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Differentialdiagnostik von Anämien - roche.de · reich, weil Ferritin als Akut-Phase-Protein bei...

Date post: 04-Aug-2019
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4 Medizin | Differentialdiagnostik von Anämien | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017 chen vorliegen. Ein Grund für das inadäquate diagnostische Vorgehen ist die Vergütungs- situation in Deutschland. Sie kann die medi- zinisch wertvolle und eigentlich unverzicht- bare Analyse der Erythrozytenmorphologie für streng wirtschaftlich ausgerichtete Labore unattraktiv machen. Der Beitrag beleuchtet das breite Potenzial der Erythrozytenmor- phologie und welche qualitativen Anforde- rungen zu erfüllen sind. Im Hinblick auf das ungünstige Verhältnis von Aufwand/Kosten einerseits und Vergütung andererseits sind neue Systeme mit leicht verfügbarer und für die Beurteilung der Erythrozytenmorphologie qualitativ ausreichender, computergestützter Bilderkennung hochinteressant. Die Anämie ist der häufigste pathologische Befund eines Blutbildes, das auch bereits eine schnelle differentialdiagnostische Ori- entierung erlaubt (s. u.). Da 80 % der Anä- mien einen Eisenmangel als Ursache haben, folgt die Ferritinbestimmung aus dem Serum als zweiter Schritt. Allerdings liegen viele Werte trotz Eisenmangel im Normbe- reich, weil Ferritin als Akut-Phase-Protein bei Entzündungen ansteigt. Die Suche nach einer ursächlichen Blutungsquelle bleibt z. T. ergebnislos. Schneller Überblick im Blutbild Zur ersten, groben Differentialdiagnostik der Anämien aus dem Blutbild stehen die Erythrozytenindices nach Wintrobe zur Verfügung O MCV (mittleres Erythrozytenvolumen) O MCH (mittlerer Hämoglobingehalt der Erythrozyten) O und meist auch die Retikulozyten – wenn sie denn angefordert würden. Bei isoliertem und ausgeprägtem Eisen- mangel sind die Erythrozyten hypochrom (MCH) und mikrozytär (MCV). Makrozy- täre Erythrozyten entstehen bei erhöhter Retikulozytenzahl, Folsäuremangel und (sel- ten) einem Vitamin B12-Mangel bzw. einem Myelodysplastischen Syndrom. Die entzündungsbedingte Anämie im Rah- men chronischer Erkrankungen wird in der Das Blutbild, also die Zählung und Diffe- renzierung aller zellulären Bestandteile des peripheren Blutes, ist die häufigste Laborun- tersuchung überhaupt und die Anämie ihr häufigstes pathologisches Ergebnis. Dennoch verläuft die erforderliche Stufendiagnostik zur Anämieabklärung oft unbefriedigend. Nicht immer werden die sinnvollsten Para- meter angefordert oder kompetent beurteilt. Als Folge davon werden beispielsweise ange- borene Anämien teilweise erst in der zweiten Lebenshälfte diagnostiziert und Erythrozyten- fragmentationssyndrome (intravasaler Ery- throzytenabbau) gar nicht erkannt. Oder Ärzte erklären die Anämie monokausal, obwohl in vielen Fällen mindestens zwei Ursa- fotolia/mezegliz Differentialdiagnostik von Anämien Bedeutung der Erythrozytenmorphologie Dr. C. Thomas Nebe, hämatologie-Labor Mannheim gewidmet Prof. Dr. hermann heimpel*, der am 14. Oktober 2014 verstorben ist.
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Medizin | Differentialdiagnostik von Anämien | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017

chen vorliegen. Ein Grund für das inadäquate diagnostische Vorgehen ist die Vergütungs- situation in Deutschland. Sie kann die medi-zinisch wertvolle und eigentlich unverzicht-bare Analyse der Erythrozytenmorphologie für streng wirtschaftlich ausgerichtete Labore unattraktiv machen. Der Beitrag beleuchtet das breite Potenzial der Erythrozytenmor-phologie und welche qualitativen Anforde-rungen zu erfüllen sind. Im Hinblick auf das ungünstige Verhältnis von Aufwand/Kosten einerseits und Vergütung andererseits sind neue Systeme mit leicht verfügbarer und für die Beurteilung der Erythrozytenmorphologie qualitativ ausreichender, computergestützter Bilderkennung hochinteressant.

