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Die Villa Romana – Ein Künstlertraum? Nicole MeNde Das ... · Villa Romana-Vereins gekümmert...

Date post: 27-Sep-2020
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Die Villa Romana – Ein Künstlertraum? Das wiedereröffnete Künstlerhaus aus dem Blickwinkel der Stipendiaten von 1959 bis 1970 Die Wiedereröffnung Am 21. Juli 1953 war es soweit! Es war dem Villa Romana-Verein mit Unterstützung von Hans Purrmann und dem Bundespräsidenten Theodor Heuss gelungen, das Künstlerhaus Villa Romana in Florenz »durch Beschluß des Interalliierten Komitees in Rom« 1 zurückzuerlangen. Auch wenn es danach noch fast sechs Jahre dauern sollte, bis erneut deutsche Künstler als Stipendiaten nach Florenz eingeladen werden konnten, war damit die Grundlage für die Wiedergeburt einer der bedeutendsten, auf privates Engagement zurückgehenden Auszeichnungen für bildende Künstler in Deutschland geschaf- fen. Bereits die Rückgewinnung der Immobilie auf juristischer Ebene hatte eine große Signalwirkung auf die Kunst- und Kulturszene. Die Wiedereröffnung der Villa im Frühling 1959 war ein Ereignis, dessen Bedeutung für die westdeutsche Kulturlandschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Im Deutschland der Nachkriegszeit wurde der Vorgang als ein weiterer Schritt in Richtung Normalität gewertet. Bis zum Tag der Eröffnung waren von Seiten des Vereins und seiner Förderer allerdings noch erhebliche Anstrengungen zu unternehmen: Erst nachdem im Dezember 1953 die Beschlagnahme seines mobilen und immobilen Eigentums durch den Präfekten der Stadt Florenz rückgängig gemacht worden war, konnte der Villa Romana e.V. beginnen, die während des Krieges in der Villa einquar- tierten Flüchtlingsfamilien zum Verlassen des Hauses zu bewegen. 2 Parallel zu diesen Bemühungen initiierte Hermann Herold als Vorsitzender gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Villa Romana- Vereins 1954 die Verlegung des Vereinssitzes von Berlin nach Düsseldorf, um einem möglichen Zugriff der DDR-Regierung auf das Vereinsvermögen vorzubeugen. 3 In Düsseldorf wurde während der ersten Mitgliederversammlung nicht nur die »Neufassung der Satzung unter Anpassung an die Zeitverhält- nisse« beschlossen, sondern zugleich die Struktur des Vereins thematisiert. 4 Neben Hermann Herold gehörten Gustav Stein als Schriftführer und Eberhard Claus Freiherr von Ostman als Schatzmeister dem Vereinsvorstand an. Im Beirat engagierten sich u.a. mit Hermann J. Abs, Manfred Klaiber, Eberhard Hanfstaengl sowie Gerhard Marcks und Hans Purrmann Vertreter des Finanzwesens, der Politik sowie der Kultur- bzw. Kunstszene für die Geschicke des Vereins. 5 Zu den primären Zielen der neuformierten Vereinigung gehörte die Wiederherrichtung des durch die Kriegswirren baulich verwahrlosten Gebäudes. Die wesentliche Voraussetzung für den Be- ginn der dringend notwendigen Baumaßnahmen war der Auszug der Mieter, der Mitte 1956 abgeschlos- sen wurde. 6 Meist hatte man die Bewohner des Hauses nur durch die Zahlung hoher Ablösesummen dazu bringen können, auf ihre umfänglichen Rechte zu verzichten, die ihnen nach der italienischen Gesetzgebung zustanden. 7 Die Bemühungen um eine möglichst rasche Instandsetzung des Gebäudes reichten von massiven Rekonstruktionsmaßnahmen an der Bausubstanz bis zur Ausstattung der Ateliers und Künstlerwohnungen mit angemessenem Mobiliar. Als am 12. Mai 1959 die Villa Romana zum drit- ten Mal in ihrer Geschichte 8 in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste offiziell als Künstlerhaus eröffnet wurde, waren bereits die ersten Preisträger anwesend: Die Namen der jüngsten Stipendiatengeneration lauteten: Theodor Bechteler, Peter Herkenrath, Carl-Heinz Kliemann und Toni Stadler (ABB. 071). 9 Die Villa Romana unter der Leitung von Kurt Hermann Rosenberg – Erfahrungen und Eindrücke der Preisträger von 1959 bis 1964 Parallel zur Renovierung und Neueinrichtung des Gebäudes mußte ein neuer Leiter des Künstlerhauses gefunden werden. Hans Purrmann, der sich von 1935 bis 1943 ehrenamtlich um die Stipendiaten des Villa Romana-Vereins gekümmert hatte, lehnte es aus gesundheitlichen Gründen ab, mit der Wieder- eröffnung auf seinen früheren Posten zurückzukehren. 10 Der Vorstand des Vereins mußte somit eine Persönlichkeit finden, die der anspruchsvollen Aufgabe gewachsen war, die Villa Romana zu leiten, eine Persönlichkeit, die in der Lage sein sollte, zwischen den jeweiligen Stipendiaten eines Jahrgangs zu vermitteln, sie bei der Bewältigung des Alltags zu unterstützen und gleichzeitig den Austausch zwischen den Preisträgern und der Kunst Italiens zu initiieren und zu pflegen. Der neue Leiter der Villa Romana sollte den Preisträgern helfend zur Seite stehen, sie dabei unterstützen, ein eigenes soziales NICOLE MENDE 1 Bericht Hermann Herolds vom 19.8.1953; HADB, Sign. ZA 04/0056. 2 Bericht Hermann Herolds vom 14.12.1953; HADB, Sign. ZA 04/0056. 3 Herold war am 30.3.1949 als Nachfolger H. A. Simons zum Vorsitzenden des Not- vorstandes des Villa Romana e.V. gewählt worden. Vgl. dazu: FAZ vom 13.5.1959, S. 14; HADB, Sign. ZA 04/0056; siehe auch: Notiz der Sekretärin Joachim Borcharts (Kürzel: So.) vom 12.1.1967; HADB, Sign. ZA 04/0016. 4 Die erste Mitgliederversammlung in Düs- seldorf fand am 20.12.1954 statt. Vgl. Pro- tokoll Hermann Herolds vom 31.12.1955 der Mitgliederversammlung des Villa Roma- na e.V., Düsseldorf am 28.12.1955; HADB, Sign. ZA 04/0056; vgl. auch: Bericht über das Jahr 1955, in: Jahrbuch Villa Romana 1955, o.S. 5 Ebd. 6 Zu den Zwangsmietern gehörten u.a. die Witwe des italienischen Malers Memo Va- gagginis, der Maler Onofrio Martinelli, der niederländische Restaurator Snyders und die deutsche Restauratorin Loesch-Bersche. Vgl. den Bericht Hermann Herolds vom 5.11.1956 über mehrere Versammlungen in Florenz vom 2.5.–5.5.1956; HADB, Sign. ZA 04/0056 sowie das Protokoll Hermann Herolds der Mitgliederversammlung am 17. Dezember 1956; HADB, Sign. ZA 04/0056. 7 Bericht Hermann Herolds vom 10.6.1954; HADB, Sign. ZA 04/0056. 8 Nach der Gründung 1905 und der Wie- dereröffnung nach dem Ersten Weltkrieg 1929 brach 1959 eine dritte Phase in der Geschichte der Villa Romana an. 9 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Beschluß gefaßt, fortan nicht mehr nur drei, sondern vier Künstler pro Jahr mit dem Villa Romana-Preis auszu- zeichnen. Zum Verlauf der Eröffnungsfeier vgl. den entsprechenden Bericht Hermann Herolds; HADB, Sign. ZA 04/0004. 10 Herman Herold an Karl Hartung vom ABB. 071 Toni Stadler, Plakette für die Villa Romana, 1959, Bronze, ø: 8,5 cm, Inschrift recto: »Villa Romana 12. Mai 1959«, verso: »Firenze«. Im Auftrag der Preisträger überreichte Kurt Hermann Rosenberg während der Eröffnungs- feier die Plakette an Hermann Herold. (HADB, Sign. ZA 04/0040)
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Die Villa Romana – Ein Künstlertraum? Das wiedereröffnete Künstlerhaus aus dem Blickwinkel der Stipendiaten von 1959 bis 1970 Die Wiedereröffnung Am 21. Juli 1953 war es soweit! Es war dem Villa Romana-Verein mit Unterstützung von Hans Purrmann und dem Bundespräsidenten Theodor Heuss gelungen, das Künstlerhaus Villa Romana in Florenz »durch Beschluß des Interalliierten Komitees in Rom«1 zurückzuerlangen. Auch wenn es danach noch fast sechs Jahre dauern sollte, bis erneut deutsche Künstler als Stipendiaten nach Florenz eingeladen werden konnten, war damit die Grundlage für die Wiedergeburt einer der bedeutendsten, auf privates Engagement zurückgehenden Auszeichnungen für bildende Künstler in Deutschland geschaf-fen. Bereits die Rückgewinnung der Immobilie auf juristischer Ebene hatte eine große Signalwirkung auf die Kunst- und Kulturszene. Die Wiedereröffnung der Villa im Frühling 1959 war ein Ereignis, dessen Bedeutung für die westdeutsche Kulturlandschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Im Deutschland der Nachkriegszeit wurde der Vorgang als ein weiterer Schritt in Richtung Normalität gewertet. Bis zum Tag der Eröffnung waren von Seiten des Vereins und seiner Förderer allerdings noch erhebliche Anstrengungen zu unternehmen: Erst nachdem im Dezember 1953 die Beschlagnahme seines mobilen und immobilen Eigentums durch den Präfekten der Stadt Florenz rückgängig gemacht worden war, konnte der Villa Romana e.V. beginnen, die während des Krieges in der Villa einquar-tierten Flüchtlingsfamilien zum Verlassen des Hauses zu bewegen.2 Parallel zu diesen Bemühungen initiierte Hermann Herold als Vorsitzender gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Villa Romana-Vereins 1954 die Verlegung des Vereinssitzes von Berlin nach Düsseldorf, um einem möglichen Zugriff der DDR-Regierung auf das Vereinsvermögen vorzubeugen.3 In Düsseldorf wurde während der ersten Mitgliederversammlung nicht nur die »Neufassung der Satzung unter Anpassung an die Zeitverhält-nisse« beschlossen, sondern zugleich die Struktur des Vereins thematisiert.4 Neben Hermann Herold gehörten Gustav Stein als Schriftführer und Eberhard Claus Freiherr von Ostman als Schatzmeister dem Vereinsvorstand an. Im Beirat engagierten sich u.a. mit Hermann J. Abs, Manfred Klaiber, Eberhard Hanfstaengl sowie Gerhard Marcks und Hans Purrmann Vertreter des Finanzwesens, der Politik sowie der Kultur- bzw. Kunstszene für die Geschicke des Vereins.5

