Ana Cristina Rocha Almeida
Die Verwandtschaft im Willehalm
Wolframs von Eschenbach
Dissertação de Mestrado
em Estudos Alemães
Universidade do Porto
Faculdade de Letras
Porto 2010
Danksagung
Mein Dank für die hilfreiche Unterstützung bei der Erstellung meiner Masterarbeit geht
vor allem an meinen Prof. Dr. John Greenfield, der mir fast die gesamte
Forschungsliteratur zur Verfügung gestellt hat und mich bei der Ausarbeitung der
Arbeit sehr unterstützt hat.
Ferner möchte ich Prof. Dr. Monika Unzeitig der Universität Greifswald und Prof. Dr.
Ingrid Kasten der Freien Universität Berlin für die Zusendung einiger Artikel der
Forschungsliteratur danken.
Ebenso bedanke ich mich sehr bei meiner Familie und meinem Freund, die mich stets
aufbauten und für die erforderliche Abwechslung sorgten.
Auch möchte ich mich bei meiner Freundin Nora Adi und bei der Dozentin Frau
Simone Tomé für das Korrekturlesen meiner Arbeit herzlich bedanken.
Porto, September 2010
1
Inhaltsverzeichnis
Seitenzahlen
1. Einleitung und Forschungsbericht 3
2. Die Bedeutung der Verwandtschaft 7
2.1. Die Lexeme sippe, geslehte, art, künne und mâge im Willehalm 11
3. Zu Wolframs Bedeutung der Verwandtschaft in der französischen Vorlage 16
4. Der Willehalm -˗ Religiöser Krieg – Verwandtschaftskrieg 19
4.1. Willehalms Verwandtschaft 23
4.1.1. Willehalm und Vivianz 24
4.1.2. Willehalms Enterbung 28
4.1.3. Willehalm am Königshof 31
4.1.3.1. Willehalm und Alyze 39
4.2. Gyburcs Verwandtschaft 43
4.2.1. Gyburc und die heidnische Verwandtschaft 45
4.2.2. Gyburc und die christliche Verwandtschaft 53
2
4.3. Rennewart 58
4.3.1. Rennewarts Verhältnis zu den Heiden 60
4.3.2. Rennewarts Verbindung zu den Christen 63
5. Schlusswort 67
6. Literaturverzeichnis 70
3
1. Einleitung und Forschungsbericht
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Thema der Verwandtschaft im Willehalm
Wolframs von Eschenbach1 zu untersuchen. Wie in vielen Werken des deutschen
Hochmittelalters, ist die Verwandtschaft zentral für das Verständnis des um 1220
gedichteten Werkes2: Sie ist aber auch sehr problematisch, denn der religiöse Konflikt,
1 Wolfram von Eschenbach ist, nach Meinung verschiedener moderner Forscher, einer der bedeutendsten Dichter der mittelhochdeutschen Klassik. Über die Person Wolfram von Eschenbach weiß man nur so viel, dass er Ritter war und dass er in seinen Werken zumeist Informationen über sich selbst, seine Umgebung und darüber, für wen das vorliegende Werk bestimmt war, wiedergibt. Dies kann anhand des Willehalms verdeutlicht werden: ich Wolfram von Eschenbach (4,19); Lantgrave von Duringen Herman / tet mir diz maere von im bekant. (3,8-9). Da Wolfram ein französisches Epos übersetzte und bearbeitete, war diese Form der Literatur nichts Außergewöhnliches mehr und hatte bereits ihre Tradition in der deutschen höfischen Literatur um 1200. Der deutsche Adel begann sich zu verändern und entwickelte ein neues Verständnis von sich selbst und der Welt, wobei Frankreich weiterhin als Vorbild galt. Dies ist auch der Grund, weshalb viele Dichter sich mit französischen Werken beschäftigten. Entscheidende politische und soziale Umwandlungen waren der Grund für die Suche neuer Wertvorstellungen. Wie von PRZYBILSKI herborgehoben wird, gibt Wolfram „mit zahlreichen Details die Welt des Publikums wieder, und damit auch dessen Vorstellung von Verwandtschaft” (Przybilski 2000: 13). Die Verwandtschaft war zu dieser Zeit einer der wichtigsten sozialen Gefüge in der Gesellschaft, was in dieser Arbeit verdeutlicht werden soll. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass für Wolfram die Familie von zentraler Bedeutung war, was ein Grund dafür sein könnte, dass dieses Thema im Willehalm, im Gegensatz zu seiner französischen Vorlage, im Mittelpunkt steht. Die Grundlage der sozialen Ethik Wolframs bildet die sogennante triuwe. Dieser Begriff bedeutet: „wohlmeinenheit, aufrichtigkeit, zuverlässigkeit, treue (überh. das sittliche pflichtverhältnis zwischen allerhand einander zugehörigen); ministerium; gegebenes word, gelübde, versprechen; waffenstillstand.” (http://www.woerterbuchnetz.de/woerterbuecher/lexer/wbgui?lemid=LT01808). Wolfram benutzt dieses Wort besonders oft in Bezug auf die sippe und vor allem bezüglich der sippe Heimrichs. Dies wird durch die bereits genannte Begriffsbedeutung offensichtlich. Alle genannten Ausdrücke beschreiben ein Verhalten, das zwischen Verwandten und/oder auch zwischen König und Reichsfürsten bestehen sollte. Die triuwe ist für Wolfram besonders wichtig in Bezug auf die Sippenzugehörigkeit, denn, wie bereits angesprochen, ist jedes Mitglied einer sippe zur triuwe des anderen verpflichtet. Genau an diesem Punkt liegt einer der konfliktreichsten Momente des Willehalm: die Szene am Hof in Munleun. Hier werden wir im Verlauf dieser Arbeit die Sippenkrise aufgrund des Fehlverhaltens bezüglich der triuwe erkennen können. 2 Die Vorstellung von Verwandtschaft, die sich von den anderen Werken Wolfram von Eschenbachs unterscheidet, hängt mit der Vorlage dieser Dichtung zusammen. Wolfram besaß als Vorlage ein französisches chansons de geste („Lied der vollbrachten Taten“) aus dem Zyklus 'La Bataille d'Aliscans', das zwischen 1180 und 1190 entstand. Es handelt sich hierbei um ein französisches Epos, das in die Gattung der Heldenepen eingeordnet werden kann.
4
der in diesem Werk dominiert, wird im Willehalm auch als familiäre
Auseinandersetzung dargestellt.
Das Hauptanliegen der Arbeit besteht also darin, nachzuforschen, wie Wolfram im
Willehalm die Verwandtschaftsbeziehung darstellt und problematisiert. Wichtig dabei
ist es, herauszufinden, wie die christlichen und heidnischen Beziehungen innerhalb der
verfeindeten Familien legitimiert werden und wie sie sich zueinander verhalten. Um
dieses Ziel zu erreichen, wird die Arbeit in fünf Kapitel aufgeteilt.
In einem ersten Abschnitt soll die Bedeutung der Verwandtschaft, genauer gesagt, das
Konzept "Verwandtschaft" Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts, im Überblick
aufgezeigt werden. Der Begriff der ‚Blutsverwandtschaft‘ wird dabei näher erklärt und
an konkreten Beispielen aus Wolframs Willehalm verdeutlicht. Da die Verwandtschaft
in diesem Werk vor einem religiösen Hintergrund thematisiert wird, muss
notwendigerweise der religiöse Aspekt der Verwandtschaft ebenso beleuchtet werden.
Ferner werden die Lexeme, die Wolfram für den Begriff Verwandtschaft anwendet,
sippe, geslehte, art, künne und mâge erläutert und ihr unterschiedlicher Gebrauch an
konkreten Beispielen erklärt.
Da Wolfram als Vorlage für seine Dichtung die französische „Chanson d’Aliscans”
verwendete, wird Wolframs Bedeutung der Verwandtschaft in der französischen
Vorlage verdeutlicht. Die Abfassungszeit des Willehalms lässt sich anhand von zwei historischen Daten im Werk festmachen: zum einen die Krönung Ottos IV. in Rom, die im Oktober 1209 stattfand (393,30-394,5: Do der keiser Otte / ze Rome truoc di krone, / kom der also schone / gevaren nach siner wihe, / mine volge ich dar zuo lihe / daz ich im gihe des waere genouc.) und zum anderen die Erwähnung des sogenannten driboc, eine Steinschleudermaschine, die in Deutschland zum ersten Mal 1212 bekannt wurde (111,9: driboc und mangen). Wolfram nennt außerdem zweimal den Landgraf Hermanns von Thüringen in seiner Dichtung, wobei die zweite Äußerung in diesem Kontext bedeutender ist. Dies geschieht im IX. Buch (417,22 ff.), wo es heißt:
lantgrave con Duringen Herman het in ouch lihte ein ors gegeben. daz kunder wol al sin leben halt an so grozem strite, swa der gerende kom bezite.
Die Forschung ist sich immer einig gewesen, dass Wolfram in diesen Versen den toten Landgrafen erwähnt, der Dichter, der den Willehalm erst nach 1217, dem Todesjahr des Landgrafen, vollendet haben muss. Man darf jedoch nicht vergessen, dass diese Daten nur Verweise und nicht Fakten sind. Die Forschung kann in diesem Sinne nur mit ungefähren und nicht mit sicheren Zeitangaben arbeiten. Wir können somit annehmen, dass Wolfram den Willehalm wahrscheinlich zwischen 1210 und 1220 abgefasst hat.
5
Der Hauptteil der Arbeit setzt sich mit der ausführlichen Interpretation der
Verwandtschaftsverhältnisse auf christlicher und heidnischer Seite auseinander.
Zunächst wird der religöse Krieg dem Verwandtschaftskrieg gegenübergesetzt.