Die Anämie ist der häufigste pathologische Befund eines Blutbildes, das auch bereits eine schnelle differentialdiagnostische Ori-entierung erlaubt (s. u.). Da 80 % der Anä-mien einen Eisenmangel als Ursache haben, folgt die Ferritinbestimmung aus dem Serum als zweiter Schritt. Allerdings liegen viele Werte trotz Eisenmangel im Normbe-reich, weil Ferritin als Akut-Phase-Protein bei Entzündungen ansteigt. Die Suche nach einer ursächlichen Blutungsquelle bleibt z. T. ergebnislos.

Schneller Überblick im BlutbildZur ersten, groben Differentialdiagnostik der Anämien aus dem Blutbild stehen die Erythrozytenindices nach Wintrobe zur VerfügungO MCV (mittleres Erythrozytenvolumen)O MCH (mittlerer Hämoglobingehalt der

Erythrozyten)O und meist auch die Retikulozyten –

wenn sie denn angefordert würden.

Bei isoliertem und ausgeprägtem Eisen-mangel sind die Erythrozyten hypochrom (MCH) und mikrozytär (MCV). Makrozy-täre Erythrozyten entstehen bei erhöhter Retikulozytenzahl, Folsäuremangel und (sel-ten) einem Vitamin B12-Mangel bzw. einem Myelodysplastischen Syndrom.

Die entzündungsbedingte Anämie im Rah-men chronischer Erkrankungen wird in der

Das Blutbild, also die Zählung und Diffe-renzierung aller zellulären Bestandteile des peripheren Blutes, ist die häufigste Laborun-tersuchung überhaupt und die Anämie ihr häufigstes pathologisches Ergebnis. Dennoch verläuft die erforderliche Stufendiagnostik zur Anämieabklärung oft unbefriedigend. Nicht immer werden die sinnvollsten Para-meter angefordert oder kompetent beurteilt. Als Folge davon werden beispielsweise ange-borene Anämien teilweise erst in der zweiten Lebenshälfte diagnostiziert und Erythrozyten-fragmentationssyndrome (intravasaler Ery- throzytenabbau) gar nicht erkannt. Oder Ärzte erklären die Anämie monokausal, obwohl in vielen Fällen mindestens zwei Ursa-

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Differentialdiagnostik von AnämienBedeutung der Erythrozytenmorphologie Dr. C. Thomas Nebe, hämatologie-Labor Mannheim gewidmet Prof. Dr. hermann heimpel*, der am 14. Oktober 2014 verstorben ist.

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017 | Differentialdiagnostik von Anämien | Medizin

tergestützter Bildauswertung entwickelt,1 deren Fokus liegt jedoch auf der Bewer-tung der Leukozyten. Die Beurteilung der Erythrozytenmorphologie beschränkt sich hier auf die Mikro- und Makrozytose – was aber bereits gängige Hämatologieautoma-ten mit dem MCV-Wert liefern. Mehr als diese grobe Unterscheidung können deren schwache 10er-Objektive auch nicht leisten, denn die Erythrozyten liefern hierbei nur ein unscharfes digitales Bild. Es müsste sich daher allein für die Erythrozytenmorpho-logie weiterhin eine manuelle Beurteilung des Blutausstrichs anschließen, was wirt-schaftlich unattraktiv ist und deshalb häu-fig unterbleibt. Die Versorgungsrealität in Deutschland sieht folglich so aus, dass auch in akkreditierten, überregionalen Großla-boren mit etwa 10 000 Blutbildern am Tag, großen Automationsstraßen und automati-siertem Mikroskop bzw. Bilderkennungssys-tem ein konventionelles Mikroskop für die Beurteilung der Erythrozytenmorphologie kaum noch genutzt wird bzw. gar nicht mehr vorhanden ist.