Zu den primären Zielen der neuformierten Vereinigung gehörte die Wiederherrichtung des durch die Kriegswirren baulich verwahrlosten Gebäudes. Die wesentliche Voraussetzung für den Be-ginn der dringend notwendigen Baumaßnahmen war der Auszug der Mieter, der Mitte 1956 abgeschlos-sen wurde.6 Meist hatte man die Bewohner des Hauses nur durch die Zahlung hoher Ablösesummen dazu bringen können, auf ihre umfänglichen Rechte zu verzichten, die ihnen nach der italienischen Gesetzgebung zustanden.7 Die Bemühungen um eine möglichst rasche Instandsetzung des Gebäudes reichten von massiven Rekonstruktionsmaßnahmen an der Bausubstanz bis zur Ausstattung der Ateliers und Künstlerwohnungen mit angemessenem Mobiliar. Als am 12. Mai 1959 die Villa Romana zum drit-ten Mal in ihrer Geschichte8 in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste offiziell als Künstlerhaus eröffnet wurde, waren bereits die ersten Preisträger anwesend: Die Namen der jüngsten Stipendiatengeneration lauteten: Theodor Bechteler, Peter Herkenrath, Carl-Heinz Kliemann und Toni Stadler (ABB. 071).9 Die Villa Romana unter der Leitung von Kurt Hermann Rosenberg – Erfahrungen und Eindrücke der Preisträger von 1959 bis 1964 Parallel zur Renovierung und Neueinrichtung des Gebäudes mußte ein neuer Leiter des Künstlerhauses gefunden werden. Hans Purrmann, der sich von 1935 bis 1943 ehrenamtlich um die Stipendiaten des Villa Romana-Vereins gekümmert hatte, lehnte es aus gesundheitlichen Gründen ab, mit der Wieder-eröffnung auf seinen früheren Posten zurückzukehren.10 Der Vorstand des Vereins mußte somit eine Persönlichkeit finden, die der anspruchsvollen Aufgabe gewachsen war, die Villa Romana zu leiten, eine Persönlichkeit, die in der Lage sein sollte, zwischen den jeweiligen Stipendiaten eines Jahrgangs zu vermitteln, sie bei der Bewältigung des Alltags zu unterstützen und gleichzeitig den Austausch zwischen den Preisträgern und der Kunst Italiens zu initiieren und zu pflegen. Der neue Leiter der Villa Romana sollte den Preisträgern helfend zur Seite stehen, sie dabei unterstützen, ein eigenes soziales

Nicole MeNde

1 Bericht Hermann Herolds vom 19.8.1953;

HADB, Sign. ZA 04/0056.

2 Bericht Hermann Herolds vom

14.12.1953; HADB, Sign. ZA 04/0056.

3 Herold war am 30.3.1949 als Nachfolger

H. A. Simons zum Vorsitzenden des Not-

vorstandes des Villa Romana e.V. gewählt

worden. Vgl. dazu: FAZ vom 13.5.1959, S.

14; HADB, Sign. ZA 04/0056; siehe auch:

Notiz der Sekretärin Joachim Borcharts

(Kürzel: So.) vom 12.1.1967; HADB, Sign.

ZA 04/0016.

4 Die erste Mitgliederversammlung in Düs-

seldorf fand am 20.12.1954 statt. Vgl. Pro-

tokoll Hermann Herolds vom 31.12.1955

der Mitgliederversammlung des Villa Roma-

na e.V., Düsseldorf am 28.12.1955; HADB,

Sign. ZA 04/0056; vgl. auch: Bericht über

das Jahr 1955, in: Jahrbuch Villa Romana

1955, o.S.

5 Ebd.

6 Zu den Zwangsmietern gehörten u.a. die

Witwe des italienischen Malers Memo Va-

gagginis, der Maler Onofrio Martinelli, der

niederländische Restaurator Snyders und

die deutsche Restauratorin Loesch-Bersche.

Vgl. den Bericht Hermann Herolds vom

5.11.1956 über mehrere Versammlungen

in Florenz vom 2.5.–5.5.1956; HADB, Sign.

ZA 04/0056 sowie das Protokoll Hermann

Herolds der Mitgliederversammlung am 17.

Dezember 1956; HADB, Sign. ZA 04/0056.

7 Bericht Hermann Herolds vom 10.6.1954;

HADB, Sign. ZA 04/0056.

8 Nach der Gründung 1905 und der Wie-

dereröffnung nach dem Ersten Weltkrieg

1929 brach 1959 eine dritte Phase in der

Geschichte der Villa Romana an.

9 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges

wurde der Beschluß gefaßt, fortan nicht

mehr nur drei, sondern vier Künstler pro

Jahr mit dem Villa Romana-Preis auszu-

zeichnen. Zum Verlauf der Eröffnungsfeier

vgl. den entsprechenden Bericht Hermann

Herolds; HADB, Sign. ZA 04/0004.

10 Herman Herold an Karl Hartung vom

ABB. 071 Toni Stadler, Plakette für die Villa Romana, 1959, Bronze, ø: 8,5 cm, Inschrift recto: »Villa Romana 12. Mai 1959«, verso: »Firenze«. Im Auftrag der Preisträger überreichte Kurt Hermann Rosenberg während der Eröffnungs-feier die Plakette an Hermann Herold. (HADB, Sign. ZA 04/0040)

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und künstlerisches Netzwerk aufzubauen, und zugleich die Wirkung des Künstlerhauses in Florenz und darüber hinaus verstärken. Als Kandidaten brachte der Bildhauer Karl Hartung, Vorsitzender des Deutschen Künstler-bundes und Mitglied des künstlerischen Beirats im Villa Romana e.V., bereits 1955 seinen Kollegen Kurt Hermann Rosenberg ins Gespräch.11 Rosenberg, der an der Berliner Kunstakademie eine Professur für Kunst und Kunstgewerbe innehatte und kurz vor seiner Emeritierung stand, schien unter anderem wegen seiner außeruniversitären Verbindungen zur Kunstwelt sowie wegen seiner hervorragenden Italienischkenntnisse für die Position des Villen-Leiters besonders geeignet. Mit der Eröffnung des Künstlerhauses übernahm Rosenberg das ihm angetragene Amt und leitete die Villa gemeinsam mit seiner Gattin bis 1964. Neben der Betreuung der Preisträger hatte er vor allem die massiven Startschwierigkeiten zu bewältigen, mit denen er und die Stipendiaten hauptsäch-lich wegen der eher provisorischen Ausstattung der Wohnräume und Ateliers zu kämpfen hatten: Die fehlende Heizung und die nur einfach verglasten Fenster an der zur Via Senese gelegenen Hausseite machten über Jahre hinaus den Bewohnern des rund 40 Räume umfassenden Gebäudes zu schaffen. Peter Herkenrath beispielsweise, der bereits im November des Jahres 1959 in Florenz eintraf, berichtete rückblickend über die in den neueingerichteten Räumen herrschende Kälte, die durch einen »schnell herbeigeschafften Ofen« vertrieben werden konnte.12 Eine dauerhafte Lösung für das Heizungsproblem fand sich erst fünfzehn Jahre später, als Joachim Burmeister die Villenleitung übernommen hatte und mit beträchtlichem persönlichem Engagement den Einbau einer Zentralheizung vorantrieb.13

Kleinere Defizite, wie die Neubestückung der ehemals gut sortierten Bibliothek mit Ausstel-lungskatalogen, Lexika und kunsthistorischen Standardwerken oder die Ausstattung der Villa mit einem ausreichenden Wäschebestand, schienen vor diesem Hintergrund an Bedeutung zu verlieren, durften damals jedoch nicht aus den Augen verloren werden und erforderten ebenfalls einen erheblichen Auf-wand. Gemäß den Statuten des Villa Romana-Vereins wurden die Stipendiaten des Jahrgangs 1959 von einer Jury gewählt, die sich aus den Mitgliedern des künstlerischen Beirats des Vereins zusam-mensetzte. Obwohl sämtliche Mitglieder des Beirats die Möglichkeit hatten, von ihnen geschätzte Künstler für den Villa Romana-Preis vorzuschlagen, war es allein den Kunstschaffenden unter ihnen vorbehalten, über die Vergabe der Stipendien zu entscheiden.14 Auf diese Weise sollte die Qualität der Preisträgerauswahl gewährleistet werden. Im Regelfall wurden die vorgeschlagenen Künstler vom Ver-einsvorstand aufgefordert, sich mit einer Werkauswahl sowie schriftlichen Angaben zum künstlerischen Werdegang zu bewerben. Nur selten kam es – wie beispielsweise im Falle von Georg Baselitz – vor, daß die Auszeichnung abweichend von diesem Prozedere vergeben wurde.15

Die Besetzung der Jury erfolgte nach einem stets ähnlichen Prinzip: Im Vorstand und Beirat des Vereins wurde darüber beraten, welche Künstler für die Mitgliedschaft in der Jury geeignet wären. Hatte man sich auf Personen verständigt, die durchaus auch frühere Preisträger sein konnten, wurden diese angeschrieben und gebeten, den Verein bei der Vergabe der Stipendien zu unterstützen.16

Mit den Künstlern Theodor Bechteler, Peter Herkenrath, Carl-Heinz Kliemann und Toni Stadler kamen ab Herbst 1959 die ersten Preisträger nach dem Ende des Krieges in die Villa. Die Altersstruktur dieser Stipendiatengruppe war auffällig heterogen: Kliemann war mit 35 Jahren der jüngste, Stadler, als 72jähriger, der älteste der Preisträger. Es ist anzunehmen, daß die Jury mit der Wahl dieser Künstler bewußt der Forderung der Vereinsgründer um Max Klinger folgte, für die »weder Alter, noch Richtung« bei der Preisvergabe bedeutsam sein sollte. Man strebte die Förderung »fertiger Künstler« an, wollte ihnen »[…] die Gelegenheit bieten, sich und ihre Kunst auszureifen […]. Aus dem ungezwungenen Umgang jüngerer und älterer Kräfte hollen [sic!] wir ein Bildungsmittel für beide, eine Ermunterung für uns Alle zu schaffen.«17

Toni Stadler (ABB. 072) kann hierbei als eine Art Bindeglied zwischen der Ära Hans Purr-manns und seines Nachfolgers betrachtet werden. Er war neben Otto Höger der einzige Künstler, des-sen Werk zweimal mit dem Stipendium gewürdigt wurde.18 1938 hatte Stadler vor allem an plastischen Porträtdarstellungen gearbeitet; während seines zweiten Aufenthaltes hingegen entstanden neben Pla-stiken auch viele Zeichnungen. Der Grund für diese zweifache Preisträgerschaft könnte in der künstle-rischen Entwicklung des Bildhauers gelegen haben. Als Sohn des Malers Anton von Stadler verbrachte er seine Kindheit in einem ausgesprochen inspirierenden und anspruchsvollen Milieu. Im Elternhaus und auch während seiner künstlerischen Ausbildung in Berlin und München hatte er Gelegenheit, die Werke von Malern wie Adolf von Hildebrand, Hans von Marées und Max Liebermann zu studieren und

28.2.1955; HADB, Sign. ZA 04/0083.

