichenGeschlechts mit ihm in Verbindung gebracht werden. Im Rahmenunserer Zuordnung des Heiligen Geistes zu Jesod ist esinteressant, hier anzumerken, daß der Heilige Geist lautMacGregor Mathers eine weibliche Kraft ist. In seinem BuchKabbalah Unveiled schreibt er: »Gewöhnlich wird der Heilige Geistals maskulin angesehen. Das Wort Ruach, Geist, ist jedoch, wieaus der folgenden Stelle des Sepher Jezirah hervorgeht, feminin,denn es heißt: Achath (feminin, nicht Achad, maskulin) machelohim chiim: Eins ist sie, der Geist des Elohim des Lebens.«Wenn wir davon ausgehen, daß die mittlere Säule sich aufverschiedene Bewußtseinsstufen bezieht, wird dadurch dieserGedanke weiter untermauert.Als letztes wollen wir uns mit der Sephirah Malkuth, dem Reichder Erde, beschäftigen. Sie unterscheidet sich in mehrerenPunkten von den anderen Sephiroth. Erstens ist sie kein Teileines ausbalancierten Dreiecks. Zweitens ist sie eine gefalleneSephirah, denn sie wurde durch den Fall von den anderen Sephirothgetrennt, und der drohend heruntergebeugte Drache, der sich ausder Welt der Mauern heraus erhebt, den Königreichen derungeordneten Kräfte, trennt sie von ihren Brüdern. Hinter denSchultern der Königin, der Braut des Mikroposopos' (Malkuth),

Page 42: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

erhebt die Schlange ihren Kopf; dies ist der Ort des strengstenGerichts. Das Reich Malkuths grenzt an die Höllen der abgewandtenSephiroth, der Kelippoth oder bösen Dämonen. Es ist dasFirmament, durch das Elohim die erhabenen Wasser Binahs von denhöllischen Wassern Leviatans trennte.Mit der Bedeutung der Kelippoth werden wir uns zu gegebener Zeitausführlich beschäftigen. Da wir sie hier erwähnt haben, um dieStellung Malkuths im Baum zu erläutern, müssen wir jedoch nochetwas genauer auf sie eingehen, um unsere Ausführungenverständlich zu machen.Die Kelippoth (Einzahl Kelippah, eine unsittliche Frau oder Hure)sind die Bösen oder abgewandten Sephiroth, von denen jede aus derihr entsprechenden Sphäre im heiligen Baum emaniert ist. DieseEmanationen haben zu den kritischen Zeitpunkten der Evolutionstattgefunden, zu denen die Sephiroth nicht im Gleichgewichtwaren. Deshalb werden sie als die Könige der ungeordneten Kräftebezeichnet, die Könige von Edom, die regierten, bevor es einenKönig in Israel gab, wie es in der Bibel heißt. Im SiphraDitsniutha, dem Buch des Verborgenen (Book of Concealed Mystery,Mathers' Übersetzung) heißt es dazu: »Bevor da ein Gleichgewichtwar, erblickte Antlitz nicht Antlitz. Und die Könige der altenZeit waren tot, und man fand ihre Kronen nicht mehr, und die Erdewar verwüstet.«Wir wollen unsere Voruntersuchungen des Baumes des Lebens und derAnordnung der zehn heiligen Sephiroth im Baum hiermitabschließen. Wir konnten einige Rückschlüsse auf ihre Bedeutungziehen und haben auch Hinweise dazu gefunden, auf welche Art derGeist arbeitet, wenn er sich in seinen Meditationen derkosmischen Symbole bedient. Wir sind jetzt in der Lage, jede neueInformation richtig in unser Schema einzuordnen und können einPuzzle zusammensetzen, von dessen Aussehen wir eine ungefähreVorstellung haben. Crowley hat den Baum sehr treffend mit einerAktenkartei verglichen, in der jede Sephirah eine Akte ist. Einbesserer Vergleich läßt sich kaum finden. Im Verlauf unsererStudien werden wir diese Akten füllen und Querverweise finden,die sich auf das Auftauchen des gleichen Symbols in verschiedenenAssoziationsketten gründen.

8. Die Struktur des Baumes

Die zehn heiligen Sephiroth können auf unterschiedliche Art imBaum des Lebens angeordnet werden. Man kann nicht sagen, daß eineAnordnung korrekt ist und eine andere falsch. Jede Art derAnordnung dient einem bestimmten Zweck und gibt Einblick in dieBedeutung der einzelnen Sephiroth, indem sie auf möglicheVerbindungen der Sephiroth untereinander sowie ihreGleichgewichtskonfigurationen hinweist.

Page 43: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Ein weiterer Vorteil der variablen Anordnung liegt darin, daß siees ermöglicht, die Dezimalstruktur des Baumes in Dreier - ,Vierer - und Siebenerstrukturen zu zerlegen.Die wichtigste Einteilung ist die Einteilung in drei Säulen. EinBlick auf die Diagramme macht deutlich, daß die Sephiroth sichproblemlos in drei vertikale Figuren einordnen lassen, nämlich indie drei Säulen. Sie werden die rechte Säule der Barmherzigkeit,die linke Säule der Härte und die mittlere Säule desGleichgewichts (vgl. Diagramm I) genannt.Zunächst einmal müssen wir die Bedeutung der rechtenbeziehungsweise der linken Seite des Baumes erklären. Wenn wirdas Diagramm des Baumes betrachten, sehen wir Binah, Geburah undHod auf der linken Seite und Chockmah, Chesed und Netzach auf derrechten Seite. So betrachten wir den Baum, wenn es um seinemakrokosmische Bedeutung geht. Wenn der Baum jedoch denMikrokosmos darstellen soll, also unser eigenes Wesen, würden wirsozusagen rückwärts hineingehen, so daß die mittlere Säule demRückgrat entspräche, die Säule, auf der sich Binah, Geburah undHod befinden, der rechten Seite und die Säule mit Chockmah,Chesed und Netzach der linken Seite. Die drei Säulen sind auchmit Shushumna, Ida und Pingala im Yoga zu vergleichen. Es istsehr wichtig, sich an diese seitliche Umkehrung des Baumes zuerinnern, wenn er als subjektives Symbol benutzt wird, da essonst zu Verwechslungen kommen kann. A.E. Waite hat auf derUmschlagseite seines bedeutenden Werkes über die Literatur derKabbala, The Holy Qabalah, aus wohl ihm am besten bekanntenGründen die subjektive, also seitenverkehrte Darstellungsweisedes Baumes gewählt. In den meisten Fällen wird jedoch derobjektive, nicht der subjektive Baum dargestellt. Wenn der Baumbenutzt wird, um die Kraftstrahlen der Aura aufzuzeigen, muß dassubjektive Symbol verwendet werden, damit Geburah dem rechten Armentspricht. Die mittlere Säule bleibt in allen Fällenunverändert.Die Säule der Härte wird als negativ oder feminin betrachtet, dieSäule der Barmherzigkeit als positiv oder maskulin. Oberflächlichbetrachtet mag der Eindruck entstehen, daß durch diese Zuordnungdie Symbolik nicht mehr kohärent ist; wenn wir die Säulen jedochunter Einbeziehung unserer Vorkenntnisse über die einzelnenSephiroth betrachten, werden wir feststellen, daß dieseUnvereinbarkeiten rein oberflächlicher Natur sind und daß dietiefere Symbolik völlig stimmig ist.Es zeigt sich, daß die Linie, die die fortlaufende Entwicklungder Sephiroth darstellt, im Zickzack von einer Seite der Glyphezur anderen läuft. Deswegen wurde sie passender weise alsLichtblitz bezeichnet. Dadurch wird graphisch verdeutlicht, daßdie Sephiroth abwechselnd positiv, negativ und ausbalanciertsind. Diese Darstellungsweise des Schöpfungsprozesses istwesentlich einleuchtender, als wenn die Sphären in geordneter

Page 44: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Abfolge untereinander eingezeichnet wären, da die erste Anordnungdie unterschiedliche Natur der göttlichen Emanationen einbeziehtsowie ihre Beziehungen zueinander. Wenn wir uns den Baumanschauen, sehen wir sofort die Verbindungen zwischen deneinzelnen Sephiroth, die Art und Weise ihrer Gruppierung undReflektierung und ihre Auswirkung aufeinander.Am Kopfende der negativen, femininen Säule der Härte befindetsich Binah, die höchste Mutter. Ihr wird die Sphäre Saturnszugeteilt, der der Formgeber ist. Am Kopf der Säule derBarmherzigkeit liegt Chockmah, der höchste Vater, eine männlicheKraft. Hier haben wir also die Gegenüberstellung von Form undKraft.In der zweiten Trinität stehen sich Chesed (Jupiter) und Geburah(Mars) gegenüber. Wieder handelt es sich um ein Gegensatzpaar:die aufbauende Kraft Jupiters, des Gesetzgebers und wohltätigenHerrschers, und die zerstörerische Kraft von Mars, dem Kriegerund Vernichter des Bösen. Vielleicht stellt sich hier die Frage,warum eine männliche Kraft wie Geburah auf einer weiblichen Säuleliegt. Wir sollten berücksichtigen, daß Mars eine zerstörerischeKraft ist, eines der Unglückszeichen in der Astrologie. DasPositive baut auf, das Negative zerstört. Das erste ist einekinetische Kraft, das zweite eine statische.Die gleichen Aspekte tauchen auch bei Netzach wieder auf, die amFuß der Säule der Barmherzigkeit liegt. Netzach ist die Venus,der grüne Strahl der Natur, elementare Kraft, der Beginn derGefühle. Hod entspricht Merkur oder Hermes, dem Anfang desWissens. Netzach sind Instinkte und Gefühle, eine kinetischeKraft, Hod ist der Intellekt, der konkrete Gedanke, dieReduzierung des intuitiven Wissens auf die Form.Wir sollten nie vergessen, daß jede Sephirah im Vergleich zuihrer Vorgängerin, aus der sie emaniert und von der sie ihrengöttlichen Einfluß erhält, negativ, das heißt feminin ist, und,verglichen mit ihrer Nachfolgerin, der sie den göttlichen Einflußweitergibt, positiv beziehungsweise maskulin. Jede Sephirah trägtalso beide Geschlechter in sich, wie ein Magnet, bei demzwangsweise einer der Pole negativ und der andere positiv seinmuß. Vielleicht können wir diesen Punkt durch einen Vergleich mitder Astrologie noch weiter beleuchten, wenn wir sagen, daß eineSephirah der weiblichen Säule würdig ist, wenn sie mit ihremnegativen Aspekt wirkt, und unwürdig, wenn sie positiv wirkt. Beider maskulinen Säule ist das Verhältnis genau umgekehrt. So istBinah würdig beim Aufbau von Stabilität und Dauer und unwürdig,wenn ein zu hoher Widerstand sie zu aggressivem Verhalten zwingt.Dann produziert sie Hemmnisse und instabile Materie. Chesed, dieBarmherzigkeit, ist würdig, wenn sie alle Dinge in Harmonie hält,aber unwürdig, wo Barmherzigkeit zur Sentimentalität wird und indie Sphäre Saturns eindringt, wo sie das, was die feurige Energiedes Mars — ihres Gegenstückes Geburah — eigentlich ausmerzen

Page 45: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

sollte, am Leben hält.Die zwei Säulen stellen also die positiven und negativen Kräftein der Natur dar, das Aktive und das Passive, das Zerstörerischeund das Aufbauende, sich verfestigende Form und frei beweglicheEnergie.Die Sephiroth auf der mittleren Säule sollen Bewußtseinsstufendarstellen und die Ebenen, auf denen sie agieren. Malkuth stehtfür das sensorische Bewußtsein, Jesod ist die astraleÜbersinnlichkeit, Tiphereth repräsentiert das erleuchteteBewußtsein, den höchsten Aspekt der Persönlichkeit, mit dem dasindividuelle Wesen sich verbindet. In diesem Zustand findet dieInitiation statt, wo das Bewußtsein des Höheren Selbst in diePersönlichkeit eingebracht wird. Es ist wie ein Schimmer deshöheren Bewußtseins, der durch den Schleier Parokheths dringt.Deshalb werden auch die Messiasse und Retter der Welt inTiphereth angesiedelt, weil sie die Lichtbringer der Menschheitsind, und so wie alle, die das Feuer vom Himmel auf die Erdeherunterbringen, mußten sie den Opfertod zum Wohl der Menschheitsterben. In diesem Punkt muß auch das niedere Selbst in unssterben, damit wir zum höheren Selbst aufsteigen können. »In Jesumorimor«.Die mittlere Säule geht durch Daath, durch die unsichtbareSephirah hindurch, die, wie uns bekannt ist, den alten Rabbiszufolge Wissen bedeutet, oder, in der Terminologie derPsychologen, bewußte Wahrnehmung und Verstehen. Am Kopf dieserSäule sitzt Kether, die Krone, die Wurzel allen Lebern. DasBewußtsein dringt also aus der geistigen Essenz Kethers durch dieErkenntnis Daaths, die es über den Abgrund trägt, in dasumgewandelte Bewußtsein Tiphereths, in das es durch das OpferChristus, der den Schleier Parokheths gelüftet hat, gelangenkann. Von dort aus setzt es seinen Weg fort, über dasübersinnliche Bewußtsein in Jesod, der Sphäre des Mondes, hin zumsensorischen Gedächtnis des Bewußtseins in Malkuth.So steigt das Bewußtsein im Verlauf der Involution herab. Das istein Terminus, der für die Evolutionsphase gewählt wurde, die vomNichts aus über die subtilen Ebenen der Evolution zur festenMaterie führt. Der Esoteriker sollte strenggenommen nur dieBezeichnung Evolution verwenden, wenn er vom Aufstieg der Materiezurück zum Geist spricht, denn dabei evolutioniert das, was beimHerabsteigen durch die subtilen Ebenen der Entwicklunginvolutioniert wurde. Es ist offensichtlich, daß sich nichtsentfalten kann, was nicht vorher zusammengefaltet wurde. Dieeigentliche Evolution folgt dem Lichtblitz oder dem flammendenSchwert von Kether zu Malkuth, oder anders gesagt, den Sephirothin der vorher beschriebenen Reihenfolge ihrer Entwicklung. DasBewußtsein steigt von Ebene zu Ebene herab und manifestiert sicherst, wenn die gegenüberliegenden Sephiroth im Gleichgewichtsind. Deshalb werden die Bewußtseinszustände auch den

Page 46: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ausgewogenen Sephiroth auf der mittleren Säule zugeordnet, diemagischen Kräfte jedoch den gegensätzlichen Sephiroth jeweils amanderen Ende des Strahls, der in der ausbalancierten Sephirahendet.Der Weg der Initiation führt entlang den Windungen der Schlangeder Weisheit im Baum, der Weg der Erleuchtung folgt dem Pfad desPfeils, der vom Bogen des Versprechens, Qyescheth, demastralfarbigen Regenbogen, der wie ein Lichtkranz hinter Jesodaufgeht, abgeschossen wurde. Das ist der Weg des Mystikers imGegensatz zum Weg des Okkultisten. Er ist schnell und direkt undbringt nicht die Gefahren der Versuchung und der ungeordnetenKräfte mit sich, die in jeder Säule vorhanden sind. Andererseitsverleiht er aber auch keine magischen Kräfte, außer denen desOpfers in Tiphereth und der Entwicklung der Übersinnlichkeit inJesod.Wir haben die Drei Trinitäten im Baum bei unserer Voruntersuchungder Zehn Sephiroth bereits erwähnt. Ich möchte zur Verdeutlichungnoch einmal auf diesen Punkt zurückkommen. Mathers nennt dieerste Trinität, die von Kether, Chockmah und Binah gebildet wird,die intellektuelle Welt, die zweite Trinität, Chesed, Geburah undTiphereth, nennt er die moralische Welt, und die dritte Trinität,nämlich Netzach, Hod und Jesod, bezeichnet er als die materielleWelt. Meiner Meinung nach ist diese Terminologie irreführend, dadie Begriffe unserem Geist nicht suggerieren, was diese Weltenwirklich sind. Intellekt ist eigentlich die Konkretisierung vonIntuition und Verstehen und als solcher ein unzutreffenderTerminus für die Welt der drei Überirdischen. Mit der Bezeichnungmoralische Welt für Chesed, Geburah und Tiphereth bin icheinverstanden. Sie entspricht meinem Begriff ethisches Dreieck.Dagegen stimmt die Bezeichnung materielle Welt für die TrinitätNetzach, Hod und Jesod überhaupt nicht, denn dieser Terminusgehört ausschließlich zu Malkuth. Diese drei Sephiroth sind nichtmateriell, sondern astral, und deswegen schlage ich dieBezeichnung astrale oder magische Welt vor. Es ist wenigsinnvoll, dem Lexikon Begriffe abzuringen, selbst wenn manerklärt, wie sie in diesem Kontext verstanden werden sollen; abernoch nicht einmal diese Mühe hat sich Mathers gemacht.Die intellektuelle Sphäre ist weniger eine Ebene als eine Säule,denn der Intellekt als Bewußtseinsinhalt ist vor allemsynthetischer Natur. Diese Termini sind also offensichtlich eineetwas ungenaue Übersetzung der hebräischen Bezeichnung für dievier Ebenen, in die die Kabbalisten die Manifestationunterteilen.Diese vier Ebenen lassen noch eine andere Gruppierung derSephiroth zu. Die höchste Ebene ist Aziluth, die archetypischeWelt, bestehend aus Kether. Die zweite Ebene, Beriah genannt,heißt die schöpferische Welt und besteht aus Chockmah und Binah,aus dem Höchsten, Abba, dem Vater, und aus Ama, der Mutter. Die

Page 47: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

dritte Ebene ist Jezirah, die gestaltende Welt, bestehend aus densechs zentralen Sephiroth, Chesed, Geburah, Tiphereth, Netzach,Hod und Jesod. Die vierte Welt heißt Assia, die Materielle Welt,und besteht aus Malkuth.Die zehn Sephiroth werden auch auf sieben Paläste verteilt. Imersten Palast finden wir die drei Überirdischen, im siebtenPalast Jesod und Malkuth, und die übrigen Sephiroth haben jedeeinen Palast für sich. Diese Unterteilung ist insoferninteressant, als sie die enge Verbindung zwischen Jesod undMalkuth verdeutlicht und es ermöglicht, die Zehnereinteilung derKabbalisten auf die Siebenereinteilung der Theosophen zuübertragen.Es existiert auch eine Dreiereinteilung der Sephiroth, die in derSymbolik der Kabbala sehr wichtig ist. In diesem System heißtKether Arik Anpin, das große Antlitz. Es manifestiert sich alsAbba, der höchste Vater, Chockmah, und als Ama, die höchsteMutter, in Binah. Die beiden entsprechen den positiven undnegativen Aspekten des Drei - in - Einem. Diese beidenverschiedenen Aspekte heißen bei Mathers in ihrer VereinigungElohim. Dieser eigenartige göttliche Name ist in der Einzahlfeminin und in der Mehrzahl maskulin. Die Vereinigung findet inDaath statt, der unsichtbaren Sephirah.Die folgenden sechs Sephiroth gruppieren sich in Zeir Anpin, demkleinen Antlitz, oder Mikroposopos, dessen augenfälligsteSephirah Tiphereth ist. Die verbleibende Sephirah, Malkuth, wirddie Braut des Mikroposopos genannt.Der Mikroposopos wird auch manchmal als der König bezeichnet.Dann ist Malkuth die Königin. Man nennt sie auch die niedereMutter oder die irdische Eva, im Unterschied zu Binah, derhöchsten Mutter.Die verschiedenen Klassifikationsmodelle für die Sephiroth stehennicht im Wettbewerb miteinander, sondern ermöglichen es, dasDezimalsystem der Kabbalisten auf andere Systeme zu übertragen,die eine Dreiereinteilung haben, wie beispielsweise daschristliche, oder eine Siebenereinteilung wie das theosophische,das wir bereits erwähnt haben. Durch die unterschiedlichenSysteme werden auch funktionale Verbindungen der einzelnenSephiroth miteinander verdeutlicht.Das letzte Klassifikationssystem, mit dem wir uns beschäftigenwollen, ist das System der drei - Mutter - Buchstaben deshebräischen Alphabets: Aleph, A, Mem, M, und Shin, Sh. Diese dreiBuchstaben werden nach der Einteilung des Buches Jezirah den dreiElementen Luft, Wasser und Feuer zugeordnet. Die Luft - TriadeKethers, unter dem Vorsitz Alephs, in der die Wurzeln der Luft zufinden sind, reflektiert nach unten, durch Tiphereth hindurch,das Sonnen - Feuer zu Jesod, dem Glanz des Mondes. In Binahtreffen wir auf die Wurzel des Wassers (Marah, das große Meer),das durch Hod in Chesed reflektiert wird und unter der

Page 48: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Regentschaft von Mem, der Mutter des Wassers, steht. In Chockmahfinden wir die Wurzel des Feuers, das durch Gevurah hindurch zuNetzach reflektiert wird, geleitet von Shin, der Mutter desFeuers.Diese Gruppierungen sollten wir uns merken, denn sie tragenwesentlich zum Verständnis der Bedeutung einzelner Sephiroth bei,da eine Sephirah, wie wir wiederholt betont haben, am bestenvermittels ihrer Verbindungen interpretiert werden kann.

9. Die zehn Sephiroth in den vier Welten

Auf die Aufteilung der Sephiroth in die vier Welten derKabbalisten haben wir bereits an anderer Stelle hingewiesen.Diese Einteilung wird im kabbalistischen System sehr oft benutztund gibt uns beim Studium der Evolution wertvolle Hinweise. Wirsollten nicht vergessen, daß der Baum kein willkürlichesKlassifikationsmodell ist und daß ein Faktor in verschiedenenSystemen nicht unter verschiedenen Sparten eingeordnet werdenkann. Das Auftauchen eines Symbols in einer anderen Sphäre gibtoft aufschlußreiche Hinweise.Ein anderes Klassifikationsmodell besagt, daß die Sephiroth injeder kabbalistischen Welt auf einem neuen Bogen oder einer neuenManifestationsebene auftauchen. So wie Or en Soph, das unendlicheLicht des Nichts, einen Punkt, nämlich Kether, konzentriert hatund die Emanationen sich durch die zunehmenden Dichtegrade bis zuMalkuth hindurchgekämpft haben, so sagt man von der MalkuthAziluths, daß sie die Kether Beriahs entstehen ließ, und soweiter. Die Malkuth Beriahs läßt dann die Kether Jezirahsentstehen, und die Malkuth Assias grenzt an ihrem untersten Punktan die Kelippoth.Aziluth wird als die natürliche Sphäre der Sephiroth betrachtetund deshalb als die Welt der Emanationen bezeichnet. Nur indieser Sphäre agiert Gott direkt und nicht über seine Boten. InBeriah handelt er durch die Erzengel, in Jezirah durch dieOrdnungen der Engel und in Assia durch die von mir als weltlicheChakras bezeichneten Planeten, die Elemente und die Zeichen desZodiaks.Mit diesen vier Klassifikationssystemen verfügen wir über einvollständiges Spektrum an Symbolen zur Erklärung derFunktionsweise jeder einzelnen Macht auf jeder der Ebenen. DieseSymbole sind die Basis für die zeremonielle Magie mit ihrenverschiedenen Namen der Macht, der talismanischen Magie sowie desTarots als Wahrsagemethode. Aus diesem Grund darf in den»barbarischen Namen der Anrufung« nicht ein einziger Buchstabegeändert werden, denn sie sind Formeln und beruhen auf demhebräischen Alphabet, das die heilige Sprache des Westens ist,ähnlich wie Sanskrit die heilige Sprache des Ostens ist Außerdem

Page 49: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

entspricht im Hebräischen jeder Buchstabe auch einer Zahl, so daßdie Namen numerische Formeln sind. Auf dieser Tatsache beruht einkompliziertes System metaphysischer Mathematik, das Gematriaheißt. Es gibt Aspekte in der Gematria, die ich als unfundiertund überflüssig ansehe, da sie nichts anderes sind als Produktedes Aberglaubens, aber der grundlegende Gedanke dieses Systemskosmischer Mathematik enthält sicher unschätzbar wertvolleWahrheiten und birgt unzählige Möglichkeiten in sich. Mit Hilfedieses Systems lassen sich alle möglichen kosmischen Faktoren undihre Verbindungen untereinander aufzeigen, vorausgesetzt, diekorrekte hebräische Schreibweise der Namen der Macht ist gegeben.Diese Namen wurden in Übereinstimmung mit den Prinzipien derGematria geschaffen, und deshalb liegt auch der Schlüssel zuihnen in dieser metaphysischen Mathematik. Leider können wir unsdiesem faszinierenden Aspekt unseres Themas hier nichtausführlicher widmen.In der archetypischen Welt Aziluths werden den zehn Sephirothzehn Formen des göttlichen Namens zugeordnet. Wer die Bibelgelesen hat, kennt sicher die verschiedenen Namen, die Gott dorthat, wie zum Beispiel der Herr — Gott, der Herr — der Vater unddiverse andere. Es handelt sich dabei nicht um rein stilistischeVeränderungen, mit denen man eine endlose Wiederholung vermeidenwollte, sondern um genau definierte, metaphysische Termini.Anhand des Namens können wir Rückschlüsse auf den jeweiligenAspekt der göttlichen Kraft ziehen und auf die Ebene, auf der erwirkt.In der Welt Beriahs führen die mächtigen Erzengel die GeboteGottes aus und verkünden sie. In dieser Welt sind den Sphären derSephiroth im Baum die Namen dieser zehn mächtigen Erzengelzugeordnet.In der Welt Jezirahs führen die aus einer großen Anzahl Engelbestehenden Engelchöre Gottes Befehle aus. Auch diese Chörewerden jeweils einer Sephirah zugeordnet, und auch hier erhaltenwir so Informationen über ihre Funktionsweise und Ebene.In Assia sind es, wie wir bereits wissen, bestimmte Kraftzentrender Natur, die den Sephiroth zugeordnet werden. Wir werden unsmit diesen Zusammenhängen befassen, wenn wir die einzelnenSephiroth im Detail behandeln.Bei der Verteilung der Sephiroth auf die verschiedenen Symbole inden vier Welten müssen wir noch ein weiteres Einteilungssystembeachten, und zwar die Einteilung in vier Farbskalen nachCrowley: die Königs - Skala, die zur Aziluth - Welt gehört, dieKönigin - Skala, die Beriah zugeordnet wird, die Kaiser - Skalader Jezirah Welt und die Kaiserin - Skala Assias.Diese Vierereinteilung ist für den Kabbalismus und für die Magieim Westen, die ja hauptsächlich auf der Kabbala basiert, sehrwichtig. Es heißt, daß diese Einteilung unter dem Einfluß dervier Buchstaben des Tetragrammaton, des heiligen Namens steht,

Page 50: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

der im allgemeinen als Jehova wiedergegeben wird. Im Hebräischen,in dessen Alphabet ja keine Vokale auftauchen, schreibt sich dasWort JHWH, oder, mit den hebräischen Namen dieser Buchstaben,Jod, He, Waw, He. Vokale werden im Hebräischen durch Punkte inund unter den Zeichen gekennzeichnet, die von links nach rechtsgeschrieben sind. Diese Vokalpunkte sind neueren Datums undfinden sich nicht in älteren hebräischen Manuskripten, so daß derLeser die Aussprache eines Namens nicht selbst herausfinden kann,sondern sie von jemandem hören muß, der sie kennt. Die richtigemystische Aussprache des Tetragrammaton gilt als eine der Arkanader Mystik.Den vier Buchstaben des Namens werden alle vierteiligenmystischen Symbolsysteme zugeordnet, und vermittels ihrerEntsprechungen lassen sich alle möglichen Zusammenhängeherstellen, die, wie wir später noch sehen werden, für denpraktischen Okkultismus von großer Wichtigkeit sind.Unter diesen vierteiligen Systemen befinden sich wiederum vierwichtige, deren Bezüge zueinander wir nachvollziehen können. Eshandelt sich um die vier Welten der Kabbalisten, die vierElemente der Alchemisten, die jeweils in Dreiergruppenzusammengefaßte Viererteilung der Tierkreiszeichen und Planetenbei den Astrologen und um die vier Sätze des Tarot alsWahrsagemethode. Die Vierereinteilung ist wie der Stein vonRosetta, der der Schlüssel zu den ägyptischen Hieroglyphen war,da sich auf ihm ägyptische und griechische Inschriften befanden.Da die griechischen Zeichen bekannt waren, konnte so einEntsprechungssystem zu den ägyptischen Zeichen gefunden werden.Die Anordnung der Symbolgruppen im Baum ist der wirklicheSchlüssel zu all diesen Systemen des praktischen Okkultismus.Ohne diesen Schlüssel haben die Systeme keine philosophischeBasis und werden zu Werkzeugen der puren Vermutung und desAberglaubens. Deshalb möchte der eingeweihte Okkultist mit demuneingeweihten Wahrsager nichts zu tun haben, denn er weiß, daßdas System ohne diesen Schlüssel wertlos ist. Deshalb ist auchder Baum für den westlichen Okkultismus so enorm wichtig. Er istunsere Basis, unser Meßinstrument und unser Lehrbuch.Zum Verständnis einer Sephirah müssen wir deshalb erstens ihreEntsprechungen in den vier Welten kennen, zweitens ihre Zuordnungzu den vier oben erwähnten Systemen des praktischen Okkultismusund drittens alle anderen Entsprechungen, die wir auftreibenkönnen, in der Hoffnung, daß die Aussagen vieler Zeugen uns zurWahrheit führen. Das Sammeln dieser Entsprechungen kann insEndlose gehen, denn der Kosmos ist voller Entsprechungen. Wennwir eifrige Schüler des Okkultismus sind, können wir unser Wissenständig erweitern. Der Vergleich mit der Kartei ist wirklich diebeste Metapher, die sich dafür finden läßt.Ich möchte den Leser in diesem Zusammenhang noch einmal daranerinnern, daß die Kabbala sowohl eine Methode ist, den Geist zu

Page 51: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

benutzen, als auch eine Systematik des Wissens. Wenn wir dasWissen haben ohne die kabbalistische Methode dazu, wird es unswenig nützen. Ich möchte sogar behaupten, daß kein nennenswerterWissensstand erreicht werden kann, bevor nicht diese Technik, denGeist zu benutzen, erlernt wurde. Der Baum spricht nicht denbewußten Teil des Geistes an, sondern das Unterbewußtsein, denndie Logik der Kabbala ist die Logik der Traumassoziation. ImFalle der Kabbala ist der Träumer das Unterbewußtsein dermenschlichen Rasse, die kollektive Seele der Völker, der Geistder Welt. Der Adept erreicht durch Meditation über dievorgeschriebenen Symbole eine Vereinigung mit diesem kollektivenGeist der Erde. Das ist der wahre Zweck des Baumes und seinerEntsprechungen.Die höchste der vier Welten, Aziluth, die Ebene höchsterGöttlichkeit, wird von den Kabbalisten die archetypische Weltgenannt Mathers nennt sie in seiner etwas holprigen Übersetzungintellektuelle Welt. Dieser Terminus ist irreführend, denn dieseWelt ist nur insofern intellektuell, als wir diesen Begriff imallgemeinen in Verbindung mit dem Geist sehen, dem rationalenIntellekt, insoweit er das Reich archetypischer vorstellungenist. Aber diese Vorstellungen sind völlig abstrakt und werden voneinem Teil des Bewußtseins wahrgenommen, der außerhalb des unsbekannten Vorstellungsvermögens liegt. Es ist deshalbirreführend, diese Ebene intellektuelle Welt zu nennen, wenn wirden Leser nicht gleichzeitig darüber aufklären, daß wir unterIntellekt etwas anderes verstehen als das, was im Lexikon dazusteht. Das wäre ein schlechter Ansatz, unsere Vorstellungen inWorte zu fassen. Besser ist es auf jeden Fall, einen neuenBegriff zu prägen, dessen Bedeutung klar eingegrenzt ist, alseinen bekannten, aber irreführenden zu benutzen, zumal im FallAziluths bereits ein treffenderer Terminus im Umlauf ist, nämlichder Begriff archetypische Welt.Die Kabbalisten lehren, daß die Welt Aziluth unter der HerrschaftJods, des heiligen Namens des Tetragrammaton, steht. Darauskönnen wir folgerichtig schließen, daß alles, was in einemanderen Vierersystem unter der Herrschaft Jods steht, sich aufAziluth oder den rein spirituellen Aspekt dieser Kraft oderdieses Dinges bezieht. Neben anderen Entsprechungen, dieverschiedene Kapazitäten auf diesem Gebiet angeben, werden derSatz der Stäbe und das Element Feuer genannt. Jeder, der einenEinblick in okkulte Dinge hat, kommt zu dem Schluß, daß wir,sobald wir das Element kennen, unter das ein Symbol eingeordnetwird, schon eine Menge wissen, denn dadurch sind uns diezahlreichen astrologischen Verflechtungen zu diesem Symbolzugänglich, und wir können seine astrologische Zugehörigkeit zuden Dreiergruppen der Tierkreiszeichen und den ihnen zugeordnetenPlaneten offenlegen. Wenn wir diese Beziehung zu denTierkreiszeichen und Planeten kennen, sind wir in der Lage, die

Page 52: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Symbolik jedes Pantheons zuzuordnen, denn bei allen Göttern undGöttinnen, die der menschliche Geist erschaffen hat, läßt sichein Bezug zur Astrologie herstellen. Die Geschichten über ihreErlebnisse sind eigentlich Parabeln für die Funktionsweisekosmischer Kräfte. Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen, einenWeg durch das Gewirr der Symbole finden zu wollen, wenn wir dabeikeine Richtschnur haben. Wenn wir aber den Endpunkt jeder Kettevon Entsprechungen in der passenden Sephirah verankern, haben wirdiese Richtschnur.Alle esoterisch ausgerichteten Systeme und alle bekanntenRichtungen der Theosophie schreiben die Erschaffung derverschiedenen Teile des manifesten Universums und die Herrschaftdarüber der Vermittlung intelligenter und systematischvorgehender Wesen unter Anleitung eines göttlichen Wesens zu. Dermoderne Denkansatz hat versucht, sich aus dieser Vorstellung zulösen, indem er den Akt der Manifestation als mechanischenVorgang zu betrachten versuchte. Das ist nicht gelungen, und esgibt Anzeichen dafür, daß wir bald erkennen werden, daß der Geistdie Form erschafft.Vom Standpunkt der modernen Philosophie aus gesehen mögen dieKonzepte der alten Weisen grob vereinfacht erscheinen, aber wirmüssen zugeben, daß die antreibende Kraft, die hinter derManifestation steht, von ihrer Natur her dem Geist näher ist alsder Materie. Es ist eine legitime Analogie, einen Schrittweiterzugehen und die verschiedenen Arten dieser Kraft 24personifizieren, wenn wir dabei berücksichtigen, daß die Entität,die diese Kraft beseelt, von ihrem Wesen und dem Stand ihrerEntwicklung her zum menschlichen Geist etwa im gleichenVerhältnis steht wie der menschliche Körper in seinerZusammensetzung und Größe zum Körper eines Planeten. Wir sind demVerständnis des Wesens der Natur näher, wenn wir den Geist alsihren Ursprung ansehen, als wenn wir uns weigern zuzugeben, daßdas sichtbare Universum auch einen unsichtbaren Rahmen hat. DerÄther der Physiker ist dem Geist ähnlicher als der Materie. Zeitund Raum werden von den zeitgenössischen Philosophen eher alsBewußtseinsebenen verstanden, denn als linear meßbare Größen.Die Eingeweihten der uralten Weisheit haben keinen Hehl aus ihrerPhilosophie gemacht. Sie haben jeden Faktor in der Naturpersonifiziert, haben ihm einen Namen gegeben und sich einesymbolische Figur dazu ausgedacht. So ähnlich haben britischeKünstler gemeinsam die Britannia geschaffen, eine weiblicheFigur, auf deren Schild der Union Jack zu sehen ist, zu derenFüßen ein Löwe liegt, die einen Dreizack in der Hand hält, einenHelm trägt und in deren Hintergrund das Meer zu sehen ist. Wennwir diese Figur so analysieren wie ein kabbalistisches Symbol,erkennen wir, daß jedes einzelne der Symbole in der Gesamtglypheeine Bedeutung hat. Die verschiedenen Kreuze, die auf der Fahnezu sehen sind, stehen als Sinnbild für die vier Rassen in

Page 53: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Großbritannien. Der Helm ist ein Attribut Minervas, der Dreizackstammt von Neptun, und über den Löwen allein könnte man einganzes Kapitel schreiben, wenn man seine Symbolik näher erklärenwollte. Eine okkulte Glyphe gleicht einem Wappen, und die Person,die diese Glyphe erfindet, arbeitet ähnlich wie ein Heraldiker,wenn er ein Wappen entwirft. In der Wappenkunde hat jedes Symboleine bestimmte Bedeutung, und die Symbole werden zu einem Wappenzusammengestellt, das die Familie und die Zugehörigkeit desMenschen repräsentiert, der es trägt. Eine magische Figur ist mitdem Wappen einer bestimmten Kraft oder Macht vergleichbar.Die magischen Figuren sind entstanden, um die unterschiedlichenEbenen der Manifestation kosmischer Kräfte in ihren verschiedenenArten und auf ihren verschiedenen Ebenen zu zeigen. Die Figurenerhalten Namen, und der Eingeweihte sieht in ihnen eine Person,ohne sich um ihren metaphysischen Ursprung zu kümmern. Deshalbsind sie in der praktischen Anwendung tatsächlich Personen,unabhängig davon, was sie wirklich sind, denn sie wurdenpersonifiziert, und auf der astralen Ebene wurden Gedanken -Formen für sie geschaffen, die sie ausfüllen. Diese mit Energiegeladenen Gedanken - Formen sind künstlicher Natur. Da dieEnergie, die ihnen Leben verleiht, aber kosmisch ist, sind siewesentlich mehr als das, was wir normalerweise als künstlicheFormen ansehen. Wir ordnen sie dem Königreich der Engel zu undnennen sie, je nach ihrem Grad, Engel und Erzengel. Man kann einsolches Engelwesen also als kosmische Kraft bezeichnen, dessenMedium der Manifestation im psychischen Bewußtsein eine von dermenschlichen Phantasie geschaffene Form ist Im praktischenOkkultismus werden diese Gedankenformen sehr sorgfältig und mitgroßer Liebe zum Detail des Symbols aufgebaut und dann dazubenutzt, die gewünschte Kraft oder Macht heraufzubeschwören.Jeder, der praktische Erfahrungen im Umgang mit ihnen gemachthat, wird bestätigen, daß sie für die ihnen zugedachte Aufgabesehr geeignet sind. Wenn man sich die magische Form geistigvergegenwärtigt und mit vibrierender Stimme den traditionellenNamen dazu singt, werden bemerkenswerte Phänomene erreicht.Wie wir bereits festgestellt haben, muß man, um die Kabbalasinnvoll anzuwenden, die mentale Technik der Kabbalistenbenutzen. Wenn der Schüler sich diese Gedankenformenvergegenwärtigt und ihren Namen mit vibrierender Stimme dazusingt, tritt er so mit den Kräften, die hinter jeder Sphäre desBaumes stehen, in Verbindung, sein Bewußtsein wird erleuchtet,und sein Wesen wird von der so kontaktierten Kraft mit Energieaufgeladen. Er gelangt durch die Kontemplation der Symbole zubemerkenswerten Einsichten. Diese Erleuchtungen sind keinallgemeines Fließen von Licht wie beim christlichen Mystiker,sondern eine speziell der geöffneten Sphäre entsprechendeEnergieaufladung und Erleuchtung. Hod verleiht Einblick in dieWissenschaft, Jesod in die Lebenskräfte und ihre gezeitenhafte

Page 54: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Funktionsweise. Wenn wir mit Hod Kontakt aufnehmen, werden wirmit Enthusiasmus und Energie für Forschung angefüllt, wenn wirJesod anzapfen, erlangen wir tiefe Einblicke in das psychischeBewußtsein und kommen in Kontakt mit den verborgenenLebenskräften der Erde und unseres eigenen Wesens. All das isteine Frage der Erfahrung, und diejenigen, die die Methodeangewandt haben, wissen, was sie ihnen gebracht hat. Was auchimmer die rationalen Gründe für dieses Vorgehen sein mögen, alsempirische Methode führt es zu Ergebnissen.Wenn wir uns mit einer Sephirah beschäftigen oder, andersausgedrückt, den Aspekt der Natur erforschen wollen, auf den siesich bezieht, tun wir das nicht nur auf intellektuellem odermeditativem Weg, sondern versuchen, psychisch und intuitiv mitihrer Funktionsweise und ihrer Sphäre in Verbindung zu treten. Zudiesem Zweck beginnen wir jeweils an der Spitze und bemühen uns,geistigen Kontakt mit dem Aspekt der Gottheit aufzunehmen, derdiese Sphäre hervorgebracht hat und sich in ihr manifestiert.Würden wir nicht von diesem Punkt aus beginnen, könnten dieKräfte, die die Elementarebene der Sephirah beherrschen, außerKontrolle geraten und uns Schwierigkeiten machen. Wenn wir jedochunter dem Schutz des Göttlichen Namens arbeiten, kann das Bösenicht eindringen.Wenn wir den Schöpfer und Erhalter aller Dinge in der Sphäre, inder wir arbeiten wollen, mit seinem heiligen Namen angebetethaben, beschwören wir als nächstes den Erzengel der Sphäreherauf, das mächtige spirituelle Wesen, in dem wir die Kräftepersonifiziert haben, die diese Ebene der Evolution beherrschenund die auf den entsprechenden Aspekt der Natur ebenfallseinwirken. Wir erbitten den Segen des Erzengels und ersuchen ihn,die dieser Sphäre zugeteilte Ordnung der Engel zu bewegen, uns indem Bereich der Natur, in dem sie tätig sind, freundlich undhilfreich zu begegnen. Sind wir erst einmal soweit gekommen,haben wir uns vollständig in den Grundton der Sphäre, die wiruntersuchen, eingestimmt und sind in der Lage, den verzweigtenEntsprechungen dieser Sephirah und den ihr verwandten Symbolennachzugehen.Bei diesem Verfahren werden wir auf eine umfangreicheAssoziationskette stoßen, deren Existenz wir vorher nicht fürmöglich gehalten hätten und deren Auftauchen daraufzurückzuführen ist, daß das Unterbewußtsein aufgewühlt wurde undeine seiner Nischen sich geöffnet hat, während die anderengeschlossen blieben. Die ins Bewußtsein dringendenAssoziationsketten sind normalerweise frei von Beimischungennicht zum Thema gehöriger Ideen und entsprechen der Sphäre.Zuerst lassen wir uns alle möglichen Symbole in den Sinn kommen,an die wir uns erinnern können, und dann versuchen wir, ihreBedeutung und ihren Einfluß auf die Sphäre zu erkennen, um die esgerade geht. Wir sollten uns dabei jedoch nicht zu sehr

Page 55: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

anstrengen, denn wenn wir uns bemühen, uns auf ein Symbol zukonzentrieren, besteht die Gefahr, daß sich die Maschen deszarten Schleiers wieder zusammenziehen, der das Unterbewußtseinabschirmt. Bei unserer Erforschung, bei der wir halbMeditierender, halb Schiedsrichter sind, bewegen wir uns an derGrenze zwischen Unterbewußtsein und Bewußtsein und versuchen,unbewußte Zusammenhänge über die Schwelle in unserenBewußtseinsbereich zu locken.Während wir den verzweigten Assoziationsketten folgen, werden wirbemerken, daß innerlich ein fortlaufender intuitiver Kommentarstattfindet. Wenn wir dieses Experiment zwei - oder dreimalwiederholt haben, werden wir die Empfindung haben, daß wir dieseSephirah ganz besonders gut kennen und dort zu Hause sind. Siewird sich für uns ganz anders anfühlen als die übrigen Sephiroth,mit denen wir uns noch nicht auf diese Weise beschäftigt haben.Wir werden auch feststellen, daß uns einige Sephiroth näherstehenals andere und daß die Ergebnisse, wenn wir mit diesen Sephirotharbeiten, besser sind als bei den uns unsympathischen, bei denendie Assoziationsketten ständig abreißen und die Türen desUnterbewußten sich auch auf unser hartnäckiges Klopfen hin nichtöffnen. Einer meiner Schüler konnte wunderbar über Binah, alsoSaturn und Tiphereth, den Erlöser meditieren, kam aber mitGeburah (Härte und Mars) überhaupt nicht zurecht.Ich werde meinen ersten Versuch mit dieser Methode nie vergessen.Ich arbeitete auf dem zweiunddreißigsten Pfad, dem Pfad Saturns,der Malkuth und Jesod verbindet und ein sehr schwieriger undtrügerischer Pfad ist. In meinem Horoskop steht Saturn ungünstig,und ich habe in meinem Leben oft seinen hemmenden Einfluß zuspüren bekommen. Aber nachdem ich dem Pfad Saturns bis in dieindigoblaue Dunkelheit des Unbekannten gefolgt war und der MondJesods in violett - silbernen Farbtönen am Horizont aufging,fühlte ich, daß ich die Einweihung Saturns bekommen hatte und daßer mir gegenüber nicht länger feindlich gesinnt war, sondern meinoffener, wenn auch strenger Freund geworden war, dem ichvertrauen konnte und der mich vor Fehlern und vorschnellenUrteilen bewahren würde. Ich nahm ihn in seiner Eigenschaft alsPrüfer wahr und empfand ihn nicht länger als Gegner oder Rächer.Ich erfuhr ihn als die Zeit mit ihrer Sense, wußte aber auch,warum er auf hebräisch Shabbathai heißt: Ruhe, »denn er gibtdenen, die er liebt, den Schlaf«. Von diesem Moment an stand mirder zweiunddreißigste Pfad nicht nur im Baum offen, sondern auchin meinem Leben, denn die Kräfte und Probleme, die er und seineEntsprechungen symbolisieren, waren in meiner Seele in einharmonisches Gleichgewicht gebracht worden. An diesen zwei kurzenBeispielen zeigt sich, daß die Meditation über den Baum ein sehrgangbarer und präziser Weg mystischer Entwicklung ist, einSystem, dessen besonderer Wert in seiner Ausgewogenheit liegt Dieverschiedenen Aspekte der Manifestation werden herausgegriffen

Page 56: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

und einer nach dem anderen behandelt. Wenn wir allen Pfaden desBaumes gefolgt sind, haben wir die Lektionen des Todes und desTeufels gelernt, aber auch die des Engels und des Hohepriesters.

10. Die Pfade im Baum

Der Sepher Jezirah bezeichnet die zehn Sephiroth selbst und dieLinien, die sie verbinden, als Pfade; das ist auchgerechtfertigt, denn sie alle sind Kanäle des göttlichen Wirkens.Bei der praktischen Arbeit mit dem Baum werden lediglich dieVerbindungslinien zwischen den Sephiroth als Pfade bezeichnet,während die Sephiroth als Sphären des Baumes gelten. Hier habenwir es mit einer der vielen Abschirmungsmaßnahmen und Fallen zutun, die das kabbalistische System kennzeichnen, denn wenn wir,wie im Sepher Jezirah beschrieben, von zweiunddreißig Pfadenausgehen, können wir sie nicht mit den zweiundzwanzig Buchstabendes hebräischen Alphabets kombinieren, die von ihrem numerischenWert und von ihren Entsprechungen her den Schlüssel zu den Pfadenliefern.Es heißt, daß jeder Pfad den Gleichgewichtszustand der beidenSephiroth darstellt, die er miteinander verbindet. Wir solltendiese Aussage unter Einbeziehung unseres Wissens über dieSephiroth überprüfen, um ihre Bedeutung zu erfassen. BestimmteSymbole werden auch den Pfaden allein zugeschrieben. Es handeltsich dabei um die zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischenAlphabets, die Tierkreiszeichen, sieben Planeten und vierElemente, also insgesamt dreiundzwanzig Symbole. Wie sollen dieseSymbole auf die zweiundzwanzig Pfade verteilt werden? Wir stehenhier vor einem weiteren kabbalistischen Trick, mit demUneingeweihte gern getäuscht werden. Wenn wir die Antwort wissen,ist der Sachverhalt sehr einfach. Unser Bewußtsein befindet sichim Element der Erde, und so brauchen wir das Symbol Erde inunseren Berechnungen nicht zu berücksichtigen, wenn wir mit demUnbekannten in Kontakt treten wollen. Lassen wir das Element Erdebeiseite, haben wir genau zweiundzwanzig Pfade und dieentsprechenden Buchstaben dazu. In Malkuth ist alles Irdischeenthalten, das wir in der Praxis benötigen.Die dritte, den Pfaden zugeordnete Symbolgruppe sind diezweiundzwanzig Trümpfe der großen Arkana im Tarot. Mit diesendrei Symbolgruppen und den Farben der vier Farbskalen ist unsereHauptsymbolik komplett. Als Untergruppen der Symbolik sind diezahlreichen Verzweigungen der Entsprechungen in allen Systemenund auf den verschiedenen Ebenen anzusehen.Der Baum des Lebens, die Astrologie und der Tarot sind nicht dreiverschiedene mystische Systeme, sondern drei Aspekte desselbenSystems, und jedes davon ist ohne die anderen unverständlich. Nurwenn wir die Astrologie auf der Grundlage des Baumes studieren,

Page 57: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

eröffnet sich uns wirklich ein philosophisches System. Genausoist es mit dem Tarot als Wahrsagespiel. In den Tarotkarten mitihren unzähligen Interpretationsmöglichkeiten liegt der Schlüsselzur Deutung des Baumes in Beziehung zum menschlichen Leben.Die Astrologie und ihre Voraussagen lassen sich so schwerkonkretisieren, weil der uneingeweihte Astrologe nur auf einerEbene arbeitet. Der eingeweihte Astrologe, der den Baum alsGrundstruktur benutzt, interpretiert alles auf den vier Ebenender vier Welten, und die Auswirkung Saturns ist zum Beispiel inAziluth, wo er die göttliche Mutter Binah repräsentiert, andersals in Asiyah.Alle Divinationssysteme und alle Systeme der praktischen Magiebasieren in ihren Grundprinzipien und ihrer Philosophie auf demBaum. Wer sie ohne diesen Schlüssel anwenden will, ist mit einemMenschen zu vergleichen, der eine amtliche Arzneimittellistebesitzt und sich und seine Freunde nach dem behandelt, was in derArzneimittelbeschreibung angegeben ist, wonach Rückenschmerzen soungefähr auf jede Art von Krankheit hindeuten können, die keineSchmerzen auf der Vorderseite des Körpers verursacht. EinenEingeweihten kann man mit einem ausgebildeten Medizinervergleichen, der die Grundsätze der Physiologie und die chemischeZusammensetzung der Medikamente kennt und sie dementsprechendverordnet.Die Tarotkarten werden von verschiedenen traditionellen Quellenverschieden eingeordnet. In seinem kleinen BüchleinBilderschlüssel zum Tarot gibt A. E. Waite die Hauptquellen an,schreibt aber nicht, welche davon seiner Meinung nach dierichtige ist. Aleister Crowley ist in seiner wertvollentabellarischen Aufstellung der esoterischen Symbolik 777 nicht sozurückhaltend, sondern gibt die unter Eingeweihten bekannteMethode an. An dieser Methode möchte ich mich auch auf denfolgenden Seiten orientieren, da ich der Meinung bin, daß sie dierichtige ist, denn die Entsprechungen stimmen ohne Ausnahme, wasman von keinem anderen System sagen kann.In Crowleys System werden die vier Sätze des Tarots den vierWelten der Kabbalisten und den vier Elementen der Alchemistenzugeordnet. Der Satz der Stäbe bezieht sich demnach auf Aziluthund das Element Feuer. Der Satz der Kelche entspricht Beriah unddem Element Wasser. Der Satz der Schwerter gehört zu Jezirah undLuft und der Satz der Pentakel oder Münzen zu Asiyah und demElement Erde.Die vier Asse gehören zu Kether, der ersten Sephirah, die vierZweien zu Chockmah, der zweiten Sephirah, und so weiter, bis wirbei den vier Zehnen und Malkuth angelangt sind. Daraus können wirsehen, daß die Karten der vier Sätze des Tarot das Wirken dergöttlichen Kräfte in den einzelnen Sphären und auf jeder Ebeneder Natur darstellen. Wenn wir die Bedeutung der Tarotkartenkennen, wissen wir gleichzeitig viel über das Wesen der Pfade und

Page 58: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Sphären, denen sie zugeordnet sind. Beide Systeme, das des Tarotsund das des Baumes, sind schon sehr alt, und ihr Ursprung ist inder Geschichte nicht mehr auszumachen. Es existieren eine Unmengevon symbolischen Entsprechungen, die sich im Laufe der Zeit umsie herum angesammelt haben. Jeder praktizierende Okkultist, dermit dem Baum gearbeitet hat, hat zu diesem Berg von Assoziationenbeigetragen und die Symbole durch seine Meditation in derAstralwelt zum Leben erweckt. Der Baum und seine Hauptauslegungensind auf eine Vielzahl von Systemen anwendbar.Die vier Hofkarten des Tarots werden in den Sätzen neueren DatumsKönig, Königin, Ritter und Page genannt, in den traditionellenTarotspielen haben sie, nach Crowley, eine andere Reihenfolge undSymbolik. Der König sitzt dort auf einem Pferd, womit dieMöglichkeit zur schnellen Aktion des Jod aus dem Tetragrammatonin der Sphäre dieses Tarotsatzes versinnbildlicht wird, dasheißt, daß dieser König dem Ritter der neueren Versionentspricht. Die Königin ist auf den modernen Karten als sitzendeFigur dargestellt, die die unerschütterlichen Kräfte des He imTetragrammaton ausdrückt. Der Fürst der esoterischen Tarot -Version ist ebenfalls eine sitzende Figur und entspricht dem Vavdes Tetragrammatons, und die Fürstin, im modernen Spiel der Page,entspricht dem letzten He des Heiligen Namens.Die zweiundzwanzig Trümpfe im Tarot werden von den verschiedenenExperten unterschiedlich angeordnet. In A. E. Waites Buch findetsich eine Auswahl dazu. Wir wollen uns jedoch aus den bereitsgenannten Gründen an die von Crowley angegebene Reihenfolgehalten.In diesem Buch haben wir uns die Aufgabe gestellt, diephilosophischen Aspekte des Lebensbaumes zu behandeln undgenügend praktische Hinweise zu geben, um die Meditation überdiesen Baum zu ermöglichen, beabsichtigen jedoch nicht, diePraktische Kabbala zu erklären, die in magischen Riten angewandtwird, denn diese Riten können nur in einem Tempel der Mysterienwirklich gelernt und sicher praktiziert werden. An einigenStellen dieses Buches sind wir auf die Praktische Kabbalaeingegangen, damit einige der Konzepte verständlicher werden.Diejenigen, die berechtigterweise über die Schlüssel zu ihrerDeutung verfügen, müssen nicht befürchten, daß ich in diesem Buchihre Geheimnisse offenbare, denn ich bin mir sehr wohl dermöglichen Konsequenzen einer solchen Handlung bewußt.Sollte jemand jedoch aufgrund der hier gegebenen Informationenund beschriebenen Methoden von selbst in den Besitz der Schlüsselzur Praktischen Kabbala gelangen, was durchaus möglich ist, danngibt es wohl keinen Zweifel daran, daß er sie sich verdient hat.Abgesehen von seiner Anwendung in der Magie ist der Baum ein sehrnützliches Meditationssymbol. Durch Meditationen, so wie ich siebei meinen eigenen Erfahrungen mit dem zweiunddreißigsten Pfadbeschrieben habe, lassen sich die gegensätzlichen Elemente im

Page 59: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Wesen eines Menschen ins Gleichgewicht bringen und eineharmonische Ausgeglichenheit erreichen. Außerdem kann man ineinen positiven Austausch mit den verschiedenen Aspekten derNatur kommen, die diese Symbole makrokosmisch gesehen darstellen,selbst wenn diese Aspekte oder Kräfte keine konkrete Formerhalten, wie in der talismanischen Magie. Die im eigenenHoroskop enthaltenen Daten müssen nicht mehr passiv als Gesetzdes Schicksals betrachtet werden, vor dem es kein Entrinnen gibt.Wir sollten begreifen, daß die talismanische Magie und auch dieweniger konzentrierte Methode der Meditation über den Baum dazubenutzt werden können, alle unausgewogenen Kräfte des Horoskopsmiteinander in Einklang zu bringen. Talismanische Magie steht zurAstrologie im gleichen Verhältnis wie ärztliche Behandlung zurmedizinischen Diagnose.Ich möchte an dieser Stelle keine Formeln für die praktischeMagie angeben, denn bevor solche Formeln sinnvoll eingesetztwerden können, muß die Person, die sie anwenden will, dieverschiedenen Grade der Einweihung erhalten haben, zu denen dieFormeln gehören. Ohne diese Einweihungsgrade wird es dem Schülernicht anders gehen als jemandem, der seine Gebrechen mit Hilfeeines medizinischen Ratgebers zu diagnostizieren und zu behandelnversucht. Der Komiker Jerome K. Jerome hat auf amüsante Weisedargestellt, was in solch einem Fall passiert. Der unglücklicheKranke kommt zu dem Schluß, daß er alle in diesem Buchbeschriebenen Krankheiten hat, außer vielleicht derSchleimbeutelentzündung, und kann sich nicht entscheiden, welcheBehandlung angemessen ist, da alles, was er sich anBehandlungsmethoden vorstellen kann, irgendwelche Nebenwirkungenhat.Die rituellen Einweihungen in die Großen Mysterien basieren inder westlichen esoterischen Tradition auf den Grundprinzipien desLebensbaumes. Jeder Grad entspricht einer Sephirah und überträgtdie Kräfte der jeweiligen Sphäre der Natur auf den Schüler.Zumindest sollte das so sein, wenn der Orden, bei dem dieEinweihung stattfindet, seinen Namen zu Recht trägt. DieseEinweihung öffnet dem Schüler die zu der entsprechenden Sephirahführenden Pfade, so daß er damit zum Herrn des zweiunddreißigstenPfades wird, wenn er die Einweihung in Jesod erhalten hat und zumHerrn des vierundzwanzigsten, fünfundzwanzigsten undsechsundzwanzigsten Pfades geworden ist, sobald er die zuTiphereth gehörende Einweihung bekommen hat, mit der er alleEinweihungsgrade abgeschlossen hat. Danach kommen die höherenStufen des Adeptentums.Das Ziel jedes Grades der Einweihung in die Großen Mysterien istes, dem Schüler die Sphären der einzelnen Sephirothnahezubringen, angefangen von Malkuth, ganz unten im Baum, bisganz nach oben. Die Anleitungen bei jedem Grad betreffen dieSymbolik, die Kräfte der Sphäre, in der die Einweihung

Page 60: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

stattfindet, und die Pfade, durch die die Sphäre insGleichgewicht gebracht wird. Das Zeichen und das Wort des Gradeswerden angewandt, wenn die Pfade in der Vorstellung gegangenwerden, oder wenn man sich über sie oder auf die Astralebeneprojiziert. Infolgedessen kann sich der Eingeweihte gewandt undsicher in jeder von ihm gewünschten Sphäre des Unbekanntenbewegen und alle Wesen und Visionen, die ihm dort begegnen,anhand der Farbe des Pfades in den vier Farbskalen überprüfen.Auf diese Weise ist es ihm möglich, seine Visionen richtigeinzuordnen. Wenn er entlang des zweiunddreißigsten Pfadeswandelt, der Saturn entspricht, dessen Farben die verschiedenenIndigotöne, dunkelblau und schwarz sind, weiß er, daß etwas nichtstimmt, wenn ihm eine scharlachrot gekleidete Figur begegnet.Entweder ist dann diese Figur eine Illusion, oder er hat den Pfadverlassen.Um mit dem Astralkörper entlang der Pfade wandern zu können, istes aus verschiedenen Gründen notwendig, den jeweils dem Pfadentsprechenden Einweihungsgrad zu haben. Der Hauptgrund dafürist, daß die Person, die den entsprechenden Einweihungsgrad nichtbesitzt, den Hütern des Pfades unbekannt ist, weshalb sie sicheher feindlich als hilfsbereit zeigen werden und alles in ihrerMacht Stehende tun werden, um den Wanderer zurückzuweisen. Solltees ihm wirklich gelingen, sich an den Hütern vorbei den Weg zuerkämpfen, hat er noch immer keine Möglichkeit, seine Visionen zuüberprüfen oder herauszufinden, ob er sich auf dem Pfad oderneben dem Pfad befindet. In den unteren Sphären existieren vieleWesen, die anmaßende Unwissenheit nur allzugern ausnutzen.Diese Warnungen sollen aber keineswegs jene abhalten, die überdie Pfade und Sphären in der von mir beschriebenen Weisemeditieren wollen. Während dieser Meditationen können sie sichmit dem Geist des Pfades vertraut machen, und sein Hüter wirddann vielleicht kommen, um sie zu begrüßen und willkommen zuheißen. Wenn das geschieht, haben sie sich sozusagen selbsteingeweiht, und niemand kann ihnen mehr das Recht verwehren, sichan diesem Ort aufzuhalten.Vom Standpunkt des Eingeweihten aus ist der Baum das Bindegliedzwischen dem Mikrokosmos, also dem Menschen, und dem Makrokosmos,nämlich Gott, der sich in der Natur offenbart. Die Einweihung istein Ritus, bei dem die mikrokosmische Sephirah, das Chakra, mitder makrokosmischen Sephirah verbunden wird, oder anders gesagt:ein Neuankömmling wird von denen, die sich bereits dortauskennen, in die Sphäre eingeführt. Auf der physischen Ebenerekonstruieren sie die Sphäre symbolisch durch die Einrichtung imTempel und auf der astralen Ebene durch geistige Konzentration.Dann holen sie durch Anrufung die Kräfte, die in dieser Sphäreder Sephirah wirken, hinunter in den Tempel, der nicht vonMenschenhand gemacht wurde.Die so herbeigerufenen Kräfte stimulieren die entsprechenden

Page 61: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Chakras des Eingeweihten und lassen sie in seiner Aura entstehen.Der Prozeß der von mir beschriebenen Selbsteinweihung durchMeditation dauert etwas länger als bei der rituellen Initiation,führt aber ebenso sicher zum Ziel, wenn er gewissenhaft von einerdazu geeigneten Person durchlaufen wird. Man kann jedoch einerQualle nicht das Singen beibringen, indem man ihr Vogelfuttergibt.

11. Die subjektiven Sephiroth

Wie oben, so unten. Der Mensch ist eine Miniaturausgabe desMakrokosmos. Alle Attribute, die das geoffenbarte Universum insich vereinigt, sind auch im Wesen des Menschen vorhanden.Deshalb heißt es, daß der perfekte Mensch in der Rangordnunghöher steht als die Engel. Im Moment jedoch sind die Engel vollentwickelte Wesen, was man vom Menschen nicht sagen kann.Deswegen steht er auf einer wesentlich tieferen Stufe als sie,etwa so wie ein dreijähriges Kind im Vergleich zu einemdreijährigen Hund wesentlich weniger entwickelt ist.Bis jetzt haben wir den Baum des Lebens als eine Verkörperung desMakrokosmos, des Universums, betrachtet, und seine Symbole habenuns dazu gedient, die verschiedenen Sphären in der objektivenNatur zu erforschen. Im folgenden wollen wir ihn in bezug auf diesubjektive Sphäre, auf die Natur des Individuums, untersuchen.Die allgemein anerkannten Entsprechungen, so wie sie Crowleyangibt (der leider keine Quellenangaben macht, so daß wir nichtwissen, wann er sich an MacGregor Mathers orientiert und wann erseine eigenen Erkenntnisse einfließen läßt), basieren teilweiseauf den astrologischen Zuordnungen der Planeten zu denverschiedenen Sephiroth und teilweise auf einer nur grobausgearbeiteten menschlichen Gestalt, die mit dem Rücken zum Baumsteht. Diese Form ist zu ungenau für unsere Zwecke und sicherlichdas Werk späterer Generationen von Gelehrten. Während desMittelalters wurde die Kabbala von den europäischen Philosophenwiederentdeckt, die dieser Glyphe astrologische undalchemistische Symbole aufpfropften. Außerdem benutzten dieRabbis selbst ein System sehr ausgeprägter anatomischerMetaphern, in denen die Bedeutung jedes einzelnen Haares aufGottes Kopf und auch intimeren Stellen genauestens diskutiertwurde. Dieses Verfahren ist aber nicht wörtlich zu nehmen odergar auf den Menschen zu übertragen.Die einzelnen Sephiroth und ihr Beziehungsmuster entsprechen imMakrokosmos den aufeinanderfolgenden Evolutionsphasen und imMikrokosmos den verschiedenen Bewußtseinsebenen und Faktoren, diecharakterbestimmend sind. Die Annahme, daß dieseBewußtseinsebenen irgendwie mit den psychischen Zentren desphysischen Körpers in Verbindung stehen, ist sicher berechtigt,

Page 62: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

aber wir sollten nicht den Fehler begehen, primitive odermittelalterlich anmutende Schlüsse daraus zu ziehen. OkkulteAnatomie und Physiologie sind in der Yoga - lehre der Hindusdetailliert ausgearbeitet worden, und wir können viel aus ihrenLehren ableiten. Die neuesten Erkenntnisse der Physiologie lassendarauf schließen, daß das Bindeglied zwischen Geist und Materieprimär im System innersekretorischer Drüsen zu suchen ist underst sekundär im Gehirn oder im Nervensystem. Daraus können wirebenfalls wichtige Rückschlüsse ziehen, und wenn wir alleInformationen aus sämtlichen Quellen zusammenfügen, kommen wirvielleicht durch induktives Denken dahin, wohin die Gelehrten desAltertums durch intuitives und deduktives Denken, das in ihrenMysterienschulen einen solch hohen Grad an Perfektion erreichthat, gelangt waren.Es herrscht allgemein Übereinstimmung darüber, daß die in denYogabüchern beschriebenen Chakras oder psychischen Zentren nichtin den Organen liegen, mit denen sie assoziiert werden, sondernan bestimmten Stellen der Aura in der Nähe dieser Organe. Wir tundeshalb gut daran, die Sephiroth nicht mit Gliedern oder anderenTeilen unseres Körpers in Verbindung zu bringen, sondern solcheAnalogien als Metaphern zu betrachten und nach dendahinterstehenden psychischen Prinzipien zu suchen.Bevor wir von diesem Standpunkt aus die einzelne Sephirahdetailliert untersuchen, ist es hilfreich, einen generellenÜberblick über den Baum als Ganzes zu haben, da die Beziehungender Symbole im Baum untereinander wesentlich zum Verständnis derSymbolik überhaupt beitragen. Dieses Kapitel wird eherweitschweifig und unspezifisch bleiben, verhilft uns aber späterzu einer sehr effektiven Studie der einzelnen Sephiroth.Die Einteilung in die drei Säulen ist die erste und gleichzeitigaugenfälligste Unterteilung des Baumes und erinnert uns sofort andie drei von den Yogis beschriebenen Kanäle des Prana: Ida,Pingala und Sushumna, an das Yin und Yang in der chinesischenPhilosophie und an das Tao oder den Weg, der das Gleichgewichtzwischen ihnen herstellt. Diese Tatsache ist durchübereinstimmende Zeugenaussagen belegt, und wenn wir, wie hier,auf die völlige Übereinstimmung von drei großen metaphysischenSystemen treffen, können wir daraus schließen, daß wir es mitanerkannten Prinzipien zu tun haben, die wir auch als solchebetrachten sollten.Die mittlere Säule stellt nach meinem Dafürhalten das Bewußtseindar und die beiden seitlichen Säulen die positiven und negativenFaktoren der Manifestation. Erwähnenswert wäre an dieser Stelle,daß sich nach der Yogalehre das Bewußtsein ausweitet, wenn dieKundalini durch den mittleren Kanal, die Sushumna, aufsteigt, unddaß bei den magischen Riten des Westens das Aufsteigen über dieEbenen in der mittleren Säule stattfindet. Das heißt, daß dieangewandte Symbolik sich, um diese Bewußtseinserweiterung zu

Page 63: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

erreichen, nicht an der numerischen Reihenfolge der Sephirothorientiert, sondern dem sogenannten Pfad des Pfeils von Malkuthzu Jesod und von Jesod zu Tiphereth folgt.Malkuth, die Sphäre der Erde, wird von den Okkultisten als dasBewußtsein des Gehirns verstanden, was durch die Tatsachebelegbar ist, daß jede Astralprojektion in Malkuth endet und daßdort das normale Bewußtsein wiedererlangt wird.Jesod, die Sphäre Levanahs, des Mondes, gilt als das psychischeBewußtsein und als Fortpflanzungszentrum. Tiphereth wird alshochentwickelte Stufe der übersinnlichen Wahrnehmung gesehen, alsdie wirklich erleuchtete Sichtweise, und entspricht dem höchstenEinweihungsgrad der Persönlichkeit, was schon daran zu erkennenist, daß Crowley sie in seinem von Mathers übernommenen Systemals den ersten Grad des Adeptentums bezeichnet.Daath, die unsichtbare Sephirah, die nie im Baum eingezeichnetist, wird im westlichen System mit dem Genick gleichgesetzt, demPunkt, an dem das Rückgrat auf den Schädel trifft, die Uranlage,von der aus die Entwicklung des Gehirns bei unseren Vorfahreneinsetzte. Man geht davon aus, daß Daath das Bewußtsein eineranderen Dimension, einer anderen Ebene, also grundsätzlich dieVorstellung eines Tonartwechsels beinhaltet.Kether wird die Krone genannt. Eine Krone sitzt auf dem Kopf, undvon Kether heißt es, daß sie eine Bewußtseinsebene symbolisiert,die während der Inkarnation nicht erreicht werden kann. Siebefindet sich außerhalb der Ebenen der Form. Die spirituelleErfahrung Kethers ist die Vereinigung mit Gott, und wer dieseVereinigung erreicht, geht in das Licht ein und kehrt nichtwieder.Diese Sephiroth stehen sicher in Verbindung mit demhinduistischen System, aber die Experten sind sich über diegenauen Korrelationen uneinig, da die Einteilungsmethode desWestens sich von der des Ostens unterscheidet. Das westlicheSystem ist ein Vierersystem, das östliche ein Siebenersystem, unddeshalb lassen sich nicht ohne weiteres Verbindungen zwischenihnen herstellen. Meiner Ansicht nach ist es besser, gemeinsameGrundprinzipien zu suchen, als ein genaues Anordnungsschemaerstellen zu wollen, das den Entsprechungen Gewalt antut.Die einzigen beiden mir bekannten Schriftsteller, die versuchthaben, solche Bezüge herzustellen, sind Aleister Crowley undJ.F.C. Fuller. General Füller sieht eine Verbindung zwischen demMuladhara - Lotus und Malkuth. Er betrachtet die vierBlütenblätter des Lotus als die Darstellung der vier Elemente.Ich möchte an dieser Stelle anmerken, daß in der Königin -Farbskala, so wie sie Crowley angibt, die Sphäre Malkuths ein indie Farben Zitronengelb, Oliv, Rostbraun und Schwarz unterteilterKreis ist. Diese Farben stehen für die vier Elemente und sehendem vierblättrigen Lotus, so wie er häufig dargestellt wird, sehrähnlich.

Page 64: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Dieser Lotus sitzt in bildlichen Darstellungen in der Darmgegendund wird mit dem Anus und der Ausscheidung in Verbindunggebracht. In Spalte XXI der von Crowley in 777 angegebenenEntsprechungstafel setzt dieser das Gesäß und den Anus ^perfektenMenschen mit Malkuth gleich. Meiner Ansicht nach ist auf jedenFall Füllers Zuordnung des Muladhara - Lotus zu Malkuth der vonCrowley vorzuziehen, der in Spalte CXVIII die gleichenKörperteile Jesod zuordnet und sich damit selbst widerspricht.Freud sagt, daß das kindliche Gehirn die Funktionen derFortpflanzung und Ausscheidung verwechselt, aber meiner Meinungnach muß das nicht generell so sein und vor allem nicht auf immerso bleiben.Wir können davon ausgehen, daß Malkuth als Muladhara - Lotus dasEndergebnis der Entwicklung der Lebensprozesse ist, ihreendgültige Ausgestaltung und Unterordnung unter den zersetzendenEinfluß des Todes, um später ihre Substanz neuenVerwendungszwecken zuzuführen. Die Gestalt, zu der sie sich imEvolutionsprozeß langsam entwickelt haben, hat ihren Zweckerfüllt, und die ihnen innewohnende Kraft muß freigesetzt werden.Hierin liegt die spirituelle Bedeutung der Prozesse derAusscheidung, Verwesung und Zersetzung.General Füller ordnet das Svadhishthana Chakra am unteren Teilder Zeugungsorgane Jesod zu. Das entspricht der traditionellenLehre im Westen, die besagt, daß Jesod den Fortpflanzungsorganen^göttlichen Menschen entspricht. Auch die astrologische Zuordnungzum Mond, zu Diana - Hekate, bestätigt dies. Crowley rechnet denSvadhishthana - Lotus zu Hod, Merkur, obwohl er wiederum Jesod inSpalte XXI des Buches 777 dem Phallus zuordnet. Diese Zuordnungist unverständlich, und da er seine Quelle nicht angibt, wäre ichdafür, den Grundsatz beizubehalten, daß Bewußtseinsebenen zurmittleren Säule gezählt werden.Tiphereth wird allgemein mit dem Solarplexus und der Brust inVerbindung gebracht. Es ist deshalb logisch, dieser Sephirah, sowie Crowley das auch tut, die Chakras Manipura und Anahatazuzuteilen. Füller sieht eine Verbindung dieser Chakras mitGeburah und Chesed, aber da diese beiden Sephiroth von Tipherethins Gleichgewicht gebracht werden, sehe ich hier keineSchwierigkeiten oder Widersprüche.In ähnlicher Weise werden das Vishuddha - Chakra, das imHinduismus dem Kehlkopf entspricht und von Crowley bei Binahangesiedelt wird, und das Ajna Chakra an der Nasenwurzel, das derZirbeldrüse entspricht und ebenfalls von Crowley Chockmahzugeordnet wird, von Daath vereinigt, die am unteren Ende desSchädels liegt.Es können wohl kaum Zweifel darüber bestehen, daß die Zuordnungdes Sahasrara Chakra, des tausendblättrigen Lotus über dem Kopf,zu Kether korrekt ist, da schon der Name dieses ersten Pfades(Krone) besagt, daß es sich um etwas handelt, was auf und über

Page 65: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

dem Kopf sitzt.Die beiden seitlichen Säulen, Härte und Barmherzigkeit, könnenohne Schwierigkeiten als das positive und das negative Prinzipidentifiziert werden und damit die Sephiroth auf diesen beidenSäulen als die Wirkungsweise dieser Kräfte auf den verschiedenenEbenen.Auf der Säule der Härte finden wir Binah, Geburah und Hod, oderanders gesagt, Saturn, Mars und Merkur. Auf der Säule derBarmherzigkeit liegen Chockmah, Chesed und Netzachbeziehungsweise der Zodiak, Jupiter und Venus. Chockmah und Binahwerden in der kabbalistischen Symbolik als männliche undweibliche Figuren dargestellt und sind der höchste Vater und diehöchste Mutter oder, philosophischer ausgedrückt, das positiveund das negative Prinzip des Universums, Yang und Yin, wobei dasMännliche und das Weibliche jeweils nur ein Teilaspekt dieserBegriffe sind.Chesed (Jupiter) und Geburah (Mars) erscheinen in der Symbolikder Kabbala als gekrönte Figuren. Chesed ist der Gesetzesgeberauf seinem Thron und Geburah der kriegerische König auf seinemStreitwagen. Hier werden die konstruktiven und die destruktivenKräfte versinnbildlicht. Interessanterweise ist Binah, die großeMutter, auch gleichzeitig Saturn, der Verfestiger, der durchseine Sichel die Verbindung zum Tod mit der Sense und der Zeitmit ihrem Stundenglas herstellt. In Binah treffen wir auf dieWurzel der Form. Im Sepher Jezirah heißt es, daß Malkuth auf demThron Binahs sitzt. Also liegt der Ursprung der Materie in Binah,im Saturn, im Tod, Form oder Gestalt ist der Vernichter derKraft. Zu diesem passiven Vernichter gehört auch ein aktiverVernichter, und deswegen treffen wir direkt unterhalb Binahs aufder Säule der Härte auf Mars - Geburah. So wird die in der Formeingeschlossene Kraft durch den zerstörerischen Einfluß von Marsfreigesetzt, der den Shiva - Aspekt der Gottheit darstellt.Chockmah, der Zodiak, steht für kinetische Kraft, und Chesed,Jupiter, der gütige König, versinnbildlicht geordnete Kraft. Diebeiden finden ihre Synthese in Tiphereth, dem Christuszentrum,dem Erlöser und Ausbalancierer.Im nächsten Dreieck, Netzach, Hod und Jesod, finden wir diemagische und die astrale Seite der Dinge. Netzach (Venus)verkörpert die höheren Aspekte der elementaren Kräfte, den grünenStrahl, und Hod (Merkur) birgt in sich die geistige Seite derMagie. Die eine Sephirah ist der Mystiker, die andere derOkkultist, und die beiden finden ihre Synthese in der elementarenSephirah Jesod. Dieses Sephirothpaar sollte ebensowenig einzelnbetrachtet werden wie das obere Paar — Geburah und Gedulah (oderChesed). Das drückt sich auch schon darin aus, daß die beidenSephiroth in der Kabbala als der rechte und linke Armbeziehungsweise das rechte und linke Bein bezeichnet werden.Wir kommen so zu dem Ergebnis, daß sich auf der Säule der Härte

Page 66: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

die drei Sephiroth der Form und auf der Säule der Barmherzigkeitdie drei Sephiroth der Kraft befinden, während auf der Säule desGleichgewichts die verschiedenen Bewußtseinsebenen anzutreffensind. Die Säule der Härte, mit Binah am Kopfende, ist dasweibliche Prinzip, die Pingala der Hindus, das Yang der Chinesen.Die Säule der Barmherzigkeit, an deren Kopf Chockmah sitzt, istdie Ida der Hindus und das Yin der Chinesen, und die Säule desGleichgewichts ist Sushumna und Tao.

12. Die Götter im Baum des Lebens

Jeder, der sich mit vergleichender Religionswissenschaft undderen Stiefkind, der »Völker - Kunde«, befaßt hat, weiß, daß derMensch, als er begann, die Naturphänomene um sich herum zubeobachten und zu analysieren, zu dem Schluß kam, daß die Wesen,die diese Phänomene schufen, ihm von ihrer Natur her sehr ähnlichsein mußten, aber mehr Macht besaßen als er. Da er sie nichtsehen konnte, nannte er sie verständlicherweise »unsichtbar«, undda er auch seinen eigenen Geist nie zu Gesicht bekam solangeerlebte, noch die Seele seines Freundes, nachdem dieser gestorbenwar, schloß er daraus, daß die Wesen, die diese Naturphänomeneerschaffen hatten, von der gleichen Art sein mußten wie Geist undSeele — unsichtbar, aber aktiv.So wie es die Anthropologen formulieren, mag das sehrungeschliffen klingen, aber das liegt daran, daß, um dieGedankengänge der Wilden adäquat auszudrücken, auch »wildes«Vokabular gewählt wurde. In einer der Standardübersetzungen einesHauptwerkes der chinesischen Kultur zum Beispiel wird derehrwürdige Philosoph Lao Tse »Alter Junge« genannt. Das mag füreuropäische Ohren komisch klingen, ist aber gar nicht so weit voneiner der Formulierungen in der Übersetzung eines anderen Werkesentfernt, die glücklicherweise aus der Feder von Menschen floß,die großen Respekt vor dem hatten, was sie beschrieben. »... dennihr sollt werden wie kleine Kinder.« Ich bin kein Sinologe,vertrete aber in diesem Fall die Ansicht, daß der Begriff »EwigeKinder« sich sicher genausogut, ja sogar besser, in den Kontexteinfügen ließe.Es gibt in mystischen Kreisen ein Sprichwort: »Achte darauf, daßdu nicht eines anderen Menschen Namen für seinen Gott schmähst!Denn wenn du Allah schmähst, dann schmähst du auch Adonai.«Hatte der primitive Mensch denn wirklich so unrecht, wenn er dasEntstehen der Naturphänomene im gleichen Bereich ansiedelte wiedie im menschlichen Geist ablaufenden Denkprozesse, nur auf einerhöheren Stufe? Ist das nicht gerade der Punkt, über den sichPhysiker und Metaphysiker langsam einig werden? Wenn wir jetztdiese Äußerung der primitiven Philosophen umformulieren undsagen: Die Urnatur des Menschen gleicht der seines Schöpfers,

Page 67: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

würde man das dann als eine blasphemische oder lächerlicheAussage bezeichnen können?Wir können Naturkräfte auf das menschliche Bewußtsein zuschneidenund sie personifizieren, wir können aber auch das menschlicheBewußtsein den Naturkräften anpassen, indem wir es abstrahieren.Beides sind in der okkulten Metaphysik legale Vorgehensweisen,und bei ihrer Durchführung stoßen wir auf wichtige Hinweise undpraktische Ergebnisse. Wir sollten jedoch nicht den Fehler desUnwissenden begehen und sagen, A ist gleich B, wenn wir meinen, Aist B von seiner Natur her sehr ähnlich. Trotzdem können wirGerechtfertigteerweise Hermes' Axiom anwenden, das besagt: »Wieoben, so unten«, denn wenn A vom gleichen Typus ist wie B, dannlassen sich Gesetzmäßigkeiten, die für A gelten, auch auf Bübertragen. Wie im Kleinen, so im Großen. Daraus können wirschließen, daß das, was wir über A wissen, unter Berücksichtigungder Größenordnungen auch auf B anwendbar ist. Diese Analogmethodewurde auch von den Gelehrten der Antike angewandt, und wenn siedurch ständige Beobachtung und Experimente überprüft wird, kannsie uns einige fruchtbare Ergebnisse liefern und viele vor einemendlosen Herumtappen im Dunkeln bewahren.Das Personifizieren und Vergöttlichen der Naturkräfte war dererste unbeholfene, aber kluge Versuch des Menschen, einemonotheistische Theorie des Universums aufzustellen und sich sovom destruktiven und hindernden Einfluß eines ungelöstenDualismus zu befreien. Da sein Wissen Jahrhundert um Jahrhundertzunahm und seine Denkprozesse sich verfeinerten, konnte er diesenersten Versuch der Einordnung ständig ausbauen. Er verwarf seineersten Klassifizierungsversuche jedoch nicht völlig, denn siewaren vom Ansatz her richtig und basierten auf Tatsachen. Erverfeinerte und erweiterte sie lediglich, und wenn die Zeitenschlecht waren, gesellte sich der Aberglaube dazu.Wir sollten die heidnischen Pantheone deshalb nicht alsVerirrungen des menschlichen Geistes betrachten, noch sollten wirversuchen, sie unter dem Blickwinkel des ungebildeten undunwissenden Menschen zu sehen. Vielmehr sollten wir unsüberlegen, was sie wohl für die hochintelligenten und gebildetenHohepriester zur Blütezeit dieser Kulte bedeutet haben mögen.Vergleichen wir doch einmal zum Thema heidnische Riten AlexandraDavid Neel und W. B. Seabrook mit den Schilderungen einesdurchschnittlichen Missionars. Seabrook klärt uns über diespirituelle Bedeutung des Voodoo auf, und Alexandra David Neelberichtet über die metaphysischen Aspekte der tibetanischenMagie. Der positiv eingestellte Beobachter, der das Vertrauen derMitglieder dieses Kultes erringt, der als Freund in ihrAllerheiligstes geführt wird und der offen ist. Neues zu lernen,statt nur zu beobachten und sich über das, was er sieht, zumokieren, wird diese Kulte sicher ganz anders erleben als derengstirnige Fanatiker, der mit schmutzigen Stiefeln in den Tempel

Page 68: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

stapft und dann von empörten Kultanhängern gesteinigt wird.Bevor wir ein Urteil über diese Dinge fällen, wollen wir uns dasChristentum etwas genauer betrachten. Ein nicht wohlgesonnenerBeobachter würde wohl zu dem Schluß kommen, daß wir ein Schafanbeten, und auch der Heilige Geist könnte ihn zu einigenspektakulären Interpretationen hinreißen. Warum können wir nichtdie Metaphern anderer Menschen akzeptieren, wenn wir doch selbstnicht wörtlich genommen werden wollen. Das äußereErscheinungsbild der heidnischen Kulte ist auch nicht primitiverals das des Christentums in unterentwickeltenlateinamerikanischen Ländern, wo Jesus Christus mit Frack undZylinder dargestellt wird und die Jungfrau Maria mitspitzenbesetzten Pumphosen. Die alten heidnischen Religionenzugrundeliegenden Gedanken können es ohne weiteres mit unsererbesten Metaphysik aufnehmen. Schließlich sind aus dieser ZeitMänner wie Plato und Plotinus hervorgegangen. Dermenschliche Geist ändert sich nicht, und was für uns gilt, galtsicher auch für die Heiden. Das Lamm Gottes, das die Sünden derWelt auf sich nimmt, ist nur eine andere Version des Mithras -Stieres, der die gleiche Funktion hatte. Der einzige Unterschiedliegt darin, daß der Eingeweihte früherer Zeiten tatsächlich »mitBlut gewaschen wurde«, während der heutige das nur nochmetaphorisch vollzieht. Autres temps autres mcers.Wenn wir denen, die wir mit Genuß Heiden nennen, sowohl dendamaligen als auch den heutigen, offen und mit Ehrfurchtbegegnen, und wenn wir uns klarmachen, daß Allah, Brahma und AmenRa nur andere Bezeichnungen für das Wesen sind, das wir Gottnennen, können wir vieles von dem neu lernen, was in Europaverlorenging, als die Gnosis ausgelöscht und ihre Literaturvernichtet wurde.Es wird uns klar werden, daß die heidnischen Religionen ihreLehren in eine Form kleiden, die der Verstand eines Europäersnicht so leicht begreifen kann, und daß wir diese Lehrenumformulieren müssen, damit sie für uns nachvollziehbar werden.Wir müssen die metaphysische Vorstellung mit dem heidnischenSymbol in Verbindung bringen, dann können wir die umfangreichenmystischen Erfahrungen auf diese metaphysische Vorstellunganwenden, die Generationen durch Kontemplation und experimentellePsychologie um die Symbole herum aufgebaut haben. Wenn wir vonexperimenteller Psychologie sprechen, dürfen wir nicht den Fehlerbegehen anzunehmen, daß sie ausschließlich ein Produkt unsererZeit sei, denn die Mysterienpriester des Altertums mit ihremTempelschlaf und ihren willentlich durch hypnoseähnlicheTechniken herbeigeführten Visionen waren nicht mehr und nichtweniger als experimentell arbeitende Psychologen. Leider gerietdiese Kunst in Vergessenheit, wie so viele andere aus dieserZeit, und wird jetzt mühsam und stückweise in fortschrittlichdenkenden wissenschaftlichen Kreisen wiederentdeckt.