Die Zahl der morphologischen Anforde-rungen wird durch die untere Grenze für den Hämoglobin (Hb)-Wert bestimmt, die sich an multizentrischen Studien zu Refe-renzbereichen an unterschiedlichen Gerä-ten orientieren sollte.2 Eine längst überfäl-lige Referenzbereichsstudie an Personen > 60 Jahre wird in Kürze von Mitgliedern des Arbeitskreises "Labor" der DGHO** publiziert. „Frustriert“ ob der Menge der

Patienten beginnt die Anämieabklärung allerdings oft erst dann, wenn das Hb bereits 1 g/dl (10 g/l) unterhalb des jewei-ligen geschlechtsspezifischen Normberei-ches liegt.

In Anbetracht dieser unbefriedigenden Stufendiagnostik verwundert es nicht, dass angeborene Anämien z. T. erst in der zweiten Lebenshälfte diagnostiziert oder Erythrozytenfragmentationssyndrome gar nicht erkannt werden. Erfahrungsgemäß versuchen Anforderer darüber hinaus, eine einzige Ursache der Anämie zu ermitteln, obwohl bei mehr als 20 % der Anämien (je nach Patientenkollektiv) mindestens zwei Ursachen vorliegen. Es würde also viel Sinn ergeben, zum einen bei der sehr preisgüns-tigen Basisdiagnostik breiter vorzugehen, um das Aufdecken der multifaktoriellen Ursachen zu erleichtern3 und zum zweiten die Erythrozytenmorphologie mit einzube-ziehen, damit weniger Patienten durch das „diagnostische Sieb“ fallen.

Qualität entscheidend Für die Differentialdiagnostik der Anämien spielt die Erythrozytenmorphologie eine nicht unerhebliche Rolle. Deshalb muss die Stufendiagnostik dafür Sorge tragen, dass mindestens einmal im Prozess der Anämieabklärung eine kompetente Person einen manuellen Blutausstrich begutachtet. Dabei ist die Anforderung an den Begut-achter bei digitaler Bildverarbeitung durch die begrenzte Bildqualität höher als bei der

Praxis meist über die Neutrophilenzahl und das CRP beurteilt, obwohl beide Parameter z. B. bei viralen oder C. pneumoniae-Infekti-onen und bei Tumoren kaum ansteigen. Die unspezifische klassische Blutsenkung (BSG) aus Citratblut reagiert, z. B. bei Autoimmu-nerkrankungen, sensitiver und kann einen Entzündungsprozess besser als das CRP aus-schließen. Dennoch steht die BSG als Labor-methode oft nicht mehr zur Verfügung bzw. wird aus einem organisatorischen Pragma-tismus heraus durch eine schlecht validierte Pseudomethode aus EDTA-Blut ersetzt. Das morphologische Korrelat der BSG ist die im Ausstrich sichtbare Geldrollenbildung der Erythrozyten.

Besteht der Verdacht auf Altersanämie, z. B. bedingt durch einen Mangel am Erythrozy-ten-Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO) bei chronischer Niereninsuffizienz, rückt oft die verminderte glomeruläre Filtra- tionsrate (GFR) in den Fokus. Sie wird mit einer schlechten Kreatininmethode (Jaffé-Methode) berechnet, anstatt auf verminder-ten EPO-Spiegel zu prüfen (Achtung: EPO im Referenzbereich, d. h. fehlender Anstieg bei Anämie, wird häufig als Normalbefund fehlinterpretiert!). Bei der Fragestellung "Altersanämie" kann eine normale Erythro-zytenmorphologie bereits wichtige Informa-tionen liefern: bei reinem EPO-Mangel als Anämieursache ist die Morphologie nicht beeinträchtigt.

„Stiefkind“ ErythrozytenmorphologieWeiterführende Ursachenklärungen schei-tern oft an der Vergütungssituation: Die Untersuchung der Erythrozyten mit Erstel-lung und Färbung eines Blutausstrichs inkl. manueller Differenzierung wird in Deutsch-land als Kassenleistungen nur mit 0,4 Euro vergütet (im Vergleich zu ca. 30  Euro im europäischen Ausland). Daraus hat sich eine Vermeidungsstrategie im Labor ent-wickelt, da der Aufwand hoch ist und spe-ziell geschultes und damit teures Personal erfordert.