11 Karl Hartung an Hans Purrmann vom

1.11.1955; HADB, Sign. ZA04/0083.

12 Bericht Peter Herkenraths, o.J.; HADB,

Sign. ZA 04/0113.

13 Für den Einbau einer Zentralheizung wur-

den vom Vereinsvorstand DM 40000,– ge-

nehmigt, dabei wurde mit einem Abschluß

der Einbauarbeiten bis zum 15.2.1976

(Beginn des neuen Preisträgerjahres)

gerechnet. Vgl. dazu: Protokoll der Mitglie-

derversammlung am 30.10.1975; HADB,

Sign. ZA 04/0056. Bereits 1974/75 wurden

Doppelfenster in die an der Via Senese

liegenden Fassadenseite eingebaut. Vgl.

dazu: Zeittafel zur Villa Romana – Auszug

aus einer Übersicht von Joachim Burmei-

ster, in: Kat. Villa Romana, Baden-Baden

1977, S. 44.

14 In einigen wenigen Fällen erfragten die

Künstler die Bewerbungsmodalitäten beim

Villa Romana-Verein selbst, beriefen sich

aber meist auf Jury-Mitglieder, die sie auf

den Preis aufmerksam gemacht hatten.

Siehe dazu beispielsweise das Schreiben

Rolf-Gunter Diensts an Joachim Borchart

vom 23.11.1967; HADB, Sign. ZA 04/0112.

In der Beiratssitzung vom 25.2.1961 wich

man von dem beschriebenen Verfahren der

Preisvergabe ab. Die Stipendien »[…] für

das Jahr 1961 [wurden] gegen das Votum

der künstlerischen Beiratsmitglieder ver-

teilt.« Daraufhin legte Hans Purrmann sein

Mandat als Beiratsmitglied nieder. Vgl. Ak-

tennotiz Joachim Borcharts vom 6.4.1961;

HADB, Sign. ZA 04/0056.

15 Zu diesem Vorgang vgl. S. 155f.

16 Vgl. dazu beispielsweise das Anschreiben

des Vereinsvorstandes an Peter Brüning

vom 15. Februar 1968; HADB, Sign. ZA

04/0091.

17 Zitiert nach: Burmeister 1988, S. 102f.

18 Zu Otto Höger vgl. den Katalogbeitrag

ABB. 072 Georg Kauffmann, Theo Bechteler und Frau, Toni Stadler auf der Dachterrasse der Villa Romana, um 1959

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die Künstler zum Teil persönlich kennenzulernen. Beeindruckt von den Werken dieser Künstlergenera-tion, aber auch vom Talent seiner Kommilitonen Ludwig Kasper und Fritz Wrampe zögerte Stadler lan-ge, einen vollkommen eigenständigen Weg einzuschlagen. Obwohl Stadlers künstlerische Fähigkeiten schon früh geschätzt wurden – die Auszeichnung mit dem Villa Romana-Preis Ende der dreißiger Jahre zeigt dies –, fand er erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu seiner ureigenen künstlerischen Sprache.19

Toni Stadler nutzte seinen zweiten Aufenthalt in der Villa vermutlich dazu, den gewählten Weg weiter-zuverfolgen und Möglichkeiten zu finden, seine Vorstellung von der ›Figur als Gefäß‹ umzusetzen.20 Währenddessen hatten die jüngeren Stipendiaten die Begegnung mit den bedeutendsten Werken der ita-lienischen Renaissance, mit dem »viel zu schönen Schein der Dinge« zu verarbeiten.21 Peter Herkenrath und Carl-Heinz Kliemann beispielsweise fühlten sich zumindest anfangs gehemmt von der Übermacht der italienischen Kunst. Dennoch empfanden beide ihren Aufenthalt in Florenz als lohnend und inspi-rierend.22 Ihr positiver Gesamteindruck bestätigte den Villa Romana-Verein in seiner Entscheidung, das Künstlerhaus wiederzueröffnen. Der Kunsterzieher Johannes Geccelli, der im folgenden Jahr mit dem Villa Romana-Preis ausgezeichnet wurde, hatte aufgrund seines Berufes stärker als andere Stipendiaten mit den praktischen Problemen zu kämpfen, die sich aus der Annahme der Auszeichnung ergaben. Die für sechs bis neun Monate nach Florenz gehenden Künstler beklagten gewöhnlich die finanzielle Doppelbelastung, die sich aus der weiterzuzahlenden Miete für Wohnung und Atelier in Deutschland und den relativ hohen Lebenshaltungskosten in Italien ergaben. Geccelli war zusätzlich gezwungen, die Genehmigung seines Arbeitgebers einzuholen, bevor er sich mit seiner Familie und dem Kindermädchen in Richtung Italien aufmachen konnte. Da drei Monate verstrichen, bis ihm die behördliche Erlaubnis erteilt wurde, trat er erst Mitte April sein Stipendium an.23 Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase konnte Geccelli jedoch die Vorzüge seines Italienaufenthaltes in vollen Zügen genießen. In seinem Erfahrungsbericht betonte er neben dem nahezu freundschaftlichen Kontakt zur Familie Rosenberg und den anderen Stipendiaten vor allem die Wirkung des südlichen Lichts auf seine Arbeit: »Das Licht zwang zu feinerer Differen-zierung, die Sinnlichkeit war auf das Stärkste angespannt. Farben, neu für mich, boten sich an: Ocker, Umbra, Terra di Siena. Ich ließ mich auf die für mich neue Farbigkeit ein und – kam zu neuen Resul-taten. Das südliche Licht verlangt größere Klarheit und Genauigkeit in der Farbe.«24 In Werken wie Am Tischrand oder Obere Kante (KAT. 082, 083) scheint das Gleißen des italienischen Lichtes eingefangen zu sein. Daß es Johannes Geccelli nur bedingt gelang, seine neuen Erkenntnisse nach der Rückkehr in Deutschland weiterhin zu nutzen, mag sich aus der Verschiedenheit der dort vorgefundenen Bedin-gungen erklären: »Wie gänzlich anders unser Licht ist, bekomme ich jetzt täglich zu spüren, wenn ich versuche, die in Italien errungene Farbigkeit auszubauen.«25

Johannes Geccelli stellte in seinem Bericht die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die Sti-pendiaten ihre Zeit in Rom oder Mailand, Italiens Zentren moderner Kunst, verbringen zu lassen. Er fühlte sich in Florenz wie in einem ›goldenen Käfig‹ gefangen, ferngehalten von den Anregungen der modernen Welt.26 Dennoch erkannte der Maler durchaus den Nutzen, den er aus der Zeit in der Villa Romana für seine Arbeit gezogen hatte. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang Gec-cellis Aussage, daß es allein von den Stipendiaten, von ihrer persönlichen Disposition abhänge, ob und wie sie von dem Erlebnis Italien beeinflußt würden, ob die damit verbundenen Erfahrungen in ihr Werk Eingang fänden oder das Neue und Fremde nur wirkungslos verhalle.27

Peter Brüning beispielsweise gehörte zu den Künstlern, bei denen kein direkter Einfluß des Floren-zaufenthaltes in den Arbeiten abzulesen ist. Zwar veränderten sich seine gestischen Werke im Jahr der Preisträgerschaft dahingehend, daß sie filigraner und freier erschienen28 und die oft zu beobachtende Dominanz des Schwarz zugunsten lichterer Strukturen zurücktrat (ABB. 073). Dennoch kann diese Veränderung nicht eindeutig dem Einfluß der italienischen Kunst oder Italiens insgesamt zugeschrieben werden. Im Gegenteil, er selbst betonte: »Italienische Kunst, ich meine die berühmte, hat für uns bei aller Verbindlichkeit gewisser formaler Gesetze keine unmittelbar stimulierende Wirkung mehr.«29 Un-abhängig davon wußte Brüning die geographische Nähe Roms und der dort arbeitenden Künstler sowie »das Losgelöstsein aus einer zur Gewohnheit gewordenen Umgebung«30 für seine Arbeit zu schätzen. In Rom hielt sich 1961 unter anderen der amerikanische Maler Cy Twombly auf, dessen in dieser Zeit entstandene Werke oft Assoziationen weckten an Graffiti, die häufig an den Wänden römischer Häuser zu finden waren. Das skripturale Element dieser Bilder schien Brüning zu einigen seiner Florentiner Werke inspiriert zu haben (KAT. 088).31

Für Peter Brüning gestaltete sich besonders die zweite Hälfte seines Aufenthaltes in der Villa

Philipp Kuhns: Die Villa Romana von ihrer

Gründung bis zum Ausbruch des ersten

Weltkrieges. Toni Stadler war bereits 1938

Träger des Villa Romana-Preises gewesen.

Die Statuten des Villa Romana-Vereins er-

lauben eine Wiederholung des Stipendiums

nach Ablauf von vier Jahren. Satzung des

Villa Romana e.V., § 2, Absatz 2. Vgl. dazu:

Jahrbuch Villa Romana 1955, o.S.

19 Haftmann 1961, S. 38–52.

20 Ebd. Toni Stadler strebte vor allem da-

nach, jegliche Monumentalität aus seinem

Werk zu verbannen. Zu seinem Verständnis

von der Gefäßhaftigkeit der Figur vergleiche

auch Weczerek 1988, S. 15–25.

21 Erfahrungsbericht Carl-Heinz Kliemanns

vom 5.11.1959; VRA/F, ohne Signatur.

22 Ebd. Kliemann thematisierte unter ande-

rem die Frage nach Sinn und Unsinn eines

Aufenthaltes in Florenz für moderne Künst-

ler – eine Frage, die wahrscheinlich fast alle

Stipendiaten der Villa Romana bewegte.

Vgl. auch: Bericht Peter Herkenraths, o.J.;

HADB, Sign. ZA 04/0113.

23 Geccelli, Johannes: Ein halbes Jahr in der

Villa Romana, Dezember 1960; VRA/F, ohne

Signatur. Rosenberg und später auch Künst-

ler forderten den Villa Romana e.V. auf, die

Jurysitzungen früher im Jahr abzuhalten,

um den Preisträgern ausreichend Gelegen-

heit zu geben, ihren Aufenthalt in Florenz

zu organisieren. Vgl. dazu Aktennotiz von

Eberhard Cl. Freiherr von Ostman vom

3.5.1963; HADB, Sign. ZA 04/0067 sowie

die Äußerungen Heinz-Günter Pragers, die

im Bericht Walter Barkhausens über seinen

Besuch in der Villa Romana am 20.9. und

vom 25.–29.9.1974 festgehaltenen wurden;

HADB, Sign. ZA 04/0070.

24 Geccelli, Johannes: Ein halbes Jahr in der

Villa Romana, Dezember 1960; VRA/F, ohne

Signatur. Zur Wirkung der italienischen

Lichtverhältnisse vgl. auch: Kat. Geccelli,

Ausst. Galerie Springer Berlin, Berlin 1961,

S. 3f.

25 Geccelli, Johannes: Ein halbes Jahr in der

Villa Romana, Dezember 1960; VRA/F, ohne

Signatur.