Page 69: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Methode, die der Eingeweihte unserer Tage benutzt, um dieSprache der antiken Mythen in unsere heurige zu übersetzen, istsehr einfach, aber wirkungsvoll. Er sucht im kabbalistischen Baumdes Lebens ein Bindeglied zwischen den höchst stilistischenheidnischen Systemen und seiner mehr rational orientiertenMethode. Der Jude, von asiatischem Blut und monotheistischerReligion, hat in beiden Welten einen Fuß stehen. Der moderneOkkultist findet im Baum des Lebens mit seinen zehn heiligenSephiroth sowohl eine metaphysische als auch eine magische Seite.Um den Baum für seinen Verstand erklärbar zu machen, bedient ersich eines philosophischen Ansatzes, und sein Unterbewußtseinbenutzt die Symbole in ihrer magischen Bedeutung und inZeremonien. Der Eingeweihte macht also das Beste aus der antikenund aus der modernen Methode. Die heurige Zeit orientiert sichnur am erfaßbaren Bewußtsein und hat das Unterbewußtsein zu ihremeigenen Nachteil fast völlig vergessen und verdrängt. DasAltertum dagegen orientierte sich fast ausschließlich amUnterbewußtsein, da das Bewußtsein gerade erst in der Entwicklungbegriffen war. Wenn diese beiden Ebenen miteinander verbunden undzwei Pole gebildet werden, entsteht in der Folge dasÜberbewußtsein, das Ziel, das der Eingeweihte anstrebt.Unter Einbeziehung der eben besprochenen Thesen wollen wir nundie antiken Pantheone mit den Sphären des Lebensbaumes inBeziehung setzen. Es gibt zehn solcher Sphären, nämlich die zehnheiligen Sephiroth, und auf diese müssen wir nun ihrem Wesenentsprechend die verschiedenen Götter und Göttinnen derjeweiligen Pantheone verteilen. Danach können wir die Bedeutungdieser Pantheone im Lichte dessen betrachten, was wir bereitsüber die im Baum enthaltenen Prinzipien wissen und unser Studiumdurch all das erweitern, was wir über die antiken Götter lernen.Das ist aus intellektueller Sicht von großem Wert für uns, aberes liegt noch ein anderer Nutzen darin, den derdurchschnittliche, nicht mit mystischen Dingen vertraute Menschnicht sofort erkennt. Die Ausführung eines zeremoniellen Ritus,der das Wirken einer als Gottheit dargestellten Kraft symbolischverdeutlicht, hat eine tiefergehende und eindringlichere Wirkungauf das Unterbewußtsein eines für übersinnliche Schwingungenempfänglichen Menschen, als man sich vorstellen mag. Im Altertumhaben diese Riten einen hohen Grad an Perfektion erreicht. Wennwir heute die uns verlorengegangene Kunst der angewandten MagieWiederaufleben lassen wollen, können wir, was dieses Themabetrifft, von unseren Vorfahren viel lernen. Die gesamte inEuropa praktizierte Magie gründet sich auf den Baum des Lebens,und jemand, der mit den kabbalistischen Methoden keine praktischeErfahrung hat, kann die Magie wohl kaum verstehen oderwirkungsvoll anwenden. Aufgrund der fehlenden Praxis gleitet derpopuläre Okkultismus so leicht in den puren Aberglauben ab. »Inihrem Namen steckt ihre Zahl«, bekommt eine andere Bedeutung,

Page 70: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wenn wir die mathematische Kabbala begreifen. Die Kunst, dieZukunft aus dem Kaffeesatz zu lesen, erhält ein völlig neuesGesicht, wenn uns die Methode der magischen Bilder bekannt istund wir ihren Aufbau und ihre Interpretationsmöglichkeiten alspsychologisches Werkzeug kennen, mit dessen Hilfe wir denSchleier des Unterbewußtseins lüften können.Etwas leger gesagt, ordnen wir also die Götter und Göttinnen derheidnischen Pantheone in die zehn Schubkästen der zehn heiligenSephiroth ein und stützen uns dabei hauptsächlich aufastrologische Assoziationen, denn die Astrologie spricht eineuniverselle Sprache, weil alle Menschen die gleichen Planetensehen. Das All gehört zu Kether, der Zodiakus zu Chockmah, diesieben Planeten zu den darauffolgenden sieben Sephiroth und dieErde zu Malkuth. Folglich können wir jeden Gott, der mit Saturnin Verbindung gebracht wird, Binah zuordnen, und ebenso jedeGöttin, die als Urmutter oder erhabene Eva, im Unterschied zurniederen Eva, der Braut des Mikrokosmos, Malkuth, gilt. Dashöchste Dreieck, Kether, Chockmah und Binah, gehört jeweils zuden Alten Göttern, die in jedem Pantheon als Vorgänger der dortverehrten Gottheiten angesehen werden. So wird man Rhea undKronos Binah und Chockmah zuordnen können und Jupiter Chesed.Alle Korn - Göttinnen gehören in die Sphäre Malkuths und alleMondgöttinnen zu Jesod. Die Kriegsgötter und zerstörerischenGötter, oder göttlichen Teufel, werden Geburah zugeteilt und dieLiebesgöttinnen Netzach. Die Götter, die das Wissen eingeführthaben, stehen zu Hod in Bezug und Götter, die sich opferten oderals Erlöser auftraten, zu Tiphereth. Ein Experte wie RichardPayne Knight schreibt in seinem wertvollen Werk The SymbolicLanguage of Ancient Art and Mythology über die »bemerkenswerteÜbereinstimmung der Allegorien, Symbole und Bezeichnungen derantiken Mythologie mit dem mystischen System der Emanationen«.Mit Hilfe dieses Systems können wir die Pantheone sortieren,ähnliche Symbole vergleichen und mit einem Symbol ein andereserklären.In seinem Buch der Entsprechungen 777 ordnet Crowley die Göttersowohl den Sephiroth als auch den Pfaden zu. Das ist meinerMeinung nach ein Fehler, der nur Verwirrung stiftet. Nur dieSephiroth selbst sind Naturkräfte, während die PfadeBewußtseinsebenen darstellen. Die Sephiroth sind objektiv, diePfade subjektiv. Deshalb erscheinen auch in der Darstellung desBaumes, den die Eingeweihten bei ihrer Arbeit benutzen, dieSephiroth in einer anderen Farbskala als die Pfade. Wer in Besitzdieser Glyphe ist, weiß wovon ich spreche.Die Pfade selbst werden meiner Meinung nach direkt von denheiligen Namen und den zugeordneten Sephiroth bestimmt, und mansollte sie nicht mit anderen Pantheonen vermischen. Wir könnenzwar in anderen Systemen auf viele wichtige Hinweise stoßen, eswäre aber ungeschickt, die praktischen Arbeitsmethoden und die

Page 71: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Entwicklung des Bewußtseins vermischen zu wollen.Der siebzehnte Pfad, der Tiphereth und Binah verbindet, wirdbeispielsweise im Sepher Jezirah mit dem Element Luft verknüpft.Wir tun besser daran, mit dem Ritus des Elementes Luft und denentsprechenden heiligen Namen vorliebzunehmen und uns diesem Pfadmit dem passenden Tattwa zu nähern, als den Vorgang mit derKollektion der verschiedensten Götter wie Castor, Pollux, Janus,Apollo, Merti und ähnlichen von Crowley dort eingeordneten zuvollziehen. Die Entsprechungen würden uns sonst in ein unlösbaresNetz von Assoziationen verstricken.Die Sephiroth sollten makrokosmisch interpretiert werden und diePfade mikrokosmisch, dann finden wir den Schlüssel zumVerständnis des Baumes sowohl im Menschen als auch in der Natur.

13. Praktische Arbeit mit dem Baum

Falls sich unter den Lesern, die dem Studium der Kabbala bishierher gefolgt sind, doch einige befinden sollten, die sich imOkkultismus des Westens etwas besser auskennen, werden sie aufwesentlich mehr Vertrautes gestoßen sein als auf Neues. Wenn wirin dieser riesigen Schatztruhe der Weisheit des Altertumsstöbern, sind wir etwa in der gleichen Situation wie einEthnologe bei der Ausgrabung eines verschütteten Tempels. Wirbringen eher einzelne Fragmente ans Licht, als einzusammenhängendes System, denn dieses System, das in seinerBlütezeit sicherlich zusammenhängend war, wurde zerstört,zerstreut und durch zwanzig Jahrhunderte primitiver Bigotterieund spiritueller Engstirnigkeit bis zur Unkenntlichkeitverstümmelt.Über diese verstreuten Fragmente wurde allerdings mehrrecherchiert als allgemein bekannt ist. Mme. Blavatsky hat eineMenge Daten gesammelt und sie einem staunenden Publikumpräsentiert, das wenig mehr davon verstand als ein Kind versteht,das vor den Vitrinen eines Museums steht und sich wundert, wasfür eigenartige Sachen darin zu sehen sind. Die wissenschaftlicheArbeit von G. R. S. Mead brachte uns viele Informationen über dieGnosis, die esoterische Tradition des Westens in früherenJahrhunderten. Frau Atwoods Monumentalwerk gibt Aufschluß überdie Bedeutung der alchemistischen Symbolik. Keiner dieser Autorenhat jedoch die westliche Tradition aus der Sicht einesEingeweihten beschrieben, sondern eher als Außenstehender, derdie einzelnen Fragmente von Analogien zusammensetzt, oder, wie imFall von Mme. Blavatsky, anhand von Analogien gearbeitet, die ihmvon einem anderen System und einer anderen Tradition her vertrautwaren.Jene, die sich mit dem Thema als Eingeweihte beschäftigt haben,das heißt, die Schlüssel zu den Mysterien besaßen, und die die

Page 72: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Ergebnisse eher als praktische Methode zur Erweiterung desBewußtseins angewandt haben, haben meistens ihre Geheimnisse fürsich behalten. Das mag in den Tagen der Heiligen Inquisition, diesolche Nachforschungen mit dem Scheiterhaufen belohnte, nicht nurgerechtfertigt, sondern lebensnotwendig gewesen sein, kann aberin unserer liberalen Zeit wohl kaum auf ein anderes Motivzurückgeführt werden als das des Aufbaus und der Erhaltung einesbestimmten Prestiges. In den letzten fünfundzwanzig Jahren ist inden englischsprachigen Ländern ein »Reservat« der okkultenPraxis, um nicht zu sagen des okkulten Wissens, entstanden. Ein»Reservat«, das verhindert hat, daß ein spiritueller Impulsausgehen konnte, der eigentlich bereits in den letztenfünfundzwanzig Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einemWiederaufleben der Mysterien hätte führen sollen. Weil die Erdezur Aussaat reif war, die Samenkörner aber nicht gepflanztwurden, wehten die vier Winde eigenartige Samenkörner in dieaufnahmebereite Erde, und es entstand eine tropische Vegetation,die keine Wurzeln in der Tradition hatte und deswegen verwelkteoder eigenartige Auswüchse entstehen ließ.Der verschüttete Tempel unserer eigenen Tradition wurde zwarteilweise wieder freigelegt, die gefundenen Fragmente wurden aberden Schülern nicht zur Verfügung gestellt, wie es nach derehrbaren Tradition der Begabtenförderung in Europa eigentlichhätte sein sollen, sondern verschwanden in privaten Sammlungen,deren Schlüssel in der Tasche von Einzelpersonen blieben, die dieTüren nach ihrem Gutdünken öffneten oder geschlossen hielten.Sicherlich werde ich mit diesen Zeilen in jenen Kreisen Aufregunghervorrufen, deren Privatsammlungen durch meine Äußerungsozusagen abgewertet werden. Aber ich hege keinen Zweifel daran,daß die unzähligen Schüler, die bis jetzt vergeblich versuchthaben, den westlichen Weg zu gehen, in diesen Seiten denSchlüssel zu all dem finden werden, was ihnen an dieser Methodeunverständlich war. Ich möchte — fast noch unverblümter — sagen,daß die Methode, nach der sie unterrichtet wurden, gar keineMethode war. Ich selbst bin zehn Jahre in der Dunkelheitherumgetappt, bevor ich den Zugang fand, und selbst das konntenur deshalb geschehen, weil ich inzwischen genug Gespürentwickelt hatte, um die Verbindung auf den inneren Ebenen zubegreifen. Es ist mir unverständlich, wie jemand annehmen kann,daß er der Methode einen Dienst erweist, indem er bewußtRatschläge und wichtige Hinweise zurückhält, die für die Schülerbei ihrer Arbeit unverzichtbar sind. Wenn ein Schüler unwürdigist, den Weg zu gehen, dann sollten wir uns weigern, ihnauszubilden, wenn wir aber beschließen, einen Schülerauszubilden, dann sollten wir es auch vollständig tun.Auf den folgenden Seiten habe ich mein Bestes getan, dieRichtlinien zu erläutern, denen der Einsatz von magischenSymbolen unterliegt. Die praktische Ausbildung in diesen

Page 73: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Zeremonien sollte am besten unter Anleitung einer Personerfolgen, die darin bereits erfahren ist. Es allein oder mitähnlich unerfahrenen Freunden zu versuchen, bringt unnötigeRisiken mit sich. Ich sehe aber keinen Hinderungsgrund, wenn esjemand mit der meditativen Methode versuchen will.Um mit den magischen Symbolen arbeiten zu können, muß man mitjedem einzelnen von ihnen in Kontakt kommen. Es hat wenig Sinn,eine Liste von Symbolen zu erstellen und dann ein Ritualvollziehen zu wollen. Bei der Magie muß man, ebenso wie auf derGeige, erst »seine eigenen Töne finden«. Sie sind nicht bereitsda, wie auf dem Klavier. Der Schüler, der lernen möchte Geige zuspielen, muß sich erst jeden einzelnen Ton erarbeiten, bevor erein Stück spielen kann. So ist es auch bei okkulten Handlungen.Wir müssen es verstehen, die magischen Vorstellungen aufzubauenund mit ihnen in Kontakt zu treten, bevor wir damit arbeitenkönnen.Die jedem der zweiunddreißig Pfade entsprechenden Symbolgruppenbenutzt der Eingeweihte, um die magische Vorstellung aufzubauen.Er muß dazu die Symbole aus der Praxis kennen, nicht nurtheoretisch, das heißt, sie müssen in seinem Gedächtnis nicht nurgut verankert sein, sondern er muß auch bereits über jedeseinzelne von ihnen meditiert, seine Bedeutung erforscht und dieKraft, die es symbolisiert, erfahren haben. Es dauert ein ganzesLeben, bis man die zu jedem Pfad gehörende Unmenge von Symbolenkennt, aber der Schüler sollte als Grundvoraussetzung zumindestüber die wichtigsten von ihnen Bescheid wissen. Danach kann eralle anderen Symbolformen, die ihm begegnen, richtig einordnen.Sein Wissen wird sich so in zwei Bereichen erweitern. Zum einenlernt er die Symbolik in ihren unendlich vielen Verzweigungenkennen, zum anderen erarbeitet er sich die hinter dieser Symbolikstehende Interpretationsphilosophie. Verfügt er erst einmal überein praktisches Wissen, was die Konzepte und die esoterischeKosmogonie betrifft, sowie über Kenntnisse der Hauptsymbole dereinzelnen Sephiroth, steht ihm ein Aktenregister zur Verfügung,und er kann beginnen, es mit Material aus den verschiedenstenQuellen zu füllen, angefangen von der Archäologie überVolksmythen, mystische Religionen und Reiseberichte bis hin zuden Spekulationen der Philosophie des Altertums und der heutigenZeit sowie der ultramodernen Wissenschaften.Der uneingeweihte Forscher mag sich wundern, wie die große Mengevon im Gehirn gespeicherten Daten geordnet abgerufen werden kann.Zunächst einmal arbeitet der ernsthafte Schüler, der den Baum alsseine Methode der Meditation benutzt, täglich damit. Außerdemstellt sich bei der Arbeit mit den Symbolen heraus, daß ihreZuordnung zu den einzelnen Sephiroth, die ja logischeZusammenhänge aufweist, irgendwo im Unterbewußtsein gespeichertist und daß die Symbolfolgen nicht halb so schwer erinnerbarsind, wie man annehmen könnte, zumal sie bereits in Meditationen

Page 74: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

verwendet werden. Einige der Symbole beziehen sich auf dasKonzept der esoterischen Philosophie, einige auf die Methoden derBewußtseinsprojektion bei Visionen und einige auf die Elementeder Zeremonien selbst. Der Schüler sollte nicht vergessen, daßdie Bedeutung der Symbole sich ihm nicht durch bewußt gelenkteMeditation allein eröffnen wird, auch nicht, wenn er siegenauestens kennt, sondern daß diese Symbole so verwendet werdenmüssen, wie es die Eingeweihten vorgesehen haben, nämlich alsHilfsmittel, um Vorstellungen und Bilder aus dem Unterbewußtseinins Bewußtsein zu holen.Eine Gruppe von Symbolen gehört zu den zehn heiligen Sephirothselbst und eine andere Gruppe zu den zweiundzwanzig Pfaden, diesie miteinander verbinden. Einige der Symbole tauchen jedoch inbeiden Gruppen auf, und alle stehen durch ihre astrologischen undnumerischen Verbindungen in Beziehung zueinander. Das klingt nachungeheurer Komplexität, ist in der Praxis aber viel einfacher zubewältigen, als es klingt, denn die Arbeit wird nicht vomBewußtsein verrichtet, sondern vom Unterbewußtsein. Dabei ist esziemlich gleichgültig, aufweiche Weise die Symbole insUnterbewußtsein hineingesickert sind, der kleine Dämon, derhinter dem Über - Ich sitzt, sortiert sie aus, sucht sich das,was er haben will, heraus und schickt alles andere zurück. Sotaucht schließlich im Bewußtsein wieder ein zusammenhängendesSchema auf, das nur darauf wartet, analysiert zu werden, um dann,ähnlich wie ein Traum, seine Bedeutung zu enthüllen.Eine durch die Arbeit mit dem Baum herbeigeführte Vision istgenaugenommen ein künstlich hervorgerufener Tagtraum, willkürlichgeschaffen und bewußt zu einem ausgewählten Thema in Beziehunggesetzt, bei dem nicht nur der Inhalt des Unterbewußtseinsfreigesetzt wird, sondern auch übersinnliche Wahrnehmungenerzeugt und dem Bewußtsein zugänglich gemacht werden. Die Symbolein einem Tagtraum sind zufällig aus den Erlebnissen der Personherausgegriffen, bei der kabbalistischen Vision werden sie jedochgezielt aus einer bestimmten Symbolgruppe ausgewählt, auf die dasBewußtsein durch ein strenges Konzentrationstraining ausgerichtetworden ist. In dieser speziellen Fähigkeit, den Geist innerhalbfestgelegter Grenzen schweifen zu lassen, liegt die Technik derokkulten Meditation, und diese Fähigkeit kann nur durch langeausgeübtes, konstantes Training erworben werden. Darin liegt derUnterschied zwischen dem geübten und dem ungeübten Okkultisten.Dem ungeübten Schüler mag es zwar gelingen, das Bewußtsein ausder Kontrolle der Persönlichkeit herauszulösen und so dieVorstellungen entstehen zu lassen, aber er verfügt nicht über dieFähigkeit, die auftauchenden Bilder selektiv auszuwählen, weshalbihm alles mögliche erscheinen kann, darunter eine unterschiedlichgroße Anzahl unbewußter Inhalte. Der geübte Okkultist, der esgewohnt ist, diese Methode in seinen Meditationen anzuwenden,kann sich unmittelbar von dem normalen Bewußtseinsinhalt lösen,

Page 75: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

es sei denn, er wird durch Emotionen darin festgehalten und so inseine Maschen verstrickt. Aber selbst dann bietet ihm dieseMethode Schutz, denn er erkennt nicht passende Symbole in seinenVisionen sofort, da er sie überprüfen kann.Beim Studium des Baumes sollte der Schüler jede Sephirah stetsunter dem dreifachen Aspekt betrachten, den wir bereits erwähnthaben: als Philosophie, als übersinnliche Erfahrung und alsmagisches Zeichen. Er sollte sich deshalb zunächst die Sephirahals einen Faktor in der Evolution des Kosmos vor Urzeiten denken,egal ob dieser Faktor weiterhin existiert, bereits wiederverschwunden ist oder noch nicht die Ebene der dichten Materieerreicht hat.Mit diesem Aspekt des Baumes hängen auch die eigenartigenkryptischen Texte des Sepher Jezirah zusammen. Pro Pfad existiertein Text. Diese rätselhaften Aussagen haben den erstaunlichenEffekt, in der Meditation zu blitzartigen Eingebungen zu führenund sollten deswegen keinesfalls als unsinnig disqualifiziertwerden, so unverständlich sie auch auf den ersten Blickerscheinen mögen.Ein weiterer Schlüssel zum besseren Verständnis der Sephirothliegt in den verschiedenen Bezeichnungen für jede einzelne vonihnen, deren Anzahl zwischen einer zusätzlichen Bezeichnung undzwei oder drei Dutzend schwanken kann. Diese Bezeichnungen sindanschauliche Namen, die die alten Rabbis den Sephiroth gegebenhaben und die in der kabbalistischen Literatur immer wiederauftauchen. Aus diesen Namen können wir viel herauslesen. DieBezeichnungen Verborgenes des Verborgenen und Urpunkt für Ketherbringen jeden, der weiß, wo er dazu nachforschen kann, ein ganzesStück weiter.Wenn wir mit der Symbolik vertraut sind, können wir jederSephirah die entsprechenden Götter anderer Systeme zuordnen undgelangen bei der Untersuchung der Symbole selbst, der Funktiondes jeweiligen Gottes, der kosmischen Konzepte und der Art derAnbetung zu neuen Erkenntnissen. Wenn wir eine gute Enzyklopädie,Frazers Buch Der Goldene Zweig und Mme. Blavatskys Geheimlehreund Entschleierte Isis zur Verfügung haben, können wir vieleRätsel lösen, die zunächst unlösbar erschienen, indem wir unseinfach die Mühe machen nachzuschlagen, und diese Arbeit wird zueiner faszinierenden Aufgabe werden. Wenn wir den Baum auf dieseWeise untersuchen, kommen wir zu fruchtbaren Ergebnissen, weil esdie Diagrammform dieser Glyphe ermöglicht, Verbindungen zwischenden einzelnen Zeichen herzustellen und aus diesen VerbindungenRückschlüsse zu ziehen.Der Okkultist benutzt bei der Arbeit mit den übersinnlichenAspekten des Baumes zunächst Vorstellungen, denn durch dieseVorstellungen und die Namen der Anrufung wird die Vision erzeugt.Zu jeder Sephirah gehört ein Grundsymbol, das auch das magischeBild der Sephirah genannt wird. Als zweites verbindet der

Page 76: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Okkultist die Sephirah in seiner Vorstellung mit einergeometrischen Form, die verschiedene Aspekte der Sephirahdarstellt. Bei der Zusammensetzung eines Symbols dient ihm immerdiese geometrische Form als Ausgangsbasis. Zu Geburah oder Mars,der fünften Sephirah, gehört als Form ein Pentagon, also einFünfeck. Jedes Geburah - Symbol, gleichgültig ob es ein Talisman,ein Altar für Mars oder die geistige Vorstellung eines Symbolsist, wird immer die Form eines Pentagons und eine der Farben ausder Mars - Skala haben.Die wichtigsten Formen im Baum sind jedoch diejenigen, die mitden vier Namen der Macht, die jede Sephirah hat, verbundenwerden. Dazu gehören vier Farben, in denen sich diese Namen insymbolischer Weise in jeder der vier kabbalistischen Weltendarstellen. Der höchste Name ist der Name Gottes in Aziluth, derWelt des Geistes. Dieser Name herrscht über alle Aspekte dieserSephiroth - Sphäre, unabhängig davon, ob sie kosmischer,evolutionärer oder subjektiver Natur sind. Er ist die Grundlagezur Entwicklung der Manifestation in dieser Sphäre, dieGrundlage, auf der jegliche Weiterentwicklung beruht und die inallen späteren Erscheinungsformen und Manifestationen sichtbarwird.Der zweite Name der Macht ist der des Erzengels der Sphäre. Erbeinhaltet das zielgerichtete Bewußtsein jenes Wesens, durchdessen Wirken der Entwicklungsprozeß dieser Phase eingeleitet undgesteuert wurde. Die Erzengel werden auf Bildern als Wesen mitmenschlicher, wenn auch himmlisch glorifizierter Formdargestellt. Wir sollten jedoch nicht davon ausgehen, daß siesich in die uns bekannten Kategorien von Leben und Bewußtseineinordnen lassen.Ihr Wesen ist den Kräften der Natur wesentlich ähnlicher,andererseits sind sie aber auch keine intelligenzlosen Wesen, daihr Wirken individueller, intelligent und zielgerichtet ist. Wirmüssen beide Aspekte berücksichtigen, wenn wir uns eineVorstellung von ihnen machen wollen. Diese beiden Aspekte werdenaufeinanderstoßen und sich gegenseitig beeinflussen, bis wirschließlich zu einer Vorstellung gelangen, die von der westlichenIdeenwelt weit entfernt ist.Der dritte Name der Macht bezeichnet kein einzelnes Wesen,sondern eine ganze Gruppe, nämlich die Engelchöre, wie sie vonden Rabbis genannt werden. Diese Engelchöre sind ebenfallsvernunftbegabte Elementarkräfte.Der vierte Name steht für das von uns als weltliches Chakrabezeichnete himmlische Objekt, das das Ergebnis der von einerbestimmten Sephirah ausgelösten Entwicklungsphase ist und dasdiese Sephirah symbolisiert.Der magische Aspekt der Sephiroth, unser dritterUntersuchungsansatz, ist vor allem praktischer Natur. Unserhauptsächliches Augenmerk richtet sich dabei auf die Erfahrungen,

Page 77: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

die unter der Aufsicht dieser verschiedenen Aspekte derGottesmanifestation gemacht werden können, und auf die Mächte,über die der Magier Herr ist, wenn er sich diese Erfahrungen zueigen gemacht hat.Jeder Sephirah ist eine Tugend zugeteilt, die ihren idealenAspekt symbolisiert, das Geschenk, das sie der Entwicklungbringt, und ein Laster als Ergebnis eines Überhanges ihrerEigenschaften. Die Tugenden Geburahs (Mars) sind Energie und Mut,ihre Laster sind Grausamkeit und Zerstörungswut. Wer sich mitAstrologie beschäftigt, wird sofort bemerken, daß die denSephiroth zugeordneten Tugenden und Laster den Charakteristikader Planeten entsprechen, zu denen sie gehören. Daraus läßt sicheine völlig neue Betrachtungsweise der Astrologie ableiten.Die spirituelle Erfahrung, wie ich sie nenne, oder die okkulteMacht, von der Crowley spricht, ist ein tiefer Einblick in odereine Vision von bestimmten Aspekten der Kosmogonie. DieseErfahrung ist die Grundlage der Einweihung in die einzelnen, denSephiroth zugeteilten Grade, denn in den Großen Mysterien imWesten werden die Grade der Einweihung und die Sephirothmiteinander in Beziehung gesetzt.Im Mittelalter wurde jeder Sephirah zwar auch ein bestimmterKörperteil zugeordnet, was man jedoch nicht zu wörtlich nehmensollte. Der eigentliche Schlüssel liegt darin, daß dieverschiedenen Sephiroth Faktoren im Bewußtsein darstellen, undwenn wir Gevurah als den starken rechten Arm bezeichnen, solltenwir uns bewußt machen, daß damit eigentlich die starkeWillenskraft und die Fähigkeit zur Vernichtung des Überflüssigenund Unausgewogenen gemeint sind.Jeder Sephirah und jedem Pfad werden symbolisch Tiere, Pflanzenund Edelsteine zugeordnet. Für den Schüler ist das insofern vonBedeutung, als darin wichtige Hinweise auf die Verbindungzwischen den Göttern der einzelnen Pantheone und den Sephirothenthalten sind. Außerdem dienen diese Symbole als Wegweiser aufden astralen Pfaden. Wenn zum Beispiel jemand die Vision einesPferdes (Mars) oder eines Schakals (Luna) hat, er sich aber inder Sphäre Netzachs (Venus) bewegt, weiß er, daß die Vision nichtstimmig ist, daß die Ebenen durcheinandergeraten sind. Im ReichNetzachs würde man eher Tauben oder ein geflecktes Raubtier, zumBeispiel einen Luchs oder einen Leoparden erwarten.Man könnte denken, daß die Verbindung zwischen den Symboltierenund den Göttern in den alten Mythen völlig willkürlich undlediglich das Ergebnis poetischer Phantasie war, die ist, »wieder Wind, der bläst, wohin es ihm gefällt«. Ein Okkultist würdedarauf antworten, daß die poetischen Phantasien keineswegswillkürlich sind und den Zweifler an die Werke Dr. Jungs, desberühmten Psychiaters aus Zürich, verweisen. Oder er würde an dieEssays des irischen Poeten »A. E.« erinnern und insbesondere anSong and its Foundations, worin »A. E.« über die Quellen seiner

Page 78: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Inspiration schreibt Von der Art seiner Poesie her und aufgrundvieler Stellen in seinen Werken können wir ihn sicher als einenaus der Gruppe von Poeten bezeichnen, deren Inspirationen aus dermystischen Kabbala geboren wurden. Jedenfalls ist das, was er zusagen hat, purer Kabbalismus und trägt beträchtlich zur Erhellungunseres gegenwärtigen Themas bei.Dr. Jung hat einiges zur Fähigkeit des menschlichen Geistes zurMythenfindung zu sagen, dem der Okkultist nur beipflichten kann.Er weiß jedoch auch, daß die Konsequenzen dieser Fähigkeitwesentlich weitreichender sind, als die Psychologie vermutenwürde. Der Geist des Poeten und des Mystikers ist, wenn er überdie immensen Naturkräfte und -faktoren des manifesten Universumsnachsinnt, durch den kreativen Einsatz der Phantasie wesentlichtiefer in die geheimen Ursprünge und Kausalitäten des Lebenseingedrungen als der des Wissenschaftlers. Nicht umsonst hat diekollektive Phantasie jeder menschlichen Rasse bestimmte Tiere mitbestimmten Göttern in Verbindung gebracht. Ein kurzer Blick aufdie genannten Beispiele zeigt eindeutig die Gründe dafür auf. DieTauben symbolisieren den sanften Aspekt der Venus, während dieRaubkatzen die rauhe Seite ihrer Schönheit darstellen.Die Zuordnung verschiedener Pflanzen zu den verschiedenen Pfadenhat zwei Gründe. Zunächst einmal werden bestimmte Pflanzentraditionell mit bestimmten Götterlegenden assoziiert, zumBeispiel das Getreide mit Ceres und der Wein mit Dionysos. DieseGötter wiederum werden mit den Sephiroth in Beziehung gesetzt,deren Funktionen ähnlich sind: das Getreide mit Malkuth und derWein mit Tiphereth, dem Christuszentrum, zu dem alle geopfertenGötter, die gleichzeitig Lichtbringer sind, gehören.Pflanzen werden zu den Sephiroth auf andere Weise in Beziehunggesetzt. Die alte Doktrin der Signatur ordnete irrigerweiseeinige Pflanzen bestimmten Planeten zu. Teilweise bestandtatsächlich eine Verbindung, teilweise waren die Zuordnungenjedoch willkürlich und beruhten auf Aberglauben. Der gute alteCulpeper und andere Kräuterkundige seiner Zeit können einiges zudiesem Thema beisteuern, und auch auf einigen Experimentierfarmender Anthroposophen werden interessante Untersuchungen in dieserRichtung angestellt.Den Sephiroth werden ebenfalls bestimmte Drogen zugeordnet.Wieder müssen wir die Spreu des Aberglaubens vom Weizen derMythologie trennen. Teilweise läßt sich die recht willkürlicheZuordnung der Drogen in der Praxis nicht nachweisen. Wir könnenaber mit Sicherheit sagen, daß bestimmte Typen von Drogen zubestimmten Sephiroth gehören, da sie die gleiche Funktionsweiseaufzeigen wie die jeweilige Sephirah. So lassen sich alleAphrodisiaka mühelos Netzach (Venus) zuteilen, alle abortivenDrogen Jesod in ihrem Hekate - Aspekt, alle Analgetika Chesed(Barmherzigkeit) und Reizdrogen und ätzenden Drogen Gevurah(Härte).

Page 79: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Hier tun sich uns interessante Aspekte der materia medica auf,nämlich die übersinnlichen und psychologischen Funktionsweisender Drogen. Dieses Thema haben eingeweihte Mediziner wieParacelsus eingehend studiert. Durch laienhaften undabergläubischen Mißbrauch dieser Drogen seitens uneingeweihterMediziner kam es zu den manchmal unglaublichen Verirrungen derVolksmedizin.Der Okkultist weiß, daß jede physiologische Aktion und Funktionauch einen psychologischen Aspekt hat. Er weiß auch, daß dieWirkung jeder Droge durch die entsprechende geistige Tätigkeitbeträchtlich verstärkt werden kann und daß bestimmte, chemischinaktive Substanzen geistige Aktivitäten erfolgreich leiten undspeichern können, ähnlich wie andere Substanzen elektrischeStröme leiten und isolieren.Das führt uns zu der Frage der Zuordnung bestimmter Edelsteineund Metalle zu verschiedenen Sephiroth, die sowohl in derAstrologie als auch in der Alchemie anzutreffen ist. Menschen mitübersinnlichen Fähigkeiten wissen, daß kristalline Substanzen,Metalle und bestimmte Flüssigkeiten sich ausgezeichnet eignen,subtile Kräfte zu übertragen und zu speichern. Farben spielen inden Visionen, die durch Meditation über die Sephiroth entstehen,eine wichtige Rolle, und die Erfahrung lehrt, daß ein Kristall inder entsprechenden Farbe sich am besten zur Anfertigung einesTalismans eignet Ein blutroter Rubin als Sinnbild dermartialischen Kräfte Geburahs, ein Smaragd als Symbol des grünenStrahls der Naturkräfte in Netzach.Auch Düfte, besonders Weihrauch, werden mit den Sephiroth inVerbindung gebracht. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt,werden den einzelnen Sphären des Baumes bestimmte spirituelleErfahrungen und bestimmte Bewußtseinsstufen zugeteilt. Es isthinlänglich bekannt, daß nichts einen bestimmtenBewußtseinszustand oder übersinnliche Wahrnehmungsfähigkeitbesser fördert als Gerüche. »Düfte lassen das Herz eherstillstehen als Blicke oder Geräusche«, sagt einer derobjektivsten Poeten, und die praktische Erfahrung der Okkultistenbestätigt das. Bestimmte aromatische Substanzen werdentraditionell mit bestimmten Göttern und Göttinnen in Verbindunggebracht, und diese Substanzen sind hervorragend geeignet, um dieStimmung zu erzeugen, die mit der Gottheit harmoniert.In den langen Listen der den Pfaden entsprechenden Symbole undSubstanzen finden sich auch magische Waffen. Das sindInstrumente, die bei der Herbeirufung einer bestimmten Krafthelfen oder als Leitsubstanz bei ihrer Manifestation dienen, wiezum Beispiel der Zauberstab des Magiers oder die mit Wassergefüllte Schüssel beziehungsweise die Kristallkugel desWahrsagers. Die den Pfaden entsprechenden Waffen oder Instrumentelassen Rückschlüsse auf die Natur der Pfade zu, denn sie sind dasSinnbild der Art von Kraft, die in dieser Sphäre tätig ist.

Page 80: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, stehen die verschiedenenMethoden des Wahrsagens in subtilster Weise mit dem System desBaumes in Verbindung. Die Bezüge zur Astrologie lassen sichanhand der Symbolik der Planeten und Elemente herstellen, ihrerTriplizität, ihrer Häuser und ihrer Dominanz über bestimmteAspekte. Die Geomantie ist mit dem Baum über die Astrologieverbunden, und der Tarot, das zufriedenstellendste allerWahrsagesysteme, hat seinen Ursprung im Baum und leitet seineErklärungen ausschließlich aus dem Diagramm des Baumes ab. Demgelehrten Historiker, der nach dem Ursprung diesergeheimnisvollen Karten forscht und ihn bedauerlicherweise nichtfindet, mögen diese Äußerungen dogmatisch erscheinen. Wenn wirjedoch berücksichtigen, daß der Eingeweihte mit beiden, mit demTarot und dem Baum, arbeitet und daß sie an jeder nur denkbarenStelle übereinstimmen, kommen wir zu dem Schluß, daß eine solchstattliche Reihe von Entsprechungen weder willkürlich nochzufällig sein kann.Ein sehr interessanter und wichtiger Aspekt der praktischenArbeit mit dem Baum liegt in der Art und Weise des Einsatzes derzeremoniellen und talismanischen Magie zur Kompensation derErgebnisse der Wahrsagekunst. Jedes Symbol der Geomantie, jedeTarotkarte und jeder Aspekt des Horoskops haben ihren Platz aufden Pfaden des Baumes, und der Okkultist, der über daserforderliche Wissen verfügt, kann ein Ritual zusammenstellenoder einen Talisman herstellen, die die jeweiligen Wirkungenausgleichen oder verstärken.Aus diesem Grund können die Wahrsageversuche eines UneingeweihtenUnglück nach sich ziehen, denn die Konzentration auf die subtilenKräfte kann ihr Gleichgewicht stören, ohne daß es danach durchdie entsprechende magische Handlung wieder hergestellt würde.

Zweiter Teil

14. Allgemeine Überlegungen

Im ersten Teil dieses Buches haben wir uns mit dem Schema und denverschiedenen Ansätzen zur Arbeit mit dem kabbalistischen Baumdes Lebens beschäftigt. Wir wollen jetzt dazu übergehen, dieSephiroth einzeln zu behandeln. Das ist lediglich ein Versuch,denn den Entsprechungen vollständig nachzugehen, die sich vonjedem einer Sephirah zugehörigen Symbol aus endlos weiterverzweigen, dauert ein ganzes Leben lang. Aber ein Anfang mußirgendwann gemacht werden, und als solchen möchte ich die nunfolgenden Kapitel über die einzelnen Sephiroth betrachten, selbstwenn sie das Ergebnis von zehn Jahren Meditation über den Baum —diese faszinierende Glyphe — sind.

Page 81: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Liste der Entsprechungen am Anfang jedes Kapitels ist eineAufstellung der wichtigsten mit der jeweiligen Sephirahverknüpften Symbole und Vorstellungen und erhebt keinen Anspruchauf Vollständigkeit. Sie enthält jedoch die Hauptsymbole undermöglicht dem Schüler einen soliden philosophischen Ansatz sowieVersuche mit dem Baum als Meditationssymbol.Die Begriffe stammen größtenteils aus Aleister Crowleys Buch 777— Symbolik des Tarot für Eingeweihte, der sie wiederum aus denWerken Mac Gregor Mathers' hat. Mathers stützt sich, soweit iches beurteilen kann, da er keinerlei Quellenangaben macht, auf dieArbeiten von Dr. Dee und Sir Edward Kelly, von Cornelius Agrippa,Raimundus Lullus und Pietro de Abana, was die frühen Autorenangeht. Bei den späteren Autoren findet sich das gleiche Materialverstreut in den Werken von Knorr von Rosenroth, Wyn Westcott,Eliphas Levi, Mrs. Atwood, Mme. Blavatsky, Anna Kingsford, MabelCollins, Papus (Encausse), St. Martin, Gerald Massey, G. R. S.Mead und vielen anderen. Einigen von diesen Autoren ist Matherssicherlich zu Dank verpflichtet, andere verdanken ihm einiges.Ein paar waren Mitglieder in dem von ihm gegründeten Orden desGolden Dawn.Weitere Quellen sind Frazers Der Goldene Zweig, die Arbeiten vonWallis Budge, die Werke von Jung und Freud, die Übersetzungen Dr.Jowetts aus dem Griechischen, die Heiligen Bücher aus den Seriendes Ostens, die Loeb Classical Library, die Übersetzung Plotinus'von Stephen MacKenna, die von der Soncino Press herausgegebeneÜbersetzung des Sohar und als letzte, aber wichtige Quelle dieBibel. Soviel zur Geheimhaltung okkulter Angelegenheiten!Die jeder Sephirah zugeordneten Symbole erscheinen immer unterder gleichen Überschrift und in der gleichen Reihenfolge. Um zuverstehen, wie wichtig die jeweiligen Abschnitte für denOkkultisten sind und wie er sie bei der praktischen Arbeiteinsetzt, ist es notwendig, die Aufgliederung im einzelnen zubesprechen.

Abschnitt l: Bezeichnung für die SephirahDer Name wird zunächst in Hebräisch und dann in Deutschangegeben. Danach folgt die hebräische Schreibweise. Die richtigeSchreibung der in der Kabbala verwendeten Eigennamen ist deshalbvon großer Wichtigkeit, weil die Kabbalisten jedem Buchstabeneine Zahl zuordnen, und die Zahlen von denen, die nach dernumerischen Methode arbeiten, weiterverwendet werden. Ich binweder Numerologe noch Mathematiker und will mir deshalb keinUrteil darüber anmaßen, da dies außerhalb meines Wissensbereichesliegt. Die Angaben sind für diejenigen gedacht, die damit mehranzufangen wissen als ich.

Abschnitt 2: Das magische Bild und die mit jeder Sephirahverknüpften Symbole

Page 82: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Das magische Bild ist eine bildliche Vorstellung, die derOkkultist als Darstellung der Sephirah in seinem Geist aufbaut.Die Details dieses Bildes sind wichtige Symbole, über die ermeditiert. Diese Bilder sind so alt und tragen so viel magischeArbeit in sich, daß sie bei der Meditation über eine Sephirah oftwie von selbst erscheinen. Als ich mit der Kabbala arbeitete, sahich viele von ihnen schon lange bevor ich sie in irgendwelchenTabellen schriftlich niedergelegt fand. Der eingeweihte Adeptbaut diese Bilder während seiner praktischen Arbeit in allenDetails aus, und die Visualisierung bis in die kleinsten Detailsist eine gute Übung für die magische Arbeit. Viele dieser Detailslassen sich aus den Beschreibungen, die ich für jede einzelneSephirah gebe, herauslesen. Wenn ein Leser jedoch detailliertesWissen über die östlichen oder klassischen Pantheone hat, kann erdiese Vorstellungen ausführlichst geistig erarbeiten und dieGötter mit allem Zubehör ausstatten, das ihnen auf derentsprechenden Stufe des Baumes zugeschrieben wird. Dieverschiedenen Stufen lassen sich anhand ihrer Bezüge zurAstrologie definieren.

Abschnitt 3: Die Position im BaumDie Position der Sephirah im Baum ist bei Meditationen sehrhilfreich, da sie aufzeigt, wie die geistigen Kräfte, die in derNatur wirken, im Gleichgewicht erscheinen. Gevurah (Mars) undChesed oder Gedulah (Jupiter) liegen sich im Baum gegenüber. Derkriegerische König und der weise, gütige Friedensgeber gleichensich gegenseitig aus. Wenn Gevurah sich im Zustand desUngleichgewichts befindet, entsteht daraus Grausamkeit undUnterdrückung. Gedulah im Ungleichgewicht führt zur Potenzierungdes Bösen.

Abschnitt 4: Text bei JezirahIn diesem Abschnitt werden die Sphären beziehungsweise der Pfadbeschrieben, wie im Sepher Jezirah, dem Buch der Schöpfung,angegeben. In der englischen Ausgabe des Buches wurde dieÜbersetzung von Wynn Westcott benutzt.Die Beschreibungen sind verschlüsselt formuliert, führen aberhier oder da zu plötzlichen Einsichten und beinhaltenunzweifelhaft den Kern der kabbalistischen Philosophie.

Abschnitt 5: Beschreibende NamenHier finden wir eine Auflistung der Namen, die der jeweiligenSephirah in der rabbinischen Literatur gegeben wurden. Sie tragenwesentlich zum Verständnis des Themas bei und können vom Schülerals Bezugsbegriffe verwendet werden, wenn er den mit einerSephirah verbundenen Vorstellungen nachgeht.

Abschnitt 6: Die Namen der Macht der einzelnen Sephiroth

Page 83: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Der Gottesname ist die höchste geistige Form der Kraft undbeinhaltet die Funktionsweise dieser Kraft im Reich Aziluths, demhöchsten der vier Königreiche der Kabbalisten.Die Namen der Erzengel stehen für die Funktionsweise dieser Kraftin Benäh, dem Königreich des höheren Bewußtseins, in dem wir auchauf die archetypischen Vorstellungen treffen.Die Engelchöre entsprechen dem Reich Jezirahs beziehungsweise derastralen Ebene, und die weltlichen Chakras sind die Vertreterjeder der Kräfte im Reich Asiyahs, der materiellen Ebene.Was ich in meinen Tabellen als die spirituelle Erfahrung jedereinzelnen Sephirah bezeichne, heißt bei Crowley magische Macht.Dieser Begriff mag auf die zweiundzwanzig Pfade angewandtzutreffend sein, ist jedoch in bezug auf die Sephirothirreführend. Ich habe deshalb diese Bezeichnung abgeändert, wosie sich auf die Sephiroth bezieht, sie aber für die Pfadebeibehalten. Die Gründe für dieses Vorgehen werden baldeinsichtig sein.

Abschnitt 7: Die Tugenden und die Laster der einzelnen Sphären imBaumIn diesem Abschnitt werden die zur Erlangung der Einweihung inden jeweiligen Grad notwendigen Qualitäten aufgezählt und dieFormen, die die unausgewogenen Kräfte in dieser Sphäre annehmenkönnen. Im höchsten Grad, bevor sich die Formen überhauptentwickeln konnten, existiert kein Laster.

Abschnitt 8: Entsprechung im MikrokosmosDer Mikrokosmos, gleichzusetzen mit dem Menschen, findet seineEntsprechung im Makrokosmos der Sephiroth. In praktischerHinsicht ist er sehr wichtig, besonders für die BereicheGeistiges Heilen und Astrologie.

Abschnitt 9: Die vier Sätze im Tarotspiel Die Zuordnung derTarotkarten zu den Symbolen des Baumes eröffnet viele Wege derpraktischen Anwendung und ist die philosophische Basis derWahrsagekunst.Wenn der Leser diese Erklärungen im Gedächtnis behält, wird erder Argumentations- und Assoziationskette folgen können, die sichbei der Erforschung der Symbolreihen der einzelnen Sephirothergibt.Es gibt noch viel zu tun, wenn man die verschiedenenpolytheistischen Pantheone und Engelswelten der christlichen,hebräischen und mohammedanischen Welt zu den Symbolen des Baumesin Beziehung setzen will. Crowley hat das ansatzweise versucht.Seine Arbeit in diesem Bereich ist meiner Meinung nach originärund nicht aus Mathers' Werken extrahiert. Die sich aus dieserArbeit ergebenden Konsequenzen kann ich nicht übersehen, und ichbezweifle, daß ich sie alle gutheißen würde. Zur befriedigenden

Page 84: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Bewältigung dieser Aufgabe ist ein Wissensstand notwendig, denich nicht habe. Deshalb werde ich mich damit zufriedengeben, michauf die Punkte zu konzentrieren, zu denen ich etwas beisteuernkann, und von dem Versuch absehen, im folgenden eine methodischeKlassifikation vorzunehmen.

Abschnitt 10: Die auftauchenden FarbenDieser Abschnitt ist für fortgeschrittene Schüler gedacht, dieüber die notwendigen Schlüssel verfügen.

15. Kether, die erste Sephirah

Bezeichnung:Kether, die Krone (Hebräische Schreibweise: wtzg ins Kaph, TauResch) Magisches Bild:Ein alter bärtiger König, im Profil dargestellt Position im Baum:Am Kopf der Säule des Gleichgewichts, im höchsten Dreieck Text imJezirah:Der erste Pfad heißt bewunderungswürdige oder versteckteIntelligenz, denn sie ist das Licht, das den Uranfang begreifenläßt, der keinen Anfang hat. Sie ist die erste Verklärung, dennkeine Kreatur kann ihre Wesenheit erfassen. Bezeichnungen fürKether:Das Leben der Leben, das Verborgene der Verborgenen, dieunergründliche Höhe, der Alte der Alten, der Alte der Tage, derUrpunkt, der Punkt im Kreis, das weiße Haupt, das Haupt, dasnicht ist, Makroposopos, Amen, Lux Okkulta, Lux Interna, He.Gottesname: EhyehErzengel: Metatron, der Engel der GegenwartOrdnung der Engel: Chayyoth ha - Qpdesch, die Heiligen KreaturenWeltliches Chakra: Reshit ha - Gilgulim, Primum Mobile, ersteBewegung Spirituelle Erfahrung: Einheit mit Gott Tugend:Erreichung, Vollendung des großen Werkes Laster: —Entsprechung im Mikrokosmos: Der Schädel, der Sah, Jechidah, dergöttliche Funke, der tausendblättrige LotusSymbole: Der Punkt, die Krone, der SvastikaTarotkarten:Die vier AsseAs der Stäbe:Wurzel der Mächte des FeuersAs der Kelche:Wurzel der Mächte des WassersAs der Schwerter:Wurzel der Mächte der LuftAs der Münzen:Wurzel der Mächte der Erde Farbe in Aziluth: GlanzFarbe in Beriah: Reiner weißer Glanz

Page 85: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Farbe in Jezirah: Reiner weißer GlanzFarbe in Asiyah: Weiß, goldgefleckt

IKether, die Krone, befindet sich am Kopf der Säule desGleichgewichts, nach hinten gehen von ihr die Schleier dernegativen Existenz aus. Ich habe bereits erwähnt, daß dieseSchleier der negativen Existenz lediglich als Hintergrund fürÜberlegungen dienen sollten, und möchte mich an dieser Stellenicht wiederholen, sondern den Leser lediglich daran erinnern,daß Kether, die erste Manifestation, die erste Form derKristallisation nach der Schwelle zur Manifestation ist, dieerste Form dessen, was vorher nicht manifest und deshalb für unsnicht wahrnehmbar war. Über die Wurzeln Kethers wissen wirnichts, über Kether selbst jedoch einiges. In unserem derzeitigenEntwicklungsstadium mag Kether uns als die große Unbekannteerscheinen, aber sie ist nicht die große Unbekannte. Der Geistdes Magiers kann sie in den höheren Stadien seiner Wanderungausloten. Nach meinen eigenen Erfahrungen mit der Art vonMeditation, die man das Aufsteigen über die Planeten nennt undbei der das Bewußtsein durch Konzentration auf dieaufeinanderfolgenden Sephiroth und Pfade an der mittleren Säulehinaufsteigt, erschien mir Kether das eine Mal, als ich in ihreReichweite kam, als blendend weißes Licht, in dem sich allesDenken in nichts auflöste.In Kether gibt es keine Form, nur reines Sein, was immer das auchsein mag. Man könnte es als die latente Möglichkeit zur Existenzumschreiben, die nur einen Schritt von der Nicht - Existenzentfernt liegt. Diese Erklärungsversuche können nur vageVorstellungen vermitteln, und ich bin nicht in der Lage, diese sogenau zu beschreiben, wie es vielleicht möglich ist, aber ich binsehr glücklich darüber, daß wir überhaupt verschiedene Stufen desWerdens wahrzunehmen imstande sind und nicht einfach eine grobeEinteilung in existent und nichtexistent vornehmen müssen. Wennsich das Leben erst einmal manifestiert hat, tauchen gleichzeitigauch die Gegensatzpaare auf. In Kether gibt es diese Aufspaltungnoch nicht. Wir müssen erst abwarten, bis Chockmah und Binahemaniert sind.Kether ist also das Eine und hat schon existiert, bevor eineReflexion entstehen konnte, die dem Bewußtsein als Vorstellungvon dieser Sephirah dienen konnte und die Polarität schuf. Wirmüssen annehmen, daß Kether alle bestehenden Gesetzmäßigkeitender Manifestation transzendiert hat und allein existierte, ohneReaktion. Wenn wir von Kether sprechen, sollten wir nichtvergessen, daß es sich hier nicht um eine Person handelt, sondernum einen Seinszustand, und dieses Stadium der existierendenSubstanz muß so lange völlig inaktiv geblieben sein, bis dieAktivität einsetzte, die Chockmah emanierte.

Page 86: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Dem menschlichen Geist, der keine Art der Existenz kennt als dieder Form und Aktivität, fällt es schwer, sich eine klareVorstellung von einem Zustand der formlosen Passivität zu machen,der jedoch keineswegs der Nicht - Existenz gleichzusetzen ist. Umdie kosmische Philosophie in ihren Grundlagen zu erfassen, istdas jedoch unabdingbar. Wir dürfen die Schleier der negativenExistenz nicht vor Kether zuziehen, denn sonst sind wir verdammt,auf ewig in einem Zustand ungelöster Dualität zu leben. Gott undder Teufel werden sich auf immer im Kosmos bekriegen, und dieserKonflikt kann niemals enden. Wir müssen unseren Geist schulen,damit er fähig ist, den Zustand reinen Seins wahrzunehmen, ohnezusätzliche Attribute oder Aktivitäten. Vielleicht können wir unsdiesen Zustand als blendendes, weißes Licht vorstellen, das nochnicht durch das Prisma der Form in verschiedene Strahlenbündelgebrochen wurde, oder als das Dunkel des Weltalls, in dem esnichts gibt, das aber verborgen die Möglichkeit für alle Dingeenthält. Diese Symbole, wahrgenommen vom inneren Auge, helfen unsbesser, Kether zu verstehen, als jede genaue philosophischeDefinition. Wir können Kether nicht definieren, wir können sienur ausloten.Es ist eine ständige Quelle des Erstaunens und der Erleuchtung,die enorme Bedeutung der Hinweise zu entdecken, die in denEntsprechungstafeln enthalten sind, und festzustellen, wie unserGeist durch Konzentration auf sie von Vorstellung zu Vorstellunggeleitet wird. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß die ersteSephirah Krone genannt wird und nicht Kopf. Die Krone ist einGegenstand, der auf dem Kopf sitzt, und daraus geht klar hervor,daß Kether zwar zu diesem Kosmos gehört, sich aber nicht in ihmbefindet. Die mikrokosmische Entsprechung dieser Sephirah ist dertausendblättrige Lotus, das Sahasrara - Chakra, das in der Auradirekt über dem Kopf sitzt. Das zeigt uns meiner Meinung nacheindeutig, daß der innerste spirituelle Kern eines jeden Dinges,sowohl des Menschen als auch der Welt, niemals das Geoffenbarteselbst ist, sondern immer die darunterliegende oderdahinterstehende Wurzel oder Basis, aus der alles entspringt, unddie in Wirklichkeit zu einer anderen Dimension, zu einer anderenLebensform gehört. Dieses Konzept der verschiedenen Seinsformenist grundlegend in der esoterischen Philosophie und sollte immerberücksichtigt werden, wenn man sich mit den unsichtbarenKönigreichen des Magiers oder des praktizierenden Okkultistenbeschäftigt.In der vedischen Philosophie ist Kether zweifellos mit Parabrahmagleichzusetzen, Chockmah mit Brahman und Binah mit Mulaprakriti.In den anderen großen menschlichen Gedankenwelten entsprichtKether dem Urkonzept und könnte als Vater der Götter bezeichnetwerden. Wenn in einem System zum Beispiel das Universum aus demAll entstanden ist, dann ist Kether der Gott im Himmel. Wenn dasUniversum aus dem Wasser entstanden ist, entspricht Kether dem Ur

Page 87: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

- Ozean. Bei allen mit Kether in Verbindung stehenden Begriffentreffen wir immer wieder auf das Form - und Zeitlose. Die GötterKethers sind grausam, sie verschlingen ihre eigenen Kinder, dennKether, obwohl sie der Ursprung aller Dinge ist, reabsorbiert amEnde einer Evolutionsepoche das Universum, das ursprünglich ausihr hervorgegangen ist.Kether ist der Abgrund, aus dem alles entsprang und in den amEnde einer Epoche auch alles wieder verschwindet Deshalb tauchtin exoterischen, mit Kether in Verbindung gebrachten Mythen derGedanke der Nicht - Existenz auf. Die esoterischen Konzeptelehren uns jedoch, daß eine solche Annahme irrig ist. Kether istdie konzentrierteste Form der Existenz, reines Sein,uneingeschränkt durch Form und Reaktion. Aber die ExistenzformKethers ist anderer Natur als die uns bekannten Formen underscheint uns deshalb als Nicht - Existenz, da sie keine derBedingungen erfüllt, die wir gemeinhin als Grundvoraussetzungenfür Leben ansehen. Diese Vorstellung anderer Existenzformen istein Teil unserer Philosophie, und wir sollten sie niemalsvergessen, denn sie enthält den Schlüssel zum VerständnisKethers, und Kether ist der Schlüssel zum Baum des Lebens.Im Buch Jezirah erhält Kether einen Namen, der ebensoverschlüsselt ist wie alle anderen Beschreibungen in diesem Werk.Sie wird die versteckte Intelligenz genannt, und dieser Begriffläßt sich leicht durch andere in der kabbalistischen Literaturgebrauchte untermauern. Dort wird Kether das Verborgene derVerborgenen genannt, die unergründliche Höhe, das Haupt, dasnicht ist. Hier treffen wir auch erneut auf die Vorstellung derKrone, die auf dem Kopf des himmlischen Menschen Adam Kadmonsitzt. Dieses reine Wesen steht hinter jeder Manifestation, wirdvon ihr jedoch nicht absorbiert, sondern emaniert oder projiziertsie vielmehr. So wie wir Menschen uns in unseren Werkenausdrücken, so drückt sich Kether in der Manifestation aus. DieWerke eines Menschen sind jedoch nicht seine Persönlichkeit,sondern nur Ausdruck seiner natürlichen Aktivität So ist es auchbei Kether: Ihre Form der Existenz ist nicht manifest, aber sieist der Verursacher der Manifestation.

IIBisher haben wir uns mit Kether in der Aziluth - Welt beschäftigtbeziehungsweise mit ihrer Eigenschaft als Grundlage und Urstoffdieser Welt. Jetzt wollen wir uns Kethers Einfluß in den dreianderen von den Kabbalisten unterschiedenen Welten widmen.Jedes Reich beziehungsweise jede Ebene der Manifestation hat ihreUrsubstanz. Die Materie ist zum Beispiel aller Wahrscheinlichkeitnach in ihrer Urform elektrisch. Die Esoteriker drücken das aus,indem sie von der ätherischen Unter - Ebene sprechen, die hinterden vier Grundebenen, nämlich Erde, Luft, Feuer und Wasser undden vier Zuständen der festen Materie, dem festen, flüssigen,

Page 88: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

gasförmigen und ätherischen Zustand liegt.Für die Kabbalisten existiert der Baum in jedem dieser vierReiche, in der Welt Aziluths, des reinen Geistes, im ReichBeriahs, der archetypischen Welt, in Jezirah, der Welt derAstralbilder, und in Asiyah, der materiellen Welt, sowohl inihrer dichten als auch in ihrer feinsten Form. Das Wirken derKräfte jeder Sephirah in jeder der Welten wird von einem heiligenNamen oder Wort der Macht beherrscht, und in diesen Worten liegtder Schlüssel zu den Zeremonien des praktischen Okkultismus aufden verschiedenen Ebenen. Der Gottesname symbolisiert das Wirkender Sephirah in der Aziluth - Welt, dem Reich des reinen Geistes.Wenn der Okkultist die Kräfte einer Sephirah mit dem Gottesnamenanruft, bedeutet das, daß er mit dem abstraktesten Aspekt ihresKerns in Verbindung treten will, mit dem spirituellen Prinzip,das dieser speziellen Bewußtseinsstufe zugrunde liegt und das ihrWirken bestimmt. Eine Maxime des Weißen Okkultismus ist, jedeHandlung mit der Anrufung des Gottesnamens der Sphäre zubeginnen, in der sie sich abspielen soll. Dadurch wirdsichergestellt, daß die Handlung mit dem kosmischen Gesetz inEinklang steht. Das Gleichgewicht der natürlichen Kräfte solltenicht leichtfertig gestört werden. Für die Sicherheit des Magiersist es wichtig, daß er seine Handlungen in Einklang mit demkosmischen Gesetz durchführt Deshalb muß er versuchen, das jedemProblem zugrunde liegende geistige Prinzip zu verstehen und dasProblem unter dessen Berücksichtigung anzugehen. Jede magischeHandlung muß deshalb ihre letzte Einheit oder Lösung in Ehyeh,dem Gottesnamen Kethers in Aziluth, finden.Die Anrufung der Gottheit unter dem Namen Ehyeh beinhaltet dasAnerkennen des reinen Seins, das ewig, unveränderlich und ohneAttribute oder Aktivität ist, das allem zugrunde liegt und allesbestimmt. Dieser Name ist die Ur - Formel aller magischen Arbeit.Nur wenn der Geist dieses endlose unveränderliche Sein, dessenWesen äußerste Konzentration und Intensität ist, wirklicherkennt, erst dann ist er in der Lage, grenzenlose Macht zuerspüren. Jede Art von Energie aus einer anderen Quelle alsdieser ist eingeschränkte, partielle Energie. Nur Kether ist diereine Quelle aller Energie. Alle Handlungen des Magiers, die eineKonzentration der Kraft zum Ziel haben (und bei welcher Handlungwäre das nicht der Fall), müssen bei Kether ansetzen, denn dortkommen wir mit der aus dem großen Ur - Nichts hervorquellendenKraft in Verbindung, dem Reservoir der grenzenlosen Kraft. DieseKraft stammt aus dem großen Ur - Nichts, das hinter den Schleiernder negativen Existenz liegt, und strömt durch Kether hindurch.Wenn wir versuchen, die Kraft einer bestimmten Sphäre der Naturanzuzapfen, ist das so, als würden wir versuchen, ein Loch miteinem anderen zu stopfen. Die Kraft stammt von irgendwoher, undsie geht irgendwohin, und sie muß am Ende aufgerechnet werden.Deshalb hört man immer, daß der Magier für das, was er auf

Page 89: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

magischem Wege gewinnt, mit Leiden bezahlen muß. Das trifft dannzu, wenn die Handlung, die er vollzieht, sich auf einer derunteren Ebenen der Natur abspielt. Wenn er seine Zeremonie jedochbei Kether in der Aziluth - Welt ansetzt, zieht er ungeoffenbarteKraft an, die sich manifestiert und zu den Kräften des Universumsneu hinzukommt. Wenn er es schafft, diese Kräfte im Gleichgewichtzu halten, gibt es keine unheilvolle Reaktion, und er brauchtnicht mit Leiden für den Einsatz magischer Kräfte zu bezahlen.Dieser Punkt ist für die Praxis von immenser Bedeutung. DenSchülern wird gelehrt, daß die drei Überirdischen, Kether,Chockmah und Binah, solange wir inkarniert sind, außerhalb desBereiches der praktischen Arbeit liegen. Es ist zutreffend, daßsie außerhalb des Bewußtseins unseres Verstandes liegen, aber siesind die Grundessenz aller magischen Berechnungen, und wenn wirnicht bei dieser Grundessenz ansetzen, haben wir keine kosmischeGrundlage, sondern schweben zwischen Himmel und Erde und findenkeinen sicheren Platz, an dem wir uns ausruhen können. Wir sindauf immer den magischen Strömungen ausgesetzt, die die astralenFormen am Leben halten.Der große Unterschied zwischen der christlichen Wissenschaft undden gröberen Formen der New - Thought und der Autosuggestionliegt darin, daß die christliche Wissenschaft jede Handlung imBereich ^göttlichen Lebens beginnt. So irrational ihre Versucheauch erscheinen mögen, aus ihrem System eine Philosophie zumachen, ihre Methoden sind empirisch richtig. Der in derDisziplin ungeübte Okkultist und besonders derjenige, derzeremonielle Magie ausübt, beginnt seine Handlung oft, ohne sichum die kosmischen Gesetze oder die spirituellen Prinzipien zukümmern. Die astralen Vorstellungen, die er formt, sind deshalbwie Fremdkörper im Organismus des himmlischen Menschen oderMakrokosmos, und alle natürlichen Kräfte konzentrieren sichspontan auf die Zerstörung dieser fremden Substanz und dieWiederherstellung des natürlichen Spannungsgleichgewichts. DieNatur bekämpft den Magier mit allen ihr zur Verfügung stehendenKräften. Deshalb muß er, wenn er sich der unheiligen Magieverschrieben hat, ständig bereit sein, was er gewonnen hat, mitdem Schwert zu verteidigen. Der Adept, der seine Arbeit in derKether Aziluths beginnt, das heißt beim geistigen Prinzip ansetztund diesem Prinzip dann bis hinunter zu den Ebenen der Form treubleibt, wobei er die Kraft für diese Arbeit aus dem Ur - Nichtsbezieht, hat seine Handlung damit zu einem Teil der kosmischenProzesse gemacht, und die Natur ist dabei auf seiner Seite, stattgegen ihn zu wirken.Wir dürfen nicht hoffen, das Wesen Kethers in Aziluth zuverstehen, aber wir können unser Bewußtsein seinem Einflußöffnen, der sehr machtvoll ist und uns ein Gefühl der Ewigkeitund Unsterblichkeit vermittelt Wenn wir uns in einem Zustandbefinden, in dem wir vollständig von der Unbeständigkeit und

Page 90: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Bedeutungslosigkeit der Ebenen der Form überzeugt sind, uns abergleichzeitig die immense Wichtigkeit des einen Lebens bewußt ist,das alle Formen schafft, wie der Töpfer den Lehm in seinen Händenformt, dann wissen wir, daß uns die Anrufung Ehyehs in seinemreinen weißen Glanz gelungen ist.Durch die Meditation über Kether gelangen wir zu der intuitivenEinsicht, daß das Ergebnis einer magischen Handlung letztlichunwichtig ist. »Mag der Schmutz mit dem Schmutz spielen, wenn ihmder Schmutz gefällt.« Sind wir erst einmal zu dieser Einsichtgelangt, beherrschen wir die astralen Bilder und können sieanschauen, von welcher Seite wir möchten. Nur wenn demAusführenden das Ergebnis seiner Handlung auf der physischenEbene völlig unwichtig ist, wird er zum Herrscher über dieastralen Vorstellungen. Ihn interessiert einzig und allein dasUmgehen mit den Kräften und das Herunterbringen zur manifestenForm. Welche Form die Kräfte letztlich annehmen, ist ihmgleichgültig. Er überläßt ihnen das selbst, denn sie werden mitSicherheit die Form annehmen, die ihrer Natur am bestenentspricht und sich so mehr im Einklang mit den kosmischenGesetzen befinden, als das begrenzte Wissen des Magiers dasjemals hätte verwirklichen können. Das ist der Schlüssel zu allenmagischen Handlungen, denn wir können das Universum nicht drehenund wenden wie es uns gefällt, sondern dürfen uns der Magie nurzu dem Zweck widmen, mit der großen Flut des entstehenden Lebenszu schwimmen und des Lebens Fülle zu erfahren, unabhängig davon,welcher Art diese Erfahrung oder Manifestation sein mag. »Ich bingekommen, damit sie das Leben haben und es in seiner ganzen Füllehaben«, hat unser Herr gesagt, und an dieses Wort sollte sichauch der Magier halten. Das Leben, und nur es allein, sollte seinBestreben sein und nicht irgendein besonderer Aspekt diesesLebens, wie die Weisheit oder die Macht, ja noch nicht einmal dieLiebe.Wer die vorangegangene Diskussion Punkt für Punkt verfolgt hat,wird den verschlüsselten Zeilen des Buches Jezirah, die sich aufKether beziehen, vielleicht jetzt mehr Bedeutung beimessen. DerAusdruck versteckte Intelligenz enthält einen Hinweis auf dienicht manifeste Natur Kethers, was durch die Äußerung »keineKreatur kann ihre Wesenheit erfassen« bekräftigt wird. Mitanderen Worten: kein Wesen, dessen Bewußtsein in einen Organismuseingebettet ist, der zu den Ebenen der Form gehört. Wenn dasBewußtsein jedoch bis zu dem Punkt aufsteigen konnte, wo es dasDenken transzendiert hat, schenkt ihm die erste Verklärung dieFähigkeit zum Begreifen des Urprinzips, oder anders gesagt: »Dannwerden wir wissen, so wie man über uns weiß«.

IIIEhyeh. »Ich bin, der ich bin«, reines Sein, ist der GottesnameKethers. Ihr magisches Bild ist ein alter bärtiger König, der im

Page 91: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Profil zu sehen ist. Der Sohar sagt über diesen alten bärtigenKönig, daß er nur rechte Seite ist. Wir sehen das magische BildKethers nicht von vorn, also nicht vollständig, sondern nur einenTeil davon. Der andere Teil wird immer vor uns verborgen bleibenwie die andere Seite des Mondes. Dieser Teil schaut ins Nichts,und die Natur unseres manifesten Bewußtseins hindert uns daran,die andere Seite zu erfassen; sie wird immer ein geschlossenesBuch für uns bleiben. Wenn wir diese Einschränkung akzeptieren,können wir uns in Kontemplation des sichtbaren Aspektes vonKether versenken, des Profils des alten bärtigen Königs, das füruns sichtbar ist, weil es auf die Ebenen der Formhinunterreflektiert wird.Der König ist alt, er ist der Alte der Alten, der Alte der Tage,denn es gab ihn von Anfang an, als Antlitz noch nicht Antlitzerblickte. Er ist ein König, weil er alle Dinge nach seinemhöchsten und unbestrittenen Willen regiert. Anders gesagt bedingtdas Wesen Kethers alles Geoffenbarte, denn alles geht aus Ketherhervor. Der König ist bärtig, weil in der eigenartigen Symbolikder Rabbis jedes Haar seine eigene Bedeutung hatte.Die Kräfte Kethers manifestieren sich in Beriah, der Welt desarchetypischen Geistes, durch den Erzengel Metatron, den Prinzder Angesichter, der nach der traditionellen Lehre der LehrerMoses' war. Der Sepher Jezirah sagt vom zehnten Pfad, Malkuth,daß er »beim Prinz der Gesichter, dem Erzengel Kethers, einAusströmen verursacht und die Quelle aller Lichter des Universumsist«. Daraus können wir entnehmen, daß nicht nur der Geistausströmt und sich in der Materie manifestiert, sondern daß dieMaterie auch aus eigener Kraft den Geist dazu bringen kann, sichzu manifestieren. Das ist für den Schüler der Magie wichtig, dennes bestätigt ihn in seinen Handlungen und darin, daß der Menschnicht auf das Wort des Herrn warten muß, sondern Gott auchanrufen kann, ihn zu erhören.Die in der Jezirah - Welt wirkenden Engel Kethers sind dieChayyoth ha - Qpdesch, die heiligen Kreaturen. Dieser Name legtdie Assoziation vom Bild des Wagens Hesekiels und den vierheiligen Wesen vor dem Thron nahe. Die Tatsache, daß die vierAsse im Tarot, die Kether zugeordnet werden, als Symbol derWurzeln der vier Elemente, Erde, Luft, Feuer und Wasser gelten,untermauert diesen Gedanken. Wir können Kether also als Quelleder vier Elemente ansehen. Diese Erkenntnis löst viele okkulteund metaphysische Probleme, die in dem Moment auftauchen, wo wirdas Wirken der Elemente allein auf der astralen Ebene ansetzenund sie kaum höher einschätzen als Teufel, was einige Schulentranszendentaler Lehren offensichtlich wirklich tun.Der Komplex der Engel, Archons und Elemente ist einevieldiskutierte und wichtige Frage im Okkultismus. Die Verbindungzur praktischen Anwendung in der Magie legt das nahe. Diechristliche Lehre kann mit einiger Anstrengung die Vorstellung

Page 92: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

von der Existenz der Erzengel tolerieren, tut sich aber bei dendienenden Geistern, den Boten, die Feuerflammen sind, und denErbauern des Himmels schwer. Gott schuf Himmel und Erde alleinund in einem Atemzug. Der große Architekt des Universums istgleichzeitig auch der Maurer. Die esoterische Wissenschaft ist daanderer Meinung. Der Eingeweihte kennt die Heere geistiger Wesen,die Gottes Willen ausführten und somit Werkzeuge der kreativenSchöpfung waren. Durch diese Wesen wirkte er, unterstützt durchdie Gnade des sie anleitenden Erzengels. Ein Erzengel kann nichtdurch eine Beschwörungsformel herbeigerufen werden, so machtvollsie auch sein mag. Es ist eher so, daß der Erzengel, wenn wireine magische Handlung in einer bestimmten Sphäre durchführen,sich unserer bedient, um seine Mission zu erfüllen. Die Kunst desMagiers liegt darin, mit den kosmischen Kräften in Einklang zukommen, damit die Handlung, die er vornehmen möchte, sich als einTeil des Wirkens der kosmischen Kräfte manifestiert. Ist erwirklich rein und ergeben, wird ihm das bei allen seinen Vorhabengelingen. Ist er es nicht, dann verdient er den Namen Adeptnicht, und sein Wort ist kein Wort der Macht.Es ist an dieser Stelle erwähnenswert, daß in der Welt Assias dieBezeichnung für die Sphäre Kethers Reshith ha - Gilgulim odererste Bewegung ist. Daraus läßt sich ableiten, daß die Rabbis mitder Theorie der Nebelflecken vertraut waren, lange bevor dieWissenschaft das Teleskop kannte. Jeden, der der traditionellenPhilosophie unvoreingenommen gegenübertritt, wird es immer wiederin Erstaunen und Bewunderung versetzen, wie die Wissenschaftlerder Antike es schaffen konnten, die Grundlagen der Kosmogonie aufrein intuitivem Weg und mit Hilfe der Methode der Entsprechungenzu erfassen Jahrhunderte bevor die entsprechendenPräzisionsinstrumente erfunden und perfektioniert wurden, die esdem modernen Menschen erlauben, die gleichen Entdeckungen zumachen, wenn auch aus ganz anderer Sicht.Wie unten, so oben. Der Mikrokosmos entspricht genau demMakrokosmos, und deshalb müssen wir auch beim Menschen Ketheroberhalb seines Kopfe suchen, Kether, die bei Adam Kadmon, demhimmlischen Menschen, in reinem weißem Glanz erstrahlt. DieRabbis nennen sie Yechidah, den göttlichen Funken, die Ägypternennen die gleiche Erscheinung Sah, die Hindus bezeichnen sie alstausendblättrigen Lotus. Alle diese Bezeichnungen beinhalten diegleiche Aussage — der Kern reinen Geistes, der emaniert, der aberseinen vielen Manifestationen auf den Ebenen der Form nichtinnewohnt.Es heißt, daß wir, während wir inkarniert sind, nie zumBewußtsein Kethers in Aziluth aufsteigen können und danach inunseren Körper zurückkehren. So wie Enoch mit Gott ging und nichtmehr war, so bricht auch der Mensch, der die Vision Kethers hat,den Kontakt zu seinem Körper ab. Warum das so ist, wird klar,wenn wir bedenken, daß wir nicht einfach in eine Bewußtseinsstufe

Page 93: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

eintreten können, indem wir sie in uns reproduzieren. Musikbedeutet uns auch erst wirklich etwas, wenn unser Herz mit ihrklingt. Daraus können wir schließen, daß wir, wenn wir denBewußtseinszustand dessen, was formlos und inaktiv ist, in unserzeugen, uns logischerweise auch selbst von Form und Aktivitätfreimachen müssen. Gelingt uns das, zerfallt alles, was durch denSeinszustand Form zusammengehalten wird, in seine Einzelteile undkehrt zu dem Element zurück, dem es entstammt. Wenn es auf dieseWeise in seine Bestandteile zerfallen ist, kann der Prozeß durchdas zurückkehrende Bewußtsein nicht wieder ungeschehen gemachtwerden. Wenn wir also die Vision Kethers in Aziluth anstreben,müssen wir darauf vorbereitet sein, in das Licht einzutreten undnicht wieder zurückzukehren.Das bedeutet nicht, daß Nirvana die vollständige Auslöschung ist,wie eine unrichtige Wiedergabe der östlichen Philosophie dieEuropäer gelehrt hat, es heißt jedoch, daß ein völliger Wechseldes Seinszustandes oder der Dimension stattfindet. Wir könnennicht wissen, wer oder was wir sein werden, wenn wir in denReihen der heiligen Wesen sind, und keiner von denen, die dieVision Kethers in Aziluth erreicht haben, ist je zurückgekehrt,um darüber zu berichten. Die Tradition lehrt, daß es Menschengegeben hat, die diesen Zustand erreicht haben, und daß diesesich ernsthaft mit der Weiterentwicklung der Menschheit befaßthaben. Sie sind die Prototypen der Übermenschen, die in jederRasse von alters her zu finden sind. Leider ist diese Traditionin den letzten Jahren durch pseudo- okkulte Lehren stark in denSchmutz gezogen und abgewertet worden. Was immer diese Wesen auchsein mögen, sie haben jedenfalls weder eine astrale noch einemenschliche Gestalt, sondern sind wie Flammen in dem Feuer, dasGott heißt. Der Zustand der Seele, die ins Nirvana eingegangenist, läßt sich am besten mit einem Rad vergleichen, das seineFelge verloren hat und dessen Speichen zu Strahlen geworden sind,die die ganze Schöpfung durchdringen, oder mit einemStrahlungszentrum, dessen Einfluß keine Grenzen gesetzt sind,außer seiner eigenen Dynamik, und das seine Identität alsEnergiekern behält.Die spirituelle Erfahrung Kethers ist die Vereinigung mit Gott.Darin liegt das Ziel aller mystischen Erfahrungen, und wenn wirein anderes Ziel verfolgen, sind wir wie jene, die ein Haus inder Welt der Illusion bauen. Der Mystiker empfindet alles, wasihn davon abhält, den direkten Weg zu diesem Ziel zu gehen, alshemmendes Band, das zerschnitten werden muß. Alles, was dasBewußtsein an die Form bindet, alle anderen Wünsche als diesereine sind für ihn nichts anderes als ein Übel, und vom Standpunktseiner Philosophie aus gesehen hat er recht, denn jedes andereHandeln würde seine Technik wertlos machen.Das ist nicht die einzige Prüfung, die auf den Mystiker wartet.Er muß außerdem den Aufgaben der Ebenen der Form gerecht werden,

Page 94: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

bevor er davon befreit ist und seinen Rückzug aus diesen Ebenenbeginnen kann. Links im Baum verläuft ein Pfad, der zu Ketherführt, zur Kether der Kelippoth, dem Reich des Chaos. Wenn derSchüler den mystischen Pfad zu früh zu gehen beginnt, wird erdorthin geraten und nicht ins Reich des Lichtes. Von Natur ausliegt dem Mystiker die Disziplin Form überhaupt nicht, und diesubtilste aller Versuchungen ist die, den Kampf mit dem Wesen derForm aufzugeben, die seinem Können widersteht, und die Ebenenhinaufzusteigen, bevor der Nadir überwunden ist und die DisziplinForm gemeistert wurde. Die Form ist der Mutterleib, in dem dasflüssige Bewußtsein so lange heranwächst, bis es resistent genugist und zu einem individuellen Kern werden konnte, der sich ausdem amorphen Ozean des reinen Seins heraushebt. Verläßt dasBewußtsein diesen Mutterleib zu früh, bevor es sich alsgeordnetes, durch Wiederholung stereotyp gewordenes System vonAkzenten gefestigt hat, weicht es zurück in die Formlosigkeit, sowie der Ton des Töpfers wieder zu Lehm wird, wenn er aus der Formgenommen wird, bevor er sich verfestigt hat. Wenn ein Mystikerunfähig ist, sich weltlichen Dingen zu stellen oder seinBewußtsein sich dissoziiert, können wir daraus schließen, daß dieForm zu früh weggenommen wurde. Er muß dann zu dieser Disziplinzurückkehren und sich mit ihr auseinandersetzen, bis seinBewußtsein eine geschlossene, zusammenhängende Struktur erreichthat, die selbst durch das Nirvana nicht zerstört werden kann. Ermag meinetwegen im Dienste des Tempels Holz hacken und Wassertragen, wenn er möchte, aber es darf nicht zugelassen werden, daßer diesen heiligen Ort durch sein krankhaftes, unreifes Wesenentweiht.Die zu Kether gehörige Tugend ist die des Erreichens, derVollendung des großen Werkes, um einen bei den Alchemistengängigen Ausdruck zu benutzen. Ohne Vollendung gibt es keinErreichen und ohne Erreichen keine Vollendung. Gute Absichtenwiegen wenig auf der Waage der kosmischen Gerechtigkeit, nurvollendete Arbeit fällt ins Gewicht. Es stimmt zwar, daß wir alleZeit der Welt haben, um eine Aufgabe zu vollenden, aber vollendenmüssen wir sie, und zwar bis zum letzten i - Tüpfelchen. Diewahre Gerechtigkeit kennt keine Gnade außer der, uns eine weitereChance zu geben.Kether ist aus der Sicht der Form die Krone des Königreiches desVergessens. Solange wir keine Erfahrung vom Wesen des reinenLichtes gemacht haben, ist auch wenig Anreiz vorhanden, um dieKrone zu kämpfen, die ohnehin nicht zu einer uns bekannten Artvon Leben gehört. Wenn wir die Erfahrung jedoch gemacht haben,sind wir von den Ketten der Manifestation befreit und könnenallen Formen als Autorität begegnen.