In den letzten Jahren hat sich zwar ein Markt für automatisierte Mikroskope mit compu-

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Pathophysiologie von AnämienO Bildungsstörung von

Erythrozyten/HämoglobinO gesteigerter ErythrozytenabbauO ErythrozytenverlustO Verteilungsstörung von

Erythrozyten

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Die Analyse der Erythrozytenmorphologie ist unverzichtbar für die Differentialdiagnose von Anämien

Normalbefund zum Vergleich mit den nachfol-genden Abweichungen. Man sucht sich einen ruhenden, sog. Standard-Lymphozyten (blau) zum größenvergleich, dessen Zellkern mit 8 µm eine Spur größer ist im Vergleich zum Erythrozyten (7 µm). (Bild: Nebe, Mannheim)

Mikrozytäre Anämie Die Erythrozyten sind deutlich kleiner als die Lym-phozyten. (Bild: Nebe, Mannheim)

Makrozytäre Anämie: Die Makrozyten neigen teilweise zu ovaler Form. Sie besitzen im gegen-satz zu den physiologischerweise größeren Retiku-lozyten eine normale Anfärbung (keine Polychro-masie). hier bei einem Patienten mit Myelodys- plastischem Syndrom (MDS) kommen neben der Anisopoikilozytose Störungen der hämoglobin- verteilung hinzu. (Bild: Nebe, Mannheim)

Fragmentozyten bei TTP als einer der Ursachen eines Erythrozytenfragmentationssyndroms. Frag-mentozyten sind oft kleiner, aber immer bikonkav. Die gabe von Erythrozytenkonzentraten ist gut zu erkennen (dunklere Zellen ohne zentrale Delle), die bei der Fragmentozytenzählung bezogen auf alle Erythrozyten zu einer Verdünnung führen würden. Dies erschwert die Diagnose bzw. verfälscht die Verlaufsbeurteilung. (Bild: Nebe, Mannheim)

gleichzeitiges Vorkommen von Tränenformen und dem Artefakt von Echinozyten (Stechapfelformen) bei einem Patienten mit Myelofibrose. Die Unter-scheidung von Akanthozyten und Echinozyten ist nicht immer einfach. Bei Stechäpfeln sind meist alle Erythrozyten betroffen, während Akanthozyten durch die fehlende Filterfunktion der Milz einen mehr oder weniger großen Anteil darstellen. Bereits ein geringerer Anteil an Tränenformen ist diagnos-tisch wegweisend. (Bild: Nebe, Mannheim)

Schwere Anisopoikilozytose und Polychroma-sie hier bei hämolytischer Anämie. Im gegensatz zur Sphärozytose haben die Kugelzellen eine unterschiedliche größe. (Bild: Nebe, Mannheim)

Starke Vermehrung von Targetzellen bei einem Patienten mit beta-Thalassämie. Die Patienten wei-sen oft eine geringere Anisopoikilozytose auf als in diesem Fall von einer Thalassämia major. (Bild: Nebe, Mannheim)

Bei einer Thalassämie können neben den Target-zellen auch fischförmige Erythrozyten entste-hen. (Bild: Nebe, Mannheim)

Howell-Jolly-Körperchen und Akanthozyten sowie Targetzellen nach Splenektomie bei Tha-lassämia major. Die initiale Thrombozytose nach Splenektomie normalisiert sich meist wieder. (Bild: Nebe, Mannheim)

Mikrosphärozyten (Kugelzellen) bei Sphärozyto-se, die in ca. 90 % vererbt ist. Durch die fehlende zentrale Eindellung ist das Volumen kaum geringer trotz des geringeren Durchmessers, d. h. der MCV-Wert ist meist normal. (Bild: Nebe, Mannheim)

Die hereditäre Pyropoikilozytose entsteht wie die Sphärozytose aufgrund einer Spektrinmutation, aber die Erythrozyten weisen ein abnorm geringes Volumen (MCV-Wert) auf. (Bild: MJ King, Bristol)

Medizin | Differentialdiagnostik von Anämien | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017

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Stomatozyten: Die hereditäre Stomatozytose zeigt eine Schlitzform der zentralen Eindellung als solitäre Abweichung von der normalen Erythro- zytenmorphologie bei mehr als 20 % der Erythro-zyten. (Bild: hemoSurf)