26 Ebd.

27 Ebd.

28 Vgl. dazu: Nobis 1997, S. 33f.

ABB. 073 Peter Brüning, o. T., 1960, Collage (Zeichenpapier), Tusche, Pinsel, 35,9 x 48,4 cm (Otten Z 1141), Nachlaß Prof. Peter Brüning, Ratingen

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Romana produktiv. Nachdem er ein Schlafzimmer mit Fenster zur Gartenseite des Hauses hatte bezie-hen können und so dem für ihn unerträglichen Lärm der Via Senese entkam, arbeitete Brüning an einer Serie »großformatiger farbiger Zeichnungen, die [ihn] als Resultat dieser Zeit sehr zufrieden gemacht haben«. (ABB. 074)32

Seit 1955 der gestischen Formensprache des Informel verpflichtet, gehörte der Maler zu jenen Künstlern, deren Ausdrucksmittel der in der Bundesrepublik geschätzten Kunst der ausgehenden fünf-ziger und frühen sechziger Jahre entsprachen. Mit der Vergabe des Villa Romana-Preises an Brüning befand sich die Jury im Einklang mit den aktuellen Tendenzen der westdeutschen Kunst. In dieser Zeit konnte der amerikanische abstrakte Expressionismus sowie seine westeuropäischen Spielarten, Infor-mel und Tachismus, unter anderem auch deshalb seinen Siegeszug antreten, weil sich diese Stilrichtung politisch instrumentalisieren ließ. Während in der DDR die Realismusdebatte geführt wurde, konnte mit der Erhebung des Informel in der BRD die absolute Freiheit der Kunst demonstriert werden.33

Der Maler Horst Antes, der seine künstlerischen Wurzeln ebenfalls im Informel hatte, löste sich um 1959 von der abstrakten Malerei und versuchte, mit der Hinwendung zu figürlichen Darstel-lungen eine Alternative zu dieser Formensprache zu finden. Es ist anzunehmen, daß sein Lehrer an der Kunstakademie Karlsruhe, HAP Grieshaber, an diesem Stilwandel beteiligt war. Neben dem Villa Romana-Preisträger Heinz Schanz zählten der amerikanische Künstler Willem de Kooning und Asger Jorn, ein Mitglied der europäischen Künstlergruppe CoBrA, zu den Vorbildern von Antes.34 Gerade zu Beginn der sechziger Jahre gehörte Antes zu den besonders geförderten Talenten. Noch im Herbst 1962, in direktem Anschluß an den Aufenthalt in Florenz, trat er beispielsweise sein Stipendium in der Villa Massimo in Rom an. In Florenz hatte sich Antes vor allem mit dem Medium der Druckgraphik beschäftigt und die Technik der Radierung für sich entdeckt (ABB. 075).35 In Rom hingegen entfaltete der starke Einfluß der italienischen Kunst und des südlichen Lichtes seine Wirkung. Problemstellungen der Kontur, der Plastizität und der Komposition traten in den Mittelpunkt seines Schaffens, die erste plastische Arbeit entstand.36 Die Konzeption des für das spätere Werk des Künstlers typischen Kopffüß-lers lag nach seiner Rückkehr aus Italien voll ausgebildet vor und die dort verinnerlichten Gestaltungs-prinzipien hatten die Entwicklung dieser Kunstfigur sicherlich begünstigt.37

Mit Walter Stöhrer wurde 1978 auf Anregung des damaligen Direktors des Städelmuseums in Frankfurt, Klaus Gallwitz, ein weiterer Schüler HAP Grieshabers mit dem Villa Romana-Preis aus-gezeichnet. Seine aus kraftvollen Gesten komponierten Bilder sind den Ausdrucksmitteln des Informel verpflichtet. Obwohl Antes und Stöhrer beinahe im selben Jahr geboren sind und ebenfalls zum Teil zeitgleich an der Karlsruher Akademie in der Malklasse Grieshabers studierten, verging eine nicht unbeträchtliche Zeit, bevor das Œuvre Stöhrers mit ähnlicher Anerkennung seitens der Villa Romana-Jury bedacht wurde wie das seines Malerkollegen, der den Prinzipien der Neuen Figuration verpflich-tetet war. Stöhrers Arbeitsweise entspricht in gewisser Weise der Methode der surrealistischen écriture automatique. Er pflegt literarische Zitate auf den Malgrund niederzuschreiben und sich von diesen und von Musik inspirieren zu lassen, um die so hervorgerufenen Emotionen ins Bild zu übertragen (ABB.

076).38 Die körperliche Präsenz des Malers ist in all seinen Werken spürbar. Die beim Malakt freige-setzten Energien scheinen machtvoll auf den Betrachter einzudringen, ihn nahezu überwältigt zurück-zulassen. Die Formensprache des Stuttgarters scheint sich unter dem Einfluß seines Aufenthaltes in der Villa Romana kaum verändert zu haben. Die dort verbrachte Zeit hinterließ ihre deutlichsten Spuren auf sprachlicher Ebene: in den Bildtiteln der in Florenz entstandenen Werke (KAT. 108–110). Eine Generation von Künstlerrebellen in der Villa Romana – Die Ära Michael Siegel Im Dezember 1964 vollzog sich ein Wechsel in der Direktion der Villa Romana. Der fast achtzigjährige Kurt Hermann Rosenberg setzte sich zur Ruhe und trat sein Amt an Michael (Harro) Siegel ab. Mit der Berufung eines jüngeren Leiters wollte der Vereinsvorstand die Chance ergreifen, neue Wege bei der Verwaltung des Künstlerhauses zu beschreiten. Man plante, mit Ausstellungen und ähnlich publikums-wirksamen Unternehmungen den Austausch zwischen den Stipendiaten der Villa Romana und den Künstlern sowie den Kulturinstitutionen der Stadt Florenz ebenso wie die Präsenz des Künstlerhauses in der öffentlichen Wahrnehmung zu verstärken.39 Gleichzeitig hoffte man vermutlich, es werde dem Braunschweiger Kunsterzieher und Spezialisten für Marionettentheater gelingen, einen engeren Kon-takt zu den Stipendiaten herzustellen als sein Vorgänger.

29 Peter Brüning an Joachim Borchart vom

23.1.1962, VRA/F, ohne Signatur.

30 Ebd.

31 Zu Brüning und Twombly vgl. u.a. Nobis

1997, S. 34f.; Dienst, Rolf-Gunter: Die

Ambivalenz der Zeichen und des Bezeichne-

ten, in: Kat. Peter Brüning, Ausst. Moderne

Galerie des Saarland-Museums, Saarbrü-

cken, Museum am Ostwall, Dortmund 1988,

Köln 1988, S. 144.

32 Peter Brüning an Joachim Borchart vom

23.1.1962; VRA/F, ohne Signatur.

33 Schmidt-Burkhardt 2002, S. 78.

34 Ebd.

35 Biographie Horst Antes, in: Kat. Figur

Wolkenfänger, Hannover 2002, S. 165;

Gercken, Günther: Werkverzeichnis der Ra-

dierungen. Horst Antes. 1962–1966, Mün-

chen 1968; Gallwitz, Klaus: Horst Antes,

in: Koschatzky, Walter: Druckgraphik heute

– Sieben Monographien über Valerio Adami,

Horst Antes, Enrico Baj, Bruno Bruni, Simon

Dittrich, Friedensreich Hundertwasser und

Paul Wunderlich, Offenbach/M. 1990, S.

76–99.

36 Hermann 1983, S. 14.

37 Ebd. Vgl. besonders: Francesca Talpo:

Horst Antes in Italien. Die Entwicklung der

Kunstfigur, in: Kat. Figur Wolkenfänger,

Hannover 2002, S. 153–161.

38 Zu Stöhrers Arbeitsweise siehe u.a.

Merkert, Jörn: Das implodierende Sehen.

Walter Stöhrer und die Malerei; in: Kat.

Walter Stöhrer. Bilder 1961–1988, Ausst.

Berlinische Galerie 1989, Berlin 1989, S.

215; Reising, Gert: Die ganze Welt. Sub-

jektivität und Strukturalismus bei Walter

Stöhre�; in: Kat. Walter Stöhrer. Werke

auf Papier 1959–1995, Ausst. Staatliche

Kunsthalle Karlsruhe 1995, Karlsruhe 1995,

S. 9–17.

39 Vgl. dazu beispielsweise den Brief Gustav

ABB. 074 Brüning in seinem Atelier in der Villa Romana, 1961

Page 5: Die Villa Romana – Ein Künstlertraum? Nicole MeNde Das ... · Villa Romana-Vereins gekümmert hatte, lehnte es aus gesundheitlichen Gründen ab, mit der Wieder-eröffnung auf seinen

Steins an Joachim Borchart vom 18.10.1963,

in dem Stein darauf hinwies, daß es »über die

Kräfte und Möglichkeiten« Rosenbergs gehen

dürfte, eine Ausstellung der Werke der Preisträ-

ger zu organisieren, die die »von uns gewünsch-

te Ausstrahlungskraft haben soll« (HADB, Sign.

ZA 004/0083). Nach einer Information Joachim

Burmeisters wurde erst 1979 mit dem »Salone«

ein Ausstellungssaal

in der Villa Romana eingerichtet, der regel-

mäßige Stipendiatenausstellungen und auch

Wechselausstellungen von Gast- bzw. regionalen

Künstlern zuließ.

40 Allem voran durch die Meldung des Spiegel Nr.

26 vom 24.6.1964, S. 82–84, wurde der Vor-

stand der Deutsche Bank AG, Frankfurt auf die

Vorgänge um die »Skandalausstellung« in der

Galerie Werner & Katz im Oktober 1963 sowie

die darauffolgende Anklageerhebung gegen Ge-

org Baselitz und seine Galeristen aufmerksam.

Siehe dazu den Brief des Generalsekretariats

der Deutschen Bank AG an Joachim Borchart

vom 1.7.1964; HADB, Sign. ZA 004/0111. In

diesem Zusammenhang sind allerdings auch die

Falschmeldungen zu nennen bezüglich der Aber-

kennung des an Baselitz verliehenen Preises, wie

sie beispielsweise in den Stuttgarter Nachrichten

vom 30. Oktober 1964, S. 10 veröffentlicht

wurden.

41 Gercken, Günther: Die Kunst von Georg

Baselitz im Spiegel der Kritik, in: Kat. Georg

Baselitz. Das große Pathos, Ausst. Galerie der

Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, Hamburg

1999, S. 18.

42 Ebd. Vgl. den Brief Adolf Arndts, des ehema-

ligen Senators für Wissenschaft und Kunst, an

den Berliner Senator für Justiz vom 12.3.1964;

HADB, Sign. ZA 004/0111 (Abschrift).

43 Gercken 1999, S. 19; Die Welt, Nr. 215 vom

15.9.1964, S. 7.

44 Brief des Generalsekretariats der Deutschen

Bank AG an Joachim Borchart vom 1.7.1964;

HADB, Sign. ZA 04/0111.