Page 95: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

16. Chockmah, die zweite Sephirah

Bezeichnung:Chockmah Weisheit (Hebräische Schreibweise: hmnj Cheth,Kaph, Mem, He)Magisches Bild: Eine bärtige, männliche FigurPosition im Baum: Am Kopf der Säule der Barmherzigkeit imhöchsten DreieckText im Jezirah: Der zweite Weg ist die erleuchtende Intelligenz.Sie ist die Krone der Schöpfung, der Glanz der höchsten Einheit,der sie sich am meisten nähert. Sie ist über jedes Haupt erhabenund wird von den Kabbalisten Zweite Verklärung genannt.Bezeichnungen für Chockmah: Die Macht Jezirahs, Au, Abba, derhöchste Vater, Tetragrammaton, Jod des TetragrammatonGottesname: JehovaErzengel: Raziel, das Geheimnis oder Wappen GottesOrdnung der Engel: OphannimWeltliches Chakra: Mazzaloth, der ZodiakSpirituelle Erfahrung: Die Vision Gottes von Angesicht zuAngesichtTugend: HingabeLaster:Entsprechung im Mikrokosmos: Die linke GesichtshälfteSymbole: Das Lingam, der Phallus, das Jod des Tetragrammaton, dasInnere Gewand der Verklärung, der stehende Stein, der Turm, deraufgerichtete magische Stab, die gerade LinieTarotkarten:Die vier ZweienZwei der Stäbe:HerrschaftZwei der Kelche:LiebeZwei der Schwerter:Wiederhergestellter FriedenZwei der Münzen:Harmonische VeränderungFarbe in Aziluth: Reines, zartes BlauFarbe in Beriah: GrauFarbe in Jezirah: Perlgrau, irisierendFarbe in Asiyah: Weiß mit roten, blauen und gelben Flecken

IJede Phase der Evolution beginnt mit einem Stadium der instabilenKräfte, die sich dann langsam ordnen und ins Gleichgewichtkommen. Ist dieses Gleichgewicht einmal erreicht, ist keineweitere Entwicklung möglich, ohne daß die Stabilität nochmals insWanken gebracht und eine neue Phase widerstreitender Kräftedurchlaufen wird. Wie wir bereits wissen, ist Kether der Punkt in

Page 96: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

der Leere. Nach Euklids Definition hat ein Punkt zwar einePosition, aber keine Ausdehnung. Wenn ein Punkt in seinerAusdehnung im Raum wahrgenommen wird, ist er eine Linie. DasWesen der Organisation und Evolution der drei Überirdischen liegtunserer eigenen Erfahrung so fern, daß wir diese Sephiroth nurdurch Symbole wahrnehmen können. Wenn wir uns jedoch vorstellen,daß der Urpunkt Kether zu einer Linie (Chockmah) wird, dann istdas die zutreffendste symbolische Darstellung, die wir beiunserem Stand des Verständnisses haben können.Diese, durch die gerade Linie und den aufgerichteten Stab derMacht dargestellte, ständig fließende Energie ist im Kerndynamisch. Sie ist sogar die Ur - Dynamik, da wir dieKristallisation Kethers im Raum nicht wahrzunehmen imstande sind.Kether scheint eher an etwas Statischem mitzuwirken: an derBegrenzung des Formlosen, Freischwebenden in die Form, wenn dieForm für uns auch kaum wahrnehmbar ist.Wenn die Grenzen eines solchen Zusammenfindens in einer Formerreicht sind, tritt die ständig aus dem Nichts hereinfließendeKraft über ihre Ufer, verlangt nach neuen Entwicklungsarten, gehtneue Verbindungen ein und setzt neue Akzente. DiesesHerausfließen von freier, ungeordneter Kraft ist Chockmah, undweil Chockmah eine dynamische Sephirah ist, der ständigunendliche Energie entströmt, sollten wir sie am besten als Kanalbetrachten, durch den die Kräfte fließen, statt als Gefäß zurSpeicherung dieser Kräfte.Chockmah ist keine zusammenfügende Sephirah, sondern der großeMotor des Universums. Binah, die dritte Sephirah, erhält vonChockmah die einströmende Emanation, und Binah ist dann die ersteder ordnenden, stabilisierenden Sephiroth. Es ist unmöglich, eineder beiden Sephiroth, die ein Paar bilden, zu verstehen, wenn mansich nicht auch mit dem anderen Teil dieses Paares befaßt. UmChockmah besser zu verstehen, müssen wir deshalb etwas über Binahsagen. Binah gehört zum Planeten Saturn und wird die höchsteMutter genannt.Chockmah und Binah symbolisieren das Positive und das Negativeals Archetypen, die ursprüngliche Männlichkeit und Weiblichkeit,die zu einer Zeit entstand, als »Antlitz noch nicht Antlitzerblickte« und die Manifestation in der Entstehung begriffen war.Aus diesen ursprünglichen Gegensatzpaaren sind die Säulen desUniversums entstanden, zwischen denen sich das Netz derManifestation spannt.Wie bereits erwähnt, ist der Baum des Lebens die Darstellung desUniversums in Diagrammform. In diesem Diagramm sind die positivenund negativen Aspekte, das Männliche und das Weibliche durch diebeiden seitlichen Säulen symbolisiert. Wem die Materie fremd ist,dem mag es eigenartig vorkommen, daß die Eigenschaft derBarmherzigkeit der männlichen oder positiven Säule zugeordnetwird, die Eigenschaft der Härte jedoch der weiblichen Säule.

Page 97: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Sobald man aber weiß, daß die dynamische, männliche Kraft derVerursacher des Aufbaus und der Entwicklung ist, während dieweibliche Kraft die Formen erschafft, begreift man, daß dieBegriffszuordnung zutreffend ist. Die Form baut zwar auf undgruppiert, gleichzeitig wirkt sie aber auch als begrenzendesElement. Jede Form ist irgendwann überaltert, verliert ihrenNutzwert und behindert die Weiterentwicklung des Lebens. Deshalbist die Form auch der Träger der Auflösung und des Zerfalls, diezum Tode führen. Der Vater ist der Lebensbringer, die Mutter derTodesbringer, denn ihr Schoß ist das Tor zur Materie, und durchsie wird das Leben in Formen gekleidet. Nicht eine einzige dieserFormen ist unendlich oder ewig. Mit der Geburt ist der Todbereits besiegelt.Zwischen den beiden entgegengesetzten Aspekten der Manifestation,dem höchsten Vater und der höchsten Mutter, wird das Netz desLebens gewoben. Die Seelen fliegen zwischen den beidenentgegengesetzten Seiten hin und her wie ein Weberschiffchen. Inunserem eigenen Leben, in unserem physiologischen Rhythmus und inder Geschichte des Aufstiegs und Abstiegs der Nationen können wirdie gleiche rhythmische Periodik feststellen.In den beiden ersten sich paarenden Sephiroth finden wir denSchlüssel zum Sex; es ist das Paar der biologischen Gegensätze,der Männlichkeit und der Weiblichkeit. Es ist nicht nur einbestimmter Typus von Gegensätzen, die sich hier verbinden,sondern diese Paarung hat auch ein zeitliches Element. Wir findenverschiedene Phasen in unserem eigenen Leben, in denphysiologischen Abläufen und auch in der Geschichte der Völker,Phasen, in denen Aktivität und Passivität, Aufbau und Zerstörungsich abwechseln. Die Kenntnis der Periodizität dieser Zyklen istTeil der geheimen, gehüteten alten Weisheit der Eingeweihten undwird astrologisch und kabbalistisch ausgewertet.Das magische Bild Chockmahs und die ihr zugeordneten Symbolebestätigen diesen Gedanken. Das magische Bild zeigt einenbärtigen Mann. Der Bart steht für seine Reife. Er ist ein Vater,der seine Männlichkeit bereits unter Beweis gestellt hat, keinunerfahrener, unberührter Mann. Die symbolische Sprache istdeutlich genug. Das Lingam der Hindus und der Phallus derGriechen sind in der jeweiligen Sprache die männlichenZeugungsorgane. Der stehende Stein, der Turm und der erhobeneStab symbolisieren alle den Mann in seiner höchsten Potenz.Wir sollten nicht denken, daß Chockmah nur ein Phallus oderSexualsymbol ist. Sie ist vor allem ein dynamisches, positivesSymbol, denn die Männlichkeit ist eine Form der dynamischenKraft, so wie die Weiblichkeit eine statische, latente oderpotentielle Kraft ist, die, solange sie keinen Stimulus bekommt,unbeweglich bleibt. Das Ganze ist mehr als nur ein Teil, Chockmahund Binah sind Einheiten, und Sexualität ist nur ein Teil vonihnen. Wenn wir die Beziehung zwischen der Sexualität und der

Page 98: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

polarisierenden Kraft als Ganzes begreifen, haben wir denSchlüssel zum wirklichen Verständnis der Sexualität und könnendie Lehren der Psychologie und der Moral mit den kosmischenverbinden. Wir können auch verstehen, wie es dazu kommt, daß dasUnterbewußtsein des Menschen die Geschlechter durch so viele undso unterschiedliche Symbole ausdrückt, was die Freudianer unterBeweis stellen, und warum es möglich ist, den Sexualinstinkt zuunterdrücken, wie die Moralisten es bewiesen haben. DieManifestation ist insoweit sexuell, als sie immer inGegensatzpaaren auftritt, und Sexualität ist kosmisch undspirituell, weil sie in den drei Überirdischen wurzelt. Wirmüssen lernen, die in der Luft wachsende Blume nicht von derirdischen Wurzel trennen zu wollen, denn eine Blume, die vonihrer Wurzel abgetrennt ist, welkt und ihre Samen sindunfruchtbar. Die Wurzel, die sicher in Mutter Erde ruht, bringteine Blume nach der anderen hervor, und ihre Früchte werden reif.Die Natur ist größer und wahrer als die konventionelle Moral, dieoft nur aus Tabus und Totemismus besteht. Glücklich sind dieMenschen, deren Moral die Gesetze der Natur mit einbezieht, dennsie werden ein harmonisches Leben führen. Sie werden fruchtbarsein, sich mehren und sich die Erde Untertan machen. Unglücklichsind die Menschen, deren Moral aus einer immensen Menge von Tabusbesteht, die darauf ausgerichtet sind, den imaginären Molocheiner Gottheit zu besänftigen, denn sie werden steril und sündigsein. Ebenso unglücklich sind die Menschen, deren Moral dieHeiligkeit der Naturprozesse mit Füßen tritt, die die Blumepflücken und sich keine Gedanken um die Frucht machen, denn siewerden körperlich und psychisch krank sein.Wir sollten in Chockmah beides sehen, das schöpferische Wort, dasbesagt »Es werde Licht...«, das Lingam Shivas und den Phallus derBacchanten. Wir sollten lernen, dynamische Kraft zu erkennen undzu verehren, wo wir sie antreffen, denn ihr Gottesname ist JehovaTetragrammaton. Wir finden sie im Rad des Pfaus, in denirisierenden Nackenfedern der Taube, aber auch im Schreien desKaters und im Geruch des Ziegenbocks. Sie begegnet uns in denZeiten der Kolonisation, in den kraftvollsten Phasen unsererGeschichtsepoche, besonders zur Zeit Elisabeths I. und Viktorias— übrigens beides Frauen. Wir erkennen sie erneut in dem Mann,der sich fleißig abmüht, sich in seinem Beruf engagiert, damit ersich sein Heim und Haus sichert. All das sind GesichterChockmahs, deren zweiter Name Abba (Vater) ist. In all diesenManifestationen können wir den Vater erkennen, den Lebensgeberdes ungeborenen Lebens ebenso wie den Mann, der sich heiß nachseiner Gefährtin sehnt. Auf diese Weise kommen wir zu eineradäquateren Einstellung zur Sexualität. Die viktorianischeHaltung, als Reaktion auf die Unmäßigkeit der Zeit derRestauration, begab sich praktisch auf das Niveau derprimitivsten Völker, die, wie wir aus Reiseberichten wissen, die

Page 99: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Vereinigung der Geschlechter nicht mit der Zeugung von Nachkommenin Verbindung brachten.Es heißt, daß Grau die Farbe Chockmahs ist, in ihren höherenAspekten ist es irisierendes Perlgrau. Das reine weiße LichtKethers verschleiert sich bei seinem Absteigen in die Emanationin Richtung Binah, deren Farbe Schwarz ist.Das weltliche Chakra oder die direkte physische ManifestationChockmahs ist der Zodiakus, der auf hebräisch Mazzaloth genanntwird. Daran können wir ablesen, daß die alten Rabbis denEvolutionsprozeß unseres Sonnensystems richtig erkannt haben.Der sich auf Chockmah beziehende Text im Sepher Jezirah ist, wieimmer, äußerst verschleiert und schwer verständlich. Trotzdemerhält er einige klärende Hinweise. Der zweite Pfad, wie Chockmahgenannt wird, heißt dort erleuchtende Intelligenz. Wir habenbereits auf das Schöpfungswort hingewiesen, das da heißt:»Es werde Licht«. Eine der Bezeichnungen, die in 777 (dem Mathers- Crowley - System) für Chockmah benutzt wird, ist inneres Gewandder Verklärung, ein gnostischer Begriff. Diese beiden Gedankenvermitteln der Phantasie die Vorstellung vom beseelenden Lebenund vom erleuchtenden Geist. Es ist die männliche Kraft, die denbefruchtenden Funken in das passive Ei einpflanzt. Das geschiehtauf allen Ebenen. Die träge Latenz des Eies verwandelt sich indie aktive Kraft des Aufbaus und der Evolution. Die dynamischeKraft des Lebens, der Geist, beseelt den Lehm der physischen Formund erschafft das innere Gewand der Verklärung, das alleGeschöpfe tragen, denen Leben eingehaucht wurde. Die Kraft imKörper der Form und die Form, beseelt von der Kraft, werdenbezeichnet durch die beiden Ausdrücke erleuchtende Intelligenzund inneres Gewand der Verklärung.Im Text Jezirah wird Chockmah auch die Krone der Schöpfunggenannt, was impliziert, daß sie, wie Kether, eher oberhalb undaußerhalb des manifesten Universums zu finden ist als in ihm undvon ihm absorbiert. In der Tat gibt die männliche Kraft Chockmahsden Impuls zur Manifestation und existiert deshalb schon vor ihr.Die Stimme des Logos sprach »Es werde Licht«, lange bevor sichdie Wasser schieden und das Firmament entstand. Dieser Gedankewird auch an der Stelle des Jezirah - Textes ausgedrückt, woChockmah als der Glanz der höchsten Einheit bezeichnet wird, einAusdruck, der darauf hindeutet, daß diese Sephirah Kether, derEinheit, näher steht als den Ebenen der dualistischen Form. DasWort Glanz, so wie es hier gebraucht wird, deutet klar auf eineEmanation, ein Ausstrahlen hin und lehrt uns, Chockmah als denemanierenden Einfluß reinen Seins zu betrachten und weniger alsDing an sich. Wieder wird unser Verständnis von Sexualitäterweitert. Ich möchte jedoch klar darauf hinweisen, daß dieSphäre Chockmahs mit den Fruchtbarkeitskulten selbst nichts zutun hat, bis auf die Tatsache, daß die Männlichkeit, diedynamische Kraft, der ursprüngliche Geber des Lebens und

Page 100: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Hervorrufer der Manifestation ist. Obwohl die Manifestation inden höheren und niederen Sphären im Kern die gleiche ist, spielensie sich doch auf verschiedenen Ebenen ab. Priapus ist nichtgleich Jehova. Aber die Wurzel für Priapus ist in Jehova zufinden, und die Manifestation von Gottvater steckt ebenfalls inPriapus, was durch die Tatsache angedeutet wird, daß die RabbisChockmah das Jod des Tetragrammaton nennen, wobei Jod in ihremSprachgebrauch dem Lingam entspricht.Eigenartigerweise sagt der Sepher Jezirah über zwei derSephiroth, daß sie über dem Kopf sitzen, was eigentlichwidersprüchlich ist. In Anbetracht der Tatsache, daß er sich aufChockmah und Malkuth bezieht, können wir diese Frage jedochklären, wenn wir genauer darüber nachdenken. Chockmah ist derhöchste Vater, Malkuth ist die niedere Mutter, und in einem Text,in dem sie als über dem Kopf sitzend beschrieben wird, heißt esauch, daß sie auf dem Thron Binahs, der höchsten Mutter, sitzt,die das negative Gegenstück zu Chockmah ist. Chockmah ist dieabstrakteste Form der Kraft, und Malkuth ist die dichteste Formder Materie. Diese Aussage beinhaltet einen Hinweis darauf, daßjeder Teil dieses extremen Gegensatzpaares die höchsteManifestation seiner Art ist und daß beide auf ihre Art heiligsind.Wir müssen unterscheiden zwischen dem Fruchtbarkeitsritus, demVitalitätsritus und dem Illuminations- oder Inspirationsritus,der die flammenden Zungen des Pfingstfestes anruft. DerFruchtbarkeitskult zielt einfach auf Vermehrung ab, egal ob erauf Herden, Felder oder Ehefrauen bezogen ist. Er gehört zu Jesodund hat nichts mit dem Vitalitätskult zu tun, der bei Netzachangesiedelt ist, der Sphäre der Venus - Aphrodite. Dieser Kultbeinhaltet wichtige esoterische Lehren zum Thema Vitalisierungbeziehungsweise zu den magnetischen Einflüssen, die dieGeschlechter aufeinander ausüben und die mit Geschlechtsverkehrnichts zu tun haben. Wir werden uns damit beschäftigen, wenn wirzu Netzach, der Sphäre der Venus, kommen.Der Ritus Chockmahs, wenn man ihn so nennen kann, beschäftigtsich mit dem Zufluß kosmischer Energie. Er ist der reine Impulsdynamischer Schöpfung und als solcher formlos. Weil er formlosist, kann seine Schöpfung jede Form annehmen. Deshalb besteht dieMöglichkeit, kreative Kraft von ihrem rein priapischen Aspekt herzu sublimieren.Soweit mir bekannt ist, existiert keine formal - magischeZeremonie für eine der drei Überirdischen. Man kann nur durchTeilhaben an ihrem grundlegenden Wesen mit ihnen in Kontakttreten. Mit Kether, dem Reinen Sein, können wir nur Kontaktaufnehmen, wenn wir die Natur des Seins erfassen, das keineTeile, Attribute oder Dimensionen hat. Diese Erfahrung wirdtreffend Trance der Auslöschung genannt, denn diejenigen, diediese Trance erleben, gehen mit Gott und sind nicht mehr, denn

Page 101: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Gott hat sie genommen. Deshalb wird Kether als spirituelleErfahrung der Vereinigung mit Gott zugeschrieben, von der esheißt, daß diejenigen, die sie vollziehen, in das Licht eingehenund nicht zurückkehren.Wenn wir mit Chockmah Kontakt aufnehmen wollen, müssen wir denSchwall dynamischer kosmischer Energie in seiner Reinformerfahren, einer Energie, die so gewaltig ist, daß derNormalsterbliche von ihr in Stücke gerissen wird. Es heißt, daßSemele, die Mutter von Dionysos, Zeus, ihren göttlichenLiebhaber, als Donnergott erlebte und von dieser Erfahrung inStücke gerissen und verbrannt wurde und deswegen ihren göttlichenSohn zu früh zur Welt brachte. Die spirituelle ErfahrungChockmahs ist die Vision Gottes von Angesicht zu Angesicht. UndGott (Jehova) sagte zu Moses: »Du kannst nicht mein Gesichtschauen und leben.«Obwohl der Anblick Gottvaters den Sterblichen wie ein Feuerstrahltrifft, kommt der Sohn Gottes als einer von uns in unsere Mitteund kann durch entsprechende Riten angerufen werden:durch Bacchanalia, wenn es um den Sohn Zeus' geht, und durch dasEucharistische Fest beim Sohn Jehovas. Daran sehen wir, daß eseine niedere Form der Manifestation gibt, die »uns den Vaterzeigt«. Der Ritus verdankt sein Funktionieren jedoch allein derTatsache, daß seine erleuchtende Intelligenz, sein inneres Gewandder Verklärung vom Vater (Chockmah) herrührt.

IIDer Chockmah entsprechende Einweihungsgrad ist der des Magus, unddie magischen Waffen dieses Grades sind der Phallus und dasinnere Gewand der Verklärung. Daraus lernen wir, daß dieseSymbole eine mikrokosmische oder psychologische und einemakrokosmische oder mystische Bedeutung haben. Das innere Gewandder Verklärung symbolisiert sicherlich das innere Licht, das injedem Menschen leuchtet, der in diese Welt kommt;es symbolisiert auch die spirituelle Vision, an der der Mystikerspirituelle Dinge erkennt, die subjektive Form der erleuchtendenIntelligenz, von der im Sepher Jezirah die Rede ist.Der Phallus oder Lingam ist eine der magischen Waffen desEingeweihten, der den Grad Chockmahs bearbeitet. Daraus könnenwir schließen, daß es sich in diesem Grad um die spirituelleBedeutung der Sexualität und die kosmische Bedeutung derPolarität dreht. Jeder, der hinter die Dinge schauen kann, weiß,daß im Begreifen dieser enormen und geheimnisvollen Potenz (diewir in einer ihrer Manifestationen Sexualität nennen) derSchlüssel zum Verständnis vieler Phänomene liegt. Es kommt nichtvon ungefähr, daß sexuelle Vorstellungen die Visionen des Sehersstören, vom Gesang der Gesänge bis hin zur inneren Burg.Der Leser sollte aus dem Obengenannten nicht schließen, daß ichorgiastische Riten als Weg der Einweihung propagiere. Aber ich

Page 102: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

sage es klipp und klar, daß dieser Pfad ohne das Verständnis desesoterischen Aspektes der Sexualität eine Sackgasse ist. Es warrichtig, als Freud seiner Generation sagte, daß die Sexualitätein Schlüssel zur Psycho- Pathologie sei, er irrte sich jedochmeiner Meinung nach, als er sagte, er sei der einzige Schlüsselzur neunfachen Seele des Menschen. So wie es ohne einharmonisches Sexualleben kein gesundes Unterbewußtsein gibt, sogibt es auch kein positives und dynamisches Arbeiten auf derEbene des Überbewußtseins ohne das Begreifen und Befolgen derPolaritätsgesetze. Für viele Mystiker, die im Geist Zuflucht vorder Materie suchen, mag das hart klingen, aber die Erfahrung wirdzeigen, daß es stimmt. Deshalb muß es auch gesagt werden, selbstwenn ich keinen Dank dafür erwarten kann.Das mächtige Herabströmen der Kraft Chockmahs, das durch dengöttlichen Namen mit vier Buchstaben hervorgerufen wird, geht vommakrokosmischen Jod zum mikrokosmischen Jod und wird dannsublimiert. Wenn das Unterbewußtsein nicht frei von Abspaltungenund unterdrückten Impulsen ist, und wenn die vielgestaltigenTeile der menschlichen Natur nicht koordiniert und synchronisiertsind, kann dieses Herabströmen Reaktionen und krankhafte Symptomeauslösen. Ich will damit nicht sagen, daß der Anrufer von Zeusauch gleichzeitig Anbeter von Priapus sein muß, aber eineDissoziation läßt sich nicht sublimieren, soviel ist sicher. Wennder Kanal frei von Hindernissen ist, kann die herabbrausendeKraft um den Nadi herumströmen und zur heraufbrausenden Kraftwerden, die zu jeder beliebigen Sphäre gelenkt und auf jedengewünschten Kanal gerichtet werden kann. Wie dem auch sei,zunächst muß Kraft herabströmen, bevor sie wieder hinaufströmenkann, und wenn wir nicht mit beiden Füßen fest auf dem ElementErde stehen, werden wir wie Weinschläuche zerplatzen.Jeder praktizierende Okkultist weiß, daß Freud recht hatte, auchwenn er nicht die volle Wahrheit gesagt hat, aber jeder Okkultisthat auch Angst, das zuzugeben und danach der Phallusanbetung undder orgiastischen Riten beschuldigt zu werden. Diese Dingesollten ihren Platz bekommen, wenn auch nicht gerade im Tempeldes Heiligen Geistes, und ihnen diesen Platz zu verweigern, istein Fehler, den das Viktorianische Zeitalter mit einer reichenErnte psychopathologischer Krankheiten heimgezahlt bekam.Wenn wir eine der Ebenen dynamisch bearbeiten, bewegen wir unsauf der rechten Säule und beziehen unsere Energie aus der Jod -Kraft Chockmahs. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daßals mikrokosmische Entsprechung Chockmahs die linkeGesichtshälfte angegeben wird. Die makro- und mikrokosmischenEntsprechungen spielen eine wichtige Rolle bei der praktischenArbeit. Der Makrokosmos oder große Mensch ist natürlich dasUniversum selbst, und der Mikrokosmos ist der individuelleMensch. Es heißt, daß der Mensch das einzige Wesen sei, das inseiner vierfachen Natur genau den Ebenen des Kosmos entspricht.

Page 103: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Bei den Engeln finden sich die niederen Ebenen nicht und bei denTieren fehlen die höheren.Die Verweise auf den Mikrokosmos sollten keinesfalls soverstanden werden, daß sie einfach den physischen Körperteilenentsprechen. Sie beziehen sich auf die Aura, und wir sollten unsmerken, daß, wie Swami Vivekanada sagt, alles, was beim Mannrechts ist, bei der Frau links ist. Außerdem ist alles, was aufder physischen Ebene positiv ist, auf der astralen Ebene negativ.Auf der geistigen Ebene ist es wieder positiv und auf derspirituellen Ebene negativ. Das symbolisieren auch die beidenumeinander - gewundenen Schlangen, eine schwarze und eine weiße,am Caduceus Merkurs. Wenn dieser Caduceus im Baum plaziert wird,der als Symbol für die vier Welten der Kabbalisten dient,entsteht eine Glyphe, die das Wirken der Polaritätsgesetze imBezug auf die Ebenen aufzeigt. Diese Glyphe ist sehr wichtig undfür die Meditation sehr ergiebig.Wir können daraus entnehmen, daß die Seele bei einer weiblichenInkarnation in Assia und Beriah negativ arbeitet und in Jezirahund Aziluth positiv. Anders ausgedrückt ist die Frau physisch undmental negativ und psychisch und spirituell positiv. DasUmgekehrte gilt für den Mann. Eingeweihte haben das zu einemgewissen Grad kompensiert, da sie sowohl die positiven als auchdie negativen übersinnlichen Methoden lernen. Der göttlicheFunke, der Kern jeder lebenden Seele, ist natürlich bisexuell undträgt in sich die Wurzeln beider Aspekte. Das gleiche gilt fürKether, der er entspricht. In den höher entwickelten Seelen istdieser kompensierende Aspekt zumindest zu einem Teil vorhanden.Die nur - weibliche Frau und der nur - männliche Mann sindentsprechend dem Standard unserer Zivilisation überzeichnet undpassen lediglich in primitive Kulturen, wo Fruchtbarkeit dieHauptaufgabe der Frau ist und Jagen und Kämpfen die Hauptaufgabedes Mannes. Das heißt nicht, daß die physischen Funktionen beimEingeweihten pervertiert sind oder der Körper sich verändert. Dieesoterische Wissenschaft lehrt, daß das Schicksal oder Karma überdie physische Form entscheidet, in die die Seele bei einerInkarnation hineingeboren wird, und daß das Leben dementsprechendbearbeitet und gelebt werden muß. Es ist nicht ratsam, unserenKörper oder Rassentypus mit Hilfe von Tricks und Kniffenverändern zu wollen, sondern wir sollten ihn immer alsAusgangsbasis für unser Wirken betrachten und unsere Methodendanach ausrichten. Es gibt bestimmte Arbeiten und Ämter innerhalbder Loge, für die ein männliches Vehikel besser geeignet ist alsein weibliches, und die Offiziere in einer Zeremonie werdendementsprechend ausgewählt. Handelt es sich jedoch um das normaleTraining eines Eingeweihten, werden die verschiedenen Ämtertraditionell abwechselnd verrichtet, damit alle mit denverschiedenen Arten der Kraft umzugehen lernen und dadurch dasGleichgewicht erlangen.

Page 104: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Benjamin Kidd schreibt in einem sehr anregenden Buch The Scienceof Power, daß der höchstentwickelte Typus des Menschen dem Kindsehr ähnlich ist. Beim Kind finden wir einen relativ großen Kopfim Vergleich zum restlichen Körper, und die sekundärenGeschlechtsmerkmale sind noch nicht ausgeprägt. Beimzivilisierten erwachsenen Menschen treffen wir in abgewandelterForm auf die gleiche Tendenz. Der höchstentwickelte Typ desMannes ist weder ein Gorilla, noch ist der höchstentwickelte Typder Frau ein ausgesprochenes Säugetier. Die Tendenz der Evolutionbeim zivilisierten Menschen geht, was die sekundärenGeschlechtsmerkmale betrifft, in Richtung Angleichung derGeschlechter. Wie viele der in Städten lebenden Männer könntensich wirklich einen patriarchenhaften Bart wachsen lassen? Dieprimären Geschlechtsmerkmale müssen jedoch unverändert erhaltenbleiben, denn sonst würde die Rasse sehr schnell aussterben, undes besteht kein Grund zu der Annahme, daß das der Fall sein wird,selbst wenn die Gerichte sich inzwischen mit zwitterhaften,scheidungsfreudigen Wesen füllen, die so einen unzweifelhaftenBeweis ihrer Vermehrungsfreudigkeit liefern.Diese Dinge werden uns verständlicher, wenn wir sie im Baumansiedeln, der Licht in die Hintergründe bringt. Die zwei Säulen,die positive unterhalb Chockmahs und die negative unterhalbBinahs entsprechen der Ida beziehungsweise der Pingala derYogalehren. Diese beiden magnetischen Ströme, die in der zumRückgrad parallel verlaufenden Aura fließen, werden auch Sonnen -und Mondstrom genannt. In einer männlichen Inkarnation arbeitenwir hauptsächlich mit dem Sonnenstrom, dem Fruchtbarmacher, ineiner weiblichen Inkarnation vor allem mit den Mondkräften. Wennwir mit dem Gegenteil der uns natürlich gegebenen Kraft arbeitenwollen, müssen wir die uns eigene Natur als Ausgangsbasis nehmenund sozusagen »kraftvoll gegen die Bande spielen«. Der Mann, dermit der Mond - Kraft arbeiten will, benutzt Vorrichtungen, dieseine natürliche Sonnen - Kraft reflektieren, und die Frau, diemit den Sonnenkräften arbeiten will, benutzt eine Vorrichtung,mit Hilfe derer sie diese Kräfte auf sich konzentrieren und siedann reflektieren kann. Auf der physischen Ebene vereinigen sichdie Geschlechter, der Mann zeugt der Frau ein Kind und bedientsich so ihrer Mond - Kräfte. Die Frau andererseits, dieerschaffen will, es aber allein nicht kann, verführt den Manndurch sein Verlangen, bis er ihr seine Sonnen - Kraft schenkt undsie schwängert.Der Mann oder die Frau, die bei magischen Handlungen mit derKraft arbeiten wollen, die das Gegenteil der in ihrem Körpervorhandenen ist — und diese Dinge gehören zur Routine beimokkulten Training — wechseln auf eine Bewußtseinsebene über, inder die gewünschte Kraft vorhanden ist und arbeiten dann aufdieser Ebene. Der Priester des Osiris benutzt manchmal dieElementargeister zur Ergänzung seiner Polarität, und die

Page 105: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Priesterin der Isis ruft die Einflüsse der Engel an.Das Prinzip der Polarität ist nicht nur im Makrokosmos, sondernauch im Mikrokosmos zu finden, weil die Manifestation immer inGegensatzpaaren auftritt. Wenn wir das begreifen und uns der sichdaraus ergebenden Möglichkeiten bedienen lernen, können wirunsere natürlichen Kräfte bis weit über ihr normales Maß hinaussteigern. Wir können uns unserer Umgebung als Impulsgeberbedienen, können in Büchern nach der potenten Kraft ChockmahsAusschau halten in der Tradition unserer Rasse, in unsererReligion, bei unseren Freunden und Verbündeten. Aus all diesenQuellen kann der Stimulus kommen, der uns befruchtet und unsgeistige, emotionale und dynamische Kreativität verleiht. Wirveranlassen unsere Umgebung dazu, die Chockmah zu unserer Binahzu spielen. Ebenso können wir die Chockmah zu ihrer Binahspielen. Auf den subtilen Ebenen ist die Polarität nichtfestgelegt, sondern relativ. Alles, was kraftvoller ist als wirselbst, ist uns gegenüber positiv. Alles, was in einem Aspektweniger kraftvoll ist als wir selbst, ist in bezug auf unsnegativ, und wir können ihm gegenüber die Rolle des Positivenspielen. Diese fließende, ständig wechselnde subtile Polaritätist einer der wichtigsten Punkte für die praktische Arbeit. Wennwir diese Polarität begreifen und uns ihrer Möglichkeitenbedienen, können wir bemerkenswerte Dinge erreichen und unserLeben und unsere Beziehungen auf eine völlig neue Basis stellen.Wir müssen lernen, zu welchen Zeitpunkten wir als Chockmahagieren und die Welt mit Taten befruchten können und wann wir ambesten als Binah agieren und unsere Umgebung uns befruchten undzur Produktivität erwecken lassen. Wir sollten niemals vergessen,daß Selbstbefruchtung nach wenigen Generationen zur Sterilitätführt und daß wir immer und immer wieder von dem Mediumbefruchtet werden müssen, in dem wir arbeiten. Es muß einenAustausch von Polarität zwischen uns und dem geben, was wir unszu tun vorgenommen haben, was immer es auch sein mag, und wirsollten ständig auf der Suche nach polarisierenden Einflüssensein, ob in der Tradition, in Büchern oder bei Mitstreitern aufdemselben Gebiet, ja sogar in der Opposition und dem Antagonismusunserer Feinde, denn im abgrundtiefen Haß steckt genausovielpolarisierte Kraft wie in der Liebe, vorausgesetzt wir könnendamit umgehen. Wir brauchen einen Stimulus, wenn wir etwasschaffen wollen, sogar wenn dieses Etwas ein nutzbringendes,befriedigendes Leben ist. Chockmah ist der kosmische Stimulus.Alles, was stimuliert, wird im Klassifizierungssystem des BaumesChockmah zugeordnet Sedative gehören zu Binah. Wenn wir unsnachfolgend mit Binah, der dritten Sephirah, befassen, werden wirnoch mehr Einblick in das Prinzip der kosmischen Polaritäterhalten. Es ist unmöglich, zu begreifen, was hinter Chockmahsteckt, wenn wir uns nicht auch mit Binah, ihrem polarenGegensatz, auseinandersetzen, mit der zusammen sie immer wirkt.

Page 106: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Deshalb wollen wir uns an dieser Stelle nicht eingehender mit derPolarität beschäftigen, sondern unser Studium Chockmahs nacheinem Blick auf die ihr zugeordneten Tarotkarten beenden. Wirwerden uns mit dem wichtigen Thema der Polarität weiterbeschäftigen, wenn wir Binah beleuchtet haben und uns neue Datenzur Verfügung stehen.IIIWie im Kapitel über Kether erwähnt, gehört zu den vier Sätzen desTarot jeweils ein Element, und die vier Asse symbolisieren dieWurzeln der Kraft, die das jeweilige Element auszeichnen. ZuChockmah gehören die vier Zweien, die das polarisierte Wirkendieser Elemente im harmonischen Gleichgewicht aufzeigen. Die Zweiist deshalb immer eine Karte der Harmonie.Die Zwei der Stäbe gehört zum Element Feuer und heißt Herr derHerrschaft. Der Stab ist grundsätzlich ein männlichesPhallussymbol und gehört zu Chockmah. Deshalb können wir dieseKarte als Sinnbild für die Polarisation betrachten, alsPositives, das im Negativen seinen Gefährten gefunden hat undsich deshalb im Gleichgewicht befindet. Feindschaft undWiderstand gegen den Herrn der Herrschaft gibt es nicht. Einzufriedenes Land akzeptiert seine Regentschaft. Binah akzeptiertihren Gefährten, wenn sie dadurch erfüllt ist.Die Zwei der Kelche (Wasser) heißt Herr der Liebe, und wiedertreffen wir auf das Konzept harmonischer Polarisation.Die Zwei der Schwerter (Luft) heißt Herr des wiederhergestelltenFriedens, was impliziert, daß die störende Kraft der Schwertersich vorübergehend im Gleichgewicht befindet.Die Zwei der Münzen (Erde) heißt Herr des harmonischen Wechsel.Auch hier finden wir, wie bei den Schwertern, eine Veränderungder grundsätzlichen Natur der Elementarkraft durch ihren polarenGegensatz, wodurch ein Gleichgewicht erzeugt wird. Die störendeKraft der Schwerter wird befriedet, und die träge, Widerstandleistende Erde findet durch den polarisierenden Einfluß Chockmahszu einem ausgewogenen Rhythmus.Die vier Karten symbolisieren die Chockmah - Kraft in derPolarität, das heißt die grundlegende Balance der Kraft, wie siein den vier Welten der Kabbalisten zu finden ist. Wenn dieseKarten beim Wahrsagen auftauchen, stehen sie für sich imGleichgewicht befindliche Kraft. Sie drücken keine dynamischeKraft aus, wie man es bei Chockmah eigentlich erwarten würde,denn da Chockmah zu den drei Überirdischen gehört, ist ihre Kraftauf den subtilen Ebenen positiv, dafür aber auf den Ebenen derForm negativ. Der negative Aspekt einer dynamischen Kraft ist dasGleichgewicht, die Polarität. Der negative Aspekt einer negativenPotenz drückt sich in Zerstörung aus, so wie in der Glyphe vonKali, der schreckenerregenden Frau Shivas, die mit einer Ketteaus Schädeln um den Hals auf dem Körper ihres Ehemannes tanzt.Diese Vorstellung liefert uns den Schlüssel für ein anderes der

Page 107: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

vielen den Baum betreffenden Probleme, nämlich dem der relativenPolarität der Sephiroth. Wie bereits erwähnt, ist jede Sephirah,bezogen auf die über ihr liegenden Sephiroth, deren Emanationenin sie einfließen, negativ, und bezogen auf die unter ihrliegenden Sephiroth, die aus ihr hervorgehen und für die siedemzufolge der Emanierer ist, positiv. Einige der Sephiroth -paare sind jedoch von ihrem Wesen her mehr positiv oder mehrnegativ. Chockmah ist zum Beispiel positiv positiv und Binah istpositiv negativ. Chesed ist negativ positiv, während Geburahnegativ negativ ist. Netzach (Venus) und Hod (Merkur) werden alshermaphroditisch angesehen. Jesod (Luna) ist positiv negativ undMalkuth (Erde) ist negativ negativ. Kether und Tiphereth sindweder hauptsächlich männlich noch hauptsächlich weiblich. BeiKether sind die Gegensatzpaare latent und haben sich noch nichtgezeigt, bei Tiphereth sind sie im absoluten Gleichgewicht.Am Baum können auf zwei Arten Veränderungen vorgenommen werden.Diese beiden Arten der Verwandlung sind durch die zwei Glyphenverdeutlicht, die über den Sephiroth liegen. Eine Glyphe ist dieder drei Säulen und die andere die des Lichtblitzes. Mit denSäulen haben wir uns bereits beschäftigt, der Lichtblitz zeigtdie Reihenfolge der Emanation der Sephiroth an und verläuft imZickzack von Chockmah zu Binah, von Binah zu Chesed, immer hinund her im Baum. Wenn die Veränderung durch den Lichtblitz,stattfindet, wechseln die Kraftarten, wenn sie über die Säulengeht, bleibt die Kraftart gleich und erscheint j e nachdementweder auf einem höheren oder einem niedrigeren Bogen.Das hört sich sehr abstrakt und kompliziert an, aber anhand vonBeispielen werden wir sehen, daß es eigentlich sehr einfach undpraktisch ist, wenn man es erst einmal verstanden hat. Nehmen wirdas Problem der Sublimierung des Sexualtriebs, das dieTherapeuten sehr beschäftigt und über das sie so viel sprechenund so wenig sagen. Bei Malkuth, die im Mikrokosmos demphysischen Körper entspricht, liegt die sexuelle Kraft im Ovumund im Sperma. Bei Jesod, dem ätherischen Doppel, ist sie diemagnetische Kraft, zu der die orthodoxe Psychologie nichts zusagen weiß, über die wir aber in dem der entsprechenden Sephirahgewidmeten Kapitel einiges zu sagen haben. Hod und Netzach liegenauf der Astralebene. In Hod drückt sie sich in visuellenVorstellungen aus, bei Netzach zeigt sie sich als neue, nochsubtilere Art von Magnetismus, der allgemein als »Es« bekanntist. In Tiphereth, dem Christuszentrum, wird die Kraft zurspirituellen Inspiration oder Erleuchtung, zum Einfließen deshöheren Bewußtseins. Handelt es sich um den positiven Typus derKraft, wird sie zur dionysischen Inspiration, einer göttlichenTrunkenheit, der negative Typus drückt sich in nichtpersonenbezogener, alles harmonisierender Christus - Liebe aus.Spielt sich die Veränderung auf den Säulen ab, bewahrheitet sicherstaunlicherweise das ironisch gemeinte französische Sprichwort

Page 108: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

»Plus ca change, plus cest la meme chose«. Chockmah, die pureDynamik, reiner Stimulus ohne Ausdruck in Formen ist, wird inChesed zum aufbauenden, ordnenden Aspekt der Evolution, zumAnabolismus im Gegensatz zu Katabolismus Gevurahs. In Chesed wirddie Chockmah - Kraft in diesen besonderen, subtilen Typus desMagnetismus verwandelt, der die Fähigkeit zur Führerschaftverleiht und die Wurzel der Größe ist. Auf der linken Säule wirddie krafthemmende Binah zur formzerstörenden Gevurah und wiederzum magische Bilder produzierenden Merkur - Hermes - Thoth.Von Zeit zu Zeit sind okkulte Symbole bis ins Volkswissendurchgesickert, aber die Uneingeweihten kannten weder dieMethode, um diese Symbole in ihrer richtigen Reihenfolgeanzuordnen, so wie es im Baum der Fall ist, noch verstanden siees, auf sie die alchemistischen Prinzipien der Umwandlung undDestillation anzuwenden, die die wirklichen Geheimnisse desUmgangs mit diesen Symbolen sind.

17. Binah, die dritte Sephirah

Bezeichnung:Binah, Verstehen (Hebräische Schreibweise: hkyb Beth, Jod, Nun,He.)Magisches Bild: Eine Frau im reifen Alter, eine MatronePosition im Baum: Am Kopf der Säule der Härte im höchsten DreieckText im Jezirah: Die dritte Intelligenz wird HeiligendeIntelligenz genannt, die Grundlage der Weisheit. Sie heißt auchSchöpferin des Glaubens, und ihre Wurzeln liegen im Amen. Sie istEiter des Glaubens, der ihr entströmt.Bezeichnungen für Binah: Ama, die dunkle, unfruchtbare Mutter;Aima, die helle, fruchtbare Mutter; Kursiya, der Thron; Marah,das Große MeerGottesname: Jehova ElohimErzengel: Tzaphkiel, Erblicker oder Auge GottesOrdnung der Engel: Er´elim, ThroneWeltliches Chakra: Shabbathai, SaturnSpirituelle Erfahrung: Vision der TrauerTugend: SchweigenLaster: HabgierEntsprechung im Mikrokosmos: Die rechte GesichtshälfteSymbole: Die Yoni, die Vesica Piscis, der Kelch oder Pokal, dasÄußere Gewand der VerheimlichungTarotkarten:Die vier DreienDrei der Stäbe:Etablierte StärkeDrei der Kelche:Fülle

Page 109: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Drei der Schwerter:TrauerDrei der Münzen:Materielle ArbeitenFarbe in Aziluth: KarmesinrotFarbe in Beriah: SchwarzFarbe in Jezirah: DunkelbraunFarbe in Asiyah: graugeflecktes Pink

IBinah ist die dritte Sephirah im höchsten Dreieck Im Lichtedessen, was wir über Chockmah bereits wissen, wird dieUntersuchung Binahs erweitert und vereinfacht. Chockmah, dieBinah ins Gleichgewicht bringt, finden wir auf der Binahgegenüberliegenden Säule im Baum. Wir können das Wesen einerSephirah nicht begreifen, wenn wir sie losgelöst von ihrerPosition im Baum betrachten, da nur diese ihre kosmischeVerbindungen offenlegt. Dadurch sehen wir die Sephirah sozusagenperspektivisch und können feststellen, wo sie herkommt und wo siehingeht, welche Einflüsse bei ihrer Entstehung maßgeblich warenund was sie zur Glyphe als Ganzes beiträgt.Binah symbolisiert die weibliche Kraft des Universums, so wieChockmah die männliche symbolisiert. Wie bereits erwähnt, sindsie das Positive und das Negative, Kraft und Form. Beide liegenam Kopf ihrer jeweiligen Säulen, Chockmah am oberen Ende derSäule der Härte. Es könnte der Eindruck entstehen, daß hier eineunnatürliche Verteilung vorliegt und daß die höchste Mutter dochbesser Herrscherin über die Barmherzigkeit sein sollte und diemännliche Kraft der Herrscher über die Härte. Wir sollten hierjedoch nicht zu gefühlsmäßig urteilen. Es handelt sich umkosmische Prinzipien und nicht um Personen. Die Symbole, die zuihnen gehören, ermöglichen uns ein besseres Verständnis, sofernwir Augen haben zu sehen. Freud hätte sicherlich die ZuordnungBinahs zum Kopf der Säule der Härte als durchaus richtig erkannt.Er berichtet eine Menge über das Konzept der furchterregendenMutter.Kether, Ehyeh, ist reines Sein, allmächtig, aber nicht aktiv.Wenn von ihr Aktivität ausströmt, dann nennen wir diese AktivitätChockmah. Der hinabfließende Strom der reinen Aktivität ist diedynamische Kraft des Universums. Jede Art von dynamischer Kraftfällt unter diese Kategorie.Wir sollten stets berücksichtigen, daß die Sephiroth Zuständesind und keine Orte. Wo immer wir auf einen Zustand reinen,ungezügelten Seins stoßen, das bar jeder Teilung oder Aktivitätist, haben wir es mit Kether zu tun. Wir können unsereVorstellungen von der Gesamtheit des manifesten Universums in diezehn Fächer unserer metaphysischen Kartei einordnen, ohne daß wirdeswegen auch nur ein einziges Ding von seinem unserer Meinung

Page 110: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

nach angestammten Platz in der Natur verrücken müßten. Mitanderen Worten wissen wir, wenn immer wir auf das Wirken reinerEnergie treffen, daß Chockmah hier die zugrundeliegende Kraftsein muß. Dadurch erkennen wir die verschiedensten Phänomeneninnewohnende Artengleichheit, selbst wenn diese Phänomenezunächst scheinbar keine Verbindungen aufweisen. Durch diekabbalistische Methode lernen wir, sie ihrem Typus entsprechendden Sephiroth zuzuordnen und können sie in der Folge anhand desbereits bekannten Entsprechungssystems mit einer Vielzahlwesensverwandter Ideen in Verbindung bringen. Das Unterbewußtseingeht ohnehin so vor, und der Okkultist trainiert seinen bewußtenGeist ebenfalls in dieser Disziplin. Es sei hier nebenbeibemerkt, daß diese Methode Anwendung findet, wann immer Menschendirekt aus ihrem Unterbewußtsein heraus agieren, wie zum Beispielkünstlerische Genies, Wahnsinnige, Menschen im Traum - oderTrancezustand.Es mag den Leser seltsam anmuten, daß dieser Exkurs über Chockmahim Kapitel Binah auftaucht, aber Binah kann nur unterBerücksichtigung ihrer Polarität zu Chockmah verstanden werden.Wir können unseren Erklärungen zu Chockmah jetzt, wo wir sie mitBinah vergleichen können, noch etliches hinzufügen. Jeder derTeile eines Gegenssatzpaares trägt zur Erklärung des anderenTeils bei und ist für sich allein unverständlich.Wir wollen nun wieder zu Binah zurückkehren. Nach derkabbalistischen Lehre ist sie von Chockmah emaniert worden.Versuchen wir, diese Äußerung in andere Worte zu kleiden. Es istein Grundsatz des Okkultismus, der auch durch EinsteinsErkenntnisse untermauert wird - obwohl ich nicht über die nötigeSachkenntnis in bezug auf seine Theorien verfüge, um sie mit deresoterischen Doktrin in Beziehung zu setzen —, daß Kraft sichniemals in gerader Linie fortbewegt, sondern immer in Form einerKurve. Diese Kurve ist so weit wie das Universum und nähert sichirgendwann wieder ihrem Ausgangspunkt, wenn auch auf einer höhergelegenen Bahn, da das Universum sich seit dem Anfang der Kurveweiterentwickelt hat. Daraus läßt sich folgern, daß diese Kraft,die sich immer wieder teilt und im tangentialen Winkelfortbewegt, irgendwann in ein Stadium ineinandergreifenderSpannungen gerät und so eine Art Stabilität erreicht, die imLaufe der Zeit durch das Emanieren neuer Kräfte in dieManifestation wieder zerstört wird, da diese neuen Kräfte neueFaktoren einbringen, die eine Anpassung erforderlich machen.Aus Aktion, Reaktion und nachfolgendem Stillstand derinteragierenden Kräfte resultiert ein Zustand der Stabilität.Dieser Zustand bildet die Grundlage für das Entstehen der Form,wie man am Atom sehen kann, das nicht mehr und nicht weniger istals eine bestimmte Konstellation von Elektronen, von denen jedeseinzelne ein Wirbel oder Strudel ist. Die so erlangte Stabilität,die wohlgemerkt ein Zustand und kein Ding ist, wird von den

Page 111: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Kabbalisten Binah genannt, die dritte Sephirah. Wo immer wir aufeinen Zustand interagierender Spannungen treffen, die zu einemstabilen Zustand gelangt sind, ordnen die Kabbalisten diesenZustand Binah zu. Das Atom, das, was alle praktischen Belangeangeht, die stabile kleinste Einheit des physischen Universumsist, symbolisiert die Manifestion des Kraft - Typus in Binah.Alle sozialen Organisationen, die unter dem Stern der Nicht -Fortschrittlichkeit stehen, so wie zum Beispiel die Gesellschaftin China vor der Revolution oder unsere alten Universitäten,gelten als von Binah beeinflußt. Dieser Sephirah werden dergriechische Gott Kronos (der niemand anders ist als der GevatterZeit) und der römische Gott Saturn zugeordnet. Die Wichtigkeit,die der Zeit oder vielmehr dem Alter in allen Binah -Institutionen beigemessen wird, ist augenfällig. Nur graues Haargilt als ehrwürdig, die Fähigkeit einer Person zählt wenig. Dasbedeutet, daß nur Kronos entsprechende Menschen in einer solchenUmgebung Erfolg haben können.Binah, die große Mutter, manchmal auch Marah, das große Meergenannt, ist natürlich die Mutter alles Lebenden; sie ist derarchetypische Mutterschoß, durch den das Leben sich manifestiert.Was immer dem Leben eine Form gibt, in die es schlüpfen kann,kommt von ihr. Wir sollten daran denken, daß in Formen gefangenesLeben zwar durch diese Form die Möglichkeit hat, sich zuorganisieren und zu entwickeln, daß es aber andererseits vielweniger frei ist als im uneingeschränkten, wenn auch ebenfallsunorganisierten Zustand auf der ihm eigenen Ebene. Entwicklung ineiner Form ist deshalb der Anfang eines Prozesses, bei dem dasLeben stirbt. Es ist ein beschränkender und begrenzender, einbindender und einengender Prozeß. Die Form kontrolliert dasLeben, sie zwängt es ein und ermöglicht ihm doch rechtzeitig,sich zu organisieren. Vom Standpunkt der freibeweglichen Kraftaus gesehen ist diese Einkerkerung eine Art der Auslöschung. DieForm zügelt die Kraft mit unerbittlicher Härte.Körperloser Geist ist unsterblich. Es gibt nichts an ihm, wasaltern oder sterben könnte. Inkarnierter Geist sieht den Todbereits am Horizont auftauchen, wenn er gerade erst geborenwurde. Wir können dem entnehmen, wie schrecklich die große Muttererscheinen mag, weil sie freibewegliche Kraft in die DisziplinForm einbindet. Für die dynamische Aktivität Chockmahs bedeutetsie den Tod. Die Kraft Chockmahs wird ausgelöscht, wenn sie inBinah einströmt. Die Form diszipliniert die Kraft, und deshalbsteht Binah am Kopf der Säule der Härte.Man könnte sagen, daß die erste kosmische Nacht einsetzte, daserste Pralay oder Sich - zur - Ruhe - Setzen der Manifestation,als das höchste Dreieck durch die Emanation und OrganisationBinahs zu Stabilität und Kräftegleichgewicht fand. Vorher waralles dynamisch, vorwärtsstrebend und in der Expansion begriffen.Mit der Manifestation des Binah - Aspekts setzte ein

Page 112: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Ineinandergreifen und eine Stabilisierung ein. Das altedynamische, freie Fließen gab es plötzlich nicht mehr.Daß ein Ineinandergreifen und die darauffolgende Stabilisierungin einem Universum, dessen Entwicklung kurvenförmig verläuft,unvermeidlich ist, war von vorneherein klar. Daraus ergibt sichaber auch, daß der Chockmah - Zustand in einem kurvenförmigbegrenzten Universum unweigerlich in den Binah - Zustandübergehen muß, daß es Zeitepochen geben muß, in denen entwederBinah oder Chockmah vorherrschend sind. Bevor die Kraftkurvenihre Bahn im manifestierten Universum beendet hatten, wieder aufihren Ausgangspunkt trafen und sich wieder miteinandervereinigten, war alle Energie Chockmah, und die Dynamik waruneingeschränkt. Nachdem Binah und Chockmah als ursprünglichesGegensatzpaar ins Gleichgewicht gekommen waren, war alle EnergieBinah, und die Stabilität war unerschütterbar. Aber Kether, dergroße Emanierer, fährt fort, das Ur - Nichts zu manifestieren;Kraft strömt ins Universum ein, und die Summe aller Kraft wächstan. Diese einströmende Kraft zerstört das Gleichgewicht, dasentstanden ist, nachdem Chockmah und Binah agiert haben und zumStillstand gekommen sind. Aktion und Reaktion beginnen von neuem,und die Chockmah - Phase, in der die dynamische Kraftvorherrscht, überlagert den statischen Zustand Binahs. Der Zyklusbeginnt von vorn. Das Gleichgewicht zwischen den Gegensatzpaarenwird in einer komplexeren Form erreicht, auf einem höheren Bogenvom Standpunkt der Evolution aus gesehen, nur um danach wiederzerstört zu werden, wenn die ständig ausströmende Kether dieWaage in Richtung des kinetischen Prinzips ausschlagen läßt unddas statische Prinzip an Gewicht verliert.Da Kether die Quelle allen Seins, als der höchste Gott betrachtetwird, was sich ganz logisch so ergibt, wenn sie von ihrem Wesenher kinetisch ist und ihren Einfluß auf Chockmah richtet, folgtdaraus, wiederum logisch, daß Binah als Gegenteil Chockmahs, alsder ständige Opponent der dynamischen Impulse, als Feind Gottesbetrachtet werden muß, als das Böse schlechthin. Die VerbindungSaturn - Satan liegt nahe und ebenso die von Zeit - Tod - Teufel.Den asketischen Religionen, wie der christlichen und derbuddhistischen, liegt der Gedanke zugrunde, daß die Frau dieWurzel allen Übels ist, da sie durch ihren Einfluß auf dasVerlangen des Mannes diesen in der Form gefangen hält Die Materieist bei diesen Religionen der Feind des Geistes, was zu einerimmerwährenden Dualität führt. Die christliche Religion ist nurallzu bereit, die häretische Natur dieses Glaubenssatzeseinzusehen, wenn er ihr als Antimonie dargestellt wird. Was diePraxis anbelangt, erkennt sie aber nicht, daß ihre Lehren genaudiesen Widerspruch aufweisen, da in ihnen die Materie als derFeind des Geistes betrachtet wird, den man außer Kraft setzen undüberwinden muß. Dieser unglückselige Glaube hat in denchristlichen Ländern ebensoviel Leiden verursacht wie der Krieg

Page 113: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

und die Pest.In der Kabbala wird eine weise Doktrin gepredigt. Darin sind alleSephiroth gleichermaßen heilig, Malkuth ebenso wie Kether,Geburah, der Zerstörer, ebenso wie Chesed, der Bewahrer. In derKabbala bildet Rhythmus die Grundlage für Leben und nicht einegradlinig fortlaufende Entwicklung. Wenn wir diesen Gedankenbesser verinnerlichen würden, könnten wir uns damit viel Leidenersparen und würden beobachten, wie die Chockmah - und Binah -Phasen sich sowohl in unserem Leben als auch im Leben der Völkergegenseitig ablösen. Dann würden wir die tiefe Wahrheit erkennen,die in den Worten Shakespeares steckt: Der Strom der menschlichenGeschäfte wechselt: Nimmt man die Flut wahr, führet sie zumGlück.Binah ist die Ur - Wurzel der Materie, aber diese erreicht ihrevolle Entwicklung erst, wenn sie zu Malkuth, dem materiellenUniversum, gelangt. Im Verlauf unseres Studiums werden wirwiederholt feststellen, daß die drei Überirdischen, die denMikrokosmos bilden, ihren speziellen Ausdruck auf einem tieferenBogen auch in der einen oder anderen der sechs Sephiroth finden.Es wird des öfteren erwähnt, daß diese sechs Sephiroth ihreWurzeln in der höheren Triade haben beziehungsweise derenReflektionen sind. Diese Hinweise sind sehr wichtig. Binah stehtzu Malkuth im gleichen Verhältnis wie die Wurzel einer Pflanze zuihren Früchten. Im Text Jezirah geht das aus der Äußerung hervor,die lautet »Sie sitzt auf dem Thron Binahs«. Deshalb ist eine zuvoreilige und zu strikte Zuordnung der Götter anderer Pantheonezu den verschiedenen Sephiroth von Nachteil. EinigeCharakteristika der Isis finden wir auch bei Binah, Netzach,Jesod und Malkuth. Bei Chockmah, Chesed und Tiphereth treffen wirauf Aspekte des Osiris. In der griechischen Mythologie wird dasdeutlich, wo die Götter und Göttinnen beschrieben werden. Dianazum Beispiel, die Mondgöttin und jungfräuliche Jägerin, wurde inEphesus als Vielbrüstige verehrt. Venus, die Göttin derweiblichen Schönheit und Liebe, wurde in einem Tempel als bärtigeVenus angebetet. Aus diesen Beispielen können wir wichtigeRückschlüsse ziehen. Sie ermöglichen es uns, hinter das Prinzipder vielgestaltigen Manifestation zu schauen und zu begreifen,daß sie sich auf den verschiedenen Ebenen auch in verschiedenenFormen ausdrückt. Das Leben ist nicht so einfach und eindeutig,wie es der Unwissende sich gern vorstellt.

IIDie Bedeutung der beiden hebräischen Bezeichnungen für die zweiteund dritte Sephirah sind Weisheit und Verstehen, zwei Begriffe,deren Gegenüberstellung uns auf den Gedanken kommen läßt, daßihre Abgrenzung voneinander offenbar sehr wichtig ist. Weisheitvermittelt uns die Vorstellung von angesammeltem Wissen, voneiner endlosen Reihe von Bildern im Gedächtnis. Das Wort

Page 114: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Verstehen dagegen beinhaltet für uns die Fähigkeit, in dieBedeutung von Dingen gedanklich einzudringen, ihren Kern und ihreZusammenhänge zu erfassen, was der Begriff Weisheit, wenn er imSinne von intellektuellem Wissen verstanden wird, nichtausdrückt. Auf diese Weise eröffnet sich uns die Vorstellung voneiner langen Reihe einer auf Chockmah bezogenen Gedankenkette,die uns an das Symbol der geraden Linie für diese Sephiraherinnert. Mit dem Begriff Verstehen assoziieren wir eineSynthese, das Erfassen der Bedeutung der Dinge, das sich danneinstellt, wenn verschiedene Ideen miteinander in Beziehunggesetzt oder, metaphorisch gesagt, in einem hohenEvolutionsstapel, der von der dichtesten bis hin zur feinstenMaterie reicht, aufeinandergetürmt werden können. Das wiederumerinnert uns an die Vorstellung des zusammengefügten Binah -Prinzips.All das sind subtile Funktionsweisen unseres Geistes. Sie mögendem Menschen unsinnig erscheinen, der nicht mit der Art und Weisevertraut ist, wie der Eingeweihte mit seinem geistigen Potentialarbeitet. Der Psychoanalytiker jedoch versteht die Zusammenhängeund kann sie richtig einschätzen, ebenso wie der Dichter, derseine von Wolken umwogten Phantasieschlösser baut.Das Buch Jezirah betont das Konzept des auf Verstehen basierendenGlaubens, der von Binah kommt. Nur hier ist der Glaube an seinemangestammten Platz. Ein Zyniker hat einmal Glauben als etwasdefiniert, von dem man weiß, daß es nicht wahr ist. Wenn man sichanschaut, wie der Glaube sich bei den Lehren bestimmter Sektenauswirkt, mag diese Definition durchaus zutreffend sein. Istdieses Bewußtsein der mystischen Dimension jedoch vorhanden,können wir Glauben als das Ergebnis übersinnlicher Erfahrungendefinieren, die noch nicht auf die Ebene des bewußten Verstandesübersetzt wurden und derer sich deshalb die normalePersönlichkeit noch nicht direkt bewußt ist, obwohl sievielleicht die Auswirkungen schon sehr deutlich spürt und ihreemotionalen Reaktionen dadurch grundlegend und definitivverändert werden.Anhand dieser Definition wird uns deutlich, daß die Wurzeln desGlaubens tatsächlich in Binah zu finden sind, denn sie beinhaltetdas Verstehen, das synthetische Prinzip im Bewußtsein. DasBewußtsein hat, wie die Materie, einen Formaspekt, und mit diesemFormaspekt werden wir uns eingehender beschäftigen, wenn wir zuHod kommen, der Sephirah, die am Fuß der Säule der Härte zufinden ist. Wieder einmal haben wir gesehen, wie die Sephirothuntereinander in Verbindung stehen und wie wir durch dieUntersuchung dieser Verbindungen neue Erkenntnisse über siegewinnen können.Die Aussage, daß die Wurzeln Binahs im Amen liegen, schafft eineVerbindung zu Kether, denn eine der Bezeichnungen für Kether istAmen. Daraus können wir schließen, daß Chockmah zwar Binah

Page 115: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

emaniert, wir aber nicht an diesem Punkt haltmachen sollten, wennwir die Wurzel suchen, sondern bis zurück zur Quelle allen Lebensgehen sollten, bis dorthin, wo es aus dem Nichts hinter denSchleiern der negativen Existenz entsteht. Im Jezirah - Text zuChesed kommt das sehr deutlich zum Ausdruck. Dort heißt es überdie spirituellen Kräfte: »Sie emanieren eine aus der anderenKraft der Ur - Emanation, der höchsten Krone, die Kether ist.«Wir sollten uns in diesem Punkt nicht dadurch verwirren lassen,daß es im Buch der Schöpfung zu Binah (Verstehen) heißt, daß sieaus den Ur - Tiefen Chockmahs (Weisheit) emaniert. Binah istebenso in Kether enthalten wie Chockmah, »aber auf andere Weise«.Im reinen Sein, so formlos und teil - los es auch ist, liegensowohl die Möglichkeiten zur Form als auch zur Kraft, denn wo eseinen positiven Pol gibt, muß es logischerweise auch einennegativen geben. Kether befindet sich auf ewig im Zustand desWerdens. Ein jüdischer Kabbalist sagte mir sogar einmal, daß diekorrekte Übersetzung des Gottesnamen Kethers, Ehyeh, »Ich werdesein« und nicht »Ich bin« ist. Dieses ständige Werden kann nichtstatisch bleiben, es muß in die Aktivität überfließen. DieseAktivität wiederum kann in sich nicht unkoordiniert bleiben, siemuß sich organisch anordnen, es muß eine Form der Anpassung andie sich überlagernden Spannungen stattfinden. Deshalb liegt dieAnlage zu Chockmah und Binah bereits in Kether, denn, ich möchtees hier nochmals wiederholen, die Heiligen Sephiroth sind keineDinge, sondern Zustände; alle manifesten Dinge im Universumbefinden sich in einem oder anderen dieser Zustände, und dasGanze enthält immer etwas von allen Faktoren, so daß wir dieGesamtheit des manifesten Universums ordnen und in entsprechendeSchubladen unseres Gehirns ordnen können, wenn wir die Glyphe desLebensbaumes verinnerlicht haben. Ist diese Glyphe einmalausgearbeitet und im Geist verankert, wendet man sie sozusagenautomatisch an, und die komplexen Phänomene der objektivenExistenz entwirren und ordnen sich in unserem Verstand. Deshalbwird darauf geachtet, daß der Schüler, der eine okkulte Schulebesucht, die Hauptentsprechungen der zehn heiligen Sephirothauswendig lernt, statt ihm zu erlauben, daß er sie ausEntsprechungstafeln heraussucht. Es wurde oft der Einwand laut,daß das ein unnötiger Zeit - und Energieaufwand sei und daß manebensogut Crowleys Entsprechungstafeln aus 777 verwenden könne.Die Erfahrung lehrt jedoch, daß dem nicht so ist und daß derEsoteriker, der sich die Arbeit macht und die Entsprechungentäglich wiederholt, so wie der Katholik, der seinen Rosenkranztäglich betet, durch die Zusammenhänge, die er begreift, wennsein Geist die unzähligen Veränderungen und Zufälle desweltlichen Lebens wie von selbst im Baum verteilt und so ihrespirituelle Bedeutung erfaßt, reichlich für seine Mühe belohntwird. Wir sollten nie vergessen, daß die Anwendung desLebensbaumes nicht einfach eine intellektuelle Übung ist, sondern

Page 116: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

eine kreative Kunst im wahrsten Sinne des Wortes. Die Fähigkeitdazu muß erst im Geist entwickelt werden, so wie ein Bildhaueroder Musiker die manuelle Geschicklichkeit für seine Arbeitentwickeln muß.Im Buch Jezirah wird Binah als heiligende Intelligenz bezeichnet.Der Ausdruck »heiligend« vermittelt die Vorstellung von etwas,das heilig ist. Die Jungfrau Maria wird eng mit Binah, der großenMutter, in Verbindung gebracht, und durch diese Verbindung wirdder Geist angeregt, sich etwas vorzustellen, das alleshervorbringt, seine eigene Jungfräulichkeit aber bewahrt. Andersausgedrückt etwas, dessen Kreativität sich nicht mit dem Lebenseiner Kreaturen verbindet, sondern das außerhalb und nicht imHintergrund bleibt, als Uressenz der Manifestation, als Wurzelder Materie in Binah zu finden sind, ist die Art von Materie, diewir kennen, doch von einer ganz anderen Seinsstufe als dieSephirah aus dem höchsten Dreieck, der sie entstammt. Binah, derformende Einfluß, der Vater aller Form, steht hinter undaußerhalb der manifesten Materie. Er ist sozusagen ewigjungfräulich. Dieser formende Einfluß, der jeder aufgebauten Formzugrunde liegt, diese Tendenz, korrelierende Kraftkurven zubilden, die dann einen Zustand der Stabilität erreichen, wirdBinah genannt.Die beiden Sephiroth an der Basis der höchsten Triade erhaltendie besondere Bezeichnung Vater und Mutter, Abba und Ama, und dieentsprechenden magischen Bilder sind die eines bärtigen Mannesund einer Matrone oder Mutter. Sie versinnbildlichen nicht diesexuelle Anziehungskraft von Netzach und Jesod, die als jungesMädchen und junger Mann dargestellt werden, sondern sind reifePersönlichkeiten, die sich gepaart und Nachkommen gezeugt haben.Wir sollten immer zwischen magnetischer, sexueller Anziehung undFortpflanzung unterscheiden. Diese beiden Begriffe sindkeineswegs dasselbe, ja noch nicht einmal verschiedene Ebenenoder Aspekte ein und desselben Dinges. Wir treffen hier auf einewichtige okkulte Erkenntnis, auf die wir an geeigneter Stellenoch detaillierter eingehen werden.Chockmah und Binah verkörpern also grundlegende Männlichkeit undWeiblichkeit in ihren kreativen Aspekten. Sie sind keinephallischen Figuren an sich, sondern symbolisieren die Wurzelaller Lebenskraft. Wenn wir nicht begreifen, was Phallizismuswirklich ist, werden wir die tiefergehenden Aspekte der Esoteriknie verstehen. Auf keinen Fall handelt es sich dabei um etwasähnliches wie die Orgien in den Aphrodite - Tempeln, die über dieDekadenz des heidnischen Glaubens zu dieser Zeit Zeugnis ablegenund letztendlich zu seinem Niedergang geführt haben. Vielmehr istdamit gemeint, daß alles auf der Stimulation des Trägen, aberalles Potential in sich Tragenden durch das dynamische Prinzipberuht, das seine Energie direkt aus der Quelle aller Energiebezieht. Dieses Konzept beinhaltet enorm wichtige Hinweise und

Page 117: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ist eines der Schlüsselprinzipien der Mysterien. Es liegt klarauf der Hand, daß die Sexualität ein Aspekt dieses Prinzips ist,aber es ist ebenso offensichtlich, daß es viele andere Seitengibt, die mit Sexualität nichts zu tun haben. Wir sollten vonVorurteilen und einer konventionellen Haltung diesem großartigenund vitalen Prinzip gegenüber Abstand nehmen, das der Sexualitätzugrunde liegt, damit wir uns davon nicht abschrecken lassen, dasPrinzip der Stimulation oder Befruchtung des Trägen, aber allesPotential in sich Tragenden durch das aktive Prinzip zu erkennen.Wer dazu nicht fähig ist, ist auch nicht geeignet, die Mysterienzu ergründen, denn über ihrem Portal stehen die Worte: »Erkennedich selbst«.Dieses Sich - Selbst - Erkennen führt nicht zur Unreinheit, dennUnreinheit heißt Unkontrollierbarkeit der Kräfte, die dann dieihnen von der Natur gesetzten Grenzen überschreiten. Wer keineKontrolle über seine eignen Instinkte und sein Verlangen hat, istebenso ungeeignet, die Mysterien zu ergründen wie jener, derdiese Instinkte unterdrückt und abtrennt. Es sollte völlig klarsein, daß die Mysterien keine Askese und kein Zölibatvoraussetzen, denn sie verstehen Geist und Materie nicht als einunvereinbares Paar von Gegensätzen, sondern eher als verschiedeneEbenen ein und desselben Dinges. Reinheit hat nichts mitEntmannung zu tun, sondern damit, die verschiedenen Kräfte imentsprechenden Maß und auf der ihnen entsprechenden Ebene zuhalten, damit sie sich nicht gegenseitig beeinträchtigen.Frigidität und Impotenz sind ebenso krankhaft wie zügellose Lust,die das Objekt ihres Verlangens zerstört und sich selbst damitherabsetzt.Jede manifeste Beziehung trägt das Prinzip Binahs und Chockmahsin sich, und da die Sexualität ein so perfektes Beispiel fürdiese Tatsache ist, wurde sie in der Antike auch als solchesangewandt. Die Menschen damals kannten unsere Scheu vor diesemThema nicht und benutzten so freizügig Metaphern aus dem Bereichder Fortpflanzung, wie wir Metaphern aus der Bibel verwenden. Fürsie war die Fortpflanzung ein heiliger Vorgang, und sie sprachendarüber nicht als etwas Schmutziges, sondern voller Ehrerbietung.Wenn wir ihre Auffassung verstehen wollen, müssen wir versuchen,ihre Lehren über die Quelle des Lebens und die Lebens - Kraft mitden gleichen Augen zu sehen wie sie. Jeder, der nicht mitVorurteilen behaftet ist oder im Schatten seiner ungelöstenProbleme steht, wird mir zustimmen, daß unsere Einstellung demLeben gegenüber wesentlich gesünder und freudvoller wäre, wennwir nur ein bißchen mehr von der Einstellung und dem feinenGespür der Heiden hätten.Die Prinzipien der Männlichkeit und Weiblichkeit, wie sie sich inChockmah und Binah darstellen, sind mehr als nur Positivität undNegativität oder Aktivität und Passivität. Chockmah, derAllesbefruchter, trägt die Urkraft in sich, die direkt von Kether

Page 118: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

kommt. Chockmah ist in der Tat nichts anderes als Kether inAktion, denn die Sephiroth sind ja nicht verschiedene Dinge,sondern unterschiedliche Funktionsweisen ein und desselbenDinges, nämlich der Kraft in Reinform, die aus dem Nichts hinterden Schleiern der negativen Existenz in die Manifestationhereinsprudelt. Chockmah ist die Kraft in Reinform, vergleichbarmit der Kraft, die freigesetzt wird, wenn Benzin in derVerbrennungskammer des Motors explodiert. Genauso wie dieseexpandierende Kraft des Benzins verlorenginge, wenn kein Motor dawäre, der sie überträgt, so würde auch die ungelenkte KraftChockmahs im Raum verpuffen, gäbe es nichts, was ihren Impulsauffinge und ihn weiterleitete. Chockmah explodiert wie dasBenzin, Binah ist die Verbrennungskammer, Gedulah und Gevurahwirken wie die Pumpbewegungen des Kolbens, nach vorne und zurück.Die expansive Kraft, die durch das Verbrennen des Benzins erzeugtwurde, ist zwar Energie in Reinform, aber dennoch kann sie keineWagen antreiben. Die in Bahnen lenkende Organisation Binahskönnte zwar als Antrieb eines Autos dienen, aber sie muß erstdurch die Ausdehnung der gespeicherten Energie in Aktion versetztwerden. Binah trägt zwar das Potential in sich, ist aber inaktiv.Chockmah ist reine Energie, grenzenlos und unermüdlich, aberunfähig, etwas anderes zu tun, als diese Energie in den Raumabzustrahlen, wenn sie sich selbst überlassen bleibt. WennChockmah jedoch auf Binah einwirkt, wird die Energie gesammeltund in Bewegung versetzt. Wenn Binah von Chockmah den Impulserhält, wird ihr latentes Potential aktiviert. Kurz gesagt stelltChockmah die Energie und Binah die Maschinerie dar.

IIIWir wollen uns jetzt mit den Prinzipien der Männlichkeit und derWeiblichkeit dieses höchsten Gegensatzpaares beschäftigen, so wiesie sich beim Zeugungsakt auswirken. Die Samenzellen des Mannessind nur für kurze Zeit lebensfähig. Sie sind die einfachstenEnergieeinheiten, und wenn diese Energie ausgeschöpft ist, lösensie sich auf. Die Fortpflanzungsorgane der Frau, der Mutterleib,der die Frucht austrägt, und die Brüste, die die Nahrung geben,sind in der Lage, das Leben, das sie empfangen haben, zu einemunabhängigen Leben zu entwickeln. Trotzdem liegt diesehochentwickelte Maschinerie still, bis der Stimulus der Chockmah- Kraft sie in Aktion versetzt. Die Fortpflanzungsorgane desMannes sind Träger aller Potenz, aber unfähig, das Lebenauszutragen.Die meisten Menschen glauben, daß Männlichkeit und Weiblichkeitin ihren Strukturen festgelegt sind, weil sie das von derphysischen Ebene her so kennen. Sie glauben, daß die Potenz unddas Potential fest an die ihnen entsprechenden Mechanismengebunden sind. Das ist ein Irrtum. Auf allen Ebenen, außer aufder physischen, findet ein ständiger Wechsel der Polarität statt.

Page 119: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Bei den primitiven Formen des Lebens in der Tierwelt geschiehtdieser Wechsel sogar auf der physischen Ebene. Beihöherentwickelten Tieren, besonders bei den Wirbeltieren, wirddie Polarität bei der Geburt festgelegt, außer beiHermaphroditen, wo sicher eine Anomalie vorliegt, die alskrankhaft zu betrachten ist, und bei denen immer nur einGeschlecht aktiv ist, egal wie das andere in Erschienung tretenmag. Eins der größten Geheimnisse der Mysterien ist dieseskontinuierliche Wechselspiel der Polarität. Damit ist keinesfallsHomosexualität gemeint, denn Homosexualität ist der pervertierteund krankhafte Ausdruck dieses Wechselspiels der Polarität, dersich in einer Störung der sexuellen Gefühle widerspiegelt.Kurz gesagt ist die Art der Fortpflanzung auf der physischenEbene zwar durch den Körper des einzelnen festgelegt, seinespirituellen Reaktionen sind jedoch nicht so fixiert, denn dieSeele ist bisexuell. Anders ausgedrückt sind wir im Leben injeder Beziehung manchmal positiv und manchmal negativ, je nachdemob die Umstände stärker sind als wir oder wir stärker als dieUmstände. In dem Sprichwort, daß die graue Stute zuweilen dasbessere Pferd ist, kommt das ganz klar zum Ausdruck. Ebenso inder Tatsache, daß Netzach (Venus - Aphrodite) die untersteSephirah auf der Säule ist, auf der Chockmah liegt. Die weiblicheNatur ist auf verschiedenen Ebenen von unterschiedlicherPolarität, denn in Netzach ist sie so positiv und dynamisch, wiesie in Binah statisch ist.All das ist nicht nur für den Verstand verwirrend, sondern auchvom moralischen Blickwinkel aus gesehen. Auch wenn ich Gefahrlaufe, der Propagierung von Abnormalitäten beschuldigt zu werden,möchte ich das Thema so gründlich wie möglich behandeln. Schonallein deswegen, weil sich daraus weitreichende Konsequenzenergeben.Die Rabbis sagen, daß jede Sephirah in bezug auf dievorhergehende negativ ist und in bezug auf die nachfolgende, diesie emaniert, positiv. Dadurch wird vieles verständlicher. Wirsind in unserem Verhältnis zu den Dingen oder Menschen, die eingrößeres Potential haben als wir, negativ und in unsererBeziehung zu dem, was ein geringeres Potential hat, positiv.Diese Beziehungen sind ständig im Fluß und ändern sich an jedemder unzähligen Punkte, an denen wir mit unserer Umwelt in Kontakttreten.Meistens sind die Beziehungen zwischen Mann und Frau für beideSeiten nicht völlig befriedigend, und sie müssen entweder lernen,mit dieser unvollständigen Befriedigung zu leben, sei es ausreligiösen oder wirtschaftlichen Gründen, oder sich das, wasihnen zu ihrer Befriedigung noch fehlt, anderswo zu suchen. Dabeiist es oft der Fall, daß, sobald ein Reiz nicht mehr neu ist, dasgleiche Problem erneut auftaucht. Es läßt sich häufig beobachten,daß die sexuelle Befriedigung am höchsten ist, wenn die Beziehung

Page 120: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

noch frisch ist. Diese Frische müßte ständig erneuert werden, waskatastrophale Folgen für das Sexualleben hätte.Das Problem liegt darin, daß der Mann zwar den Stimulus gibt, derzur Fortpflanzung führt, daß er aber nicht wahrnimmt, daß er aufden inneren Ebenen laut dem Gesetz der entgegengesetztenPolarität negativ ist und seine emotionale Ganzheit vom Stimulusder Frau abhängig ist Seine emotionale Fruchtbarkeit beruht zumgroßen Teil auf ihr, wie die Beispiele von solch kreativenMenschen wie Wagner oder Shelley zeigen.Die Ehe ist keine Verbindung zwischen zwei Hälften, sondernzwischen vier Vierteln, die durch die ausgleichende Harmoniegegenseitiger Befruchtung verbunden sind. Binah und Chockmahwerden durch Hod und Netzach ins Gleichgewicht gebracht. Es gibtsowohl Götter als auch Göttinnen, die der Mensch anbeten kann.Boaz und Jakin sind beide Säulen des Tempels und garantieren nurin ihrer Verbindung Stabilität. Eine Religion ohne Göttinnenbefindet sich auf halbem Wege zum Atheismus. Der Schlüssel liegtim Wort Elohim. Elohim wird sowohl in der autorisiertenBibelfassung als auch in allen anderen Ausgaben der HeiligenSchrift mit Gott übersetzt. Die korrekte Übersetzung müßteeigentlich lauten: »Gott und Göttin«, denn es handelt sich um einfeminines Substantiv mit maskuliner Pluralendung. Das istzumindest vom linguistischen Standpunkt aus gesehen eineunbestreitbare Tatsache, und es ist anzunehmen, daß dieverschiedenen Autoren der Bibelschriften das wußten und diesenbesonderen und einzigartigen Begriff nicht ohne Grund gewählthaben. »Und der Geist des männlichen und des weiblichen Prinzipsvereinigten sich, erhoben sich über die Oberfläche des Formlosen,und die Offenbarung geschah«. Wenn wir unseren gegenwärtigenZustand der ungleichen Spannungen ändern wollen und statt dessenein Gleichgewicht anstreben, sollten wir die Elohim, und nichtJehova anbeten.Die Anbetung Jehovas statt der Elohim ist ein wichtiger Punkt,der uns daran hindert, »auf den Ebenen aufzusteigen«, das heißtdaran hindert, ein paranormales Bewußtsein als Teil unsererGrundausrüstung zu erreichen. Wir müssen willens sein, unserePolarität zu wechseln wie wir die Ebenen wechseln, denn was aufder physischen Ebene positiv ist, wird auf der astralen Ebenenegativ und umgekehrt. Da die praktische okkulte Arbeit sichimmer auf mehr als einer Ebene abspielt, entweder gleichzeitig,wie bei der Anrufung und Heraufbeschwörung, oder nacheinander,wie beim Verbinden der Bewußtseinsebenen nach der Arbeit mit denübersinnlichen Kräften, muß dem negativen Aspekt sowohl bei dersubjektiven als auch bei der objektiven Arbeit immer ein Platzeingeräumt werden.Das eröffnet wiederum neue Perspektiven zum Thema. Wie vieleMenschen sind sich bewußt, daß ihre Seele bisexuell im wahrstenSinne des Wortes ist und daß die verschiedenen Bewußtseinsstufen

Page 121: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

auf männliche und weibliche Art aufeinander reagieren.Freud hat gesagt, daß das Sexualleben auch die Lebensweise alsGanzes bestimmt. Grundsätzlich ist es zunächst so, daß dieLebensform das Sexualleben bestimmt. In der Praxis ist jedochFreuds Sichtweise durchaus zutreffend, denn es ist nicht möglich,ein gestörtes Sexualleben durch die sonstigen Lebensumständeauszubügeln - zum Beispiel kann kein noch so großer Wohlstandoder Ruhm eine Störung dieses Grundinstinktes kompensieren.Andererseits kann sich durch ein erfüllteres Sexualleben auch diegesamte sonstige Lebensweise verändern. Das ist ein aus derPraxis gewonnener Erfahrungswert, der nicht a priori nochdiskutiert werden muß. Aus diesem Grund, also basierend aufpraktischen Erfahrungen mit der Funktionsweise des menschlichenBewußtseins, ist sicherlich auch in der Antike der Phallizismusein solch wichtiger Teil der Riten gewesen. Eigentlich ist er einebenso wichtiger Faktor in den Anbetungszeremonien der heutigenZeit, aber die Bedeutung der traditionell verwendeten Symbolewurde im Bewußtsein in den Hintergrund gedrängt.Freuds Psychologie liefert den Schlüssel zum Phallizismus undöffnet die Tür zum Adyton der Mysterien. Die Wichtigkeit dessexuellen Aspektes für den praktischen Okkultismus ist nichtwegzuleugnen, so schwerverdaulich das auch zunächst sein mag. Inder Nichtbeachtung dieses Faktums liegt der Grund, warum so vielemagische Handlungen unfruchtbar sind.Diese Dinge sind wohlbehütete Geheimnisse der Mysterien, zu denenwir heutzutage den Schlüssel verloren haben. Die in derPsychologie und der ihr verwandten Psychiatrie gewonnenenErgebnisse haben gezeigt, daß die Antike auf einer gesunden Basisstand, als sie die Anbetung des schöpferischen Prinzips und desFruchtbarkeitsprinzips zu einem Teil ihres religiösen Lebensmachte. Es ist ein gut fundierter Erfahrungswert, daß ein Mensch,der seine sexuellen Gefühle vom Bewußtsein abgespalten hat, mitseinem Leben auf keiner der Ebenen zurechtkommt. Auf diesemErfahrungswert basiert die moderne Psychotherapie. In derokkulten Arbeit tendieren Menschen mit gestörter oderunterdrückter Persönlichkeit dazu, in der Arbeit mit denübersinnlichen Kräften und als Medium psychisch instabil zu sein,und sind deshalb für magische Arbeiten, die ja durch den Willengesteuert und gelenkt werden, völlig unbrauchbar. Das bedeutetnicht, daß sexuelle Instinkte für die magische Arbeit entwedervöllig ausgeschaltet oder völlig ausgelebt werden müssen, esheißt aber, und das möchte ich mit allem Nachdruck betonen, daßein Mensch, der von seinen Instinkten, die ja seine Verankerungin Mutter Erde darstellen, völlig abgeschnitten ist, eine Lückein seinem Bewußtsein aufweist und daher kein offener Kanal seinkann, durch den die Kräfte ungehindert über die Ebenen bishinunter zur Manifestation auf der physischen Ebene fließenkönnen.