Elliptozyten: Die hereditäre Elliptozytose beruht auf einem genetischen Defekt des Membran- proteins Spektrin. 30 % Elliptozyten im Ausstrich beweisen eine Elliptozytose. Das Ausmaß der hämolyse hängt vom Ort der Mutation im Spektrin-gen ab. (Bild: Nebe, Mannheim)

Immunhämolytische Anämie mit Sphärozyten und Autoantikörpern gegen Erythrozyten vom Wärmetyp mit 11 % Retikulozyten bei M. Waldenström (Immuno-zytom). Im gegensatz zur geldrollenbildung beim Plas-mozytom kommt es zu einer traubenförmigen Aneinan-derlagerung der Erythrozyten. (Bild: MK King, Bristol)

Das Phänomen der Geldrollenbildung der Erythro- zyten wird durch Aufhebung der negativen Zell- oberflächenladung durch Immunglobuline erreicht. Ist der hintergrund des Objektträgers bläulich, so liegt das am hohen Proteingehalt beim Myelom. (Bild: Nebe, Mannheim)

Nach Inkubation unter Luftabschluss mit dem Sauerstoff-verzehrenden Natriumdithionit zeigt sich eindrucksvoll im Phasenkontrast das Sichel-zell-Phänomen bei der Sichelzellkrankheit. (Bild: Nebe, Mannheim)

Infektion mit Pl. falciparum. Gut erkennbar ist der Doppelkern des Trophozoiten. (Bild: Nebe, Mann-heim)

Im dicken Tropfen bei dem gleichen Patienten ist die Anreicherung erkennbar, aber die Differen-zierung der Malariaformen ist etwas schwieriger. (Bild: Nebe, Mannheim)

Infektion mit Pl. vivax bei einem türkischen Kind, welches unter V.a. akute Leukämie knochenmark-punktiert wurde. Form und größe von Trophozoit und Erythrozyt sind nur sekundäre hilfsmerkmale bei der Differenzierung der Plasmodien. (Bild: Nebe, Mannheim)

Schizont einer Pl. vivax-Infektion. Die Zahl der Merozoiten erlaubt eine Differenzierung von Pl. ovale. (Bild: Nebe, Mannheim)

Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017 | Differentialdiagnostik von Anämien | Medizin

direkten Beurteilung im konventionellen Mikroskop mit seinem höheren Auflösungs-vermögen und der besseren Farbtiefe.

Grundvoraussetzung für eine valide Dif-ferentialdiagnostik ist ein optimal herge-stellter Blutausstrich, was Ausstrichtechnik und Färbung betrifft. Der Ausstrich muss gleichmäßig und dünn sein. Dies wird durch einen Ausstreicher nach Undritz aus Glas mit geschliffener Kante sichergestellt, der schmäler als der Objektträger ist und

eine Beurteilung der Randbereiche des Aus-strichs erlaubt, wo eine höhere Aufenthalts-wahrscheinlichkeit für große Zellen und Thrombozytenaggregate besteht. Mechani-sche Ausstreicher (z. B. das Gerät Hemaprep, Fa. Sysmex, Norderstedt) erleichtern diesen Prozessschritt. Das Färbeprotokoll der über 100 Jahre alten May-Grünwald-Giemsa (MGG)-Färbung nach Pappenheim wurde kürzlich in seiner optimierten Form eben-falls vom Arbeitskreis "Labor" der DGHO publiziert.4

Breites diagnostisches PotenzialSystematisch betrachtet orientiert sich die Beurteilung der Erythrozytenmorphologie formal an folgenden Kriterien:O Größe (Mikro-, Makro und Anisozytose)O Form (Poikilozytose mit Akanthozyten,

Tränenformen, Fragmentozyten, etc.) O Anfärbbarkeit der Erythrozyten (Hypo-,

Hyper-, Polychromasie) O Einschlüsse in den Erythrozyten (Pap-

penheimer-, Howell-Jolly-Körperchen, basophile Tüpfelung, Parasiten, etc.).

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Medizin | Differentialdiagnostik von Anämien | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017

Vor allem Formveränderungen und Ein-schlüsse (wie beispielsweise bei der Mala-ria) werden von den gängigen Automaten, seien es Durchflussgeräte oder Bildanalyse- systeme, nicht erkannt. Allerdings sind sie oft wegweisend für die Diagnose.