45 Adolf Arndt an den Berliner Senator für Justiz

vom 12.3.1964; HADB, Sign. ZA 04/0111

(Abschrift); Will Grohmann an Joachim Borchart

vom 18.8.1964; HADB, Sign. ZA 04/0111.

46 Brief Joachim Borchart an das Generalsekre-

tariat der Deutschen Bank AG vom 14.10.1964;

HADB, Sign. ZA 04/0111.

47 Protokoll der Beiratssitzung des Villa Romana

e.V. in Berlin am 1.5.1964; HADB, Sign. ZA

04/0091 sowie Brief Joachim Borcharts an das

Generalsekretariat der Deutschen Bank AG vom

6.7.1964; HADB, Sign. ZA 04/0111.

48 Georg Baselitz an Joachim Borchart vom

11.5.1964; HADB, Sign. ZA 04/0111.

49 Zur Wirkung des Manierismus im Werk Georg

Baselitz’ siehe u.a.: Röske 1999, S. 25–33;

Joachimides, Christos M.: Himmel als Abgrund,

in: Kat. Georg Baselitz. Bilder 1965–1987, hrsg.

v. Werner Hofmann u. Christos M. Joachimides,

Ausst. Hamburger Kunsthalle 1988, Hamburg

1988, S. 11; Auping, Michael: Portrait of Resi-

danke ich vielmals. Ich habe ihn mit großem

Interesse betrachtet, nicht immer mit vollem

Verständnis und durchweg ohne Begeisterung!«

(HADB, Sign. ZA 04/0101) sowie das Schreiben

Konrad Henkels an Hans-Albert von Becker

vom 14.12.1970: »[…] gebe gern der Hoffnung

Ausdruck, daß den Herren Künstlern Lüpertz,

Nierhoff, Schoenholtz und Willikens verbundene

Studienaufenthalt in Florenz Anregung und gei-

stigen Gewinn vermittelt hat, obwohl ich – offen

gesagt – in den reproduzierten Arbeiten einen

unmittelbaren Niederschlag des Fluidums von

Florenz nicht recht zu entdecken vermochte.«

(HADB, Sign. ZA 04/0101).

69 Hans-Albert von Becker an Michael Siegel vom

23.12.1970; HADB, Sign. ZA 04/0061.

70 Brief Erich Hausers an den Vorstand des Villa

Romana e.V. vom 6.8.1969; HADB, Sign. ZA

04/0108.

71 Jahrbuch Villa Romana 1970, S. 41–67;

Pfeiffer, Andreas: Ansgar Nierhoff, in: Kat. Villa

Romana, Baden-Baden 1977, S. 250.

72 Walter Barkhausen bemerkte in dem Bericht

vom 12.10.1970 über seinen Besuch in der Villa

Romana vom 25.9. bis 28.9.1970, daß Nierhoffs

Kunst »aus dem Gedanklichen« käme; HADB,

Sign. ZA 04/0069.

73 Bereits 1967 hatte der Stipendiat Buja Bin-

gemer in Briefen und persönlichen Gesprächen

versucht, dem Vereinsvorstand einen Eindruck

von den Nöten und Ansichten der Stipendiaten

zu vermitteln, Anregungen zu Verbesserungen

zu geben und das System ›Villa Romana‹ grund-

legend zu hinterfragen. Vgl. dazu den achtsei-

tigen Brief Bingemers an den Beirat des Villa

Romana-Vereins vom November 1967; HADB,

Sign. ZA 04/0068; Bericht Walter Barkhausens

vom 31.5.1968 über einen Besuch Bingemers in

Köln; HADB, Sign. ZA 04/0069.

74 Ansgar Nierhoff an Walter Barkhausen vom

3.8.1970; HADB, Sign. ZA 04/0069.

75 Der Vorschlag Ansgar Nierhoffs zur Reform

des Villa Romana-Preises lautete wie folgt:

»Durch Kapitalisierung des immobilen Besitzes

und unter Hinzurechnung der jährlichen Aufwen-

dungen wären jährlich fünf oder mehr Preise (in

bar) von 10000,— DM möglich, oder ein großer

Preis von 25000,— DM und drei Förderpreise

von je 10000,— DM (analog zur Vergabe der

Preise in NRW) oder vier Preise von 10000,—

DM und intensives Engagement durch Anlage

einer Kunstsammlung.« Vgl. dazu den Brief

Ansgar Nierhoffs an Walter Barkhausen vom

3.8.1970; HADB, Sign. ZA 04/0069.

76 Bericht Walter Barkhausens vom 12.10.1970

über seinen Besuch in der Villa Romana, Florenz

vom 25.9.–28.9.1970; HADB, Sign. ZA 04/0069.

77 Der von Ansgar Nierhoff formulierte Fra-

stance, in: Detlev Gretenkort (Hrsg.), Georg

Baselitz. Paintings 1962–2001, Mailand 2002,

S. 18.

50 Röske 1999, S. 26.

51 Michael Siegel an Joachim Borchart vom

23.4.1965; HADB, Sign. ZA 04/0084.

52 Siegel, Michael: Villa Romana 1965, in: Jahr-

buch Villa Romana 1965, S. 4.

53 In einem offenen Brief im Katalog der

Zweiten Ausstellung des Deutschen Künst-

lerbundes in Berlin, Mai 1905 informierte der

engere Vorstand des Deutschen Künstlerbundes

über die Erwerbung der Villa Romana und die

Zielstellung des mit ihr verbundenen Preises.

Bezüglich des Auswahlverfahrens heißt es dort:

»Wir wollen jüngeren, noch mit sich und dem

Leben ringenden Künstlern eine Zeit ruhiger,

sorgenfreier Arbeit ermöglichen: Es wird Sache

des Vorstandes des Deutschen Künstlerbundes

sein, hier zu suchen und nach Wahl und Ermes-

sen Ateliers zu verteilen.«

54 Protokoll der Beiratssitzung des Villa Romana

e.V. in Berlin am 1.5.1964; HADB, Sign. ZA

04/0091.

55 Siegel, Michael: Villa Romana 1965, in:

Jahrbuch Villa Romana 1965, S. 3; Joachim

Borchart an Ludwig Meidner vom 29.12.1965;

HADB, Sign. ZA 04/0114.

56 Erfahrungsbericht Franz Bernhards vom

9.6.1970; HADB, ZA 004/0111. Probleme mit

der Werkstattausstattung wurden u._. noch

1970 von den Stipendiaten Ben Willikens und

Ansgar Nierhoff angemerkt bzw. kritisiert.

Vgl. dazu den Brief Ansgar Nierhoffs an Walter

Barkhausen vom 3.8.1970; HADB, Sign. ZA

04/0069; von Ben Willikens ausgefüllter Frage-

bogen; HADB, Sign. ZA 04/0069.

57 Erfahrungsbericht Franz Bernhards vom

9.6.1970; HADB, Sign. ZA 004/0111.

58 Gertz, Ulrich: Zu den Arbeiten des Bildhauers

Franz Bernhard, in: Kat. Bernhard, Braun-

schweig 1977, S. 9.

59 Franz Bernhard – Verständnis und Selbstver-

ständnis (Eine Zusammenstellung: Aussagen

und Antworten), zusammengestellt von Bern-

hard Holeczek; in: Kat. Bernhard, Braunschweig

1977, S. 13–16.

60 Erfahrungsbericht Franz Bernhards vom

9.6.1970; HADB, Sign. ZA 04/0111.

61 Dienst, Rolf-Gunter: Als Stipendiat in der Villa

Romana, 1968; HADB, Sign. ZA 004/0112.

62 Rolf-Gunter Dienst, in: Jahrbuch Villa Roma-

na 1968, S. 16.

63 Dienst, Rolf-Gunter: Bemerkungen eines Be-

troffenen; in: Kat. Villa Romana, Baden-Baden

1977, S. 69.

64 Ebd.

65 Ebd., S. 70.

66 Jahrbuch Villa Romana 1970.

67 Michael Siegel an Hans-Albert von Becker

vom 2.1.1971; HADB, Sign. ZA 04/0061.

68 Vgl. dazu den Brief Herrn Ulrichs an Hans-

Albert von Becker vom 14.12.1970: »[…]