Page 122: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Meine Offenheit in bezug auf diese Angelegenheit wird man mirsicher ankreiden und vorwerfen, aber wenn niemand den Mut hat,die Beschuldigungen und den Haß auf sich zu laden, wie soll dannder Wanderer seinen Weg innerhalb der Mysterien finden? Sollenwir in den Logen eine viktorianische Haltung einnehmen, dieüberall draußen längst abgelegt wurde? Irgend jemand muß doch diefalschen Götter vom Podest holen, die das Machwerk engstirnigerund besitzneidiger Menschen sind. Ich bin auf jeden Fall derMeinung, daß ich dabei nichts verlieren kann, denn es wäreohnehin nicht möglich, mit Leuten zusammenzuarbeiten oder sie zuschulen, die bereits in Panik geraten, wenn sie mit der Wahrheitkonfrontiert werden. Ich lade niemanden zu phallischen Orgienein, auch wenn mir das sicher unterstellt werden wird. Ich möchtelediglich darauf hinweisen, daß ein Mensch, der die Bedeutung derPhallusanbetung nicht zu begreifen imstande ist, mir auch für dieArbeit mit den Mysterien als völlig ungeeignet erscheint.

IVNachdem wir der Beleuchtung des Binah - Prinzips, das polar zuChockmah wirkt und als grundsätzliches Polaritätsprinzip auch garnicht anders interpretiert werden kann, genügend Raum gegebenhaben, können wir nun dazu übergehen, uns mit der Symbolik dieserdritten Sephirah zu befassen. Sie teilt sich in zwei Aspekte auf,den Aspekt der großen Mutter und den Aspekt Saturns, denn diesezwei Bezeichnungen werden für Binah benutzt. Sie ist die mächtigeMutter allen Lebens, und sie verkörpert gleichzeitig das PrinzipTod, denn der Spender des Lebens in Formen ist gleichzeitig derTodesbringer. Jede Form stirbt, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat.Auf den Ebenen der Form sind Tod und Geburt zwei Seiten ein undderselben Münze.Der Mutteraspekt Binahs drückt sich im Begriff Marah, das Meer,aus. Es ist eigenartig, daß Venus - Aphrodite in Darstellungenals aus dem Schaum des Meeres geboren gezeigt wird und daß dieJungfrau Maria von den Katholiken Stella Maria, der Stern desMeeres, genannt wird. Das Wort Marah, das die Wurzel für Mariaist, bedeutet auch bitter, und die zu Binah gehörige spirituelleErfahrung ist die Vision der Trauer. Diese Vision ruft sofort dieAssoziation zur trauernden Jungfrau Maria am Fuß des Kreuzeshervor, deren Herz von sieben Schwertern durchbohrt ist. Auch dieLehre Buddhas, die besagt, daß das Leben Leiden ist, kommt unsdabei in den Sinn. Die Vorstellung von der Unterwerfung unterLeiden und Tod ist in der Vorstellung des Abstiegs des Lebens zuden Ebenen der Form bereits enthalten.Das Buch Sepher Jezirah spricht im entsprechenden Abschnitt vomThron Binahs. Eine der Bezeichnungen für die dritte Sephirah istKursiya, der Thron, und die ihr zugehörigen Engel heißen Er´elim,was ebenfalls Throne bedeutet. Ein Thron erweckt die Vorstellungvon einer festen Basis, einer stabilen Grundlage, die

Page 123: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

unverrückbar ist und auf der der Herrscher Platz nimmt. Ein Thronist in der Tat ein Sicherungsblock, der den Rückstoß einer Kraftähnlich abfängt wie die Schulter den Rückstoß eines Gewehres.Waffen mit großer Reichweite müssen in viel Masse gebettet sein,damit sie dem Rückstoß der Ladung standhalten können, die diePatrone abfeuert. Es ist einsichtig, daß die Kraft desGewehrschlosses dem Druck an der Basis der Patrone genauentsprechen muß, wenn das Gewehr losgeht. Das ist eine Tatsache,die wir bei unseren zur Idealisierung neigenden religiösen Lehrengern vergessen, was ihre Aussagekraft ständig schwächt undentkräftet. Binah, Marah, Materie ist der Sicherungs- Block, derder dynamischen Lebenskraft die sichere Basis bietet.Aus dem Konzept der Resistenz gegenüber der spirituellen Kraftentsteht die Idee des immanenten Bösen, die auf Binah sicherüberhaupt nicht zutrifft. Das wird offensichtlich, wenn wir diemit Saturn - Kronos verbundenen Konzepte untersuchen. Er ist dergroße Malefikus in der Astrologie, und jeder, der ein Quadrat zuSaturn in seinem Horoskop hat, betrachtet das mit größter Sorge.Saturn ist der Widersteher, aber gleichzeitig ist er auch derVerleiher der Stabilität und der Prüfer, der es nicht zuläßt, daßwir unser Gewicht auf etwas legen, was dieses Gewicht nichttragen kann. Vielsagend ist, daß der zweiunddreißigste Pfad, dervon Malkuth zu Jesod führt und der der erste Pfad ist, den dieSeele auf ihrem Weg nach oben beschreitet, Saturn zugeschriebenwird. Er ist der Gott der ältesten Form der Materie. Dergriechische Mythos betrachtet Kronos (ein anderer Name für dasgleiche Prinzip) als einen der alten Götter, das heißt derGötter, die die Götter schufen. Er ist der Vater von Jupiter -Zeus, der durch einen geschickten Trick seiner Mutter vor Saturngerettet werden konnte. Saturn besaß die unangenehmeAngewohnheit, seine eigenen Kinder zu verschlingen.In diesem Mythos ist erneut die Vorstellung vom Lebenschenkerenthalten, der gleichzeitig der Todesbringer ist. Wie bereitserwähnt, läßt sich Saturn mit der Sichel leicht in den Tod mitseiner Sense verwandeln. Es ist sehr interessant, die sichwiederholenden Kurven dieser Assoziationsketten mit den einzelnenSephiroth in Beziehung zu setzen, wobei wir feststellen, daßdieselben Bilder immer wieder auftauchen, egal welcherAssoziationskette wir folgen, selbst dann, wenn wir vonaugenscheinlich so unterschiedlichen Ideen wie der Mutter, demMeer und der Zeit ausgehen.Jedem Planeten werden eine Tugend und ein Laster zugeteilt. Inder Sprache der Astrologen heißt das, daß jeder Planet günstigoder ungünstig stehen, würdig oder unwürdig sein kann. Währendunseres Lebens werden wir immer wieder feststellen, daß dieTugenden jedes Charaktertypus auch zu Untugenden werden können,wenn sie im Extrem vorhanden sind. So ist es auch bei den siebenPlaneten - Sephiroth. Sie haben positive und negative Aspekte, je

Page 124: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

nachdem, in welcher Ausprägung sie auftreten. Wenn aufgrund vonunausgewogenen Kräften bei einer bestimmten Sephirah einUngleichgewicht auftaucht, treten ihre vernichtenden Einflüsse inden Vordergrund, so wie bei Saturn, der seine eigenen Kinderverschlingt. Hier zerstört der Tod das Leben, bevor es seineAufgabe erfüllt hat. Keine Sephirah ist ganz und gar böse, nochnicht einmal Gevurah, die eigentlich die Zerstörung an sichdarstellt. Jede von ihnen ist im Gesamtschema unersetzlich, undob ihr Einfluß gut oder böse ist, hängt davon ab, ob sie amrichtigen Platz steht und ob sie das richtige Gewicht hat. Wenneine Sephirah zu wenig Einfluß hat, führt das zu einemUngleichgewicht in der Beziehung zum anderen Teil desGegensatzpaares. Zu großer Einfluß wirkt sich mit Sicherheitnegativ aus, so wie eine Überdosis eines Giftes.Binahs Tugend ist das Schweigen und ihr Laster die Habgier. Hiermacht sich wiederum Saturns Einfluß bemerkbar. Keats spricht vom»grauhaarigen Saturn, still wie ein Stein« und beschwört mitdiesen wenigen Worten die Vorstellung vom Urzeitalter herauf undvom schweigenden Einfluß Saturns. Saturn gehört zu den altenGöttern und ist mit dem mineralischen Aspekt der Erdebeschäftigt. Sein Thron befindet sich auf den ältesten Felsen, wonoch keine Pflanze wächst.Schweigen wurde immer als wünschenswerte weibliche Tugendangesehen. Zweifellos ist die Zunge einer Frau ihre gefährlichsteWaffe. Wie dem auch sei. Schweigen bedeutet jedenfallsAufnahmefähigkeit. Wenn wir schweigen, können wir zuhören unddabei lernen. Wenn wir reden, sind die Tore zu unserem Geistverschlossen. In der Beständigkeit und der Aufnahmefähigkeitliegen Binahs größte Stärken. Aus diesen Tugenden resultiert ihrLaster. Wenn sie im Übermaß vorhanden sind, werden sie zurHabgier, die alles festhält, sogar das, was dringend benötigtwürde. Wenn dieser Zustand eintritt, muß der großzügige EinflußGedulah - Gevurahs, Jupiter - Mars, auftauchen, um den alten Gottzu vernichten, der seine eigenen Kinder tötet, und statt seinerherrschen.Als magische Symbole für Binah werden die Yoni und das äußereGewand der Verheimlichung angegeben. Der erste Begriff istindisch, der zweite gnostisch. Yoni bezeichnet die weiblichenGenitalien, die negative Entsprechung zum männlichen Phallus.Yoni und Lingam tauchen unter den religiösen Symbolen der Hindushäufig auf, da die Ideen der Lebenskraft und der Fruchtbarkeiteinen wichtigen Teil ihres Glaubens ausmachen.Das Konzept der Fruchtbarkeit ist das Hauptmotiv in den AspektenBinahs, die sich in Asiyah, der materiellen Welt, manifestieren.Das Leben geht nicht nur die Verbindung mit der Materie ein, umdort diszipliniert zu werden, sondern es geht aus ihr auchtriumphierend, gestärkt und vermehrt hervor. Der Aspekt derFruchtbarkeit, der den Zeit - Tod - Begrenzungsaspekt ausgleicht,

Page 125: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ist für unser Verständnis von Binah enorm wichtig. Zeit - Todsetzt seine Sense an, um das Korn der Ceres abzuschneiden, undbeides sind Symbole für Binah.Das Bild des äußeren Gewandes der Verheimlichung deutet klar aufdie Materie hin. In sie eingewickelt ist das innere Gewand derVerklärung, das Lebensprinzip. Diese beiden Vorstellungenzusammengenommen weisen uns klar auf das Konzept des vom Geistbeseelten Körpers hin. Das innere Gewand der Verklärung'^ vor denAugen der Menschen durch den Mantel der dichten Materieverborgen. Bei der Meditation über diese Mysterien gewinnen wiraus der zunächst zufällig erscheinenden Symbolsammlung für jedeeinzelne Sephirah neue Erkenntnisse. Im Laufe unseres Studiumshaben wir bereits gesehen, daß keine Sephirah und kein Symbol fürsich allein steht und daß sich uns, wenn wir unsere Intuition undPhantasie einsetzen, lange Verbindungsketten erschließen.Binah werden die vier Dreier des Tarotspiels zugeordnet, und dieZahl Drei ist tatsächlich eng mit dem Konzept der Manifestationmittels Materie verbunden. Die beiden entgegengesetzten Kräftefinden ihren Ausdruck in einer dritten, dem Gleichgewichtzwischen ihnen, die sich auf einer niedrigeren Ebene manifestiertals ihr Elternpaar. Das Dreieck ist eines von den SymbolenSaturns als Gott der dichtesten Materie. Dieses sogenannteDreieck der Kunst wird in magischen Zeremonien dann verwendet,wenn ein Geist sichtbar auf der Ebene der Materie erscheinensoll. Bei anderen Offenbarungsformen dient der Kreis alsAusgangsfigur.Die Drei der Stäbe wird Herr der etablierten Stärke genannt.Wieder taucht die Vorstellung der sich im Gleichgewichtbefindenden Kraft auf, die so charakteristisch für Binah ist. DieStäbe symbolisieren, wie wir ja wissen, die dynamische Jod -Kraft. Wenn diese Kraft in der Sphäre Binahs erscheint, hört sieauf, dynamisch zu sein und verfestigt sich.Die Kelche repräsentieren grundsätzlich die weibliche Kraft, dennder Kelch oder Pokal ist eines der Binah zugeordneten Symbole undin der esoterischen Symbolik eng mit der Yoni verbunden. Die Dreider Kelche paßt sehr gut zu Binah, denn die zwei Symbolgruppenbestärken sich gegenseitig. Diese Karte erhält die sehr passendeBezeichnung Fülle, denn sie symbolisiert die Fruchtbarkeit Binahsin ihrem Ceres - Aspekt.Die Drei der Schwerter hat den Namen Trauer, und ihr Symbol imTarotspiel ist ein von drei Schwertern durchbohrtes Herz. DerLeser wird sicherlich an das von Schwertern durchbohrte Herz derJungfrau Maria in der katholischen Symbolik erinnert. Mariaentspricht Marah, dem Geschmack bitter und dem Meer. Ave Maria,stella maris!Die Schwerter sind natürlich Geburah - Karten und stehen alssolche für die zerstörerische Seite Binahs, wie Kali, die FrauShivas, die hinduistische Göttin der Zerstörung.

Page 126: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Münzen sind Erd - Karten und deshalb mit Binah, Form,geistesverwandt. Die Drei der Münzen ist deshalb der Herr dermateriellen Arbeiten oder die Aktivität auf der Ebene der Form.So wie der Einfluß der Planeten sich verstärkt, wenn sie sich indem Tierkreiszeichen befinden, das in der Astrologie ihr Hausgenannt wird, so stellen auch die Tarotkarten die aktive Seitedes Einflusses dar, wenn die Bedeutung der Sephirah sich mit demGeist des Tarotsatzes deckt. Ist das nicht der Fall, stellen alsodie Sephirah und der Tarotsatz divergierende Einflüsse dar, dannverkörpert die Karte den negativen Aspekt. So ist zum Beispieldie Karte aus dem Satz der feurigen Schwerter ein schlechtesOmen, wenn sie in der Einflußsphäre Binahs auftaucht.Wir wollen noch einmal zusammenfassen. Ich bin auf Binah deshalbso ausführlich eingegangen, weil mit ihr das höchste Dreieck unddas erste Gegensatzpaar abgeschlossen sind. Sie symbolisiertnicht nur sich selbst, sondern auch ihre Funktionspartner, dennkeine Einheit des Baumes kann völlig losgelöst betrachtet werden.Nur wenn sie zu den Einheiten in Bezug gesetzt wird, mit denensie in Interaktion tritt oder die sie ins Gleichgewicht bringt,kann ihre Bedeutung erschlossen werden. Chockmah ist ohne Binahgenauso unverständlich wie Binah ohne Chockmah, denn dieFunktionseinheit ist das Paar und nicht die einzelne Sephirah.

18. Chesed, die vierte Sephirah

Bezeichnung: Chesed, Barmherzigkeit (Hebräische Schreibweise: dmjCheth, Samech, Daleth)Magisches Bild: Ein mächtiger, gekrönter, thronender KönigPosition im Baum: In der Mitte der Säule der BarmherzigkeitText im Jezirah: Der vierte Weg heißt zusammenhaltende oderempfangende Intelligenz, denn er erhält alle heiligen Kräfte, undaus ihm strömen alle spirituellen Tugenden, alle feinsten Kräfte.Sie entströmen eine aus der anderen Kraft der Urausströmung, derhöchsten Krone, Kether.Bezeichnung für Chesed: Gedulah, Liebe, MajestätGottesname: ElErzengel: Tsadkiel, Das Wohlwollen GottesOrdnung der Engel: Chaschmallim, die Funkelnden WeltlichesChakra: Tzedek, JupiterSpirituelle Erfahrung: Vision der LiebeTugend: GehorsamLaster: Borniertheit, Heuchelei, Vollere!, TyranneiEntsprechungen im Mikrokosmos: Der linke ArmSymbole: Die solide Figur, der Tetraeder, die Pyramide, dasgleicharmige Kreuz, der Reichsapfel, der Stab, das Zepter, derKrummstabTarotkarten:

Page 127: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die vier VierenVier der Stäbe:Vervollkommnete ArbeitVier der Kelche:FreudeVier der Schwerter:Rast vom StreitVier der Münzen:Irdische MachtFarbe in Aziluth: DunkelviolettFarbe in Beriah: BlauFarbe in Jezirah: DunkelpurpurFarbe in Asiyah: Dunkles Azurblau, gefleckt mit Gelb

IZwischen den drei Höchsten und dem nächsten Sephirothpaar im Baumliegt eine tiefe Kluft, die von den Mystikern Abyss (Abgrund)genannt wird. Die folgenden sechs Sephiroth Chesed, Gevurah,Tiphereth, Netzach, Hod und Jesod, werden von den KabbalistenMikroposopos, das kleinere Angesicht, Adam Kadmon oder der Königgenannt. Die Königin, die Braut des Königs, ist Malkuth, diephysische Ebene. Wir haben also den Vater (Kether), den König unddie Braut. Diese Konfiguration des Baumes hat einen tiefenSymbolgehalt und eine große Bedeutung sowohl für die Praxis derPhilosophie als auch der Magie.Der Abyss, die Kluft zwischen dem Makroposopos und demMikroposopos, zieht eine Trennungslinie zwischen dem Wesen derExistenz, der Form von Leben auf der einen und auf der anderenEbene. In diesem Abyss liegt Daath, die unsichtbare Sephirah, diesehr passend als Sephirah des Werdens bezeichnet wird. Sie wirdauch Verstehen genannt, was als Wahrnehmen, Erkennen undBewußtsein interpretiert werden kann.Diese zwei Arten von Leben, Makroposopos und Mikroposopos,bezeichnen das Potentielle und das Tatsächliche. Die tatsächlicheManifestation, so wie unser begrenzter Geist sie wahrnehmen kann,fängt beim Mikroposopos an. Der erste sich manifestierende Aspektdes Mikroposopos ist Chesed, die vierte Sephirah, in der Mitteder Säule der Barmherzigkeit gelegen, die direkt unterhalbChockmahs, des Vaters, liegt. Ihr Gleichgewicht wird durchGevurah (Härte) auf der anderen Seite des Baumes hergestellt.Dieses Paar, Gevurah und Gedulah, entspricht der Macht und derHerrlichkeit im letzten Teil des Vaterunsers. Mit dem Reich istnatürlich Malkuth gemeint.Wie wir bereits gesehen haben, können wir aus der Position einerSephirah im Baum wichtige Rückschlüsse ziehen. Die PositionCheseds auf der Säule der Barmherzigkeit zeigt uns beispielsweisean, daß Chesed gleich Chockmah auf einem niedrigen Bogen ist.Chesed emaniert aus Binah, einer passiven Sephirah, und strömt

Page 128: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

über zu Gevurah, die katabolisch ist und deren weltliches Chakra,nämlich Mars mit seiner kriegerischen Symbolik, wiederum Saturnauf einem niedrigeren Bogen ist.Daraus können wir eine ganze Menge über Chesed schließen. Sie istder liebende Vater, der Beschützer und Erhalter, ähnlich wieChockmah die Alles - Befruchtende ist. Chesed setzt die ArbeitChockmahs fort, indem sie das organisiert und erhält, was der All- Vater gezeugt hat. Sie gleicht Gevurahs Härte mitBarmherzigkeit aus. Sie ist anabolisch oder aufbauend imGegensatz zu Gevurah, die katabolisch oder zerstörend wirkt.Diese beiden verschiedenen Aspekte kommen in den magischenBildern dieser beiden Sephiroth sehr deutlich zum Ausdruck. BeideBilder stellen Könige dar. Chesed einen König auf seinem Thronund Gevurah einen König auf seinem Streitwagen. Andersausgedrückt sind sie die Herrscher des Königreiches im Friedenund im Krieg. Ersterer ist der Gesetz - Geber, letzterer derKrieger.Wenn wir die Vorgänge im menschlichen Körper analog dazubetrachten, haben wir ein sehr gutes Beispiel für diesePrinzipien. Metabolismus besteht aus Anabolismus undKatabolismus. Anabolismus ist die Nahrungsaufnahme und -assimilation und die Umwandlung der Nahrung in Gewebe,Katabolismus ist der Abbau des Gewebes in Form von Aktivität undArbeit, also von Energieausstoß. Nebenprodukt des Katabolismussind die Müdigkeitsgifte, die nur durch Ruhe aus dem Körperentfernt werden können. Der Lebensprozeß besteht im ständigen Auf- und Abbau, und Gedulah (ein anderer Name für Chesed) undGevurah symbolisieren diese beiden Prozesse im Makrokosmos.Chesed, die erste Sephirah im Mikrokosmos oder manifestenUniversum, stellt die Ausformung der archetypischen Vorstellungdar, die Verwandlung des Abstrakten ins Konkrete. Wenn dasabstrakte Prinzip, das die Wurzel jeder neuen Aktivität ist, sichin unserem Geist ausformuliert, arbeiten wir in der SphäreCheseds. Wir wollen das an einem Beispiel verdeutlichen.Angenommen ein Forscher steht auf einem Berg und blickt auf einneu entdecktes Land. Er sieht, daß die Ebenen im Inland, diehinter dem bergigen Küstenstreifen liegen, fruchtbar sind und daßdurch diese Ebenen ein Fluß fließt, der sich durch das Gebirgebereits einen Weg zum Meer gebahnt hat. Er denkt an denlandwirtschaftlichen Reichtum dieser Ebenen, an die möglicheBeförderung von Gütern auf dem Fluß und an einen Hafen an derFlußmündung, denn er weiß, daß der Fluß die Felsen soausgewaschen hat, daß ein Schiff passieren kann. Vor seinemgeistigen Auge tauchen die Kais und die Lagerhäuser, die Lädenund Wohnhäuser auf. Er fragt sich, ob das Gebirge wohl reich anMineralien ist und stellt sich eine Eisenbahnlinie vor, dieentlang des Flusses verläuft und in die verschiedenen Tälerabzweigt. Er sieht bereits, wie die ersten Siedler sich

Page 129: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

niederlassen und denkt daran, daß sie eine Kirche, einKrankenhaus, ein Gefängnis und die unvermeidliche Kneipe brauchenwerden. In seiner Phantasie stellt er sich die Hauptstraße vorund überlegt, daß er sich Eckgrundstücke abstecken wird, damitauch er einen Anteil am Wohlstand der neuen Siedlung hat. All dasbreitet sich vor seinem geistigen Auge aus, während imKüstengürtel der Wald noch unangetastet wuchert und die Bergpässeblockiert. Aber der Mann weiß, daß das Land fruchtbar ist und daßder Fluß sich einen Weg durch das Gebirge gebahnt hat. Er siehtdie Uranfänge und die Entwicklung, die folgen wird. Während seinGeist auf diese Weise plant und arbeitet, befindet er sich in derSphäre Cheseds, unabhängig davon, ob er sich dessen bewußt istoder nicht. Das gleiche gilt für all diejenigen, die so wie ervorhersehen können, die sehen, was aus einer bestimmtenAusgangssituation entstehen muß, lange bevor der erste Strichgemacht oder der erste Stein gelegt wurde. All jene können daswertvolle Land in Besitz nehmen, auf dem dann später Lagerhäuserund Straßen gebaut werden müssen.Jede kreative Arbeit dieser Welt wird von Menschen vollbracht,die sich in der Sphäre Cheseds befinden, in der Sphäre desKönigs, der auf seinem Thron sitzt, Zepter und Reichsapfel in derHand hält und sein Volk regiert und leitet.Es gibt auch Menschen, deren Geist lediglich im Reich Malkuths,der Braut des Königs, arbeitet. Das sind Menschen, die den Waldvor lauter Bäumen nicht sehen. Sie klammern sich an Details undentdecken das synthetische Prinzip dahinter nicht. Ihre Logikreicht nicht zurück bis zum Ursprung, sondern macht sich anmateriellen Gegebenheiten fest. Sie sind nicht fähig, diesubtilen Ursachen zu erkennen und werden deshalb zu Opfern derLaunen des Schicksals, wie sie es nennen. Es gelingt ihnen nicht,grundlegende Tatsachen zu erkennen, geschweige denn, die Linie zusehen, der die ersten Impulse folgen werden oder der man siefolgen lassen kann, wenn sie sich niedersenken oder zurManifestation gebracht werden.Ein Okkultist, der die Einweihung in den Grad Cheseds nichtbekommen hat, ist in seinem Wirken auf die Sphäre Jesods, dieMaya oder Illusion beschränkt. Für ihn sind die astralen Bilderim magischen Spiegel des Unterbewußtseins Wirklichkeit, und erwird nicht versuchen, sie in die Sprache einer höheren Ebene zuübersetzen und zu erfahren, was sie wirklich bedeuten. Er hatsein Haus im Reich der Illusion gebaut und wird durch diephantastischen Bilder seiner eigenen unbewußten Projektionengenarrt werden. Wenn er in der Sphäre Cheseds arbeiten könnte,würde er die zugrundeliegenden archetypischen Vorstellungenerkennen, deren Schatten und symbolische Darstellungen diesemagischen Bilder sind. Dann würde er zum Herrscher über dieSchatztruhe der Vorstellungen, statt von ihnen zum Narrengehalten zu werden. Er kann diese Bilder so benutzen, wie ein

Page 130: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Mathematiker die algebraischen Symbole. Dann bearbeitet er dasFeld der Magie als eingeweihter Adept und nicht als Zauberer.Wenn ein Mystiker in der Sphäre Tiphereths, des Christus -Zentrums wirkt, kann er, sofern er nicht den Schlüssel zu Chesedbesitzt, ebenfalls, jedoch nur auf viel subtilere Art und Weisegetäuscht werden. Auf dieser Ebene wird er die magischen Bilderrichtig einschätzen, sie als das deuten, was sie wirklich sind,ihnen also außer ihrem Wert als Symbol keine weitere Bedeutungbeimessen. Die heilige Theresa macht das in ihrem Buch DieSeelenburg sehr deutlich. Erwird jedoch dem Irrtum erliegen,anzunehmen, daß die Bilder, die er sieht, und die Erfahrungen,die er macht, direkt von Gott zu seiner Seele gesandt werden,statt zu begreifen, daß sie Teilabschnitte auf dem Pfad sind. Erwird im Gott - Menschen seinen persönlichen Retter finden, stattan die regenerative Quelle der Christus - Kraft zu gelangen. Dasheißt, daß er Jesus von Nazareth als Gott den Vater anbeten wirdund damit die Personen verwechselt.Chesed ist also die Sphäre der Formung der archetypischenVorstellungen. Hier wird ein abstraktes Konzept vom Bewußtseinerfaßt, über die Ebenen heruntergeholt und mit Hilfe dervorhandenen Erfahrungen in der Konkretisierung abstrakterVorstellungen ebenfalls konkret gemacht. In ihrem makrokosmischenAspekt entspricht diese bewußte Erkenntnis einer bestimmten Phaseim Schöpfungsprozeß. Die materialistisch ausgerichteteWissenschaft setzt voraus, daß alle abstrakten Vorstellungeneinzig und allein dem menschlichen Geist entspringen. Dieesoterische Wissenschaft lehrt, daß ^göttliche Geistarchetypische Vorstellungen erschuf, damit die Substanz eine Formannehmen konnte, und daß die Substanz ohne diese archetypischenIdeen formlos und leer wäre. Sie wäre nichts weiter alsUrschleim, der vom Hauch des Lebens abhängig ist, um Kristalleund Zellen zu formen. Die neuesten Ergebnisse der Physik zeigen,daß ausnahmslos jede Substanz eine kristalline Struktur aufweist,und die Spannungsfelder, die der übersinnliche Mensch alsätherische Spannungen wahrnimmt, sind bereits mit Hilfe vonRöntgenstrahlen nachgewiesen worden.Eine sehr wichtige und oft nicht ganz richtig verstandene Rolleinnerhalb der Mysterien kommt den Wesen zu, die allgemein Meistergenannt werden. Verschiedene Schulen definieren diesen Begriffauf verschiedene Weise und einige rechnen noch lebende Adepten,die einen hohen Rang innehaben, ebenfalls zu ihnen. Wir sind derMeinung, daß es wichtig ist, eine Grenze zwischen inkarniertenund nicht inkarnierten älteren Brüdern zu ziehen, da ihre Missionund die Art ihres Einsatzes erhebliche Unterschiede aufweisen.Der Titel Meister sollte deshalb nur für diejenigen verwendetwerden, die vom Rad des Lebens und Todes frei sind. In derwestlichen esoterischen Tradition gehört der Grad des AdeptusExemptus zur Sephirah Chesed. Der Begriff Exemptus beinhaltet das

Page 131: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Freisein vom Karma, das gleichzeitig Freisein vom Rad desSchicksals ist. Ich bin mir bewußt darüber, daß andere denBegriff anders definieren und daß es inkarnierte Wesen gibt, diediesen Grad innehaben. Dazu möchte ich bemerken, daß solcheMenschen frei von Karma sind und sich nicht reinkarnieren werden,sofern der Grad aktiv ist und nicht ein reiner Ehrentitel. DieseMenschen tragen ihren Titel deshalb zu Recht, weil ihr Bewußtseinden Grad des Meisters erreicht hat. Da es aber so wichtig ist,eine Grenzlinie zwischen den inkarnierten und den nichtinkarnierten Adepten zu ziehen, finde ich es besser, diesenUnterschied zu machen, als einem menschlichen Wesen ein Prestigezu verleihen, das der menschlichen Natur einfach nicht zusteht.Solange ein Adept inkarniert ist, ist er auch zu einem gewissenGrad der menschlichen Zerbrechlichkeit und den durch Alter undphysische Gesundheit gesetzten Grenzen unterworfen. Erst wenn ervom Lebensgrad frei ist und nur noch als reines Bewußtsein wirkt,ist er auch frei vom menschlichen Erbe und von der menschlichenUmwelt. Deshalb kann man ihm nicht das Vertrauen schenken, dasman einem echten, körperlosen Meister entgegenbringt.Ein wichtiger Bestandteil der Aufgaben eines Meisters ist dieKonkretisierung abstrakter, aus dem Bewußtsein des Lagosstammender Vorstellungen. Der Logos, dessen Meditation Weltengebiert und dessen sich entfaltendes Bewußtsein die Evolutionist, empfängt archetypische Vorstellungen, die aus der Substanzdes Nichts stammen - um eine Metapher zu benutzen - , wo eineDefinition nicht möglich ist. Diese Vorstellungen lagern imkosmischen Bewußtsein des Logos wie der Samen in der Blume, dakein Boden da ist, in dem sie keimen könnten. Das Bewußtsein desLogos kann, da es reines Sein ist, auf seiner eigenen Ebene nichtden zur Manifestation erforderlichen Formaspekt erzeugen. In deresoterischen Tradition wird gelehrt, daß die Meister, körperloseGeistwesen, die zwar die Disziplin Form durchlaufen haben, jetztaber ohne Form sind, die archetypischen Vorstellungen im GeistGottes während ihrer Meditation über die Gottheit telepathischwahrnehmen können. Indem sie die praktische Anwendung dieserVorstellungen auf den Ebenen der Form und durch die sich darausergebende Entwicklungslinie realisieren, entstehen im Geist derMeister konkrete Bilder, durch die dann die archetypischenVorstellungen bis hinunter auf die erste formale Ebene, Beriahgenannt, gebracht werden.Das also ist die Aufgabe der Meister in ihrer speziellen Sphäre,der Sphäre der organisierenden, konstruktiv aufbauenden Chesedauf der Säule der Barmherzigkeit. Die Arbeit der Dunklen Meister,die nicht mit den Schwarzen Adepten zu verwechseln sind, spieltsich in der Sphäre der gegenüberliegenden Gevurah, auf der Säuleder Härte ab, auf die wir noch detailliert eingehen werden. DerKontaktpunkt zwischen den Meistern und ihren menschlichenSchülern ist Hod. Sie ist die Sephirah der zeremoniellen Magie,

Page 132: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wie auch im Buch Jezirah an der Stelle angedeutet wird, an der esheißt, daß aus der vierten Sephirah Gedulah die Essenz Hodsausströmt. Die im Buch Jezirah enthaltenen Hinweise auf dieBeziehungen zwischen den einzelnen Sephiroth sind für denpraktischen Okkultismus sehr wichtig. Hod kann also alsVertreterin Chockmahs und Cheseds auf einem tiefer gelegenenBogen angesehen werden, ähnlich wie Netzach Binah und Gevurahrepräsentiert. Wir werden noch genauer darauf eingehen, wenn wirdiese Sephiroth behandeln und erwähnen es hier nur, um das WirkenCheseds zu verdeutlichen.Jetzt sind wir an einem Punkt des Baumdiagramms angelangt, an demdie Art und Weise des Wirkens in den vom menschlichen Bewußtseinerfaßbaren Bereich rückt. Bisher haben wir metaphysische Konzeptebehandelt. Obwohl diese nicht direkt Anwendung im praktischenLeben auf den Ebenen der Form finden, sind sie enorm wichtig,denn wenn wir in unserem Verständnis der esoterischenWissenschaft dieser Grundlage entbehren, werden wir Opfer desAberglaubens und wenden die Magie wie ein Zauberer an und nichtwie ein Adept. Mit anderen Worten sind wir dann nicht dazu in derLage, die Fesseln der Form zu transzendieren und werden getäuschtund von den Phantomen beherrscht werden, die die magischeImagination hervorbringt, statt sie wie Spielsteine auf demSpielbrett unserer Berechnungen zu verwenden. Das ist dann so,als würde der Ingenieur den Rechenschieber wie einen Zollstockbenutzen.Chesed reflektiert also durch das Christus - Zentrum (Tiphereth)in Hod hinein, so wie Geburah in Netzach hineinreflektiert. Dasbringt uns ein ganzes Stück weiter, denn wir können darausableiten, daß das Bewußtsein, um von der Form zur Kraftaufzusteigen, und die Kraft, um zur Form hinabzusteigen, ihrenWeg über das Gleichgewichtszentrum und das Erlöserzentrum nehmenmüssen, denen die Mysterien der Kreuzigung zugeordnet werden.Das erhöhte Bewußtsein des Adepten steigt also während derokkulten Meditation zur Sphäre Cheseds hinauf. Hier empfängt derAdept seine Inspiration, die er dann auf den Ebenen der Formausführt. Auf telepathischem Weg trifft er hier seinen Meister,ohne dem störenden Einfluß der Persönlichkeit ausgesetzt zu sein.Das ist die wirkliche und zugleich höchste Form der Begegnung mitdem Meister, die Übermittlung von Geist zu Geist in ihrerureigensten Sphäre des erhöhten Bewußtseins. Wenn wir in Visionendie Meister als Wesen wahrnehmen, deren Gewand uns durch seineFarbe den Strahl verrät, auf dem sie sich befinden, sehen wir sielediglich als Reflexion in der Sphäre Jesods, die das Reich derPhantasmen und Halluzinationen ist. Wenn wir die Meister hiertreffen müssen, bewegen wir uns auf gefährlichem Boden. In dieserSphäre erhält die spirituelle Inspiration ihre anthropomorpheForm, die dann jene übersinnlichen Menschen in die Irre führt,die nicht bis zu Chesed aufsteigen können. So wird die

Page 133: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Verkündigung, daß ein spiritueller Impuls in die Welt einfließenwird zum Beispiel dahingehend gedeutet, daß ein Lehrer der Weltkommen wird.

IIWenn wir im Baum hinabgehen, gelangen wir in die Sphären, dieeher in Reichweite unseres Bewußtseins liegen als die dreiHöchsten. Die Symbole für jede der Sephiroth werden klarer undvielsagender, da sie unsere eigenen Erfahrungen ansprechen undwir nicht mehr nur in Analogien denken müssen.Das magische Bild für Chesed ist ein mächtiger, gekrönter,thronender König. Er thront über einem stabilen, friedlichenReich und fährt nicht in seinem Streitwagen in den Krieg wie immagischen Bild von Gevurah. Die weiteren Bezeichnungen fürChesed, nämlich Majestät und Liehe, untermauern diese Vorstellungdes gütigen Königs, der seinem Volk ein Vater ist. Auch diePosition Cheseds im Baum, in der Mitte der Säule derBarmherzigkeit, vermittelt eine Vorstellung von Stabilität undgeordneten, gnädigen Gesetzen, die den Regierten zum bestengereichen. Die Bezeichnung für die zu Chesed gehörigeEngelsschar, die Chaschmallim oder Funkelnden, bestärkt dieVorstellung vom königlichen Glanz Gedulahs, ein Name, der oft fürChesed gebraucht wird. Das zu Chesed gehörige weltliche Chakra,der Planet Jupiter als günstiger Einfluß in der Astrologie,schließt die Kette positiver Assoziationen ab.Auf der mikrokosmischen oder subjektiven Seite ist die Tugenddieser Sphäre Gehorsam. Nur bei Gehorsam kommt dem Menschen dieweise Regentschaft Cheseds zugute. Wir müssen einen Großteilunserer Unabhängigkeit und unseres Egoismus aufgeben, um in denGenuß der Annehmlichkeiten des Lebens in einer Gemeinschaft zukommen. Um diese Einschränkungen und Opfer führt kein Weg herum.In dieser Sphäre ist es genauso unmöglich wie in allen anderen,alles zu haben. Freiheit als uneingeschränkter eigener Willenexistiert in diesem Sinne nicht. Wenn es schon keine anderenGrenzen gibt, dann existiert zumindest die Grenze derSchwerkraft. Man kann Freiheit auch als das Recht definieren,seinen Meister selbst zu wählen, denn ohne einen Führer endetjedes Leben in einer Gemeinschaft im Chaos. Die Welt braucht imMoment fähige und mitreißende Führer, und ein Land nach demanderen sucht sich eine Person, die seinem nationalen Ideal amehesten entspricht und steht dann hinter diesem Führer wie einMann. Der gültige, organisierende und ordnende Einfluß Jupitersist die einzig richtige Medizin für die Krankheit der Welt. Wenndieser Einfluß zum Tragen kommt, werden die Menschen ihremotionales Gleichgewicht und ihre physische Gesundheitwiederfinden.Die Chesed zugeordneten Laster, Borniertheit, Heuchelei, Vollere!und Tyrannei, sind gleichzeitig soziale Laster. Ein bornierter

Page 134: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Mensch weigert sich, mit der Zeit zu gehen oder einen anderenStandpunkt als den seinen zu sehen. Beides sind Verhaltensmuster,die sich auf die Beziehungen zwischen den Völkern fatalauswirken. Heuchelei bedeutet, daß wir uns nicht mit voller Kraftins Gemeinleben einbringen, sondern wie Ananias einen Teil desGeldes für uns behalten. Vollere! ist ein Laster, das uns inVersuchung bringt, mehr als unseren Anteil an den Gütern dieserWelt zu beanspruchen und deswegen ein anderer Name für Egoismus.Tyrannei bedeutet Mißbrauch von Autorität, der geschieht, wennTendenzen zur Grausamkeit und zur Eitelkeit im Charakter einesMenschen zusammentreffen.Als Entsprechung im Mikrokosmos wird der linke Arm genannt, derweniger dynamisch und kräftig ist als der rechte Arm, welcher immagischen Bild Gevurahs das Schwert hält. In der linken Handliegt der Reichsapfel, der die Erde selbst darstellt und durchden symbolisch ausgedrückt wird, daß der Herrscher alles sicherim Griff hat. Gevurah steht in der Tat eher für Festigkeit alsfür dynamische Kraft.Die mystische Zahl Cheseds ist die Vier, die oft als vierseitigeFigur oder Tetraeder erscheint. Alle Talismane für Jupiterbasieren auf dieser Figur. Ein weiteres Symbol für Chesed isteine solide Figur, wie wir sie aus der Geometrie kennen. Warumdie Figur vierseitig sein muß, läßt sich leicht ableiten, wennman an die Figuren für die bereits behandelten Sephiroth denkt.Den Punkt für Kether, die Linie für Chockmah, diezweidimensionale Figur für Binah und folglich diedreidimensionale, solide Figur für Chesed. Es steht mehr dahinterals ein zufälliges Zusammentreffen verschiedener Symbole.Die soliden geometrischen Figuren verkörpern grundsätzlich dieManifestation, die von unserem dreidimensionalen Bewußtseinwahrgenommen wird. Ein - oder zweidimensionale Existenz könnenwir lediglich mathematisch oder symbolisch erfassen. Wie bereitserwähnt, ist Chesed die erste der manifesten Sephiroth, weshalbsich das Symbol der soliden Figur ganz natürlich in dasGesamtbild einfügt. Normalerweise ist die Pyramide das Symbol fürChesed, also eine vierseitige Figur, die aus einer Grundflächeund drei weiteren Flächen besteht und so den numerologischen WertCheseds beinhaltet. Das Kreuz als wichtiges Symbol in denMysterien hat neben der christlichen Symbolik als Kreuz vonGolgotha noch viele andere Bedeutungen. Jedes dieserverschiedenen Kreuze symbolisiert eine bestimmte Funktionsweiseder spirituellen Kraft, ähnlich wie jeder der heiligenGottesnamen. Chesed wird das gleicharmige Kreuz zugeordnet, dasdie vier Elemente im gleichgewichtigen Zustand darstellt, dasheißt das Wirken der Natur als Zusammenführer, der alle Dinge insGleichgewicht bringt.Reichsapfel, Stab, Zepter und Krummstab, die Chesed zugeteiltwerden, verkörpern so perfekt die verschiedenen Aspekte der

Page 135: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

gütigen königlichen Herrschaft, daß sie keiner weiteren Erklärungbedürfen.Die vier Tarotkarten, die beim Wahrsagen zu Chesed zählen,untermauern die Idee des Beherrschens. Die Vier der Stäbe stehtfür vervollkommnete Arbeit und versinnbildlicht hervorragend dasWirken eines Königs in einem gutregierten Königreich zurFriedenszeit. Die Vier der Kelche heißt Herr der Freude und paßtzur Bezeichnung Glanz für Chesed und zu der »funkelnden«Engelsordnung. Die Vier der Schwerter trägt die Bezeichnung Rastvom Streit und fügt sich wunderbar in das Bild des thronendenHerrschers ein. Die Vier der Münzen ist der Herr der irdischenMacht und bedarf wegen ihrer eindeutigen Symbolik keiner weiterenErklärung.Der Vergleich mit dem Text im Buch Jezirah wurde bis zum Schlußaufgespart, damit die Symbolabfolge in ihrer Harmonie nichtunterbrochen wird. Dieser Text ist darüber hinaus von so großersymbolischer Bedeutung, daß wir uns am besten erst jetzt mit ihmbefassen, wo wir alle verwandten Symbole zur Verfügung haben.Viele der in diesem Text enthaltenen Lehren haben wir bereits imZusammenhang mit den vorangegangenen Sephiroth behandelt. Ichwerde deshalb an dieser Stelle nicht noch einmal ausführlichdarauf eingehen, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden. BeimLebensbaum, in dem verschiedene Symbole die gleiche Kraft aufverschiedenen Ebenen der Manifestation beziehungsweise vonunterschiedlichen Blickwinkeln aus betrachtet repräsentieren,würden solche Wiederholungen sonst zwangsläufig vorkommen müssen.»Der vierte Pfad wird zusammenhaltende Intelligenz genannt.« DieBedeutung dieser Worte wird uns besonders klar, nachdem wirgelernt haben, Chesed anhand des Symbols des auf seinem Thronsitzenden Königs zu betrachten, der die Ressourcen und denReichtum seines Landes zum Wohle aller organisiert und ordnet.Im Buch Jezirah ist auch von der empfangenden Intelligenz dieRede, was sich in der mikrokosmischen Zuordnung dieser Sephirahzum linken Arm ausdrückt.Chesed »enthält alle heiligen Kräfte, und aus ihr strömen allespirituellen Tugenden und die feinsten aller Kräfte.« Die indiesem Satz enthaltene Lehre haben wir bereits in dervorhergehenden Exegese unter dem Punkt archetypischeVorstellungen abgewandelt.»Sie entströmen eine aus der anderen Kraft der Ur - Ausströmung,der höchsten Krone, Kether.« Bei Chockmah, der zweiten Sephirah,haben wir uns bereits mit dieser Vorstellung beschäftigt, als esum das Überströmen der Kraft von einer Ebene zur nächsten ging.

Page 136: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

19. Geburah, die fünfte Sephirah

Bezeichnung:Geburah, Stärke, Härte (Hebräische Schreibweise: hrwkn Gimel, Beth,Vav, Resch, He)Magisches Bild:Ein mächtiger Krieger in seinem StreitwagenPosition im Baum:In der Mitte der Säule der HärteText im Jezirah:Der fünfte Pfad heißt Wurzel - Intelligenz, denn sie gleicht derEinheit, da sie sich mit Binah vereint, die aus den UrtiefenChockmahs (Weisheit) emaniert.Bezeichnungen für Geburah:Din (Gerechtigkeit), Pachad (Furcht)Gottesname:Elohim Gibbor Erzengel:Chamael, Strafe GottesOrdnung der Engel:Seraphim, Flammende SchlangenWeltliches Chakra:Ma'adim, MarsSpirituelle Erfahrung:Vision der Macht Tugend:Energie, MutLaster:Grausamkeit, Zerstörung Entsprechung im Mikrokosmos:Der rechte Arm Symbole:Das Pentagon, die fünfblättrige Rose der Tudors, das Schwert,der Speer, die Geißel, die KetteTarotkarten:Fünf der Stäbe:StieltFünf der Kelche:Verlust von FreudeFünf der Schwerter:NiederlageFünf der Münzen:Materieller Ärger Farbe in Aziluth:OrangeFarbe in Beriah:ScharlachrotFarbe in Jezirah:Strahlendes ScharlachFarbe in Assia:Rot gefleckt mit Schwarz

Page 137: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

IEiner der in der christlichen Philosophie am wenigstenverstandenen Begriffe ist der des Bösen; und ein Problem, mit demsich die christliche Ethik nicht ausreichend befaßt hat, ist dasProblem der Kraft oder Härte als Gegensatz zur Barmherzigkeit undMilde. Deswegen ist die fünfte Sephirah, Geburah, die dieZusatzbezeichnungen Din (Gerechtigkeit) und Pachad (Furcht)trägt, eine der am wenigsten verstandenen und deshalb wichtigstenSephiroth. Wenn in der kabbalistischen Lehre nicht ausdrücklichfestgelegt wäre, daß alle zehn Sephiroth heilig sind, würdensicher viele dazu neigen, Geburah als die böse Sephirah desLebensbaumes zu betrachten. Der Planet Mars, dessen SphäreGeburah entspricht, gilt in der Astrologie tatsächlich alsUnglücksbringer.Jene, deren Kenntnisse über die Vorstellung des Baumes als einermärchenhaften Wunscherfüllungsphilosophie hinausgehen, wissenjedoch sehr wohl, daß Geburah nicht der Feind oder Gegner ist,als der sie in der Literatur dargestellt wird, sondern der Königin seinem Streitwagen auf dem Weg zum Krieg, dessen starkerrechter Arm sein Volk mit dem Schwert der Gerechtigkeit beschütztund der so dafür bürgt, daß die Gerechtigkeit im Lande waltet. InZeiten des Friedens wird Chesed als König auf seinem Thron undVater seines Volkes sicherlich unsere Zuneigung gewinnen, Geburahals König in seinem Streitwagen auf dem Weg zum Krieg erwecktjedoch Ehrfurcht in uns. Der Rolle des Respektes innerhalb derLiebe wird zuwenig Beachtung geschenkt. Wir bringen dem Menschen,der zum richtigen Zeitpunkt die Ehrfurcht vor Gott in uns weckt,eine Art Liebe entgegen, die ganz andere Charakteristika aufweistals die ehrfurchtslose Liebe, da sie wesentlich beständiger undunerschütterlicher ist und eigenartigerweise auch emotionalwesentlich befriedigender. Geburah bringt diesen Aspekt derEhrfurcht ein, den Aspekt der Gottesfurcht, der der Anfang derWeisheit und der Beginn eines ganzheitlichen, gesunden Respektsist, der uns auf dem geraden, aber engen Pfad wandeln läßt, derunsere Tugenden fördert, denn wir wissen, daß unsere Sünden aufuns zurückfallen werden.Diesem Faktor schenkt die christliche Ethik, so wie sie allgemeinverstanden wird, nicht genügend Beachtung. Die allgemeineEinstellung im Christentum ist der heiligen fünften Sephirahgegenüber mit Vorurteilen behaftet. Deswegen ist es wichtig, dieStellung dieser Sephirah im Baum zu beleuchten, und die Rolle,die sie im spirituellen und gesellschaftlichen Leben spielt,ausführlich zu untersuchen. Geburah wird mißverstanden, undaufgrund dieser Tatsache ist der Gevurah - Faktor die Ursache fürviele Probleme im modernen Leben.Geburah nimmt die mittlere Position auf der Säule der Härte ein.Diese Sephirah verkörpert also den katabolischen Aspekt oder den

Page 138: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Aspekt der Aufspaltung der Kraft. Katabolismus ist, wie wir jawissen, der Faktor des Metabolismus oder Lebensprozesses, dersich mit dem Freisetzen der Kraft in Aktivität befaßt. Man sagt,daß das Gute etwas sei, was konsruktiv oder aufbauend wirkt,während das Böse zerstöre und aufspalte. Wie falsch diesePhilosophie ist, wird uns klar, wenn wir zwei Dinge wie dieKrankheit Krebs und ein Desinfektionsmittel miteinandervergleichen. In der tiefergehenden, philosophischen Lehre derMysterien erkennen wir, daß das Gute und das Böse keine Dinge ansich sind, sondern Zustände. Das Böse ist nichts anderes alsKraft am falschen Ort. Auf die Zeitdimension bezogen heißt das,daß sie zu spät auftritt oder veraltet ist oder aber so früherscheint, daß der Zeitpunkt schlecht gewählt ist. Auf den Raumbezogen bedeutet es, daß etwas am falschen Ort auftaucht, wiebrennende Kohle auf dem Kaminvorleger oder Badewasser an derWohnzimmerdecke. Auch das Ausmaß, in dem etwas auftritt, kann unsentweder blind und sentimental machen, wie ein Übermaß an Liebeoder grausam und zerstörerisch wie fehlende Liebe. Auf jeden Fallist es nicht mit der Person eines Teufels zu erklären, der alspersonifizierter Gegner ständig lauert.Geburah, der Zerstörer, der Herr der Furcht und Strenge, istdeshalb für das Gleichgewicht des Baumes ebenso wichtig wieChesed, der Herr der Liebe, und Netzach, die Herrin derSchönheit. Geburah ist der himmlische Chirurg, der Ritter in derglänzenden Uniform, der Drachentöter, der der holden Maid alsRetter in der Not in all seiner Stärke schön erscheint,wohingegen dem Drachen ein bißchen mehr Liebe angenehmer wäreDie Einweihungen in die ungünstigen Pfade Saturn, Mars und dentrügerischen lunaren Jesod - Pfad sind für die Entwicklung unddas ausgeglichene Wachsen der Seele ebenso wichtig wie dieMysterien der Kreuzigung für Tiphereth. Der Fluch desChristentums liegt in seiner Einseitigkeit, die so vieleungesunde und krankhafte Symptome im Leben unserer Völker und imLeben jedes einzelnen von uns hervorgerufen hat. Dabei solltenwir jedoch auch nicht vergessen, daß das Christentum die Reaktionauf eine vergiftete heidnische Welt war. Wir brauchen das, was esuns geben kann, aber auch das, was es uns nicht geben kann. Wirwollen jetzt dazu übergehen, die adstringierende undkorrigierende Wirkung Geburahs zu untersuchen.Dynamische Energie ist für das Wohlergehen der Gesellschaftebenso wichtig wie Sanftmut, Barmherzigkeit und Geduld. Wirdürfen nie vergessen, daß eine spezielle Diät, die einen krankenMenschen wieder gesund werden läßt, einen gesunden Menschen krankmachen kann. Das heißt, wir sollten die Qualitäten, die nötigsind, um einen Überhang an Kräften auszugleichen, nie als Ziel ansich ansehen, als das alleinige Mittel zur Rettung. Zu vielBarmherzigkeit macht uns zum Narren, zu viel Geduld zum Feigling.Wir müssen das goldene Mittelmaß finden, das für körperliche und

Page 139: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

geistige Gesundheit und Zufriedenheit sorgt und sollten unsaußerdem ehrlich eingestehen, daß wir Opfer bringen müssen, umdieses Ziel zu erreichen. Man kann nicht alles gleichzeitighaben, weder im geistigen noch in irgendeinem anderenLebensbereich.Geburah ist der opfernde Priester der Mysterien. Opfer bringenheißt aber nicht, daß man auf etwas verzichtet, was einem liebund teuer ist, weil ein eifersüchtiger Gott keine anderenInteressen bei seinen Anbetern duldet und ihr Schmerz seinerEitelkeit schmeichelt. Es bedeutet die willentliche und bewußteEntscheidung für ein wertvolleres Gut unter Verzicht auf einweniger wertvolles, so wie ein Athlet sein ermüdendes täglichesTraining der Trägheit eines angenehmen Lebens vorzieht, das seineKondition schwächen würde. Die im Ofen brennende Kohle ist einOpfer für den Gott der Dampfkraft. Ein Opfer zu bringen, bedeutetKraft umzuwandeln. Die in der Kohle latent vorhandene Energieverwandelt sich durch den Einsatz entsprechender Werkzeuge indynamische Energie.Bei jedem Akt des Opferns stehen psychologische und kosmischeWerkzeuge zur Verfügung, um das Opfer in spirituelle Energieumzuwandeln. Diese spirituelle Energie kann wiederum auf andereMechanismen einwirken und kann auch auf den Ebenen der Form alsvöllig andere Kraftart erscheinen als die ursprüngliche.Ein Mann kann zum Beispiel seine Gefühle seiner Karriere opfern.Eine Frau kann ihre Karriere ihren Gefühlen opfern. Ist derSchnitt sauber, wird im ausgewählten Kanal eine große Menge anEnergie freigesetzt. Wird der niedrigere Wunsch aber lediglichunterdrückt und kann sich nicht ausdrücken, wird er also nichtaus freiem Willen und mit Entschlossenheit auf dem Altargeopfert, hat das unglückliche Opfer in keiner der beiden Weltenetwas erreicht. Wir brauchen hier Geburah als Priester, der dasOpfer aus unseren Händen nimmt, selbst wenn es unserErstgeborener ist, und es Gott mit einem einzigen, barmherzigenund entschlossenen Streich opfert. Geburah ist im Mikrokosmos, inder Seele des Menschen der Mut und die Entschlossenheit, die unsaus dem Selbstmitleid herausreißen.Wie wichtig sind doch für uns die spartanischen Tugenden Geburahsin diesem Zeitalter der Sentimentalität und der Neurosen. Wieviele Zusammenbrüche könnten verhindert werden, wenn wir diesemhimmlischen Chirurgen erlauben würden, den sauberen Schnitt zumachen, dem der Heilungsprozeß folgen kann; und so die lähmendenKompromisse und die Unentschlossenheit zu vermindern, die sichoft wie eine nicht heilenwollende Wunde entzünden.Wenn es keine starke Hand gäbe, die im Dienste Gottes stünde,würde das Übel in der Welt sich potenzieren. Obwohl es sichernicht gut ist, rauchenden Flachs zu löschen, wenn er geraderichtig zu brennen beginnt, ist es sicher genauso schlecht, ihnweiterglimmen zu lassen, wenn die Glut geschürt werden sollte. Es

Page 140: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

gibt einen Punkt, an dem die Geduld sich in Schwäche verwandeltund zur Zeitverschwendung wird, und einen Punkt, an demBarmherzigkeit zu Dummheit wird und Unschuldige der Gefahraussetzt. Die Politik des Nicht - Widerstandes gegen das Bösefunktioniert nur in einer gut kontrollierten Gesellschaft, unterGrenzbedingungen ist sie bis jetzt noch nie erfolgreich gewesen.Die Natur mit ihren rotglühenden Zähnen und Krallen trägt dieFarbe Geburahs, während die ausgleichende Zivilisation zu Chesed(Barmherzigkeit) gehört, die die ungezähmten Kräfte und diegegenseitige Zerstörung aller Dinge umwandelt, die sich in derGeburah - Entwicklungsphase befinden. Trotzdem gründet sich dieZivilisation auf die Natur wie ein Gebäude auf sein Fundament, indem die für die Erhaltung der Gesundheit so notwendigeKanalisation verlegt ist. Wo immer Dinge zu alt geworden sind, umnoch von Nutzen zu sein, dient Geburah als Messer zum Kappen. WoEgoismus auftaucht, muß er auf die Speerspitze Geburahsaufgespießt werden. Wenn gegen die Schwachen Gewalt angewandtwird oder gnadenlose Macht, ist nicht der Krummstab Cheseds,sondern das Schwert Geburahs die wirkungsvollste Waffe. WennTrägheit und Unehrlichkeit die Oberhand gewinnen, muß die heiligeSense Geburahs herbeigeschafft werden, und wo die Grenzen, dieunser Nachbar zu seinem Schutz gesteckt hat, übertreten werden,ist die Kette Geburahs zur Abgrenzung notwendig.Diese Dinge sind für eine gesunde Gesellschaft und die Gesundheitdes Individuums ebenso wichtig wie Nächstenliebe, und ihreAnwendung als Medizin und nicht als Rachewerkzeug ist in unseremsentimentalen Zeitalter wesentlich seltener anzutreffen alsNächstenliebe. Jemand muß dem Angreifer »Halt, stehenbleiben!«zurufen und denen, die den Weg versperren, »Weitergehen!« DieserJemand ist der Priester aus der Sphäre der bergen fünftenSephirah.

IIWenn wir die Enzwicklung des Lebens beobachten, werden wirfeststellen, daß sie in rhythmischen Kurven verläuft und keineStabilität aufweist. Sie unterliegt einem vitalen Prinzip,vergleichbar mit einem Menschen auf einem Fahrrad, der dieBalance zwischen zwei entgegengesetzten Impulsen hält. Er kannnach rechts fallen oder nach links und schafft das Gleichgewichtzwischen diesen beiden Seiten durch seinen eigenen Schwung.Am Leben der Individuen, am Entwicklungsprozeß jeder Transaktion,an der Färbung jedes geordneten und organisierten kollektivenGeistes können wir feststellen, wie sich Geburahs und GedulahsEinfluß beständig abwechseln, wie sie rhythmisch von einer Seitezur anderen schwingen. Jeder, der für die Disziplin innerhalbeiner organisierten Gruppe zu sorgen hat, kennt den ständigenWechsel zwischen dem Lockerlassen und dem Anziehen der Zügel,

Page 141: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

zwischen Stimulation und Festigung. Wenn die Gruppe, einem Impulsdes Eifers und Interesses folgend, einen Vorstoß macht, ist zuspüren, daß die Zügel locker gelassen werden müssen. Wenn derImpuls nachläßt, wird klar, daß ein Anziehen der Zügelerforderlich ist. Wenn sie nicht mit fester Hand angezogenwerden, verfängt sich die Gruppe in den Schlingen und Schlaufendes Widerstandes. Der weise Menschenlenker spürt, wann der Impulsschwächer wird und der Moment gekommen ist, mit der PeitscheGeburahs zu knallen und so das Gespann dazu zu bringen, wieder inReih und Glied zu laufen, bis der nächste dynamische Impuls sichankündigt. Er weiß aber auch, daß er die Peitsche nicht zu frühbenutzen darf, zum Beispiel wenn das Team gerade eineVerschnaufpause einlegt, denn sonst könnte eine der wenigerstabilen Einheiten sich im Geschirr verheddern.Die wechselnden Rhythmen von Geburah und Gedulah lassen sichbesonders gut im Leben von Nationen verfolgen. Ich möchte dieProphezeihung wagen, daß diese Nation aus einer Gedulah - Phasekommt und einer Geburah - Phase entgegengeht. Überall treffen wirauf Barmherzigkeit, die durch die Unzulänglichkeiten dermenschlichen Natur überstrapaziert wurde und die von einer Härteausgelöst wird, die das Gleichgewicht durch ausgleichendeGerechtigkeit wiederherstellen und das Übel daran hindern wird,sich zu potenzieren. Die Arbeit der Polizei wird neu organisiert,die Richter fällen härtere Urteile, die Strafgesetzreform hateinen Rückschlag erlitten, und die Vertreter desHumanitätsgedankens haben nicht mehr das letzte Wort. Diekollektive Seele der Rasse tritt in eine Geburah - Phase ein. Siehat die Geduld mit ihren unzulänglichen Funktionseinheitenverloren.Die Tendenz im nächsten Zyklus wird in die Richtung gehen, sichderer, die keine gute Kondition haben, zu entledigen und denen,die sie haben, zur höchsten Blüte zu verhelfen. Geburah wird derAnführer sein, und alles, was Gedulah zur Entlastung anführt,wird zunächst von der ausgleichenden Gerechtigkeit geprüftwerden. Diese Reform ist notwendig, da sich im Endstadium einerPhase Extreme herausgebildet haben und der Humanismus Gedulahsausgenutzt und lächerlich gemacht wurde. Die verfeinerte Form desHumanismus ist zu schwer zu handhaben und hat den Bezug zurAktualität verloren.Wenn auf der Stufe des kollektiven Geistes eine neue Phase ihrenAnfang nimmt, wirkt sich ihr Einfluß bei den am wenigstenaufgeklärten Menschen, die die stärkste kollektiv geprägteEinstellung haben, am meisten aus. Kulturell hochstehendeMenschen halten sich normalerweise von Extremen fern. Wir könnendiese Tatsache anhand der verschiedenen Tendenzen in derPresseberichterstattung deutlich verfolgen. Der populäreJournalismus schreit nach der Legalisierung der »Peitsche« alsInstrument der Bestrafung, nach der Nicht - Anerkennung von

Page 142: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Schulden und internationalen Vereinbarungen, also nach einemRundumschlag mit dem Schwert Geburahs. Überall trifft man auf dieTendenz, sich von nichts und niemandem etwas gefallen zu lassen,eine Tendenz, die das Führen von Verhandlungen ungeheuererschwert, denn Geburah ist als Verhandler völlig unbrauchbar.Der einzig mögliche Beitrag zur Verhandlung wäre der desgriechischen Soldaten, der sein Schwert nahm und den Knotenzerschlug. Der Eingeweihte, der das Konzept der rhythmischenPhasen kennt, mißt weder einer einzelnen Phase allzu großeBedeutung bei, noch denkt er, daß sie das Ende der Welt oder derAnfang des Tausendjährigen Reiches sein könnte. Er weiß, daßjeder Umschwung seinen normalen Verlauf nehmen wird, daß erzunächst ein wertvolles und notwendiges Korrektiv ist und späterins Extreme abgleitet. Wenn die aufgeklärten Geister einer Nationgenügend Weitblick besitzen, wird das Volk nicht untergehen, dennsobald die Entwicklung ins Extreme geht, ist das Ende einer Phaseerreicht, und das Pendel wird gewöhnlich in die andere Richtungausschlagen und sich der Stabilität wieder annähern. Nur wenn derBlick eines Volkes völlig getrübt ist, wird das Pendel überseinen Anschlag hinaus in die Selbstzerstörung geraten. Das warin Rom der Fall, in Karthago und vor nicht allzu langer Zeit inRußland. Aber selbst wenn die soziale Organisation zusammenbrichtund das Pendel in den Raum hinausschwingt, ist das Prinzip desRhythmus in der gesamten manifesten Schöpfung enthalten und setztsich wieder durch, sobald irgendeine Form der Organisation ausden Trümmern heraus entsteht.Das große Manko des Christentums ist, daß es diese Rhythmenignoriert. Es gleicht Gott mit dem Teufel aus statt Vishnu mitShiva. Seine Dualismen sind Gegensätze statt ausgleichendeFaktoren und können deshalb nie in das funktionale Dritte münden,in dem die Kräfte sich wieder im Gleichgewicht befinden. Der Gottdes Christentums ist gestern, heute und auf Ewigkeit der gleiche.Er entwickelt sich nicht parallel zur weiter voranschreitendenSchöpfung, sondern vollführt einen einzigen besonderen kreativenAkt und ruht sich dann auf seinen Lorbeeren aus. DieseVorstellung läuft sämtlichen menschlichen Erfahrungen undjeglichem menschlichen Wissen entgegen.Da das christliche Konzept statisch und nicht dynamisch ist, kannes auch nicht der Tatsache Rechnung tragen, daß das Gegenteil desGuten nicht zwangsläufig das Schlechte sein muß. Die christlicheLehre hat kein Gefühl für Proportionen, weil sie dasGleichgewichtsprinzip im Raum und das zeitliche Rhythmusprinzipnicht erkannt hat. Im christlichen Ideal ist der Teil oft größerals das Ganze. Milde, Barmherzigkeit, Reinheit und Liebe sind dieidealen christlichen Eigenschaften und, wie Nietzsche sehrrichtig bemerkt, sind sie die Tugenden eines Sklaven. In unseremIdeal sollten auch die Tugenden des Herrschers und Anführersihren Platz finden: Mut, Kraft, Gerechtigkeit und Integrität. Das

Page 143: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Christentum steuert zu diesen dynamischen Tugenden keine neuenErkenntnisse bei. Folglich können diejenigen, die in der Welt dieArbeit verrichten, die christlichen Ideale nicht als Maßstabnehmen, da sie einschränkend wirken und auf die anliegendenProbleme nicht anwendbar sind. Diesen Menschen steht keineRichtschnur zur Verfügung, an der sie Recht und Unrecht messenkönnten, außer ihrer eigenen Selbstachtung. Das Ergebnis ist daslächerliche Porträt einer Zivilisation, die sich an eineinseitiges Ideal klammert und gezwungen ist, ihre Ideale vonihrer Ehre zu trennen.Der Realist Geburah ist ebenso notwendig wie Recht undBarmherzigkeit. Die Erfahrungen bei der Kindererziehung lehrenuns sehr bald, daß ein Kind, das niemals kontrolliert wird, einverwöhntes Kind ist. Ein Jugendlicher, der nicht den Anreiz desWettbewerbs spürt, wird dazu tendieren, träge zu sein, denn nurwenige arbeiten allein um der Arbeit willen. Das gleiche gilt fürein Volk. Das Monopol, dem der Anreiz durch den Wettbewerb fehlt,ist der bisherigen Erfahrung nach uneffektiv. Berufszweige, indenen kein Konkurrenzdenken notwendig ist, leiden unterintellektueller Trägheit.Geburah ist das dynamische Element im Leben, das Hindernissedurchbricht und überwindet. Eine Person, der die Qualitäten desMars völlig abgehen, wird mit dem Leben nicht zurechtkommen.Jeder, der schon einmal von einem Brötchenverdiener abhängig war,der keinerlei Charaktereigenschaften Geburahs besaß, weiß, daß inder Liebe allein nicht die Lösung aller Probleme des Lebensliegt. Wir müssen lernen, dem gepanzerten Krieger mit dem Schwertgenauso zu trauen wie göttlichen Liebe, die uns den Kelch mitWasser reicht und sagt: »Kommt zu mir alle, die ihr mühselig undbeladen seid.«Sobald wir gelernt haben, den Stab zu küssen und auch den Wertbitterer Erfahrungen zu begreifen, haben wir die erste Einweihungin Geburah erhalten. Wenn wir gelernt haben, unser Leben zuverlieren, um es wiederzufinden, entspricht das der zweitenEinweihung. Es gibt einen Mut, der die Auflösung nicht fürchtet,da er weiß, daß alle spirituellen Prinzipien unzerstörbar sindund daß, solange es Archetypen gibt, die weiterexistieren, alleswieder neu aufgebaut werden kann. Geburah zerstört nurZeitgebundenes. Sie ist die Dienerin des Ewigen. Wenn durch dieätzende Wirkung Geburahs alles Unbeständige weggefressen wordenist, strahlen die ewigen, körperlosen Realitäten in ihrer ganzenHerrlichkeit und Feinheit.Wenn unsere Gesinnung rein ist, ist Geburah der beste Freund, denwir finden können. Wer ehrlich ist, braucht Geburahs Wirken nichtzu fürchten. Im Gegenteil, es bietet den besten Schutz gegen dieUnehrlichkeit anderer, denn es wirkt nichts besser als dasGeburah - Element, wenn wir die »Mauern« der Menschen und ihreStandpunkte niederreißen wollen.

Page 144: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Geburah und Gedulah müssen zusammenarbeiten, die eine darf nieohne die andere in Erscheinung treten. Wir müssen den Gott derSchlachten ebenso verehren wie den Gott der Liebe, damit sich daskämpferische Element im Universum nicht von der Einheit mit demeinen Gott mit Ich bin, der ich bin, abspaltet. Wir sollten dasSchwert nicht als Instrument des Teufels verfluchen, sondern essegnen und es der Sache widmen, damit es niemals für eineunrechte Schlacht gebraucht wird. Es sollte nicht beiseite gelegtwerden, wodurch ein unpraktikabler Pazifismus aufkäme, sondern imDienste Gottes stehen, damit der mächtige Chamael, der ErzengelGeburahs, in dem Moment, in dem das Kommando gegeben wird, daßdas Übel nicht länger geduldet werden kann, die Seraphim in dieSchlacht führt, aber nicht voll blinder Zerstörungswut, sondernmaßvoll und aus überpersönlichem Antrieb heraus, der lediglich imDienste Gottes wirkt, auf daß das Böse vernichtet werden kann unddas Gute regiert.

IIIWir sind bereits so ausführlich auf Geburah eingegangen, daßnicht mehr viel zu sagen übrigbleibt Im Buch Jezirah wird derfünfte Pfad die Wurzelintelligenz genannt, da sie der Einheitgleicht. Einheit ist eine der Bezeichnungen für Kether. Wirkönnen deshalb sagen, daß Geburah Kether auf einem niedrigerenBogen gleicht. Im Sepher Jezirah werden mehrere Sephiroth mitKether in Verbindung gebracht. Diese Hinweise gewinnen anWichtigkeit, sobald wir ihre Natur begreifen. Chockmah wird alsder Glanz der Einheit bezeichnet, der ihr am meisten gleicht. VonBinah heißt es, daß ihre Wurzeln im Amen liegen, was ebenfallseine Bezeichnung für Kether ist.Geburah ist eine höchst dynamische Sephirah, deren Energie in dieWelt der Formen überfließt und die deshalb der überströmendenKraft Kethers, der Grundlage aller Manifestationen, sehr ähnlichist. Im Buch Jezirah wird außerdem über Geburah gesagt, daß siesich mit Binah (Verstehen) vereint. Wenn wir uns daran erinnern,daß in der Astrologie Saturn, das weltliche Chakra Binahs, undMars, das weltliche Chakra Geburahs, der größere und der kleinereÜbeltäter genannt werden, kommen wir zu dem Ergebnis, daß mehrals eine oberflächliche Verbindung zwischen den beiden bestehenmuß.Binah wird die Todesbringerin genannt, denn sie kleidet dieursprünglichen Kräfte in Formen und verwandelt sie so instatische Kräfte. Geburah wird Zerstörer genannt, denn diefeurige Energie des Mars spaltet die Formen auf und zerstört sie.Wir sehen also, daß Binah ständig die Kräfte in Formen bindet undGeburah diese Formen ständig mit ihrer explosiven Energieaufspaltet und zerstört.Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß die zerstörerischen

Page 145: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Einflüsse Geburahs nur dann auf die von Binah geschaffenen Formeneinwirken können, wenn der beschützende, erhaltende EinflußCheseds ruht. Der Weg der Emanation zwischen Binah und Geburahführt über Chesed. Geburah ist der stärkste korrigierende EinflußBinahs, ohne den Binah alles Leben erstarren lassen würde. Binahwiederum emaniert nach dem Buch Jezirah aus den UrtiefenChockmahs, der Weisheit, heraus. Daran können wir sehen, daßselbst Binah einen dynamischen Aspekt hat. Keine Sephirah bestehtausschließlich aus einem einzigen Krafttypus, denn jede ist auseiner Sephirah entstanden, die dem entgegengesetzten Krafttypusangehört, und emaniert wiederum eine andere Sephirah, die auchdie entgegengesetzte Polarität aufweist. In Wirklichkeit führtder Lichtblitz uns an aufeinanderfolgenden Phasen in derEntwicklung einer einzigen Kraft entlang. Weil diese Phasen zwaremanieren, sich aber nicht gegenseitig überlagern, entstehenverschiedene Ebenen der Manifestation und unterschiedliche Artenvon Organisation.Diese aufeinanderfolgenden Phasen und Ebenen der Manifestationlassen sich mit aufeinanderfolgenden Abschnitten eines Flussesvergleichen. Er beginnt als Gebirgsbach, dann wird er auf einerStrecke zu Stromschnellen und Wasserfällen, danach kommt einebeschauliche Strecke mit Auwiesen und schließlich der großeStrom, der an einer Reihe von Docks entlangfließt und schiffbarist. In den verschiedenen Abschnitten des Flusses fließt diegleiche Art Wasser, klar und funkelnd im ersten Abschnitt undvoller Erdreich entlang der Auwiesen.Das Wasser in den Abschnitten ist nicht immer dasselbe, denn esbleibt nicht einfach irgendwo ruhig stehen. Die Abschnitte sindin ständiger Verbindung miteinander, sie emanieren einander, wennman es in der Sprache der Kabbalisten sagen will. Die Natur desWassers ändert sich, während es den Fluß entlang - fließt. Durchdie Erfahrungen, die es in jedem Flußabschnitt macht, erhält esZusätze. Angeschwemmte Erde von den Auwiesen, Dreck aus derStadt, von den Docks.So verändert sich die ursprüngliche Emanation Kethers in jedemsephirothischen Abschnitt des kosmischen Flusses. Die Abschnitteselbst oder Sphären der Sephiroth bleiben gleich. Die Emanationfließt weiter und erfährt in jeder Sphäre eine Änderung.Die Bezeichnungen für Gevurah Stärke, Gerechtigkeit, Härte undFurcht sprechen für sich selbst und deuten auf die zweifacheNatur dieser Sephirah hin. Nachdem wir jetzt langsam hinunter zuden Ebenen der Form im Baum gelangen, zeigt sich immerdeutlicher, daß jede Sephirah zwei Seiten hat und daß einÜbergewicht leicht zu unausgewogenen Kräften werden kann.Das magische Bild Gevurahs, ein mächtiger Krieger in seinemStreitwagen, gekrönt und bewaffnet, deutet auf die dynamischeNatur der Gevurah - Kraft hin. Durch das weltliche Chakra deskriegerischen Mars wird diese Vorstellung weiter verstärkt.

Page 146: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die spirituelle Erfahrung, die die Einweihung in die SphäreGevurahs wachruft, ist die Vision der Macht. Nur ein Mensch, derdiese Vision hatte, wird zum Adeptus major. Der richtige Umgangmit Macht ist eine der größten Prüfungen, die dem Menschenauferlegt werden können. Bis zu diesem Punkt lernt derEingeweihte bei seinem Aufstieg über die Grade Lektionen wieDisziplin, Kontrolle und Festigkeit. Er erarbeitet sich das, wasNietzsche Sklavenmentalität nennt und was für die unbelehrbaremenschliche Natur, die sich so gern weise dünkt, ein wichtigerProzeß ist. Mit dem Grad des Adeptus major sollte sich derEingeweihte jedoch die Charakteristika eines Supermenschenerwerben und lernen Macht auszuüben, statt sich ihr zu beugen.Trotzdem schafft er sich nicht sein eigenes Gesetz, denn er istDiener der Macht, die er beherrscht, und sollte mithelfen derenZiel zu erreichen, nicht sein eigenes. Wenn er sich auch nichtlänger seinen Mitmenschen gegenüber zu verantworten hat, muß ersich doch vor dem Schöpfer des Himmels und der Erde verantwortenund Rechenschaft über sein Amt als Verwalter der Macht ablegen.Er besitzt die große Freiheit, ist aber gleichzeitig auch großenBelastungen ausgesetzt. Er verfügt über die Worte der Macht, dieden Wind entfesseln können, aber er muß gleichzeitig daraufvorbereitet sein, mit dem möglicherweise entstehenden Wirbelwindfertig zu werden. Diese Tatsache berücksichtigt der Amateurmagiersehr oft nicht.Die Energie und der Mut als Tugenden des Mars und die Grausamkeitund Zerstörung als seine Laster bedürfen wohl keiner näherenAusführung; sie sprechen für sich selbst. Was die Marszugeordneten Symbole betrifft, ist ihre Bedeutung nicht in allenFällen von vornherein klar, und wir wollen uns deshalb kurz mitihnen befassen. Figuren mit unterschiedlich vielen Seiten werdenmit den verschiedenen Planeten in Verbindung gebracht und in derzeremoniellen oder talismanischen Magie als Grundfigur für jedemit einer planetarischen Kraft verbundene Form benutzt. Saturn,dem ältesten und damit ersten Planeten in derEvolutionsgeschichte, wird die einfachste zweidimensionale Figur,das Dreieck, zugeordnet. Zur ausbalancierten Stabilität Chesedsgehört die vierseitige Figur, das Rechteck, und die dritteplanetare Sephirah Mars bringt man mit einer fünfseitigen Figurin Zusammenhang. Die Fünf gilt im kabbalistischen System als Zahldes Mars. Folglich ist das Pentagon, die fünfseitige Figur, dasSymbol des Mars, und jeder Altar und jeder Talisman für diesenPlaneten sollte pentagonal oder fünfseitig sein. Diefünfblättrige Rose der Tudors, ein weiteres Symbol für Mars, mußnäher erklärt werden. Wenn wir uns jedoch an die enge Verbindungzwischen Mars und Venus in der Mythologie erinnern und daran, daßdie Rose die Blume der Venus ist, kommen wir dem Verständnisdieses Symbols schon näher. Die durch den Baum verlaufendenKraftlinien führen von Gevurah - Mars zu Netzach - Venus durch

Page 147: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Tiphereth als Sephirah des Erlösers und als Zentrum desGleichgewichts hindurch. Wie im Buch Jezirah klar gesagt wird,stehen auch Chesed und Hod auf ähnliche Weise miteinander inVerbindung. Es heißt dort, daß Hod in den geheimen OrtenGedulahs, der vierten Sephirah, wurzelt. Wenn uns jetzt die engeVerbindung zwischen den diagonalen Paaren, die die vier Ecken desmittlern Rechtecks im Baum bilden, deutlich ist, verstehen wirauch den Zusammenhang mit der Rose, die fünf Blütenblätter hat.Schwert, Speer, Geißel und Kette sind so charakteristischeSymbole für Mars, daß kein weiterer Kommentar dazu nötig ist.Die vier Fünfen des Tarotspiels sind, jede auf ihre Weise,negative Karten. Der Satz der Schwerter, der vom Mars regiertwird, symbolisiert durchgängig Streitsucht. Die besten Kartendieses Satzes sind Rast vom Streit und Erfolg nach dem Streit,und wenn eine Schwertkarte mit einer Sephirah zusammentrifft,deren weltliches Chakra eines der astrologischen Unglückszeichenist, kann das Ergebnis nur verheerend sein, und nur die Herrender Niederlage und des Ruins können folgen.Unsere Fähigkeit, die Einweihung in Geburah für uns zuvollziehen, hängt wiederum mit unserer Fähigkeit zusammen, mitden Mars - Kräften umzugehen. Diese Fähigkeit bestimmt sich ausdem Grad an Selbstdisziplin und Stabilität, den wir erreichthaben.Geburah ist die dynamischste und kraftvollste aller Sephiroth,aber auch die disziplinierteste. Die militärische Disziplin, dievom Gott des Krieges regiert wird, steht als Synonym für dieStrenge der Kontrolle, die über ein menschliches Wesen ausgeübtwerden kann. Die Diszipliniertheit Geburahs muß in genauemVerhältnis zu ihrer Energie stehen. Anders ausgedrückt:Die Bremsleistung eines Autos muß genau seiner PS - Zahlentsprechen, wenn es verkehrssicher sein soll. Diese enormeDiszipliniertheit Geburahs ist einer der Prüfsteine derMysterien. Man spricht von eiserner Disziplin, und das Eisen alsMetall gehört zum Planeten Mars.Der in Geburah Eingeweihte ist ein dynamischer, kraftvoller, aberauch ein sehr kontrollierter Mensch. Charakteristisch für ihn istein ausgeglichenes Wesen, und er reagiert mit Geduld aufProvokationen. Im Bereich des Sports, der den spielerischenAspekt des Kriegsgottes darstellt, ist es bekannt, daß das Spielin dem Moment verloren ist, wo der Spieler die Beherrschungverliert. Jeder Boxer weiß, daß er seine Chance verspielt hat,wenn er wütend wird und zu kämpfen beginnt, statt zu boxen. Derin Mars Eingeweihte ist vor allem der glückliche Krieger, der denGrad Tiphereths durchlaufen und dort sein Gleichgewicht gefundenhat.Er kämpft ohne bösartig zu sein, er verschont die Schwachen undVerwundeten, er trachtet nicht danach, das Gesetz zu brechen,sondern sorgt dafür, daß es ordnungsgemäß Anwendung findet. Er

Page 148: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

korrigiert das Ungleichgewicht und verteidigt die Schwachen undUnterdrückten. Er ist nicht der Gott, der auf der Seite dergroßen Armeen steht, obwohl er sagt: »Mit den Widerspenstigenwerde auch ich widerspenstig sein.« Die Köpfe Te´omiels, deszweiköpfigen Riesen der Kelippoth, des Riesen der zweifachwiderstreitenden Kräfte, schlägt er gegeneinander und sagt: »DerTeufel hole eure beiden Häuser. Achtet den Frieden Gottes oder eswird euch schlecht ergehen.« Wenn eine Seele an dem Punkt derEntwicklung angekommen ist, wo Lernen nur noch über die Erfahrungmöglich ist, sorgt Geburah dafür, daß diese Seele bei ihrer Suchenach Ärger nicht enttäuscht wird. Geburah ist der große Initiatorder Wichtigtuer.