Besonders hervorgehoben wird die minne und der Glauben Willehalms, die für ihn
zueinander gehören. Ferner wird der Unterschied zwischen den Christen (den getouften)
und den Heiden (den ungetouften) ausführlich erarbeitet, wobei die Haupthematik die
Verwandtschaft bleibt.
Als weiterer Aspekt wird die Verwandtschaft Willehalms thematisiert. Wolfram stellt
anhand der Figur Willehalms seine Vorstellung von triuwe in den Mittelpunkt und zwar
in Bezug auf die Verwandtschaft, die Christenheit, also Gott, und Willehalms Frau
Gyburc.
Das Verhältnis zwischen Willehalm und Vivianz wird aufgrund seiner Bedeutung für
den weiteren Verlauf der Dichtung näher bearbeitet. Ebenso die Enterbung Willehalms
und seiner Brüder durch ihren Vater Heimrich. Die Hofszene in Munleun wird in
Kapitel 4.1.3. erläutert, da diese Szene eine der Schlüsselepisoden und zugleich
Wendepunkt in Wolframs Willehalm ist. Am Königshof wird die Vertrauenskrise
innerhalb der christlichen sippe offenbart und das verwandtschaftliche Verhältnis mit
der Pflichtbeziehung innerhalb der sippe in Zusammenhang gebracht.
Ferner wird genauer auf Gyburc und ihre Verwandtschaft Bezug genommen. Im
Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Beziehung zwischen ihr und ihrem Vater,
Terramer. Terramer will für den Religionswechsel seiner Tochter Rache nehmen, denn
durch diese Handlung hat sie seine Götter geschändet und die ere der eigenen sippe
verletzt. Sehr deutlich wird an dem besonderen Religionsgespräch zwischen Vater und
Tochter, wie sehr Religion und sippe miteinander zusammenhängen. Gyburcs
bedeutendste Rede, die ihren inneren Zwiespalt zeigt, ist die sogenannte Toleranz- oder
Schonungsrede. In dieser Rede geht es Gyburc vor allem darum, dass die Christen im
Falle eines Sieges die Heiden schonen sollte, denn auch sie stammen von Gott. Diese
Rede wird erneut in Bezug auf die Religion und die sippe interpretiert.
In einem letzten Teil wird die Verbindung Rennewarts zu den Christen wie auch zu den
Heiden ausgeführt: Sein Hass gegen seine eigene sippe, den Heiden, und sein
entscheidender Beitrag, der den Christen in der letzten Schlacht zum Sieg vehilft.
Abschließend sollte die berühmte Matribleizszene nicht außer Acht gelassen werden,
die sowohl das Thema der Verwandtschaft wie auch der Religion bearbeitet.
6
Es gibt eine fast unüberschaubare Anzahl an Studien zu Wolfram. Obwohl die
Willehalm-Dichtung von der Forschung anfänglich eher stiefmütterlich behandelt
worden ist, gab es in den letzten Jahrzehnten auch zu Spätwerken Wolframs Arbeiten,
die sich mit vielen Aspekten der Dichtung auseinandersetzen.
Das Thema der Verwandtschaft ist in einer Reihe von Abhandlungen bereits besprochen
worden, jedoch eher nebensächlich, wie etwa bei: Helmut BRACKERT (1992),
Joachim BUMKE (1959), John GREENFIELD (1998), wobei es in dieser Studie kein
zentrales Thema ist, Christian KIENING (1991) und Ursula PETERS (1999). In der
Metzler-Einführung BUMKEs (2004) wird diese Thematik auch angesprochen.
In den letzten dreizehn Jahren sind aber zwei Studien erschienen, die sich ausdrücklich
mit der Verwandtschaftsbeziehung in der Willehalm-Dichtung befassen: Sylvia
STEVENS (1997) und Martin PRZYBILSKI (2000).
Stevens vergleicht in ihrer Studie Family in Wolfram von Eschenbach's Willhalm: mîner
mâge triuwe ist mir wol kunt den Willehalm mit der französichen Vorlage. Sie ist der
Meinung, dass Wolfram der Vater-Sohn Beziehung mehr Aufmerksamkeit schenkt, als
der Onkel-Neffen Beziehung. Ferner stellt Wolfram, ihrer Meinung nach, den Dienst
zum christlichen Gott, die Loyalität und die verwandtschaftliche Solidarität in den
Mittelpunkt des Willehalm. Insbesondere führt Stevens die Bedeutung des Begriffs
triuwe sowohl für die Christen, wie auch für die Heiden aus. Im Weiteren erklärt sie,
dass, aufgrund des offenen Endes, viele Fragen bezüglich einer möglichen
Konfliktlösung der Heiden und der Christen nicht beantwortet werden können.
In Przybilskis Studie sippe und geslehte, Verwandtschaft als Deutungsmuster im
"Willehalm" Wolframs von Eschenbach findet man eine ausführliche Erarbeitung
hinsichtlich eines Vergleichs mit der Realität der damaligen Epoche. Er fügt
historiographische und juristische Quellen des 9. bis zum 13. Jahrhundert für diesen
Vergleich an. Ferner bearbeitet er die mittelhochdeutschen Verwandtschaftslexeme und
stellt die soziale Struktur der Heiden und Christen dar. Er geht insbesondere auf die
Gewalt im Willehalm ein und ist der Meinung, dass Wolfram die Folgen des Krieges
und das Leid aufzeigen will. Er betont, dass es sich beim Willehalm um ein Fragment
handelt und in Bezug auf Willehalm und Gyburc geht er auf die Heiligkeit der Figuren
ein. Der Glaube und die sippe sind in seiner Ausarbeitung besonders präsent.
7
Nach dieser kurzen Erörterung der Studien von Stevens und Przybilski werde ich mich
jetzt mit der Bearbeitung der Verwandtschaft im Mittelalter und in Wolframs Willehalm
auseinandersetzen. Ich möchte aufzeigen, wie zentral die Verwandtschaftsthematik in
Wolframs Willehalm ist: Sie stellt den eigentlichen Ausgangspunkt des Konflikts
zwischen Heiden und Christen dar. Die Verwandtschaft verbindet sich mit vielen
anderen thematischen Bereichen des Willehalm, mit Problemfeldern wie Glaube, minne
und triuwe.
2. Die Bedeutung der Verwandtschaft
DUBY definiert den Begriff ‚Verwandtschaft‘ folgendermaßen: „Verwandtschaft
bezeichnet eine abstraktere Beziehung als das Zusammenleben unter einem Dach und
wirft Probleme eigener Art auf.”3
Im Mittelalter ist das Verständnis von Verwandtschaft auch vergleichbar mit der
heutigen Bedeutung von ‚Familie‘. Es gibt jedoch einige Unterschiede zwischen beiden
Begriffen.
Verwandtschaft im Mittelalter ist auch vertraut mit dem Konzept der ‚Vasallität‘4. So
wird es auch im Willehalm dargelegt (vgl. mage und man het er gebeten; 9,7).
Eine Gruppe war nur dann wirklich beständig, wenn die Verbindung beider, der
Vasallität und der Verwandtschaft, bestand. Im Willehalm haben wir ein sehr gutes
Beispiel, und zwar in Bezug auf Willehalms Schwester, die mit dem König Loys
verheiratet ist, zu dem Willehalm ebenso als Markgraf/Ritter ein Vasallenverhältnis hat.
In diesem Falle begegnen wir ebenso einem rechtlichen Verhältnis, dass das
Verwandtschaftssystem mit sich brachte, denn im Falle eines Krieges, Kampfes oder
Feldzugs, besaß die ‚Blutsverwandtschaft5‘, einen Zwang zu Beistand und
3 Duby 1990: 95
4 „Vasall, im MA der Freie, der sich (zunächst aus Not) in den Schutz eines mächtigen Herrn begab, von diesem seinen Unterhalt bezog und sich dafür zu Gehorsam und Dienst, später zu Rat und Hilfe verpflichtete. Die Vasallität, das persönl. Verhältnis zw. dem V. und seinem Herrn, war ein wichtiges Element des Lehnswesens.” (Meyers Grosses Taschenlexikon, Band 23, 1983: 86)
5 Der große Brockhaus, Band 2 1953:„ lat. cognatio, die Verwandtschaft durch Abstammung einer Person von einer andern oder zweier Personen von einer dritten.” S.195
8
Hilfeleistung. Das Verwandtschaftssystem basiert aber auf verschiedenen Arten von
Verhältnissen.
Im Willehalm zeigt sich diese Verhaltensweise anhand von Willehalms Schwester und
Schwager. Der König und die Königin leisten ihm bei dem Kampf gegen die Heiden nur
Hilfe, weil es um die Bedrohung ihres Reiches bzw. des christlichen Glaubens geht, und
nicht, weil diese gegen einen bzw. mehrere seiner Verwandten vorgehen.
Somit können wir festhalten, dass, laut DUBY „»Verwandtschaft« [...] hauptsächlich als
Gattungsbegriff für eine Sozialfunktion verstanden [wurde], die unterschiedliche
Sphären der Gesellschaft miteinander verknüpfte”6.
Der hauptsächliche Unterschied zwischen der Vasallität und der Verwandtschaft war
somit die Blutsverwandschaft, der kein Verwandter entfliehen konnte und zur steten
gegenseitigen Hilfe zwang.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass sich alle Beziehungen der Männer
innerhalb eines Verwandtschaftssystems auf gleicher Ebene befanden, denn die
Empfindungen und die êre für einen Bruder unterschieden sich in keiner Weise von
denen eines Vetters beispielsweise. Die êre nahm eine wichtige Rolle innerhalb der
Verwandtschaft ein. Sie musste und wurde von jedem Mitglied befolgt. Wurde diese
von jemanden gebrochen, so geriet das ganze System ins Wanken.
Es war notwendig für die Adelsgesellschaft des Mittelalters, einem
Verwandtschaftsverband anzugehören, denn dies bestätigte ihre soziale Stellung
innerhalb der Gesellschaft.