für den mir übersandten Jahresbericht 1970

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Frischer Wind fegte jedoch vor allem mit den neuen Stipendiatenjahrgängen durch die Räume der Villa Romana. Im Fall des Preisträgers Georg Baselitz kam dem im Vorfeld seines Florenzaufenthaltes von der deutschen Presse initiierten Medienwirbel eine besondere Bedeutung zu.40 Mit der Vergabe des Villa Romana-Preises an den jungen Maler hatte der künstlerische Beirat der Jury Weitblick und Mut bewiesen. Doch vereinsinterne Spannungen, zu denen es just nach der Bekanntgabe der Preisträger des Jahres 1965 kam, überschatteten zumindest zeitweise diese Entscheidung. Wie konnte es zu diesen Unstimmigkeiten kommen? Die erste Galerie-Ausstellung von Georg Baselitz, der 1957 nach dem politisch motivierten Abbruch seines Studiums an der Ostberliner Kunsthochschule nach Westberlin gekommen war, um an der dortigen Hochschule für Bildende Künste bei Hann Trier zu studieren, wurde am 1. Oktober 1963 in der Berliner Galerie Werner & Katz eröffnet. Einige der hier gezeigten Bilder konfrontierten die Besucher mit Darstellungen eigenartig verstümmel-ter Schmerzensmänner, die der Künstler mit überdimensionierten Genitalien und anderen verstörenden Attributen ausgestattet hatte. Bereits am dritten Ausstellungstag wurde die Generalstaatsanwaltschaft auf die Ausstellung aufmerksam. Die Gesetzeshüter beschlagnahmten unter Berufung auf den Vorwurf der Unzucht die Gemälde Die große Nacht im Eimer von 1962/63 (ABB. 077) und Nackter Mann aus dem Jahr 1962.41 Am 12. Februar 1964 kam es zur Anklageerhebung gegen Georg Baselitz sowie gegen die Galeristen Michael Werner und Benjamin Katz.42 Das am 30. Juni desselben Jahres gefällte Urteil verpflichtete die drei Angeklagten zur Zahlung von je DM 400, wurde später jedoch wieder aufgeho-ben.43 Als einige der finanziellen Förderer der Villa Romana aus dem Spiegel, Ausgabe vom 26. Juni 1964, von der Anklageerhebung gegen einen ihrer Stipendiaten erfuhren, forderten sie den Vor-stand des Vereins auf, die Entscheidung der Jury zu prüfen.44 Trotz intensiver Bemühungen gelang es diesem nicht, die Bedenken der Mäzene zu zerstreuen. Erst im Herbst 1964 konnte der ›Fall Baselitz‹ für den Villa Romana e.V. als abgeschlossen betrachtet werden. Der Vorstand hatte es – nach der Kon-sultation so einflußreicher Persönlichkeiten wie des ehemaligen Berliner Senators für Wissenschaft und Kunst, Adolf Arndts, sowie des Kunstkritikers Will Grohmann – abgelehnt, dem Maler sein Stipendium abzuerkennen.45 Man befürchtete zum einen, daß durch eine solche Entscheidung dem Ansehen der Villa Romana beträchtlicher Schaden zugefügt würde.46 Zum anderen sah man keinen Grund, Base-litz ein Stipendium abzuerkennen, für das er sich nicht beworben hatte. Wie oben bereits angedeutet, stellten die Umstände seiner Auszeichnung eine Besonderheit dar. Im Vorfeld der Beiratssitzung des Villa Romana-Vereins am 1. Mai 1964 in Berlin hatten unter anderem die Jurymitglieder Herbert O. Hajek, Karl Hartung, Peter Herkenrath und Heinz Trökes Gelegenheit gehabt, die Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbundes zu besichtigen. Dabei waren ihnen die Werke von Georg Baselitz aufge-fallen, den sie spontan – ohne schriftliche Bewerbung seinerseits – zu einem der Preisträger kürten.47 Außerdem hatte ja nicht die Qualität seiner künstlerischen Arbeit, sondern ihr vermeintlich skandalöser Inhalt zu Aufsehen geführt. Der nach diesen Turbulenzen dennoch zustande gekommene und vom Maler selbst begrüßte Aufenthalt in Florenz erwies sich für Baselitz und sein Werk als äußerst fruchtbar.48 Die Möglichkeit der direkten Anschauung und der Auseinandersetzung mit der Malerei und Graphik des Manierismus gab entscheidende Impulse für die Formensprache, in der später die Helden-Bilder (KAT. 092–095) um-gesetzt wurden. Baselitz’ Interesse an der Kunst des Manierismus war bereits während seines Studiums bei Hann Trier geweckt, in Florenz jedoch beträchtlich gesteigert worden.49 Nicht nur, daß er in Florenz begann, die Ausdrucksmittel des Manierismus – die proportional stark verkleinerten Köpfe, die über-längten Extremitäten, aber auch die für manieristische Landschaftsdarstellungen typischen niedrigen Horizonte – in sein eigenes Werk einfließen zu lassen, auch die Sammelleidenschaft packte ihn. Base-litz begann, eine eigene Kollektion druckgraphischer manieristischer Blätter anzulegen.50 Unter dem Eindruck der italienischen Meister stehend, entwickelte er in Florenz einen so ausgeprägten Arbeits-eifer, daß Michael Siegel in einem Brief an den Vereinsvorstand bemerkte: »Der grüblerische Baselitz malt und malt.«51 Über die Aufenthaltszeit des Künstlers in der Villa Romana schrieb er wie folgt: »Georg Baselitz bekam das grosse, zum Garten sich öffnende Atelier, so dass dieser wahrhaft besessene ›Male-Maler‹ seinen bevorzugten Grossformaten treu bleiben konnte; alsbald wuchsen und quollen die braunroten, rostroten, blutroten, orangeroten, ziegelroten, erdroten, fuchsiaroten, rosenroten, rosa- und fleischfarbenen, weisslichen, gelblichen Gebilde hoch an allen Wänden; Hammel-, Kalbs-, und Schweinsköpfe schauten, bald mit kleinen Stechaugen, bald mit aufgerissenen Schreck- und Staunen-saugen blickend, daraus hervor; Gewinde, Geschlinge, Gewucher, ›trippa alla Fiorentina‹; dazwischen

ABB. 075 Stipendiatenausstellung in der Villa Romana, 1962

ABB. 076 Walter Stöhrer im Atelier in der Villa Romana, 1978

ABB. 077 Georg Baselitz, Die große Nacht im Eimer, 1962/63, Öl/Lwd., 250 x 180 cm, Privatbesitz

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die Reime und Akzente der Schuhe und Stiefel und der kleinen Stühle.«52

Abgesehen von der unkonventionellen Art der Preisvergabe,53 die Baselitz zu seinem Auf-enthalt in der Villa verhalf, gab es eine weitere Besonderheit bei der Ernennung der Stipendiaten am 1. Mai 1964: Die Jury verständigte sich lediglich auf drei Preisträger und beschloß, das vierte Stipendium einem Vertreter der älteren Künstlergeneration zu verleihen, wobei Ludwig Meidner, Richard Oelze, Ida Kerkovius und Otto Ritschl im Gespräch waren. Bei den vier Künstlern sollte in der angegebenen Reihenfolge nachgefragt werden, ob sie sich »nicht zuletzt wegen ihres vorgerückten Lebensalters« in der Lage sähen, den Preis anzunehmen, und ob sie sich dem damit verbundenen Aufenthalt in Italien gewachsen fühlten.54 Der achtzigjährige Maler Meidner akzeptierte die Auszeichnung, war dann aller-dings gesundheitlich nicht in der Verfassung, in die Stadt am Arno zu reisen.55 Trotz dieses gezielten Versuchs des Villa Romana-Vereins, die älteren, etablierten Künstler bei der Vergabe des Preises nicht zu vernachlässigen, gelang es der Jury nicht, die Altersstruktur des 1965er Stipendiatenjahrgangs nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Wie die Begegnung mit dem Manierismus für die künstlerische Entwicklung von Georg Baselitz zum richtigen Zeitpunkt kam, gewann für den Bildhauer Franz Bernhard, Preisträger des Jah-res 1968 (abb. 078), das Studium der Proportionen von Renaissance-Bauten in Florenz eine besondere Bedeutung. Obschon die immer noch mangelhafte Ausstattung der Werkstatt der Villa Romana und auch die schlecht funktionierende Druckerpresse die Umsetzung seiner Ideen erschwerten, konnte der Bildhauer seine Arbeit in Florenz fortsetzen.56 Dies geschah vor allem in Form von Zeichnungen und Entwurfsskizzen, die in Bernhards gesamtem Schaffensprozeß eine wichtige Stellung einnehmen.57 Mit Vorzeichnungen und zum Teil während der Arbeit entwickelten Skizzen versichert sich der Künstler immer wieder seiner Kompositionen – ihrer Wirkung und Ausgewogenheit.58 Die zentrale Problemstel-lung im Œuvre Bernhards ist die Frage der Proportion, wobei er vom menschlichen Körper ausgehend versucht, Grundsätzliches, Existenzielles zu erschaffen.59 Als ihn Außenstehende nach dem Sinn eines Stipendiums fragten, das Künstler nach Florenz und nicht in die Metropolen der modernen Kunst führte, empfahl er denjenigen, die die Stadt als einen ›Ort der Verbannung‹ empfänden, den Preis abzu-lehnen.60 Im Anschluß an seinen Florenz-Aufenthalt trat Bernhard ein weiteres Stipendium in der Villa Massimo in Rom an, wo er Gelegenheit hatte, die in der Toskana gesammelten Eindrücke weiterzu-entwickeln und unter dem beständigen Einfluß der italienischen Kultur seine meist aus Holz und Eisen komponierten Skulpturen zu gestalten. Der Kontrast zwischen dem Leben und Arbeiten in Florenz, der Wiege der italienischen Re-naissance, und dem Künstlerdasein in den Zentren der Moderne war für alle Stipendiaten der Villa Ro-mana deutlich zu spüren und mußte von jedem einzelnen bewältigt werden. Für den Maler Rolf-Gunter Dienst – wie Bernhard Preisträger des Jahres 1968 – muß dieser Gegensatz jedoch von außerordent-licher Intensität gewesen sein. Für ihn bedeutete die Übersiedelung aus New York, einem der führenden Zentren der Avantgarde, nach Florenz ein »Wandern zwischen zwei Welten«.61 Trotz dieser radikalen Umstellung begann der Autodidakt gleich zu Beginn seines Aufenthaltes, in seinem geräumigen Atelier in der Villa Romana an großformatigen Leinwänden zu arbeiten62 und formal an Gemälde anzuknüpfen, »deren Kompositionsprinzip sich in New York entwickelt hatte«.63 Auch wenn sich die Formensprache der Arbeiten Diensts, ihre auf einfarbigen Hintergründen gestalteten, amöbenartigen Wucherungen und Wölbungen, deren Ränder mit den für den ›Schriftsteller-Maler‹ typischen skripturalen Kürzeln orna-mental besetzt waren, in Florenz nicht wesentlich änderte, führte doch die Auseinandersetzung mit dem südlichen Licht in seinem Werk zu einer dezenteren Farbigkeit.64 Rückblickend bezeichnete Rolf-Gun-ter Dienst das »Italienerlebnis Florenz« als einen »Widerhaken«, der ihn dazu anregte, eingefahrene Sehgewohnheiten und Ansichten zu überprüfen.65

Durchblättert man das zwei Jahre später entstandene Villa Romana-Jahrbuch von 1970, ein für die frühen siebziger Jahre typisches, den Zeitgeschmack reflektierendes Künstlerbuch, stößt man auf die überaus selbstbewußte Präsentation der von den Preisträgern Markus Lüpertz, Ansgar Nierhoff, Michael Schoenholtz und Ben Willikens in Florenz geschaffenen Werke.66 Die Experimentierfreude signalisierende Gestaltung des Jahrbuchs kann als direkte Folge der gesellschaftlichen Umwälzungen gewertet werden, die 1967/68 ihren Anfang nahmen. Hinter den Abbildungen der künstlerischen Ar-beiten traten die allgemeinen Informationen zu Vorgängen in der Villa Romana selbst bzw. in Florenz zurück. Auch das Format des Jahrbuchs wurde im Vergleich zu den Vorgängerpublikationen merklich vergrößert. Schon immer hatte der Villa Romana e.V. seinen Stipendiaten ein Mitspracherecht im Hin-

ABB. 078 Franz Bernhard u. Hildegart Lutze im Garten der Villa Romana, 1968

ABB. 079 Ansgar Nierhoff, HP – Einmal Still-Leben, Stahl, Pappe, je ca. 70 x 35 cm