20. Tiphereth, die sechste Sephirah

Bezeichnung:Tiphereth, Schönheit (Hebrische Schreibweise: trapt Tav, Pe,Aleph, Resch, Tav)Magisches Bild:Ein majestätischer König, ein Kind, ein geopferter GottPosition im Baum:In der Mitte der Säule des GleichgewichtsText im Jezirah:Der sechste Pfad heißt vermittelnde Intelligenz, weil sich in ihrdie Ströme der Emanationen vervielfältigen. Sie läßt diesenEinfluß in alle Reservoire der Segnungen strömen, die sich mitihm vereinigen.Bezeichnungen für Tiphereth:Zeir Anpin, das kleinere Angesicht; Melekh, der König; Adam;der Sohn; der MenschGottesname:Tetragrammaton Eloah Va DaathErzengel:Raphael, Heilen GottesOrdnung der Engel:Melachim, KönigeWeltliches Chakra:Shemesh, die Sonne Spirituelle Erfahrung:Vision der Harmonie der Dinge, die Mysterien der KreuzigungTugend:Hingabe an das große WerkLaster:StolzEntsprechung im Mikrokosmos:Die BrustSymbole:

Page 149: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Das Lamen, das Rosenkreuz, das Kalvarienkreuz, die stumpfePyramide, der KubusTarotkarten:Die vier Sechsen.Sechs der Stäbe:SiegSechs der Kelche:FreudeSechs der Schwerter:Verdienter ErfolgSechs der Münzen:Materieller ErfolgFarbe in Aziluth:Klares RosaFarbe in Beriah:GelbFarbe in Jezirah:Sattes LachsFarbe in Assia:Gold Amber

IFür das Verständnis des Wesens von Tiphereth sind drei wichtigeSchlüssel notwendig. Erstens ist sie das Gleichgewichtszentrumdes Baumes, da sie im Zentrum der mittleren Säule liegt. Zweitensentspricht sie Kether auf einem niedrigeren Bogen und Jesod aufeinem höheren Bogen. Drittens ist sie der Transmutationspunktzwischen den Ebenen der Kraft und der Form. Die Bezeichnungen,die das kabbalistische System ihr gibt, machen das deutlich. VomStandpunkt Kethers aus gesehen ist sie ein Kind, vom StandpunktMalkuths aus ein König und was die Umwandlung der Kräftebetrifft, ist sie ein geopferter Gott.Makrokosmisch, also vom Standpunkt Kethers aus gesehen, stelltTiphereth das Gleichgewicht zwischen Chesed und Geburah her. Vommikrokosmischen Standpunkt aus gesehen, also vom Blickwinkel dertranszendentalen Psychologie aus, ist sie der Punkt, an dem dieBewußtseinsaiten von Kether und Jesod Tiefenschärfe bekommen.Auch Hod und Netzach finden in Tiphereth ihre Synthese.Die sechs Sephiroth, deren Zentrum Tiphereth ist, werden manchmalAdam Kadmon, der archetypische Mensch, genannt. Tiphereth kannalso nur als Mittelpunkt dieser sechs Sephiroth verstandenwerden. Sie regiert dieses Reich sozusagen als König. Was diepraktische Anwendung betrifft, bilden diese sechs Sephiroth dasarchetypische Reich, das auf das Reich der Formen in Malkuthfolgt und die passive Materie völlig regiert und bestimmt.Wenn wir den Bezug einer Sephirah zu den sie umgebenden Sephirothuntersuchen wollen, um dadurch ihre Gesamtposition im Baum zu

Page 150: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

beleuchten, können wir das kabbalistische System nicht einfachsystematisch und geordnet durchgehen. Wir müssen zunächst mitTeilerklärungen vorliebnehmen, mit denen wir unsereArgumentationsweise belegen können. Deshalb wollen wir einigesüber die drei unteren Sephiroth sagen, die Tiphereth umgeben,nämlich Netzach, Hod und Jesod.Netzach symbolisiert die »Naturkräfte« und die Verbindungenzwischen den Elementen. Hod beschäftigt sich mit dem Bereich derzeremoniellen Magie und des okkulten Wissens, Jesod hat mit derSpiritualität und dem ätherischen Doppel zu tun. Tipherethselbst, unterstützt von Geburah und Gedulah, symbolisiert dieFähigkeit des Voraussehens oder die höhere Spiritualität desIndividuums. Jede Sephirah hat natürlich subjektive und objektiveAspekte. Einmal ist sie psychologischer Faktor und einmal Ebenedes Universums.Die vier unterhalb Tiphereth liegenden Sephiroth stellen diePersönlichkeit oder das Niedere Selbst dar. Die vier Sephirothoberhalb Tiphereths stehen für die Individualität oder das HöhereSelbst, und Kether ist der göttliche Funke oder Kern derManifestation.Tiphereth sollte deshalb nie als isolierte Sephirah betrachtetwerden, sondern vielmehr als Bindeglied, als Konzentrationspunkt,als Punkt, in dem eine Überleitung und Umwandlung stattfinden.Die mittlere Säule hat mit dem Bewußtsein zu tun. Die beidenseitlichen Säulen sind für die Funktionsweise der Kräfte auf denverschiedenen Ebenen zuständig.In Tiphereth werden die archetypischen Ideale gesammelt und inarchetypische Ideen umgewandelt. Diese Sephirah ist der Platz derInkarnation. Deshalb wird sie auch als Kind bezeichnet. Da dieInkarnation eines Gottesideals auch gleichzeitig die Entkörperungals Opfer mit einschließt, werden Tiphereth die Mysterien derKreuzigung zugeordnet, und wenn der Baum sich auf dieverschiedenen Pantheone bezieht, finden wir in dieser Sephirahdie geopferten Götter. Gottvater gehört zu Kether, der Gottessohnjedoch aus den bereits erwähnten Gründen zu Tiphereth.Die exoterische Seite der Religion erreicht im Baum nur die StufeTiphereths. Sie verfügt nicht über Kenntnisse der Mysterien derSchöpfung, wie sie in der Symbolik Kethers, Chockmahs und Binahsvorhanden sind, und genausowenig kennt sie die Funktion derdunklen und der leuchtenden Erzengel bei Gevurah und Gedulah. DieGeheimnisse des Bewußtseins und die Umwandlung der Kraft, die inder unsichtbaren, symbollosen Sephirah Daath geschieht, sinddieser Religion unbekannt.Gott manifestiert sich in Tiphereth in der Form und lebt unteruns Menschen, das heißt, daß er in den vom Menschen erfaßbarenBewußtseinsbereich rückt. Tiphereth, der Sohn, »zeigt uns«Kether, den Vater.Um eine Form stabil zu halten, ist es notwendig, die Kräfte, aus

Page 151: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

denen sie besteht, ins Gleichgewicht zu bringen; daher dieVorstellung vom Mittler oder Erlöser, die bei dieser Sephirahauftaucht. Wenn die Gottheit sich selbst in einer Formmanifestiert, muß diese Form sich im völligen Gleichgewichtbefinden. Man kann die Aussage auch umdrehen und sagen, daß, wenndie Kräfte, aus denen eine Form besteht, sich im völligenGleichgewicht befinden, die Gottheit selbst sich in dieser Formmanifestiert, natürlich unter Berücksichtigung des jeweiligenTypus. Gott manifestiert sich unter uns, wenn die Voraussetzungenfür eine solche Manifestation vorhanden sind.Nachdem der inkarnierte Gott sich auf den Ebenen der Form durchden Aspekt des Kindes in Tiphereth manifestiert hat, wächst erzum Mann heran und wird der Erlöser. Anders ausgedrückt hat ersich durch die Form im jungfräulichen Stadium inkarniert, also imStadium Marias, Marahs, der See, der großen Mutter Binah, die zuden höchsten Sephiroth gehört und im Gegensatz zu der niederenMutter Malkuth steht. Von diesem Zeitpunkt an bemüht er sich alsaufwachsende Manifestation Gottes ständig darum, das Königreichder sechs mittleren Sephiroth ins Gleichgewicht zu bringen.Es ist interessant anzumerken, daß bei Darstellungen des Baumeszusammen mit der Glyphe des Falb die Köpfe der großen Schlange,die aus dem Chaos herausragen, nur bis zur Höhe von Daath reichenund nicht weiter hinauf. Der Erlöser manifestiert sich also inTiphereth und bemüht sich ständig darum, sein Königreich wiedermit den Höchsten zu vereinigen und den durch den Fallentstandenen Abgrund zu überwinden, der die unteren Sephiroth vonden oberen trennt, indem er die widerstreitenden Kräfte dessechsfachen Königreiches ins Gleichgewicht bringt. Deshalb werdendie inkarnierten Götter geopfert. Sie sterben für die Menschen,und durch dieses Sterben wird gewaltige emotionale Energiefreigesetzt, die vielleicht die ungeordneten Kräfte desKönigreiches ausgleicht und es so erlöst oder ins Gleichgewichtbringt.Diese Sphäre des Baumes wird Christuszentrum genannt, und aufdiesen Punkt konzentriert sich die gesamte christliche Religion.Die pantheistischen Glaubensrichtungen, wie sie in Griechenlandund Ägypten zu finden sind, haben ihr Zentrum in Jesod, und diemetaphysischen Glaubenslehren, wie zum Beispiel die Lehre Buddhasoder Konfuzius', streben zu Kether. Da aber alle Religionen, diediesen Namen zu Recht tragen, eine esoterische oder mystischeSeite und eine exoterische oder pantheistische Seite haben, hatder mystische Aspekt des Christentums seine Wurzeln in Kether undsein magischer Aspekt, wie er im Katholizismus Mittel - undSüdeuropas zu finden ist, liegt in Jesod, obwohl die christlicheLehre sich vor allem als Lehre Tiphereths versteht. Dieprotestantische Religion konzentriert sich auf Tiphereth als Kindund geopferter Gott und läßt den Aspekt des Königs inmittenseines Königreiches, umgeben von den fünf heiligen Sephiroth der

Page 152: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Manifestation, unbeachtet.Bisher haben wir den Baum vom makrokosmischen Standpunkt ausbetrachtet und uns damit beschäftigt, wie die verschiedenenArchetypen der sich manifestierenden Kraft wirken und dasUniversum schaffen. Mit dem mikrokosmischen Gesichtspunkt, ihrempsychologischen Aspekt als Bewußtseinsfaktoren haben wir uns kaumbeschäftigt. In Tiphereth ändert sich unser Ansatzpunkt, denn abdieser Sephirah werden die archetypischen Kräfte in Formengekleidet und können nur aus der Sicht ihrer Wirkung auf dasBewußtsein betrachtet werden. Mit anderen Worten müssen wir siejetzt durch direkte Annäherung über die Sinne erfahren, auch wenndiese Sinne nicht ausschließlich der physischen Ebene angehören,sondern jeder auf seine Art und Weise sowohl in Tiphereth alsauch in Jesod wirkt. Auf den höheren Ebenen mußten wir uns aufmetaphysische Analogien und Schlußfolgerungen beschränken, dieauf den Urprinzipien basieren. Jetzt stehen wir auf demureigensten Boden der induktiven Wissenschaft und müssen uns nachihren Prinzipien richten und unsere Ergebnisse in ihrer Spracheformulieren. Gleichzeitig sollten wir jedoch auch in Tipherethunsere Verbindung zu den transzendenten Sephiroth beibehalten.Das können wir, indem wir die Symbolik Tiphereths in mystischeErfahrungen übersetzen. Alle mystischen Erfahrungen, bei denendie Vision in einem blendenden Licht endet, gehören zu Tiphereth.Der in dieser Sphäre anzutreffende, vorübergehendeBewußtseinszustand ist bedingt durch das Auseinanderfließen derFormen aufgrund des Einströmens von enormen Kraftmengen.Visionen, in denen sich deutliche Formen abzeichnen, stammen ausder Jesod - Sphäre. Erleuchtungserlebnisse, in denen keine Formenauftauchen, so wie Potinus eines schildert, liegen auf dem Weg zuKether.In Tiphereth werden auch die Operationen der Naturmagie aus derNetzach - Sphäre und der hermetischen Magie Hods gesammelt undausgedrückt. In beiden Sphären finden die Operationen ihrenAusdruck in Formen, wobei die Hod – Sphäre stärker von Formendurchdrungen ist als die Netzach - Sphäre. Die astralen Visionender Jesod - Sphäre können nur durch die mystischen Erfahrungen inTiphereth in die metaphysische Sprache übersetzt werden.Unterlassen wir es, sie zu übersetzen, erliegen wirHalluzinationen, denn wir halten dann die Reflexionen, die imSpiegel des Unterbewußtseins auftauchen und dort in die Spracheunseres Gehirns übersetzt werden, für die Dinge selbst und nichtfür das, was sie wirklich sind, nämlich symbolische Darstellungendieser Dinge.Kether ist metaphysischer, Jesod übersinnlicher und Tipherethmystischer Natur. Der Begriff mystisch will in diesemZusammenhang als Art und Weise des Begreifens verstanden sein,bei der das Bewußtsein aufhört mit symbolischen, aus demUnterbewußtsein aufsteigenden Vorstellungen zu arbeiten und auf

Page 153: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

dem Weg über emotionale Reaktionen zu begreifen beginnt.Die zusätzlichen Namen und die Symbolik der Sephiroth,insbesondere die Gottesnamen, liefern uns wichtige Hinweise zumVerständnis der Mysterien der Bibel, die im Grunde einkabbalistisches Buch ist. Aus dem Namen, der für Gott gebrauchtwird, können wir schließen, welcher Sphäre im Baum die jeweiligeArt von Manifestation zuzuordnen ist. Immer wenn vom Sohn dieRede ist, heißt das, daß von der Tiphereth - Sphäre gesprochenwird. Wenn es um den Vater geht, bezieht sich das auf Kether undbeim Heiligen Geist auf die Jesod - Sphäre. Der Begriff desHeiligen Geistes ist von großen Geheimnissen umgeben, denn derHeilige Geist ist der Aspekt Gottes, der in den okkulten Logenverehrt wird. Die Anbetung von pantheistischen Naturkräften undOperationen, die sich auf die Elemente beziehen, steht unter derSchirmherrschaft Gottvaters. Der regenerative, ethische Aspektder Religion, der in unserer Zeitepoche auch der exoterische ist,steht unter der Regentschaft des Gottessohnes in Tiphereth.Der Eingeweihte transzendiert die Geschichtsepoche, in der erlebt, und ist bestrebt, alle drei Formen der Anbetung derGottheit als Dreieinigkeit zu betrachten. Der Sohn befreit diepantheistische Verehrung der Naturkräfte von der ihrentgegengebrachten Mißachtung und macht den transzendentalenVater dem menschlichen Bewußtsein zugänglich, denn »wer michgesehen hat, hat auch den Vater gesehen.«Tiphereth ist jedoch nicht nur das Zentrum geopferten Gottes,sondern auch des berauschenden Gottes, des Erleuchters. Dionysoswird diesem ebenso zugeordnet wie Osiris, denn die mittlere Säulebezieht sich, wie wir bereits erfahren haben, auf dieBewußtseinsarten. Menschliches Bewußtsein, das von Jesod aus überden Pfad des Pfeils aufsteigt, wird in Tiphereth erleuchtet.Deswegen werden in sämtlichen Pantheonen die Erleuchter beiTiphereth angesiedelt.Bei der Erleuchtung wird der menschliche Geist auf eine höhereBewußtseinsstufe gehoben als die der sinnlichen Wahrnehmung. DasBewußtsein schaltet sozusagen in einen anderen Gang. Wenn dieseneue Bewußtseinsstufe jedoch nicht mit der vorherigen inVerbindung steht, und deshalb keine Übersetzung in die Sprachedes endlichen Denkens stattfindet, bleibt das Ganze ein unsblendender Lichtstrahl. Wir sehen nicht deshalb, weil uns einLichtstrahl direkt anleuchtet, sondern weil er von Objekten inunserer Dimension reflektiert wird, auf die er fällt. Wenn inunserer Vorstellung nicht schon Ideen vorhanden sind, die durchdiese höhere Bewußtseinsstufe erleuchtet werden können, ist derGeist einfach überwältigt; die Dunkelheit nach der blendendenErfahrung ist für unsere Augen noch schwerer zu durchdringen. Wirwechseln nicht den Gang, sondern bringen unseren Geist in denLeerlauf. So sieht die sogenannte Erleuchtung oft in Wirklichkeitaus. Der Strahl genügt, um uns von der Existenz einer

Page 154: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

paraphysischen Realität zu überzeugen, aber wir begreifendeswegen immer noch nichts von ihrem Wesen.Der Tiphereth zustand ist für die mystische Erfahrung deshalb sowichtig, weil die Inkarnation des Kindes hier stattfindet. Mitanderen Worten wird durch die mystische Erfahrung langsam einGebilde von Vorstellungen und Ideen aufgebaut, die durchErleuchtungen erhellt werden können.Der Aspekt des Kindes in Tiphereth ist ein wichtiger Faktor fürdie praktische Arbeit in den Mysterien, bei der es um Erleuchtunggeht. Wir müssen die Tatsache anerkennen, daß das Christuskindnicht wie Minerva vollbewaffnet aus dem Korb Gottvatersentspringt, sondern daß es als winziges Menschlein geboren wird,das von Tieren umgeben auf seinem bescheidenen Lager ruht, nochnicht einmal in einer Unterkunft mit Menschen zusammen. Dieersten Schritte, die wir in Richtung mystische Erfahrung tun,müssen also sehr kleine Schritte sein, denn bis dahin haben wirnoch nicht die Möglichkeit gehabt, ein Gerüst von Vorstellungenund Ideen aufzubauen, die diese Erfahrungen beinhalten. DiesesGerüst entsteht erst mit der Zeit, wobei jede transzendenteErfahrung dazu beiträgt und die nachfolgende rationale Meditationdie Vorstellungen ordnet.Mystiker begehen leicht den Fehler, anzunehmen, daß sie zum Ortdes Gebetes gelangen, wenn sie dem Stern folgen und nicht zurKrippe in Bethlehem, dem Geburtsort. An diesem Punkt ist derLebensbaum so besonders wertvoll, weil er es ermöglicht,transzendentale Zusammenhänge in symbolischer Form auszudrückenund diese Symbolik in die Sprache der Metaphysik zu übersetzen.So wird durch den Intellekt das Übersinnliche mit dem Geistigenverknüpft, und alle Aspekte unseres dreifaltigen Bewußtseinsgewinnen an Tiefenschärfe.Die Umsetzung findet in Tiphereth statt, denn dort werden diemystischen Erfahrungen des unmittelbaren Bewußtseins empfangen,die die transzendenten Symbole erhellen.

IIDie mittlere Säule ist immer die Säule des Bewußtseins, so wiedie beiden seitlichen Säulen die aktiven und passiven Mächtesind. Vom mikrokosmischen, das heißt vom psychologischen undnicht vom kosmischen Standpunkt aus gesehen muß Reiher, dergöttliche Funke, um den herum das individuelle Leben sichaufbaut, als Bewußtseinskern und nicht als das Bewußtsein selbstgesehen werden. Daath, die unsichtbare Sephirah, liegt ebenfallsauf der mittleren Säule, obwohl sie strenggenommen in eine andereDimension als der Baum gehört. Da wir den Baum momentanmikrokosmisch betrachten, wäre Daath die Verbindung mit demMakrokosmos. Erst in Tiphereth treffen wir auf ein klarumrissenes, individuelles Bewußtsein.Tiphereth ist die funktionale Spitze der zweiten Triade im Baum.

Page 155: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die beiden Basiswinkel sind Geburah und Gedulah (Chesed). Diesezweite Triade, die aus den drei Höchsten heraus emaniert, formtdie in der Entwicklung begriffene, individuelle oder spirituelleSeele. Die Triade erlebt die Evolution mit und entwickelt sichwährenddessen weiter. Aus ihr gehen die aufeinanderfolgendenPersönlichkeiten, also die Inkarnationseinheiten, hervor, und inihr wird die lebendige Essenz der Erfahrungen am Ende einerInkarnation gespeichert, wenn sich die Inkarnationseinheit inStaub und Äther auflöst.Diese zweite Triade bildet die Überseele, das höhere Selbst, denheiligen Schutzengel, den ersten Initiator. Die Stimme dieseshöheren Selbst ist es, die wir so oft mit unserem inneren Ohrhören, nicht die Stimme körperloser Entitäten oder gar die StimmeGottes, wie Menschen annehmen, die sich mit den geistigenGegebenheiten nicht auskennen.Die dritte Triade entwickelt sich durch die Erfahrung derInkarnation mit Malkuth als ihrem physischen Vehikel. Sie wirdvon der zweiten Triade überschattet und gelenkt. Dasverstandesmäßige Bewußtsein liegt in der Malkuth - Sphäre, undsolange wir in Malkuth gefangen sind, ist das alles, was wirhaben. Aber die Türen Malkuths sind jetzt nicht mehr festgeschlossen, und es gibt viele, die durch den Spalt diephantastischen Bilder der astralen Ebene erspähen können und dasübersinnliche Bewußtsein Jesods zu erleben imstande sind. Ist dasgeschehen, öffnet sich die Tür zu den höheren Ebenen derÜbersinnlichkeit, der Weg zur Fähigkeit des wirklichen Sehens,das für das Bewußtsein Tiphereths charakteristisch ist.Unsere ersten Erfahrungen mit den höheren Ebenen derübersinnlichen Wahrnehmung finden deswegen zunächst in den Ebenender niederen Wahrnehmungen statt. Wir haben uns gerade erst überMalkuth hinaus erhoben und erblicken die Sonne Tiphereths von derMondsphäre Jesods aus. Deshalb hören wir mit unseren innerenOhren Stimmen und sehen mit unseren inneren Augen Visionen. Aberdiese Visionen entspringen nicht dem normalen spirituellenBewußtsein, denn sie sind keine direkten Darstellungen derastralen Formen, sondern symbolische Formen spiritueller Dinge imastralen Bewußtsein. Es ist völlig normal, daß dasUnterbewußtsein so funktioniert, und das wirklich zu begreifenist sehr wichtig, da falsche Vorstellungen in diesem Bereich zuernsten Problemen und geistigem Ungleichgewicht führen können.Wer mit der kabbalistischen Terminologie vertraut ist, weiß, daßes heißt, die erste der größeren Initiationen bestehe in derFähigkeit, das Wissen des heiligen Schutzengels zur Verfügung zuhaben und das Gespräch mit ihm zu genießen. Dieser heiligeSchutzengel, das möchte ich hier nochmals betonen, ist unserhöheres Selbst. Die Hauptcharakteristika dieser höherenBewußtseinsstufe sind, daß man sie nicht über Stimmen undVisionen erfährt, sondern über reines Bewußtsein. Sie

Page 156: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

intensiviert die Wahrnehmung, und aufgrund dieser intensiverenWahrnehmungsfähigkeit entstehen Erleuchtungen, und wir erlebeneine gesteigerte Fähigkeit Dinge zu durchdringen, die das Wesender hochentwickelten, verfeinerten Intuition ausmachen. Dashöhere Bewußtsein äußert sich nicht übersinnlich, sondernintuitiv. Es enthält keine sinnlichen Vorstellungen. Dererfahrene Eingeweihte kann aus dem Nicht - Vorhandenseinsinnlicher Vorstellungen schließen, daß er sich auf der Ebene deshöheren Bewußtseins befindet. In der Antike war das bekannt, undes wurde dort zwischen Methoden der Mantik, die die chtonischenoder Unterweltkontakte herstellten, und der göttlichenTrunkenheit der Mysterien unterschieden. Die Mänaden, dieVerehrerinnen des Dionysos, standen auf einer völlig anderenStufe der Einweihung als die Anhängerinnen der Pythia, dieübersinnlich und medial waren, während die Mänaden das exaltierteBewußtsein und das angeregte Lebensgefühl genossen, das siebefähigte, erstaunliche Kraftakte zu vollbringen.Alle dynamischen Religionen tragen in sich diesen dionysischenAspekt. Selbst in der christlichen Religion finden sich vieleBerichte von Heiligen, denen der gekreuzigte Christus, das Objektihrer Verehrung, schließlich als der göttliche Bräutigamerschien. Wenn sie über diesen göttlichen Rausch berichten, dersie erfaßte, verwendeten sie bei der Beschreibung Metaphernmenschlicher Liebe, um ihren Erfahrungen Ausdruck zu geben.»Wie entzückend bist du, meine Schwester, meine Gemahlin.«»Trunken von den Küssen von Gottes Lippen ...« DieseBeschreibungen sagen für den, der sie zu deuten vermag, eineMenge aus.Der dionysische Aspekt der Religion stellt einen wichtigen Faktorin der menschlichen Psychologie dar, und die Tatsache, daß ernicht verstanden wird, führt dazu, daß keine höheren spirituellenErfahrungen in unserer modernen Zeit möglich sind und daßandererseits einige sonderbare Verirrungen der religiösen Gefühlezu beobachten sind, die von Zeit zu Zeit zu Skandalen undTragödien bei den höheren Chargen der dynamischen religiösenBewegungen führen.Es gibt einen Zustand emotionaler Konzentration und Exaltation,der den Zugang zu den höheren Bewußtseinsstufen öffnet und ohneden sie nicht zu erreichen sind. Die Bilder der astralen Ebenegehen in eine Emotion über, deren Intensität mit einem loderndenFeuer zu vergleichen ist. Wenn alle Schlacken der Natur inFlammen aufgegangen sind, lichtet sich der Rauch, und wir stehenden weißlodernden Flammen des reinen Bewußtseins gegenüber. Dermenschliche Geist mit dem Gehirn als Instrument kann von seinerNatur her diese reine Hitze nicht lange ertragen. Doch selbst inder kurzen Zeit, in der sie anhält, finden Veränderungen im Wesender Person statt, dem Geist öffnen sich neue Wege und er erfährteine Ausdehnung, die er nie wieder vollständig einbüßt. Die

Page 157: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ungeheure Kraft dieses Erlebnisses verblaßt, aber es bleibt einePersönlichkeit zurück, deren Fähigkeiten zugenommen haben, dieihr Leben erfüllter zu leben versteht und die einen Zugang zuspirituellen Ebenen hat, der ohne den Gewaltakt, den dieÜberwindung des Abgrundes durch das Moment der Ekstase darstellt,nicht möglich gewesen wäre.Die spirituellen Führer unserer Zeit kennen die Technik derwillentlich herbeigeführten Ekstase nicht und wissen sie auchnicht zu nutzen, wenn sie spontan auftritt. DieErweckungsbewegung schafft es, bei einfachen Menschen durch denMagnetismus von Personen eine abgeschwächte Form dieser Ekstasehervorzurufen, und das Ansehen eines Mitglieds dieser Bewegungwird an seiner Fähigkeit gemessen, seine Hörer in den Zustand derEkstase zu versetzen. Die Nachwirkungen dieser Ekstase ähnelnjedoch denen jeder anderen Art von Rausch, und das Lebenerscheint besonders schal, leer und nichtssagend, sobald derErwecker sich wieder anderen Aktivitätsbereichen zuwendet. Wennder Rausch nachläßt, meint nämlich der Bekehrte, daß er Gottwieder verloren habe. Niemand scheint zu begreifen, daß dieEkstase wie ein Blitz im Bewußtsein ist und das Gehirn und dasNervensystem ausbrennen würden, wenn sie länger anhielte. Aberselbst wenn sie nicht anhält, wie sie auch gar nicht anhaltendarf, überspringen wir durch sie das leere Bewußtseinszentrum underwachen zu einem Leben auf höherer Ebene.Die Technik des Baumes beschreibt diese spirituellen Erfahrungenin allen Einzelheiten, und jene, die diese Technik praktizieren,laufen nicht Gefahr, das Erwachen ihres eigenen höheren Selbstmit der Stimme Gottes zu verwechseln. Sie steigen über dassensorische Empfinden in Malkuth, über die astraleÜbersinnlichkeit in Jesod zum beschleunigten Bewußtsein inTiphereth hinauf und danach ebenso wieder hinab. Das Ganzepassiert sanft und schnell, ohne daß sie jemals die Ebenenverwechseln würden oder darunter zu leiden hätten, daß sieineinanderfließen, sondern diese Ebenen werden im Gegenteil voneinem zentralisierten Bewußtsein als säuberlich getrenntwahrgenommen.

IIITiphereth wird von den Kabbalisten Shemesh oder die Sphäre derSonne genannt. Dabei ist es interessant anzumerken, daß alleSonnengötter gleichzeitig Heilgötter sind und alle heilendenGötter Sonnengötter, was uns genügend Stoff zum Nachdenkenliefert.Die Sonne ist der zentrale Punkt unseres Lebens. Ohne die Sonnegäbe es kein Sonnensystem. Das Sonnenlicht spielt eine wichtigeRolle beim Lebensprozeß aller Wesen, und außerdem ist mit demSonnenlicht auch die Ernährung der Grünpflanzen gekoppelt. Es ist

Page 158: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

auch eine Verbindung zwischen Sonnenlicht und Vitaminen, denneinige Vitamine können die Wirkung der Sonnenstrahlen verstärken.Sonne ist also für unser Wohlergehen sehr wichtig. Wir könntensogar noch weitergehen und sagen, daß sie für uns lebenswichtigist und daß unsere Verbindung mit ihr viel enger ist, als wirahnen.Das Symbol der Sonne im Mineralienreich ist reines, wertvollesGold, das alle Völker zum Sonnenmetall gemacht haben und als daswertvollste aller Metalle betrachten, das die Grundlage für dieWährung bildet. Die Wichtigkeit des Goldes innerhalb desStaatswesens der Völker übersteigt seinen objektiven Wert beiweitem. Außerdem ist es die einzige Substanz auf der Erde, dieunzerstörbar ist und an der Oberfläche nicht anläuft. Der Farbtonkann sich zwar durch eine Ansammlung von Schmutz an derOberfläche ändern, aber das Metall selbst unterliegt, imGegensatz zu Silber oder Eisen, keinen chemischen Veränderungen.Auch durch Wasser kann es nicht zerstört werden.Die Sonne ist ein echter Lebensspender und die Quelle allenSeins. Sie ist das einzige Symbol, das Gottvater symbolisierenkönnte, der sehr treffend als die Sonne hinter der Sonnebezeichnet wird. In der Tat ist Tiphereth die direkte ReflexionKethers. Durch die Sonne kommt alles Leben auf die Erde, unddurch das Bewußtsein in Tiphereth nehmen wir Kontakt mit denEnergiequellen auf und schöpfen aus ihnen, sowohl bewußt als auchunbewußt.Die Sonne ist vor allem ein Symbol der sich manifestierendenEnergie, ein Symbol für einen sich wiederholenden, ungewöhnlichstarken Ausstoß an spiritueller Sonnenenergie, die den göttlichenRausch hervorruft. Die Sonne ist das Gold als Grundmetall fürGeld, das wiederum nach außen gebrachte Lebenskraft darstellt. Inder Tat ist Geld Leben und Leben ist Geld, denn ohne Geld könnenwir das Leben nicht voll auskosten. Geld ist Lebenskraft, diesich auf der physischen Ebene durch Energie und auf der mentalenEbene durch Intelligenz und Wissen ausdrückt. Diese Dinge könnendurch entsprechende Alchemie in Geld verwandelt werden, das dannwiederum ein sichtbares Zeichen der aufgewendeten Energie ist.Geld ist das Symbol der menschlichen Energie, dessenVorhandensein es uns möglich macht, unseren Aufwand an ArbeitStunde für Stunde »aufstapeln« zu können, denn wir erhalten Geldals Lohn am Ende einer Arbeitswoche, und dann können wir es fürunseren täglichen Bedarf ausgeben oder es für die Zukunft sparen,wenn wir das für wichtig erachten. Das Gold, das als Sicherheitfür das Geld dient, ist ein Symbol menschlicher Energie und wirdnur durch einen Einsatz dieser Energie erlangt. Natürlich kann esauch die Energie eines Vaters oder Ehemannes sein, von der wirindirekt profitieren, es bleibt aber immer Ausdruck der Aktivitäteines Menschen in irgendeinem Bereich. Selbst dann, wenn es unsaufgrund von erfolgreicher Werbung, beispielsweise bei einer

Page 159: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Firma, oder durch Diebstahl zugefallen ist.Die geheimen, verborgenen Bewegungen des Goldes haben auf dasStaatswesen eines Volkes die gleiche Wirkung wie Hormone auf denKörper, und es gibt kosmische Gesetze, nach denen seinegezeitenähnlichen, epochalen Bewegungen vor sich gehen, von denendie Wirtschaftsexperten nichts ahnen.Kether, das All, die Quelle allen Lebens, reflektiert inTiphereth hinein, die dann als Umwandler und Verteiler derspirituellen Urenergie fungiert. Diese Energie erhalten wirdirekt über das Sonnenlicht und indirekt über das Chlorophyll inGrünpflanzen, mit dessen Hilfe die Pflanzen das Sonnenlichtumsetzen. Dieses Chlorophyll nehmen wir über pflanzliche Nahrungdirekt und über pflanzenfressende Tiere, deren Fleisch wirverzehren, indirekt auf. Der Sonnengott ist mehr als nur eineLebensquelle. Er ist auch der Heiler, wenn etwas mit denLebenskräften nicht stimmt. Wenn die Lebenskraft im Plus, imMinus oder falsch ausgerichtet ist, setzt ein Krankheitsprozeßein. Die Krankheit selbst hat keine Energie, außer der, die sievom Leben des Organismus abzweigt. Der Heilungsprozeß muß alsodurch eine Korrektur der Lebenskraft eingeleitet werden, und dieSonnengötter sind die in diesem Fall natürlich Zuständigen, daLeben und Sonne so eng miteinander in Beziehung stehen.Die eingeweihten Priester der Antike konnten heilen, weil sie esverstanden, mit dem Sonneneinfluß zu arbeiten, und dieSonnenanbetung war auch die Wurzel des Äskulapkultes im altenGriechenland.In unserer Zeit haben wir gelernt, den Wert des Sonnenlichtes undder Vitamine für unseren physiologischen Haushalt richtigeinzuschätzen, aber es ist uns nicht klar, wie wichtig derspirituelle Aspekt des Sonnenlichtes für unseren psychischenHaushalt ist. In der Seele des Menschen gibt es einentipherethischen Faktor, der nach alter Tradition seine physischeEntsprechung im Solarplexus hat, nicht etwa im Kopf oder imHerzen. Der Solarplexus saugt den übersinnlichen Aspekt derSonnenenergie etwa so auf wie das Chlorophyll im Blatt einerPflanze den direkten Aspekt des Sonnenlichtes. Wenn wir vondieser Energie abgeschnitten werden und so verhindert wird, daßwir sie assimilieren, werden wir geistig und körperlich soschwach und krank wie eine Pflanze, die im Keller steht und dendirekten Einfluß des Sonnenlichtes vermißt.Dieses Abgeschnittensein vom spirituellen Aspekt der Natur istauf eine bestimmte geistige Einstellung zurückzuführen. Wenn wiruns weigern, unsere Rolle innerhalb der Natur zu akzeptieren undden Anteil der Natur in uns, stören wir den freien Fluß deslebensspendenden Magnetismus zwischen Teil und Ganzem. Wennbestimmte Elemente fehlen, die wichtig für die Funktionsfähigkeitdes spirituellen Aspektes sind, geht das zu Lasten derpsychischen Gesundheit.

Page 160: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Psychoanalyse sieht die Unterdrückung von Gefühlen alsHauptauslöser für psychische Krankheiten an. Zu dieser Ansichtkam sie, weil extreme Unterdrückung sexueller Gefühle krankhafteFolgen hat. Die Psychoanalytiker haben jedoch nicht erkannt, daßdie Wurzel der Unterdrückung sexueller Gefühle, außer wenn siedurch äußere Umstände bedingt ist, was dann nicht zu einerAbspaltung führt, wesentlich tiefer liegt als im Sex selbst. DieUnterdrückung sexueller Gefühle geht auf eine falsch verstandeneSpiritualität zurück, auf eine unnatürliche Überspitzung undIdealisierung, die darin endet, daß ein Lebewesen demLebensspender oder höheren Aspekt der Natur keine Sympathie,Anerkennung und Dankbarkeit mehr entgegenbringt. Ausgelöst wirddiese Haltung durch eine Art spiritueller Eitelkeit, die dieprimitiveren Aspekte der Natur als unter ihrer Würde liegendansieht.Aufgrund unserer unechten Ideale und falschen Wertvorstellungensind in unserer Gesellschaft so viele neurotische Krankheitenentstanden. Weil wir Cloacina und Priapus nicht den Platzeinräumen, der ihnen zusteht, ist der Sonnengott zornig auf unsund trennt uns von seinem göttlichen Einfluß ab, denn wenn wirseine untergeordneten Aspekte beleidigen, beleidigen wir damitauch ihn selbst.Wenn ein Lebewesen nicht zeugungs- oder empfängnisfähig ist,reagiert es auf sexuelle Annäherung mit Abscheu. Das ist dann dienatürliche Basis der Sittsamkeit, die den Organismus vorVerschwendung und Erschöpfung schützt. Weil eine Ansammlung vonzerfallenden Exkrementen krankheitserregend ist, wirkt derGestank dieser Exkremente abstoßend auf alle Lebewesen, selbstauf diejenigen, die auf der niedrigsten Entwicklungsstufe stehen,und sie halten sich von den Exkrementen fern. Durch diese beidenGrundimpulse des Abscheus, die, wenn sie natürlich sind, ihrenSinn und Zweck haben, sind in unserer künstlichen Zivilisationalle möglichen irrationalen Tabus entstanden. Die Abscheu wirdübertrieben und dient nicht länger ihrem biologischen Zweck.Unsere Einstellung zu zwei wichtigen Bereichen des natürlichenLebens ist, daß wir sie als unnatürlich, erniedrigend undvergiftend betrachten. Dadurch verlieren wir den Kontakt zurErde, der Energiekreis ist unterbrochen, und auch die himmlischenEnergien erreichen uns nicht mehr. Dieser Energiekreis verläuftvon Kether durch Tiphereth und Jesod hindurch zu Malkuth. Ist eran irgendeiner Stelle unterbrochen, kann er natürlich nicht mehrfunktionieren. Sicherlich kann man den Energiekreis nicht aufDauer unterbrechen, solange man in einem physischen Körper lebt,denn die Lebensprozesse sind so tief in unserer Natur verankert,daß wir sie nicht völlig unterdrücken können. Unsere geistigeEinstellung kann den freien Fluß jedoch derartig hemmen, soisolieren und stoppen, daß nur noch ein dünnes Rinnsaldurchdringt, weil der Organismus auf Abwehr geschaltet ist.

Page 161: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

In Tiphereth, dem Sonnenzentrum, manifestiert sich dasSpirituelle im Natürlichen, und wir sollten dem SonnengottEhrerbietung entgegenbringen, da er dafür sorgt, daß diespirituellen Prozesse in der Natur verankert werden. DieSpiritualisierung natürlicher Prozesse spielt in der menschlichenLeidensgeschichte eine nicht unerhebliche Rolle.

IVDie zu Tiphereth gehörenden Symbole sind sehr aufschlußreich,wenn wir sie zu allem, was wir über die sechste Sephirah bereitswissen, in Beziehung setzen, denn wir haben hier eineinzigartiges Beispiel dafür, wie die einer bestimmten Sephirahzugeordneten Symbole miteinander verwoben sind undAssoziationsketten entstehen lassen.Das hebräische Wort Tiphereth bedeutet Schönheit. Von den vielenDefinitionen, die es für dieses Wort gibt, ist diezufriedenstellendste wohl diejenige, nach der Schönheit sich inangemessenen und harmonischen Proportionen ausdrückt, sowohl wasden moralischen als auch den materiellen Bereich betrifft.Deswegen ist es interessant, daß die Sephirah der Schönheit derMittelpunkt oder Gleichgewichtspunkt des gesamten Baumes ist unddaß eine der ihr zugeordneten spirituellen Erfahrungen in derVision der Harmonie der Dinge liegt.Es ist eigenartig, daß Tiphereth mit zwei getrennten und auf denersten Blick völlig unzusammenhängenden spirituellen Erfahrungenin Verbindung gebracht wird. Tiphereth ist tatsächlich dieeinzige Sphäre im Baum, bei der das der Fall ist. Sie ist auchdie einzige Sephirah, zu der mehrere magische Bilder gehören. Wirmüssen uns also fragen, warum diese Sephirah so unterschiedlicheAspekte aufweist. Die Antwort finden wir im Buch Jezirah, in demes heißt, daß »der sechste Pfad die vermittelnde Intelligenzgenannt wird«. Ein Vermittler ist vor allem ein Bindeglied.Deshalb ist Tiphereth in ihrer zentralen Position als»Doppelstecker« zu betrachten, denn einerseits fließen in sie die»Ströme der Emanationen ein«, andererseits »läßt sie diesenEinfluß in alle Reservoire der Segnungen strömen«. Wir können siedeshalb als äußere Manifestation der fünf höheren Sephirothverstehen und gleichzeitig als spirituelles Prinzip hinter denvier Sephiroth der dichten Materie. Vom Blickwinkel der Form ausgesehen ist Tiphereth Kraft, vom Blickwinkel der Kraft ausgesehen ist sie Form. In Wirklichkeit aber ist sie diearchetypische Sephirah, in der die großen Prinzipien, die diefünf höheren Sephiroth versinnbildlichen, ausformuliert werden.»In ihr vervielfältigen sich die Ströme der Emanationen«, wie esim Sepher Jezirah heißt.Der Name Zeir Anpin, kleiners Angesicht, im Unterschied zur ArikAnpin, dem gewaltigen Angesicht, wie Kether genannt wird,verdeutlicht das. Die formlosen Formulierungen Kethers nehmen in

Page 162: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

dieser Sphäre des höheren Geistes Form an. Wie bereits erwähnt,wird Kether in Tiphereth reflektiert. Der Alte der Tage siehtsein Bild wie in einem Spiegel, und dieses Spiegelbild desgewaltigen Angesichts wird kleineres Angesicht oder Sohn genannt.Von oben betrachtet ist Tiphereth eine niedere Manifestation undeine jüngere Generation, von unten her, also vom StandpunktJesods und Malkuths aus betrachtet, jedoch auch Adam Kadmon, derarchetypische Mensch. Tiphereth ist Melekh, der König, der GatteMalkahs, der Braut, wie Malkuth genannt wird.In Tiphereth finden wir die archetypischen Vorstellungen, die dasunsichtbare Gerüst für die ganze manifeste Schöpfung bilden, diedie Urprinzipien ausgestalten und ausdrücken, die von denfeineren Sephiroth ausgeströmt werden. Diese Sephirah istsozusagen die Schatzkammer der Vorstellungen auf einem höherenBogen. Während die astrale Ebene von Vorstellungen bevölkertwird, die Reflexionen von Formen sind, entstehen dieVorstellungen in der Tiphereth - Sphäre aus den spirituellenEmanationen der höheren Potenzen, sie kristallisieren sichsozusagen aus ihnen heraus.Tiphereth vermittelt zwischen dem Mikrokosmos und demMakrokosmos. »Wie unten, so oben« ist der Wahlspruch der Shemesh- Sphäre, in der die Sonne hinter der Sonne sich zurManifestation verdichtet.Die Erklärung für jede Art der Organisation und Evolution liegtin der Anatomie ^göttlichen Menschen. Das materielle Universumsind ganz wörtlich die Organe und Glieder dieses göttlichenMenschen. Wenn wir begreifen, daß die Seele Adam Kadmons aus den»Strömen der Emanationen« besteht, können wir auch erahnen, wieseine Anatomie arbeitet, und nur wenn wir die Funktion einesKörperteils begreifen, können wir ihn auch sinnvoll einsetzen.Die Wissenschaft hat deshalb so wenig philosophisches Gewicht,weil sie ihre Aufgabe hauptsächlich in der Beschreibung vonDingen sieht und davor zurückschreckt, deren Sinn und Zweck zuerklären.In der transzendentalen Psychologie, die man auch den Körper desMikrokosmos nennen könnte, wird Tiphereth die Brust zugeordnet.In der Brust liegen die Lunge und das Herz und direkt unterhalbdieser Organe der Solarplexus, wie die alten Anatomen diesesgrößte Netzwerk von Nerven im Körper sehr treffend getauft haben,das eng mit den über ihm liegenden Organen verbunden ist und siesteuert. Die Lunge sorgt für eine einzigartig enge Verbindungzwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos. Sie steuert denunaufhörlichen Fluß des Atems hinein und hinaus, Tag und Nacht,bis die goldene Kugel zerbricht, der silberne Faden schlaff wirdund wir aufhören zu atmen. Das Herz reguliert den Blutkreislauf,und das Blut ist, wie Paracelsus ganz richtig bemerkte, eine»außergewöhnliche Flüssigkeit«. In der modernen Medizin ist derEinfluß des Sonnenlichtes auf das Blut durchaus bekannt. Dort

Page 163: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wurde auch entdeckt, daß das Chlorophyll, eine inPflanzenblättern vorkommende, grüne Substanz, die es den Pflanzenermöglicht ihre Energie aus dem Sonnenlicht zu ziehen, sicherheblich auf den Blutdruck auswirkt.Die drei magischen Bilder Tiphereths sind insofern eigenartig,als sie auf den ersten Blick so wenig miteinander zu tun haben,daß sie sich sozusagen gegenseitig ausschließen. UnterBerücksichtigung dessen, was wir bereits über Tiphereth wissen,werden ihre Bedeutung und ihre Berührungspunkte miteinanderdeutlich. Sie sprechen eine symbolische Sprache, besonders in demMoment, in dem man sie zum Leben Jesus Christus, des Sohnes inBeziehung setzt.Tiphereth als erste Kristallisation der höchsten Sephiroth wirdals neugeborenes Kind in der Krippe in Bethlehem dargestellt.Als geopferter Gott wird Jesus zum Mittler zwischen Gott und denMenschen. Nachdem er von den Toten auferstanden ist, ist er einKönig, der in sein Königreich kommt. Tiphereth ist das KindKethers und der König Malkuths, und in seiner eigenen Sphäre wirder geopfert.Wir werden Tiphereth erst dann begreifen, wenn wir eineVorstellung davon haben, was ein Opfer ausmacht, die sich von derlandläufigen Meinung, daß ein Opfer das freiwillige Aufgeben vonetwas Teurem und Liebem ist, wesentlich unterscheidet. BeimOpfern wird Kraft von einer Form in eine andere übersetzt. DieKraft wird nie völlig zerstört, egal wie sehr sie aus unseremGesichtskreis verschwinden mag. In irgendeiner Form taucht siewieder auf, denn nach dem großartigen Naturgesetz, das unserUniversum am Leben hält, bleibt Energie immer erhalten. Sie kannin einer Form eingeschlossen und deswegen statisch sein, sie kannaber auch, aus den Fesseln der Form befreit, im Raumumherschweben. Wenn wir irgend etwas opfern, nehmen wir eineForm, in der statische Energie vorhanden ist, zerbrechen dieseForm und befreien so die Energie. Alles, was wir als Form opfern,wird zu irgendeinem geeigneten Zeitpunkt als andere Form wiederauftauchen. Wenn wir diese Idee auf die religiösen und ethischenVorstellungen des Opferns übertragen, ergeben sich daraus einigewichtige Hinweise.Der Gottesname in der Tiphereth - Sphäre ist Eloah va Daath.Durch diesen Namen wird eine enge Beziehung mit der unsichtbarenSephirah hergestellt, die zwischen ihr und Kether liegt. DieSephirah Daath ist, wie wir bereits herausgefunden haben, ambesten als Verstehen zu definieren, als heraufdämmerndesBewußtsein. »Tetragrammaton Eloah va Daath« könnten wir mit »dieOffenbarung Gottes in der Sphäre des Geistes« übersetzen.Im Mikrokosmos stellt Tiphereth das höhere spirituelle Bewußtseindar, das Bewußtsein der Individualität oder des höheren Selbst.Sie ist vor allem die Sphäre der religiösen Mystik im Gegensatzzur Magie und Übersinnlichkeit Jesods. Ich möchte daran erinnern,

Page 164: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

daß die Sephiroth auf der mittleren Säule des BaumesBewußtseinsebenen darstellen, während die Sephiroth auf denbeiden seitlichen Säulen als Kräfte und Funktionsarten zuverstehen sind. Tiphereth wird auch als die Sphäre ^größerenMeister bezeichnet. Diese Sephirah ist der Tempel, der nicht vonMenschenhand gebaut wurde, der ewig besteht im Himmel und in dergroßen weißen Loge. In dieser Sphäre bewegt sich der eingeweihteAdept, wenn er sich im höheren Bewußtseinsstadium befindet, hiertrifft er seine Meister, und durch den Namen, also dadurch, daßer die Bedeutung des Namens Eloah va Daath begreift, öffnet erdie Tore zum höheren Bewußtsein.Je bedeutungsvoller ein Wort für uns ist, desto mehr wird es zumWort der Macht. Für einen Mörder ist der Name seines Opfers einWort der Macht. In einigen Ländern, in denen der Einfluß dieserWorte der Macht bekannt ist, wird ein Verdächtiger während einespolizeilichen Verhörs an ein Gerät angeschlossen, das dieSchwankungen seines Blutdrucks aufzeichnet, während er befragtwird. Der Name des Opfers und andere Worte, die mit demVerbrechen in Verbindung stehen, werden ihm plötzlichüberraschend ins Ohr geflüstert. Wenn diese Begriffe für ihnWorte der Macht sind, wird das Gerät das zweifelsohne anzeigen.Es wird gemeinhin angenommen, daß die Worte der Macht einendirekten Einfluß auf Geister, Engel, Dämonen und ähnlichesausüben. Das ist jedoch nicht richtig. Der Name der Macht wirktauf die Person des Magiers. Er steigert das Bewußtsein, steuertes und bringt die Person dadurch in Kontakt mit dem erwünschtengeistigen Einfluß. Wenn der Magier mit dieser Art Einfluß bereitsvertraut ist, wird der Name der Macht starke unbewußteErinnerungen wecken. Wenn er den Einfluß nicht kennt und dieAngelegenheit mit der phantasielosen und zweifelnden Einstellungdes Wissenschaftlers angeht, werden die »barbarischen Namen derAnrufung« nichts anderes für ihn sein als Hokuspokus. An dieserStelle möchte ich daraufhin weisen, daß das Wort Hokuspokus, mitdem die Protestanten Dinge bezeichnen, die ihrer Meinung nachTäuschung oder Aberglaube sind, für die gläubigen Katholikenvöllig anders klingt, da in Hokuspokus das Wort hoax steckt, dashoc est corpus bedeutet und hinter dem sie deshalb natürlichetwas ganz anderes sehen. So verschieden kann eine Sacheaussehen, je nachdem von welchem Blickwinkel aus man siebetrachtet.Das ist auch ein Grund dafür, daß jeder Sephirah eine bestimmtespirituelle Erfahrung zugeordnet wird, und solange eine Persondiese spirituelle Erfahrung nicht gemacht hat, ist sie in dieseSephirah nicht eingeweiht und kann den Namen der Macht nichtanwenden, selbst wenn sie ihn kennt. Nach der Tradition genügt esnicht, einen Namen der Macht zu kennen, man muß ihn auchvibrieren können. Allgemein herrscht die Ansicht vor, daß dasVibrieren eines Namens der Macht darin besteht, ihn in der

Page 165: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

richtigen Tonhöhe zu singen. Magische Vibration ist jedoch weitmehr als das. Wenn ein Mensch tief bewegt und gleichzeitig vonHingabe ergriffen ist, sinkt die Stimme mehrere Tonlagen nachunten, vibriert und klingt voller. In diesem emotionalen Zitternder Stimme, die erfüllt ist mit Hingabe, liegt das Geheimnis desVibrierens; das kann man weder lernen, noch kann es gelehrtwerden, es kann nur spontan auftreten. Es ist wie der Wind, derbläst, wohin es ihm gefällt. Wenn das Erlebnis kommt, wird manoft von Kopf bis Fuß ergriffen, wie von einer Welle lodernderHitze, und alle, die es zufällig miterleben, horchen auf. EinWort der Macht vibriert zu hören, ist ein außergewöhnlichesErlebnis. Ein noch außergewöhnlicheres Erlebnis ist es, selbst zuvibrieren.Der Erzengel Tiphereths ist Raphael, der »Geist, der in der Sonnesteht« und der auch der heilende Erzengel ist.Wenn ein Eingeweihter den Baum bearbeitet, das heißt, wenn er inseiner Vorstellung das Diagramm des Lebensbaumes in seiner Auraaufbaut, plaziert er Tiphereth in seinem Solarplexus, alsozwischen Unterleib und Brust. Hat er vor, in der Sphäre dersechsten Sephirah zu arbeiten und konzentriert die Kraft indiesem Zentrum, wird er sich plötzlich selbst als Geist in derSonne wiederfinden, um ihn herum die strahlende Photosphäre. Esist ein Unterschied, ob man die Sephirah in der Aura visualisiertoder ob man sich direkt in der Sephirah wiederfindet. Man kannzwar auch von einer Sephirah beeinflußt werden, wenn man dieAuramethode anwendet, die eine gute tägliche Übung darstellt,aber erst wenn man das Innere nach außen gekehrt hat, wenn alsodie Sphäre statt in einem zu sein um einen herum ist, wenn manselbst in der Sphäre ist, erst dann kann man mit den Kräfteneiner Sephirah arbeiten. Diese Erfahrung ist das höchste Erlebnisder Einweihung in eine Sephirah.Die zu Tiphereth gehörende Ordnung der Engel sind die Melachimoder Könige. Sie verkörpern die geistigen Prinzipien natürlicherKräfte. Niemand kann diese Kräfte steuern oder eine ständigeVerbindung zu ihnen aufbauen, wenn er nicht die Einweihung inTiphereth besitzt, die dem Grad des Adeptus Minor entspricht. Ermuß von den Königen der Elementarkräfte anerkannt werden, dasheißt, die letztendlich geistige Natur der Naturkräfte muß ihmeingängig sein, bevor er in ihrer Urform mit ihnen umzugehenvermag. Als subjektive Kräfte erscheinen sie im Mikrokosmos inForm von mächtigen Instinkten wie dem Kampfgeist, demFortpflanzungstrieb, dem Instinkt der Selbsterniedrigung oder derSelbsterhöhung und in der Form aller möglichen, den Psychologenbekannten, emotionalen Faktoren. Es ist deshalb einsichtig, daß,wenn wir diese Emotionen stimulieren und aufwirbeln, wir auchfähig sein sollten, sie in den Dienst unseres höheren Selbst zustellen, das von der Vernunft und von spirituellen Prinzipiengesteuert wird. Wenn wir also mit den Elementarkräften arbeiten

Page 166: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wollen, sollten wir die Könige miteinbeziehen und die Arbeitunter den Schutz des Erzengels stellen, indem wir den zu derSphäre gehörenden heiligen Namen Gottes anrufen. Mikrokosmischgesehen bedeutet das, daß die gewaltigen Antriebskräfte unsererNatur mit dem höheren Selbst in Verbindung gebracht werden, stattsie abzuspalten und sie so in die kelippothische Unterwelt desFreudschen Unbewußten absinken zu lassen.Operationen mit den Elementarkräften werden in der SphäreTiphereths natürlich nicht ausgeführt. Sie sollten aber durchTiphereth unter Kontrolle gehalten werden, damit sie im Bereichder weißen Magie bleiben. Wenn diese Kontrolle von höherer Ebenefehlt, werden sie bald in schwarze Magie umschlagen. Es heißt,daß während des Falles die vier unteren Sephiroth von Tipherethgetrennt wurden und sich zu den Kelippoth gesellten. Wenn dieElementarkräfte sich in unserer geistigen Vorstellung von ihrerspirituellen Grundlage trennen und zum Selbstzweck werden, findetein Fall statt, dem bald die Degeneration folgen wird, selbstwenn wir gar nichts Böses beabsichtigt hatten und lediglich mitdiesen Kräften experimentieren wollten. Nehmen wir jedoch klardie spirituelle Grundlage aller natürlichen Dinge wahr, dannerfassen wir sie in einem Stadium der Unschuld, um an dieserStelle einen theologischen Ausdruck zu verwenden, der mit festenAssoziationen verbunden ist. Sie sind nicht »gefallen«, und wirkönnen ohne Gefahr mit ihnen arbeiten und sie in unserem eigenenWesen fördern. Das schafft in uns einen Zustand des Sich - Frei -Fühlens und der Ausgeglichenheit, der für unsere geistigeGesundheit so enorm wichtig ist. Das Herstellen dieser Verbindungzwischen dem Natürlichen und dem Spirituellen, wodurch letzteres»Ungefallen« und im Zustand der Unschuld bleibt, ist einwichtiger Faktor bei allen praktischen Arbeiten in jeder Art vonMagie.

VWie wir bereits festgestellt haben, besteht die Initiation inTiphereth in zwei spirituellen Erfahrungen. In der Vision derHarmonie der Dinge und in der Vision der Mysterien derKreuzigung. In anderem Zusammenhang haben wir bereits gesehen,daß es zwei Aspekte bei Tiphereth gibt und daß es deshalb bei derEinweihung auch zwei spirituelle Erfahrungen geben muß.In der Vision der Harmonie der Dinge erhalten wir tiefen Einblickin die spirituelle Seite der Natur. Anders ausgedrückt treffenwir auf die Engelskönige, die Melachim. Aufgrund der Erfahrung,die wir bei dieser Vision machen, verstehen wir, daß dasNatürliche nichts anderes ist als etwas Spirituelles, das sichverdichtet hat; das äußere Gewand der Verheimlichung, das dasinnere Gewand der Herrlichkeit bedeckt. Genau dieses Begreifender spirituellen Bedeutung des Natürlichen istBedauernswerterweise im modernen religiösen Leben nicht mehr

Page 167: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

vorhanden, und deshalb gibt es so viele neurotische Krankheitenund so viele unglückliche Ehen.Wir werden eins mit der Natur durch die Vision der Harmonie derDinge und nicht dadurch, daß wir direkt in Kontakt mit denelementaren Vorgängen treten. Menschen, die kulturell über demprimitiven Niveau stehen, können nicht auf der Elementarebene mitder Natur eins werden, denn dann würden sie degenerieren und»biestig« im doppelten Sinn des Wortes werden. Der Kontakt mitder Natur geschieht über die Engelskönige, die Könige derElemente, in der Sphäre Tiphereths. Mit anderen Worten wird derKontakt durch das Begreifen der spirituellen Prinzipien, diehinter jedem natürlichen Ding stehen, hergestellt. Dann kommt derEingeweihte im Namen ihres Königs zu den Wesen derElementarsphäre. Er steigt von oben in das Königreich derElementarkräfte hinab und kommt als Mensch. Dadurch kann er fürdie Elementarwesen die Funktion eines Einweihers haben. Wenn ersie auf ihrer eigenen Ebene trifft, verliert er seineMenschlichkeit und kehrt zu einer früheren Evolutionsphasezurück. Wenn elementare Kräfte nicht durch ein animalischesGehirn begrenzt und kontrolliert werden, fließen sie alsunausgewogene Kräfte durch die weiten Kanäle des menschlichenIntellektes. Das Resultat ist dann Chaos, eins der Königreicheder Kelippoth.Die Mysterien der Kreuzigung haben sowohl makrokosmische als auchmikrokosmische Bedeutung. Ihren makrokosmischen Aspekt finden wirin den Mythen über die großen Erlöser der Menschheit, die immereinen Gott als Vater und eine Jungfrau als Mutter haben, womitnoch einmal auf die dualistische Natur Tiphereths hingewiesenwird, der Sephirah, in der sich Form und Kraft treffen. Wirwollen jedoch auch ihren mikrokosmischen Aspekt erwähnen, der inder Erfahrung des mystischen Bewußtseins liegt. Durch dasBegreifen ^Mysterien der Kreuzigung, die zum Bereich dermagischen Kraft des Opfers gehören, werden wir fähig, die Grenzendes Bewußtseins unseres Gehirns zu überschreiten, das aufEmpfindungen beschränkt und an Formen gewöhnt ist, und in daswesentlich erweiterte Bewußtsein der höheren spirituellen Stufeneinzutreten. So wird es uns möglich, die Form zu transzendierenund dabei verborgene Kraft freizusetzen, die dann nicht mehrstatisch, sondern kinetisch ist, und die beim großen Werk, demWerk der Regeneration, mitwirkt.Hingabe ist auf dem Weg der Einweihung ein wichtiger Faktor, deruns den Zugang zum höheren Bewußtsein öffnet. Deswegen solltenwir gründlich untersuchen, aus welchen Komponenten Hingabebesteht. Man könnte sie als Liebe zu etwas definieren, das größerist als man selbst, etwas, das unseren Idealismus weckt. Etwas,von dem wir bezweifeln, daß wir es jemals ganz erreichen werden,das wir aber als Ziel anstreben. »Wer im Spiegel die Herrlichkeitdes Herrn schaut, verwandelt sich in dieses Bild von Herrlichkeit

Page 168: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

zu Herrlichkeit.« Wenn der Hingabe ein starker Anteil anEmotionen beigemischt ist, wird sie zur Anbetung und trägt unsüber den großen Abgrund zwischen dem Faßbaren und dem Nicht -Faßbaren. Sie macht uns fähig, Dinge zu begreifen, die das Augenie gesehen und das Ohr nie vernommen hat. Durch diese sich zurAnbetung steigernde Hingabe an das große Werk werden wir in dieMysterien der Kreuzigung eingeweiht.Das Laster Tiphereths ist der Stolz. Diese Zuordnung läßt sichpsychologisch gut begründen. Die Wurzeln des Stolzes liegen imEgoismus, und solange wir selbstzentriert sind, können wir nichteins werden mit allen Dingen. Wahre Selbstlosigkeit auf demöffnet die Grenzen der Seele und läßt uns durch Sympathie undvollkommene Liebe in alle Dinge eindringen. Der bewegt die Seeledazu, ihre Grenzen solange zu erweitern, bis sie alle Dingebesitzt, und es besteht ein großer Unterschied zwischen demBesitzergreifen von Dingen und dem Einswerden mit ihnen. Wenn wirmit ihnen eins werden, dann besitzen sie uns so, wie wir siebesitzen. Das Laster des Adepten ist ein einseitiges Besitzenwollen. Er muß nehmen und geben können, und er muß sich selbstohne Vorbehalte hingeben können, wenn er an der mystischenEinheit teilhaben will, die durch das Opfer der Kreuzigungmöglich wurde. »Wer unter euch der Größte sein will, soll euerDiener sein«, hat Gott, der Herr, gesagt.Die Symbole Tiphereths sind das Lamen, das Rosenkreuz, dasKalvarienkreuz, die stumpfe Pyramide und der Kubus. Das Lamen istdas Symbol auf der Brust des Adepten und symbolisiert die Kraft,die er verkörpert. Ein Adept zum Beispiel, der die Sphäre Shemeshbearbeitet, würde auf seiner Brust ein Symbol der strahlendenSonne tragen. Das Lamen ist die magische Waffe Tiphereths, und indiesem Zusammenhang ist es notwendig, etwas über das Wesen dermagischen Waffen im allgemeinen zu sagen, damit die Rolle desLamens nachvollziehbar wird.Eine magische Waffe ist ein Gegenstand, der als geeignetangesehen wird, als Vehikel für eine bestimmte Kraftart zudienen. Die magische Waffe des Elementes Wasser istbeispielsweise eine Schale oder ein Kelch, die magische Waffe desElementes Feuer ist eine brennende Lampe. Die Gegenstände wurdendeshalb gewählt, weil ihre Natur dem Wesen derheraufzubeschwörenden Kraft ähnelt. Im modernen Sprachgebrauchwürde man sagen, daß ihre Form in der Vorstellung Assoziationenhervorruft, die die gewünschte Kraft nachempfindbar machen.Tiphereth wird traditionell mit dem Bereich der Brust inVerbindung gebracht, einmal durch das Netz von Nerven, dasSolarplexus heißt, und zum anderen aufgrund ihrer Position, wennder Baum in die Aura übertragen wird. Infolgedessen wird derBrustschmuck des Adepten als Konzentrationspunkt dertipherethischen Kräfte angesehen, egal um welche Operation essich handelt. Die Kraft selbst, die in ihrer eigenen Sphäre

Page 169: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wirkt, wird durch die entsprechende magische Waffe symbolisiert.Beispielsweise wäre die magische Waffe eines Adepten, der mit demElement Wasser arbeitet, der Kelch, und mit dem Kelch würde eralle magischen Zeichen machen und auf ihn die Kraftkonzentrieren, die er heraufbeschwört. Auf seiner Brust würde erdas Siegel des Elementes Wasser tragen, das den spirituellenFaktor bei der Operation symbolisiert und das sich auf denErzengel bezieht, der über dieses spezielle Königreich gebietet.Wenn der Adept den Unterschied zwischen der Bedeutung seinesLamens und seiner magischen Waffe nicht kennt, ist er kein Adept,sondern ein Zauberer.Sowohl das Rosenkreuz als auch das Kalvarienkreuz werden alsSymbole der Tiphereth - Sphäre betrachtet. Um ihre Bedeutung zuverstehen, müssen wir uns etwas mit den Kreuzen im allgemeinenund ihrer Funktion in den verschiedenen Symbolsystemen befassen.Das bekannteste Kreuz ist sicherlich das Kalvarienkreuz, schonwegen seiner Verbindung zum Christentum. Daneben gibt es abernoch viele andere Arten von Kreuzen, von denen jedes seine genaufestgelegte Bedeutung hat. Das gleicharmige Kreuz, wie wir es zumBeispiel beim Roten Kreuz und im medizinischen Bereich der Armeefinden, wird von den Eingeweihten als Kreuz der Natur bezeichnetund stellt die Kraft im Gleichgewichtszustand dar. Man findet esan der Spitze einiger keltischer Kreuze, und es ist oft noch voneinem Kreis umgeben. Das keltische Kreuz hat einen abgeschrägtenSchaft, der in einem Naturkreuz endet und steht folglich nicht inBezug zum Kalvarienkreuz oder christlichen Kreuz. Derabgeschrägte Schaft des keltischen Kreuzes ist eigentlich einestumpfe Pyramide, und es gibt einige Kreuze dieses keltischenTypus, die das zweifelsfrei erkennen lassen. Einige archaischeFunde legen die Vermutung nahe, daß früher ein Kreuz im Kreis aufdiesen kegelförmigen, phallischen Steinen stand, die im Altertumein beliebtes Objekt der Anbetung darstellten.Der Svastika ist ebenfalls ein Naturkreuz und wird manchmal auchdas Kreuz des Thor oder der Hammer des Thor genannt. Die Form desSvastika soll die wirbelnde Energie seiner Donnerschlägeversinnbildlichen.Das Kalvarienkreuz ist gleichzeitig auch das Opferkreuz undsollte deshalb von schwarzer Farbe sein. Der Kreuzschaft solltedie dreifache Länge der Kreuzarme haben, und diese sollenwiederum jeweils dreimal so lang wie breit sein. Die Meditationüber das Kreuz führt über Leiden, Opfer und Selbstverzicht zurEinweihung. Das Kruzifix ist dann natürlich eine andere Form desKalvarienkreuzes.Der Kreis auf dem Kreuz ist das Symbol für Einweihung,insbesondere dann, wenn das Kreuz auf drei Stufen steht, waseigentlich hier der Fall sein sollte. Der Kreis symbolisiertewiges Leben und Weisheit, und wir finden ihn im Emblem derTheosophischen Gesellschaft, deren Wappentier die Schlange mit

Page 170: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Schwanz im Maul ist. Ein Kalvarienkreuz innerhalb des Kreisesbedeutet Einweihung auf dem Weg des Kreuzes, und die drei Stufenstehen symbolisch für die drei Grade der Erleuchtung. Das istdann auch beim sogenannten Rosenkreuz der Fall. Das kunstvolleGebilde, das sich über das Kreuz rankt, ist kein Symbol derEinweihung. Die in der westlichen Welt mit dem Rosenkreuzassoziierte Rose ist die Rosa Mundi, in der der Schlüssel zurDeutung der Naturkräfte liegt. Auf ihren Blütenblättern findensich die zweiunddreißig Symbole der Naturkräfte. Diese Zeichenentsprechen genau den zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischenAlphabeths und den zehn heiligen Sephiroth. Buchstaben undSephiroth wiederum lassen sich auf die zweiunddreißig Pfade desLebensbaumes verteilen, womit wir Zugang zur Symbolik der RosaMundi haben. Die eigenartigen Zeichen, die als Siegel derElementargeister bezeichnet werden, entstehen, indem dieeinzelnen Buchstaben des Namens für den jeweiligen Geist auf derRose durch eine Linie verbunden werden.Jetzt wissen wir wenigstens genau, welchen Hintergrund diejenigenOrganisationen haben, die eine Blume als Verzierung in ihremEmblem tragen. Sie stehen auf gleicher Stufe mit dem englischenGentleman, der in seinem Kurzwarenladen nach einer Krawatte imSchuluniformstil mit ein klein bißchen Rot drin verlangte.Der Kubus wird normalerweise Tiphereth zugeordnet, da er sechsSeiten hat und Sechs die Zahl Tiphereths ist. Aber in derSymbolik des Kubus ist noch mehr enthalten. Er ist die einfachsteder möglichen soliden Formen und paßt deshalb als Symbolbesonders gut zu Tiphereth, in deren Sphäre die ersten Vorbotender Form zu finden sind. Das Symbol Malkuths ist der Doppelkubus,der das hermetische »wie oben, so unten« versinnbildlicht.Die Pyramide symbolisiert den perfekten Menschen, der fest aufder Erde steht und bis in die himmlische Sphäre hineinreicht,oder anders gesagt symbolisiert sie den Ipsismus. Die stumpfePyramide stellt den eingeweihten Adepten oder Adeptus Minor dar,der den Schleier zerrissen, seine Grade aber noch nicht allevollzogen hat. Diese stumpfe Pyramide, deren sechs Seiten densechs mittleren Sephiroth entsprechen, aus denen wiederum AdamKadmon, der archetypische Mensch, sich zusammensetzt, wirdvervollständigt durch die drei Höchsten, die in der EinheitKethers enden.Die Sechsen des Tarotspiels werden ebenfalls Tipherethzugeordnet. An ihnen zeigt sich deutlich die harmonische,ausgeglichene Natur dieser Sephirah. Die Sechs der Stäbe ist derHerr des Sieges, die Sechs der Kelche der Herr der Freude. Selbstder bösartige Satz der Schwerter verwandelt sich in dieser Sphärein Harmonie. Die Sechs der Schwerter wird Herr des verdientenErfolges genannt, also des Erfolges, der nach harten Kämpfenerreicht wurde. Die Sechs der Münzen nennt sich Herr desmateriellen Erfolges oder anders ausgedrückt Kraft im

Page 171: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Gleichgewicht.

Dritter Teil

21. Die vier unteren Sephiroth

Die zehn heiligen Sephiroth lassen sich in ihrer traditionellenAnordnung im Baum des Lebens in drei horizontale und dreivertikale Figuren oder Säulen unterteilen. Die oberste dieserdrei horizontalen Unterteilungen wird durch die drei Höchstengebildet, die praktisch jenseits unseres Begriffsvermögensliegen. Wir setzen sie als Grundlagen für die aus ihnenhervorgehenden Manifestationen voraus. Sie verkörpern das reineSein und die entgegengesetzten Prinzipien der Aktivität undPassivität und werden deshalb höchstes Dreieck genannt.Das nächstfolgende Funktionsdreieck im Baum wird von Chesed,Gevurah und Tiphereth gebildet. Hierbei handelt es sich um dieaktiven Prinzipien des Anabolismus, des Katabolismus und desGleichgewichts, die man abstraktes Dreieck nennt.Wir haben die sechs oberen Sephiroth im einzelnen behandelt undgesehen, daß die drei höchsten Prinzipien die Grundlage derManifestationen sind, während die drei abstrakten Prinzipiendiesen Manifestationen Ausdruck geben. Die drei oberstenPrinzipien sind latent, die drei darunterliegenden patent. Wennwir diese Zusammenhänge verstehen, können wir die unendlicheVielfalt der Manifestationen auf den Ebenen der Form erklären,indem wir sie bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen und dann dieBeziehungen zwischen ihnen, die Art ihrer Interaktionen und ihreEntwicklung nachvollziehbar machen. In der Vergangenheit war dasnicht möglich, und es wird auch solange unmöglich bleiben, wieimmer wieder der Versuch unternommen wird, alle Dinge auf ihreForm zu reduzieren, statt die ihnen zugrundeliegende Kraft zuentdecken.Die unterste Funktionseinheit des Lebensbaumes wird nicht durchein Dreieck, sondern durch ein Quaternio gebildet. DieKabbalisten erklären seine Entstehung durch den Fall, bei dem derKopf Leviathans bis zu einem Punkt zwischen Jesod und Tipherethaus dem Abgrund emporstieg. Höher konnte er nicht steigen, und soblieben die vier unteren Sephiroth unangetastet. Andersausgedrückt, gehören die vier unteren Sephiroth den Ebenen derForm an, wo die Energie nicht frei beweglich ist, sondern»gebunden, gefesselt und geknetet«, den Ebenen, auf denen sie nurdurch zerstörerisches Wirken freigesetzt werden kann.Wir wissen bereits, daß Tiphereth das Gleichgewichtszentrum desBaumes ist. Aus Gleichgewicht entsteht Stabilität und aus dieserwiederum Zusammenhalt. Beim Herabsteigen des Lebens auf dem Pfadder Involution von Tiphereth an abwärts spielt das Prinzip der

Page 172: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Kohäsion oder des Zusammenhaltes eine immer wichtigere Rolle, bises in Malkuth seinen Höhepunkt erreicht.Wir wissen jetzt, daß die aktiven Prinzipien des abstraktenDreiecks beim Herabsteigen des Lebens über Netzach eineUnterteilung und Spezialisierung durchgemacht haben und in Jesodeinen hohen Grad an Vereinheitlichung erreichen. Dadurch werdendie Formen Malkuths geschaffen. Als Malkuth, die Ebene der reinenForm in ihrer Entwicklung fortgeschritten war, begann derevolutionäre Strom sich wieder in Richtung Geist zu bewegen. Erbefreite sich von der Knechtschaft der Form, bewahrte sich jedochdabei die Fähigkeiten, die er sich auf der Ebene der Formangeeignet hatte.Wir erkennen hier, daß viele abstrakte Prinzipien derLebensfunktion in eine Form gekleidet sind, was auf die Tatsacheihrer äußeren Manifestation im Reich der Form zurückzuführen ist.In der Sprache der Kabbalisten ausgedrückt heißt das, daß sie denEinfluß des Falls zu spüren bekommen und dadurch ihreUnberührtheit einbüßen.Durch diese Betrachtungen gewinnen wir Einblick in die Natur desQuaternios, das von den Ebenen der Form gebildet wird, und habendie Möglichkeit, den Mittelweg zwischen Leichtgläubigkeit undSkepsis in diesem Reich der Illusion, wie es manchmal leichtabwertend genannt wird, zu wählen.Die mächtige Flut des in der Entwicklung begriffenen Lebens, diedurch die Emanation Tiphereths entstanden ist, wird in derSephirah Netzach wie durch ein Prisma in eine vielstrahligeManifestation verwandelt, weshalb diese Sephirah im Buch Jezirahals »der strahlende Glanz« bezeichnet wird. In Hod werden dievielgestaltigen Energien in eine Form gekleidet, in Jesod dienensie als ätherische Gußform für die letzte Emanation in Malkuth.In Malkuth ist die Manifestation am Ende des nach außenverlaufenden Bogens der Involution angelangt, das Leben kehrt insich selbst zurück und folgt auf dem zurückführenden Bogen derEvolution einem parallelen Verlauf. Die menschliche Intelligenzentwickelt sich, stellt Betrachtungen über die kausalenZusammenhänge an und entdeckt die Götter. An dieser Stelle seiangemerkt, daß der primitive Mensch nie ohne Umwege beimMonotheismus anlangte. Er begriff die kausalen Zusammenhängezunächst immer als Vielform, und es dauerte Generationen, bis dievielen Götter zu dem Einen zusammenschmolzen.An dieser Stelle stellt sich eine Frage, die man fast als den»Hüter an der Schwelle« zur okkulten Wissenschaft bezeichnenkönnte, an der Schwelle zu dem Grauen, das auf jeden Abenteurerwartet, der die Reise ins Unbekannte wagen will. Dieses Grauenerfüllt die gleiche Funktion wie die Sphinx. Es stellt denWanderer vor die eine grundlegende Frage, von deren Beantwortungsein weiteres Schicksal abhängt. Wird er verdammt sein, im Reichder Illusionen zu wandeln? Wird er zurückgesandt werden auf die

Page 173: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Ebenen der Form, oder wird ihm der Zutritt zum Licht gewährtwerden? Die Frage lautet: Glaubst du an die Götter? Antwortet ermit ja, wird er im Reich der Illusion wandeln müssen, denn dieGötter sind keine realen Personen, so wie wir den Begriff Personverstehen. Antwortet er mit nein, wird er zum Tor zurückgesandtwerden, denn die Götter sind keine Illusion. Was also soll erantworten?Die Intuition eines Poeten gibt uns die Antwort:»Denn kein menschlicher Gedanke schuf Götter,um sie zu lieben und zu verehren,bevor das Lied der schweigenden Seele entsprang.Noch mag die Erde in Traum oder Tat den Himmel auf sich nehmen,bevor das Wort sich in Sprache von den Lippen des Menschenkleidete.«In diesem Gedicht liegt des Rätsels Lösung. Die Götter sind dieSchöpfung der Geschaffenen. Sie werden geboren aus der Anbetungihrer Anbeter. Nicht die Götter vollbringen das Werk derSchöpfung. Die gewaltigen Naturkräfte, jede auf ihre Weise,vollbringen es. Die Götter treten ihre Nachfolge an, nachdem derSchwan des Empyreums das Ei der Manifestation im Dunkel derkosmischen Nacht gelegt hat.Götter sind aus dem kollektiven Geist der verschiedenen Rassenentstanden, nicht aus Ehyeh, dem Einen, Ewigen emaniert. Dennochhaben die Götter eine große Macht, vereinen sie doch kraft ihresEinflusses auf die Phantasien derer, die sie anbeten, Mikro - undMakrokosmos. Meditation über die ideale Schönheit Apollos öffnetdie Seele des Menschen auch für das Schöne allgemein.Der Mensch hat das Leben analysiert, Stück für Stück seineUrsachen erforscht und sie zu Göttern erhoben. Er hat erkannt,daß ihm rund um den Erdball die gleichen Bedürfnisse undBeweggründe als Antrieb dienen und die entsprechenden Pantheonegeschaffen. Aufgrund unterschiedlicher Veranlagung entstanden soverschiedene Pantheone wie die blutrünstigen Dämonen Mexikos oderdie strahlenden Wesen Hellas'.An dieser Stelle wird die Frage aufgeworfen, ob Götterausschließlich subjektiv sind, ob sie lediglich in der Phantasieihrer Anbeter existieren oder ob sie ein Eigenleben führen. DieAntwort auf diese Frage liegt in einem Faktum der okkultenErfahrung, das mit unseren naturwissenschaftlichen Erkenntnissennicht zu erklären ist. Es handelt sich um eine Tatsache, diejeder Anhänger des Okkultismus als gegeben hinnehmen muß, um beider praktischen Arbeit überhaupt Ergebnisse zu erhalten. Mankönnte sogar sagen, daß die Ergebnisse von der Stärke seinesGlaubens abhängen, denn wenn er etwas glaubt, wird es im gleichenMoment für ihn wahr. Das hier angesprochene Faktum ist, daß nurein winzig kleiner Teil des geistigen Stoffes des Universums, wasimmer dieser Stoff auch sein mag, in die Gehirne undNervensysteme der empfindlichen Wesen eingebunden ist. Der größte

Page 174: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Teil dessen, was wir in Ermangelung eines besseren Ausdrucksgeistigen Grundstoff nennen wollen, weil dieses Wort den unsbekannten Dingen am nächsten kommt, ist auf der astralen Ebene,wie sie von den Okkultisten genannt wird, frei beweglich, bildetin sich selbst Formen, ist jedoch nicht notwendigerweise an dieMaterie gebunden. Verschiedene Okkultisten haben diesem freibeweglichen Stoff verschiedene Namen gegeben. Mme. Blavatskynennt ihn Akascha. Eliphas Levi bezeichnet ihn alsreflektierenden Äther. Netzach verkörpert den Energieaspektdieses Akascha, Hod den Formaspekt.Die Gußformen aller Formen sind aus diesem geistigen Grundstoffgemacht. In diesen Gußformen wiederum wird das Gerüst für dieätherischen Verdichtungen geschaffen, die dann in Jesod inErscheinung treten. In ihnen sind die Moleküle der Materieenthalten, die den Körper der Manifestation auf der physischenEbene bilden.Normalerweise werden diese Formen durch das kosmische Bewußtseinhervorgebracht und treten in Form von Naturgewalten inErscheinung, von denen jede ihrer Bestimmung gemäß wirkt. Als dasBewußtsein sich in den von Gott geschaffenen Kreaturen zuentwickeln begann, wirkte es in unterschiedlich starker Weise aufdiesen geistigen Grundstoff ein, der von seiner Natur her fürdiese Einflüsse empfänglich war. So haben »die Gedanken desMenschen die Götter geschaffen, um sie zu lieben und zuverehren«. Die so geschaffenen Formen wurden zu Kanälen derspeziellen Energien, die sie verkörpern sollten, und übertrugendiese Energien dann auf ihre Anbeter. In diesem erleuchtetenSinne glauben Eingeweihte nicht nur an die Götter, sondernverehren sie auch.

22. Netzach

Bezeichnung:Netzach, Sieg (Hebräische Schreibweise: jxb Nun, Tsaddi, Cheth.)Magisches Bild:Eine wunderschöne, nackte FrauPosition im Baum:Am Fuß der Säule der BarmherzigkeitText im Jezirah:Der siebte Pfad wird verborgene Intelligenz genannt, denn sie istder strahlende Glanz der intellektuellen Tugenden, wahrgenommenmit den Augen des Intellekts und durch die Kontemplationen desGlaubens. Bezeichnung für Netzach:StärkeGottesname:Jehova Tseva'oth, Herr der HeerschaarenErzengel:

Page 175: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

HanielOrdnung der Engel:Elohim, GötterWeltliches Chakra:Nogah, VenusSpirituelle Erfahrung:Vision der siegreichen SchönheitTugend:SelbstlosigkeitLaster:Unkeuschheit,LustEntsprechung im Mikrokosmos:Lenden, Hüften, BeineSymbole:Licht und Gürtel, die RoseTarotkarten:Die vier Siebenen Sieben der Stäbe:Tapferkeit Sieben der Kelche:Illusionärer Erfolg Sieben der Schwerter:Unbeständige Anstrengung Sieben der Münzen:Unerfüllter ErfolgFarbe in Aziluth:BernsteinfarbenFarbe in Beriah:SmaragdFarbe in Jezirah:Strahlendes GelbgrünFarbe in Assia:Olivgrün mit Gold gefleckt

INetzach, die Sphäre der Venus, kann am besten verstanden werden,wenn man sie Hod, der Sphäre Merkurs, gegenüberstellt. BeideSephiroth verkörpern, wie wir bereits wissen, Kraft und Form aufeinem tiefer verlaufenden Bogen. Netzach steht für die Instinkteund die aus ihnen entstehenden Gefühle, Hod verkörpert denkonkreten Geist. Im Makrokosmos sind Netzach und Hod zwei Stufenauf dem Weg der Verdichtung der Energie zur Form. In Netzach istdie Kraft noch relativ frei beweglich. Sie wird nur inaußerordentlich fließende, sich ständig wandelnde Formengebunden; in Hod zeigt sie zum ersten Mal eine klare, beständige,wenn auch sehr zarte Form. Eine bestimmte Energieform zeigt sichin Netzach als eine Art Wesen, die auf kaum merkliche Weise hin -und herfließt und dabei ständig die Grenzen der Manifestationüberschreitet. Diese Wesen haben keine individuellePersönlichkeit, sie sind vielmehr vergleichbar mit den Schlieren,die man in den Wolken zur Zeit des Sonnenuntergangs sieht. In Hod

Page 176: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

allerdings hat eine Individualisierung in Einheitenstattgefunden, und dort besteht eine Kontinuität der Existenz. InNetzach ist aller Geist kollektiver Natur, in Hod finden sich dieUrsprünge des menschlichen Geistes.Wir wollen jetzt dazu übergehen, uns mit den mikro- undmakrokosmischen Aspekten Netzachs zu beschäftigen. Dabei dürfenwir nicht außer acht lassen, daß wir uns ab jetzt im Reich derIllusion befinden. Bei allem, was wir hier als Form bezeichnen,handelt es sich um Erscheinungen, die sich der Intellekt selbstgeschaffen hat und die als Gedanken - Formen ins astrale Lichtzurückprojiziert werden. Es ist wichtig, daß wir uns diesen Punktimmer wieder vor Augen halten, damit wir nicht irgendeinemAberglauben verfallen. All das, was die »Augen des Intellekts unddie Kontemplationen des Glaubens« wahrnehmen, so heißt es im BuchJezirah, hat seine metaphysische Wurzel in Chockmah, derIntelligenz, die zum höchsten Dreieck gehört und am oberen Endeder Säule der Barmherzigkeit zu finden ist. In Netzach wandeltsich unsere Art und Weise der Wahrnehmung der Existenzformenjeder einzelnen Sphäre. Bis zu diesem Punkt erfolgte dieWahrnehmung intuitiv und war eher formlos oder drückte sichzumindest in höchst abstrakten Symbolen aus; unterhalb vonTiphereth werden diese abstrakten Symbole so konkret wiebeispielsweise die Rose als Symbol für Venus bei Netzach und derCaduceus als Symbol Merkurs bei Hod.Wie wir wissen, nehmen wir die oberen Sephiroth als Teil derManifestation beziehungsweise als Funktionen wahr. In derDiskussion über Tiphereth wurde aufgezeigt, wie die vermittelndeIntelligenz, wie sie im Sepher Jezirah heißt, das weiße Licht deseinen Lebens wie durch ein Prisma gebrochen hat. Das Lichterscheint in Netzach als ein aus vielen Farbstrahlen bestehenderstrahlender Glanz. Hier haben wir es nicht mit der Kraft, sondernmit den Kräften zu tun, nicht mit dem Leben, sondern mit denLeben. Infolgedessen werden Netzach als Engelsorden die Elohimoder Götter zugeordnet. Der eine wurde durch die vielen ersetzt,damit er sich als Form manifestieren kann.Die oben erwähnten Strahlen werden nicht als reines weißes Lichtbeschrieben, mit Hilfe dessen wir alles in seinen tatsächlichenFarben wahrnehmen, sondern als vielfarbig, wobei jeder Farbtonnur einen bestimmten Aspekt der Manifestation hervorhebt undverstärkt; ähnlich wie ein blauer Lichtstrahl auch nur diejenigenFarben verstärken wird, die ähnlich sind, während er dieKomplementärfarben als schwarz erscheinen läßt. Jede Art vonLeben und jegliche Energieform, die sich in Netzach manifestiert,ist eine partielle Manifestation mit ganz bestimmten Merkmalen.Deshalb wird ein Wesen, dessen Sphäre Netzach ist, niemals eineallumfassende Entwicklung erfahren, sondern immer nur eineVorstellung verkörpern, eine einzige, gleichförmige Funktionerfüllen.