Wie wir am Beispiel der Figur des Vivanz (Neffe Willehalms) sehen werden, gehören
die Neffen ebenso zu den engsten Verwandten. Die Familie des Markgrafen
Willehalms, dessen Oberhaupt der Fürst Heimrich (Willhelms Vater) mit seiner Ehefrau
Irmschart von Narbonne ist, und zu der seine Brüder, Schwestern und Neffen gehören,
stellen ein Verwandtschaftssystem dar, dass sich über drei Generationen erstreckt.
Die Familie von Terramer hingegen ist weitaus komplizierter, da diese
Verwandtschaftsorganisation mehrfach unterteilt ist und engere wie auch weitere
Verwandten besitzt. STEVENS betont:
„In contrast to Terramer’s extensive family forces, Willehalm’s smaller family is more representative of the family unit during the twelfth and
6 Duby 1990: 99
9
thirteenth centuries; the margrave cannot summon limitless number of uncles, cousins, and nephews to assist him.”7
Doch wird diese komplexe Verwandtschaft durch eine exakte Terminologie der
Verhältnisse determiniert, wie die folgenden zwei Beispiele der beiden Hauptfiguren
der Terramer-Familie, Rennewart und Gyburc, verdeutlichen.
Rennewart wird unter anderem Terramêres kint (288,4) genannt und Gyburc bruoder
tohter (80,10). Von Seiten der Heimrich-Familie wird Gyburc als swester (120,2) von
Willehalms Bruder Ernalt bezeichnet und von Heimrich als gedienten tohter (250,25).
Wie an diesen Beispielen abzulesen ist, werden die jeweiligen Figuren durch ihr
Familienverhältnis mit der jeweiligen verwandten Person charakerisiert. Dadurch wird
diese Komplexität der Verwandtschaftssysteme, v.a. bezüglich der Heiden
hervorgehoben, die durch die Heirat zwischen Gyburc und Willehalm nur noch
komplizierter wird. Wie DUBY hervorhebt, „wenn er [Wolfram] Emereiz als
Willehalms stiefsun ( V. 75,3 und V. 206,29), Terramer als Willehalms sweher (V.
11,30) bzw. als Heimrichs sunes sweher (V. 407,9) [...] bezeichnet.”8
JONES unterstreicht diesen Gedanken, indem er sich folgendermaßen dazu äußert:
„The importance which Wolfram's works give the family unit becomes evident in this poem when we look at the family structure itself. Wolfram has carefully organized the families on both heathen and Christian sides by adopting the relations within the clans as they existed in Aliscans, but then going on to make them more detailed and more precise.”9
Diesen verwandtschaftlichen Verhältnissen, sowohl denen der Heiden als auch denen
der Christen, wird durch Gyburc und auch durch den Erzähler ein religiöser Einfluss
zugemessen, und zwar durch die problematische Formulierung der gotes hantgetat bzw.
der gotes kindere.
Der sogenannte 'Gotteskindschaftsgedanke' wird schon im Prolog durch den Erzähler
dargelegt: so bistu vater unt bin ich kint (1,8 ff.). Wolfram verdeutlicht hier die Idee der
Gotteskindschaft, die nur durch die Taufe des Menschen möglich ist: din kint und din
künne / [...] du bist Christ, so bin ich kristen (1,28). Die Christen sind also mit Gott
7 Stevens 1997: 20
8 Duby 1990: 315
9 Jones 2002: 70
10
verwandt und genau diese transzendete Verwandtschaft verstärkt die Idee der Gleichheit
aller Christen und die Andersartigkeit der Heiden.
SCHRÖDER charakterisiert die Gotteskindschaft auf folgende Weise:
„Diese Gedanken entsprechen völlig der kirchlichen Meinung: die Gotteskindschaft ist ein dem Menschen geschenktes, neues übernatürliches Sein, das ihn zum Kind Gottes macht. Sie ist eine formale Wirkung der heiligmachenden Gnade, die dem Menschen in der Taufe verliehen wird. Ihrem Wesen nach ist sie etwas von der Natur verschiedenes. Die Taufe beseitigt die Erbsünde und vermittelt den Stand der Gnade, sie ist die notwendige Voraussetzung zur Erlangung des Heiles. Christen sind bei Wolfram immer die getouften, getoufte diet.”10
Gyburc führt in ihrer „Toleranzrede“ (306,12-310,30) noch einen anderen
Gedankengang aus, denn, da alle Kinder als Heiden auf die Welt kommen und erst
durch die Taufe zu Christen werden, waren auch die Christen einst Heiden und somit
alle Kinder Gottes. Sie sagt: schonet der gotes hantgetat. / ein heiden was der erste man
/ dengot machen began (306,28-30).
Im Prolog wird also die Gotteskindschaft dargestellt, die mit der Taufe erklärt wird und
somit der übernatürlichen Sphäre zugesprochen werden kann, wohingegen in Gyburcs
Rede die natürliche Kindschaft, also, wie BERTAU wiedergibt, eine
"Gottesgeschöpflichkeit, die durch die Geburt erworben wurde"11 erläutert wird, zu der
auch die Heiden gehören.
Im Laufe der vorliegenden Arbeit soll auf diese Thematik besonders in Bezug auf das
Verhältnis von Gyburc und ihren Vater näher eingegangen werden.
Im Prolog geht es um eine Lobpreisung des Schöpfers (1,20-22: dîner gotheit mich ane
strit / der pater noster nennet zeinem kinde erkennet.) und den Kindschaftsgedanken.
RUH ist der Meinung, dass „Der ‚Willehalm‛-Prolog [...] die Dichtung als geistlich
orientiertes Werk [ausweist] ”12. Dabei scheint das Konzept der Verwandtschaft
Wolframs einer religiösen Sphären zugrunde zu liegen.
Gerade im Willehalm, in dem im Mittelpunkt der Kampf der Heiden gegen die Christen
steht, wird deutlich, wie sehr die Verwandtschaft im Mittelalter in politischer und
10 Schröder 1978: 355
11 Bertau 1983: 255
12 Ruh 1980: 160
11
militärischer Hinsicht von großer Bedeutung war. Die Verwandtschaft diente als Hilfe
und Schutz jedes Einzelnen, der diesem Verband angehörte und wurde im Falle eines
Krieges dazu aufgefordert, für seine Verwandtschaft einzutreten. Dies wird besonders in
der Szene in Munleun, wo Willehalm seine Familie um Hilfe im Kampf gegen die
Heiden bittet, ganz klar.
2.1. Die Lexeme sippe, geslehte, art, künne und mage im Willehalm
Die Verwandtschaft der Menschen im Mittelalter trägt einige Unterschiede bezüglich
der Begriffsanwendung mit sich, die verdeutlicht werden müssen, um die Komplexität
dieses Themas transparenter zu machen.
Im vorherigen Kapitel wurde bereits die ,Blutsverwandtschaft‛ angesprochen, auf die
nun genauer eingegangen werden soll. Diese Verwandtschaft, die man im
Mittelhochdeutschen mit sippe bezeichnet kann agnatischer oder kognatischer Art sein.
Mit der agnatischen, auch festen Verwandtschaft (im frz. lignage) oder heutzutage eher
bekannt unter der Bezeichnung "der in gerader Linie Verwandten", ist die Abfolge der
Geschlechter gemeint, d.h. die Vorfahren oder Großeltern, die Eltern und ihre
Abkömmlinge. Zunächst einmal wurde unter dieser Bezeichnung nur die
Abstammungen der männlichen Linie in Betracht gezogen, später dann auch die
weibliche. DUBY erläutert die agnatische sippe folgendermaßen: „Die agnatische Sippe
hängt innig mit dem Ehepaar zusammen [...] Die typischste und aktivste »feudale»
Verwandtschaftsgruppe bestand aus erwachsenen Brüdern und Vettern”13. Diese
Beschreibung passt gut zu der sippe Heimrichs, die im Willehalm dargestellt wird. Das
Ehepaar Heimrich und Irmschart und die Verwandtschaftsgruppe, die sich aus den
Söhnen Willehalm und Brüder zusammensetzt und die Vetter bzw. Neffen, die im Laufe
der Geschichte erwähnt werden.
Die kognatische, auch wechselnde (im frz. parenté) Verwandtschaft ist im Sinne der in
Seitenlinie Verwandten, wie Geschwister und Neffen, zu verstehen, also diejenigen, die
von einer hinzukommenden dritten Person abstammen (im Gegensatz zur agnatischen
Verwandtschaft).
13 Duby 1990: 125
12
Die Schwäger- und Stiefverwandtschaft darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden,
besonders weil wir dieser Art von Verwandtschaftsbindung im Willehalm begegnen.
Durch die Heirat von Willehalm und Gyburc kommt es natürlich zu
Schwägerbindungen und da Gyburc einen Sohn hat, ist Willehalms Beziehung zu ihm
die eines Stiefvaters.
Die Einheit der sippe zeigt sich anhand der Thematik der Identität, die im Willehalm
immer wieder auftritt: niht wan ein verh uns beiden (168,16). Die sippe stellte die
Basisstruktur der Politik des Mittelalters dar. Rechtlich wie auch politisch wurde alles
streng innerhalb der sippe geregelt (Erbaufteilung, soziale Stellung usw.). Folglich
besaß die sippe eine überaus große Macht in der Gesellschaft.