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blick auf die Gestaltung der Kataloge eingeräumt.67 Seit 1969 jedoch tragen die Preisträger die alleinige Verantwortung für die Aufmachung der Jahrbücher. Da die Gemeinschaftspublikation der Stipendiaten von 1970 unter den privaten Geldgebern des Vereins auf Unverständnis und Ablehnung stieß,68 wurde in den Reihen des Vereinsvorstandes allerdings befürchtet, einzelne Förderer könnten aus Verärgerung über einen solchen Einsatz ihrer Zuwendungen dringend benötigte Gelder zurückziehen.69 Der künstlerische Anspruch und das Streben aller vier Stipendiaten nach einer angemessenen Darstellung ihrer Persönlichkeiten wird auf jeder Seite des Kataloges deutlich. Dennoch soll im fol-genden nur auf die drei Künstler Lüpertz, Nierhoff und Willikens eingegangen werden, deren Anwesen-heit sowohl in der Villa Romana als auch in den Strukturen des Vereins besondere Spuren hinterlassen hat. Der Bildhauer Ansgar Nierhoff, der von Erich Hauser als ein aussichtsreicher Bewerber für den Villa Romana-Preis vorgeschlagen wurde,70 arbeitete in Florenz an zahlreichen – vor allem klein-formatigen – Plastiken und experimentierte mit den sich aus der Kombination von harten Materialien wie Stahl und weicheren organischen Elementen wie Stoffen ergebenden Kontrasten (ABB. 079).71 Einen konkreten Italienbezug in diesen Werken nachzuweisen ist schwierig, da Nierhoffs Stahlskulpturen un-abhängig von dem Aufenthaltsort des Künstlers entstanden. Sie sind ›Kopfgeburten‹ und werden daher weitestgehend frei von Umwelteinflüssen gestaltet.72 Neben seinem künstlerischen Schaffen bemühte sich Nierhoff um einen regen Meinungsaustausch zwischen dem Villa Romana-Verein und den Preis-trägern.73 In Briefen und Gesprächen versuchte er, den Vorstandsmitgliedern seine Kritikpunkte und Änderungsvorschläge zu vermitteln. Diese reichten von der Beurteilung der Leistung des Villenleiters über die Einschätzung der Werkstattausstattung bis hin zu dem Vorschlag, den Charakter des Preises durch den Verkauf der Villa Romana vollkommen neu zu gestalten.74 Nach seinen Vorstellungen hätte man nach der Veräußerung der Immobilie aus einem vom Verkaufserlös und der Summe der bisherigen »jährlichen Aufwendungen« gespeisten Fonds Geldpreise ausloben und diese einer bestimmten Anzahl von Preisträgern zur Verfügung stellen sollen.75 Auch wenn der Vereinsvorstand einen Verkauf der Villa Romana nicht in Erwägung zog, nahm er doch Nierhoffs Hinweise bezüglich einer besseren Auslastung des großen Gebäudes und der Zusammensetzung der den Preis vergebenden Jury ernst. So hatte der Wahl-Kölner unter anderem angeregt, jüngere, nicht an Akademien beschäftigte Künstler in den Beirat zu berufen, um eine möglichst unabhängige Vergabe der Stipendien zu gewährleisten.76 Nierhoffs Be-streben, dem Verein ein Bild von den Wünschen und Bedürfnissen der Stipendiaten zu vermitteln, ließ ihn überdies einen kurzen Fragebogen entwerfen, mit dem seine Mitstipendiaten ihren Aufenthalt in der Villa bewerten sollten.77 Der in Liberec geborene Maler Markus Lüpertz beantwortete den Fragebogen Nierhoffs, in-dem er in drei Sätzen seine generelle Zufriedenheit mit der Institution Villa Romana bekundete und zur Erhöhung der Attraktivität der Auszeichnung eine Aufstockung des Stipendiums um DM 500 pro Mo-nat sowie die Verlängerung des Aufenthalts um ein Jahr vorschlug.78 Daß es Lüpertz mit dem Wunsch nach einem längeren Aufenthalt in der Villa ernst war, bewies er mit einer schriftlichen Anfrage vom 27. September 1970 an den Vorstand des Villa Romana e.V., in der er unter Betonung der »ausge-zeichneten Arbeitsmöglichkeiten« darum bat, sein Stipendium um eine komplette Stipendienlaufzeit, also um weitere neun Monate, zu verlängern.79 Das Streben nach einer ›Galgenfrist‹ im Florentiner Künstlerhaus und die damit verbundene Bitte um eine Ausdehnung des Stipendiums stellte keine Sel-tenheit dar. Bereits 1967 hatte Buja Bingemer sich mit ähnlichen Wünschen an den Verein gewandt,80 1971 bzw. 1974 traten mit Christa Rödicke-Dichgans, Peter Ackermann und Jürgen Paatz81 bzw. Kurt Koch, Christiane Maether und Heinz-Günter Prager82 nahezu alle Stipendiaten dieser Jahrgänge aus demselben Grund an den Vereinsvorstand heran. Unter Berufung auf die Vereinssatzung wurde den anfragenden Preisträgern jedoch ausnahmslos eine Absage erteilt.83 Ein Hauptgrund für diese scheinbar mangelnde Flexibilität des Villa Romana-Vereins war die aus einer Aufenthaltsverlängerung resultie-rende Benachteiligung der Bewerber der jeweils folgenden Jahrgänge, denen im Fall der Erfüllung des Verlängerungswunsche keine oder zumindest weniger Ateliers in der Villa Romana zur Verfügung gestanden hätten.84

Auch wenn der Bitte von Markus Lüpertz um eine Verlängerung seines Stipendiums nicht entsprochen wurde, konnte er aus der in Florenz verbrachten Zeit beachtlichen künstlerischen Nutzen ziehen. Neben der Arbeit an den Deutschen Motiven (ABB. 080), mit denen der Maler zu Beginn der siebziger Jahre provozierte, wandte er sich in der Villa Romana der Landschaftsdarstellung zu (KAT.

100, 101).85 Der Künstler arbeitete während seiner Stipendiatenzeit, die unzähligen weiteren Gas-

gebogen stellt folgende drei Fragen: »1.

Herr … [Name handschriftlich eingetragen]

sind mit den tatsächlichen Gegebenheiten

und Arbeitsbedingungen in der Villa Ihre

Erwartungen erfüllt? 2. Sehen Sie eine

Möglichkeit effektiverer Förderung im

jetzigen Rahmen? 3. Wie beurteilen Sie

im Hinblick auf weiteres Engagement des

Geldgebers eine konstruktive Auflösung

der Immobilien und laufenden uneffektiven

Unterhaltung der Villa, d. h. Kapitalisierung.

Damit könnte man die Künstler gezielter

und freier unterstützen.« Zitiert nach dem

von Markus Lüpertz ausgefüllten Formular;

HADB, Sign. ZA 04/0069.

78 Vgl. den von Markus Lüpertz ausgefüllten

Fragebogen; HADB, Sign. ZA 04/0069.

Für das Jahr 1970 betrug die Höhe des

Stipendiums DM 850 pro Monat zuzüglich

einer einmaligen Zahlung von DM 250 (bei

verheirateten Künstlern DM 500) als Rei-

sekostenzuschuß. Vgl. dazu u.a. den Brief

Hans-Albert von Beckers an Markus Lüpertz

vom 23.10.1969, in dem der Künstler über

die Verleihung des Preises informiert wird;

HADB, Sign. ZA 04/0108. Michael Schoen-

holtz’ Forderung ist weitaus bescheidener

als die seines Künstlerkollegen. Er hält

einen einmaligen Materialkostenzuschuß

in Höhe von DM 500 für die einzig nötige

Änderung. Siehe dazu den von Schoenholtz

ausgefüllten Fragebogen; HADB, Sign. ZA

04/0069.

79 HADB, Sign. ZA 04/0069.

80 Bingemer wollte – trotz aller Kritik am

Verein – »zu einer Verlängerung oder

Erneuerung der Frist [d.h., seines Aufent-

haltes] ermuntern«. Vgl. den Brief Buja

Bingemers an den Beirat der Villa Romana-

Stiftung vom November 1967; HADB, Sign.

ZA 04/0068.

81 Michael Siegel unterstützte den Wunsch

dieser Stipendiaten sehr, so daß er dem

Vorstand eine Satzungsänderung vorschlug.

Vgl. dazu den Brief Michael Siegels an den

Vereinsvorstand vom 1.4.1971; HADB,

Sign. ZA 04/0082.

82 Koch, Maether und Prager erbaten vom

Vorstand eine dreimonatige Verlängerung

ihres Aufenthalts. Vgl. dazu das Schreiben

der drei Preisträger an Hans-Albert von

Becker vom 5.9.1974; HADB, Sign. ZA

04/0108.

83 Paragraph 2, Absatz 2 der Satzung des

Villa Romana e.V. besagt u.a.: »Das Sti-

pendium dauert 6 oder 12 Monate; es kann

nach Ablauf von 4 Jahren, von der letzten

Benutzung eines Ateliers ab gerechnet,

wiederholt werden.« Vgl. dazu Jahrbuch

Villa Romana 1955, o.S.

84 Vgl. dazu beispielsweise das von Walter

Barkhausen an Markus Lüpertz gerichtete

Schreiben vom 16.10.1970; HADB, Sign.

ZA 04/0108.

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taufenthalten und Besuchen voranging, im »Atelier mit dem großen Dachgarten«,86 dessen Aussicht und Atmosphäre die hier entstandenen Landschaftsgemälde inspiriert haben könnte. Michael Siegel beobachtete jedenfalls: »Markus Lüpertz breitete sich über Großformate aus in Schwarz, Blau und vor allem Grün – dem Grün des Blätterdaches über seiner Terrasse, mit mächtigem Schwung und – träumerisch.«87

Detaillierter als Lüpertz ging Ben Willikens bei der Beantwortung des Fragebogens vor: Im Gegensatz zu Nierhoff lehnte er einen Verkauf der Villa Romana ab, empfahl jedoch, den einzelnen Stipendiaten die Wahl zu lassen zwischen einem Geldpreis oder dem Florenzaufenthalt.88 In zwei wei-teren Punkten schloß er sich indes den Anliegen seiner Künstlerkollegen an: Er sprach sich sowohl für eine Verbesserung der Werkstattsituation als auch für die »Erhöhung der monatlichen Auszahlung« aus, allerdings »unter Berücksichtigung der laufenden Unkosten in Deutschland«.89