Page 177: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Netzach - Energie in uns bildet die Grundlage unsererInstinkte. Jeder einzelne von ihnen löst, sofern er nicht vomIntellekt beeinflußt wird, Reflexe aus, die ihm entsprechen, sowie zum Beispiel ein Baby an allem saugt, was man ihm zwischendie Lippen steckt.Die Wesen der Netzach - Sphäre, die Elohim, sind wenigerIntelligenzen als vielmehr die Verkörperung bestimmter Ideen. DieElohim, so ihr hebräischer Name, wirken als gestaltendeEinflüsse, durch die sich die gestaltende Kraft in der Naturmanifestiert. Ihr wahrer Charakter wird bei Chesed deutlich, wosie im Buch Sepher Jezirah »heilige Mächte« genannt werden. InNetzach als der obersten Lage des reflektierenden Äthersdurchlaufen sie eine Wandlung; der Bilder produzierendemenschliche Geist hat Einfluß auf sie genommen, er hat dasastrale Licht in Formen gegossen, die es für sein Bewußtseinerfaßbar machen.Wir sollten uns vor Augen führen, daß die unteren Sephiroth aufder Ebene der Illusion dicht von den Gedankenformen bevölkertsind. Alles, was menschliche Vorstellungskraft wahrzunehmenvermag, ist von einer Form aus astralem Licht umgeben. Je mehrsich der Mensch in seiner Phantasie mit dieser Form beschäftigt,je stärker er sie idealisiert, desto deutlicher wird sie. Deshalbstoßen die nachfolgenden Generationen von Sehern immer wieder aufdiese Gedankenformen, auf die »Schöpfungen der Geschaffenen«sozusagen, wenn sie die geistige Natur und den innersten Kern desLebens zu ergründen versuchen. Sie lassen sich von diesen Bilderntäuschen und halten sie für den abstrakten Kern selbst, der inWirklichkeit auf keiner der Ebenen zu finden ist, die demmenschlichen Vorstellungsvermögen Bilder vorgaukeln. Dieser Kernfindet sich auf den Ebenen, die nur noch durch Intuitionwahrzunehmen sind.Als das menschliche Denken sich noch in einem ziemlich primitivenStadium befand, betete der Mensch diese Bilder an. Sie waren fürihn die Verkörperung der gewaltigen Naturkräfte, von denen seinmaterielles Wohlergehen abhing. Die Bilder schlugen eine Brückezu den Naturkräften und öffneten einen Kanal, durch den dieKräfte, die sie verkörperten, in die Seele des Anbeters strömten.So wurden die entsprechenden Punkte im Menschen angeregt undkonnten sich entwickeln. Die hochentwickelte Form der Anbetung ineinigen Kulturen, wie zum Beispiel in Griechenland oder inÄgypten, ließ außerordentlich klare und sehr mächtige Bilder undFormen entstehen, die dann als Götter verehrt wurden. DurchAnbetung und Verehrung durch mehrere Generationen hindurchentstand eine sehr deutliche Vorstellung im astralen Licht. Durchdie Darbringung von Opfern zusätzlich zur Anbetung wurde diesesBild noch einen Schritt weiter hinunter auf die Ebenen derManifestation gebracht und erhielt im dichten Äther Jesods eineForm. Diese Form wird zu einem mächtigen magischen Gegenstand,

Page 178: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

der, wenn er durch die konkreten Gedanken der Hod - Sphärebeseelt wird, auch zu unabhängigem Handeln fähig ist.So liegt jedem himmlischen Wesen, das der menschliche Geistwahrnimmt, eine natürliche Kraft zugrunde. Ausgehend von dieserKraft hat der Mensch stellvertretend eine symbolische Vorstellunggeformt, die von dieser Kraft beseelt und in Aktion versetztwird. Die Vorstellung hat sich der Mensch zu seiner eigenenAnnehmlichkeit geschaffen. Die ihr zugrundeliegende Kraft, vonder sie auch beseelt wird, ist sehr real und kann unterbestimmten Umständen äußerst mächtig sein. Mit anderen Worten istdie Form des Gottes zwar reine Phantasie, die zugrundeliegendeKraft jedoch sowohl real als auch aktiv.In dieser Tatsache liegt nicht nur der Schlüssel zum Verständnisder Magie im weitesten Sinne, die in ihren Zeremonien undMeditationen geweihte Objekte benutzt, sondern auch der Schlüsseldazu, daß es viele Dinge im Leben gibt, die wir zwar unweigerlichwahrnehmen, aber nicht erklären können. In den organisiertenreligiösen Gruppen existiert vieles, was für den Gläubigen sehrreal ist, während es der Nicht - Gläubige zwar nicht zu erklärenvermag, andererseits aber auch nicht widerlegen kann, was ihnverwirrt.Bei Netzach finden wir die am deutlichsten ausgeprägte Formsolcher Dinge. Man kann sie eher durch die »Kontemplationen desGlaubens« als durch die »Augen des Intellekts« wahrnehmen. In derHod - Sphäre werden alle möglichen magischen Handlungenvorgenommen, um den Intellekt auf diese undeutlich ausgeprägten,flüchtigen Bilder zu konzentrieren und ihnen dadurch festeUmrisse und Dauerhaftigkeit zu verleihen. Magische Handlungendieser Art gibt es in der Netzach - Sphäre nicht. Hier ist dieKunst das Mittel zur Huldigung aller Gottformen, nicht diePhilosophie. Es ist praktisch unmöglich, das Wirken von Hod undNetzach zu trennen, die ein Funktionspaar bilden, ebensowenig wieman den katabolischen vom anabolischen Aspekt des Metabolismustrennen kann, also Gevurah von Chesed. Die gleichenCharakteristika wie bei Netzach finden wir auch bei Hod wieder,denn Hod ist aus Netzach hervorgegangen, und dieweiterentwickelten Kräfte Netzachs bilden die Grundlage für dasin Hod vorhandene Potential. Folglich beeinflussen alle magischenHandlungen aus dem Reich Hods auch die schwach ausgeprägtenLebensformen bei Netzach. Der menschliche Intellekt arbeitet sichSphäre um Sphäre nach oben, und viele der magischen Kräfte Hodssind bereits durch eingeweihte Seelen, die der Evolution vorauswaren, zu Netzach hinübergelangt. Eine klare Trennung dieserbeiden Sphären ist deshalb nicht möglich. In beiden dominiertjedoch eine Hauptfunktion.Wir können weder durch philosophische Betrachtungen, noch durchdie üblichen spiritistischen Riten mit Netzach in Verbindungtreten, sondern nur durch ein »Sich Einfühlen«, wie Algemon

Page 179: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Blackwood es in seinen Romanen so anschaulich ausgedrückt hat,die übrigens viele Elemente aus der Netzach - Sphäre enthalten.Der Kontakt mit den Engeln Netzachs und ihr Erscheinen wird durchTanz, Klänge und Farben herbeigefühlt. Jemand, der einen Gott ausder Netzach - Sphäre verehrt, wird mit dem Objekt seiner Anbetungdurch das Medium Kunst in Verbindung treten. In dem Maße, in demer in einem bestimmten Bereich künstlerisch begabt ist und soseine Göttlichkeit symbolisch auszudrücken vermag, in dem Maßewird es ihm möglich sein, Kontakt aufzunehmen und sich das Lebendieser Sphäre zu eigen zu machen. Alle Riten also, die aufRhythmus, Bewegung und Farben basieren, gehören zur Netzach -Sphäre. Da Hod, die Sphäre der magischen Handlungen, ihre Energieaus Netzach bezieht, läßt sich folgern, daß jede magischeHandlung in der Hod - Sphäre ein Element aus Netzach beinhaltenmuß, wenn sie wirklich beseelt sein soll. Um eine Manifestationzu ermöglichen, muß durch irgendeine Form des Opferns ätherischeSubstanz geschaffen werden, und sei es nur durch das Verbrennenvon Räucherstäbchen oder Weihrauch. Wir werden uns mit diesemPunkt genauer befassen, wenn wir zur Jesod - Sphäre kommen, zuder er gehört. Hier möchten wir ihn lediglich deshalb ansprechen,weil wir die Wichtigkeit der Netzach - Riten erst erfassenkönnen, wenn wir begriffen haben, wie es zu einer Manifestationkommt, bei der der Gort seinen Anbetern nahe gebracht wird.

IIWir wollen Netzach jetzt vom Standpunkt des mikrokosmischenLebensbaumes aus betrachten, das heißt vom Standpunkt dessubjektiven Baumes in der Seele des Menschen, in der dieSephiroth die verschiedenen Bausteine des Bewußtseins darstellen.Die drei Höchsten und das erste Paar der manifestierendenSephiroth, Chesed und Geburah, bilden das höhere Selbst, wobeiTiphereth die Verbindung mit dem niederen Selbst darstellt. Dievier unteren Sephiroth Netzach, Hod Jesod und Malkuth sindgleichzusetzen mit dem niederen Selbst oder der Persönlichkeit,das heißt mit der einzelnen Inkarnationseinheit, wobei Tipherethdie Verbindung zum höheren Selbst schafft, das manchmal auchheiliger Schutzengel genannt wird.Auf die Persönlichkeit bezogen, verkörpert Tiphereth das höhereBewußtsein, das spirituelle Dinge wahrzunehmen vermag. Netzachist mit den Instinkten gleichzusetzen, Hod mit dem Intellekt.Jesod verkörpert das fünfte Element, den Äther, und Malkuth birgtin sich die vier Elemente, die die subtilen Aspekte der Materiesind. Der durchschnittliche menschliche Intellekt vermaglediglich dichte Materie (Malkuth) und Intellekt (Hod)wahrzunehmen, beides konkrete Aspekte des Lebens. DiejenigenKräfte, aus denen die Formen entstanden sind, wie beispielsweiseNetzach, das Reich der Instinkte, und den ätherischenDoppelkörper oder feinstofflichen Körper vermag er nicht zu

Page 180: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

erkennen. Da über die Natur und die Wirkungsweise Netzachs sowenig bekannt ist, wollen wir uns mit dieser Intelligenzbesonders eingehen befassen.Es ist am leichtesten, die Natur Netzachs im Mikrokosmos zubegreifen, wenn wir daran denken, daß sie das Reich der Venus istmit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Aus dersymbolischen Sprache der Kabbala ins allgemeinverständlicheDeutsch übersetzt, bedeutet das, daß wir es hier mit derPolarität zu tun haben, einem Begriff, der wesentlich mehr umfaßtals — wie gemeinhin angenommen wird — reinen Sex.An dieser Stelle wäre anzumerken, daß Venus und auch ihrgriechisches Pendant Aphrodite durchaus keineFruchtbarkeitsgöttinnen sind wie beispielsweise Ceres undPersephone. Aphrodite ist die Göttin der Liebe. In dergriechischen Lebensphilosophie beinhaltete der Begriff Liebewesentlich mehr als die Beziehungen zwischen den Geschlechtern;er umfaßte beispielsweise auch die Kameradschaft zwischengemeinsam kämpfenden Männern und die Beziehung zwischen Lehrerund Schüler. Die griechische Hetäre, deren Beruf die Kunst derLiebe war, unterschied sich wesentlich von unserer modernenProstituierten. Der Grieche vollzog den rein physischenGeschlechtsverkehr mit seiner gesetzlich angetrauten Ehefrau, dieim Gynaeceum oder Harem lebte und deren Aufgabe vor allem darinlag, ihrem Gatten rechtmäßige Erben zu gebären. Sie hattekeinerlei Bildung, war aber edlen Blutes. Von ihr wurde nichterwartet, daß sie besonders attraktiv war oder die Kunst derLiebe beherrschte. Ihre Anbetung galt nicht der Göttin Aphrodite,der Herrscherin der höheren Ebenen der Liebe. Sie hatte dieGöttinnen von Heim und Herd anzubeten. Herrscherin der Mysteriender griechischen Ehefrau war Ceres, die Mutter der Erde.Der Aphrodite - Kult beinhaltete bedeutend mehr als eineanimalische Zeremonie. Er beschäftigte sich mit dem subtilen Flußder Lebenskraft zwischen zwei Polen, mit Fluß und Rückfluß,Stimulus und Reaktion, Faktoren, die in der Beziehung derGeschlechter eine sehr wichtige Rolle spielen, deren Einfluß aberweit über diesen Bereich hinausreicht.Von der griechischen Hetäre erwartete man Kultur. Sicherlich gabes verschiedene Abstufungen, angefangen von den Hetären niederenRanges, die man mit der japanischen Geisha vergleichen könnte,bis hin zu denen höheren Ranges, die, ähnlich wie die berühmtenBlaustrümpfe in Frankreich, Salon hielten und Frauen von großerphysischer Tugend waren, bei denen es kein Mann gewagt hätte,sinnliche Avancen zu machen. In Anbetracht der Tatsache, daß mandie sexuellen Zeremonien in Griechenland hoch achtete, ist esunwahrscheinlich, daß die Hetäre, unabhängig von ihrerGesellschaftsschicht, so degradiert wurde, wie es dieprofessionelle Prostituierte bei uns heute wird. Die Aufgabe derHetäre bestand darin, sowohl dem Intellekt als auch der Lust

Page 181: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ihrer Kunden zu dienen; sie war gleichermaßen Gastgeberin undMätresse. Philosophen und Poeten suchten bei ihr Inspiration undSchärfung des Verstandes, denn die Griechen hatten erkannt, daßder intellektuelle Mann kein besseres Medium für seineInspiration finden konnte als die Gesellschaft einer vitalen Fraumit Kultur.In den Tempeln Aphrodites wurde mit Sorgfalt die Kunst der Liebekultiviert. Die Priesterinnen der Aphrodite übten sich vonKindheit an in dieser Kunst. Ihre Aufgabe bestand nicht nurdarin, Leidenschaft hervorzurufen, sondern auch darin, sie aufallen Bewußtseinsebenen angemessen zu befriedigen. Die Hetärenbeschränken sich nicht darauf, physischen Genuß zu bereiten,sondern sorgten auch für den subtilen ätherischen Austausch vonmagnetischen Strömen und für intellektuelle und spirituellePolarisation. So erhob sich der Aphrodite - Kult über die Ebeneder Sinnlichkeit. Den Priesterinnen der Aphrodite brachte manRespekt entgegen; sie galten nicht als gewöhnliche Prostituierte,obwohl die Hetären jeden Mann empfingen. Durch ihre Kunstbefriedigten sie die subtileren Bedürfnisse der menschlichenSeele. Wir haben in der modernen Welt die Kunst, die Lust zustimulieren, sei es durch Filme, Shows oder Synkopierung zu einemhöheren Entwicklungsstand gebracht, als ihn die Griechen jemalserreicht haben, dabei haben wir jedoch die Erforschung jenerwesentlich wichtigeren Kunst vernachlässigt, die sich um dieBedürfnisse der menschlichen Seele nach ätherischem und geistigemAustausch von magnetischen Strömen kümmert, was wiederum derGrund dafür ist, daß unser Sexualleben sowohl auf physiologischerals auch auf sozialer Ebene so unbeständig und unbefriedigendist. Wir können die Rolle der Sexualität erst dann richtigverstehen, wenn wir begreifen, daß sie ein Aspekt dessen ist, wasder Esoteriker Polarität nennt, ein Aspekt eines Prinzips, daswir überall in der Schöpfung wiederfinden und das die Grundlagefür jede Manifestation ist. Im Baum entdecken wir dieses Prinzipin der Säule der Härte und in der Säule der Barmherzigkeit. Dergesamte Aktionsradius der Kraft ist im Prinzip der Polaritätenthalten, so wie alle Aufgaben der Form im Prinzip desMetabolismus enthalten sind.Polarität bedeutet das Fließen von Kraft aus einem Bereich mithohem Druck in einen Bereich mit niedrigem Druck, wobei hoch undniedrig relative Begriffe sind. Jeder Bereich, in dem Energiefließt, ist abhängig vom Stimulus eines Energiezuflusses unterhohem Druck und von der Möglichkeit eines Abflusses von Energiein einen Bereich mit verringertem Druck. Die Quelle aller Energieist das Nichts, das seine Formen ständig wechselt und seinen Wegüber die verschiedenen Ebenen nimmt, bis es in Malkuth zur Erdegelangt. Jedes einzelne Leben, jede Art von Aktivität, jede, zuwelchem Zweck auch immer organisierte soziale Gruppe, sei es dieArmee, die Kirche oder eine GmbH, ist ein Beispiel für diesen

Page 182: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

kreisförmigen Energiefluß. Die wichtigste Erkenntnis für unshieraus ist, daß im mikrokosmischen Baum ein Energiefluß in beideRichtungen, nach unten und nach oben stattfindet, entlang derpositiven und negativen Aspekte unserer eigenen, subjektivenBewußtseinsebenen. Der Geist inspiriert den Verstand, derVerstand lenkt die Gefühle, die Gefühle erschaffen das physischeVehikel, die Erde des Energiekreises. Diese Tatsache istallgemein anerkannt, und die Konsequenzen, die sich darausergeben, sind leicht nachvollziehbar, wenn man sich darüberGedanken macht.Eine nicht so offensichtlich erkannte Tatsache ist die, daß esauch einen Fluß und Rückfluß zwischen jeder der Bewußtseinsebenenoder » -körper« und ihrer Entsprechung im Makrokosmos gibt. DieEingangs - und Ausgangsenergie, die auf der Ebene von Malkuthvorhanden sind, nämlich in Form von Nahrung und Wasser, das derKörper zu sich nimmt, als Exkremente wieder ausscheidet undspäter dem Pflanzenreich unter der höflichen Bezeichnung Düngerals Nahrung zuführt, existieren auch als Eingangs - undAusgangsenergie zwischen ätherischem Doppel und astralem Licht,zwischen dem Astralkörper und der geistigen Seite der Natur undso weiter über die verschiedenen Ebenen bis zur höchsten, wobeidie subtileren Aspekte in den sechs oberen Sephiroth zu findensind. Der Grundgedanke der magischen Kabbala und derenpraktischer Anwendung, des Baumes des Lebens, liegt in derVerstärkung dieser Magnetkreise auf den verschiedenen Ebenen unddadurch in einer Kräftigung und Bestärkung der Seele. Für dasWohl des physischen Körpers sorgen Essen und Trinken und eineentsprechende Ausscheidung, man könnte auch sagen dieBetätigungen auf der Malkuth - Sphäre. Die menschliche Seelenährt sich aus dem Wirken der Tiphereth - Sphäre, die auch Reichdes Erlösers genannt wird, der für das Wohl der Seele sorgt. Wirwissen, daß durch die Einweihung die spirituellen Kräfte aufhöherer Ebene gefördert werden und daß der menschliche Geist aufdiese Weise fähig wird, spirituelle Wahrheiten zu begreifen; wirwissen nicht, daß wir, um die menschliche Entwicklungsskalavollständig zu durchlaufen, auch unsere Fähigkeit zurKontaktaufnahme mit der natürlichen Kraft in ihrer Urform, so wiewir sie in der Netzach – Sphäre vorfinden entwickeln müssen. Wirhaben uns die Meinung angewöhnt, daß das Spirituelle und dasNatürliche zwei unvereinbare Gegensätze sind. Wir glauben, daßdas Spirituelle das höchste Gut ist und daß deshalb dasNatürliche das schlimmste Übel sein muß. Wir verstehen nicht, daßMaterie nichts anderes ist als kristalliner Geist und daß Geistnichts anderes ist als flüchtige Materie. Die Substanz ist beibeiden die gleiche, ähnlich wie bei Wasser und Eis, beide sindunterschiedliche Zustände des einen Dinges, wie es dieAlchemisten nennen, des großen Geheimnisses der Alchemie,Grundlage der Geheimlehre von der Transmutation.

Page 183: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Transmutation der Metalle ist, außer von akademischer, vongeringer Bedeutung im Vergleich zur Transmutation der Energie inder Seele. Mit letzterer beschäftigen sich die Eingeweihten unterZuhilfenahme des Lebensbaumes. So wie das Bewußtsein eineWandlung erfährt auf seinem Weg von oben nach unten und zurück,entlang der mittleren Säule der Milde oder Säule desGleichgewichts, so fließt die sich wandelnde Energie die Säuleder Barmherzigkeit entlang, an deren Fuß sich Netzach befindet,und die Form folgt auf ihrem Weg der Säule der Härte, an derenFuß wir Hod finden.Bei Chockmah angelangt, treffen wir auf die ungeheureLebensenergie, auf die große männliche Kraft des Universums. InChesed erleben wir, wie sich Kräfte zu Einheiten zusammenfinden,die gegenseitig aufeinander einwirken; in der Netzach - Sphäretreffen wir auf die Evolution, die von Malkuth aufgestiegen istund nun als strukturierte Kraft lebendige Formen beseelt. Andiesem Punkt ist die Evolution so weit fortgeschritten, daß eineKontaktaufnahme mit der Urkraft wieder möglich ist. Netzach, dasReich Nogahs (was die hebräische Bezeichnung für Venus -Aphrodite ist), ist deshalb für den praktizierenden Okkultistenvon enormer Bedeutung. Der Grund dafür, daß trotz Einweihung diemeisten Menschen, die sich mit Okkultismus beschäftigen, sogeringe Ergebnisse erzielen, ist der, daß sie sich lediglich mitder mittleren Säule, der Säule des Bewußtseins, beschäftigen,während sie die seitlichen Säulen, die Säulen der Funktion,völlig außer acht lassen. Blinde führen Blinde. Normalerweiseerkennen die sogenannten Initiatoren der modernen okkultenGemeinschaften, die mehr Mystiker als Okkultisten sind, nicht,daß das Unterbewußtsein genau wie das Bewußtsein eingeweihtwerden muß, daß die Instinkte genauso den Pfad der Erleuchtunggehen müssen wie der Verstand.

IIIWir haben Netzach vom objektiven und vom subjektiven Standpunktaus betrachtet; jetzt ist unsere letzte Aufgabe, die dieserSephirah zugeordnete Symbolik im Lichte dessen, was wir bereitsgelernt haben, zu untersuchen.Auf den ersten Blick läßt sich feststellen, daß in der Symbolikzwei unterschiedliche Aspekte enthalten sind: der Aspekt derMacht und der Aspekt der Schönheit, was uns an die Liebe zwischenVenus und Mars in den alten Mythen erinnert. Diese Mythenberuhen, außer vielleicht vom historischen Blickwinkel ausgesehen, nicht auf reiner Legende, sondern beinhalten spirituelleWahrheiten. Aus der Tatsache, daß die gleiche Grundidee inverschiedenen Pantheonen wieder auftaucht, daß der hebräischeKabbalist und der griechische Poet, deren Gedankenwelten so weitvoneinander entfernt waren wie Nordpol und Südpol, den gleichenGedanken in verschiedene Form kleiden, aus dieser Tatsache läßt

Page 184: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

sich folgern, daß wir es hier nicht mit puren Zufällen zu tunhaben und daß das Ganze einer genaueren Untersuchung bedarf.Wir wollen unsere gewohnte Untersuchungsmethode anwenden, dieSymbole in der vorliegenden Ordnung zunächst zu analysieren undsie dann in diejenige der beiden Typenkategorien einzuordnen, zuder sie gehören.Die hebräische Bezeichnung für die siebte Sephirah ist Netzach,was soviel heißt wie Sieg. Ihre zusätzliche Bezeichnung lautetEntschlossenheit und beinhaltet den gleichen Gedanken, nämlichden einer meisterhaften, siegreichen Kraft. Der Gottesname istJehova Tseva'oth, was soviel heißt wie Herr der Heerscharen oderGott der Heere. Die zu Netzach gehörige Ordnung der Engel sinddie Elohim oder Götter, die Herrscher über die Natur.Die vier dieser Sephirah zugeordneten Tarotkarten beinhalten alledie Idee des Kämpfens, jedoch mit negativen Vorzeichen. Es mutetseltsam an, daß lediglich die Sieben der Stäbe eine positiveBedeutung hat; die anderen drei Siebenen sind Unglückskarten. DerGrund dafür wird uns klar, wenn wir die Symbolik in ihrerGanzheit verstehen. Zunächst wollen wir jedoch jene Tatsacheunberücksichtigt lassen, um später darauf zurückzukommen.Wenden wir unsere Aufmerksamkeit den anderen Symbolen zu. Dieweltliche Chakra Netzachs entspricht dem Planeten Venus, dasmagische Bild ist treffender weise eine schöne nackte Frau. Diespirituelle Erfahrung dieser Sphäre liegt in der Vision dersiegreichen Schönheit. Ihre Tugend ist Selbstlosigkeit, das heißtdie Fähigkeit, dem negativen Pol entgegenzuwirken. Ihre Lasterliegen eindeutig im Mißbrauch der Liebe - in Unkeuschheit undLust.Die Entsprechungen im Mikrokosmos sind Lende, Hüfte und Beine.Diese Körperteile sind, wie sich unschwer feststellen läßt, Sitzder Geschlechtsorgane, aber nicht die Geschlechtsorgane selbst,und so wird unsere bereits früher gehegte Vermutung, daß dieGöttin der Liebe und die Göttin der Fruchtbarkeit nicht ein unddieselbe Person sind, bestätigt.Netzach werden Licht, Gürtel und Rose als Symbole zugeordnet.Gürtel und Rose lassen sich hier leicht einordnen, denn sie sinddie traditionellen Symbole der Venus. Das Licht als Symbol bedarfnäherer Erklärung, da uns die klassischen Assoziationen hiernicht weiterbringen. Wir müssen uns der Alchemie zuwenden.Den unteren vier Sephiroth entsprechen die vier Elemente, wobeidas Element Feuer speziell zur Sephirah Netzach gehört. Das Lichtist die magische Waffe, die bei der Arbeit mit dem Element Feuereingesetzt wird. Daher der Bezug zu Netzach. Das Element Feuersteht in Verbindung mit der gewaltigen Energie im Herzen derNatur und stellt nach oben den Kontakt mit dem Mars - Aspekt derVenus - Sephirah her.Wenn wir die vorgenannte Symbolik genauer betrachten, werden wirsehen, daß die Symbolik des Mars oder des Sieges sich auf den

Page 185: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Makrokosmos bezieht, während die Symbolik der Venus oder derLiebe dem mikrokosmischen oder subjektiven Aspekt entspricht.Damit haben wir den Schlüssel zu einer wichtigen psychologischenWahrheit entdeckt, die bereits den römischen und griechischenKlassikern bekannt war, die aber erst durch Freuds Arbeit Deutungin der modernen Welt erhalten hat. Vielleicht könnte man es soausdrücken, daß die Urenergie oder die fundamentale Triebfedereines Menschen eng mit seinem Sexualleben verbunden ist.Diese Tatsache, die Psychologen zwar kennen, die aber vonMystikern und Spiritisten, die in ihrer Ideologie der Materie undden mit ihr verbundenen Problemen gern entfliehen wollen, oftnicht berücksichtigt wird, ist für unser Seelenleben von großerBedeutung. Auf diese Weise den Problemen zu entgehen heißt,uneroberte Festungen zurückzulassen. Der klügere Weg undgleichzeitig auch der einzige, der ein erfülltes Leben und einausgeglichenes Naturell verspricht, ist derjenige, der Netzachden ihr gebührenden Platz einräumt, denn sie verbindet dieIntellektualität Hods mit der Materialität Malkuths; der Baumbesteht aus den beiden Säulen der Polarität mit dem Pfad desGleichgewichts in der Mitte.Das Geheimnis echter Tugend liegt darin, jedem der Gegensätze beidiesen Gegensatzpaaren sein Recht zuzubilligen; es gibt keinenWiderspruch zwischen Gut und Böse, es gibt lediglich dasGleichgewicht zwischen zwei Extremen, von denen jedes, im Übermaßbetrieben. Böses gebiert. Aus beiden wird, wenn es zumGleichgewicht nicht reicht. Böses entstehen. Zügellose Freiheitführt zu einer Entwürdigung des Menschen; unausgewogenerIdealismus führt zu einer kranken Psyche. Drei Arten von Menschenfallen unter diesen Schleier: der Mystiker, der Spiritist und derOkkultist. Der Mystiker strebt die Vereinigung mit Gott an underreicht sie, indem er in seinem Leben alles beiseite schiebt,was nicht Gott ist. Der Spiritist vermag zwar subtileSchwingungen aufzufangen, sie aber nicht auszusenden. DerOkkultist muß zumindest bis zu einem gewissen Maß dieseSchwingungen empfangen können. Sein Hauptziel ist jedoch dieBeeinflussung und Kontrolle der unsichtbaren Reiche, ähnlich wieder Wissenschaftler es gelernt hat, die Natur zu beeinflussen.Um sein Ziel zu erreichen, muß der Okkultist im Einklang mit denunsichtbaren Kräften handeln, ebenso wie der Wissenschaftler nurdann die Natur zu beeinflussen vermag, wenn er ihre Zusammenhängebegriffen hat. In der Sprache der Kabbalisten ausgedrückt, sindeinige dieser unsichtbaren Kräfte spiritueller Herkunft undsteigen von Kether herab, andere steigen von der Basis, vonMalkuth herauf. Die von Kether aus dem Makrokosmosherabsteigenden Kräfte werden vom Tiphereth - Zentrum imMikrokosmos aufgenommen; die von der Basis kommenden Kräfte oderElementarkräfte werden im Jesod - Zentrum aufgefangen, aber - unddas ist der entscheidende Punkt - sie werden auf die gleiche Art

Page 186: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

und Weise kontrolliert und gelenkt, in der das Gleichgewichtzwischen Netzach und Hod aufrechterhalten wird.Netzach verkörpert im Mikrokosmos die instinktive, emotionaleSeite, Hod verkörpert den Intellekt. Netzach ist der Künstler inuns, Hod der Wissenschaftler. So wie unsere Stimmung zwischenZurückhaltung und Aktivitätsdrang schwankt, so schwankt auch diePolarität von Hod und Netzach im Mikrokosmos unserer Seele. Wennvon Netzach kein Einfluß vorhanden ist, der ein dynamischesElement einbringt, so wird das starke Übergewicht von Hod dazuführen, daß wir im Bereich des Okkulten immer Theoretiker bleibenund keine Praktiker werden. Kein Mensch, in dem die Netzach -Sphäre nicht entwickelt ist, kann mit der Magie umgehen, denn dieSkepsis Hods wird alle magischen Bilder schon töten, bevor sieüberhaupt geboren werden können. So wie alle Dinge in der Natur,so ist auch Hod steril, wenn sie nicht von ihrem Gegenpolbefruchtet wird. In jedem Okkultisten, der auch praktizierenwill, muß ein Stück Künstler stecken. Der Intellekt allein, somächtig er auch sein mag, ist nicht fähig, Kräfte zu leiten. Erstdurch den Einfluß von Netzach auf unsere menschliche Natur habendie elementaren Kräfte in uns Zugang zum Bewußtsein; ohne dieVermittlung Netzachs bleiben sie in der unterbewußten SphäreJesods stecken und wirken im Geheimen. In den Mysterien wirdgelehrt, daß jede Ebene der Manifestation ihre eigene Ethik hat,ihr eigenes Empfinden von Gut und Böse und daß wir diese Ebenennicht verwechseln sollten, indem wir den Maßstab einer Ebene aufeine andere Ebene zu übertragen versuchen, auf der er nichtanwendbar ist. Im Reich des Geistes heißt der moralische AnspruchWahrheit; auf der astralen Ebene, dem Reich der Gefühle undInstinkte, heißt er Schönheit. Wir müssen die Rechtschaffenheitin der Schönheit genauso verstehen lernen wie die Schönheit inder Rechtschaffenheit, wenn wir erreichen wollen, daß alleProvinzen unseres inneren Königreiches sich der zentralenHerrschaft des vereinten Bewußtseins unterordnen.Mit der Region der vier unteren Sephiroth haben wir die Sphäredes menschlichen Geistes betreten. Subjektiv betrachtet stellensie die einzelne Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten dar. DasZiel der Einweihung ist es, diese Fähigkeiten zu entwickeln undsie von höherer Warte aus betrachtet - die wir immer miteinbeziehen sollten, da sonst das Ganze in die Schwarze Magieabgleitet - mit Tiphereth zu verbinden, die das Sammelbecken deshöheren Selbst oder der Individualität ist. Durch unser StudiumNetzachs haben wir zweifellos die Schwelle zu den Mysterienüberschritten und befinden uns jetzt auf dem heiligen Boden derEingeweihten.Ich bin sicherlich kein Verfechter der priesterlichenVerschwiegenheit, aber bei der Arbeit mit den Mysterien gibt eseinige geheime Dinge, die ich nicht an die große Glocke hängenmöchte, damit sie nicht mißbraucht werden können. Die menschliche

Page 187: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Natur besitzt die unverbesserliche Eigenschaft, vertrauteBegriffe in der ihr eigenen Art zu deuten und sich zu weigern,andere als die gewohnten Assoziationen damit zu verbinden. Wennich eine Ecke des Tempelschleiers lüfte und sage, daß Sex nichtsanderes ist als ein spezieller Aspekt des universellen Prinzipsder Polarität, so wird daraus sofort der Schluß gezogen, daßPolarität und Sex Synonyme sind. Wenn ich dann sage, daß Sex einTeilaspekt der Polarität ist, daß es aber viele andere Aspektegibt, die mit Sex überhaupt nichts zu tun haben, überhört man daseinfach. Vielleicht sollte ich statt der aus der Physikstammenden Terminologie lieber die psychologische verwenden, diehier besser paßt, und sagen, daß Lebensenergie nur im Kreisfließen kann; wenn man sie unterbricht, wird sie unwirksam. Wirwollen die menschliche Persönlichkeit einmal mit einer elektrischbetriebenen Maschine vergleichen; sie muß an die Stromversorgungangeschlossen sein, an Gott, die Quelle allen Lebens, sonst istkeine Triebkraft vorhanden; aber sie muß auch »geerdet« sein,sonst kann keine Energie fließen. Jedes menschliche Wesen muß mitder Erde durch »Erdung« verbunden sein, sowohl im wörtlichen alsauch im metaphorischen Sinn. Der Idealist wird versuchen, alleErd - Kontakte völlig zu isolieren, damit die einfließende Kraftnicht verschwendet wird. Dabei vergißt er, daß die Erde eineinziger großer Magnet ist.Die Tradition sagt von alters her, daß der Schlüssel zu denMysterien in den Worten liegt, die auf der Smaragdtafel desHermes geschrieben standen: »Wie oben, so unten.« Wenn wir diePrinzipien der Physik auf die Psychologie anwenden, so haben wirdes Rätsels Lösung. Wer Ohren hat zu hören, der höre.Zuletzt kommen wir nun zu der Frage der Bedeutung der Netzachzugeordneten Tarotkarten. Es handelt sich um die vier Siebenendes Tarotspiels. Da wir jetzt in den Einflußbereich der irdischenSphäre kommen, wollen wir zunächst einmal über die divinatorischeBedeutung dieser Karten der kleinen Arkana sprechen. Siesymbolisieren die unterschiedlichen Funktionsweisen derverschiedenen Kräfte der Sephiroth in den vier Welten desKabbalisten. Der Satz der Stäbe entspricht der spirituellenEbene; Kelche verkörpern die geistige Ebene; Schwerter stehen fürdie astrale Ebene, und Münzen repräsentieren die physische Ebene.Daraus kann man schließen, daß Netzach auf der physischen Ebeneeingreift, wenn die Sieben der Münzen beim Legen erscheint. Ineinem alten Sprichwort heißt es:»Glück im Spiel, Pech in der Liebe.« Darin wird ausgedrückt, daßein Mensch, der für das andere Geschlecht sehr attraktiv ist,praktisch ständig auf Messers Schneide balanciert. Venus übt aufweltliche Geschäfte einen eher negativen Einfluß aus. Sie lenktvon der ernsthaften Arbeit im Leben ab. Wenn ihr Einfluß bis zuMalkuth gelangt, muß sie ihr Zepter an Ceres abgeben und dieDinge ihren Lauf gehen lassen. Die Kinder sind es und nicht die

Page 188: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Liebe, die Heim und Herd zusammenhalten. Der kabbalistische Namefür die Sieben der Münzen ist unerfüllter Erfolg, und wirbrauchen uns nur das Leben von Kleopatra, Guievere, Iseult undHeloise anzuschauen, um festzustellen, daß Venus' Motto auf derphysischen Ebene lautet: »Nach der Liebe die Sintflut.«Der Satz der Schwerter entspricht der astralen Ebene. Der okkulteName der Sieben der Schwerter ist unbeständige Anstrengung. Erdrückt aus, wie Venus sich in der Gefühlssphäre, die vonkurzlebiger Intensität ist, auswirkt.Der geheime Name der Sieben der Kelche ist illusionärer Erfolg.Diese Tarotkarte verdeutlicht den Einfluß der Venus auf dieVerstandessphäre. Venus trägt sicherlich nicht gerade dazu bei,Dinge klarer zu erkennen. Wir glauben nur das, was wir glaubenwollen, wenn wir in die Einflußsphäre der Venus geraten. Aufdieser Ebene heißt ihr Wahlspruch: »Liebe macht blind.«Nur im spirituellen Bereich kommt die positive Seite der Venuszum Tragen. Hier ist die Bedeutung ihrer Karte, der Sieben derStäbe Tapferkeit oder Heldenmut, was den dynamischen,vitalisierenden Einfluß beschreibt, den sie haben kann, wenn ihreBedeutung auf spiritueller Ebene richtig erkannt und genutztwird.In den vier Tarotkarten der Netzach - Sphäre wird der Einfluß derVenus auf die vier verschiedenen Ebenen sehr deutlich. Wir könnendaraus für uns eine sehr wichtige Lehre ziehen, nämlich die, daßdiese Kraft äußerst unbeständig ist, wenn sie nicht imSpirituellen wurzelt. Die niederen Formen der Liebe gründen sichauf Gefühle, und man kann sich grundsätzlich nicht auf sieverlassen; nur wenn die spirituelle Ebene in der Liebe enthaltenist, wirkt sie als dynamische, energiespendende Kraft.

23. Hod

Bezeichnung:Hod, Herrlichkeit (Hebräische Schreibweise: rwh He, Vav, Daleth)Magisches Bild:Ein HermaphroditPosition im Baum:Am Fuß der Säule der HärteText im Jezirah:Der achte Pfad heißt absolute oder vollkommene Intelligenz, dennsie ist das Mittel des Ursprünglichen, das keine Wurzel hat, ander es hängt, außer den geheimen Tiefen Gedulahs, aus denen seineSubstanz entströmt.Gottesname:Elohim Tseva'oth, der Gott der HeerscharenErzengel: Michael, der GottähnlicheOrdnung der Engel:

Page 189: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Bene Elohim, Söhne der GötterWeltliches Chakra: Kokab, MerkurSpirituelle Erfahrung:Vision des hellen GlanzesTugend: WahrhaftigkeitLaster:Falschheit, UnehrlichkeitEntsprechung im Mikrokosmos:Lenden und BeineSymbole:Namen, Versikel und SchürzeTarotkarten:Die vier Achten Acht der Stäbe:SchnelligkeitAcht der Kelche:Verworfener ErfolgAcht der Schwerter:Verminderte KraftAcht der Münzen:KlugheitFarbe in Aziluth:Violett - PurpurFarbe in Beriah:OrangeFarbe in Jezirah:Rotbraun Farbe in Assia:Gelbschwarz, gefleckt mit Weiß

IChockmah und Binah, die positive und die negative Kraft, sind imBaum des Lebens die beiden Kräfte, in denen das Universumwurzelt. Obwohl jede Sephirah die nächstfolgende durch Emanationhervorbringt, sind die Kabbalisten der Ansicht, daß, wenn derBaum erst einmal erstellt ist, diese beiden Intelligenzen, diezum höchsten Dreieck gehören, auf eine bestimmte Art nach untenausstrahlen. Das kommt in der Stelle im Jezirah klar zumAusdruck, in der es heißt, daß Hod »keine Wurzel hat, an der siehängt, außer den geheimen Tiefen Gedulahs, aus denen ihreSubstanz entströmt«. Wir wissen ja, daß Gedulah ein anderer Namefür Chesed ist.Binah ist der Formgeber. Chesed verkörpert das Prinzip deskosmischen Anabolismus, die Organisation der von Binahgeschaffenen Einheiten zu komplexen, gegenseitig aufeinandereinwirkenden Strukturen. Hod, die Reflexion Cheseds, ist selbsteine Sephirah der Form. Sie verkörpert das Prinzip derKoagulation in einer anderen Sphäre.Chockmah dagegen steht für das dynamische Prinzip. Siereflektiert in Geburah, den kosmischen Katabolisten, hinein und

Page 190: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

zerlegt komplexe Strukturen in die einzelnen Teile, wobei latenteEnergie freigesetzt wird. Diese Energie reflektiert wiederum inNetzach, die Lebenskraft der Natur, hinein.Für das Verständnis der fünf unteren Sephiroth ist es wichtig zuwissen, daß sich im gegenwärtigen Evolutionsstadium dasmenschliche Bewußtsein in diesen fünf Sphären bereits ein Stückweit entwickelt hat. Tiphereth verkörpert das höhere Bewußtsein,in dem sich Individualität und Persönlichkeit verbinden. Netzachund Hod sind jeweils die Aspekte der Kraft und der Form desastralen Bewußtseins. Weil das menschliche Bewußtsein in diesenSphären bereits ein Stück in seiner Entwicklung fortgeschrittenist, wurde die ursprünglich rein kosmische Natur dieser Sephirothüberlagert. Das menschliche Bewußtsein, das seinen Ursprung inMalkuth hat, ist ein Bewußtsein für Formen, entstanden durchkörperliche Wahrnehmung. Die Bedingungen, die wir in Malkuthvorfinden, werden in abgeschwächter Form in Hod und Netzachreflektiert und in noch schwächerer Form in Tiphereth. Jesod wirddurch den von Malkuth aufsteigenden Einfluß sogar noch stärkergeprägt.Die geschilderten Zusammenhänge basieren auf der Tatsache, daßder Verstand eines Wesens, das hoch genug entwickelt ist, umeinen unabhängigen Willen zu besitzen, seine Umgebung objektivbeeinflußt und sie auf diesem Wege zu verändern vermag. Wirwollen das an einem Beispiel verdeutlichen. Wesen auf einerniedrigen Entwicklungsstufe wie einfache Lebewesen, die keineselbständige Bewegungsfähigkeit besitzen, zum BeispielSeeanemonen, können ihre Umgebung kaum beeinflussen. Höhere,intelligentere Lebewesen sind dazu jedoch durchaus fähig. Siekönnen durch ihre Energie und Intelligenz ihre Umgebung nachihrem Willen formen, so wie der Biber, der einen Damm bauen kann.Der Mensch, die am höchsten entwickelte Form materieller Wesen,kann einen sehr starken Einfluß auf seine Umgebung ausüben undsich so den Erdball im materiellen Sinn nach und nach Untertanmachen, indem er immer mehr Sphären für sich nutzbar macht.Die Grundbedingungen auf den verschiedenen Bewußtseinsebenen sindvöllig gleich. Der Geist benutzt geistigen Grundstoff alsBaumaterial, und die spirituelle Natur bedient sich derspirituellen Kräfte des Kosmos, so wie sich die Seeanemone sichfür ihren Aufbau der Nahrung bedient, die ihr das Wasser zuträgt.Die höherentwickelten Wesen sind genau wie die höherentwickeltenTierarten fähig, mit ihrer Energie und ihren Fähigkeiten auf ihrefeinstoffliche Umgebung einzuwirken. Der Geist, der aus geistigemGrundstoff besteht, macht seinen Einfluß in der geistigen Sphäregeltend.Wenn wir uns die astrale Ebene anschauen, die Ebene, auf der sichmenschlicher Geist teilweise verdichtet hat, werden wirfeststellen, daß die auf dieser Ebene tätigen Kräfte und Faktorendem Bewußtsein als sehr menschliche ätherische Formen erscheinen.

Page 191: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Wenn wir diese Tatsache vom philosophischen Standpunkt ausbetrachten und nicht vom Standpunkt des Glaubens aus, finden wirdafür keine Erklärung. Der Eingeweihte jedoch kann uns dieseErklärung geben. Er würde sagen, daß der menschliche Geist dieseFormen geschaffen hat, daß er sich die vernunftbegabten,natürlichen Kräfte eben als menschliche Formen vorstellt. Er gehtdabei ganz einfach davon aus, daß sich die Individualität, diesie offensichtlich besitzen, auf die gleiche Weise manifestiertwie seine eigene.Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend richtig. InWirklichkeit manifestieren sich die Lebensformen, wenn sieunbeeinflußt sind, in natürlichen Phänomenen und benutzen dabeials Vehikel Koordinationspunkte natürlicher Kräfte, wiebeispielsweise einen Fluß, ein Gebirge oder ein Unwetter. Woimmer der Mensch mit astralen Formen in Verbindung kommt, egal ober Spiritist oder Magier ist, wird er sie vermenschlichen undsich Formen schaffen, die ihm entsprechen, um sich selbst dieschwer definierbaren subtilen Kräfte zu vergegenwärtigen, mitdenen er so begierig Kontakt aufnehmen möchte, die er begreifenund seinem Willen unterwerfen will. Der Mensch ist ein wahresKind der großen Mutter, ein Kind Binahs, und geht seinernatürlichen Neigung zur Organisation und Schaffung von Formen aufallen Ebenen nach, zu denen sich sein Bewußtsein aufschwingenkann.Diese Formen, die auf der astralen Ebene von Menschenwahrgenommen werden können, die die Fähigkeit besitzen sie zusehen, sind von der menschlichen Phantasie dazu erschaffenworden, um als Abbild dieser subtilen natürlichen Kräfte zudienen, die eine andere Form der Evolution als die menschlichegewählt haben. Die intelligenten Wesen anderer Entwicklungs-formen lassen sich manchmal, wenn sie mit menschlichem Leben inKontakt kommen, dazu bewegen, diese Formen zu benutzen, wiejemand einen Taucheranzug benutzt, um sich damit in ein anderesElement, das Wasser zu begeben. Bestimmte grundlegende magischeZeremonien beschäftigen sich damit, diese Formen zu schaffen unddann Entitäten dazu zu bewegen, sie zu beseelen.Was geschieht, wenn ein solcher Prozeß im Gange ist? Derprimitive Mensch, der für übersinnliche Einflüsse wesentlichempfänglicher ist als sein zivilisierter Vetter und dessen Geistdurch Erziehung nicht in so feste Bahnen gelenkt ist, nimmt ganzintuitiv wahr, daß hinter jeder hochentwickelten Form natürlicherKraft ein subtiles Etwas steckt, das sie von jeder anderen Formunterscheidet. Der Mensch spürt das unbewußt viel deutlicher, alser jemals zugeben würde. Warum hat ein Schiff im Englischen denArtikel »she« und nicht »it«, warum sagt man »Vater Themse«? Einprimitiver Mensch, der hinter jedem Phänomen dieses Lebenerspürt, versucht zunächst, mit ihm in Kontakt zu treten und sichdanach mit ihm zu arrangieren. Da er ganz offensichtlich nicht

Page 192: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

damit rechnen kann es zu erobern, muß er zusehen, wie er sich ambesten mit diesem Etwas auf guten Fuß stellt, genauso wie er sichmit den fremdartigen Leben arrangieren muß, die vielleicht dieKörper eines anderen Stammes beseelen. Zunächst muß es zuUnterhandlungen kommen. Mit Personen, mit denen man nichtverhandeln kann, kann man auch zu keiner Einigung gelangen. Nachseiner eigenen, einfachen Methode eine Analogie zu finden, wirdder Wilde annehmen, daß die Wesen, die hinter diesen Phänomenenstecken, ein Reich bewohnen, das demjenigen gleicht, in dem sichsein Traumleben abspielt. Da Tagträume den nächtlichen Träumensehr ähnlich sind, sie aber gleichzeitig den Vorteil haben, daßsie durch seine Willenskraft zu steuern sind, versucht er, sichdiesen Wesen aus der anderen Sphäre durch Betreten ihres Reicheszu nähern. Das bedeutet, daß er in Tagträumen oder in seinerPhantasie Bilder heraufbeschwört, die den nächtlichen Visionenmöglichst nahe kommen. Wenn er einen hohen Konzentrationsgraderreicht, kann er sein Wachbewußtsein ausschalten und, wenn erwill, ins Traumstadium eintreten, in einen Traum jedoch, den erselbst steuern kann.Um sein Ziel zu erreichen, schafft er sich in seiner Phantasieeine geistige Form, die die prägnantesten Züge des jeweiligennatürlichen Phänomens trägt, mit dem er sich arrangieren will. Erruft sich diese Form immer wieder ins Bewußtsein zurück, erverehrt sie, er betet sie an, er beschwört sie. Wenn seineBeschwörungen eindringlich genug sind, wird ihn das Wesen, das erzu erreichen versucht, auf telepathischem Wege hören undvielleicht anfangen, sich dafür zu interessieren, was er macht.Wenn seine Verehrung und seine Opfer den Gefallen dieses Wesensfinden, wird es möglicherweise mit ihm kooperieren wollen.Allmählich wird es sich vielleicht zähmen lassen und sicheingewöhnen. Zum Schluß wird er es dann bewegen können, von Zeitzu Zeit in die Form zu schlüpfen, die er aus geistigem Stoff alsVehikel für dieses Wesen geschaffen hat. Der Erfolg dieserOperation ist natürlich davon abhängig, inwieweit sich derAnbeter in die Natur des Wesens, das er heraufbeschwören will,einfühlen kann. Er wird nur in dem Maße erfolgreich sein, in demsein eigenes Temperament es ihm erlaubt, sich in diese Naturhineinzuversetzen.Wenn die Versuche von Erfolg gekrönt sind, ist die Domestizierungeines Teiles des Lebens der Natur erreicht und seine Inkarnationeiner von seinem Anbeter für ihn geschaffenen Form. Solange dieastrale Form durch entsprechende Anbetung von Anbetern am Lebenerhalten wird, die die Fähigkeit besitzen, eine engere Verbindungmit dieser Art von Leben aufrechtzuerhalten, solange existiertein inkarnierter Gott, mit dem man Kontakt aufnehmen kann, derherabgeholt werden kann auf die Ebene menschlicher Wahrnehmung.Sobald die Anbetung aufhört, zieht er sich auf seinen Platz imSchoß der Natur zürnet. Erst wenn neue Anbeter auftauchen, die

Page 193: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

über das nötige Wissen zur Schaffung einer Form verfügen, dienatürlich im Einklang mit dem Charakter des heraufzubeschwörendenWesens stehen muß, und erst wenn diese neuen Anbeter aufgrundihres Einfühlungsvermögens eine enge Verbindung zu dem Wesenherstellen können, dem Wesen, das diese Form beseelt hat, dannwerden sie es auch bewegen können, dieselbe Form neu zu beseelen.Das Ganze ist nicht schwerer als ein wildgewordenes Pferd miteinem Korb Hafer wieder einzufangen.Nun könnte man auf die Idee kommen, daß all das nichts weiter alswilde Spekulation und purer Dogmatismus ist. Wie kann ich wissen,daß der primitive Mensch so vorgegangen ist? Ganz einfach. Dasist genau die Methode, die in den traditionellen Geheimlehrenschon seit alters her angewandt wird. Und sie funktioniert, wennder Anwender die entsprechende Fähigkeit zur Konzentrationerworben hat und die Symbole kennt, die nötig sind, um dieverschiedenen Formen aufzubauen. Die alten Götter kehren zu denfrisch geschürten Altarfeuern zurück. Im Bewußtsein des Anbeterszeichnen sich klare Ergebnisse ab. Wenn er dann noch die Technikder Spiritualisten beherrscht und ein Medium zur Materialisationhat, zeigen sich Phänomene ganz klar umrissener Form.Diese Methode wird von den Priestern, die in das Wisseneingeweiht sind, bei der Lesung einer Messe ebenfalls eingesetzt.In der Römisch - Katholischen Kirche Englands gibt es zwei Artenvon Priestern: den Gemeindegeistlichen, der über Pfründe verfügt,und den Angehörigen eines Mönchsordens, der Gemeinde - undspeziell innere Missionsarbeit als Teil seines Amtes betrachtet.Diese Mönche bringen, wie jeder Spiritist gerne bestätigen wird,ein hohes Maß an geistigen Kräften in ihre Messen mit ein. Wastatsächlich bei der Transsubstantiation geschieht, ist dasBeseelen einer astralen Form mittels geistiger Kraft. Das Wissenum diese Dinge und die Existenz von organisierten Gemeinschaften,klösterlichen Orden von Männern und Frauen, die darin geübt sind,diese Kraft anzuwenden, macht die Stärke der einen Katholischenund Apostolischen Kirche Englands aus. In der Nicht -Beherrschung dieses Wissens liegt die Schwäche der schismatischenReligionsgemeinschaften, die die Rituale der AnglikanischenKirche, selbst wenn sie mit allem dazugehörigen Zeremoniellabgehalten werden, gegenüber den Ritualen der Römisch -Katholischen Kirche wie Wasser im Vergleich zu Wein erscheinenlassen. Das liegt ganz einfach daran, daß die Priester, die dieRituale abhalten, nicht über das Wissen um die geheimen Ritenverfügen, das die Römisch - Katholische Kirche besitzt. Ich binkeine Katholikin und werde es auch nie wissen, denn ich bin nichtbereit, mich der Disziplin dieser Kirche zu unterwerfen. Ich binauch nicht der Meinung, daß es nur einen Namen unter dem Himmelgibt, durch den die Menschheit gerettet werden kann, so sehr ichdiesen Namen auch ehre. Aber ich erkenne geistige Kräfte, wennich ihnen begegne, und ich respektiere sie.

Page 194: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Macht der Römisch - Katholischen Kirche liegt nicht in ihrenDogmen, sondern in ihrem Wirken. Ihr Einfluß geht nicht daraufzurück, daß Petrus die Schlüssel in den Händen hat, waswahrscheinlich ohnehin nicht der Fall ist, sondern darauf, daßdie Kirche selbst ihre Aufgabe beherrscht. Die AnglikanischeKirche kann diese Macht genauso einsetzen, vorausgesetzt, siebedient sich dabei der von mir vorher genannten Mittel.

IIUm ein völliges Verständnis der Philosophie der Magie zuerlangen, sollten wir nicht vergessen, daß eine einzelne Sephirahniemals funktional sein kann. Voraussetzung für Funktionalitätist ein Paar von Gegensätzen, das sich im Gleichgewicht befindet.Aus diesem Gleichgewichtszustand resultiert dann wieder eindrittes, sich ebenfalls im Gleichgewichtszustand befindendesGanzes, das funktionell ist. Das Gegensatzpaar selbst ist nichtfunktionell, da sich Extreme gegenseitig neutralisieren. Erstwenn sie sich im Gleichgewichtszustand vereinigen und damit ineinem dritten weiterfließen - symbolisch vergleichbar mit Vater,Mutter, Kind - , entwickelt sich eine Eigendynamik, die sich vonder latenten Kraft, die vorher in ihnen geschlummert hat unddarauf wartete, geweckt zu werden, unterscheidet. DasFunktionsdreieck der unteren Triade wird von Hod, Netzach undJesod gebildet. Hod und Netzach entsprechen, wie bereits erwähnt,Form und Kraft auf der Astralebene. Jesod dient als Grundsteinfür die ätherische Substanz Akascha oder das astrale Licht, wiesie auch genannt wird. Hod ist das Reich der Magie, denn Hodbringt die Formen hervor und ist deshalb auch der eigentlicheWirkungsbereich des Magiers. Sein Geist schafft die Formen, undsein Wille stellt die Verbindung zu den natürlichen Kräften derNetzach - Sphäre her, die diese Formen dann beseelen. Wir wollennoch einmal festhalten, daß diese Beseelung der Form ohne ihreVerankerung in Netzach, die den Aspekt der astralen Kraftverkörpert, gar nicht möglich wäre. Da Netzach die Sphäre derEmotionen ist, wird die Verbindung durch Zuneigung und »Sich -Einfühlen« geschaffen. Durch seinen Willen kann sich der Magierüber Hod hinaus erheben, aber nur die Macht der Zuneigung trägtihn dann zu Netzach. Ein kaltblütiger Mensch mit dominantemWillen kann ebensowenig den Umgang mit dieser Macht erlernen wieein ständig mitfließender und mitfühlender Mensch, der völlig vonseinen Emotionen beherrscht wird. Zunächst braucht der Magierstarke Willenskraft, um die für die Aufgabe erforderlicheKonzentration aufzubringen. Später braucht er seinEinfühlungsvermögen, um die Verbindung zu schaffen. Nur durchunsere Fähigkeit, uns in Existenzformen, die von unserer eigenenabweichen, einzufühlen, ist eine Kontaktaufnahme mit dennatürlichen Kräften überhaupt erst möglich. Würden wir versuchen,sie durch unseren Willen zu beherrschen und sie mit allen

Page 195: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

heiligen Schimpfworten zu verfluchen, wenn sie nicht gehorchen,so wäre das Hexerei.Wir haben bereits vorab erwähnt, daß wir nur durch unsere eigenenFähigkeiten mit den Kräften der Natur in Verbindung tretenkönnen. Die Venus in uns stellt den Kontakt zu den von Netzachverkörperten Einflüssen her. Die Fähigkeit unseres Geistes zumagischen Handlungen schlägt die Brücke zu den Kräften der Hod -Merkur - Thoth - Sphäre. Wenn wir die Venus nicht in uns haben,also nicht die Fähigkeit besitzen, dem Ruf der Liebe zu folgen,werden sich für uns die Tore des Reiches Netzach niemals öffnen,und wir werden in dieser Sphäre niemals den Pfad der Einweihungbeschreiten können. Ebenso wird uns die Hod - Sphäre immer einBuch mit sieben Siegeln bleiben, wenn wir keine magischenFähigkeiten in uns haben, das heißt, wenn unser Intellekt nichtimstande ist, phantasievolle Bilder zu erzeugen. Wir können erstmit einer Sphäre arbeiten, wenn wir die Einweihung in sieempfangen haben, wodurch ihre Kräfte auf uns übertragen wordensind, um es in der Sprache der Kabbalisten auszudrücken.Technisch gesehen findet bei der Arbeit mit den Mysterien dieseEinweihung auf der physischen Ebene durch ein Zeremoniell statt,das nicht zwangsläufig auch zum Erfolg führen muß. Der springendePunkt ist der, daß Anlagen, die nicht bereits latent vorhandensind, auch nicht entwickelt werden können. Der wirklicheInitiator ist das Leben selbst. Die Erfahrungen, die wir im Lebensammeln, aktivieren die als Anlage vorhandenen Fähigkeiten,soweit sie da sind. Die Einweihungszeremonie und die in denverschiedenen Graden vermittelten Lehren erfüllen lediglich denZweck, das vorher Unbewußte ins Bewußtsein zu heben und mittelsdem von höheren Intelligenzen gelenkten Willen die entwickelteReaktionsfähigkeit auf bestimmte Stimuli steuern zu können, dievorher nur durch unwillkürliche Reize gelenkt werden konnten.Ich möchte betonen, daß wir nur in dem Maße, in dem unsereReaktionsfähigkeit über das Stadium der emotionalen Reflexehinaus auch unter der Kontrolle des Verstandes ist, dieseemotionalen Reflexe auch in magische Kräfte umzusetzen vermögen.Nur dann, wenn der Aspirant zwar fähig ist, dem Ruf der Venus aufallen Ebenen zu folgen, ihm aber auch ohne große Anstrengungwillentlich widerstehen kann, nur dann bringt er dieVoraussetzungen für die Einweihung in der Netzach - Sphäre mit.Deshalb sagt man auch von den Eingeweihten, daß sie zwar mitallen Dingen umgehen können, daß sie aber niemals von ihnenabhängig sind.Diese Gedanken sind für diejenigen geschrieben, die Augen haben,die Symbolik Hods zu sehen. Im Buch Jezirah heißt es, daß Hod dieperfekte Intelligenz ist, denn sie bildet das Mittel desUrsprünglichen. Anders ausgedrückt verkörpert Hod Macht, die sichim Gleichgewicht befindet, denn das Wort Mittel beschreibt einePosition in der Mitte zwischen zwei Extremen.

Page 196: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Der Gedanke der zurückgehaltenen Reaktion und der vorhersagbarenBefriedigung wird auch in Acht der Kelche deutlich, derengeheimer Name verworfener Erfolg lautet. Der Satz der Kelcheverkörpert in der Symbolik des Tarot den Einfluß der Venus, dieverschiedenen Aspekte und Einflüsse der Liebe. Verzicht aufErfolg, der Verzicht auf instinktive Reaktion, die Befriedigungauslösen würde, anders ausgedrückt, die Sublimation ist derSchlüssel zu der in Hod liegenden Macht. Sublimation ist hiernicht gleichzusetzen mit Unterdrückung oder Ausrottung. DerBegriff bezieht sich vielmehr sowohl auf denSelbsterhaltungstrieb als auch auf den Fortpflanzungstrieb, mitdem er in der landläufigen Meinung ausschließlich assoziiertwird.Der gleiche Gedanke taucht im geheimen Namen der Acht derSchwerter wieder auf, die auch Herr der verminderten Kraft heißt.Mit diesem Begriff verbinden wir die Vorstellung von »in Zaumhalten« oder Brechen einer dynamischen Kraft, um sie unterKontrolle zu bringen.Die Acht der Münzen, die Manifestation Hods auf der materiellenEbene, wird als Herr der Klugheit bezeichnet. Wieder liegt einkontrollierender Einfluß vor. Diese drei negativen, hemmendenKarten werden von der Acht der Stäbe angeführt, deren geheimerName Herr der Schnelligkeit^ Diese Karte symbolisiert den Einflußder Hod - Sphäre auf die spirituelle Ebene.Aus all dem läßt sich folgern, daß die dynamische Energie derhöchsten Ebene erst durch Zügelung und Enthaltsamkeit auf denunteren Ebenen zugänglich wird. In der Hod - Sphäre zügelt dieVernunft die animalisch - dynamische Natur der Seele, indem sieihr Hindernisse entgegensetzt. Sie konzentriert dieseHindernisse, sie formuliert sie, sie steuert sie, indem sie siebegrenzt und ihre Beseitigung verhindert. Das ist dasWirkungsprinzip der Magie, die mit Symbolen arbeitet. Mit Hilfedieser Magie werden die frei beweglichen natürlichen Kräftebezwungen und in gewollte und vorgezeichnete Bahnen gelenkt. DieErlangung der Fähigkeit zur Lenkung und Kontrolle geht auf Kostendes Fließens, und Hod wird deshalb mit Recht als WiderspiegelungBinahs durch Chesed bezeichnet.Nachdem wir uns mit den grundlegenden Prinzipien der Hod - Sphärebeschäftigt haben, können wir nun ihre Symbolik im einzelnenbetrachten.Das hebräische Wort Hod bedeutet Herrlichkeit und erinnert sofortdaran, daß sich in dieser Sphäre, der ersten, in der wirdefinitive, organisierte Formen finden, der strahlende Glanz desUrsprünglichen dem menschlichen Bewußtsein darbietet. Von denPhysikern wissen wir, daß wir nur deshalb einen blauen Himmelsehen können, weil die Staubpartikel in der Atmosphäre das Lichtreflektieren. Völlig staubfreie Atmosphäre wäre ganz dunkel.Dasselbe gilt auch für den metaphysischen Baum. Gottes

Page 197: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Herrlichkeit kann nur dann in Manifestationen erstrahlen, wennFormen dafür bereitstehen.Das magische Bild Hods ist ein interessantes Symbol fürMeditationen. Jene, die den Inhalt des voranstehenden Teilsverstanden haben, werden feststellen, daß die Symbolik desHermaphroditen, in der sich männliche und weibliche Elementeverbinden, das Wesen der Magie sehr gut zum Ausdruck bringt, dasin der Schaffung von Formen und im Umgang mit Kräften besteht.Hod ist im wesentlichen die Sphäre der von den Kräften der Naturbeseelten Formen. Umgekehrt ist sie auch die Sphäre, in der dieKräfte der Natur zum ersten Mal eine deutlich sichtbare Formannehmen.Mit dem Buch Jezirah haben wir uns bereits auseinandergesetzt undkönnen die entsprechende Passage nachlesen.Der Gottesname Hods, Elohim Tseva'oth, Gott der Heerscharen,beinhaltet in interessanter Form die hermaphroditische Symbolik.Elohim ist ein feminines Substantiv mit einem maskulinen Pluralund drückt so in der kabbalistischen Sprache aus, daß es sich umeine Art von Aktivität handelt, der zwei Aspekte zugrunde liegen,oder anders gesagt Kraft, die dadurch wirkt, daß sie organisiertist. Bei allen drei Sephiroth der negativen Säule desLebensbaumes ist das Wort Elohim Teil des Gottesnamens.Tetragrammaton Elohim bei Binah, Elohim Gibbor bei Gevurah,Elohim Tseva'oth bei Hod.Tseva'oth bedeutet soviel wie Schar oder Heer und vermittelt unsdie Vorstellung von der Manifestation des göttlichen Lebens inHod durch die Schar von Formen, die durch Kraft beseelt sind undim Gegensatz zu den fließenden Formen Netzachs stehen.Die Tatsache, daß der mächtige Erzengel Michael Hod zugeordnetwird, regt uns erneut zum Nachdenken an. In jeder bildlichenDarstellung zertritt sein Fuß eine Schlange, die er mit seinemSchwert durchbohrt hat. Oft hält er noch eine Waage in der Handals Symbol des Gleichgewichts, das im Buch Jezirah mit den WortenMittel des Ursprünglichen ausgedrückt wird.Die Schlange, die der mächtige Erzengel zertritt, ist dieprimitive Kraft, die phallische Schlange aus der FreudschenLehre. Die Darstellung versinnbildlicht die restriktive VernunftHods, die die primitive Kraft beschneidet und sie an derÜbertretung ihrer Grenzen hindert. Der Fall wird, wie wir unserinnern, im Baum durch die mächtige Schlange mit sieben Köpfendargestellt, die die ihr gesetzten Grenzen überschreitet und ihregekrönten Köpfe bis zu Daath emporhebt. Es ist interessantfestzustellen, wie sehr die Symbole miteinander verwoben sind,wie sie sich gegenseitig bestärken, wie mit Hilfe des einen dieBedeutung des anderen erfaßt werden kann und wie sie schließlichihre Früchte vor dem kontemplierenden Kabbalisten ausbreiten.Die Engelsordnung, die in Hod am Werke ist, heißt Bene Elohim,Söhne der Götter. Wieder treffen wir auf den Gedanken eines

Page 198: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Gottes der Heerscharen oder der Heere. Eine der wichtigstenGrundideen der Geheimwissenschaft ist das Wirken des Schöpfersdurch Mittelsmänner. In der Vorstellung der nicht eingeweihten,weltlichen Menschen arbeitet Gott so wie der Arbeiter, der Steinfür Stein mit eigener Hände Arbeit ein Bauwerk errichtet.Eingeweihte sehen in Gott der großen Architekten des Universums,dessen Plänen Archetypen zugrunde liegen und der seineInstruktionen dann an die Aufseher, die Erzengel, weitergibt. DieErzengel wiederum instruieren und beaufsichtigen die Scharen derbescheidenen Bauarbeiter, die Stein für Stein das »Bauwerk« nachden archetypischen Plänen des Höchsten errichten. Hat man schonjemals einen Architekten erlebt, der ein Bauwerk geplant und esdann mit eigener Hände Arbeit ausgeführt hätte? Das war noch nieder Fall, auch nicht als das Universum konstruiert wurde.Wir haben bereits erwähnt, daß Merkur das weltliche Chakradarstellt und seine Symbolik, die des Hermes - Thoth beschrieben.Die mit dieser Sephirah verbundene spirituelle Erfahrung ist dieVision des hellen Glanzes, in dem sich Gottes Herrlichkeit in dervon ihm geschaffenen Welt manifestiert. Der in Hod Eingeweihtesieht hinter den Erscheinungsformen der Schöpfung ihren Schöpfer,und in dem Moment, in dem er den hellen Glanz der Natur alsGewand des Höchsten erkennt, wird er erleuchtet und einer derMitarbeiter des großen Schöpfers. Wenn er begreift, daß alleManifestationen und Erscheinungen dem Einfluß der spirituellenKräfte unterliegen, hat er den Schlüssel zu den in Hod wirkendenKräften gefunden, mit denen in der Magie des Lichts gearbeitetwird. Dadurch, daß der Meister der weißen Magie sich zum Kanalfür diese Kräfte macht, vermag er Ordnung in das Durcheinanderder Sphären der Unausgeglichenheit zu bringen, jedoch nichtdadurch, daß er die unsichtbaren Kräfte mit Hilfe seines Willenseinfach umleitet. Sein Ziel ist, ins Gleichgewicht zu bringen,was sich im Ungleichgewicht befindet. Mit willkürlicherManipulation hat das nichts zu tun.Jetzt leuchtet uns ein, daß in dieser Sphäre des Merkur - Hermes,des Gottes der Wissenschaften und der Bücher, die höchste Tugenddie Wahrhaftigkeit ist und daß der umgekehrte Aspekt dieserSephirah Merkur als Gott der Diebe und schlauen Gauner darstellt.In der esoterischen Ethik hat jede Ebene ihren eigenen Maßstabvon Gut und Böse. Der Maßstab der physischen Ebene ist Stärke,der der astralen Ebene Schönheit. Auf der geistigen Ebene ist esdie Wahrheit und auf der spirituellen Ebene Gut und Böse, so wiewir diese beiden Begriffe normalerweise gebrauchen. Deshalbexistiert Ethik nur auf der spirituellen Ebene. Alles andere istbestenfalls Zweckmäßigkeit. Wie passend, daß die Kabbala in derSphäre des konkreten Geistes Wahrhaftigkeit als höchste Tugendangibt.Als Entsprechung im Mikrokosmos werden, im Einklang mit derastrologischen Herrschaft des Planeten Merkur, Lenden und Beine

Page 199: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

genannt.Die Hod zugeordneten Symbole sind Namen und Versikel sowie dieSchürze. Die Namen sind hier die Worte der Macht, in denen derMagier die vielgestaltigen Kräfte der Bene Elohim zusammenfaßtund ins Bewußtsein ruft. Diese Namen sind keineswegswillkürliche, barbarische Bezeichnungen ohne etymologischenUrsprung oder Bedeutung. Sie sind vielmehr philosophischeFormeln. In einigen Fällen kann man ihren etymologischen Ursprungzurückverfolgen, wie beispielsweise bei den ägyptischenGottheiten, deren Namen, wenn sie mehrere Kräfte in sichvereinen, aus den verschiedenen Kräften und den Symbolen fürdiese Kräfte zusammengesetzt sind. In allen magischen Systemen,die in der Kabbala wurzeln, setzen sich die magischen Namen ausdem numerischen Wert der Konsonanten des jeweils benutztenheiligen Alphabets zusammen. Neben der bekannten hebräischenKabbala existieren auch eine arabische, eine griechische und einekoptische Kabbala. Die Konsonanten ergeben, wenn sie durch dieentsprechenden Zahlwörter ersetzt werden, eine Zahl, die manmathematisch auf viele verschiedene Arten angehen kann. Einigedieser Wege ähneln den Methoden der reinen Mathematik. Wenn mandie Ergebnisse wieder in die entsprechenden Buchstabenzurückübersetzt, zeigen sie interessante Übereinstimmungen mitden Namen ähnlicher oder verwandter Kräfte. Wir haben es hier miteinem eigenartigen Teil der kabbalistischen Lehre zu tun, beidessen Erforschung ein kompetenter Forscher auf interessanteErgebnisse stoßen kann. Der Laie jedoch sollte sich vor deneingebauten Fallen in acht nehmen, denn die Ergebnisse lassensich nicht so leicht nachprüfen und nur durch fundiertes Wissenüber die Grundprinzipien läßt sich herausfinden, ob die Analogienlegitim sind oder nicht. Nur so können wir auch verhindern, daßwir zu Opfern der Leichtgläubigkeit und des Aberglaubens werden.Versikel sind »mantrische« Sätze. Ein Mantra ist eine sonoreFormel, die, wenn man sie wie ein Rosenkranzgebet ständigwiederholt, eine besondere Form der Autosuggestion darstellt. DerHintergrund ist jedoch zu komplex, um ihn hier im einzelnenerläutern zu können.Für den Eingeweihten taucht bei dem Wort Schürze sofort dieAssoziation zum weisen Salomon auf. Die Schürze ist dascharakteristische Merkmal des Eingeweihten in die niederenMysterien, der im übertragenen Sinne als Handwerker, alsHersteller der Formen gilt. Da Hod der Wirkungsbereich derSchöpfer magischer Formen ist, trifft die Symbolik hier wiederumden Kern. Die Schürze bedeckt und verhüllt das Mondzentrum Jesod,auf das wir an gegebener Stelle eingehen werden. Wie bereitserwähnt, symbolisiert Jesod den funktionalen Aspekt desGegensatzpaares auf der astralen Ebene.Die vier Achten des Tarot, die dieser Sephirah zugeordnet werden,haben wir bereits behandelt.

Page 200: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß wir es bei Hod mit derSphäre der formalen Magie zu tun haben, im Gegensatz zur reinenGeisteskraft. Die Formen, die der Magier, der hier mit dennatürlichen Kräften arbeitet, auf den Plan ruft, sind die BeneElohim, die Söhne der Götter.

24. Jesod

Bezeichnung:Jesod, das Fundament (Hebräische Schreibweise: rw\y Jod, Samech,Vav, Daleth)Magisches Bild:Ein schöner, nackter, sehr starker MannPosition im Baum:Im unteren Teil der Säule des GleichgewichtsText im Jezirah:Der neunte Pfad heißt reine Intelligenz, denn sie reinigt dieEmanationen. Sie bestätigt und berichtigt die Pläne für ihreAusführung und bestimmt die Einheitlichkeit, mit der sieausgeführt werden, ohne Schmälerung oder Teilung.Gottesname:Shaddai El Chai, der allmächtige, lebendige GottErzengel:Gabriel, starker Mann oder Held GottesOrdnung der Engel:Keruvim, die StarkenWeltliches Chakra:Levanah, der MondSpirituelle Erfahrung:Vision der Maschinerie des Universums Tugend:Unabhängigkeit Laster:Untätigkeit ,Entsprechung im Mikrokosmos:Die PortpflanzungsorganeSymbole:Düfte und SandalenTarotkarten:Die vier NeunenNeun der Stäbe:Große StärkeNeun der Kelche:Materielles GlückNeun der Schwerter:Verzweiflung und GrausamkeitNeun der Münzen:Materieller GewinnFarbe in Aziluth:

Page 201: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

IndigoFarbe in Beriah:ViolettFarbe in Jezirah:Sehr dunkles PurpurFarbe in Assia:Zitronengelb gefleckt mit Azurblau

IDie Symbolik Jesods enthüllt bei genauerer Betrachtung zweischeinbar nicht zusammenpassende Symbolreihen. Zum einen istJesod als Fundament des Universums konzipiert, das sich aufStärke gründet. Dieses Konzept wird dadurch gestützt, daß derGedanke der Stärke immer wieder auftaucht: im magischen Bild desschönen, starken, nackten Mannes, im Gottesnamen Shaddai, derAllmächtige, in den Keruvim, den starken Engeln und in der Neunder Stäbe, deren geheimer Name Herr der großen Stärke ist. Zumanderen begegnen wir der Symbolik des Mondes, des Fließenden, desständig im Fluß und Rückfluß Begriffenen, dessen Vorsitz Gabriel,der Erzengel des Elementes Wasser führt.Wie können wir diese beiden widersprüchlichen Konzeptemiteinander in Einklang bringen? Die Antwort darauf ist im BuchJezirah zu finden, das über den neunten Pfad sagt: »Er reinigtdie Emanationen. Er bestätigt und berichtigt die Pläne für dieAusführung und bestimmt die Einheitlichkeit, mit der sieausgeführt werden, ohne Schmälerung oder Teilung«. WeitereKlärung schafft die zu Jesod gehörende spirituelle Erfahrung.Diese Erfahrung liegt in der Vision der Maschinerie desUniversums.Daraus ergibt sich das Bild von den fließenden Wassern des Chaos,die schließlich durch die »Darstellungen«, die in Hodausgearbeitet wurden, aufgefangen und geordnet werden. Diesesletzte »Bestätigen, Berichtigen und Bestimmen derEinheitlichkeit«, der »Ausführung« oder der gestaltendenVorstellungen gründet in der Aufstellung einer Maschinerie desUniversums als Vision, die die spirituelle Erfahrung dieserSephirah ist Jesod als die Sphäre der Maschinerie des Universumszu beschreiben, erscheint angebracht, denn wenn wir dasKönigreich Erde mit einem großen Schiff vergleichen, dann istJesod der Maschinenraum.Jesod ist auch die Sphäre jener besonderen Substanz, die sowohlaus Geist als auch aus Materie besteht und die auch Äther derWeisen, Akascha oder astrales Licht genannt wird, je nachdemwelche Terminologie man benutzt. Sie ist nicht gleichzusetzen mitdem, was der Physiker Äther nennt, was aber eigentlich demfeurigen Element der Malkuth - Sphäre entspricht. Sie verhältsich zum Äther der Physiker etwa so wie der Äther zur dichtenMaterie. Diese Substanz ist die Grundlage jener Phänomene, die

Page 202: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

der Physiker seinem empirischen Äther zuschreibt. Man könnte denÄther der Weisen auch die Grundsubstanz für den Äther derPhysiker nennen.Für den Materialisten ist das materielle Universum ein unlösbaresRätsel, denn er versucht, es mit Erklärungen, die ebenfalls dermateriellen Ebene entstammen, zu entschlüsseln. Das funktioniertin keiner der Gedankensphären. Nichts kann aus sich selbst herauserklärt werden, es muß immer als Teil eines größeren Ganzenverstanden werden. Eingeweihte haben von jeher gesagt, daß dievier Elemente der Klassiker ihren Ursprung in einem fünften, demÄther, haben. Einer der Lehrsätze esoterischer Philosophielautet, daß jeweils vier sichtbare Stadien in einem fünften,unsichtbaren wurzeln. Die vier Welten der Kabbalisten zumBeispiel haben ihre Wurzeln hinter den Schleiern des Nichts. Nurwenn wir von der Existenz dieses nichtmanifesten Fünften ausgehenund es als Ursprung der vier Manifesten ansehen, können wir derenNatur begreifen. So treffen wir in Jesod auf das nichtmanifesteFünfte der vier Elemente Malkuths. Das Feuer der Klassikerentspricht dem Äther der Modernen, und Erde, Wasser und Luft sindjeweils das feste, flüssige und gasförmige Stadium der Materie.Wir sollten Jesod, so wie es uns die Kabbalisten lehren, alsAuffanggefäß für die Emanationen der anderen Sephiroth ansehen,als direkten und einzigen Übermittler dieser Emanationen anMalkuth, die Ebene des Physischen Jezirah sagt, daß es dieAufgabe Jesods ist, die Emanationen zu reinigen, zu bestätigenund zu berichtigen. Deshalb ist Jesod auch die Sphäre, in der dieVorbereitungen zur Korrektur auf der Sphäre dichter Materiegetroffen werden oder zumindest die Vorgänge, die dieEinheitlichkeit ihrer Erscheinungsformen bestimmen. Damit istJesod die Sphäre der Art von Magie, die Einfluß auf die physischeWelt nehmen will.Nicht zu vergessen ist dabei, daß alle Sphären ihrer Naturentsprechend wirken und daß diese Natur unveränderlich ist, dasheißt, daß sie in ihrer Substanz weder durch Magie noch durchWunder, egal wie mächtig sie auch sein mögen, beeinflußt werdenkann. Wir können lediglich die »Pläne« für die Darstellungen»berichtigen«. Die Dinge, die dargestellt werden, bleiben diegleichen. Die in der materiellen Welt herrschenden Bedingungenkönnen in keiner Weise durch willkürliche Einflußnahme, auchnicht seitens der höchsten spirituellen Kräfte, geändert werden.Die Menschen, die zu Gott beten, damit er sie heilt oder damit erRegen schickt, scheinen das irrigerweise anzunehmen. Doch selbstder mächtigste Zauberer mit all seiner Zauberkraft vermag nicht,diese Bedingungen zu verändern. Nur über die Erfahrung Jesodskann man zu Malkuth gelangen und nur über Hod, wo die„Darstellungen geplant« wurden, zu Jesod. Wir sollten uns ein fürallemal die Vorstellung aus dem Kopf schlagen, daß die geistigeSubstanz direkt Einfluß auf die Materie nimmt, denn das stimmt

Page 203: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

einfach nicht. Die geistige Substanz wirkt auf den Verstand ein,der Verstand auf den Äther, der Äther wiederum, der als Rahmenfür die Bildung von Materie und als Vehikel der Lebenskräftedient, kann innerhalb seiner natürlichen Grenzen beeinflußtwerden, wobei der Spielraum relativ groß ist. Daraus läßt sichschlußfolgern, daß alle als Wunder betrachteten, übernatürlichenPhänomene durch Einflußnahmen auf die natürlichen Charakteristikades Äthers entstehen. Wenn uns diese immanenten Charakteristikades Äthers bekannt sind, können wir auch das Grundprinzip derEntstehung dieser Phänomene erfassen. Wir sollten nicht längerGott als den Urheber betrachten oder gar die Seelen Verstorbener.Schließlich führen wir heute das Phänomen der Brennfähigkeitbestimmter Substanzen auch nicht mehr auf den Einfluß desPhlogistons zurück, eines Stoffes, von dem unsere Ahnen annahmen,daß er aktiv am Verbrennungsvorgang beteiligt sei, und von dessenVorhandensein es abhängig sein sollte, ob eine Substanz brennbarwar oder nicht. Vielleicht haben manche von uns in der Schuleetwas über Phlogiston gelernt oder später gesehen, daß dieAnsichten über diesen Stoff sich gewandelt haben. Der Tag wirdkommen, an dem die Menschheit parapsychologischen Phänomenen undGeistheilung genauso wissend gegenübersteht wie wir heute demPhlogiston.Bei unserem gegenwärtigen Erkenntnisstand können wir keineerschöpfenden Aussagen über die Natur des jesodischen Äthersmachen. Wir können lediglich Feststellungen treffen, die aufErfahrung im Umgang mit ihm beruhen. Durch Experimente mitHektoplasma, das sehr ähnliche Eigenschaften aufweist, haben wirbereits viel gelernt. Man könnte es auch im Gegensatz zumanorganischen Äther der Physiker als organischen Ätherbezeichnen. Wir wissen, daß Hektoplasma Formen annehmen und sieauch beibehalten kann, daß es aber auch imstande ist, dieseFormen genauso schnell wieder aufzulösen, wie es sie schafft. Dasbeweist, daß nicht die Formen das Leben bestimmen, sondern daß,ganz im Gegenteil, das Leben die Formen bestimmt. Wir wissenauch, daß Hektoplasma ausgeschieden und danach wieder absorbiertwerden kann, obwohl uns über die Hintergründe dafür nichtsbekannt ist. Hektoplasma ist eine Art ätherisches Protoplasma,und wir können deshalb annehmen, daß der Äther oder das astraleLicht zum Hektoplasma im gleichen Verhältnis steht wie dasHektoplasma zum Protoplasma.Obwohl wir über die grundlegende Natur des astralen Äthersgenausowenig wissen wie über die Natur der Elektrizität, könnenwir doch aufgrund von Erfahrungen bestimmte Aussagen über seineEigenschaften machen. Diese Aussagen gründen sich nicht auftheoretische Schlußfolgerungen, sondern auf Erfahrungswerte. Wirwissen aus der Praxis, daß wir diese feinstoffliche Substanzaufgrund ihrer Eigenschaften innerhalb der ihr durch ihrer Naturgesetzten Grenzen bis zu einem gewissen Grad manipulieren können.