Im Mittelalter gab es für den Begriff Verwandtschaft mehr als eine wörtliche
Entsprechung. Eine der Bekanntesten ist die sippe:
„Das Lexem sippe [...] seit den ersten Belegen im 8. Jahrhundert zur Bezeichnung des
Kreises der Blutsverwandten [...] erst in den deutschen Quellen des Mittelalters kommt
dem Lexem sippe als „Verwandtschaft" eine größere Bedeutung zu.”14
Der Begriff sippe15 ist im mittelhochdeutschen sowohl für die Blutsverwandten als auch
für die Angeheirateten anwendtbar und zwar väterlicherseits wie auch mütterlicherseits,
wie aus den folgenden Beispielen aus dem Willehalm hervorgeht:
Ob ich mich nu dar umbe sene, daz ist ein verre sippez klagen. (408,30-409,1) mir ist wol ein dinc sol kunt an iu, künec Matribleiz, daz ich die wâren sippe weiz zwischen iu und dem wîbe min. (461,24-27)
Doch beschränkte sich Wolfram in seinem Werk nicht nur auf den Terminus sippe,
denn es gab noch andere Termini wie sippe, geslehte16, art17, künne18 und mage19, die er
14 Przybilski 2000: 52/53
15 „sippe stf. blutsverwandtschaft; verwandtschaftsgrad; angeborene art. ” (Lexer 1992: 195)
16 „ge-slehte, -sleht, -slahte, -slaht stn. geschlecht, stamm, familie, adelige abstammung; geschlecht, sexus; natürliche eigenschaft; etymologische verwandtschaft.” (Ib.: 66)
17 „art stmf. [...] herkunft, abkunft; angeborene eigentümlichkeit, natur; beschaffenheit, art” (Ib.: 7/8)
18 „künne stn., md. kunne, konne geschlecht, familie, verwandtschaft; persönl. kind, verwandter” (Ib.: 118)
13
benutzte, wobei die Definition der ersten drei Lexeme weniger eindeutig ist und vor
allem der Begriff art schwierig zu erklären ist.
Der mittelalterliche Adel besaß ein äußerst entwickeltes Bewußtsein der sippe und der
Abstammung. Die adlige Gesellschaft zielte vor allem darauf, ihre sippe auszuweiten,
was natürlich oft zu Streitigkeiten innerhalb der exisitierenden sippe führte.
Zwischen dem 10. und 11. Jahrhundert kommt es jedoch zu einer Veränderung des
Verwandtschaftsbewußtseins, wie PRZYBILSKI hervorhebt: „von der cognatischen
Sippe hin zum dynastisch orientierten agnatischen Geschlecht”20.
Geslehte ist nun also das Schlagwort bzw. das benutzte Lexem für die agnatische
Verwandtschaft väterlicherseits und nun geht es in dem verwandtschaftlichen Verbund
darum, den Status und Besitz zu schützen und zu sichern.
Der Begriff gesleht erscheint sowohl auf Seiten der Heiden wie auch der Christen in
Verbindung mit der Trauer um die gefallenen Verwandten in der Schlacht:
[Terramer:] al miner gote heilekeit solte erbarmn und guotiu wip, daz ich so manegen werden lip uz mime geslähte alhie verlos. (354,10-13) Heimrich al eine mich nu erbarmet sere, daz die endelosen ere so tiuwer sin alter koufte und anderstunt sich toufte sin geslehte da in bluote. (405,20-25)
Im Gespräch zwischen Gyburc und Rennewart (6. Buch) benutzt Gyburc das Lexem
geslehte, als sie ahnt, dass Rennewart ihr Verwandter ist, wobei sie sich im Verlauf der
Unterhaltung immer sicherer wird: ir herze spehte rehte / daz er uz geslehte / endeliche
waere erborn (291,27-29).
Aber auch künne hat ungefähr dieselbe Bedeutung wie geslehte. Die Idee der
Genealogie ist hier ebenso vertreten, doch gibt es einen kleinen Unterschied: Bei dem
Begriff künne handelt es sich um weitere Personenkreise.
Dieser genealogische Gesichtspunkt wird im Willhalm besonders hervorgehoben: hie
sitzet min künne almeistic gar, / dar zuo ein wip diu mich gebar (144,23 f.).
19 „mâc, -ges stmf., mâge swm. blutsverwandte person in der seitenlinie” (Ib.: 132)
20 Przybilski 2000: 62
14
Damit wird verdeutlicht, dass Irmschart, die durch ihre Heirat zur Verwandtschaft
gehört, in diesem Sinne nicht zur künne dazuzählt, denn sie wird als eine einzelne
Person (wip) angesprochen.
Wolfram verwendet wie wir sehen im Eingangsgebet (1,16-19) die Lexeme künne und
sippe: din kint und din künne / bin ich bescheidenliche, / ich arm und du vil riche. / din
mennischeit mir sippe git.
Beide Begriffe werden in einem religiösen (Gebets-) Zusammenhang benutzt, was im
Mittelalter für die adlige Gemeinschaft von besonderem Interesse war. Um künne und
sippe auf eine andere Art und Weise unterscheiden zu können, kann man sagen, dass
künne die Verwandtschaft in einer diachronischen Sichtweise darstellt, somit die
Genealogie fokussiert. Die sippe hingegen bezeichnet den synchronischen Aspekt der
Verwandtschaft, also die verwandtschaftlichen Verbindungen zu einer bestimmten Zeit.
Ebenfalls Träger der Bedeutung von Blutsverwandtschaft ist das Lexem mac oder
mage, aber es bezeichnet ebenso auch die Seitenverwandten und hierbei die etwas
entfernteren, wobei die angeheirateten Verwandten nicht vollkommen miteinbezogen
werden.
Der Begriff mage steht also für Verwandte im allgemeinen, ob es sich dabei nun um
Lebende oder um Tote handelt. Dieses Lexem wird im Willehalm oft zusammen mit den
Wörtern Kind, Vater oder Geschwister benutzt und weist damit auf eine intensivere
verwandtschaftliche Verbindung hin, wie im Willehalm an einigen Stellen zu erkennen
ist:
al mine mage und miniu kint (263,5) vater, bruoder und mage (269,9) min vater und die bruoder min, und die mir ze magen sin benant (297,8-9) al mine mage und mine bruoder (453,17)
Bernhart, Willehalms Bruder, macht einen sehr schönen und klärenden Unterschied
zwischen dem Lexem mage und sippe, indem er sagt:
unser mage ich niht für geste han: so het diu sippe missetan: den getruwet min vater und ouch wir. (301,25-27)
Mit mage bezeichnet er die Verwandten, die in dem Moment gegenwärtig sind, und mit
sippe diejenigen, die Willehalm in seinem Vorgehen gegen die Heiden unterstützen
werden.
15
Wie von mehreren Forschern gleichsam vertreten wird, bedeutet „Art [...] die Qualität,
die einem Menschen aus seiner Zugehörigkeit zu einem Geschlecht zukommt.”21 Dieser
Begriff ist einer der schwierigsten zu definieren.
Er kann zum einen als Synonym für geslehte gebraucht werden. Ein Beispiel hierzu aus
dem Willehalm: da von sich krenket unser art (157,17); er jach, uz israhelischer art
(219,4); die erborn sint von miner art. (318,11). Zum anderen beinhaltet er eine
spezielle Charaktereigenschaft oder –qualität: der swan ist zweir slahte gevar: / also
was ouch Josweizes art (386,20-21), die der Person angeboren ist und ihre Zukunft
bestimmt. Doch wie von STEVENS geäußert: „occasionally, however, an outsider can
create the appropriate environment that helps a person find his true art.”22
Außerdem wird das Lexem art sehr oft im Zusammenhang mit Macht und adligen
Charakterzügen, die von Ritter zu Ritter innerhalb eines Geschlechtes weitergegeben
werden, benutzt. So im Willehalm: heten mit krefte und mit art (26,17); du bist von
hoher art mein kint (257,16); und din richeit und din hohen art (342,19). Der Wortlaut
von hoher art verdeutlicht diesen Gedanken. Diese adlige art wird auch nochmal
offenbar, als Wolfram über den Sohn Terramers spricht, indem er sagt:
da ieslicher krone vor sinen vürsten schone truoc mit krefte und mit art. (30,7-9)
KNAPP vertritt die Meinung, dass „Wolfram [...] nun ebenso die Einheit aller
Menschen [betont], ihre Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, wie die spezifische
Prägung des einzelnen durch seine 'art'.”23 Hier finden wir erneut die Idee, dass alle
gleich sind, Heiden wie auch Christen.
Aus diesen verschiedenen erläuternden Definitionen der Lexeme, die im Mittelalter und
insbesondere im Willehalm, für unsere heutige Bedeutung des Begriffs "Familie"
verwendet wurden, geht hervor, dass diese Begriffe den verwandtschaftlichen
Beziehungen der Heiden und der Christen ein ansprechendes Ausmaß verlieh. Es wird
deutlich, dass sowohl die Christen wie auch die Heiden gemeinsame Werte und
Charaktereigenschaften teilten, also sich nicht so deutlich voneinander unterschieden,
21 Winfried Frey, Walter Raitz, Dieter Seitz 1979: 202
22 Stevens 1997: 15
23 Knapp 1970: 3
16
wie sie vielleicht dachten. Dies gilt auch für das Publikum, das den Standpunkt der
Christen bzw. des christlichen Glaubens vertrat.
KNAPP führt weiter aus: „Aus Wolframs Vorstellung für den Wert “Verwandtschaft”,
der uns heute so gut wie gar nicht mehr zugänglich ist, scheint die Vorstellung einer
gemeinsamen Menschenwürde für Heiden und Christen zu erwachsen.”24
Wir haben es im Willehalm mit zwei sehr großen Verwandtschaftsverbänden zu tun: auf
der einen Seite die Christen, das geslehte Heimrichs und auf der anderen Seite die
Heiden, die sippe Terramers. Beide Verwandtschaftsbande treffen mit ihren Heeren
aufeinander, wodurch Religion, Krieg und Verwandtschaft die drei Hauptthematiken
dieses Werkes bilden, wie im Folgenden genauer erläutert werden soll.
Im Willehalm handelt es sich um eine völlig andere Vorstellung von Verwandtschaft als
in der Welt des Grals25 oder Arturs26.
Zuvor soll jedoch noch etwas genauer auf die Verbindung des Willehalm zu seiner
französischen Vorlage eingegangen werden, um den Grund der Verlagerung der
Themenschwerpunkte dieser deutscher Dichtung zu verstehen.