Die folgenden Beispiele, anschaulich unter-stützt durch Bildtafeln (S. 6/7), beschreiben den medizinischen Wert einer validen Begut-achtung der Erythrozytenmorphologie. O Eine Anisozytose (Glossar) ist oft mit

einer Poikilozytose (Glossar) ver-knüpft, weshalb Hermann Heimpel den Begriff der Ansiopoikilozytose geprägt hat, welcher beides zusammenfasst. Sie ist Zeichen einer Bildungsstörung der Erythrozyten im Knochenmark. Liegen Tränenformen vor, lässt sich die Ursache weiter in Richtung extramedullärer Blut-bildung spezifizieren.

O Fragmentozyten (Glossar) kommen in einem physiologischen Blutbild nicht vor. Treten sie „in Reinkultur“ auf, sind sie wegweisend für Erythrozytenfrag-mentationssyndrome als Ausdruck einer Mikrozirkulationsstörung, z. B. beim HELLP-Syndrom, bei M. Moschcowitz (thrombotisch-thrombozytopenische Purpura), EHEC-Infektion oder Verbren-nungen. Finden sie sich dagegen unter-geordnet, zusammen mit Akanthozyten (Glossar) und Tränenformen, wie bei der Primären Myelofibrose (PMF), so gelten diese spezifischen Krankheitsassozia-tionen nicht. Die Frage nach dem Vor-

kommen von Fragmentozyten lässt sich momentan nur mikroskopisch klären, denn Geräte „warnen“ zwar mit einem geflaggten Ergebnis (hohe Rate an falsch positiven Hinweisen!), können Fragmen-tozyten aber nicht spezifisch erkennen. Die Grenze für das Vorliegen eines Ery-throzytenfragmentationssyndroms liegt bei 0,5 % (5 Promille), deshalb müssen Fragmentozyten analog zu Retikulozyten auf eintausend Erythrozyten gezählt wer-den. Ihre abfallende Zahl zeigt den Erfolg von Therapiemaßnahmen an. (Achtung: Bei Vorliegen von Fragmentozyten geben die meisten Hämatologieautomaten die Thrombozytenzahl falsch zu hoch an, was das Ausmaß einer Thrombozytopenie erheblich verschleiert). In geringerer Zahl kommen Fragmento-zyten bei anderen Mikrozirkulations- störungen vor, z. B. bei Niereninsuffi- zienz oder Tumoren, insbesondere dem Pankreas-Ca. Der Arbeitskreis "Labor" hat zum Thema "Fragmentozyten" ein Übungsblatt herausgebracht.6

O Tränenformen (tear drops, Drepano-zyten) sind ein starker Hinweis auf eine extramedulläre Blutbildung bei Myelo- fibrose, sei sie idiopathisch (PMF) oder durch Haar- bzw. Tumorzellen bedingt. Die max. Ausprägung von Tränenformen beträgt 20 %, wenige pro Gesichtsfeld sind diagnostisch wegweisend.

O Mikrosphärozyten (Glossar) deuten, sofern sie isoliert vorkommen, auf eine Sphärozytose (genetisch bedingte, hämo-

lytische Anämie; Kugelzellanämie) hin. Oft sind nur sehr wenige pro Gesichts-feld vorhanden.

O Die Kombination von Mikrosphärozyten mit Makrosphärozyten (Glossar) tritt bei immunhämolytischen Anämien auf und ist nicht mehr spezifisch für die Sphäro-zytose. Durch die gleichzeitige Erhöhung der Retikulozyten (Glossar) kommt es zur Polychromasie (Anfärbbarkeit der Erythrozyten mit verschiedenen Farbstof-fen). Wurden bereits vor der Diagnostik Erythrozytenkonzentrate verabreicht, verlieren Kugelzellen gänzlich ihre Spe-zifität, da den aufbereiteten Erythrozyten ebenfalls die zentrale Delle fehlt.

O Stomatozyten und Elliptozyten (Glos-sar) können auf angeborene Erythro-zytenanomalien hinweisen, wenn ihr Anteil über 20 % bzw. 30 % ansteigt und die Formveränderung relativ isoliert bei ansonsten blander Morphologie auftritt.