Page 204: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Zwei dieser Eigenschaften sind für den angewandten Okkultismusvon grundlegender Bedeutung, denn sie bilden die Basis für dasSystem, in dem er arbeitet.Die erste Eigenschaft ist die Formbarkeit des astralen Äthersdurch den Verstand, die zweite ist die Fähigkeit dieses Äthers,die Moleküle der dichten Materie in seinem netzartigenSpannungsfeld festzuhalten wie Honig in einer Bienenwabe. Andieser Stelle mag der Leser sich fragen, woher wir denn wissenkönnen, daß der Äther diese Eigenschaften besitzt, die für unseremagische Hypothese von so großer Wichtigkeit sind. Die Antwortlautet, daß das Vorhandensein dieser Charakteristika die einzigmögliche Erklärung für die Eigenschaften ist, die sich inlebender Materie und in bewußtem Geist eindeutig nachweisenlassen. Weder Geist noch Materie sind aus sich selbst herauserklärbar. Der Geist ist nicht ohne Einbeziehung vonSinneswahrnehmungen erklärbar und lebende Materie nicht ohne dieExistenz von Bewußtsein. Sinneswahrnehmungen beruhen auf beidem,auf Geist und Materie, und sind isoliert betrachtet nicht zuerklären. Um das Zustandekommen der nervlichen Empfindungenbegreifbar zu machen, müssen wir von der Existenz einer Substanzausgehen, die als Mittler zwischen Geist und Materie fungiert. Umerklären zu können, wie gesteuerte Bewegungen zustande kommen,müssen wir ebenfalls eine solche Substanz voraussetzen, eineSubstanz, die gedankliche Eindrücke aufzunehmen und zu speichernvermag und die die einzelnen Atome in den Atomgruppen der Materiepositionsmäßig verändern kann. Diese Eigenschaften schreiben wirunserem hypothetischen astralen Äther zu und begründen dieseVorgehensweise mit dem Verweis darauf, daß die Physiker beimNachweis ihres Äthers ähnlich vorgegangen sind. Wir betrachtendas einfach als Präzedenzfall. Wenn diese Voraussetzungen imBereich der Physik akzeptiert wurden, ist es kaum einzusehen,warum die Psychologen nicht auch ihren Äther haben dürfen. Einemalten Grundsatz zufolge sollten Hypothesen zwar nicht unnötig oftwiederholt werden, aber wenn sie sich einmal als so nützlicherwiesen haben wie im Fall des Äthers, ist das wohl für unsRechtfertigung genug, um in der verwandten Wissenschaft derPsychologie ähnlich vorgehen zu dürfen. Sicher ist, daß diePsychologie so lange keine großen Fortschritte gemacht hat, wiesie sich auf den materialistischen Standpunkt beschränkte und dasBewußtsein des Menschen als schmückendes Beiwerk betrachtete, dasheißt als ein unwichtiges, nutzloses Abfallprodukt derphysiologischen Vorgänge. Es mag dahingestellt sein, ob manüberhaupt irgend etwas in der Natur als unwichtig und nutzlosbezeichnen kann. Nehmen wir als Beispiel den Steinkohleteer alsunwichtiges, nutzloses Abfallprodukt bei der Herstellung von Gas.Zuerst konnte ihn praktisch jeder bekommen, um damitbeispielsweise seinen Zaun zu teeren. Erst später wurde dieEntdeckung gemacht, daß aus ihm wertvolle chemische Präparate,

Page 205: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wie Farbstoffe und Medikamente, gewonnen werden können.

IIWas die Magie angeht, ist Jesod die wichtigste Sephirah, ähnlichwie Tiphereth beispielsweise die wichtigste Funktionssphäre derMystik ist, die in transzendenter Verbindung zum Höchsten steht.Wenn wir den Baum des Lebens in seiner Gesamtheit betrachten,stellen wir fest, daß er in Triaden aufgebaut ist. DieEntsprechungen der drei Höchsten auf einem tiefer liegenden Bogensind Chesed, Gevurah und Tiphereth. Jeder Praktiker desKabbalismus weiß, daß in der Praxis Tiphereth Kether entspricht,denn solange wir in einem Haus aus Fleisch weilen und leben,werden wir niemals das Antlitz Gottes erblicken. Wir erkennen denVater nur im Sohn. So gesehen »zeigt uns Tiphereth den Vater«.Netzach, Hod und Jesod bilden die untere Triade, die vonTiphereth überlagert wird so wie das niedere Selbst vom höherenSelbst. Man könnte es so ausdrücken, daß die vier unterenSephiroth im Baum die Persönlichkeit, die einzelne Inkarnationhervorbringen, während die höhere Triade, die aus Chesed, Gevurahund Tiphereth besteht, die Individualität oder das höhere Selbstbildet. Die drei Höchsten setzen den göttlichen Funken. Wirnehmen zwar an, daß jede Sephirah die nächstfolgende emaniert,stellen aber auch bei genauerem Hinsehen fest, daß jede Triade,wenn sie erst einmal steht und im Gleichgewicht ist, immer alsGegensatzpaar dargestellt wird, das sich in einer funktionalendritten Sephirah manifestiert. In der unteren Triade ist Jesoddie im Gleichgewicht befindliche dritte im Gegensatzpaar Netzachund Hod, aus dem sie emaniert ist. In Jesod sind bereits dieEmanationen Tiphereths und durch sie auch die Ketherseingeflossen, weil der Kraftstrom immer an der jeweiligen Säulenach unten fließt. Da Jesod von Netzach und Hod beeinflußt wird,die wiederum von den jeweiligen Säulen, zu denen sie gehören.Kraftströme empfangen, kann man Jesod, kabbalistisch formuliert,mit Recht als »Auffanggefäß der Emanationen« bezeichnen. Malkutherhält seine göttlichen Kräfte aus Jesod.Jesod ist für den praktizierenden Okkultisten äußerstbedeutungsvoll, denn sie ist die erste Sphäre, mit der er inKontakt kommt, wenn er sein Bewußtsein über Malkuth hinausemporhebt und den »Aufstieg über die Ebenen« beginnt. Wenn ersich über die Ebene von Malkuth hinaus erhebt und wenn er denschrecklichen zweiunddreißigsten Pfad, das Tav, das auch dieKreuzigung des Leidens genannt wird, überwunden hat, betritt erJesod, die Schatzkammer der Vorstellungen, das Reich Mayas, derIllusion. Ohne Zweifel ist Jesod allein betrachtet die Sphäre derIllusion, denn die Schatzkammer der Vorstellungen ist nichtsanderes als der reflektierende Äther der Erdsphäre und entsprichtmikrokosmisch gesehen dem, was die Psychologen das Unbewußtenennen. Dort befindet sich eine Anhäufung alter, vergessener

Page 206: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Dinge, die seit der Kindheit unserer Rasse unterdrückt wordensind. Die Schlüssel, die uns die Türen zur Schatzkammer derVorstellungen öffnen und uns Macht über ihre Bewohner verleihen,finden wir in Hod, der Sphäre der Magie. In der Lehre derMysterien heißt es wahrheitsgemäß, daß ein Grad erst dannbearbeitbar wird, wenn der Initiierte den nächsten Grad bereitserreicht hat. Jeder Mensch, der auf der Jesod - Ebene als Magiertätig sein will, wird sehr bald einsehen, daß er Fehler macht. Erist zwar fähig, die Vorstellungen der Schatzkammer wahrzunehmen,kennt aber die Worte der Macht nicht, mit denen er siebeherrschen könnte. Deshalb führt der Pfad der Einweihung,jedenfalls im Westen, die Schüler der niederen Mysterien direktzu Tiphereth. Über den östlichen Pfad kann ich keine Aussagenmachen, da ich ihn nicht kenne. Im Westen jedoch führt er entlangder mittleren Säule und folgt nicht dem Weg des Lichtstrahls. InTiphereth erreicht der Eingeweihte den ersten Grad des Adeptenund kann auf Wunsch von dort aus zurückkehren, um die Technikender Magie zu erlernen, die sich auf die Persönlichkeit des Baumesbeziehen, das heißt auf die makrokosmische Inkarnationseinheit.Wenn er das nicht möchte, sondern statt dessen vom Rad des Lebensund des Todes frei sein will, steigt er entlang emittieren Säule,die von den Kabbalisten auch der Pfad des Pfeils genannt wird,weiter nach oben, überwindet den Abgrund und gelangt zu Kether.Wer in dieses Licht eintritt, kehrt nicht zurück.Jesod ist auch die Sphäre des Mondes. Um die Bedeutung des Mondeszu verstehen, wollen wir uns etwas mit der Sichtweise derKabbalisten beschäftigen. Eingeweihte sind der Ansicht, daß derMond sich von der Erde am Scheitelpunkt der Entwicklung, zwischender ätherischen Phase und der Phase der Bildung dichter Materiegetrennt hat. Wer die astrologische Terminologie kennt, weiß, daßder Scheitelpunkt der Punkt zwischen zwei Sternzeichen ist, andem sich die Eigenschaften der beiden Zeichen miteinandervermischen. Der Mond hat also etwas von der Materie mitbekommen,und deswegen erkennen wir ihn als leuchtende Kugel am Firmament.Sein Hauptteil besteht aus Äther, weil seine Blütezeit in derEntwicklungsphase der ätherischen Formen liegt. Aus diesem Grundwird die entsprechende Phase von einigen Okkultisten auch dieLunaphase der Evolution genannt. Diejenigen, die sich eingehendermit diesem Thema beschäftigen wollen, möchte ich auf die Büchervon Max Heindel Die Weltanschauung der Rosenkreuzer und Mme.Blavatsky Die Geheimlehre verweisen. Da die Kabbalisten einanderes Klassifikationsmodell als die Verdantisten anwenden,können wir uns an dieser Stelle nicht mit dem äußerstumfangreichen Thema der »Strahlen und Kreise« beschäftigen. Wirwollen uns darauf beschränken, im Dogma verankerte und demOkkultisten bekannte Tatsachen zu erwähnen und Hinweise zu geben,wo der Leser, falls erwünscht, genauere Informationen zu diesemThema bekommen kann.

Page 207: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Mond und Erde teilen sich nach der Theorie der Okkultisten einengemeinsamen ätherischen Körper, obwohl sie getrennte physischeKörper besitzen und der Mond der ältere von beiden ist. Dasbedeutet, daß der Mond, was den ätherischen Körper betrifft, derpositiv geladene Pol der Batterie ist, die Erde der negativgeladene. Jesod reflektiert, wie wir wissen, die SonneTiphereths, die wiederum Kether auf einem tiefer gelegenen Bogenentspricht. Aus der Astronomie ist uns seit langem bekannt, daßder Mond deshalb leuchtet, weil er von der Sonne angestrahltwird. Seit neuestem deuten die Astronomen an, daß die feurigeSonnenenergie womöglich aus dem äußeren Raum gespeist wird. Indie kabbalistische Terminologie übersetzt, wäre der äußere Raumdas Nichts. Bei den Kabbalisten ist diese Lehre schon so alt wiedie Geschichte von Enoch, der neben Gott ging und nicht mehr war,da Gott ihn zu sich genommen hatte. Anders gesagt hatte er dieEinweihung in Kether bekommen.Aus dem Gesagten läßt sich schließen, daß Jesod - Luna sichständig in Fluß und Rückfluß befindet, da die Menge desaufgefangenen und reflektierten Sonnenlichtes in einem 28tägigenZyklus zu - und abnimmt. Malkuth oder Erde durchläuft abergleichzeitig einen 365tägigen Zyklus, dessen Phasen durchÄquinoxen und Sonnenwenden markiert sind. Das Zusammenwirkendieser Gezeiten ist für den okkulten Praktiker von sehr großerBedeutung, denn seine Arbeit ist in entscheidendem Maße davonabhängig. Die Tabellen dieser Gezeiten, von denen einige sehrumfangreich sind, wurden von jeher unter Verschluß gehalten. Dain ihnen die geheimen Verfahren erläutert werden, die wirklichenGeheimnisse des Okkultismus, die erst nach der Einweihungpreisgegeben werden, können wir sie hier nicht näher behandeln.Dem Leser dürfte jedoch inzwischen klar sein, daß der lunareÄther bestimmten Gezeiten folgt, daß diese Gezeiten wichtig sindund daß es für den Schüler des Okkultismus sicherlichZeitverschwendung wäre, ohne die notwendigen Tabellen arbeiten zuwollen.Wie im 28 - Tage - Zyklus der Frau, so spielen die lunarenGezeiten auch in den physiologischen Vorgängen bei Pflanzen undTieren eine wichtige Rolle, insbesondere beim Keimen und späterenWachstum der Pflanzen und bei der Fortpflanzung der Tiere. DerZyklus des Mannes unterliegt den Einflüssen des Sonnenjahres.Dieser Zyklus kommt in den künstlich beleuchteten und beheiztenBehausungen unserer Zivilisation nicht so stark zum Tragen.Dennoch schrieb einmal ein Poet: »Im Frühling geben sich jungeMänner gern dem Gedanken an die Liebe hin.« Diese Aussage ist sozutreffend, daß es fast banal anmutet, sie an dieser Stelle zuzitieren.Die ätherischen Vorgänge sind von der Stimulation des Mondesabhängig, und da Erde und Mond Ach. denselben ätherischen Körperteilen, spielen sich bei Vollmond die meisten ätherischen

Page 208: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Aktivitäten ab. Entsprechend erreicht die ätherische Energie beiMondfinsternis ihren Tiefpunkt, wodurch ungeordneten, störendenKräften Tür und Tor geöffnet werden. Der Drachen der Kelippothreckt sein vielköpfiges Haupt empor. Deshalb ist es beiMondfinsternis ratsam, die praktische okkulte Arbeit ruhen zulassen, es sei denn, man ist ein wirklicher Könner. Die Lebengebärenden Kräfte sind sehr schwach und die unausgeglichenenKräfte sehr stark. In den Händen eines Laien kann das nur zuchaotischen Ergebnissen führen.Alle spirituellen und sensitiven Menschen sind sich dieserkosmischen Gezeiten bewußt, und selbst diejenigen, die das nichtoffen zugeben würden, werden durch sie mehr beeinflußt, alsallgemein angenommen wird. Bei Krankheiten, wenn die physischenEnergien erschöpft sind, ist die Auswirkung besonders deutlich zuspüren.Da in Jesod der Schlüssel zum magischen Wirken liegt, können wirüber diese Sephirah nicht allzuviel aussagen. Wir müssen unsdarauf beschränken, ihre Symbolik in rudimentärer Form zubeleuchten. Aber: Wer Ohren hat zu hören, der kann auch ruhigdavon Gebrauch machen.Mit den sonderbaren dualistischen Charakteristika von Hod undNetzach haben wir uns bereits beschäftigt. Das magische Bild Hodsist ein Hermaphrodit. In der Antike wurde Venus - Aphrodite auchgelegentlich als bärtig dargestellt. Bei Jesod treffen wir erneutauf die doppelte Symbolik und bei Malkuth, wie wir bald erfahrenwerden, ebenfalls. Diese Tatsache beweist eindeutig, daß wir injeder dieser Sephiroth der unteren Ebene des Baumes eine Seiteder Form und eine Seite der Kraft unterscheiden müssen. Besondersdeutlich wird das bei Jesod und Malkuth, denen beiden sowohlGötter als auch Göttinnen zugeordnet werden.Jesod ist vor allem die Sphäre des Mondes und wird als solche vonDiana, der griechischen Mondgöttin, regiert. Diana warursprünglich eine keusche Göttin, eine ewige Jungfrau, und alsder übereifrige Aktaion sie verärgerte, ließ sie ihn von seineneigenen Jagdhunden zerreißen. Immerhin wurde Diana in Ephesus alsdie Vielbrüstige dargestellt und als Fruchtbarkeitsgöttinbetrachtet. Außerdem ist auch Isis eine Mondgöttin. InAbbildungen finden wir immer das Symbol eines zunehmenden Mondesauf ihrer Stirn, aus dem in Hathor dann Kuhhörner wurden, denndie Kuh galt bei allen Völkern als Symbol der Mutterschaft. Inder kabbalistischen Lehre werden Jesod die Fortpflanzungsorganezugeordnet.Auf den ersten Blick erscheint alles etwas verwirrend, da dieSymbole sich anscheinend gegenseitig ausschließen. Wenn wir aberetwas genauer hinschauen, entdecken wir die Verbindung zwischenden verschiedenen Symbolen.Dem Mond werden die Göttinnen Diana, Selene oder Luna und Hekate,die Göttin der Hexerei und des Zaubers, auch als Göttin der

Page 209: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Geburt bekannt, zugeordnet.Es existiert jedoch auch ein wichtiger Mondgott, und das istniemand Geringeres als Toth selbst, der Herrscher der Magie.Nachdem wir in Griechenland auf die Mondgöttin Hekate und inÄgypten auf den Mondgott Thoth gestoßen sind, können wir dieBedeutung des Mondes für die Magie nicht mehr leugnen. Wo findenwir aber nun den Schlüssel zu der Symbolik dieses magischenMondes, der manchmal als jungfräuliche Göttin und manchmal alsFruchtbarkeitsgöttin in Erscheinung tritt.Die Antwort liegt nahe: In der zyklischen Natur des Mondes und imZyklus der Frau treffen wir auf sie. Es gibt Momente, in denenDiana vielbrüstig ist, und Momente, wo ihre Jagdhunde denEindringling gnadenlos in Stücke reißen.Während unseres Studiums des Luna - Zyklus haben wir es mit denätherischen Bedingungen zu tun, nicht mit den physischen. DerMagnetismus aller lebenden Geschöpfe ist, festen Gezeitenfolgend, zu - oder abnehmend. Das läßt sich unschwer feststellen,sobald man sich näher damit beschäftigt. Am deutlichsten zeigt essich in zwischenmenschlichen Beziehungen. Beim Menschen ist derMagnetismus relativ stabil. Manchmal ist der Magnetismus deseinen Partners zunehmend, manchmal der des anderen.Nun könnte man sich fragen, warum die Sphäre Jesods ätherischerNatur ist, wenn ihr doch die Fortpflanzungsorgane zugeordnetwerden, die ja ohne Zweifel eine physische Funktion haben. DieAntwort auf diese Frage finden wir in den subtilen Bereichen desSex, die offensichtlich in der westlichen Welt völlig inVergessenheit geraten sind. Wir können uns hier damit nicht inallen Einzelheiten befassen und wollen uns damit begnügenhervorzuheben, daß alle wichtigen Aspekte des Sex im ätherischenund magnetischen Bereich liegen. Man könnte ihn mit einem Eisbergvergleichen, von dem sich fünf Sechstel unter derWasseroberfläche befinden. Die physischen Aspekte des Sex spieleneine untergeordnete Rolle. Sie sind keineswegs der wichtigsteTeil. Die Tatsache, daß so viele Ehen ihren Zweck verfehlen,nämlich die beiden Hälften zu einem perfekten Ganzenzusammenzufügen, ist auf unsere Unkenntnis dieser Zusammenhängezurückzuführen.Wir messen der magischen Seite der Ehe keine Bedeutung zu, obwohldie Kirche ja die Ehe auch als Sakrament betrachtet. EinSakrament ist definiert als ein äußerlich sichtbares Zeicheneiner im Inneren vorhandenen Gnade, und genau diese Gnadevermisse ich in den Hochzeitszeremonien der angelsächsischenRasse mit ihrem ziemlich unterkühlten Temperament und ihrerVerachtung für den Körper. Die innere spirituelle Gnade, die ausder Ehe ein echtes Sakrament macht, ist nicht die Gnade derSublimation, des Verzichts oder die Reinheit der Verweigerung,der Abstinenz. Es ist die Gnade, die aus Pans Segen erwächst, dieGnade der Freude an den natürlichen Dingen, die in den Gedichten

Page 210: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Walt Whitmans Adams Kinder so wundervoll zum Ausdruck gebrachtwird.Sehr bedeutsam ist die Tatsache, daß Jesod Düfte und Sandalenzugeordnet werden. Beide Dinge spielen in magischen Ritualen einewichtige Rolle. Die Sandalen, weiche, flache Schlappen, die demFuß genügend Spielraum lassen, werden in Zeremonien beimAbschreiten des magischen Kreises getragen. Sie sind für diepraktische Arbeit des Okkultisten als Ausrüstung genausounerläßlich wie sein magischer Stab. Gott sagte zu Moses: »Zieh'die Schuhe von den Füßen, denn du stehst auf heiligem Boden.« DerAdept schafft sich seinen heiligen Boden selbst, indem er seineFüße in die geheiligten Sandalen steckt. Das Bodentuch in derentsprechenden Farbe und mit den entsprechenden Symbolen istebenfalls ein wichtiger Bestandteil jeder Logenausstattung. Essoll den Magnetismus der Erde, mit dem in der Zeremoniegearbeitet wird, ebenso auf diese Stelle konzentrieren, wie derAltar Brennpunkt der spirituellen Kräfte ist. Durch unsere Füßenehmen wir den Erdmagnetismus auf, und wenn es ein besondererMagnetismus sein soll, dann müssen wir auch besondere Sandalentragen, die seine magischen Ströme nicht hemmen.Düfte sind für zeremonielle Handlungen ebenfalls äußerst wichtig,da sie die ätherischen Aspekte verkörpern. Ihre psychologischeWirkung ist zwar bekannt, die Kunst ihrer Anwendung wird jedoch,außer in den okkulten Logen, kaum gelehrt. Die Verwendung vonDüften ist der wirksamste Weg, um die Töne der Gefühlsskalaanklingen zu lassen und so eine andere Bewußtseinsebene zuerreichen. Wie schnell lösen sich unsere Gedanken von irdischenDingen, wenn uns vom Altar her der Duft von Weihrauch in die Nasesteigt, und wie schnell kehren wir wieder in die Wirklichkeitzurück, wenn von der nächsten Kirchenbank ein Schwall Patchoulizu uns herüberweht.Auch bei den vier dieser Sephirah zugeordneten Tarotkarten istdeutlich die Einwirkung des ätherischen Magnetismus zu erkennen.Wenn wir Erdkontakt haben und von Pan gesegnet sind, erfahren wirgroße Stärke. Materielles Glück ist ebenso damit verbunden. Ohneden Segen Pans wäre uns diese Erfahrung nicht möglich, weil unseinfach die innere Ruhe dazu fehlen würde. Auf der negativenSeite begegnen wir den Tiefen der Verzweiflung und Grausamkeit.Wenn der Erdkontakt vorhanden ist, erwartet uns jedochmaterieller Gewinn, weil wir dann fähig sind, uns sicher auf derEbene der Materie zu bewegen.

25. Malkuth

Bezeichnung:Malkuth, das Reich (Hebräische Schreibweise: jwklm Mem, Lamed,Kaph, Vav, Tav)Magisches Bild:

Page 211: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Eine junge Frau, die eine Krone trägt und auf einem Thron sitztPosition im Baum:Am Fuß der Säule des GleichgewichtsText im Jezirah:Der zehnte Pfad heißt glänzende Intelligenz, weil sie über jedesHaupt erhaben ist und auf dem Thron Binahs sitzt. Sie erhellt denGlanz aller Lichter und läßt vom Prinz der Angesichter, dem EngelKethers, einen Einfluß ausströmen. Bezeichnungen für Malkuth:Das Tor, das Tor des Todes, das Tor des Todesschattens, das Torder Tränen, das Tor der Gerechtigkeit, das Tor des Gebets, dasTor der Tochter der Mächtigen, das Tor zum Garten Eden, dieuntere Mutter, Malkah, die Königin; Kallah, die Braut; dieJungfrauGottesname:Adonai Melekh oder Adon ha - AretsErzengel:Sandalphon Engelschor:Ishim, FeuerseelenWeltliches Chakra:Olam ha - Jesodoth, Sphäre der ElementeSpirituelle Erfahrung:Vision des heiligen SchutzengelsTugend:UrteilsvermögenLaster:Geiz, TrägheitEntsprechung im Mikrokosmos:Die Füße, der After Symbole:Der doppelkubische Altar, das gleicharmige Kreuz, der magischeKreis, das Dreieck der KunstTarotkarten:Die vier ZehnenZehn der Stäbe:UnterdrückungZehn der Kelche:Andauernder ErfolgZehn der Schwerter:RuinZehn der Münzen:WohlstandFarbe in Aziluth:GelbFarbe in Beriah:Zitronengelb, Oliv, Rostbraun, SchwarzFarbe in Jezirah:Zitronengelb, Oliv, Rötlichbraun, Schwarz mit Gold geflecktFarbe in Assia:Schwarz gestreift mit Gelb

Page 212: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ISicher ist dem Leser aufgefallen, daß man das Diagramm des Baumesin drei funktionale Dreiecke unterteilen kann. Malkuth gehört zukeinem dieser Dreiecke. Sie liegt außerhalb, und die Kabbalistensagen, daß Malkuth die Einflüsse oder Emanationen aller anderenSephiroth enthält. Malkuth ist als einzige Sephirah nicht Teileines Dreieckes und wird auch als einzige Sephirah mehrfarbig undnicht einfarbig dargestellt. Sie ist in vier Abschnitteunterteilt, in die vier Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser.Obwohl Malkuth in keinem der Dreiecke eine Funktion hat, ist siedas Endergebnis aller Aktivitäten des Baumes. Sie ist der Nadirder Evolution, das äußerste Ende des auslaufenden Bogens, derPunkt, den alles Leben durchlaufen muß, bevor es zu seinemUrsprung zurückkehren kann.Malkuth wird auch die Sphäre der Erde genannt. Wir dürfenallerdings nicht den Fehler begehen anzunehmen, daß dieKabbalisten mit Malkuth nur die konkrete Erde meinen. Sieverstehen darunter ebenfalls die Erd - Seele, das heißt denfeinstofflichen, spirituellen Aspekt der Materie, das derphysischen Ebene zugrundeliegende Noumenon, das die physischenPhänomene auslöst. Dasselbe trifft auch auf die vier Elemente zu.Sie sind nicht als Erde, Luft, Feuer und Wasser unserer Physikerzu verstehen, sondern als die vier Energiezustände. DerEsoteriker unterscheidet sie von ihren weltlichen Entsprechungen,indem er sie als Luft der Weisen, Erde der Weisen und so weiterbezeichnet. Das bedeutet soviel wie das Element Luftbeziehungsweise das Element Erde nach dem VerständnisEingeweihter.Für den Physiker existieren drei verschiedene Zustände derMaterie. Erstens der feste, in dem die einzelnen Partikel festaneinander gebunden sind. Zweitens der flüssige, in dem diePartikel sich frei bewegen können. Drittens der gasförmige, indem sie sich soweit wie möglich voneinander entfernen oder andersausgedrückt: sich verteilen. Diese drei Zustände der Materieentsprechen den drei Elementen Erde, Wasser und Luft. DasPhänomen der Elektrizität entspricht dem Element Feuer. Dieesoterische Wissenschaft ordnet alle Phänomene, die sich auf derphysischen Ebene manifestieren, unter diese vier Hauptgruppenein, da sie die beste Möglichkeit sind, um die den Phänomeneneigene Natur zu erfassen. Sie sagt auch, daß jede Kraft unterbestimmten Bedingungen von einem Zustand in einen anderenüberwechseln kann, so wie Wasser sich sowohl in seinem normalenflüssigen Zustand befinden als auch gefroren sein kann.Der Esoteriker erkennt in Malkuth das Endergebnis aller Vorgänge.Erst wenn die Gegensatzpaare das stabile Gleichgewicht erreichthaben, das dem Zustand Erde, dem festen Zusammenhalt, entspricht,

Page 213: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

erst dann kann man von ihnen sagen, daß sie einen ganzenEntwicklungszyklus abgeschlossen haben. Sie schließen sich danachzu einem dauerhaften Vehikel der Manifestation mit einerfestgelegten stereotypen Reaktion zusammen. Die so entstandeneMaschinerie, die ein Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten in sichvereinigt, ist wartungsfrei und benötigt ein Minimum anAufmerksamkeit, ähnlich wie die Herzklappen des Menschen sichaufgrund einer immer wiederkehrenden Impulsserie und durch denDruck des pulsierenden Blutes in schöner Regelmäßigkeit öffnenund schließen.Es ist wichtig, sich zu merken, daß in Malkuth ein Zustand derStabilität erreicht ist. In der Trägheit liegt ein großer Vorteilbei Malkuth. Alle anderen Sephiroth sind in unterschiedlichemMaße mobil. Sogar die mittlere Säule erlangt denGleichgewichtszustand nur in der Bewegung, ähnlich wie einSeiltänzer.Wie die anderen Sephiroth so kann auch Malkuth nur in Beziehungzu ihren benachbarten Intelligenzen begriffen werden. In diesemFalle gibt es nur eine benachbarte Intelligenz, nämlich Jesod.Wir können also die Funktionsweise Malkuths erst verstehen, wennwir sie zu Jesod in Beziehung setzen.Malkuth ist zwar die Sphäre der Formen, aber jeder Zusammenhaltvon Partikeln, abgesehen von ganz einfachen mechanischen Impulsenund elektromagnetischen Mechanismen der Anziehung und Abstoßung,beruht auf dem Wirken Jesods. Andererseits ist Jesod zwar dieformgebende Sephirah, aber ihr Wirken kann sich nur mit Hilfe deraus Malkuth stammenden Substanz manifestieren. Die von Jesodgeschaffenen Formen bleiben so lange der »Stoff, aus dem dieTräume sind«, bis sie sich aus den Materiepartikeln Malkuthseinen Körper bauen. Sie sind wie Impulsnetze, in die diephysischen Partikel eingewebt werden. Auch Malkuth ist lebloseMaterie, bis sie durch die Kräfte Jesods beseelt wird.Wir müssen uns die Ebene der Materie als äußeres sichtbaresZeichen der unsichtbaren ätherischen Abläufe vorstellen. Nur dieMeßinstrumente des Physikers können die Ursubstanz Malkuthsmessen. Natürlich ist dort, wo Leben ist, auch Jesod, denn Jesodist Träger des Lebens. Wir sollten uns aber auch bewußt machen,daß, wenn wir auf elektrische Aktivität oder Leitfähigkeit, seies die von Kristallen, Metallen oder chemischen Stoffen stoßen,ebenfalls die Kräfte Jesods am Werke sind. Aufgrund dieserTatsachen sind bestimmte Substanzen als Talisman geeignet, da sieastrale Kräfte leiten.Wir können hier nicht detailliert auf die esoterische Physikeingehen, möchten aber dem Interessierten doch so vielvermitteln, daß er ein Grundverständnis der diesem Konzept dermateriellen Welt zugrundeliegenden Prinzipien erlangt, in denendie Welt das sichtbare Bühnenbild eines unsichtbaren Netzwerkesvon Kräften darstellt.

Page 214: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Es ist deshalb so wichtig, daß die Art der Beziehung zwischenMalkuth und Jesod genau verstanden wird, weil diese Beziehung fürdie Praxis des Okkultisten von großer Bedeutung ist. In jedemFall ist Jesod das formgebende Prinzip, und alle Formen, die indieser Sphäre entstehen, werden, da sie nach Ausdruck in dermateriellen Welt drängen, in der Sphäre Malkuths eine materielleForm annehmen, sofern sie keine unvereinbaren Gegensätzeenthalten. Die Materiepartikel sind jedoch sehr resistent undschwer formbar, und die Kräfte Jesods können nur dann zum Tragenkommen, wenn sie die Materie in ihrer feinsten Form beeinflussen,die die Eingeweihten Element des Feuers nennen. Zeigt diesesUrfeuer eine Reaktion, dann ist auch ein Einfluß auf die anderenElemente möglich.Das Urfeuer ist Materie, die sich in einer Art Extremzustandbefindet, von dem nur die sehr hochentwickelte Physik Kenntnishat. Es handelt sich hier eher um miteinander in Verbindungstehende Teilchen als um Materie im üblichen Sinne. Man könntesagen, daß die Urluft die Fähigkeit besitzt, die Voraussetzungfür diese Verbindung der Teilchen zu schaffen und deshalb diewesentliche Grundlage für physisches Leben ist. Nur wenn dieMaterie imstande ist, einen Organismus zu bilden, kann organischeSubstanz überhaupt erst entstehen. Das Urwasser oder Wasser derWeisen ist nichts anders als Protoplasma. Urerde entsprichtorganischer Materie.Jede dieser organisierten Kräfte mit ihrer Reaktionsfähigkeit hatganz spezielle, nur ihr eigene Charakteristika, von denen sieauch nicht um Haaresbreite abweichen wird, selbst dann nicht,wenn alle Kräfte des Kosmos auf sie einwirken. Da aber in diesenvier Urstadien bestimmte Möglichkeiten der Einflußnahme und desAusdrucks enthalten sind, kann man sie untereinander, einen durchden anderen beeinflussen, und es werden dadurch Ergebnisseerzielt, die wir in Ermangelung eines wirklichen Begreifens derZusammenhänge als Magie bezeichnen. Durch Magie können wir diesesehr schwach ausgeprägten Urformen beeinflussen. Aber auch dasLeben selbst wirkt auf sie ein, und deshalb muß Magie, wenn siemehr als Autosuggestion sein soll, die gleichen Methoden anwendenwie das Leben, das heißt, sie muß sich des Protoplasmas bedienen,da es in seiner eigentümlichen netzartigen Struktur diefeinstofflichen magnetischen Kräfte des Feuers der Weisen in sichträgt, die ihm die Urluft zugetragen hat. Anders gesagt muß derEingeweihte seinen eigenen Körper als Starthilfe benutzen. Durchden Magnetismus seines Protoplasmas entsteht die Basis derManifestation jeglicher Kraft, die bis zur Malkuth - Sphäregelangen konnte. Hier treffen wir auch auf das Prinzip derErzeugung von Protozoen und Spermatozoen.Das, was heute die moderne Wissenschaft als Materie ansieht, istdem sehr ähnlich, was in der Esoterik schon seit undenkbarenZeiten als solche bezeichnet wurde. Was wir durch unsere Sinne

Page 215: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

wahrnehmen, sind Phänomene, die auf das Wirken bestimmter Artenvon Kraft zurückgehen, die sich normalerweise unterschiedlichorganisieren und zusammensetzen. Nur wenn wir die Natur dieserKräfte erfassen, können wir auch die Natur der Materie vollbegreifen. Die esoterische Wissenschaft versucht das auf dem Wegeder ständigen Verdünnung der Materie zu erreichen. DieseVerdünnung geht bis zu einem Punkt, wo in ihr kaum noch Substanznachweisbar ist. Was der Physiker als Materie ansieht, ist weitentfernt von dem, was sie in Wirklichkeit ist.Die Esoterik geht das Problem andersherum an. Sie sagt, daßMaterie und Geist zwei Seiten ein und derselben Münze sind, daßman aber irgendwann in der Forschung an den Punkt kommt, wo manbesser die psychologische Terminologie benutzt und von Kräftenund Formen spricht, so als handle es sich um bewußte undzielgerichtete Phänomene. Die esoterische Wissenschaft ist derMeinung, daß wir so mit den Phänomenen, auf die wir treffen,wesentlich besser umgehen können, als wenn wir uns daraufbeschränken würden, sie nur als leblose Materie und ziellose,ungesteuerte Kräfte anzusehen. Aufgrund der Natur unseresIntellekts ist es ratsam, mit Hilfe von Analogien zu einembesseren Verständnis zu gelangen. Wenn wir auf dieser Stufe derForschung angelangt sind, wo wir leblose Materie als Analogieheranziehen, werden wir feststellen müssen, daß diese Analogie indiesem speziellen Fall nicht angebracht ist und deswegen eherbeschränkend und verwirrend wirkt, als uns eine Hilfe zu sein.Wenn wir statt dessen die Worte Leben, Intelligenz undzielgerichteter Willen benutzen und sie den Erfordernissen desrudimentären Entwicklungsstandes, auf dem wir uns befinden,anpassen, haben wir eine Analogie gefunden, die uns neuePerspektiven eröffnet, statt sie einzuschränken, und die unserVerständnis erweitert.Aus eben diesem Grund personifiziert der Esoteriker diefeinstofflichen Kräfte und nennt sie Intelligenzen. Er behandeltsie, als seien sie fähig, intelligent zu reagieren und machtdabei die Erfahrung, daß ein subtiler Aspekt seiner eigenen Naturund seines eigenen Bewußtseins auf diese Kräfte reagiert und, wieer zufrieden feststellt, die Kräfte auch auf ihn. Ob die Reaktionnun wirklich beidseitig ist oder nicht, sei dahingestellt, aufjeden Fall hat seine Fähigkeit, mit ihnen umzugehen im Vergleichzu vorher, wo er sie als »zufälliges Zusammentreffen von nichtmiteinander in Beziehung stehenden Ereignissen« betrachtet hat,enorm zugenommen.

IIMalkuth ist zwar der Nadir der Evolution, wir sollten sie abernicht als tiefste Tiefe der Nicht - Spiritualität betrachten,sondern wie eine Markierungsboje bei einer Regatta. Jedes Boot,das den Rückweg antreten will, muß um diese Boje herumfahren,

Page 216: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

sonst wird es disqualifiziert. Dasselbe gilt für die Seele. Wennwir der Disziplin Materie entkommen wollen, bevor wir siegemeistert haben, bewegen wir uns nicht in Richtung höhererSphären, sondern kommen zu einem Stillstand in der Entwicklung.Genau darin liegt das spirituelle Manko der unzähligen, wie Pilzeaus dem Boden schießenden Gruppen, die uns die Lehren des fernenOstens und des fernen Westens vermitteln wollen. Durch billigenIdealismus suchen sie den harten Anforderungen des Lebens zuentfliehen. Dabei beinhaltet das nicht einen Fortschritt in derEntwicklung, sondern eher einen Rückschritt. Früher oder späterwerden sie das Hindernis angehen und überwinden müssen. Das Lebenwird sie immer und immer wieder damit konfrontieren undirgendwann auch zu Peitsche und Sporen greifen, sprich zupsychischer Krankheit. Wer sich dem Leben nicht stellt, muß esabspalten, und Bewußtseinsspaltung ist der Auslöser für diemeisten psychischen Krankheiten.Die Geschichte bringt aus einer völlig anderen BlickrichtungLicht in die Entwicklung der moralischen und spirituellenProbleme. Die Zivilisation und die Inspiration haben ihrenUrsprung im Osten, eine Tatsache, auf die die Angehörigen dieserRasse beziehungsweise die Anhänger der fernöstlichen Traditiongern mit Stolz verweisen. Sie meinen, der Westen müsseehrfurchtsvoll zu Füßen des Ostens sitzen, um von ihm dieGeheimnisse des Lebens zu erfahren.Es läßt sich nicht bestreiten, daß wir von den östlichenLebensphilosophien viel lernen können, insbesondere über dietiefgründigen Aspekte der Psychologie, über die im Ostenwesentlich mehr bekannt ist. Ebensowenig läßt sich aber auchbestreiten, daß die Evolution, die im Osten begann, ihrenEntwicklungsschwerpunkt jetzt im Westen hat und daß der Ostensich am Westen orientieren sollte, wenn er die Kunst des Lebensauf unserem Planeten Erde weiterentwickeln und verfeinern willund nicht zum Spinnrad unserer Großmütter zurückkehren möchte.Wir wollen dabei auch nicht außer acht lassen, daß ein primitiverLebensstandard auch einen primitiven Todesstandard mit sichbringt. Eine primitive Kultur kann auch nur eine geringeBevölkerungsdichte verkraften. Viele Menschen, alte und junge,müssen sterben, damit das gewährleistet ist. Wenn wir zur Naturzurückkehren, wird sie mit uns nach ihrer Manier verfahren undwahrscheinlich nicht viel Federlesens machen. Das ungehemmteRegiment der Natur ist nicht gerade sehr angenehm. Wenn dieMenschenmassen zu groß werden, entledigt sie sich ihrer durchKrankheiten und Hungersnöte. Mit der Zivilisation des weißenMannes kam die Verbesserung der sanitären Bedingungen. Wenn derMensch überhaupt nichts mehr dafür tut, wird er sich seinesKörpers vielleicht schneller und gründlicher entledigen können,als er möchte, besonders wenn nicht mehr auf die sanitärenBedingungen in einem dicht besiedelten Land geachtet wird.

Page 217: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Die Griechen haben die Malkuth zugrundeliegenden Prinzipienbesser als irgend jemand anderes begriffen. Sie sind dieBegründer der europäischen Kultur. Sie lehrten uns, daß Schönheitsich in perfekten Proportionen und im perfekten Funktionierenausdrückt und sonst in gar nichts. Die Verzierung dergriechischen Urnen mit Figuren bewog Keats dazu, Betrachtungenüber ideale Wahrheit und ideale Schönheit anzustellen. Für denendlichen Geist existiert kein höheres Ideal der Kontemplationals dieses, denn dadurch werden das Gesetz und die Propheten überdie strengen Verbote Moses hinweggehoben und öffnen sich derInspiration eines idealen Zieles.Die Zivilisation hat das vergangene Jahrtausend hindurch Kämpfein der Malkuth - Sphäre ausgefochten. Die Menschheit brauchtkeine Astrologen, die ihr prophezeihen, daß der große Krieg dasEnde einer Epoche war und daß wir uns jetzt am Anfang einer neuenbefinden. Nach der kabbalistischen Lehre wird das Symbol desLichtstrahls, nachdem er seinen Abstieg im Baum in Malkuthvollendet hat, durch die Schlange der Weisheit ersetzt, die sichdie Pfade wieder hinaufwindet, bis ihr Kopf neben Kether zuliegen kommt. Der Lichtstrahl verkörpert den unbewußten Abstiegder Kraft, die die verschiedenen Ebenen der Manifestationerschafft und von der aktiven zur passiven Seite und zurückfließt, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt. Die sich diePfade entlangwindende Schlange verkündet das Heraufdämmern desobjektiven Bewußtseins und ist ein Symbol der Einweihung. DieEvolution steht am Beginn des Pfades, den Eingeweihte schon vorder Zeit beschritten haben und den nun die ganze menschlicheRasse allmählich beschreiten wird. Was bisher nur Eingeweihtenvorbehalten war, wird jetzt auch für den Durchschnittsmenschenselbstverständlich werden.Der Kopf der Evolution erhebt sich langsam über Malkuth hinaus inRichtung Jesod. Das hat zur Folge, daß sowohl die reine als auchdie angewandte Wissenschaft sich vom Studium der leblosen Materieentfernt und beginnt, sich mit der ätherischen und psychischenSeite der Phänomene zu beschäftigen. Für diejenigen, die dieZeichen der Zeit lesen können, ist diese Umbruchphase überall umuns herum deutlich erkennbar. Wir begegnen ihr in der Medizin, inden internationalen Beziehungen, in der Wirtschafts- undIndustriestruktur. Am zögerndsten wird ihr Einfluß in Physiologieund Psychologie spürbar, die beide hartnäckig an dermaterialistischen Erklärbarkeit aller Dinge festhalten,insbesondere an der der Lebensprozesse und das sogar, obwohl diePhysik, die sich schon von jeher mit lebloser Materiebeschäftigt, ihren materialistischen Standpunkt aufgegeben hatund sich der mathematischen Sichtweise öffnet.Die okkultistische Einteilung Malkuths in die vier Elemente istfür uns ein wertvoller Schlüssel. Materie, so wie wir sie kennen,ist das Element der Erde bei Malkuth. Die unterschiedliche

Page 218: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

physische Aktivität, sei es in Molekülen oder Massen, können wirin die zwei Hauptkategorien Anabolismus und Katabolismuseinordnen, das heißt in die Prozesse der Bildung und Auflösungvon Stoffen. In die esoterische Terminologie übersetzt haben wires mit dem Wasser oder der Luft Malkuths zu tun. Immer wenn inder esoterischen Philosophie oder der heidnischen Mythologie vondiesen Elementen die Rede ist, können wir das Gesagte auf diesebeiden metabolischen Prozesse und Funktionen beziehen. Das FeuerMalkuths stellt den subtilen elektromagnetischen Aspekt derMaterie dar, der das Bindeglied zwischen Bewußtseins - undLebensprozessen bildet. Alle Mythen über das Leben gehören indiesen Bereich.Wenn wir dieses Klassifikationsprinzip verstanden haben, wird dieTerminologie der Alchemisten für uns weniger geheimnisvoll undverständlicher, denn wir begreifen, daß die Einteilung in diesevier Elemente sich eigentlich auf vier verschiedene Arten derManifestation auf der physischen Ebene bezieht. DiesesEinordnungssystem ist für uns weniger geheimnisvoll undverständlicher, denn wir begreifen, daß die Einteilung in diesevier Elemente sich eigentlich auf vier verschiedene Arten derManifestation auf der physischen Ebene bezieht. DasEinordnungssystem ist für uns sehr wertvoll, denn es ermöglichtuns, die Beziehungen und Entsprechungen zwischen der physischenEbene und den dahinterstehenden Lebensprozessen zu verstehen. DieErkenntnis dieser Zusammenhänge ist vor allem für das Studium derPhysiologie und Pathologie und bei deren Anwendung von großemWert. Fortschrittliche Physiker beginnen bereits, sich langsamfür diesen Standpunkt zu erwärmen, und die Lehren Paracelsus'werden heute schon von mehr als einem der führenden Köpfe derMedizin zitiert. Dem Konzept der Siathese, der körperlichbedingten Veranlagung zu bestimmten Krankheiten, wird immer mehrAufmerksamkeit geschenkt.Die Psychotherapie andererseits erkennt nach und nach, daß diealte Einteilung in vier verschiedene Temperamente oderCharaktertypen ein nützlicher Leitfaden für die Therapie ist unddaß es keinen Sinn hat, alle Menschen über einen Kamm scheren zuwollen. Noch nicht einmal was den geistigen Bereich betrifft,kann man sagen, daß ähnliche Ergebnisse auch ähnliche Ursachenhaben müssen, denn das Temperament der jeweiligen Personverfälscht die Ergebnisse. Apathie beim Phlegmatiker kann zumBeispiel auf purer Langeweile beruhen, die gleiche Apathie beimSanguiniker könnte aber auf einen Bruch innerhalb derPersönlichkeit hinweisen. Die Analogie zwischen materiellen undgeistigen Dingen kann in die Irre führen, während die Analogiezwischen geistigen und materiellen Dingen uns einen großenSchritt weiterbringen kann.Die vier Elemente entsprechen den vier Temperamenten nachHippokrates, den vier Tarot - Sätzen, den zwölf Sternzeichen und

Page 219: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

den sieben Planeten. Wenn wir die Bedeutung dieser Aussagengenauer untersuchen, werden wir einige wichtige Hinweise darinentdecken.Das Element Erde entspricht dem phlegmatischen Temperament demSatz der Münzen, den Sternzeichen Stier, Jungfrau und Steinbockund den Planeten Venus und Mond.Das Element Wasser entspricht dem melancholischen Temperament,dem Satz der Kelche, den Sternzeichen Krebs, Skorpion und Fischeund dem Planeten Mars.Das Element Luft entspricht dem cholerischen Temperament, demSatz der Schwerter, den Sternzeichen Waage, Zwillinge undWassermann und den Planeten Saturn und Merkur.Das Element Feuer entspricht dem sanguinen Temperament, dem Satzder Stäbe, den Sternzeichen Widder, Schütze und Löwe und denPlaneten Sonne und Jupiter.Wir sehen also, daß, wenn wir weltliche Dinge und Phänomene unterdie Kategorien der vier Elemente einordnen, sofort die Verbindungzur Astrologie und zum Tarot erkennbar wird. In derwissenschaftlichen Praxis folgt der Beobachtung eines Phänomensals nächstes Stadium seine Einordnung. Ein Großteil derwissenschaftlichen Arbeit besteht nur aus diesen beidenVorgängen. Das Gros der Wissenschaftler sieht darin sein gesamtesAktivitätsspektrum. Wenn Wissenschaft nur aus diesen beidenVorgängen bestünde, wie das Fußvolk dieses Zweiges meint, dannwäre sie nichts weiter als die Auflistung von Phänomenen, geradeso als ob die Börsenmakler nun auch ins Universum Einzug haltenwürden. Der phantasievolle Wissenschaftler, dem allein der NameForscher gebührt, erstellt ein Einordnungssystem, nicht um Dingefein säuberlich wegzustecken, sondern um dadurch neueZusammenhänge zu finden.Vom phantasievollen Wissenschaftler, der Zusammenhänge erkennt,bis zum philosophischen Wissenschaftler, der sie interpretiert,ist es nur ein Schritt. Der nächste Schritt führt vomphilosophischen Wissenschaftler, der die Kausalzusammenhängedeutet, zum esoterischen Wissenschaftler, der untersucht, wohinsie führen und so Wissenschaft mit Ethik verbindet. Die Tragikder esoterischen Wissenschaft liegt darin, daß ihre Vertreterfast immer auf der Malkuth - Ebene nur ungenügend bewandert sindund deshalb bisher unfähig waren, ihre Resultate zu denErkenntnissen in anderen Bereichen in Beziehung zu setzen.Solange wir uns mit diesem Stand der Dinge begnügen, werden wirüber das Stadium des konfusen Denkens und der leichtfertigenBehauptungen nicht hinauskommen. Die Esoterik sollte sich dieRegeln einer Regatta zu Herzen nehmen und bei jeder magischenHandlung die Wendeboje Malkuth umfahren. Erst dann hat sie ihreAufgabe ordnungsgemäß ausgeführt.Wir wollen dieses Gleichnis nun vom Standpunkt des technischenOkkultismus aus betrachten. Jede magische Handlung hat das Ziel,

Page 220: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Energien über die verschiedenen Ebenen hinunter in denEinflußbereich des Anwendenden zu bringen, der sie dann für seineZiele einsetzt. Viele geben sich schon damit zufrieden, einvöllig subjektives Ergebnis zu erlangen, das heißt einen Zustandder Ekstase zu erleben. Andere zielen darauf ab, übersinnlichePhänomene zu produzieren. Wir sollten immer daran denken, daßkeine magische Arbeit wirklich zu Ende geführt ist, solange nichtder ablaufende Prozeß auch aus der Sicht der Malkuth - Sphäreerklärbar gemacht wurde. Anders ausgedrückt heißt das, bevor ersich nicht auch auf die physische Ebene ausgewirkt hat. Wenndieser Punkt vernachlässigt wird, ist die beschworene Kraft nichtrichtig »geerdet«, und genau diese frei im Raum schwebende Kraftist der Hauptstörfaktor bei magischen Experimenten. Das mag sichbei einem Experiment nicht so stark auswirken, denn nur wenigeMagier erzeugen soviel Kraft, daß tatsächlich irgendeine störendeWirkung zu spüren wäre. Nach mehreren Experimenten können sichdie Wirkungen jedoch summieren und dann zu dem seelischen Chaos,den Unglückssträhnen und den unheimlichen Ereignissen führen, vondenen manche Magier berichten. Genau diese Zwischenfälle sind es,die für den schlechten Ruf der experimentellen Magieverantwortlich sind und dafür, daß sie als gefährlich und denAuswirkungen einer Droge ähnlich eingestuft wird. Es wäre hierwohl eher der Vergleich mit den ersten Versuchen mitRöntgenstrahlen angebracht. Mangelhafte Technik ist der Grund fürdie Fehlschläge, die in diesem Fall zwangsläufig auftretenmüssen, weil aktive Kräfte mobilisiert werden. Die Lösung heißtVervollkommnung der Technik. Schon sind die Defekte behoben, undeine äußerst mächtige Kraft steht zum Einsatz bereit.

IIIDie Verwendung von lebenden Substanzen als Medium ist die einzigeMöglichkeit des Überganges von Jesod zu Malkuth. Es gibtverschiedene Grade von »lebend«. Für den Esoteriker liegt immerdann Leben vor, wenn eine gestaltete Form erkennbar ist. Er istder Ansicht, daß nur Leben zur Gestaltung von Formen imstandeist. In dem, was gemeinhin als anorganische Substanz bezeichnetwird, ist der lebende Anteil sehr gering, manchmal unendlichwinzig. Einige Arten der anorganischen Materie tragen jedocheinen bemerkenswerten Grad von Aktivität in sich, so wie Pflanzeneinen nicht unbeträchtlichen Grad an Intelligenz besitzen. Erstkürzlich hat die experimentelle Forschung von Jagindranath Bhosediese Tatsache untermauert, die dem praktizierenden Okkultistenempirisch schon lange bekannt ist. Schon von jeher wurden imOkkultismus kristalline und metallische Substanzen als Speicherfür subtile Kräfte benutzt. Beide wurden seit alters her alsIsoliermaterial verwendet. Der Okkultist hat sich die gleichenEigenschaften von Stoffen zunutze gemacht, die der Elektrikerkennt und anwendet. Als die besten „Energiespeicher« werden

Page 221: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Scheiben aus reinem Metall mit entsprechenden Markierungenangesehen, die in farbige Seide eingewickelt sind, deren Farbeder Kraft entspricht, die sie speichern sollen. Ein Edelstein,der im Grunde nichts anderes ist als ein farbiger Kristall, istbei manchen magischen Riten unabdingbares Requisit, weil er alsSammelpunkt der Kraft angesehen wird. Bei bestimmten Arten vondrahtlosen Empfängern dient er demselben Zweck. Die Beeinflussungder Psyche durch Farben ist neuerdings wissenschaftlich erwiesen.Kein Angestellter eines Fotolabors darf über längere Zeit in derRotlichtkammer arbeiten, weil nachgewiesen wurde, daß dieseMenschen anfälliger für emotionale Störungen und sogar fürvorübergehende psychische Zusammenbrüche sind. Durch unseremodernen wissenschaftlichen Methoden und Instrumente haben wirall die Dinge wiederentdeckt, die in der Antike bereits bekanntwaren und deren praktische Anwendung dort einen hohen Grad anPerfektion erreicht harte, von dem wir heute nur noch träumenkönnen, abgesehen von ein paar Forschern, die aber auch oft alsziemlich »verschroben« abgestempelt werden.Pflanzen sind ebenfalls mit einem hohen Anteil an »geistigerAktivität« ausgerüstet, insbesondere aromatische Pflanzen. DieKlassiker kannten ein kompliziertes System der Zuordnung derjeweiligen Pflanze zu den verschiedenen Arten feinstofflicherKräfte. Einige dieser Kombinationen muten phantastisch an, aberes gibt bestimmte Grundprinzipien, an denen wir uns orientierenkönnen. Immer wenn eine Pflanze traditionell mit einer bestimmtenGottheit in Verbindung gebracht wird, können wir davon ausgehen,daß bei dieser Pflanze eine Affinität zu der Art von Kraftvorliegt, deren Symbol die Gottheit ist. Möglicherweise erscheintuns diese Art von Assoziation aus unserer Sicht gesehenoberflächlich und irrational, ähnlich den Assoziationen desschlafenden Gehirns, über die Freud uns aufgeklärt hat. Wenn dieZuordnung jedoch traditionell etabliert ist, haben diejenigenMenschen, die diese Gottheit angebetet haben, durch die Anbetungbereits eine geistige Verbindung zwischen der Pflanze und derdazugehörigen Kraft geschaffen, die aufgrund der Tatsache, daßsie bereits früher gepflegt wurde, von jemandem, der konstruktivzu assoziieren vermag, leicht wieder aufgebaut werden kann. Wenneine echte Verbindung zwischen dem Charakter der Pflanze und demder jeweiligen Kraft besteht, der sie zugeordnet wird, wie es beider Zuordnung der Rose zur Venus und der Lilie zur Jungfrau Mariader Fall ist, dann läßt sich diese Verbindung durch die Anhängerdes Kultes sehr schnell festigen und kann von denen, die in ihreFußstapfen treten, selbst Jahrhunderte später genauso schnell neugeweckt werden. Wir können in der Praxis davon ausgehen, daß einesolche Verbindung besteht, und zwar nicht nur zu Pflanzen,sondern auch zu Tieren.Eine dieser Verbindungen, die für die praktische Anwendung vonbesonderer Bedeutung ist, ist die zu den Düften und Farben. Die

Page 222: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Zuordnung der Farben ist jeweils aus der Liste am Anfang einesKapitels ersichtlich. Feste Regeln für die Zuordnung der Düfteaufzustellen ist wesentlich schwieriger, da es sehr viele gibtund die ihnen innewohnenden Kräfte sich oft miteinandervermischen. Es ist zum Beispiel schwer durchführbar und auch garnicht wünschenswert, die Kräfte Netzachs von denen Tiphereths zutrennen. Dasselbe gilt für Hod und Jesod und für Jesod undMalkuth. Jeder Mensch, der mit Geburah arbeitet und sich dabeinicht um Gedulah kümmert, wird sich zwangsläufig die Fingerverbrennen.Düfte helfen der Gottheit nicht nur bei ihrer Manifestation, sieverhelfen auch der Vorstellungskraft des Anbeters zu mehrIntensität. Was diesen letzten Punkt betrifft, sind sie sehrwirksam, wie jeder leicht feststellen kann, wenn er einmalversucht, eine Zeremonie ohne die entsprechenden Düfte zuvollziehen. Für diejenigen, die sich mit der Anwendung der Düftenicht so gut auskennen, ist es ratsamer, sie ganz wegzulassen, dasonst die Wirkung auf die Psyche zu stark ausfallen könnte unddas Wohlbefinden beeinflußt würde.Grob gesagt kann man Düfte in zwei Hauptgruppen einteilen. Dieeinen schärfen das Bewußtsein, die anderen wecken dasUnterbewußtsein. Zu der großen Gruppe der Düfte, die die bewußteWahrnehmung verstärken, gehören diejenigen, die aus aromatischenPflanzen gewonnen wurden und die fast ausschließlich beireligiösen Zeremonien eingesetzt werden. Bestimmte ätherische Ölehaben ähnliche Eigenschaften, die aromatisch - adstringierendenmehr als die süßlich - würzigen. Diese Düfte werden bei allenRiten verwendet, bei denen klarer Verstand oder bessere mystischeWahrnehmungsfähigkeit wünschenswert ist.Vor allem zwei Arten von Duftstoffen wecken das Unterbewußtsein:die Dionysos - und die Venus - Düfte. Dionysische Düfte sindaromatischer, würziger Natur wie Zedern - oder Sandelholz undKiefernduft. Venusianische Düfte sind eher intensiv süßlich wieVanille. Tatsächlich haben diese beiden Richtungen von Düftenaber Gemeinsamkeiten, und typisch blumige Gerüche finden wir beibeiden. Bei der Zusammenstellung eines Duftes wird fast immereine Mischung aus beiden Gruppen benutzt, da sie sich gegenseitigverstärken. Viele Düfte sind unvermischt eher beißend scharf oderwiderlich süß, werden aber durch Mischung äußerst angenehm.Es ist behauptet worden, daß synthetische Duftstoffe für magischeZeremonien ungeeignet seien. Das trifft meiner Erfahrung nachnicht zu, vorausgesetzt, der Duft ist von guter Qualität.Hochwertige synthetische Duftstoffe sind von den natürlichen nurmit Hilfe chemischer Tests zu unterscheiden. Da die Funktion derDüfte psychologischer Natur ist und da es um die Wirkung auf denBenutzer und nicht auf die zu beschwörende Kraft geht, ist diechemische Natur eines Duftes unerheblich, solange der erwünschteEffekt damit erreicht wird.

Page 223: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Das gleiche gilt für Edelsteine, auch wenn es recht ketzerischklingen mag. Alles was man braucht, ist ein Kristall derentsprechenden Farbe. Ob es sich nun um einen burmesischen Rubinhandelt oder bloß Granat aus Burma, ist dabei nicht vonBedeutung, außer vielleicht für das Bankkonto der betreffendenPerson. Daß das bereits in der Antike bekannt war, wird durch dieTatsache untermauert, daß in den Listen der Edelsteine, die denverschiedenen Göttern heilig waren, immer auch ein zweiter Steinals Alternative angegeben wurde. Crowley gibt in 777 Perlen,Mondsteine, Kristalle und Quarze als die den Mond - Kräftengeweihten Steine an und Rubin oder einen anderen roten Stein alsdem Mars geweiht.Die Okkultisten sind der Meinung, daß bestimmte Kristalle,Metalle und Öle durch die Konzentration des Willensflusses,gepaart mit einem gewissen Quantum an Vorstellungskraft,beeinflußt werden können. Er benutzt diese Erkenntnis, um in denSteinen bestimmte Kräfte zu konservieren, damit sie dann leichterdurch Willenskraft auch wieder abgerufen werden können oder damitder Stein durch ständige Ausstrahlung dieser Kräfte wirkt. Fürdie meisten Zeremonien sind, zumindest bis zu einem gewissenGrad, die magischen Gerätschaften von Wichtigkeit. An dieserStelle ist erwähnenswert, daß in der Kirche alle wichtigenGerätschaften vor ihrer Benutzung geweiht werden. Ob das einenUnterschied macht oder nicht, ist Ansichtssache. Jeder guteSpiritist kann auf Anhieb geweihte von ungeweihten Gerätschaftenunterscheiden, vorausgesetzt, die Weihe war wirksam. DieErfahrung hat gezeigt, daß in dem Moment, in dem einpraktizierender Okkultist seine gewohnten magischen Instrumentezur Hand nimmt oder in seine für Zeremonien bestimmte Kleidungschlüpft, ein augenscheinlicher Wandel in ihm vorgeht. Mit dieserAusrüstung tut er etwas, was er ohne sie nicht tun könnte. Erweiß auch, daß es Zeit braucht, bis ein magisches Gerät»eingestimmt« ist Es ist vielleicht interessant für den Leser,hier zu erwähnen, daß ich kaum fähig bin, an der MystischenKabbala zu schreiben, wenn mein alter, abgenutzter Baum desLebens nicht neben mir liegt. Ebenso interessant ist es, daß ich,als dieser Baum des Lebens, den ursprünglich eine andere Personfür mich angefertigt hatte, richtig unansehnlich geworden war, sodaß man ihn kaum noch entziffern konnte, ihn selbst nachzeichneteund daraufhin feststellte, daß sein Magnetismus zugenommen hatte.Das wäre also eine Bestätigung der überlieferten Tradition, nachder man seine magischen Gerätschaften immer soweit möglich selbstanfertigen sollte.Das Hauptproblem bei der praktischen Arbeit ist, dieManifestation bis auf die Ebene Malkuths hinunterzubringen. Ausder Antike sind uns zu diesem Zweck zahlreiche Methoden bekannt.Ob sie wirklich funktioniert haben, läßt sich heute kaum nochfeststellen. Inwieweit wurden tatsächlich durch die Blutopfer

Page 224: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Manifestationen herbeigeführt, wie Virgil es beschreibt, undinwieweit war es nicht eher die starke Vorstellungskraft derTeilnehmer, die in diesen ehrfurchtgebietenden Riten dieVoraussetzung für die Manifestation schuf?Wie dem auch immer sei, der Opferkult der Klassiker ist für denmodernen Okkultisten nicht unbedingt nachvollziehbar. Diezugrundeliegende Idee ist wohl die, daß frisches Blut Hektoplasmaausscheidet. Allerdings gibt es auch materialisierende Medien,die ohne Blutvergießen ebenfalls Hektoplasma ausscheiden können.Diejenigen, die es in ausreichender Quantität produzieren können,sind allerdings dünn gesät. Wenn eine genügend große Anzahlspirituell entwickelter Menschen zusammenkommt, um eineManifestation zu evozieren, produzieren sie möglicherweise genugHektoplasma für ein physisches Phänomen. Diese Methode ist mitSchwierigkeiten, um nicht zu sagen Risiken verbunden, und derEsoteriker, der mehr Philosoph als Praktiker ist, wendet sieselten an. Er begnügt sich damit, die Manifestation in der Jesod- Sphäre zu erreichen, die er mit seinem inneren Auge wahrnimmtDer einzig wirkungsvolle Kanal zum Heraufbeschwören ist derBeschwörer selbst. Bei der ägyptischen Methode, die als Annehmender Gottesgestalt bezeichnet wird, identifiziert sich derBeschwörer selbst mit dem zu beschwörenden Gott und stellt sichfür ihn als Kanal zur Verfügung. Die Brücke zwischen Malkuth undJesod schlägt er mit Hilfe seines eigenen Magnetismus. Das istdie einzige wirklich effektive Methode, denn die Intensität dermagnetischen Ströme ist bei einem menschlichen Wesen bei weitemgrößer als bei irgendeinem Metall oder Kristall, wie edel es auchimmer sein mag.Diese althergebrachte Methode kennen wir auch unter einer anderenBezeichnung. Die Personen, die sich ihrer bedienen, nennen wirheute Medium. Wenn der Geist durch das in Trance befindlicheMedium spricht, geschieht genau dasselbe wie damals in Ägypten,als der Priester, der die Maske des Horus trug, auch mit derStimme des Horus sprach.Wenn wir uns den mikrokosmischen Baum anschauen, entspricht derphysische Körper Malkuth, der ätherische Körper Jesod und derastromentale Körper Hod und Netzach. Das höhere Selbst - wäreTiphereth. Was immer das höhere Selbst wahrzunehmen vermag, kannauch ohne Schwierigkeiten dazu bewegt werden, sich in dersubjektiven Malkuth - Sphäre zu manifestieren. Wir sollten unsbesser dieser Methode bedienen als derjenigen, die vonäußerlichen »Zutaten« abhängig ist, wie zum Beispiel vonausgeschiedenem Hektoplasma oder von lebenden Flüssigkeiten, ganzabgesehen davon, daß die Benutzung dieser Flüssigkeiten inunserer modernen Zivilisation sowieso nicht erlaubt ist.Das allerbeste magische Instrument ist der Magier selbst. Alleanderen Gegenstände oder Substanzen sind nichts anderes alsMittel zum Zweck, wobei der Zweck die Schärfung und Konzentration

Page 225: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

des Bewußtseins ist, die den Magier vom Durchschnittsmenschenunterscheidet »Weißt du denn nicht, daß du der Tempel deslebendigen Gottes bist?«, hat einmal ein großer Mann gesagt. Wennwir um die Benutzung der symbolischen Gerätschaften in diesemTempel wissen, halten wir die Schlüssel zum Himmel in den Händen.Hinweise für seine Benutzung finden wir in den kosmischenEntsprechungen des Baumes. Wenn wir diese im Hinblick auf ihreFunktion und die Funktion im Hinblick auf die spirituellenZusammenhänge interpretieren, können wir die Tür zur Schatzkammerder Kraft öffnen. Die intensivste und vollständigsteManifestation der Macht Gottes wird durch die energetischgeladene Begeisterung eines geübten und hingebungsvollen Menschenerreicht. Wir täten besser daran, davon auszugehen, daß dasErgebnis einer magischen Handlung durch natürliche Kanäle zumAusdruck gebracht wird, als zu erwarten, daß ein Eingriff in dieNatur geschieht, eine Hoffnung, die schon aufgrund der den Dingeneigenen Natur enttäuscht werden muß.Wir wollen das hier durch ein Beispiel verdeutlichen. Angenommen,wir wollten eine Krankheit heilen, dann müßten wir der Methodedes Baumes entsprechend einen Ritus oder eine Meditation aus derTiphereth - Sphäre vollziehen. Sollten wir nun deshalb unsereHandlungen auf die Tiphereth - Sphäre beschränken und uns damitbegnügen, daß die Heilung auf rein spiritueller Ebene erfolgt, sowie christliche Wissenschaftler das tun? Oder sollten wir unsereVorgehensweise dahingehend abändern, daß wir auch Hand anlegenund den Körper mit Ölen einreiben, um magnetische Kräfte zuleiten, womit wir uns in die Jesod - Sphäre begeben? Oder solltenwir, was mir persönlich als sinnvoller erscheint, auch Handlungenaus dem Bereich Malkuths vollziehen und so die Kraft langsam undgleichmäßig über die verschiedenen Ebenen bis hinunter zu ihrerManifestation bringen ohne Unterbrechungen und Lücken beimVorgang der Transsubstantiation und des Leitens?Was haben wir unter einer Handlung in der Malkuth - Sphäre zuverstehen? Ganz einfach eine Handlung auf der physischen Ebene.Wenn wir eine Heilung erreichen wollen, täten wir, glaube ich,gut daran, den mächtigen Arzt zu bitten, seine Macht durch denmenschlichen Arzt zu manifestieren, denn er ist der natürlicheKanal. Wenn wir uns auf die spirituellen Kräfte verlassen, dereneinziger Kanal die spirituelle Empfindsamkeit des Patienten ist,sind wir davon abhängig, ob diese Sensibilität in dementsprechenden Moment geweckt werden kann oder nicht.Daß durch mächtige spirituelle Kräfte wirksamer Einfluß auf dieHeilung von Krankheiten genommen werden kann, steht außer Frage.Sie benötigen nur einen Kanal, durch den sie sich manifestierenkönnen. Warum soll man sich also die mühsame Arbeit machen, einenspirituellen Kanal zu schaffen, wenn bereits ein natürlicherexistiert? Gottes Wege, seine Wunder zu vollbringen, bleiben füruns nur so lange geheimnisvoll, wie die Naturgesetze für uns ein

Page 226: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Buch mit sieben Siegeln sind. Wenn wir begriffen haben, wie dieNatur arbeitet, werden wir auch verstehen, daß Gott natürlicheWege geht. Er benutzt die ganz natürlich geschaffenen Kanäle. DerUnterschied zwischen Natürlichem und Übernatürlichem liegt nichtin den jeweils benutzten Kanälen, sondern in der Menge der durchsie fließenden Kraft. Der Kraftfluß verändert nicht seineQualität, sondern nur seine Quantität, wenn es gelungen ist,spirituelle Kräfte zu beschwören.Das einzige Problem, das wir bei Malkuth haben, ist das Problem.die geeigneten Kanäle und die Verbindungen zwischen ihnen zufinden. Alles andere wird vom Geist auf den subtileren Ebenenausgeführt. Die große Schwierigkeit liegt im Übergang desSubtilen in die dichte Form. Dieser Übergang wird mit Hilfe desMagnetismus lebender Substanzen erreicht, wobei es ohne Bedeutungist, ob sie organisch oder anorganisch sind. »Ce n'est que ledernier pas qui coute« bei magischen Zeremonien.

IVBei der Meditation über den Text im Buch Jezirah ergeben sichdrei Gedanken in bezug auf Malkuth: der Begriff der glänzendenIntelligenz, die den Glanz aller Lichter erhellt, die Beziehungzwischen Malkuth und Binah und die Aufgabe Malkuths, dahingehendzu wirken, daß vom Engel Kethers Einfluß ausströmt.Es mag uns seltsam erscheinen, daß Malkuth, die Ebene dermateriellen Welt, alle Lichter erhellen soll. Vielleichtverstehen wir den Gedankengang, wenn wir uns an die Analogie ausdem Bereich der Physik erinnern, nach der unser Himmel nurdeshalb leuchtend und blau erscheint, weil die unzähligenStaubteilchen in der Atmosphäre das Licht reflektieren. EineAtmosphäre ohne Staub wäre für unser Auge dunkel, und unserHimmel wäre ohne diese Staubteilchen so schwarz wieinterstellarer Raum. Aus der Physik wissen wir auch, daß wirGegenstände nur deshalb sehen können, weil ihre Oberfläche Lichtreflektiert. Ist diese Reflexion wenig oder gar nicht vorhanden,wie beispielsweise bei schwarzem Stoff, dann ist der Gegenstandbei schwachem Licht kaum erkennbar, eine Tatsache, die sichbeispielsweise Zauberkünstler und Illusionisten zunutze machen.Durch die gestaltende und konkretisierende Funktion Malkuths wirdschließlich das, was auf den höheren Ebenen undeutlich und nichtgegenständlich war, klar und gegenständlich. Darin liegt dergroße Segen, den Malkuth den Manifestationen und den in ihnenwirkenden Kräften bringt. Alle Lichter, das heißt alleEmanationen der anderen Sephiroth werden erleuchtet, sichtbargemacht, indem sie von den gegenständlichen Aspekten Malkuthsreflektiert werden.Alle magischen Handlungen müssen auch in der Malkuth - Sphäreverwirklicht werden, bevor sie als abgeschlossen betrachtetwerden können, denn nur in Malkuth existiert die Kraft, die ihnen

Page 227: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

sichtbare Gestalt verleihen kann. Deshalb ist es besser, magischeHandlungen in Form eines auf der physischen Ebene stattfindendenRituals zu vollziehen, selbst wenn sie nur von einer einzigenPerson vollzogen werden, als sich in der Meditation, also nur aufder astralen Ebene zu bewegen. Es genügt schon, wenn manbeispielsweise Linien in einen Talisman eingraviert oder Zeichenin die Luft schreibt und so die Handlung auf der Ebene Malkuthsverankert. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß eine so beendetemagische Handlung wesentlich wirkungsvoller ist als eine, die aufder astralen Ebene begonnen und vollendet wird.Die Beziehung zwischen Malkuth und Binah ist klar in den ihnenzugeordneten Bezeichnungen ausgedrückt. Binah ist die großeMutter, Malkuth die kleine Mutter. Wie wir bereits wissen, istBinah die ursprüngliche Formgeberin. Da Malkuth selbst die Ebeneder Form ist, wird die Verbindung sehr deutlich. Was in Binahseinen Anfang nimmt, erreicht in Malkuth seinen Höhepunkt. Darausergibt sich für uns ein wichtiger Punkt im Umgang mit denverzweigten polytheistischen Pantheonen. Das kabbalistischeSystem macht in seiner Emanationslehre deutlich, daß der Einesich in die Vielen verwandelt, die dann wieder in dem Einenaufgehen. Kein anderes System drückt sich in diesem Punkt soeindeutig aus, obwohl sich vor allem unter dem Deckmantel derGenealogie Hinweise darauf finden lassen. Die Abstammung und dieBindungen der verschiedenen Göttinnen und Götter, die wahrhaftignicht immer unter dem Segen des heiligen Sakraments standen,geben uns eindeutige Hinweise auf die Emanations- undPolaritätslehren und sind keineswegs nur den wilden Phantasiender primitiven Menschen zuzuschreiben, die die Götter nur als ihreigenes Abbild und in ihrer Phantasie schufen.Ein sorgfältiger Vergleich der uns überlieferten Informationenüber die Anbetungsriten der alten Griechen und Römer für ihrezahlreichen Götter wird sehr bald ans Licht bringen, daß dieeindeutigen Mythen, die man den Kindern so gern erzählt, wenigmit der tatsächlichen Religion des Volkes zu tun haben, das sieals Ausdrucksmittel für spirituelle Lehren benutzte. Götter undGöttinnen vermischen sich in seltsamer Weise miteinander undlassen die bärtige Venus entstehen und ausgerechnet einen Gottwie Herkules in weiblicher Kleidung auftauchen.Aus dem Studium der antiken Kunst wissen wir, daß diePersönlichkeiten und Charakteristika der einzelnen Götter undGöttinnen als eine Art Bilderschrift benutzt wurden, um dadurchbestimmte abstrakte Vorstellungen auszudrücken, deren eigentlicheAussagen den Priestern sehr wohl bekannt waren. Da sie eshauptsächlich mit Analphabeten zu tun hatten, denn Bildung war zudieser Zeit nur ganz wenigen vorbehalten, sagten sie klugerweise:»Schau dir dieses Symbol an und denke über diese Geschichte nach.Vielleicht weißt du nicht, was sie bedeutet, aber zumindestschaust du in die richtige Richtung, in die nämlich, aus der das

Page 228: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Licht kommt. Es wird davon soviel in deine Seele strömen wie duaufnehmen kannst, wenn du dich auf diese Dinge konzentrierst« Esist so gut wie sicher, daß zu der Aufklärung über die Mysterienauch die Einweihung in die metaphysischen Aspekte dieser Mythengehörte.Persephone, Diana, Aphrodite, Hera, sie alle tauschen ihreSymbole, ihre Funktionen, ihre Charakteristika, sogar ihreBeinamen in den griechischen Mythen und der griechischen Kunstauf verwirrende Art und Weise aus. Dasselbe gilt für Priapos,Pan, Apollo und Zeus. Die einzige klare Aussage, die sich übersie machen läßt, ist die, daß alle Göttinnen große Mütter sindund alle Götter Lebensgeber. Ihre Unterschiedlichkeit liegt nichtin ihrer Funktion, sondern in der Verschiedenheit der Ebene ihresWirkens. Zwischen der himmlischen Venus und der Göttin irdischerLiebe gleichen Namens besteht ein Unterschied. Ein kundigerBeobachter wird den gleichen Unterschied und die gleiche dahinterverborgene Identität zwischen Zeus, dem Allvater, und Priaposfeststellen, der ebenfalls Vaterfunktion hatte, jedoch auf eineranderen Ebene. Einer war der irdische Vater, der andere dashimmlische Pendant. Trotzdem handelt es sich hier nicht um zweiverschiedene Götter, sondern um ein und denselben. Ähnlich wieBinah und Malkuth nicht zwei verschiedene Kräfte sind, sonderndieselbe Kraft auf unterschiedlichen Ebenen. In dieser Tatsacheliegt der Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung desPhalluskultes, der im Altertum und bei den primitiven Völkerneine so wichtige Rolle spielte, die leider von den Gelehrten kaumverstanden wurde. Tatsächlich sollte durch diesen Kult dasGöttliche zum Menschen gebracht werden in der Hoffnung, daßumgekehrt die Menschheit der Gottheit ähnlicher würde. Diegleiche Idee liegt der Psychotherapie Freuds zugrunde.Die Aussage, daß Malkuth dahingehend wirkt, daß vom Engel Kethersein Einfluß ausströmt, bekräftigt diesen Gedanken. Daraus könnenwir schließen, daß Malkuth, die. große Mutter, der eine Pol ist,und Kether, der All - Vater, der andere.Diese Einteilung ist zu einfach, um dienlich zu sein; egal ob wirein heidnisches Pantheon auf seine Grundform zurückführen oder obwir uns mit den Zufällen und Vorfällen in einem einzelnen Lebenbeschäftigen wollen. In den vier Teilen oder Elementen Malkuthsfinden wir den Schlüssel zur Lösung.Diese vier Elemente sind: Erde, Luft, Feuer und Wasser derWeisen, anders gesagt die vier Arten von Aktivität. In denDarstellungen der esoterischen Wissenschaft erscheinen sie alsvier verschiedene Dreiecke. Feuer wird dargestellt als einDreieck mit Spitze nach oben. Luft ist das gleiche Dreieck, nurmit einer waagrechten Linie hindurch, wodurch angedeutet wird,daß Luft in ihrer Natur dem Feuer ähnlich ist, nur dichter. Eswäre sicher nicht falsch zu sagen, daß Luft negatives Feuer istoder Feuer positive Luft. Wasser wird als Dreieck mit Spitze nach

Page 229: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

unten dargestellt und Erde als das gleiche Dreieck, wiederum miteiner waagrechten Linie hindurch. Für diese beiden Symbole giltdasselbe wie für die vorgenannten.Angenommen, wir betrachten das Feuerdreieck als uneingeschränkteKraft und das Luftdreieck als eingeschränkte Kraft, dasErddreieck als Symbol für völlig leblose Form und dasWasserdreieck als Symbol für eine aktive Art von Form, dann habenwir damit ein neues Einteilungssystem gefunden. In den meistenantiken Mythen ist die Luft, auch Gott des Alk genannt, der Eiterder Sonne, des himmlischen Feuers, und Wasser ist die Matrix derErde. Dies wird deutlich, wenn wir uns die mittlere Säule desLebensbaumes anschauen, in der Kether, das All, seine Schattenauf Tiphereth, das Sonnenzentrum, wirft und die dem Wasserentsprechende Intelligenz Jesod, auch das Mondzentrum genannt,die der Erde entsprechende Intelligenz Malkuth überschattet.Angenommen, wir arrangieren die Symbole im Baum anders — dasSchöne an dieser Glyphe ist, daß das bei ihr möglich ist — undübertragen sie als die vier Elemente (Zitronengelb, Oliv,Rostbraun und Schwarz) auf die Malkuth - Sphäre. Angenommen, wirgehen davon aus, daß die Lebenskraft von Kether ähnlichherabfließt wie ein elektrischer Wechselstrom, was sie nach derLehre der wechselnden Polarität ja auch tut, dann werden wirentdecken, daß die Kraft einmal von Malkuth zu Kether und einmalumgekehrt von Kether zu Malkuth fließt.Auf den Mikrokosmos bezogen ergibt sich daraus ein ganz wichtigerPunkt, nämlich der, daß wir in unseren Energiekreis die Erdseelegenauso einbeziehen müssen wie den himmlischen Gott. Inspirationkann entweder aus dem Unbewußten nach oben steigen oder aus denhöheren Sphären nach unten.Das wird auch in den griechischen Mythen deutlich, wo wir auf sopositive Erdkräfte wie Pan stoßen, der aufgrund seinerZiegenbockgestalt nur der Erd - Sphäre zugeordnet werden kann,denn das Zeichen des Steinbocks ist das irdischste der dreiZeichen in dieser Gruppe. Pan versinnbildlicht die positivemagnetische Kraft der Erde, die mit Vehemenz nach oben drängt, umzum All - Vater zurückzukehren. Ceres beziehungsweise dievielbrüstige Diana, beides sehr erdgebundene Venusgöttinnen undweit davon entfernt jungfräulich zu sein, versinnbildlichen denletzten Schritt der Erdung himmlischer Kräfte, ihre Verwandlungin dichte Materie. Hera, die auch die göttliche Venus oder diehimmlische Aphrodite genannt wurde, steht für die nach obendrängende Erdkraft und ist auf der himmlischen Ebene erdpositiv.Diese Zusammenhänge kann man nur schwer jemandem nahebringen, dernoch nie die Sonne um Mittemacht gesehen hat. Sie sind sehrfruchtbar in der Meditation und sehr unfruchtbar in derDiskussion.