3. Zu Wolframs Bedeutung der Verwandtschaft in der französischen Vorlage
Äußerst wichtig zu beachten ist, dass Willehalm kein höfischer Roman ist, wie z. B.
Parzival, sondern wie LOFMARK bemerkt „it is for all its heroic sources and its
possible affinities to legend or heroic literature, a German courtly epic”27. BRACKERT
ist der Meinung, dass „eine sichere Zuweisung”28 unmöglich ist. Er wie auch andere
Forscher vertreten die Meinung, dass es sich bei diesem Werk um eine Mischform
handelt. Der Willehalm kann demnach in die Gattung des Heldenepos29, des höfischen
24 Knapp 1970: 16
25 Hierbei bildet die Verwandtschaft eine Verbindung mit der Sündenthematik.
26 In diesem Falle gibt es in der Verwandtschaft die Chance, sich mit den Feinden auszusöhnen.
27 Lofmark 1972: 140
28 Brackert 1992: 161
29 „in Unterschied zum höf. Epos [...] ein Synonym für das Epos im strengem Sinn, das - oft fast versunkenes und aus der Vorväterzeit in Sagen und Liedern überliefertes-histor. Geschehen und z.T.
17
Romans30 oder auch als Form einer Legende 31 eingeordnet werden. Für die höfische
Epik spricht die geschlossene Gliederung und die Einheit des Werkes.32
Den Bezugspunkt zur Legende liegt vor allem im Prologteil, wo man den Anruf und die
Preisung des Schöpfers (Schöpferlob von 1,29-2,15), also Gott, und des heiligen
Willehalm vorfindet (Heldenlaudatio setzt in 2,28 ein; 3,11: Comte Guillaume
d'Orange). Die Dichtung besitzt zwar legendäre Elemente, aber dies heißt nicht, dass es
sich ausschließlich um eine Legende handelt. Außerdem spricht die Tatsache, dass
Wolfram selbst dreimal den Willehalm als aventiure bezeichnet, dagegen (7,14: den diu
aventiure wil meinen; 302,1: [D]er dise aventiure bescheiden hat; 402,29: dirre
aventiure maere).
BRACKERT betont, dass „[d]as Diskontinuierliche, die Durchbrechung der
Gattungseinheit [...] gerade als das Neue [erscheint]”33. Dieses „Opus mixtum”34
resultiert vor allem daraus, dass der Autor bei seiner Zuhörerschaft nicht davon
ausgehen durfte, dass diese den französischen Epenzyklus kannte. Dies führte natürlich
zu Problemen bei der Komposition des Werkes. Wolframs Publikum bzw. das deutsche
Publikum war an die Artusromane gewöhnt, an deren typische und traditionelle Form,
und so musste Wolfram seine Quelle im Sinne einer Anpassung an den Stil der
höfischen Epik umarbeiten, um den Erwartugen seines Publikums entgegen zu
kommen.
auch myth. Überlieferung reflektiert und sich um Heroen bzw. Heldengestalten kristallisiert. [...] Bes. sind die Heldenepen des MA zu nennen, die frz. Chansons de geste aus der Karolingerzeit” (Meyers Grosses Taschenlexikon, Band 9, 1983: 270)
30 „erzählende Großform der höf. Dichtung des MA. Gegenstand ist die als Vorbild und Legitimation der Feudalgesellschaft gedachte Darstellung eines idealen Rittertums, Hauptfigur ist der höf. Ritter, der sich meist im Dienste seiner Minnedame auf Turnieren und in Zweikämpfen mit Rittern und Fabelwesen auszeichnet und seinen Paltz in der höf. Welt und vor Gott zu bestimmen lernt. [...] herausragendste Werke sind [...] Wolfram von Eschenbachs „Parzival" (um 1200)” (Meyers Grosses Taschenlexikon, Band 10, 1983: 27)
31 „kurze, volkstüml. religiöse Vers- oder Prosaerzählung, urspr. über das Leben von Heiligen und Märtyrern [...] Einen ersten breiteren Aufschwung nahm die L. mit der Verbreitung der Heiligenverehrung im 6. Jh.” (Meyers Grosses Taschenlexikon, Band 13, 1983: 52)
32 Ruh 1980: 191
33 Brackert 1992: 161
34 Ruh 1980: 190
18
Natürlich liegt bezüglich der Struktur zwischen dem Artusroman und der Heldenepik,
sowie in Bezug auf die Sichtweisen beider Welten, ein großer Unterschied, der jedoch
von Wolfram nicht aufgehoben wird.
Im Gegenteil: Er integriert sogar die Unterschiede, indem er sie miteinander vermischt.
So werden die politischen Probleme beispielsweise in äußerst konfliktreiche
zwischenmenschliche Beziehungen umgewandelt, in verwandtschaftliche Verhältnisse,
wie an der Hofszene in Munleun deutlich wird. Willehalm und seine Schwester, die
Königin, gelangen mit Hilfe von Alyze und Irmschart zu einer vermeintlichen
Versöhnung. Die politischen Konflikte werden jedoch nicht komplett außer Acht
gelassen. Sie werden anhand der Auseinandersetzung zwischen Willehalm und König
Loys verdeutlicht, in der die machtpolitischen und lehnsrechtlichen Entscheidungen
dargestellt werden, wobei die Ethik nicht vernachlässigt wird. Somit werden die
verwandtschaftlichen und die lehnsrechtlichen Beziehungen miteinander verbunden.
Auf diese Weise wird deutlich, dass ohne ein funktionierendes triuwe-Verhältnis eine
Lösung des Konflikts nach außen, also ein erfolgreicher Kampf gegen die Heiden, nicht
möglich ist. König und Reichsfürst, sowie auch Schwester und Bruder, also die sippe,
müssen sich gegenseitig anerkennen, ihr Abhängigkeitsverhältnis respektieren, um
Stabilität und Harmonie zu erreichen. Nur so ist es ihnen möglich, erfolgreich gegen
äußerliche Bedrohungen vorzugehen. Dieser Gesichtspunkt wird im Willehalm durch
Wolfram im Gegensatz zu seiner französischen Quelle viel stärker hervorgehoben.
Die Kreuzzugsthematik steht im Willehalm zwar nicht so sehr im Zentrum wie in der
'La Bataille d'Aliscans', dennoch wird sie angesprochen. Anhand der Thematik der
Kreuzzüge und im Einklang mit der chanson de geste, die ihren französischen
Nationalcharakter mit dem Kampf für den christlichen Glauben und gegen die
Sarazenen (die Heiden) verbindet, wird der Kampf um den Glauben und das Reich
dargestellt und die zwei Leitgedanken dieses Werkes problematisiert: Religion und
Verwandtschaft.
Es geht in diesem Werk also um einen heiligen Krieg und ebenso um einen
Verwandtschaftskrieg, wie JONES verdeutlicht: „Wolfram's Willehalm describes a holy
war, but this holy war is also a family war - the struggle of two sippen for the sake of a
woman”35.
35 Jones 2002: 70
19
Wolfram hat im Gegensatz zu seiner französischen Vorlage nicht nur Willehalm,
sondern auch Gyburc zu einer der Heldenfiguren erhoben und beide in den Mittelpunkt
des Werkes gerückt, dafür im Gegenzug die Figuren Rennewart und Vivianz
voneinander distanziert.
Gleichzeitig wird durch die Kreuzzugsbewegung das zeitgenössische gewöhnliche Bild
des Heiden, das durchgehend negativ war, überprüft und verändert, wie EHRISMANN
betont: „Aber die stärkste geistige Umformung hat Wolfram dadurch geschaffen, daß er
die religiöse Intoleranz durch ihr Gegenteil, durch Humanität ersetzt hat.”36
Dies werden wir besonders in der Erläuterung der sogenannten Toleranz- oder
Schonungsrede Gyburcs in dieser Arbeit feststellen können.
Wolfram erzählt die Geschichte von zwei sippen, die für ihren Krieg, in dem es viele
verwandtschaftliche Opfer gibt, selbst die Verantwortung tragen. Es geht hierbei um
einen verwandtschaftlichen und religiösen Krieg.
4. Der Willehalm - Religiöser Krieg vs. Verwandtschaftskrieg
Die Hauptthematik der vorliegen Arbeit ist die Verwandtschaft, die sehr eng mit den
Themen Krieg und Religion verbunden ist.
In der ersten Schlacht des Willehalm geht es hauptsächlich um den Glauben und um die
minne. Da Willehalm Tybalts Frau, Gyburc, raubt und sie sich anschließend zum
christlichen Glauben bekennt, geht dieser gegen Willehalm vor, um seine Frau
wiederzugewinnen. Terramer, Gyburcs Vater, tritt dazu, um seine Tochter um jeden
Preis in den heidnischen Glauben zurückzubringen, wie STEVENS erläutert:
„Throughout the entire first battle, the real object of Terramer’s and his family’s hatred is indisputably Willehalm, and every attempt is made to inflict as much pain as possible on the margrave and his family. The Saracens themselves clearly see Willehalm and his family, or more specifically ‘Heimrîches geslehte’, as the enemy.”37
Für Willehalm gehören minne und Glauben zueinander und er klammert sich an sie bis
ans Ende. Willehalm klagt nach der zweiten Schlacht um seinen vermissten Freund
36 Ehrismann 1927: 276
37 Stevens 1997: 24
20
Rennewart, dessen siegreiche Hilfe er sich bewusst ist und der ihm so lieb ist, wie ein
Blutsverwandter. Gleichzeitig gedenkt er der unvergleichbaren minne Gyburcs. Beides
wird im folgenden Zitat deutlich: wan din helfe und ir trost, / ich ware immer unrelost /
vor jamers gebende (456,19-21).