Willikens plädierte nicht nur für den Erhalt des Künstlerhauses, indirekt nahm er sogar durch die vielen Gäste, die mit ihm nach Florenz kamen,90 Einfluß auf dessen zukünftigen Geschicke. So führte er mit Joachim Burmeister den späteren Leiter der Villa Romana in die Institution ein. Der »Schriftsteller Burmeister, der an einem Roman arbeitet«,91 verbrachte mit einigen Unterbrechungen fast zehn Monate in »einer der als Gastzimmer nicht verwendbaren Dachstuben«92 und hatte so die Möglichkeit, alle Facetten der Villa Romana kennen und schätzen zu lernen, bevor er sich um die Nachfolge Siegels bewarb. Während Willikens selbst also die Zukunft des Hauses veränderte, blieb das künstlerische Werk des gebürtigen Leipzigers hingegen vom genius loci der Stadt am Arno weitgehend unbeeinflußt. Von Heinz Trökes, seinem Lehrer an der Stuttgarter Kunstakademie, zur Bewerbung für das Stipendium angeregt, hatte der Künstler vor seinem Aufenthalt in Italien insbesondere an Zeich-nungen und Druckgraphiken, in geringerem Maß auch an Plastiken gearbeitet.93 In Florenz setzte sich diese Tendenz fort. In Anlehnung an den Architekten und Graphiker Giovanni Battista Piranesi und als kleinen Tribut an seinen Italienaufenthalt nannte Willikens die hier entstandenen Papierarbeiten ›Carceri‹.94 Bis auf eigentümlich anthropomorph anmutende, organische Formen, die den Eindruck der Verlassenheit in Willikens’ Werken zusätzlich betonen, bleiben seine kargen Außen- und Innenraum-darstellungen menschenleer (ABB. 081). Der Eindruck von Kälte und Isolation wird durch die karge Möblierung der ›Kerker‹ verstärkt. Die von Willikens entworfenen Räume strahlen ein hohes Maß an Sterilität aus, weshalb von einer Bewohnbarkeit der Zimmer nicht gesprochen werden kann. Da er oft in Serien arbeitet, wird dieser Eindruck der Unpersönlichkeit noch gesteigert. Seine Werke, die an die kargen Räumlichkeiten in Krankenhäusern, Gefängnissen oder Anstalten jeder Art erinnern, gemahnen an die mechanisierten, nahezu unmenschlichen Bedingungen, mit denen die Zeitzeugen der Postmoder-ne konfrontiert werden. In dem um 1970 verfaßten Erinnerungstext Villa Romana, Florenz, 1905–197095 versuchte Michael Siegel ein Resümee des 1905 konstituierten Kunstpreises zu ziehen. Er benannte sowohl den der Auszeichnung von Beginn an innewohnenden Anachronismus, der sich in der Wahl der Stadt Florenz als Standort des Künstlerhauses manifestierte, als auch die Befürchtungen und Sorgen, die besonders die Stipendiaten der Nachkriegszeit umtrieben, wenn sie sich für mehrere Monate aus dem heimischen Kunstbetrieb zurückziehen und in das ›unmoderne‹ Florenz gehen mußten. Gerade in den sechziger und siebziger Jahren, als die Vernetzung der Kunstwelt durch technologische Hilfsmittel noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute, konnte es für die Künstler zu einem Problem werden, auf den gängigen Kunstmessen nicht präsent oder von den modernen Kunstzentren abwesend zu sein. Siegel beschrieb weiterhin die Crux der Institution Villa Romana, die ihren Stipendiaten zwar als Zu-fluchtsort in der Fremde dienen konnte, aber gerade durch diese Sicherheit und Behaglichkeit ausstrah-lende Atmosphäre auf manche der Preisträger beengend wirkte. Er diagnostizierte, daß das 1905 mit den besten Absichten ausgelobte Stipendium über Jahrzehnte hinweg zwar das unermüdliche Engage-ment des Vereins, der Mäzene und nicht zuletzt der Preisträger erfordert hatte, jedoch bereits 1905 nicht allen Anforderungen gerecht werden konnte.96 Dies war jedoch nicht allein den äußeren Umständen zuzuschreiben, sondern vor allem auch der Tatsache, daß es sich als schlicht unmöglich erwies, allen Bedürfnissen und Erwartungen dieser Vielzahl von Individuen zu entsprechen. Jeder der Stipendiaten, Villenleiter oder finanziellen Förderer sah die Villa aus einem anderen Blickwinkel und begegnete ihr unter anderen Voraussetzungen, was natürlich auch zu divergierenden Erwartungen führte. Manche der Preisträger fühlten sich bevormundet vom scheinbar starren Regelwerk, das der Verein aufgestellt hatte und das beispielsweise festlegte, wie lange sie in Florenz zu bleiben hatten oder wann und zu welchen Bedingungen die finanzielle Beihilfe an die Preisträger auszuzahlen war.97

85 Vgl. dazu auch: Gohr, Siegfried: Der Maler

im Zwischenraum. Eine Einführung in das

Werk von Markus Lüpertz 1964–1997, in:

Kat. Markus Lüpertz, hrsg. v. Siegfried Gohr,

Ausst. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung,

München/Von der Heydt-Museum, Wupper-

tal 1997, München 1997, S. 16–18.

86 Bericht Walter Barkhausens vom

12.10.1970 über seinen Besuch in der Villa

Romana, Florenz vom 25.9.–28.9.1970;

HADB, Sign. ZA 04/0069.

87 Siegel, Michael: Villa Romana, Florenz,

1905–1970, o.J.; VRA/F, ohne Signatur.

88 Von Ben Willikens ausgefüllter Fragebo-

gen; HADB, Sign. ZA 04/0069.

89 Ebd.

90 Michael Siegel an Walter Barkhausen vom

25.5.1970; HADB, Sign. ZA 04/0061.

91 Michael Siegel an Walter Barkhausen vom

25.5.1970; HADB, Sign. ZA 04/0061.

92 Vgl. die Aufstellung Michael Siegels über

die Gäste des Jahres 1970 in der Villa Ro-

mana; HADB, Sign. ZA 04/0061.

93 Vgl. die Bewerbungsunterlagen von Ben

Willikens für den Villa Romana-Preis. Als

seine bisher bedeutendsten Arbeiten nennt

er Zeichnungen, Graphiken und eine Plastik;

HADB, Sign. ZA 04/0108.

94 Siegel, Michael: Villa Romana, Florenz,

1905–1970, o.J. ; VRA/F, ohne Signatur.

95 Ebd.

96 Ebd.

97 In einem Brief Michael Siegels an Eber-

hard Cl. Freiherr von Ostman vom 7.7.1965

wird u.a. die Frage der Ratenzahlungen

des Stipendiums und auch die angestrebte

Verweildauer der Preisträger in Florenz

behandelt; HADB, Sign. ZA 04/0061.

98 Dieses der mangelhaften Integrationslei-

ABB. 080 Markus Lüpertz, Helm (dithy-rambisch), Leimfarbe/Lwd., 200 x 250 cm, Privatbesitz

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Es kann festgehalten werden, daß die Frage des ›Aufenthaltszwangs‹ in der Villa Romana zu den umstrittensten Bedingungen der Auszeichnung zählte. Ein daraus resultierendes Problem waren die finanziellen Belastungen für die Künstler, wenn sie in Deutschland Wohnung und Atelier weiterfinan-zieren mußten. Die räumliche Distanz zu den Galeristen und dem deutschen Kunstmarkt kam hinzu. Natürlich hätte diese Problematik entschärft werden können, wenn sich den Stipendiaten alternativ die Möglichkeit geboten hätte, sich auf dem italienischen Kunstmarkt zu präsentieren und dort neue fruchtbare Kontakte zu knüpfen. Doch leider gelang es weder Rosenberg noch seinem Nachfolger Siegel, eine vitale Verbindung zwischen der Villa Romana und der aktuellen toskanischen Kunstszene herzustellen.98

Kurt Rosenberg war den Anforderungen an einen Leiter der Villa Romana diesbezüglich nur bedingt gewachsen gewesen. Auch Michael Siegel vermochte es nicht, seine privat geknüpften Kon-takte zur italienischen Kunstwelt im Interesse der Stipendiaten zu nutzen.99 Erst unter der Leitung von Joachim Burmeister konnten in dieser Hinsicht Erfolge verzeichnet werden. Auch der Umstand, daß sich das Herausgerissenwerden aus dem gewohnten Arbeitsumfeld nicht nur positiv auf die Kreativität auswirkte,100 sondern vor allem bei den Bildhauern, den Objekt-künstlern oder konzeptuell arbeitenden Stipendiaten zu Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung oder Materialbearbeitung führte, war nicht zu unterschätzen.101 Oft mußten sie beträchtliche Energien und finanzielle Mittel in die Suche nach Spezialwerkstätten oder Materialien investieren, was sich zu Beginn des Aufenthaltes in Florenz hinderlich auf das künstlerische Schaffen der Preisträger auswirken konnte.102

Welchen Nutzen konnten die Stipendiaten also aus ihrer Zeit in der Villa Romana ziehen? Gab es überhaupt einen? Unzweifelhaft brachte der Umzug nach Florenz für die meisten Künstler zunächst Unruhe und Ablenkung mit sich. Dennoch konnte die Bewältigung der damit verbundenen Alltagsprobleme, die Konfrontation mit Meisterwerken der europäischen Kunstgeschichte oder auch nur die Möglichkeit, mit anderen Künstlern zusammenzuleben und Erfahrungen auszutauschen, auch höchst fruchtbar sein. Um mit Johannes Geccelli zu sprechen, waren es vor allem die »künstlerische Veranlagung des Einzelnen und seine Sensibilität«, von denen es abhing, ob und wie stark man sich von seinem Italienerlebnis beeinflussen ließ.103 Die Preisträger hatten letztlich selbst einen gewichtigen Anteil daran, ob sie der Aufenthalt in der Villa Romana künstlerisch weiterbrachte, unbeeinflußt ließ oder gar blockierte.Aber nicht nur die Stipendiaten veränderten sich in Florenz, auch das Künstlerhaus war dem Wandel ausgesetzt. Jeder Preisträger hinterließ mehr oder weniger sichtbare Spuren in der Villa, bei ihren Bewohnern und in bezug auf die Bedingungen, die die nach ihm kommenden Künstlergenerationen vorfinden würden.

stung der beiden Villenleiter geschuldete

Defizit wurde unzählige Male von den

Stipendiaten der Villa Romana, aber auch

von den Vereinsmitgliedern beklagt. Vgl.

dazu u.a. den Brief Joachim Borcharts an

Eberhard Cl. Freiherr von Ostman vom

28.5.1963; HADB, Sign. ZA 04/0067,

Bericht Walter Barkhausens über seinen Be-

such in der Villa vom 4.9.–7.9.1969; HADB,

Sign. ZA 04/0056, den Brief Buja Binge-

mers an den Vereinsbeirat vom 8.9.1969;

HADB, Sign. ZA 04/0068, den Brief von

Herrn Christians an den Vereinsvorstand

vom 8.9.1969; HADB, Sign. ZA 04/0056,

den Brief Ansgar Nierhoffs an Walter

Barkhausen vom 3.8.1970; HADB, Sign. ZA

04/0069 sowie den Bericht Barkhausens

vom 12.10.1970 über seinen Besuch in der

Villa vom 25.9.–28.9.1970; HADB, Sign. ZA

04/0069.

99 Vgl. Protokoll Walter Barkhausens vom

31.5.1968 zu einem Treffen mit Buja Binge-

mer; HADB, Sign. ZA 04/0069.

100 Vgl. dazu den Brief Peter Brünings an

Joachim Borchart vom 23.1.1962; VRA/F,

ohne Signatur; Dienst, Rolf-Gunter: Als Sti-

pendiat in der Villa Romana, 1968; HADB,

ZA 004/0112.

101 Viele der Künstler klagten in diesem

Zusammenhang darüber, keine mit den

grundlegenden Notwendigkeiten wie Holz

oder Nägeln ausgestattete Werkstatt zur

Verfügung zu haben oder nach Handwer-

kern suchen zu müssen, die bestimmte

Arbeiten für sie auszuführen in der Lage

seien. Vgl. beispielsweise den Bericht Wal-

ter Barkhausens über seinen Besuch in der

Villa vom 4.9.–7.9.1969; HADB, Sign. ZA

04/0056, den Brief von Herrn Christians an

den Vereinsvorstand vom 8.9.1969; HADB,

Sign. ZA 04/0056; den Brief Benedicta

von Bitters an Walter Barkhausen vom

10.10.1969; HADB, Sign. ZA 04/0016.

102 Vgl. dazu auch den Erfahrungsbericht

Franz Bernhards vom 9.6.1970; HADB, ZA

04/0111.

103 Geccelli, Johannes: Ein halbes Jahr in der

Villa Romana, Dezember 1960; VRA/F, ohne

Signatur.

ABB. 081 Ben Willikens, Carc., 28 »Roll-Bett« mit Arm, 1970


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