O Targetzellen (Glossar) in großer Zahl sind eng mit der Thalassämie verknüpft. Da es sich um eine angeborene Anämie handelt, ist die Hämatopoese adaptiert, daher besteht bei den milderen Formen meist eine anderweitig blande Erythro-zytenmorphologie.

O Howell-Jolly-Körperchen (Glossar) sind in großer Zahl Zeichen einer evtl. auch funktionellen Asplenie (Milzlosigkeit), bei geringerem Vorkommen Anhalt für eine Milzüberlastung.

O Erythroblasten (Glossar) kommen bei Neugeborenen regelhaft vor, da bei der extramedullären Blutbildung die Kno-chenmark-Blut-Schranke fehlt. Erythro-blasten im späteren Leben sind patho-logisch und treten v. a. bei Blutbildung in der Milz auf. Bei Intensivpatienten ist der Verlust dieser Schrankenfunktion prognostisch ungünstig. Die Erkennung von Erythroblasten durch Hämatolo-gieautomaten ist oft unbefriedigend.

O Sichelzellen (Glossar) sind erst im Pha-senkontrast nach Inkubation unter Sau-erstoffabschluss gut zu erkennen und nur bei homozygot Erkrankten im normalen Blutausstrich zweifelsfrei zu sehen. Da jedoch die HbA2-Analytik (Hb aus zwei

Wegen der unbefriedigenden Stufendiagnostik werden

Anämien oft erst im Erwachsenenalter und nicht

mit all ihren Ursachen erkannt.

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017 | Differentialdiagnostik von Anämien | Medizin

Glossar

Anisozytose: Vorliegen unterschiedlich großer Erythrozyten.

Poikilozytose: Vorkommen verschieden geformter, nicht runder Erythrozyten.

Fragmentozyten (Schistozyten): Beschädigte Erythrozyten bzw. deren Trümmerstücke. Entstehen durch mecha-nische Schädigungen der roten Blutkör-perchen an Hindernissen in der Blutbahn.

Akanthozyten: Pathologische Erythro-zyten mit spitzen Ausläufern aufgrund eines hereditären Missverhältnisses zwischen Zellvolumen und Zellmembran (Stachelzellen). Form einer korpuskulären hämolytischen Anämie.

Mikrosphärozyten: Kleine, kugelförmige Erythrozyten mit einem Durchmesser von weniger als 6 µm.

(Makro)sphärozyten: Kugelförmige Erythrozyten normaler größe.

Retikulozyten: Junge, unreife Erythrozyten.

Stomatozyten: Erythrozyten mit mikros-kopisch sichtbarer, zentraler, schlitz- oder mundförmiger Aufhellung aufgrund eines hereditären Defekts. Form einer korpus-kulären hämolytischen Anämie.

Elliptozyten: Ellipsenförmige Erythrozy-ten aufgrund eines hereditären Defekts. Form einer korpuskulären hämolytischen Anämie.

Targetzellen: Erythrozyten mit einer im gefärbten Zustand sichtbaren Farbver-dichtung im Zentrum.

Howell-Jolly-Körperchen: Pathologi-sche Zellkernfragmente in den normaler-weise kernlosen Erythrozyten.

Erythroblasten: Kernhaltige Erythrozyten.

Sichelzellen: Erbliche Anomalie des hämoglobins (sog. hbS), wodurch sich bei Sauerstoffmangel die Erythrozyten sichelförmig verformen und in der Milz miteinander verklumpen können (sog. Sichelzellkrise).

Trophozoit: Aktiver vegetativer Lebens-abschnitt eines Protisten (eukaryotische Ein- und Wenigzeller).