Der Ausgangspunkt der ersten Schlacht ist also Gyburc:
Gyburcs süeze wart in sur, Den heiden und der kristenheit. (12,30-13,1) Ey Heimrich von Narbon, dines sunes dienst jamers lon durh Gyburce minne enphienc. swaz si genade an im begienc, diu wart vergolten tiure, also daz diu gehiure ouch wiplicher sorgen pflac. (14,1-7),
doch wird dieser persönliche Kampf rasch mit dem Glauben vermischt. Willehalm sieht
in dem Kampf „die Aufgabe, Land und Glauben zu schützen.”38
Sehr bedeutend in diesem Kontext ist die 'Kreuzrede' Willehalms (16,25-17,22), in der
er den Kampf mit der Religion in Verbindung setzt und somit die 1. Schlacht zu einem
Kreuzzug erklärt. Hierdurch wird die Brücke zur Realität dieses Zeitalters gebaut. Die
Ritter werden als helde bezeichnet und ihr Ziel mit dem Ausspruch nu wert ere und lant
(17,19) klargestellt. Bevor die erste Schlacht in die Tat umgesetzt wird, hört man die
Schlachtrufe der Christen wie auch der Heiden:
si schriten alle Tervigant. daz was ein ir werder got; si leisten gerne sin gebot. Monschoy was der getouften ruof, die got ze dienste dar geschouf. (18,28-19,2)
Willehalms Rede stellt das Grundgerüst der Ethik dieses Kampfes dar: es geht bei dieser
Schlacht auf Alischanz darum, den christlichen Glauben gegen die Heiden zu
verteidigen, wie Willehalm selbst ausführt:
helde, ir sult gedenken und entlat uns niht verkrenken die heiden unsern gelouben, die uns des toufes rouben wolden, ob sie möhten. nu sehet war zuo wir töhten,
38 Wentzlaff-Eggebert 1960: 254
21
ob wir liezen den selben segen des wir mit dem kriuzes pflegen. wan sit sich kriuzes wis erbot, Jesus von Nazareth, din tot, da von hant vlühteclichen ker die boesen geiste immer mer. helde, ir sult des nemen war, ir traget sines todes wapen gar, der uns von helle erloste: der kumt uns wol ze troste. nu wert ere und lant, daz Apollo und Tervigant und der trügehafte Mahmet uns den touf iht under tret. (17,2-22).
Die Vorstellung der minne, die hier zugrunde liegt, bezieht sich auf den Minnelohn, den
die Ritter aufgrund ihres Dienstes, sowohl auf Erden wie auch im Himmel erlangen
werden. Auch die Heiden kämpfen für die minne, sie sind ebenso Minneritter, doch liegt
der Unterschied zwischen beiden im himmlischen Minnelohn, den es für die Heiden
aufgrund der fehlenden Taufe nicht gibt.
Minne und Religion bestimmen die erste Schlacht, in der die Heiden angreifen und die
Christen ihr geslehte verteidigen.
In den Vorbereitungen der zweiten Schlacht ändert sich die Lage. Da die Christen in der
ersten Schlacht eine Niederlage erleiden, bittet Willehalm den König und seine Familie
um Hilfe und Beistand. Durch diese Vorgehensweise gewinnt der Kampf gegen die
Heiden eine politische Dimension, da es nun um das riche geht, um Territorien. Auch
wenn es schon in der ersten Schlacht um das riche ging, tritt dieser Gedanke nun stärker
hervor. Es handelt sich in der zweiten und letzten Schlacht, um einen politisch-
religiösen Krieg. Dieser politisch-religiöse Beweggrund wird vor allem an Terramers
Verhalten gegenüber Gyburc deutlich. In diesem Verhältnis gerät die
verwandtschaftliche Bindung in Konflikt mit den politisch-religiösen Motiven. Dies
wird deutlich, als Terramer sich mit folgenden Worten an seine Tochter wendet: ei
süeziu Gyburc, tuo so niht. (217,15).
Der Kampf der Christen gegen die Heiden wird nun als Kreuzzug (Kreuz als Symbol
der Christenheit) vollzogen, wie man vom Erzähler erfährt: diu urteil vor dem riche /
wart gesprochen endeliche / und gevolget von den hoesten. (185,11-13).
Wolfram macht jedoch anhand seiner Figuren deutlich, dass für die Christen der Kampf
mit dem Glauben, also mit Gott, begründet wird:
22
got sol iu allen senden in iuwer herze sölhen muot, daz ir iu selben rehte tuot. (320,10-12)
WENTZLAFF-EGGEBERT erläutert hierzu:
„Die Tatsache seines Einsatzes [des Ritters] im Glaubenskampf in rechter Gesinnung und Opferbereitschaft erwirbt dem einzelnen Ritter irdischen Ruhm und himmlischen Lohn.”39 Darum geht es beim Kreuzzugsgedanken: dem „irdischen Ruhm und himmlischen Lohn” und dieser Gedanke erscheint im Willehalm stets in Verbindung mit der ritterlichen Ethik. WENTZLAFF-EGGEBERT vertritt die Meinung, dass die ritterliche Ethik „die von dem Ideal der „werdekeit" und der „minne" aus den Ritter zum Kampf treibt"40.
Auch Willehalm steht im Zeichen der Kreuzritter, denn sein persönlicher Grund,
nämlich Gyburc, lässt ihn in den Kampf ziehen. Desweiteren kämpft er auch für sein
Land und sein Territorium. Auf diese Weise werden beide Beweggründe im christlichen
Kreuzzug vereint. WENTZLAFF-EGGEBERT hebt hervor, dass „[d]as Rittertum des
weltlichen christlichen Ritters [...] in die christliche Weltordnung [eingefügt ist]”41. Die
Heiden hingegen ziehen nicht ausschließlich für ihre Götter in den Kampf, wie aus dem
folgenden Wortlaut Terramers hervorgeht: mich nam diu minne in ir gebot / noch serre
denne dedein min got (338,13-14).
Die Dichtung beginnt mit dem Prolog, in dem der Erzähler Gott anbetet und gleichzeitig
das Publikum anspricht, wie BUMKE erläutert:
„Mit der Verherrlichung der Trinität und der Rühmung von Gottes Schöpferkraft erzwingt er geradezu die Zustimmung der Hörer, da die Orthodoxie der Glaubenswahrheiten keine Diskussion erlaubt.”42
Auf diese Weise beginnt Wolfram die Thematik der Verwandtschaft, denn der Mensch,
genauer der Christ, ist durch die Taufe mit Gott verwandt, wie er selbst betont: din kint
und din künne / [...] du bist Christ, so bin ich kristen (1,28).
Es ist die Taufe, die die Heiden von den Christen unterscheidet und damit auch den
Kampf beider Religionen, denn die Christen haben Gott auf ihrer Seite, der sie vor der
39 Wentzlaff-Eggebert 1960: 257
40 Ib.: 257
41 Ib.: 251
42 Bumke 2004: 367
23
Hölle rettet und ihnen den "himmlischen Lohn" zuteil werden lässt (ein gutes Beispiel
hierfür ist Vivianz' Tod, auf den im Folgenden noch eingangen wird).
Somit haben wir es in diesem Werk mit zwei, sich feindlich gegenüberstehenden,
Gruppen zu tun: die Christen (getouften) und die Heiden (ungetouften), wobei die
Verwandtschaft beide miteinander verbindet, ohne die kriegerische Auseinandersetzung
aus dem Mittelpunkt zu rücken. STEVENS hebt diesen Gedanken hervor:
„very first lines of Wolfram’s poem when he introduces his audience to the three most important relationships in the entire work: the relationships between the Christian God and his children, between Heimrich and his sons, and between Terramer and Gyburc. […]”43
Und führt weiter aus, indem sie auf die übrigen Verwandten eingeht:
„the queen, Willehalm’s brothers, Louis, Vivianz, Gyburc’s brothers, and Rennewart. […] parent-child relationships […] reflect the tension between the demands of loyal service and familiar affection”44
STEVENS spricht in diesem Zitat die verwandtschaftliche Problematik der sippe
Heimrichs an, auf die nun näher eingegangen werden soll.
4.1. Willehalms Verwandtschaft
Zu Willehalms Verwandtschaft gehören die Eltern, Heimrich und Irmschart und die
Brüder Bertram, Buov, Heimrich, Ernalt, Bernart und Gybert und die Schwester, die mit
König Loys verheiratet ist. Vivianz, sein Neffe und Alyze, seine Nichte gehören
ebenfalls zu seiner sippe. Und natürlich Gyburc, seine Frau. Aufgrund dieser Heirat ist
Terramer, Gyburcs Vater, sein Schwiegervater und Gyburcs Sohn Eheremeiz, sein
Stiefsohn.
Willehalms Familie gehört dem christlichen Glauben an und Willehalm ist die
Verkörperung dieses Konzepts. Willehalms Taten werden immer im Zeichen der triuwe
vollzogen. PRZYBILSKI ist der Meinung:
„Für Wolfram bedeutet triuwe die „unbedingte Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Aufrichtigkeit, Wahrheit und Rechtlichkeit, überhaupt ein ethisches Verhältnis zwischen zwei Menschen, eine moralische
43 Stevens 1997: 6
44 Ib.: 6
24
Stufe, die für das Christentum charakteristisch und eigentlich nur einem Christen möglich ist, weil Jesus ihre Verkörperung darstellt”45.
Dieser „eine Christ”, von dem Przybilski spricht, ist Willehalm. Wolfram konstruiert
anhand dieser Figur seine Vorstellung von triuwe. Willehalm personifiziert die
Auffassung Wolframs in Bezug auf seine Bedeutung des Begriffes triuwe. Doch bringt
dieser Charakterzug in Bezug auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse Probleme mit
sich, wie wir im Verlauf dieser Arbeit sehen werden.