Page 230: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

VDivination ist eine Handlung, die in die Malkuth - Sphäre gehört.Das Ziel jeder Methode der Divination liegt darin, auf derphysischen Ebene genaue, aber leichtverständliche Erklärungen fürdie Bewegung der unsichtbaren Kräfte zu finden, so wie dieBewegung der Uhrzeiger dem Verstreichen der Zeit entspricht.Die Experten auf diesem Gebiet sind sich darüber einig, daßAstrologie das beste System von Entsprechungen ist, wennallgemeine Tendenzen und generelle Bedingungen aufgezeigt werdensollen. Als Antwort auf eine ganz bestimmte Frage ist dieAstrologie jedoch zu ungenau, da zu viele Faktoren das Ergebnisbeeinflussen können. Eingeweihte bedienen sich deshalb genauererHilfsmittel wie beispielsweise des Tarots oder der Geomantie,wenn sie die Antwort auf eine ganz bestimmte Frage finden wollen.Es hat wenig Sinn, in einen Laden zu gehen und ein Tarotspiel zukaufen, wenn man nicht über die nötigen Kenntnisse verfügt, umdie astralen Entsprechungen für jede Karte herzustellen. Manbenötigt dafür sehr viel Zeit, denn es sind immerhin 72 Karten.Ist man jedoch einmal mit ihnen vertraut, so kann man sich mitziemlicher Sicherheit auf sie verlassen. Das eigeneUnterbewußtsein, was immer das auch sein mag, wird ohne unserbewußtes Eingreifen schon die Karten auflegen, die sich konkretauf die gestellte Frage beziehen. Welchen Einflüssen Mischen undAusteilen der Karten genau unterliegen, wissen wir nicht, einsist jedoch sicher: Wenn man erst einmal mit dem großen Engel desTarot Kontakt aufgenommen hat, kann man aus den Karten sehr viellesen.Nachdem wir uns mit den generellen Zusammenhängen in der Malkuth- Sphäre auseinandergesetzt haben, können wir uns nun mit Erfolgauch ihrer ganz spezifischen Symbolik widmen. Sie wird dasKönigreich genannt, mit anderen Worten die vom König regierteSphäre. Der Mikrokosmos, der aus den sechs zentralen Sephirothohne die drei Höchsten besteht, wird auch der König genannt. Wirkönnen Malkuth als die Sphäre der Materie, als dieManifestationsebene dieser sechs zentralen Sephiroth betrachten,die wiederum aus den drei Höchsten emaniert sind. Alles endetalso in Malkuth, so wie alles in Kether seinen Anfang nimmt.Das Malkuth zugeordnete magische Bild ist eine junge Frau mitKrone und Schleier. Sie ist die Isis der Natur, deren Gesichtverschleiert ist, um dadurch zu zeigen, daß sich die spirituellenKräfte im Inneren und nicht in der äußeren Form befinden. Aufdenselben Gedanken treffen wir auch bei Binah, deren Symbolik als»Das äußere Gewand der Verheimlichung« beschrieben wird. Im BuchJezirah wird deutlich gesagt, daß Malkuth Binah auf einemniedrigeren Bogen entspricht.Binah wird die dunkle, unfruchtbare Mutter genannt und Malkuthdie Braut des Mikrokosmos oder die heue, fruchtbare Mutter. Diesebeiden Intelligenzen entsprechen genau dem doppelten Aspekt der

Page 231: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ägyptischen Mondgöttin: Isis und Hathor. Isis ist der positiveAspekt der Göttin, Hathor der negative. In der griechischenSymbolik stehen dafür Aphrodite und Ceres. Aphrodite ist derpositive Aspekt der weiblichen Macht. Wir sollten nichtvergessen, daß nach dem Gesetz der wechselnden Polarität alles,was auf den äußeren Ebenen negativ ist, auf den inneren positivwird und umgekehrt. Aphrodite, ^göttliche Venus, ist dieAuslöserin des magnetischen Reizes auf den spirituell negativen,männlichen Pol. Weil ihre Funktion in unserer modernen Welt nichtverstanden wird, ist mit unserem heutigen Leben auch so vielesnicht in Ordnung. Binah, der höhere Aspekt Isis', istunfruchtbar, denn der positive Pol löst zwar den Stimulus aus,setzt ihn dann aber nicht in die Tat um. Der Malkuth - Anteil anIsis ist die helle, fruchtbare Mutter, die Göttin derFruchtbarkeit, womit das Endergebnis von Isis' Wirken auf derpsychischen Ebene angedeutet wird.Die Position Malkuths am Fuß der Säule des Gleichgewichts zeigtan, daß diese Intelligenz von Kether aus gesehen direkt auf demWeg der absteigenden Kraft liegt. Kether wird in Daath, derunsichtbaren Sephirah, verwandelt und nimmt dann über Tipherethweiter den Weg über die Ebenen der Form. Wir sprechen hier vomPfad des Bewußtseins. Die zwei seitlichen Säulen sind Pfade derFunktion, aber auch diese beiden Säulen finden über deneinunddreißigsten Pfad zusammen. Also trifft sich alles inMalkuth.Wir in physischen Körpern inkarnierten Menschen stehen auf derMalkuth - Ebene, und wenn wir den Weg der Einweihung beschreiten,führt er uns über den zweiunddreißigsten Pfad zu Jesod. DieserPfad führt senkrecht an der mittleren Säule nach oben und wirdder Pfad des Pfeiles genannt, der von Queschet, dem Bogen desVersprechens, abgeschossen wird. Das ist der Weg, den derMystiker über die Ebenen nach oben geht Der Eingeweihte erlebtaußer den Erfahrungen der mittleren Säule auch noch die Macht derbeiden seitlichen Säulen.Der Aspekt der mittleren Säule wird im Buch Jezirah an der Stelleausgedrückt, in der es heißt, daß Malkuth vom Prinz derAngesichter, dem Engel Kethers, einen Einfluß ausströmen läßt.Die Eigenschaften Malkuths werden durch die ihr zugeordnetenBezeichnungen verdeutlicht. Malkuth wird als Tor und Gattinbezeichnet. Im Grunde symbolisieren diese zwei Gedanken eineneinzigen, denn der Schoß der Mutter ist das Tor zum Leben. Ebensoist es aber auch das Tor zum Tod, denn das Geborenwerden auf derphysischen Ebene bedeutet gleichzeitig den Tod auf einer höherenEbene.Man sagt von Malkuth auch, daß sie Kallah sei, die Braut desMikroposopos, und ebenfalls Malkah, die Königin Melekhs, desKönigs. Dadurch kommt die Funktion der auf den Ebenen der Formund der Kraft zu findenden Polarität deutlich zum Ausdruck. Die

Page 232: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Ebenen der Form sind der weibliche Teil, der durch die Einflüsseder Ebenen der Kraft polarisiert und fruchtbar gemacht wird.Der in Malkuth lebendige Gottesname ist Adonai Melekhbeziehungsweise Adon ha - Arets, was soviel bedeutet wie: derHerr und König oder der Herr der Erde. Hierin wird dieAnerkennung der Herrschaft des einen Gottes in den Königreichender Erde deutlich, und deshalb sollte jede magische Zeremonie, inder der Magier ja selbst die Macht in die Hand nimmt, mit derAnrufung Adonais beginnen und mit der Bitte an ihn, seinenErdentempel zu bewohnen und darin zu regieren, auf daß keineKraft sich von der Ergebenheit zu dem Einen abkehren möge.Wer Adonai anruft, beschwört damit den sich in der Naturmanifestierenden Gott herauf, den Teil Gottes, der von denEingeweihten der Mysterien der Natur, egal ob sie zu denAnhängern Dionysos' oder Isis' gehören, verehrt wird. DieMysterien der Natur beschäftigen sich mit den verschiedenen Wegendes Zugangs zum höchsten Bewußtsein über das Unterbewußtsein.Erzengel ist der mächtige Sandalphon, der manchmal von denKabbalisten auch der dunkle Engel genannt wird. Im Gegensatz dazuist Metatron, der Prinz der Angesichter, der lichte Engel Diesebeiden Engel stehen nach der Überlieferung in ihren schwerenStunden hinter der rechten beziehungsweise der linken Schulterder Seele. Man könnte sie als Verkörperung des guten und bösenKarmas ansehen. Aufgrund von Sandalphons Funktion als der dunkleEngel, der über unsere karmische Last wacht, und seinerVerbindung zu Malkuth, wird diese Intelligenz auch Tor derGerechtigkeit und Tor der Tränen genannt Ein besondersscharfsinniger Mensch, der sich gar nicht bewußt war, wievielWahrheit in seinem Ausspruch steckte, hat einmal gesagt, daßunser Planet die Hölle eines anderen Planeten sei. Er isttatsächlich die Sphäre, in der normalerweise das Karma abgetragenwird. Wenn eine genügend breite Basis an Wissen vorhanden ist,kann Karma jedoch auch bewußt auf anderen, feinstofflicherenEbenen ausgelebt werden. Mit dieser Methode beschäftigt sich eineForm des spirituellen Heilens.Der Malkuth zugeordnete Engelsorden sind die Ishim, die Seelendes Feuers oder auch die glühenden Partikel, über die Mme.Blavatsky einige interessante Dinge berichtet. Eine solche Seeledes Feuers ist in Wirklichkeit das Bewußtsein eines einzelnenAtoms. Die Ishim stellen also das natürliche Bewußtsein derdichten Materie dar, und es sind ebenfalls die Ishim, die derdichten Materie ihre Charakteristika verleihen. Diese glühendenLeben, diese unendlich kleinen elektrisch geladenen Teilchen,sausen wie ein Schiffchen im Webstuhl der Materie hin und her undschaffen so ihre Grundessenz. Alles, was wir als Materie kennen,ist von der Existenz dieser Grundessenz abhängig. Einige Artenvon Magie werden unter Mitwirkung Verglühenden Leben ausgeübt. Esgibt nur wenige Menschen, die sich mit solcher Magie auskennen,

Page 233: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

denn je dichter die zu beeinflussende Ebene ist, desto größer mußdie Macht des Magiers sein, der sie beherrschen will.Das weltliche Chakra Malkuths ist die Sphäre der Elemente, diewir in diesem Buch schon so ausführlich wie möglich behandelthaben.Die spirituelle Erfahrung Malkuths ist die Vision des heiligenSchutzengels. Dieser Engel, der nach Meinung der Kabbalistenjeder menschlichen Seele bei ihrer Geburt zugeteilt wird, der siebegleitet bis zum Tod und sie danach vor Gottes Gericht bringt,dieser Engel ist in Wirklichkeit das höhere Selbst jedeseinzelnen von uns, das sich um den göttlichen Funken in jedemMenschen herum aufbaut, den Funken, der der innerste Kern unsererSeele ist und auf seine Entfaltung wartet. Dieser Kern bereitetbei jeder neuen Inkarnation die Materie so vor, daß sie alsAusgangsbasis für eine neue Persönlichkeit dienen kann.Wenn höheres Selbst und niederes Selbst miteinander verschmelzen,indem das höhere das niedere absorbiert, dann ist ein wirklicherSchüler geboren. Das ist die große Einweihung, die kleinegöttliche Vereinigung. Sie ist die höchste Erfahrung derinkarnierten Seele. Wenn diese Vereinigung stattfindet, ist dieSeele frei von dem Zwang, erneut in dieses Gefängnis aus Fleischhineingeboren zu werden. Von da an hat sie die Möglichkeit, dieEbenen hinaufzusteigen und zur Ruhe zu kommen, oder, wenn sie daswill, innerhalb der Erdsphäre zu bleiben und als Meister zuwirken.Die Malkuth zugeschriebene spirituelle Erfahrung ist also dasHerunterbringen der Gottheit zur Menschheit, so wie andererseitsdie spirituelle Erfahrung Tiphereths das Heraufbringen derMenschheit zur Gottheit ist.Die größte Malkuth zugeschriebene Tugend ist das Urteilsvermögen.Dieser Gedanke wird in der eigenartigen Symbolik der Antikeweiter ausgeführt, nach der die Entsprechung Malkuths imMikrokosmos der After ist. Alles, was im Leben verbraucht wurde,muß ausgeschieden werden. Der Makrokosmos scheidet seineExkremente in die kelippothischen Sphären aus, die sich unterhalbMalkuths befinden. Von dort aus können die Exkremente erst wiederauf die Ebenen der organisierten Formen gelangen, wenn sie sichaufs neue im Gleichgewichtszustand befinden. Deshalb existiert inden kelippothischen Welten eine Sphäre, die zwar nicht die Hölle,aber das Fegefeuer ist Diese Sphäre ist ein Auffangbecken fürdesorganisierte Kräfte, die aus zerbrochenen Formen ausgeströmtsind und vom Evolutionsstrom abgespalten wurden, also sozusagendas Chaos auf einem tieferen Bogen. Aus diesem Reservoir vonKräften, die es gewöhnt sind. Formen zu bilden und die sichdeshalb leicht wieder zu Strukturen zusammenfügen lassen, bildendie Hüllen oder unvollkommenen Entitäten ihre Vehikel. Auch dieniederen Arten von Magie, die eher in Richtung Schwarze Magietendieren, schöpfen wahrscheinlich aus diesem Reservoir ihre

Page 234: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Kräfte. Diese Kräfte neigen dazu, erneut Formen zu bilden, undzwar ähnliche wie die, die sie vor ihrer Auflösung undRückversetzung in den Urzustand innehatten. Da diese Formenveraltet, wenn nicht gar böse waren, ergibt sich daraus dielogische Schlußfolgerung, daß dieser desorganisierte Bereichnicht gerade ein geeignetes Aktionsfeld ist, und daß man dieKräfte besser ruhen läßt, bis ihre Reinigung und Rückfilterungdurch die Erdsphäre über die natürlichen Kanäle abgeschlossen istund die neugewonnenen Kräfte wieder in den Evolutionsstromeingegliedert sind. Aus den vorgenannten Gründen sind dieUnterweltkulte und Heraufbeschwörungen von Toten nicht alspositiv zu bewerten, denn die Formen, die die herbeigerufenenEntitäten annehmen, bestehen zumindest teilweise aus der Substanzdieser kelippothischen Sphäre.Die wichtigste Tugend Malkuths ist ihre Aufgabe, als kosmischerFilter zu dienen, der verbrauchte Stoffe aussondert und nochverwertbare zurückbehältAls charakteristische Laster Malkuths werden Geiz und Trägheitgenannt. Daß die in Malkuth vorhandene Stabilität, wenn sie inübertriebenem Maße auftritt, auch zu Schwerfälligkeit undTrägheit führen kann, ist einleuchtend. Der Begriff des Geizesläßt sich, nachdem er zunächst nicht verständlich erscheint, beigenauerer Untersuchung bald entschlüsseln. Das extreme Festhaltenan etwas, das in dem Wort Geiz enthalten ist, gleicht einer Artgeistiger Verstopfung, dem genauen Gegenteil von Ausscheidung,bei der die Exkremente des Lebens durch den kosmischen After inden kosmischen Abort der Kelippoth - Sphäre ausgesondert werden.Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß Freud erklärt hat,ein Geizhals leide mit ziemlicher Sicherheit auch unterVerstopfung, und daß er außerdem auch eine Verbindung zwischenTräumen von Geld und Kot sah.Eines der wichtigsten Dinge, die wir lernen müssen, bevor wir ausdem fest begrenzten Leben Malkuths in Sphären aufsteigen können,in denen wir freier zu atmen vermögen, ist das Loslassen. Wirmüssen fähig sein, das Niedere dem Höheren zu opfern, um so diekostbare Perle erwerben zu können. Unser Unterscheidungsvermögenbefähigt uns, zu erkennen, welches der niedere Wert ist, den wirzugunsten des höheren aufgeben müssen. Ohne Opfer kein Gewinn.Wir begreifen leider oft nicht, daß jedes Opfer unseren Schatz inder himmlischen Schatzkammer vermehrt. Dort liegt er, und wederRost noch Korrosion können ihm etwas anhaben.Mit einer der Entsprechungen Malkuths im Mikrokosmos haben wiruns bereits beschäftigt. Von dieser Intelligenz wird außerdemgesagt, sie sei mit den Füßen des göttlichen Menschengleichzusetzen. Ebenfalls eine wichtige Feststellung, denn wenndie Füße nicht fest auf dem Boden der Mutter Erde stehen, hat derMensch keinen Halt. Es gibt zu viele kopflastige Menschen, dieglauben, daß der göttliche Mensch nur aus Kopf, Hals und

Page 235: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Schultern bestehe wie ein Cherub und die Fortpflanzungsorgane(Jesod) und den After (Malkuth) einfach übersehen. Ihnen solltedie gleiche Lehre erteilt werden wie dem heiligen Petrus inseinem himmlischen Traum: Nichts, was Gott geschaffen hat, istunrein, es sei denn, wir lassen zu, daß es unrein wird. Wirsollten alle Teile des göttlichen Lebens erkennen lernen und sodie Menschheit veredeln und zur Gottheit hinaufbringen. DieReinlichkeit kommt gleich nach der Gottgefälligkeit, besondersdie Reinlichkeit im Innern. Wenn wir etwas vermeiden und ihm ausdem Weg gehen, wie sollen wir es dann gesund und rein erhalten?Die Tabus der primitiven Völker sind in unserer neuzeitlichenZivilisation ins Grenzenlose ausgeufert, was katastrophale Folgenfür unsere Gesundheit und Ganzheitlichkeit hatte.Die Symbole Malkuths sind unter anderem der Doppelkubenaltar unddas gleicharmige Kreuz, das Kreuz der vier Elemente. DerDoppelkubenaltar ist Symbol für den Lehrsatz des Hermes »Wieoben, so unten« und lehrt uns, daß alles Sichtbare eineWiderspiegelung der drei Säulen und der Kelippoth - Sphäre ist,die durch den Schleier der Erde gedämpft und gemildert wird.So sind alle Phänomene in Malkuth vereinigt, werden aber wiedurch eine dunkle Glasscheibe reflektiert und sind nur undeutlichzu erkennen.Wenn wir uns unter Einbeziehung dessen, was wir bereits überMalkuth wissen, den vier Tarotkarten widmen, kommen wir zuerstaunlichen Ergebnissen. Die Zehn der Stäbe wird Herr derUnterdrückung genannt. Die Zehn der Kelche ist der Herr desandauernden Erfolges. Die Zehn der Schwerter heißt Herr desRuins, die Zehn der Münzen ist der Herr des Wohlstandes.Wir wissen jetzt, daß die spirituellen Kräfte ihre Erfüllung imReich der Formen in Malkuth erleben. Wenn wir diese vollendetenFormen »opfern«, können wir sie bis zu ihren spirituellenUrsprüngen zurückverfolgen.Die vier Tarotkarten haben abwechselnd jeweils eine positive undeine negative Bedeutung. Die Zehn der Schwerter ist sogarangeblich die schlimmste Karte, die man beim Legen aufdeckenkann. In der Alchemie gibt es eine etwas sonderbare Lehre, diemit diesem Sachverhalt in Zusammenhang steht. Nach dieser Lehrebestehen die Zeichen der Planeten aus drei Symbolen: derSolarscheibe, der Lunarsichel und dem Korrosions- oderOpferkreuz. Wenn diese drei Symbole richtig gedeutet werden,geben sie Aufschluß über die alchemistische Natur eines Planetenund über seine praktische Verwendungsmöglichkeit im großen Werkder Transmutation. Mars zum Beispiel, bei dem das Kreuz über denKreis hinausreicht, wird von den Alchemisten als außen zersetzendoder korrosiv und innen solar bezeichnet. Venus, bei der derKreis größer ist als das Kreuz, betrachten sie als außen solarund innen zersetzend oder, wie es in den Schriften ausgedrücktist: Süß im Mund, aber bitter im Magen.

Page 236: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

In den vier Tarotkarten kommt dasselbe Prinzip zum Ausdruck. Jededer Karten beschreibt das Wirken einer bestimmten Art vongeistiger Kraft auf der Ebene der dichten Materie. Diespirituellste dieser Karten, die Zehn des Satzes, dessen As alsdie Wurzel der Kräfte des Feuers bezeichnet wird, ist der Herrder Unterdrückung. Daraus können wir schließen, daß die höherenspirituellen Kräfte, wenn sie auf der materiellen Ebene wirken,oft nach außen hin als korrosiv erscheinen. Die Kräfte desFeuers, die in der Zehn der Stäbe in ihrer höchsten Wirkunggezeigt werden, sind ein verfeinerndes Feuer. »So wie das Gold imOfen geprüft wird, so muß das Herz im Leid geprüft werden.«Die Symbolik des Satzes der Kelche verdeutlicht den Einfluß derVenus. In diesem Satz finden wir den Herrn der Freude, desmateriellen Glücks und der Fülle, aber auch den Herrn desillusionären Erfolges, des verworfenen Erfolges und des Verlustesvon Freude, wodurch deutlich wird, daß dieser Satz zwar außensolar, aber innen korrosiv ist.Der Satz der Schwerter steht unter dem Einfluß von Mars, und imHerrn des Ruins finden wir das Opfern aller materiellen Güter.Bei den Münzen, dem irdischsten aller Zeichen, ist die Positionwieder umgekehrt, und wir treffen in der Zehn der Münzen auf denHerrn des Wohlstandes.Die Untersuchung der Karten läßt die Schlußfolgerung zu, daß dieprimär spirituellen Sätze im Tarot auf der physischen Ebene außenkorrosiv sind, die Karten materieller Natur dagegen sind solar,das heißt, sie sind vorteilhaft auf der materiellen Ebene. Darauskönnen wir eine sehr wichtige Lehre ziehen, die wir als Schlüsselfür alle Arten der Divination benutzen können, bei denen es umdie Feststellung der spirituellen oder geistigen Einflüsse beieiner Angelegenheit geht.Alle weltlichen Angelegenheiten sind wie Wellen, die aufsteigen,sich dann an ihrem höchsten Punkt brechen und nach unten brausen,um sich danach neu zu bilden, wieder und wieder im rhythmischenWechsel. So kann man auch bei jeder weltlichen Angelegenheitdavon ausgehen, daß ein Wechsel folgen muß, wenn sie entweder anihrem Höchstpunkt oder an ihrem Tiefstpunkt angelangt ist. DieseErkenntnis drückt sich in einigen Sprichworten und Redensartenaus, wie beispielsweise: »Schicksal des Menschen, wie gleichst dudem Wind« oder »Auch der längste Tag hat einmal ein Ende«.Harriman, der berühmte amerikanische Millionär, behauptet, erhabe sein Geld so verdient, daß er immer bei fallendem Marktgekauft und bei steigendem Markt verkauft habe, das genaueGegenteil von dem sonst üblichen Marktverhalten. Trotzdem hat erdamit Weitsichtigkeit bewiesen, denn auf einen Boom folgtlogischerweise eine Depression und umgekehrt. Das ist im Laufeder Geschichte schon so oft passiert, daß man annehmen sollte,die Spekulanten hätten ihre Lektion inzwischen gelernt.Offensichtlich ist das aber nicht der Fall. Durch das Wissen um

Page 237: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

diese Tatsache war es der Society of the Inner Light möglich,sicher durch die Wirren der Nachkriegsperiode zu steuern unddiese Zeit zu überstehen, ohne daß sie ihre Aktivitäteneinschränken mußte. Zu bestimmten Zeiten muß man bescheidenleben, um solvent zu bleiben, zu anderen Zeiten kann man gewagteAktionen starten, weil man weiß, daß die aufsteigende Welle einenträgt.Die vier Karten vermitteln einen klaren Eindruck vom Wirken derKräfte auf der Malkuth - Ebene. Wenn sie beim Legen auftauchen,sollte man sich immer darauf vorbereiten, daß das, was von außenwie Gold erscheint, früher oder später innen korrodiert undbrüchig wird und daß das, was außen korrosiv erscheint, sichirgendwann in Gold verwandeln wird. Wenn man das weiß, kann manseine Segel entsprechend setzen oder sie einholen.Der Sinn der Divination liegt darin, die geistigen Kräfte, diehinter jedem Geschehen stehen, zu erkennen und sich entsprechendzu verhalten. Was bringt das Wahrsagen denn, wenn es von jemandembetrieben wird, der diese geistigen Kräfte im Hintergrund nichtzu erkennen vermag? Und können wir diese Fähigkeit zum Erkennender geistigen Kräfte auch von einem Feld - , Wald - undWiesenokkultisten erwarten, der uns für einen Groschen sovielsagt und für einen Taler zehnmal soviel? Mit spirituellen Dingengeht man nicht so um. Bei den Römern und Griechen war dieDivination ein religiöser Ritus, und das sollte sie auch bei unsbleiben, wenn sie nicht eine endlose Pechsträhne hinter sichherziehen soll.

26. Die Kelippoth

Im vorigen Kapitel haben wir die Kelippoth, die böse Kehrseiteder Sephiroth, bereits erwähnt Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen,sich mit ihnen eingehender zu beschäftigen, obwohl es»schreckliche Formen sind, und der Gedanke an sie schon Gefahr insich birgt«.Man könnte sich fragen, warum wir uns überhaupt mit ihnenbeschäftigen müssen, wenn es schon so gefahrvoll ist, an sie zudenken. Wäre es nicht besser, ihnen keine Aufmerksamkeit zuschenken und so zu verhindern, daß sich die schrecklicheVorstellung solcher Formen in unserem Bewußtsein breitmacht? DieAntwort auf diese Frage hat uns Abramelin, der Magier gegeben,dessen System das mächtigste und vollständigste uns bekannteSystem der Magie ist. Nach seiner Meinung beschwört man nacheiner langen Zeit der inneren Reinigung und Vorbereitung nichtnur die engelhaften, sondern auch die teuflischen Mächte herauf.Viele haben sich bei der Anwendung von Abramelins System dieFinger verbrannt, und der Grund dafür liegt nahe. In ihrenAufzeichnungen läßt sich nachlesen, daß sie das System nie

Page 238: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

vollständig ausgeführt haben, sondern sich hier und dort nachGutdünken eine Zeremonie oder Beschwörung herausgepickt haben.Die Folge davon ist, daß Abramelins System den Ruf hat, besondersgefährlich zu sein, obwohl es, wenn es bis ins kleinsteeingehalten wird, einzigartig sicher ist. Das liegt daran, daß essich mit den Reaktionen der heraufbeschworenen Mächte sozusagenunter Laborbedingungen beschäftigt und sie neutralisiert.Wenn man sich mit den positiven Aspekten der Sephirothbeschäftigt, darf man dabei nie vergessen, daß sie auch einenegative Seite haben. Wenn man es also nicht versteht, die Kräfteim Gleichgewicht zu halten, wird zweifellos die negative Seiteirgendwann die Oberhand gewinnen und die ganze Zeremoniesprengen. In jeder magischen Zeremonie kommt ein Punkt, an demdie negative Kraft in Erscheinung tritt und an dem man sich mitihr auseinandersetzen muß. Tut das der Magier nicht, wird sie ihnin die Grube locken, die er sich selbst gegraben hat. Eines dergesündesten Prinzipien der Magie besagt, daß man nie eine Kraftheraufbeschwören sollte, mit deren gegenteiligem Aspekt man nichtauch umzugehen weiß.Soll man die feurige Energie des Mars (Gevurah) in sichheraufbeschwören, wenn man sich nicht sicher ist, ob man übergenügend innere Reinheit und Disziplin verfügt, um ihr Abgleitenins Extrem der Grausamkeit und Zerstörungswut zu verhindern?Jeder, der die menschliche Natur kennt, weiß, daß jeder Menschauch die Laster seiner Tugenden in sich trägt Wenn er zumBeispiel tatkräftig und energisch ist, kann er auch leicht insExtrem der Grausamkeit und Unterdrückung fallen. Ist er ruhig undgutmütig, kann das auch zu Trägheit und einer Einstellung deslaissez faire führen.Die Kelippoth werden mit gutem Grund als böse Kehrseite derSephiroth bezeichnet. Sie sind keine unabhängigen Faktoren oderPrinzipien im kosmischen Schema, sondern die unausgewogenen,zerstörerischen Teile der heiligen Stationen selbst. Esexistieren nicht zwei Bäume, sondern nur ein einziger. EineKelippah ist die Rückseite einer Münze, deren Vorderseite dieSephirah ist. Wenn man den Baum als magisches System anwendenwill, muß man zwangsläufig auch mit den Sphären der Kelippothvertraut sein, denn man wird sich immer wieder mit ihnenauseinandersetzen müssen.Nur in der Aziluth - Sphäre gibt es lediglich einen einzigenNamen der Macht pro Sephirah, nämlich den göttlichen Namen, denNamen der Gottheit. Der Erzengel hat den Satan als Pendant, dasGegenstück des Chors der Engel ist die Kohorte der Teufel, unddie Kehrseite der sephirothischen Sphären sind die höllischenBehausungen.Jeder Schüler sollte klar unterscheiden können zwischen positivemund negativem Übel, wie die Okkultisten sagen. Es handelt sichdabei um einen wichtigen Punkt in der Philosophie der Esoterik.

Page 239: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Wird seine Bedeutung nicht erkannt, führt das in der Praxis zufolgeschweren Fehlem und kann dem Eingeweihten, ja sogar jedemMenschen, der bemüht ist, ein bißchen eigenen Willen undSelbstbeherrschung zu entwickeln, sein Leben und seine Arbeitzunichte machen. Diesen Punkt verstehen die wenigsten, dabei ister in der Praxis von so ungeheurer Bedeutung, denn unserStandpunkt, unsere Urteilsfähigkeit und unser Verhalten hängendavon ab.Ein positives Übel ist eine Kraft, die gegen den Strom derEvolution schwimmt. Ein negatives Übel ist ein noch nichtüberwundener Zustand der Trägheit, ein Moment, das nichtneutralisiert werden konnte. Wir wollen diesen Sachverhalt anhandeines Beispiels verdeutlichen. Der natürliche Konservatismuseines reifen Menschen wird vom Möchtegern - Reformer als »böse«betrachtet. Der natürliche Ikonoklasmus des Jugendlichen wird vom»Herrscher«, der eben sein System gefestigt hat, als böseangesehen. Beide Faktoren sind jedoch für die Aufrechterhaltungeines gesunden Systems unerläßlich. Durch ihr Vorhandensein istein stetiger Fortschritt gewährleistet, durch den dasGesellschaftssystem weder gefährdet noch gelähmt wird oder garzerbröckelt. Zusammen bilden sie die Grundlage für sozialesWohlergehen, jeder Faktor kann aber für sich allein großenSchaden anrichten, wenn er nicht unter Kontrolle gehalten wird.Keiner dieser beiden Standpunkte stellt ein soziales Übel dar,solange er nicht in übertriebenem Maße vertreten wird. In derTerminologie der esoterischen Philosophie ist deshalbKonservatismus, vom Standpunkt des Reformers aus betrachtet, einnegatives Übel, genauso wie Ikonoklasmus vom Blickwinkel desKonservativen aus gesehen ein negatives Übel ist.Beim positiven Übel ist das anders. Es kann einem übertriebenenIkonoklasmus gleichen, der in pure Anarchie abgleitet oder einemmaßlosen Konservatismus, der zur Privilegierung einer Klasseführt und zur Durchsetzung persönlicher Rechte, die demallgemeinen Wohl im Wege stehen. Es kann auch in aktivepolitische Korruption ausarten, durch die die Wirksamkeit desVerwaltungsapparates unterwandert wird, oder in Korruption aufsozialem Gebiet, die Auswüchse wie organisierte Prostitution undKinderarbeit hervorbringt, eine Korruption, die die Gesundheitdes politischen Gebildes unterminiert.Der konservative und radikale Impuls werden jeweils dieAnhängerschaft an sich ziehen, die den einen oder den anderenStandpunkt vertritt, und diese Anhängerschaft wird sich nachkurzer Zeit in politischen Parteien organisieren. Die Parteiensind, außer natürlich vom Standpunkt der Gegenpartei aus gesehen,kein Übel. Der Rest der Nation schließt sich unvoreingenommen dereinen oder der anderen Seite an und stellt irgendwann fest, daßdie andere Seite eigentlich zum Ausgleich der eigenen Seite nötigist. Auch die Korrupten und Kriminellen gründen ihre eigene

Page 240: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Tammany Hau. (Dachorganisation einer Demokratischen Partei imStaat New York, die im 19. Jahrhundert großen Einfluß auf dieStaatspolitik hatte und deren korrupte Praktiken Schlagzeilenmachten.) Die Konservativen und die Radikalen kann man mit Chesedund Gevurah vergleichen. Tammany Hall entspricht der KelippahGevurahs, den brennenden und widerstreitenden Kräften, und diehartnäckigen Reaktionäre entsprechen der Kelippah Cheseds, denZulassen der Zerstörung.Negatives Übel ist eine unumgängliche Folge desGleichgewichtsprinzips. Ein Gleichgewicht ist das Ergebnis vonkonkurrierenden Kräften. Logischerweise müssen diese Kräftevorher gegenseitig aufeinander eingewirkt haben. Wir dürfen nichtden Fehler begehen, anzunehmen, daß eine Seite desGegensatzpaares von Kräften gut ist und die andere böse, sonsterliegen wir dem fundamentalen Irrtum des Dualismus.Kompetente, eingeweihte Repräsentanten aller Religionenbetrachten Dualismus als Ketzerei. Nur die unaufgeklärtenAnhänger eines Glaubens gehen von einem Konflikt zwischen Lichtund Dunkelheit oder Geist und Materie aus, in dem das Gutevielleicht eines Tages siegen und das Böse völlig vernichtenwird. Die Protestanten vergessen, daß Luzifer der Bote desLichtes ist und Satan ein gefallener Engel und daß der Herr seineLehren nicht nur der Menschheit verkündete, sondern auch hinab indie Hölle stieg und zu den gefangenen Seelen sprach.Wir werden mit dem Bösen nicht fertig, indem wir es vernichtenund zerstören, sondern nur, indem wir es harmonisch eingliedern.Bei all unseren Überlegungen und Gedanken müssen wirunterscheiden lernen zwischen dem natürlichen Widerstand, den diedritte, die ausgleichende Sephirah jeweils leistet, und demEinfluß der entsprechenden Kelippah. Die beiden Bäume, dergöttliche und der infernale, der Baum der Sephiroth und der Baumder Kelippoth, werden für gewöhnlich so dargestellt, als ob derKelippoth - Baum eine Spiegelung des himmlischen Baumes wäre,ähnlich der Spiegelung eines Hauses in der Wasseroberfläche. Derhimmlische Baum ragt nach oben, während der andere Baum nachunten ragt Vielleicht sollten wir es uns besser so vorstellen,daß zwei entsprechende Glyphen sich auf gegenüberliegendenPunkten auf einer Kugel befinden und ein Pendel, das zwischenGeburah und Gedulah (Mars und Jupiter) hin - und herschwingt,sobald es seitlich zu weit ausschlägt, um die Kugel herum auf dieandere Seite schwingt und in die Einflußsphäre der entsprechendenGegensephirah gerät Würde dieses Pendel zu weit in RichtungGeburah (Strenge) ausschlagen, geriete es in den Einflußbereichder verbrennenden und zerstörenden Kräfte und des Hasses. Schlügees zu weit in Richtung Gnade aus, käme es in die Sphäre derZulasser der Zerstörung ein Name, der ja schon viel aussagtDer Mystiker möchte sich lediglich im Bereich des reinen Geistesbewegen, ohne dabei mit der Erde in Kontakt zu kommen. Deshalb

Page 241: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

ruft er nur den Namen Gottes an. Ein Okkultist würde dazu sagen:Solange du dich in einem irdischen Körper befindest, solange bistdu auch ein Kind der Erde und wirst nicht nur mit dem Geist,sondern auch mit den Einflüssen der Erde in Berührung kommen.Wenn du Gott um Liebe anflehst, kann er dir diese Liebe nur durcheinen Erlöser zuteil werden lassen. Die Sphäre des Erlösers istTiphereth, und der Erzengel dieser Sphäre ist Raphael, derHeiler, denn erkennen wir den Erlöser nicht an seiner Fähigkeit,an Körper und Seele zu heilen? Die Gegenspieler des Erlösers sinddie Zourmiel, die Entzweier, »die großen, dunklen Riesen, diebeständig gegeneinander arbeiten«. Erkennen wir nicht auch ihrenEinfluß in den strengeren Lehren des Christentums, in denen vonder ewigen Strafe unter der Herrschaft des Teufels und der ewigenBelohnung unter der Herrschaft des rachsüchtigen, korruptenJehova die Rede ist? Wenn das keine dualistischen,widerstreitenden Kräfte sind, was denn dann? Die heutigenReligionen begehen einen großen Fehler, wenn sie übersehen, daßes manchmal auch des Guten zuviel gibtDer einzige Moment, in dem ein perfektes Kräftegleichgewichtherrscht, ist der zur Zeit des Prayala, der Nacht der Götter. ImGleichgewicht befindliche Kraft ist statisch, potentiell, aberniemals dynamisch, denn wenn die Kraft ausbalanciert ist, heißtdas, daß zwei gegeneinander wirkende Kräfte sich gegenseitigvöllig neutralisiert haben und dadurch beide statisch undunwirksam sind. Wird das Gleichgewicht gestört, und die Kräftewerden freigesetzt, kann eine Veränderung stattfinden, Wachstum,Evolution und Organisation können einsetzen. Im Zustand desvölligen Gleichgewichts ist keine Veränderung möglich. Er ist einRuhestadium. Es heißt, daß am Ende einer kosmischen Nacht dasGleichgewicht zerstört wird, daß erneut Kraft freigesetzt wirdund die Evolution wieder einsetzt.Es ist passender, das Universum mit einem schwingenden Pendel zuvergleichen als mit einer Schraubzwinge, die festhält. Es wirdnicht im Zustand der Unbeweglichkeit gehalten, und zwischendiesen beiden Sichtweisen besteht ein riesengroßer Unterschied.Im Gleichgewichtszustand ist immer eine leichte Vibrationvorhanden, ein Druck und Gegendruck der widerstreitenden Kräfte,die dieses Gleichgewicht halten. Die Stabilität beruht hier aufSpannung, nicht auf Trägheit.Im Baum wird das durch die beiden einander anziehenden Säulen,die der Barmherzigkeit und die der Härte, dargestellt Geburah(Härte) zieht Gedulah (Barmherzigkeit) an. Binah (Form) ziehtChockmah (Kraft) an. Wenn es dieses gegenseitige Ziehen nichtmehr gäbe, würde das Universum auseinanderfallen, so wie einMann, der an einem Seil zieht, hinfällt, wenn das Seil reißt. Wirsollten uns immer vergegenwärtigen, daß diese Spannung, dieserWiderstand, gegen den wir bei allem ankämpfen müssen, was wirtun, nicht das Böse ist. Er ist nur das notwendige Gegengewicht

Page 242: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

zu der Kraft, die wir gerade einsetzen.Wie wir bereits in einem der vorigen Kapitel erläutert haben, istjede Kelippah ursprünglich als Emanation einer unausgewogenenKraft entstanden, und zwar während des Entwicklungsprozesses derdazugehörigen Sephirah. Dabei gab es eine Zeit, in der die KräfteKethers überflossen, um die Sephirah Chockmah zu bilden, eineZeit, in der der zweite Pfad noch in seiner Entstehung begriffenwar, also nicht vollendet. Deshalb muß Kether sich zu diesemZeitpunkt im Ungleichgewicht befunden haben. Sie floß zwar über,war aber noch nicht ausbalanciert. Für dieses Phänomen einesÜbergangsstadiums, das krankhaft scheint, ist der Heranwachsendedas beste Beispiel. Er ist kein Kind mehr, das unter Kontrollegehalten wird, aber auch noch kein Erwachsener, der die nötigeSelbstkontrolle besitzt.Durch diese nicht vermeidbare Periode der ungleichgewichtigenKräfte, durch dieses unvollkommene Übergangsstadium, sind diejeweiligen Kelippoth entstanden. Daraus folgt, daß das Problemdes Bösen in der Welt nicht durch Unterdrückung, Vernichtung oderAuslöschung dieses Bösen beseitigt werden kann, sondern durchseine Eingliederung und seinen Wiedereintritt in die Sphäre, deres entstammt. Die unausgewogene Kraft Kethers, die diedualistischen, widerstreitenden Kräfte hervorbrachte, muß durcheine entsprechende Mehraktivität Chockmahs, des Wissensausgeglichen werden.Der Kern, um den sich alle bösen Gedankenformen ranken, die dasBewußtsein der fühlenden Wesen überfallen können, ist also jeneunausgewogene Kraft jeder einzelnen Sephirah, die in den Phasendes Ungleichgewichts freigesetzt wurde, welche im Laufe derEvolution periodisch entstehen. Die zweite Möglichkeit ist, daßdie Gedankenformen durch blinde Kräfte entstehen, die sich, auswelchen Gründen auch immer, nicht im Gleichgewicht befinden. JedeArt von Disharmonie muß sich irgendwo auswirken. Daraus könnenwir schließen, daß das, was zunächst als Überschuß an Kraftentstand und ursprünglich reiner, guter Natur war, im Laufe vonlanger Zeit zu einem höchst organisierten und entwickeltenNukleus positiven, dynamischen Übels werden kann, wenn es nichtausgeglichen wird.Wir wollen das erneut anhand eines Beispiels verdeutlichen.Im Zeitraum vor der Emanation Tiphereths, des Erlösers, wirdzweifellos ein Überschuß der notwendigen Marsenergie (Geburah),der Energie, die die Trägheit erschüttert und Überflüssiges,Abgenutztes beseitigt, freigesetzt werden. Ist der Erlösererschienen, wird er die Härte Geburahs ausgleichen, denn der Herrhat gesagt: »Ich gebe euch ein neues Gesetz. Ihr sollt nichtlänger sagen: Auge um Auge, Zahn um Zahn...« Aus derunausbalancierten Härte Geburahs ist der eifersüchtige Gott desAlten Testaments entstanden und auch die religiösen Verfolgungen,die in seinem unausgeglichenen Namen stattfanden. Diese Härte

Page 243: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

schuf die Kelippah Geburahs, und die grausamen und unterdrücktenAspekte der Natur stehen in enger Verbindung zu ihr. DerÜberschuß an Kraft, der durch sie erzeugt wird und der imUniversum nicht durch die Gegenkraft absorbiert werden kann,fließt in diese Sphäre ein, also alle unausgelebten Rachegefühle,aller Drang zur Grausamkeit, der nicht ausgelebt wurde, und dieseKräfte brechen immer wieder durch, sobald sie einen Kanal finden.So wird jeder Mensch, der Grausamkeit bei sich zuläßt, baldfeststellen, daß sich durch ihn nicht nur die Impulse seinereigenen, unreifen, unglückseligen Natur austoben, sondern daß einreißender Strom von Kraft ihn von einem Ausbruch zum nächstentreibt, bis er schließlich völlig die Kontrolle und Besonnenheitverliert und letzten Endes durch eine unkontrollierte Handlungzur Selbstzerstörung getrieben wird.Immer dann, wenn wir uns zu einem Kanal für reine Kraft machen,das heißt einer Kraft, die unvermischt ist und unbeeinflußt vonHintergedanken und sekundären Beweggründen, werden wir spüren,wie die Flut der dahinterstehenden sephirothischen oderkelippothischen Kräfte in den Kanal in uns einströmt und ihnüberschwemmt. Aus dieser Quelle speist sich auch die ungeheureMacht des auf ein Ziel fixierten Fanatikers.

27. Schlußbetrachtung

Am Schluß meiner Arbeit über den Teil der heiligen Kabbala, dersich mit den zehn Sephiroth des Lebensbaumes beschäftigt, bleibtmir nur zu sagen: »Es gibt noch viel zu tun...«Ich hoffe, daß diesem Buch noch andere folgen werden. Diezweiundzwanzig Pfade bilden ein mystisch - psychologischesSystem, das sich mit der Beziehung zwischen der menschlichenSeele und dem Universum auseinandersetzt. So wie die zehnSephiroth in bezug auf den Makrokosmos den Schlüssel zum Wissenbeinhalten, so beinhalten die zweiundzwanzig Pfade, die sich mitder Verbindung zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos beschäftigen,den Schlüssel zur Divination. Divination ist in ihrerursprünglichen Bedeutung eine spirituelle Diagnose und hat mitWahrsagen nichts, aber auch gar nichts gemein.Die Sphären der Götter im Baum sind eine höchst interessanteAngelegenheit und ein praktisch anwendbarer Weg, denn in ihnenliegt der Schlüssel zu Riten, die sich sehr erfolgreich mit derKontaktaufnahme und der Ausbalancierung der verschiedenen Kräftebefaßt haben, die in den Namen der Götter enthalten sind.Die Grundvoraussetzung aller Arbeit ist eine detaillierteKenntnis, die sich erst im Laufe der Zeit einstellen kann. DieAufgabe ist zu umfangreich, als daß sie eine einzige Feder zubewältigen vermag. Deshalb lade ich jeden Interessierten ein,Beiträge zu diesem Thema zu leisten, einem Thema, das sich nicht

Page 244: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

als Altertumsforschung versteht, sondern als Arbeit mitlebendigen Kräften, die in das tägliche Leben und in die Seelender Menschen zurückkehren.Alles, was uns im Westen an Zeremoniellem geblieben ist, ist festin der Hand der Kirchen, der Freimaurer und Showmacher. Jeder vonihnen ist auf seine Weise erfolgreich: Die Kirche ruft die Liebezu Gott wach, die Freimaurer rufen die Liebe zum Menschen wachund die Shows die Liebe zur Frau.Mit Zeremoniell den Geist Gottes beschwören zu wollen, wäre purerAberglaube. Wenn man damit jedoch den Geist des Menschenbeschwören will, dann ist das Psychologie und genau dahin gehtmein Bestreben. Das Zeremoniell ist eine verlorene Kunst, die neuzu beleben es sich für den Westen sicherlich lohnt.Thema dieses Buches ist die philosophische Grundlage dieserKunst. Ihre praktische Anwendung ist nicht nur von den reintechnischen Kenntnissen abhängig, sondern auch von derEntwicklung gewisser spiritueller Fähigkeiten, wie gesteigertemKonzentrations- und Visualisierungsvermögen, die nur durchstetiges, gezieltes Training zu erlangen sind. Vor allem dasVisualisierungsvermögen des westlichen Menschen befindet sich ineinem beklagenswerten Zustand. Coue war mit seiner These nahe ander Wahrheit, als er vermutete, daß anhaltende Konzentration einErsatz für spontan ausgelebte Emotionen sei.

Vierter Teil

1. Anmerkungen des HerausgebersDie Mystische Kabbala wurde vor fast fünfzig Jahren zum erstenMal veröffentlicht, und seitdem ist sie die wohl großartigsteDarstellung der Grundprinzipien der Kabbala. Bei der Vorbereitungfür diese Ausgabe haben die Herausgeber, alle Mitglieder der vonder Autorin gegründeten Gesellschaft, die Gelegenheit benutzt,die Übertragungen aus dem Hebräischen dem heutigen Standanzupassen, einige Ungenauigkeiten im Buch zu korrigieren, dieGliederung am Anfang jedes Sephirahkapitels zu ergänzen undabzuändern, wo es angebracht erschien, und einige neue Gedankenanzufügen, die sie auf den folgenden Seiten nachlesen können.Zur Übertragung des Hebräischen ins Englische nimmt die AutorinStellung. Die Herausgeber schließen sich dem grundsätzlich an.Dr. I. R. M. Bo´id vom Departement of Jewish Studies am VictoriaCollege in Victoria, Australien, war jedoch so freundlich, unsdiesbezüglich einige wertvolle Hinweise und Richtlinien zu geben.Aufgrund seiner Vorschläge wurden im Text entsprechendeÄnderungen vorgenommen. Außerdem hat er uns auf einigeUngenauigkeiten bei häufig verwendeten Begriffen hingewiesen.In der deutschen Ausgabe dieses Buches wurden diese Änderungen

Page 245: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

bereits bei der Übersetzung berücksichtigt:1. Tiphareth wurde abgeändert in Tiphereth.2. Qlipah/Qlipoth, was in der englischen Ausgabe in Qelippah/Qelippoth geändert wurde, ist im Deutschen der Gebräuchlichkeitwegen zu Kelippah/Kelippoth geworden.3. Jehova ist weder eine mögliche Aussprache noch einezufriedenstellende wiedergabe des hebräischen Wortes YHVH.Aufgrund der weiten Verbreitung jedoch wurde diese Schreibweisebeibehalten.4. Qabalah, was im Englischen nach Ansicht des Herausgebersbesser Qabbalah geschrieben werden sollte, wurde im Deutschen derGebräuchlichkeit halber mit Kabbala wiedergegeben.Die Herausgeber danken Dr. Bo´id aufrichtigst für sein Interesseund seine Hilfe.Nun zum zusätzlichen Material. Inzwischen wurde innerhalb derSociety of the Inner Light viel mit dem Baum des Lebens und denSephiroth gearbeitet. Einige Auszüge dieser Arbeit sind imfolgenden angeführt, in der Hoffnung, daß sie allenInteressierten von Nutzen sein mögen.In den Kapiteln über Tiphereth, Netzach und Malkuth wird derheilige Schutzengel erwähnt, der dem höheren Selbst entspricht.In der Society of the Inner Light wird die Funktion dieses Engelsheute etwa so gesehen: Eins der Konzepte im Bewußtsein desSchöpfers bezieht sich auf die Aufgabe und Entwicklung derMenschheit. Da jede menschliche Einheit oder jeder Geist seineRolle bei dieser Entwicklung spielt, steht auch jede einzelneEinheit mit dem Gesamtkonzept in geistiger Verbindung. Andersgesagt gibt es so etwas wie eine individuelle Verwirklichung desGesamtkonzeptes durch jeden Geist. Diese individuellen Einheitenwerden heilige Schutzengel genannt.Einerseits sind sie der Anteil, den jeder einzelne Geist an derErfüllung des Schicksals hat, aus einem anderen Blickwinkel sindsie das göttliche Konzept hinter jedem Ding. Wieder aus andererSicht gesehen sind sie der individuelle Berührungspunkt jedereinzelnen Geist - Einheit mit Gott und wiederum GottesBerührungspunkt mit dem Individuum. Es gibt unterschiedlicheArten, diesen heiligen Schutzengel wahrzunehmen, vor allem aberäußert er sich gern als Bewußtsein.Es gibt auch unterschiedliche Bezeichnungen für die Attribute,die ein menschliches Wesen ausmachen. Eine der meistgebrauchtenEinteilungen ist die in Geist, Seele und Körper. Bei354der Society of the Light wurden Seele und Körper früher alshöheres Selbst und niederes Selbst bezeichnet oder auch alsIndividualität und Persönlichkeit. In den folgenden Auszügen ausden Lehren dieser Gesellschaft werden sie evolutionärePersönlichkeit und inkarnierte Persönlichkeit genannt. Der ersteBegriff beinhaltet die mikrokosmischen Aspekte Cheseds, Gevurahs

Page 246: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

und Tiphereths, der zweite die mikrokosmischen Aspekte Netzachs,Hods, Jesods und Malkuths.Die Bezeichnung Fall wird sowohl auf den folgenden Seiten alsauch im Buch verwendet. Wir verstehen diesen Begriff heute etwaso: Geist ist reines Sein, ein individuellesPotentialitätszentrum Gottes. Dieses Potentialitätszentrum istdie Quelle aller Manifestationen, die aus ihm hervorgehen. Esbildet die Grundlage dieser Manifestationen, die es einerseitstranszendiert, von denen es aber andererseits auch unabhängigist. Dadurch, daß der Wille aktiviert wird, entsteht dieImmanenz, der immanente Geist. Hier begreift der Geist sich alsmanifestes Wesen und spürt den Drang, den Willen Gottes zuverwirklichen, der auf der Ebene des transzendenten Geistes einsist mit dem Willen des Geistes. Es läßt sich leichtnachvollziehen, wie der gottbezogene Geist, der über freienWillen verfügt, bei seinem Versuch, den Willen Gottes zuverwirklichen, leicht aufsein eigenes Selbst zurückfällt. »Wiekann es verwirklicht werden?« wird zu »Wie kann ich esverwirklichen?«, und die Aufmerksamkeit richtet sich fastunmerklich von der Gottbezogenheit auf die Selbstbezogenheit.Der Baum des Lebens allgemeinEs heißt, daß der Erzengel Kethers, Metatron, den Menschen dieKabbala gab. Das bedeutet, daß er ein Ideenkonzept der Evolution»durchgegeben« hat, das im Basisselbst verankert und durchMeditation auf die Ebene des »niedrigeren« Selbst, das heißt denGeist der inkarnierten Persönlichkeit, übertragen wurde. Spracheoder das, was wir als Sprache verstehen, wird von nicht -menschlichen Wesen nicht verwendet. Von ihnen können abergroßartige Ideen übermittelt werden, die dann durch Menschen indie menschliche Sprache übersetzt werden. Diese verbale Form derIdeen nähert sich dem ursprünglichen Gedanken mehr oder wenigeran, je nachdem, wo der Empfänger in seiner Entwicklung und mitseinen Fähigkeiten steht und unter welchen Voraussetzungen, vorwelchem kulturellen Hintergrund die Übermittlung stattfindet.Die anthropomorphen Formen der Engel und Erzengel entstammen demmenschlichen Geist (siehe Seite ). Passendere Formen wärenmächtige Kraftsäulen oder geometrische Formen, die dergrundsätzlichen Natur der jeweiligen Sephirah entsprechen.Gegenüber anderen Methoden der esoterischen Entwicklung hat diekabbalistische Methode den Vorteil, daß sie das Werden desMenschen in präziser Übereinstimmung mit den Plänen des großenWesens fördert und entwickelt, dessen Kind der Mensch ist. Andersausgedrückt durchläuft der Mensch die Sphären des Werdens inähnlicher Weise, wie die Schöpfung sie durchlaufen hat InTiphereth wird der König ausgewählt, in Gevurah verteidigt ersein Königreich und wird schließlich in Chesed gesalbt Wirsollten immer daran denken, daß der Baum des Lebens dieallmähliche Entwicklung Kether - Ehyehs darstellt, das Werden.

Page 247: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Beim Menschen finden wir die gleiche Art des Sich - Entfaltens,des Werdens. Seine spirituellen Fähigkeiten entfalten sich vonoben nach unten, seine psychologischen Fähigkeiten von unten nachoben. Auf der Erde entwickelt er sich und drückt seineKreativität in Aktivitäten aus. Wir können uns den Menschen sovorstellen, daß er aufrecht steht, die Erde unter seinen Füßen,den Himmel über seinem Kopf, und die Kraftlinie, symbolisiertdurch die mittlere Säule, verläuft senkrecht von der Krone seinesKopfes bis zu den Fußsohlen. Die Sephiroth der mittleren Säulebilden die Zentren. Wir wissen ja, daß Kether die Krone über demKopf sitzt, sich also nicht im Kopf befindet. Malkuth, dasKönigreich, liegt unter den Füßen. Beide Sephiroth befinden sichin der Aura, die den physischen Körper umgibt. Zwischen diesenbeiden Polen in der Aura, zwischen Kether und Malkuth, lebt derMensch, der Mikrokosmos, das Individuum und arbeitet an seinerEntwicklung. Kether ist sein spirituelles Zentrum.

BinahDurch die Polarisation von Chockmah und Binah entsteht dasNetzwerk des Lebens. Wenn wir das begreifen, verstehen wir diezyklische Natur des Lebens und können es so annehmen, wie es ist.Wer das verinnerlicht hat, steht in Kontakt mit der Realität. AlsFolge dieser Erkenntnis lösen sich sämtliche Konflikte, denn einsolcher Mensch wird ein Teil des Lebens selbst Er kennt dieVeränderungen, den Rhythmus und die zyklische Natur des Lebens.Dieses Wissen und dieses innere Begreifen machen es ihm möglich,allen Dingen gelassen und friedvoll ins Auge zu sehen. Andersausgedrückt sind dadurch der Makrokosmos und der Mikrokosmos inHarmonie miteinander.Das Ergebnis dieses verinnerlichten Wissens ist die Fähigkeit,die Situation Tag für Tag neu einzuschätzen und die Menschenimmer so zu nehmen, wie sie sind, zu sehen, wo sie stehen, undnicht nur, was sie sein könnten, obwohl man das für die Zukunftdurchaus im Auge behalten kann.All das gehört zu Binah, und daraus entsteht das Mitempfinden desAdepten. Den Unterschied zu sehen zwischen einer Seele, so wiesie jetzt ist und dem, was aus ihr durch weiteres Studium nochwerden kann, ist eine große Kunst Bis zu einem gewissen Grad sindzwar alle Persönlichkeiten irgendwo eingeschränkt, sind aberdennoch die Werkzeuge des Geistes. In dem Maße wie dieinkarnierte Persönlichkeit bereit ist, innerhalb der ihrgesetzten Grenzen alles Mögliche zu tun, damit der Geist Blütentreibt und in Malkuth an Macht gewinnt, in dem Maße kann dieInkarnation als erfolgreich betrachtet werden. Dabei ist eswichtig, die Grenzen der inkarnierten Persönlichkeit mit einemgewissen Abstand zu betrachten, damit sie durch Mutlosigkeit undunnötige Resignation nicht noch enger werden.Ein Adept ist jemand, der Kraft und Form bis ins Kleinste

Page 248: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

miteinander verbinden kann und dabei auch den »menschlichenFaktor« mit einbezieht Außerdem sieht er seine Arbeit genau ausdem Blickwinkel, der ihn mitempfinden läßtDie Schlüssel zu einer Sephirah finden wir sicherlich amleichtesten durch drei Wege: Vision, Tugend und Laster derSephirah.Auf Binah bezogen haben wir zunächst die Vision der Trauer. AusAngst vor dieser Erfahrung gehört Binah wohl zu denmeistgemiedenen Sephiroth, wenn sie nicht gar die meistgemiedeneist. Für das an Leid gewöhnte menschliche Bewußtsein ist es oftschwierig, den Begriff der Trauer losgelöst von Dingen wieKatastrophen, Sünden, Tod, Grausamkeit und ähnlichem zu sehen.Vielleicht wäre es richtiger zu sagen, daß nur wenige Menschenüberhaupt den Versuch einer solchen Trennung machen, da ihrGefühl ohnehin vor Trauer zurückschreckt. Und das mit Recht, denndie Trauer, die sie kennen, ist noch gar nichts im Vergleich zurgöttlichen Trauer in der Vision Binahs, die ja das Prinzip derBegrenzung verkörpert.Die Vision der Trauer ist ein wichtiger Aspekt bei derAuseinandersetzung mit der Form. Diese Vision geht mit einerÄnderung des Zustandes und der Sichtweise einher. Der »gefallene«Mensch empfindet tiefe Trauer, wenn er begreift, wie es hättesein sollen und wie es tatsächlich ist. Er wird sehr traurig,wenn er sieht, was noch alles zu tun ist, um das, was ist, diesemIdealzustand wieder anzunähern. Diese Erkenntnis wird begleitetvon dem Wissen, daß der Mensch seit diesem Fall etwasabzubezahlen hat. Die Vision der Trauer als Erfahrung würde aberauch dann existieren, wenn es keinen Fall gegeben hätte.Die Erfahrung der Vision der Trauer ist ein Zustand, in dem dasKreuz allen manifestierten Lebens angenommen wird. Das ist nichtdas gleiche wie das Leiden und der Schmerz, die uns von derdunklen Mutter durch Gevurah auferlegt werden, derenWirkungsbereich die Gefühlssphäre ist und die zu dentipherethischen Mysterien der Kreuzigung in Beziehung steht. DieErfahrung dieser Mysterien sollte in Gevurah abgeschlossen sein.Ist verwunderlich, daß der Mensch, wenn die echte Vision ihnergreift, zunächst mit Trägheit oder Geiz reagiert? Mit Geiz isthier die Weigerung gemeint, aufzugeben, was man besitzt odererreicht hat, und auch die Weigerung, diese erreichten Dinge mitanderen zu teilen und ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, dieeinem selbst zuteil geworden ist.Die Tugend Binahs ist das Schweigen, dessen Notwendigkeit hieroffensichtlich ist. Schweigen bedeutet, genau zu wissen, was wannnicht ausgesprochen werden muß. Wie wenigen Menschen begegnen wirdoch im täglichen Leben, die auf eine Frage hin schweigen, wennsie die Antwort nicht wirklich wissen oder wenn der Frager dieAntwort bei sich selbst finden kann und sollte. Diese Möglichkeitwird ihm oft schon dadurch genommen, daß der Gefragte nur allzu

Page 249: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

bereitwillig sein Wissen zur Schau stellt oder seine Meinungkundtut. Schweigen ist auf einer anderen Ebene göttliches Nicht -Handeln.Binah verkörpert die Idee der Form, und aus Binah herausentwickelt sich die Grundform oder der Grundplan ^göttlichenAbsichten. Das ist die erste Ursache, die sich schließlichdurchsetzen und Wirkungen hervorbringen wird, die mit ihrer Naturim Einklang stehen. Es ist sinnvoll, den Faktor Zeit Binahzuzuordnen, denn sie ist ein Aspekt der Form.In Binah liegt das Prinzip des Verstehens, nicht desverstandesmäßigen Erfassens, sondern eines Verstehens, das ausden tiefsten Tiefen des Gefühls erwächst und dessen Natur femininist. In Binah existiert auch ein höheres Erfassen einesBewußtseins, dessen Wurzeln im Amen liegen. In dieser Sephirahwurzeln eine Weisheit und ein Glaube, die über dasverstandesmäßige Begreifen hinausgehen und etwas ganz anderessind als das, was der konkrete Geist normalerweise als Glaubebetrachtet. In Binah finden wir die feminine Macht Jehovas, undüber diese Sephirah kann Weisheit zur Anwendung gebracht werden.Binah ist eine der beiden wichtigsten Sephiroth der Form auf denbeiden seitlichen Säulen, und die Hebräer erkannten, daß dieseKräfte von Gott kamen und daß sie sowohl im Makrokosmos als auchim Mikrokosmos auf verschiedenen Ebenen wirken. Binah ist eherdas Prinzip des Weiblichen als das Weib selbst. Eine Gottformkann nützlich sein, um sich eine klare mentale Vorstellung zumachen. Am besten ist es, wenn jeder die Sephiroth für sichselbst erarbeitet und dabei seinem inneren Licht folgt. DieKabbala stellt uns durch Symbole und symbolische Darstellungen»Trittsteine« zur Verfügung, die jeder auf seine Weise benutzenkann, um so den Abgrund zu überqueren.Binah verkörpert den Aspekt Gottes, der die Kraft dazu bringt,sich sichtbar zu manifestieren. Diese Sephirah gibt der Krafteine»Gestalt«, die für den menschlichen Geist (und manchmal auch dasmenschliche Auge) wahrnehmbar ist. Binah gibt den Vorstellungenvon den höchsten Ebenen eine menschliche Gestalt, und, da dieseSephirah das Formprinzip selbst ist, kann sie sich auch in der»niedrigsten« irdischen Kraft, in der gröbsten, primitivstenGestalt oder dem einfachsten Symbol ausdrücken. Vom Standpunktdes Menschen aus gesehen, ist eine Kraft nicht begreifbar,solange sie sich nicht in einer Form manifestiert und darstellt.Form ist natürlich etwas Begrenztes, aber ohne sie kann sich dieKraft im solaren Universum nicht ausdrücken.DaathMan kann Daath als Punkt der Einheit betrachten, in dem allesWissen enthalten ist. Da Daath Einheit ist, enthält sie natürlichdie Synthese von Gesetz, Gerechtigkeit und Gleichgewicht. Siesymbolisiert die Einheit und Vereinigung aller Teile des

Page 250: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Lebensbaumes. Sie steht für die Weisheit Gottes, die Macht undLiebe in sich vereinigt. Daath ist keine Sephirah, aber sie istein wichtiger Punkt im Baum. Ihr werden normalerweise keineAttribute zugeschrieben, da ihre Evolution noch nicht vollabgeschlossen ist und sie nur bei einigen Pionieren der Evolutionzu finden ist, die gegenwärtig aus dem wissenschaftlichen Bereichkommen.Daath ist der Zustand des Wissens, des »wissend Seins«, und dasBewußtsein der Ewigkeit. Daath enthält die Essenz der Erfahrungenihrer Projektionen. In der christlichen Sprache ist Daath derBereich des Obergemaches, wenn die Flammen des Pfingstfestesherabsteigen. In der vorchristlichen Zeit war Daath die Sphäredes schöpferischen Feuers im Bereich des Geistes, bei den Druidenwurde sie mit Beltane in Verbindung gebracht, obwohl Beltaneandererseits auch das Fest des irdischen schöpferischen Feuerswar. In Daath liegt der Schlüssel zum Wissen des Menschen übersich selbst, aber um diesen Schlüssel benutzen zu können, isteine enorme innere Entwicklung nötig. Im Baum, in der Aura jedeseinzelnen Menschen, enthält Daath das Wissen darüber, in welcherWeise die evolutionäre Persönlichkeit von der Entwicklung derErde mitbeeinflußt wurde.Von dem, was oft fälschlicherweise als »Mystizismus« bezeichnetwird und was in Wirklichkeit ein falscher, ungenauer Nenner ist,auf den transzendente Angelegenheiten gebracht werden, ist Daathweit entfernt. In ihr liegt das wirkliche Verständnis dieses gernmißbrauchten Wortes. Mystizismus äußert sich nicht in einemverwirrten Zustand von Ziellosigkeit oder in fehlgeleiteter»Spiritualität«. Daath ist überhaupt nicht vage. Sie ist vielmehrder Geist, der klar, einfach und sich seiner Sache sicher ist undder beide Seiten des Abgrundes kennt und miteinander verbindenkann. Ein echter Mystiker hat eine klar umrissene Vorstellung vonden verschiedenen Potenzen im Baum des Lebens und von ihrerEinheit mit Gott und mit seiner eigenen Person.Daath verkörpert die Einheit, durch die das höchste Dreieck mitseiner Manifestation verbunden ist, das heißt den Geist Gottes,der sich im Menschen und in der Manifestation ausdrückt. Hierfinden sich Ausgewogenheit, Begreifen und Verinnerlichung dieserPotenzen im Licht des abstrakten Geistes zusammen. Deshalb heißtes auch, daß »in Daath die Konklaven stattfinden«.Ein gutes Symbol für Daath sind die wolkenumwogten Gipfel desheiligen Berges, den es bei jeder menschlichen Rasse gibt. Mosesbegegnete dem Daath - Bewußtsein, als er auf dem Berge Sinai, demMondberg, die Gesetzestafeln in Empfang nahm. Daath sitzt auf demAbgrund, dem Abyss, der die höchsten Sephiroth vom Rest desLebensbaumes trennt und der die immensen Kräfte der Ewigkeit vonpraktisch allem trennt, was der menschliche Geist wahrnehmen undbegreifen kann. Chockmah und Binah vereinigen sich in Daath, ineiner höchsten Göttlichkeit, die zu beschreiben unmöglich ist.

Page 251: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Vor allem aber ist Daath die Erkenntnis im allerhöchsten Sinne,Verstehen gepaart mit Wissen, das im menschlichen Geist aufabstraktester Ebene ein vollkommenes Bewußtsein für alle Dingeerzeugt. Wenn dieses vollkommene Bewußtsein vorhanden ist, gehtder menschliche Geist in den ewigen Geist ein, wird eins mit ihm.Daath verkörpert also höchste Einheit und höchsteErkenntnisfähigkeit. In jeder Sephirah ist ein Miniatur - Baum zufinden, und in jedem dieser Miniatur - Bäume gibt es eine Daath.Solange der Schüler nicht mit dieser Daath jeder einzelnenSephirah Kontakt aufgenommen hat, kennt er die Sephirah nichtrichtig. Es gibt beispielsweise eine Daath in Malkuth, und wennman mit ihr Kontakt aufnimmt, erkennt man die Atome, ihreFunktion und ihre Verbindungen, nicht nur mit Malkuth, sondernmit dem Ganzen. Eine solche Erkenntnis wäre ohne den Kontakt zuDaath nicht möglich. Das gleiche gilt für die anderen Sephiroth.Wenn der Mensch wirklich bestrebt ist, Gleichgewicht undGerechtigkeit zu erkennen, kann der Kontakt mit Daath ihm dazuverhelfen, natürlich nur insoweit, wie der Schüler fähig ist,diesen Kontakt herzustellen. Über den Kontakt wird mit Sicherheiteine teilweise Erkenntnis der Gerechtigkeit erreicht,vorausgesetzt, der Wunsch danach ist tief und echt.Was den Menschen betrifft, ist Daath also die höchste Erkenntnis.Was universale Dinge betrifft, kann man sie als den Geist Gottesbezeichnen. Sie steht mit dem Wirken ^göttlichen Geistes inVerbindung. Man kann sich deshalb vorstellen, daß demmenschlichen Geist, wenn er auf abstraktester Ebene mit demhöchsten Geist Verbindung aufnimmt, irgendeine Erkenntnis zuteilwerden wird, daß er sich auf tiefster Ebene über etwas bewußtwerden wird. Die höheren Erkenntnisse, die Adepten in derVergangenheit hatten und die durch sie in das Wissen dermenschlichen Rasse eingeflossen sind, stammen aus der Begegnungmit Daath. Die »Formel« für das Wesen Daaths ist der leere Raumoder das leere Grab. Diese beiden Begriffe beinhalten Parallelenauf den verschiedensten Ebenen. Sie sagen aus, daß in Daath keinSymbol mehr vorhanden ist und kein Kontakt zur Realität mehrbesteht. Bei der letzten Begegnung mit dem leeren Kaum wirddieses »letzte Symbol« vom Bewußtsein absorbiert, danachexistiert der leere Raum nicht mehr. Im leeren Raum gibt es keineMöbel und keine Formen, wie der Begriff ja schon vermuten läßt.Er ist eng begrenzt und zunächst mit Essenz und Licht angefüllt,die aber schließlich auch verschwinden. Der Geist nimmt dieseBegrenzungen als sein Symbol wahr und verinnerlicht diesesSymbol. So erreicht die einzelne Seele den vollkommenen, freienWillen, indem sie ihre eigenen »Grenzen« erkennt, die darinbestehen, die Vergangenheit voll zu akzeptieren, was wiederum zurErkenntnis der Zukunft innerhalb des integrierten underleuchteten Menschen führt. So verschmelzen Vergangenheit undZukunft in der Gegenwart, und das ist Daath.

Page 252: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Der Abgrund ist ein Symbol, das die unterschiedlicheFunktionsweise des Geistes in Kether, Chockmah und Binahdarstellt, die durch Daath auf einen Punkt gebracht werden undsie von der Funktionsweise des Geistes bei den Sephirothunterhalb des Abgrundes trennt. Oberhalb des Abgrundes erzeugtder Geist Zustände, aus denen die Eigenschaften Liebe, Weisheitund Stärke hervorgehen; unterhalb des Abgrundes wird das Wirkendes Geistes durch Empfindungen, Gefühle, Ahnungen und denmenschlichen Geist beschränkt, durch den der Mensch diespirituellen Eigenschaften der Liebe, der Weisheit und der Stärkein sich reproduziert, die einerseits durch die Umwege undStillstände in der Entwicklung verfälscht und andererseits durchdas geistige Wachstum des Menschen bereichert werden.Das Bewußtsein Daaths ist nicht durch Entsagungen des Geistesoder der Gefühle und Empfindungen zu erreichen. Diese Faktorenwerden vielmehr bis zum äußersten erweitert, wobei sich dann einWandel in ihrer normalen Funktionsweise vollzieht. Es geht eineTransmutation vor sich; beim evolutionären Aspekt entstehtTranszendenz; auf der Ebene der Intelligenz tut sich das auf, wasman Intuition nennen könnte; es verbreiten sich Licht undWeisheit. Auf der emotionalen Ebene erweitern sich die Gefühlebis hin zur Ekstase der Vereinigung mit Gott, die Liebe heißt;auf der sensorischen Ebene wächst die Wahrnehmung bis zur Ekstaseder Unsterblichkeit oder Stärke.Allgemein ausgedrückt erkennen Menschen Gefühle, Empfindungen undAhnungen und den Geist und begeben sich bewußt in diese»Zustände« hinein, bis sie mit ihnen besser umgehen und sie auchselbst steuern können. Diejenigen Menschen, die sozusagen voneinem Zustand in den nächsten stolpern, haben eine negativeLebenseinstellung. Viele Menschen, die nach dem Zustand und derErfahrung des leeren Raumes Daath gestrebt haben, haben sich dannstatt dessen taub, leer und öde gefühlt. Die Erfahrung des leerenRaumes beinhaltet die Symbolik des Mutterschoßes in einem sehrspeziellen Sinn, indem nämlich etwas geboren wird, nicht in Formeines physischen Körpers, sondern als Zustand, der sich in denWorten zusammenfassen läßt: »Dann werde ich wissen, so wie manüber mich weiß«, ein Zustand des Sich - Selbst - Wahrnehmens, desBegreifens der verursachenden Kreativität, der außerhalb desFaßbaren liegt, sich aber in bestimmten Geisteshaltungenausdrückt. Sich leer und öde zu fühlen, gehört nicht zu denCharakteristika des Daath - Zustandes selbst,, sondern zu den ihnkennzeichnenden Begleiterscheinungen, die der menschliche Geistals Antwort auf diesen Zustand produziert; sie sind eine andereForm von Begleiterscheinungen, die auf einer anderen Ebeneliegen.Der km Raum ist insofern leer, als der Geist in ihm nicht dieFormen findet, an die er gewöhnt ist. Für das Bewußtsein ist erjedoch nicht leer. Dieser Raum enthält Zustände, Eigenschaften

Page 253: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

und Geisteshaltungen. Der Glaube und alle ihn begleitenden»Obertöne« haben die Macht, die Lücke zwischen den Werkzeugen desBewußtseins und denen der Funktion, derer sich der Geistunterhalb des Abgrundes bedient, und zwischen dem schöpferischenKern kreativen Seins, der im Baum oberhalb des Abgrundes liegt,zu überbrücken. Dazu ist keine andere Umgebung und sind keineanderen Begleitumstände erforderlich, sondern man muß sichlediglich in einen anderen Bewußtseinszustand begeben können. Diegrundlegende Intelligenz des Geistes ist die Kreativität. DieseKreativität wird entweder gebraucht oder mißbraucht oder vomVerstand, den Gefühlen und Empfindungen vernachlässigt, jenachdem auf welcher »Stufe« sich das jeweilige Individuumbefindet. Der Mensch trägt in sich alle Qualitäten, die erbraucht. Er muß sie nicht erst erschaffen, er muß lediglich fürden Zustand sorgen, der Voraussetzung für ihr Wachstum undGedeihen ist Der Samen enthält die Blume, und Gott schuf denMenschen sich zum Bilde.ChesedGehorsam als Tugend Cheseds bedeutet, das Gesetz anzunehmen,nicht weil man dazu gezwungen wird oder aus Angst, sondern weilman sich als Teil dieses Gesetzes fühlt.

GeburahIn der Geburah - Sphäre betritt oder verläßt das Individuum denWeg, der zur Vollendung führt. Gevurah zeigt das Zusammenwirkender Säule der Energie und der Säule der Ausdauer vielleichtdeutlicher als irgendeine andere Sephirah. Manche Seelen erleidenaus religiösen, situationsbedingten oder anderen Gründen einenschrecklichen Tod. Das ist dann eine heftige Reaktion Geburahs.Dann gibt es noch die »alltägliche« Seite Geburahs, die gerneunterschätzt wird. Hier wird weniger vom heftigen SchwertGebrauch gemacht als vielmehr von der Geißel, die immer wiederzuschlägt, und von der Kette, die über lange Zeit hinweg inFesseln liegt, aus denen kein Entkommen möglich ist. Es wird sooft Wut und Angst mit der heiligen fünften Sephirah assoziiert,daß die ständige Überwachung ihres stetigen Wirkens dabeimeistens unbeachtet bleibt. Dieses stetige Wirken könnte man auchals den »dauerhaften« Aspekt Geburahs bezeichnen, der nicht mehrdurch den entschlossenen Einsatz des Willens unter Kontrolle zuhalten ist, sondern nur durch genaues Beobachten und Verstehen.Geburah reagiert oft mit heftigen, schnellen Hieben, aber dielangsame Methode ist eine ihrer erfolgreichsten. Der Aussprucheines Poeten, der zur Redensart wurde, trifft den Kern genau:»Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich fein; ob ausLangmut er sich säumet, bringt mit Schärf er alles ein.« DieserSpruch enthält auch einen Hinweis auf die Ausdauer (Geduld)Gottes. Erasmus hatte mit seinem »Sero molunt deorum molae« diegleiche Idee.

Page 254: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

NetzachDie Vision der siegreichen Schönheit ist gleichzusetzen mit derBefriedigung über erreichte Perfektion, die Gott hatte, als er,zufrieden mit seinem Werk, »am siebten Tag ruhte«. Diese Visionzeigt uns den Zustand der vollkommenen Perfektion. DiesePerfektion ist für den Menschen nur dann zu erreichen, wenn erdas Opfer Tiphereths auf sich genommen hat. Er muß alle falschenIdeale der Schönheit und des Friedens fallengelassen haben, bevorihm dieser Triumph zuteil wird. Er muß über die falschen Ideale,die durch und seit dem Fall entstanden sind, den Sieg erringen.Für einige dieser falschen Ideale sind bestimmte, allgemeinanerkannte Konzepte über Venus - Aphrodite verantwortlich. DieVision muß die des echten Triumphes der Wahrheit und des Gesetzessein.Die »Götter« sind Emanationen des Einen und werden als AttributeAdonais betrachtet, oftmals aber durch die Brille der jeweiligenRasse. In Wirklichkeit sind sie echte menschliche Wesen, die vorlanger Zeit einmal Führer und Staatsoberhäupter ihre Volkes warenund denen das kollektive Gedächtnis dieser Rasse »Formen« gebauthat. Ihre Kraft kann sich sogar heute noch stark bemerkbarmachen, wenn sie von einem geschickten, fähigen Menscheneingesetzt wird. Ein Aspekt Netzachs liegt im Bereich der Romane.Romane beschreiben die Schönheit und den Sieg nach dem Kampf, deraufgrund übermächtiger, widriger Umstände zur Tragödie wird; siebeschreiben den Kampfesmut, der diese widrigen Umständeüberwindet und besiegt. Netzach ist auch die Sphäre der Elfen,der Götter und bestimmter Naturgeister, die sowohl großeSchönheit als auch große Macht besitzen. Die Bezeichnung Stärkefür Netzach ist eines ihrer wichtigsten Attribute. Netzachbeinhaltet den Begriff der Verbundenheit, und die sollte stark,beständig und unbeirrbar sein, damit jede Verbindung zwischenMenschen und Dinge am rechten Platz ist. Netzach ist die Formelder Vielen - in - Einem. Wenn Netzach in Unordnung gerät, ist dasdie sehr häufig vorkommende und allgemein bekannte Unordnung, diespäter in die speziellen Untugenden dieser Sephirah mündet. DochNetzach hat ihre eigene Art von Ordnung, eine Ordnung, die nichtdurch die vielen Aspekte dieser Sephirah erschüttert wird,sondern die diese Aspekte zusammenfügt, statt sie zu trennen. InNetzach finden sich die Vielen zu dem Einen zusammen. Der grüneStrahl soll eine Geordnetheit erhalten. Nur wenn Netzach falschverstanden und dargestellt wird, erscheinen ihre chaotischen,extremen Seiten.

HodHod ist die Sphäre der Wahrheit, aber wie bei allen Sephiroth,die unterhalb der höchsten Triade liegen, gibt es in ihrermikrokosmischen Funktion auch das Gegenteil, nämlich

Page 255: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Unehrlichkeit und Falschheit. Wir sollten uns merken, daß dieseunglücklichen oder aversen Eigenschaften der Sephirah sichnormalerweise in der Gottform zeigen, die zum Planeten gehört,der der Sephirah zugeordnet wird, und nicht im reinen, göttlichenStadium der Sephirah. Hod ist die Sphäre der Wahrheit undderjenigen, die diese Wahrheit kennen, aber auch derer, die sieverdrehen. Die Wahrheit ist kristallklar, so daß wir sie nichtnur als Reflexion sehen, sondern direkt durch sie hindurch in dieunter ihr liegenden Tiefen schauen können. Sie ist die Sphäre derweisen Männer und Frauen in der Geschichte und in Romanen. Einigevon ihnen haben mit der Wahrheit selbst und einige mit derverdrehten Wahrheit gearbeitet.Hod ist die Basisstation der Säule der Härte, so wie Binah dieoberste Station dieser Säule ist. Keine Sephirah kann nur fürsich allein betrachtet werden, denn jede hat eine evolutionäreund eine funktionale Verbindung zu anderen Sephiroth. Um Problemeangehen zu können, die in der Sphäre der Härte auftauchen, mußdie Säule der Härte insgesamt miteinbezogen werden. Die Funktionder Sephirah Binah auf dieser Säule ist jedoch so abstrakter undso umfassender Natur, daß sie für Probleme der praktischenAnwendung nicht extra berücksichtigt werden muß. Binahsymbolisiert Kräfte wie Stabilität und Trägheit und liegt jederArt von Organisation zugrunde. Sie reflektiert in Chesed hineinund von da in Hod. Chockmah, die dynamische Sephirah, reflektiertin Gevurah und danach in Netzach hinein und verleiht so dermittleren Sephirah auf der Säule der Härte ihren dynamischenAspekt.Hod ist eine vielseitige Sephirah, wie schon das Symbol desHermaphroditen vermuten läßt, das ihr zugeordnet ist. Sie stehtmit Hermes in Verbindung, der Perseus seine Sandalen lieh, undmit Pallas - Athene, die ihm ihr Schild zur Verfügung stellte,damit er im Namen der Gerechtigkeit Medusa, die einzigeSterbliche der drei Gorgonen, enthaupten konnte. Durch diesenMythos wird die Verbindung Hods zu Gevurah hergestellt. Diegeflügelten Sandalen machten den Helden flink genug, und imglänzenden Schild konnte er wie in einem Spiegel das todbringendeHaupt der Gorgonin sehen, deren Blick ihm aber auf diese Weisekeinen Schaden zufügen konnte.

JesodIn Jesod ist die Substanz des Wassers und des Mondes enthalten,und trotzdem ist diese Sephirah mit großer Kraft und Stärkeverbunden. Zu Recht wird sie die Maschinerie des Universumsgenannt. Hinter allem, was sich nach außen zeigt, steht eininnerer Mechanismus, der nie versagt und nach seinen eigenenGesetzen funktioniert.In der Maschinerie des Universums wirken die Kräfte alsRegenerator und als Generator, und Jesod kann als Geburtsstätte

Page 256: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

betrachtet werden, in der die Grundlagen für die heutige Stadtund für die Erde enthalten sind. Diese Grundlagen verändern sichnicht, nur die Struktur wechselt von Epoche zu Epoche, auch vomweltlichen Blickwinkel aus, denn es wird immer mehr ätherischeAtmosphäre in das Sammelbecken Jesod gezogen. Diese Atmosphärehat so viele verschiedene Spannungsgrade und Anwendungsbereiche,daß die »Erscheinungen« sich ständig zu verändern scheinen undder Mensch und sein Wesen im Laufe der Zeit zyklischeSchwankungen aufweisen.Der gleiche Mechanismus betreibt auch den Körper des Menschen.Gegenwärtig beginnen die Wissenschaftler zu entdecken, daß imMenschen Kräfte am Werke sind, die mit physischen Augen und Ohrennicht wahrnehmbar und beurteilbar sind. Auf diesem Wissen um dieunsichtbaren Mechanismen im Menschen wird im Zeitalter desWassermanns das Heilen beruhen. In einigen Beispielenverschiedenster Art ist das bereits zum Tragen gekommen. DieKräfte, die im Geist des Menschen an der Arbeit sind,beeinflussen auch seinen Körper. Wenn diese Gesetze des Geistes,die im Menschen wirken, verstanden werden, kann dadurch auchseinem Körper geholfen werden, wenn er krank wird. Eine nochbessere Möglichkeit liegt darin, den Menschen selbst mit demMechanismus, der in ihm wirkt, in Kontakt zu bringen. DieKenntnis dieses Mechanismus kann diese neue Art des Heilens mehrund mehr beeinflussen. Jesod ist auch die Schatzkammer derVorstellungen. Es gibt viele verschiedene Arten vonVorstellungen, und Worte sind bestenfalls eine dieser Spezies. Esgibt auch verschiedene Arten von Bildern. Nehmen wir als Beispieldie paar hundert Bilder von Gott, dem Herrn. Manche von ihnendrücken wenig aus und sind schlecht gemalt, und trotzdem kanndurch sie für einige Menschen eine starke Anziehung zumChristentum entstehen. Zum anderen gibt es Bilder von großenKünstlern. Es gibt großartige Musikstücke, die Gott wieder aufganz andere Art und Weise Ausdruck verleihen, und alle dieseDinge sind zunächst in Jesod, bevor sie sich auf der Erdemanifestieren. Jesod ist also tatsächlich die Schatzkammer allerVorstellungen, und viele Symbole sind in diesem Zusammenhang vonenormer Bedeutsamkeit, wenn sie erst wirklich verstanden werden.

MalkuthWer Malkuth wirklich begreift, ist sicheren Fußes auf dem Weg derEvolution. Die Bezeichnungen für Malkuth zeigen, daß sie das Toroder der Eingang zu den höheren Bewußtseinsebenen ist, zuWandlung und Freude.Malkuth ist die Sephirah, die alle Möglichkeiten in sich birgt,die aber noch nicht bis zur Perfektion gelangt ist. Deshalb istihr magisches Bild eine junge Frau mit Krone, die auf einem Thronsitzt und als Tochter der Mächtigen zu voller Entfaltung gelangenkann. Sie muß den Zustand Binahs, auf deren Thron sie sitzt, erst

Page 257: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

noch erreichen. Der gesamte Baum ist in Malkuth enthalten, unddiese Sephirah ist mit Netzach, Hod und Jesod ganz eng verbunden.

Page 258: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala
Page 259: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala
Page 260: Dion Fortune - Die Mystische Kabbala

Recommended