Schüffner'sche Tüpfelung: Bei reiner giemsa-Färbung im Lichtmikroskop sichtbare, rötliche granulation von Ery-throzyten, die mit Pl. ovale oder Pl. vivax befallen sind. Nur noch von historischer Bedeutung.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Carl Thomas Nebe hämatologie-Labor Mannheim hans-Böckler-Str. 1 68161 Mannheim [email protected] www.haema-labor.de

Literatur 1 Nebe T et al: J Lab Med (2012); 36 (5): 311-336 2 Nebe T et al: J Lab Med (2011); 35 (1): 3-28 3 hastka J, Metzgeroth g: J Lab Med (2015); 39 (5):

273–289 4 Binder T et al: J Lab Med (2012); 36(5): 293–309 5 Diem h et al: J Lab Med (2005); 29(5): 331–332 6 http://www.who.int/malaria/publications/atoz/9241545240/

en/ (zuletzt am 17.1.2017 angefragt) 7 http://icsh.org/guidelines/ zuletzt am 6.2.2017 angefragt

alpha- und zwei delta-Ketten) zur Tha-lassämiediagnostik heute zumeist durch eine HPLC-Methode bestimmt wird, ist dort auch das Sichelzell-Hb (HbS) leicht identifizierbar.

O Die mikroskopische Abklärung von Infektionen mit Blutparasiten, insbe-sondere Plasmodien (Malariaparasiten) ist in Afrika der häufigste Bluttest. Der sog. „dicke Tropfen“, bei dem frisches Blut auf die Mitte eines Objektträgers gegeben und kreisförmig verrieben wird, bedeutet eine Anreicherung der Parasitendichte um den Faktor 20 und verkürzt die Zeit des Suchens gegenüber dem normalen Blutausstrich. In unseren Breitengraden ist der „dicke Tropfen“ oft unvertraut, daher ist der reguläre MGG-gefärbte Blutausstrich zur Suche und Differenzierung von Plasmodien der bessere Weg. Die Erkennung der Plasmodien ist die Voraussetzung, um den Patienten über-haupt der richtigen Diagnose und The-rapie zuführen zu können. Der Antigen-Schnelltest ist hierfür sensitiver, aber für die Verlaufskontrolle unter Therapie ungeeignet. Für die mikroskopische Beurteilung gilt folgende Faustregel: Bei Pl. falciparum, Erreger der gefährlichen M. tropica, zeigt der ringförmige Trophozoit (Glossar) Doppelkerne und oft einen Doppelbe-fall der Erythrozyten. Seine typischen bananenförmigen Gametozyten sind bei Diagnosestellung vor Therapie nur sehr selten zu finden. Pl. ovale und Pl. vivax lassen sich durch die Anzahl der Kerne in den Schizonten sicher unterschei-den. Liegen die Erreger ausschließlich als Trophozoiten vor, ist eine erneute Blutabnahme nach 8–12 Stunden erfor-derlich, um diesen Zyklus in der syn-chronen Vermehrungsphase zu sehen. Die Schüffner‘sche Tüpfelung (Glossar) ist in der normalen MGG-Färbung nicht erkennbar. Hilfreich sind die instruktiven Lehrtafeln auf den Internetseiten der WHO (bench aid malaria) und des Centers of disease control (CDC).6

FazitDie Erythrozytenmorphologie liefert ent-scheidende Hinweise auf Anämieursachen und ist daher unverzichtbarer Bestandteil der Anämiediagnostik. Morphologische Verän-derungen sollten quantifiziert werden, jedoch ist die semiquantitative Methode mit den Symbolen +/++/+++ schlecht standardisiert. Die maximale Ausprägung ist je nach Verän-derungstyp unterschiedlich und ihr Auftreten in isolierter Form bzw. zusammen mit ande-ren Modifikationen typisch und wichtig. Das Internationale Komitee zur Standardisierung in der Hämatologie (ICSH) hat hierzu einen Vorschlag unterbreitet.7 Leider stehen der Personalaufwand und die Kostenerstattung in Deutschland dem breiten Einsatz der Ery- throzytenmorphologie komplett entgegen. Deshalb sind aktuelle Systementwicklungen interessant, mit der sich die computergestützte Bilderkennung anwenderfreundlich und in ausreichender Qualität für die große Zahl der in Frage kommenden Proben gestaltet.

* Prof. Dr. Hermann Heimpel war einer der bedeutendsten deutschen hämatologen. Er hat sich insbesondere um die Anämiediagnos-tik verdient gemacht.

** DGHO: Deutsche Gesellschaft für Hämatolo-gie und Onkologie


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