Laut GREENFIELD und MIKLAUTSCH „bestimmt die triuwe das ganze Verhalten
Willehalms; sie ist die bestimmende Eigenschaft.”46 Es ist also unumstritten, dass
Willehalm die Repräsentation der triuwe ist. Willehalm besitzt triuwe in Bezug auf
seine Verwandtschaft, die Christenheit, also Gott, und seiner Frau Gyburc. Damit sind
die „wichtigsten Instanzen des höfischen Lebens”47 umschlossen. Willehalm verbindet
seinen Kampf gegen die Heiden aufs Innerste mit der Liebe zu seiner Gattin Gyburc.
Beides ist für ihn nicht voneinander zu trennen, wie WENTZLAFF-EGGEBERT selbst
äußert: „menschliche Verpflichtung der „triuwe” gegen Gyburc und damit eng
verknüpft die Verpflichtung gegen Gott, [ist der Grund] seinen Kampf für die
Christenheit weiter zu kämpfen”48.
4.1.1. Willehalm und Vivianz
Wie bereits erwähnt wurde, stützt die sippe jedes zugehörige Mitglied. In kriegerischen
Situationen stellt die sippe das Zentrum der Heeresmacht dar. Aufgrund der Position der
sippe in diesen kriegerischen Auseinandersetzungen, ist es äußerst wichtig, jeden
Verwandten zu rächen. Genau dies geschieht in Bezug auf Vivianz, den Neffen
Willehalms. Willehalm ist Vivianz' leiblicher Mutterbruder. Er ist eine Art Vormund für
Vivianz. Es handelt sich in dieser Szene um die sogenannte Blutsrache. Diese Art von
45 Przybilski 2000: 218
46 Greenfield/Miklautsch 1998: 191
47 Ib.: 192
48 Wentzlaff-Eggebert 1960: 268
25
Rache wurde immer dann vollzogen, wenn die Mitglieder der Verwandtschaft der
Meinung waren, dass die Art und Weise, wie der Verwandte getötet wurde, ungerecht
war. Deshalb nimmt Willehalm auch keine der Ergebungsversuche Königs Arofels von
Persien an:
Arofel ane helfande ze Alexandrie in der habe, und daz man goldes naeme drabe swaz si mit arbeite trüegen, und guot geleite al dem horde unz in Paris. (79,15-21),
denn er will den Tod Vivianz rächen (er dahte am Vivianzes tot, / wie der gerochen
würde, 79,28f.) und tötet so den König auf grausame Art und Weise:
Arofel wart alda erslagen. swaz harnasches und zimierde vant an im des marcraven hant, daz wart vil gar von im gezogen un des houbet sin vür unbetrogen balde ab im geswenket und der wibe dienst gekrenket. (81,12-18)
Im Endeffekt wurde Vivianz von Halzebier erschlagen (46,24-27), dem Schwestersohn
Arofels. Deshalb muss Willehalm, als Vivianz' Mutterbruder, ebenfalls Halzebiers
Mutterbruder Arofel töten.
„Das Opfer der Rache für den Tod des Verwandten muß den korrekten
Verwandtenstatus besitzen, um die Todeswaage der Rache im Gleichgewicht zu
halten.“ 49
Zu beachten ist auch, dass Vivianz von Gyburc erzogen wurde:
als ein vogel sin vogelin ammet unde brüetet, also het si dich behüetet, almeistiv an ir arme erzogen. (62,26-29) Gyburc min amie het dich baz denne ir selber kint (63,20f.)
Als seine angeheiratete Tante ist sie für seine höfische Ausbildung sowie seine
ritterliche Ausrüstung verantwortlich: brunez scharlach braht von Gint / [...] daz hiezs
49 Przybilski 2000: 226
26
iu allen machen (63,22 u. 24). Als adlige Dame gehörte es sich, diesen Aufgabenbereich
wahrzunehmen.
Vivianz ist ein Blutsverwandter Willehalms, aber auch für Gyburc wie ein Sohn:
wand in diu künegin Gyburc von kinde zoch und im so riet daz sin herze nie geschiet von durhliuhtigem prise. (23,6-9)
Vivianz ist deshalb „der Verwandte des ersten Teils des ‚Willehalm schlechthin”50, er
ist eine „Art Prototyp des Verwandten”51, denn von nun an wird im Willehalm
wiederholt zur Rache der erschlagenen Verwandten, besonders Vivianz‘, aufgerufen
und zwar von mehr als nur von Willehalm: der newedern half sin krone, / ine gaebe im
daz ze lone / als ich Vivianzen ligen sach, / den ich sit Arofel rach. (206, 15-18), wie
z.B. auch vom Erzähler selbst:
nu wart uf Alyscanz gebiten / Vivianzes rache zite (240,2f.)
und natürlich auch von Gyburc:
ob iuch got so verre geeret, / daz ir mit strite uf Alischanz / rechet den jungen Vivianz
(306, 20-22).
Dies motiviert die Christen nach der ersten verlorenen Schlacht auf Alischanz, zur
zweiten Schlacht aufzubrechen.
Außerdem ist in Bezug auf Vivianz' Tod hervorzuheben, wie sehr Willehalm um ihn
klagt. Aufgrund seiner Blutsverwandtschaft mit ihm (mir sippe (62,1)), ist Willehalm
dazu verpflichtet, ihn zu schützen und wirft sich deshalb nach seinem Tod vor, ihn viel
zu jung in den Krieg geschickt zu haben:
we mir diner claren geburt! waz wold ich swertes umb dich gegurt? du soldest noch kume ein sprinzelin tragen. diner jugende schin was der Franzoyser spiegelglas. swaz dines liehten antlützes was, dar an gewuohs noch nie degein gran: war umbe hiez ich dich ein man?(67, 9-16)
Sehr deutlich wird an dieser Szene die verwandtschaftliche Nähe und die Pflichten, die
die verwandtschaftlichen Beziehungen mit sich bringen. 50 Przybilski 2000: 163
51 Ib.: 153
27
Hinzu kommt die Klage und der jamer Willehalms:
ei vürsten art, reiniu vruht, min herze mouz die jamers suht ane vreude erzenie tragen. waere ich doch mit dir erslagen! so taete ich gein der ruowe kere. jamer, ich muoz immer mere wesen dines gesindes. (60,21-26),
Dieser jamer war bei dem Tode eines Verwandten nicht auszuschließen. Der jamer wird
im Zusammenhang mit dem Herzen ausgesprochen: daz sus ungevüegiu not / in minem
herzen kan gewern (61,14f.). Dadurch wird das innere Leiden stärker hervorgehoben.
Die Gründe für dieses Leiden hängen hauptsächlich mit den Aufgabenbereichen des
Verwandten innerhalb der sippe zusammen, wie PRZYBILSKI darlegt:
„Willehalms Bewußtsein der schult gegenüber seinem Verwandten resultiert [...] aus der Einsicht in die Mißachtung des sozialen und rechtlichen Status' des noch unmündigen kint, aus der Verletzung seiner Verwandtenpflicht.”52
Dieses Klageleid Willehalms wird von Wolfram viel stärker hervorgehoben als in der
französischen Vorlage, was auch von mehreren Forschern, wie beispielsweise von
Bumke, bestätigt wird.
An dieser Szene wird deutlich, wie wichtig es Wolfram war, die Vorstellung der
Blutsverwandtschaft in der Vordergrund zu rücken.
In der Klage Willehalms um Vivianz wird außerdem schon im Voraus auf die Szene am
Königshof, einer der bedeutendsten Wendepunkte dieses Werkes, Bezug genommen, in
dem der Sippengedanke (geslehte) im Mittelpunkt steht, wie wir aus Willehalms
Worten erfahren:
so nu daz sure maere vreischet min geslehte, daz hohen muot von rehte trüege (wir warn gepriset), so werdent si gewiset in die jamerbaeren not (64,18-23)
Der Tod Vivianz‘ ist ein bedeutender Anlass für den Erhalt der von Willehalm
erbetenen Unterstützung seiner sippe in der zweiten Schlacht. Indirekt wird auch die
Idee ausgesprochen, dass der Tod Vivianz einer der Hauptgründe für die weitere
52 Przybilski 2000: 174
28
Handlung (die zweite Schlacht) dieser Dichtung ist. Es muss Rache für diesen Tod
genommen werden und zwar von der ganzen sippe, denn die triuwe der sippe
verpflichtet die gesamte Gemeinschaft zu dieser fortführenden Handlung. Genau aus
diesem Grund muss Willehalm Arofel töten, er muss „triuwe gegenüber seiner sippe
zeigen.”53 Die sippe trägt in diesem Sinne selbst die Verantwortung für die Fortführung
des Krieges.
Der Tod Vivianz‘ ist der Beweggrund für die von Willehalm so erhoffte Unterstützung
seiner sippe. Um diesen verwandtschaftlichen Konflikt verstehen zu können, muss
zunächst auf eine in der Dichtung vorherige Handlung Bezug genommen werden. Nur
so wird verständlich, wieso Willehalm eine hässliche Auseinandersetzung mit seiner
sippe am königlichen Hof in Anspruch nehmen muss, um letztendlich die Hilfe seiner
eigenen Verwandten zu erhalten.
4.1.2. Willehalms Enterbung
Die Enterbung der Söhne durch Heimrich von Narbonne wird von Wolfram von
Eschenbach direkt an den Anfang der Geschichte gesetzt. Der Erzähler spricht:
von Narbonn der grave Heimrich alle sine süne verstiez, daz er in bürge noch huobe liez, noch der erde dehein sin richeit. (5, 16-19),
Dieses Eingangszitat zeigt, wie sehr das Verhältnis zwischen Willehalm und seiner
Verwandtschaft gestört ist.
Im Prolog erfahren wir von der Enterbung Willehalms und seiner Brüder durch deren
Vater Heimrich (ouwe daz man den niht liez / bi sins vater erbe!; 7,16f.) und werden
damit in die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Hauptfigur Willehalm eingeführt.
Durch diesen Vollzug gerät das Verhältnis zwischen Vater und Sohn in Gefahr, denn
der Sohn wird vom Vater entfremdet. Es entstehen Anzeichen eines Konflikts, der
problematisch werden kann.
Außerdem wird das Publikum durch diesen thematischen Einschub zu Beginn der
Handlung, der in der französischen Vorlage keine Entsprechung findet, mit dem Thema 53 Greenfield/Miklautsch 1998: 190
29
Verwandtschaft konfrontiert. Dies zeigt die außerordentliche Bedeutung dieses Themas
für Wolfram.
Die Verwandtschaftsthematik ist ein Leitmotiv dieses Werkes und insbesondere das
gestörte Verhältnis zwischen Vater und Sohn bzw. im Falle Gyburcs zwischen Vater
und Tochter. Die Konsequenz der Enterbung Willehalms und der Religionswechsel
Gybrucs ist der Krieg, in den sowohl die Verwandtschaft der Christen, wie auch die der
Heiden hineingezogen wird.
Da Willehalm der Erstgeborene ist und damit der Haupterbe gewesen wäre, trifft ihn die
Enterbung natürlich härter als seine anderen Geschwister. Er muss seine Stellung in der
Verwandtschaft neu bestimmen, wie STEVENS bemerkt: „the need for the individual to
recognize his place in the family”54.
Dies zeigt sich in den Auseinandersetzungen, die er mit seinen geslehte im Verlauf der
Handlung hat. Ein Beispiel hierfür ist die Szene mit seinem Bruder Ernalt im dritten
Buch:
dem marcraven was so zorn, daz er in gern het erslagen. (118,14-15) Sein zorn (aufgrund der toten Verwandten der ersten Schlacht, insbesondere der Tod
seines Neffen Vivianz') treibt ihn dazu, seinen eigenen Bruder fast umzubringen, doch
wird dies durch die Identitätsoffenbarung Ernalts verhindert: ich binz der grave Ernalt
(118,21). Sie erkennen sich als Brüder:
Willhelm der markis bin ich, sprach er, bruoder min, hie ensol niht mer gestriten sin. (118, 24-26)
Und ein schönes Beispiel für die verwandtschaftliche Solidarität, die zu Beginn dieser
Arbeit schon erwähnt wurde, wird angeführt:
waz wunders kan mir got beschern! hie muos ich mich min selbes wern: do ich zer tjost gein dir reit, mit mir selbem ich da streit. (119, 15-18) Die Idee eines Körpers und einer Seele wird an dieser Stelle durch Willehalms Worte
sehr deutlich dargelegt. Die Verwandtschaft wird als eine Einheit gesehen, als ein
Körper, dessen Teile (einzelne Verwandte) nicht voneinander zu trennen sind, wie
54 Stevens 1997: 17
30
STEVENS erläutert: „image of one body and one soul […] concept for Heimrich’s
family […] laws that govern the Christian kingdom’s most powerful family“55. Laut
KIENING: „Verwandtschaft ist Herzensangelegenheit”56.
In dem darauffolgenden Gespräch erzählt Willehalm seinem Bruder von der Niederlage
in der ersten Schlacht gegen die Heiden und erfährt von Ernalt von dem Hoftag in
Munleun drei Tage später, an dem Willehalms Geschwister und Eltern teilnehmen
würden.
In diesem Zusammenhang tritt der Begriff triuwe auf, der eng mit der Verwandtschaft
verbunden ist:
und mine bruoder die da sint – ich bin ouch Heimriches kint -, wellent die mit triuwen sin, so erbarmet si min scherpfer pin und miniu dürren herzen ser. (122, 21-24) Willehalm hofft auf die verwandtschaftliche triuwe, um Hilfe und Beistand im Kampf
gegen die Heiden. Diese Hilfeleistung der Verwandtschaft war äußerst wichtig, wie
STEVENS darlegt: „the security that the family could provide was essential during
those times when the king or other ruling lord was weak, necessitating a “tightening of
the ties of kinship”57. Die Grundvorstellung der Verwandtschaft im Mittelalter wird in
diesem Zitat deutlich dargestellt. Die Verwandtschaft trat ein, wenn der König zu
schwach war, um sein Reich zu verteidigen. Sie hielt zusammen, um ihre Interessen zu
wahren. Willehalm benötigt die Hilfe seiner Verwandtschaft im Kampf gegen die
Heiden, im Kampf um das Reich und die christlichen Interessen. Hoffnung ist hier das
Bestimmungswort, denn es gibt Zweifel von Seiten Willehalms in Bezug auf die
Hilfeleistung seines geslehte: got gebe an helfe mir gewin (122,30). Er ist sich nicht
sicher, ob seine Verwandten ihm die Hilfe, die er braucht, um erfolgreich gegen die
Heiden vorzugehen, leisten wird. Dies zeigt die Problematik der Enterbung, die das
verwandtschaftliche Verhältnis des geslehte Heimrichs in Frage stellt, wie JONES
behauptet: „Central to the problematical bonds in the sippe is the lack of triuwe”58.
55 Stevens 1997: 142
56 Kiening 1991: 193
57 Stevens 1997: 18
58 Jones 2002: 73
31
4.1.3. Willehalm am Königshof
Zunächst soll die Aufmerksamkeit auf die Sitzverteilung des Königs und seines
Gefolges und der Heimrich-sippe in der Szene des Hoffestes gerichtet werden. Dabei
fällt auf, dass der König und die Verwandten Willehalms an einander
gegenüberliegenden Tischen sitzen. Hierdurch werden die gegenwärtigen Figuren in
zwei Lager aufgeteilt, denn sie teilen zunächst einmal nicht denselben Standtpunkt in
Bezug auf den Kampf gegen die Heiden und die damit verbundene Hilfeleistung, um
die Willehalm auf diesem Fest bitten wird.
Um noch einmal auf den zwivel Willehalms bezüglich der Hilfe seiner Verwandten
zurückzukommen, ist dieser in dieser Szene von besonderem Interesse, denn es ist
dieser Gefühlszustand, der im Mittelpunkt der Handlung steht: ich wil mines vater
beiten / mit zwivels arbeiten (139,9-10). Gleichzeitig ist es auch die sippe, die
Willehalm die nötige Tapferkeit verleiht, um Hilfe zu erlangen: mime gelücke ich des
gihe, / ez möhte noch ze krufte komen (144,20-21). Doch der zwivel überwiegt, wie
Willehalm selbst zugibt: min zwivel giht, sol ichz gar sagen, daz mine mage an mir
verzagen (149,17-18).
Wir haben es in dieser Hofszene in Munleun eindeutig mit einer Vertrauenskrise
innerhalb der sippe zu tun. Es ist die ethische Pflicht der sippe den Verwandten zu Hilfe
zu eilen und jede Unterstützung zu gewähren, doch sträuben sich Willehalms
Verwandte zunächst dagegen. Diesen Fehler sieht Heimrich, Willehalms Vater später
ein:
ob der werde künec Tybalt uf diner marke lit mit her, man sol mich bi dir sehen ze wer. wa nu die von mir sint erborn? ditze laster habt mit mir rekorn. min sun ist gesuochet niht: ich bin der des lasters giht. swaz im ze schaden ist getan, des wil ich mit im pflihte han.(150,18-26)
Die Schwester Willehalms ist eine der Figuren, die hier besonders hervortritt. Sie zeigt,
dass sie die minne, die zwischen ihrem Bruder und Gyburc besteht, missbilligt und gibt
ihm die Schuld an dem Krieg: nu wil er aber ein niuwez her,/ daz gein den heiden sie ze
32
wer / vür der küneginne Gyburce minne (129,25-27). Der zwivel und der zorn59 haben
von Willehalm Besitz ergriffen. Er ist blind vor Wut und kennt in der
Auseinandersetzung mit seiner Schwester keine Grenzen. Er wirft ihr vor, die Geliebte
Tybalts gewesen zu sein und es kommt zu einem fast katastrophalen Konflikt:
die krone er ir von dem houbte brach und warf se daz diu gar zerbrast. do begreif der zornbaere gast bi den zöpfen die künegin. er wolt ir mit dem swerte sin daz houbt han ab geswungen, (147, 17-21)
Dies zeigt, wie JONES behauptet, dass „Triuwe would seem to be such a basic, primal
and powerful force for the family that when it is not upheld, it can lead to unrestrained,
passionate and homicidal reactions from those who feel their sippe has been
offended.”60
Willehalm ist außer sich vor Wut, woran die Schwester die größte Schuld trägt. Denn
wie MERGELL meint: „Die Königin hat das Grundgesetz der Sippe, die triuwe
verletzt.61”
Da Willehalm daraufhin am Hoftag in der Burg von keinem der Anwesenden begrüßt
wird, provoziert er die höfische Gesellschaft, indem er seine Kriegsausrüstung anbehält:
sin wapenroc, sin kursit, an den beiden kos man strit: die waren verhouwen, etswa verhurt sin swert daz umb in was gegurt, dem was das gehilze guldin; din harnasch gap nach roste schin. (140, 13-18)
Willehalm will auf diese Weise auf die Realität außerhalb des Hofes aufmerksam
machen, die die anwesende Gesellschaft anscheinend nicht wahrnehmen bzw. sich
davor verstecken will. MERGELL vertritt diese Meinung, indem er argumentiert: „Das
äußere Nichterkennen Willehalms ist nur ein Zeichen für die innere Blindheit der 59 Der zwivel und der zorn beruhen nicht nur auf der Tatsache, dass viele Verwandte während der 1. Schlacht getötet wurden, sondern der Grund dieser beiden emotionalen Zustände bezieht sich insbesondere auf die Szene der Königin am Vortag. Die Königin ließ die Tore des Hofes ihrem Bruder verriegeln und sprach: ungerne wesse ich in hinne. / iuwer deheiner kom hin vür: / besliezet vaste zuo die tür; / Ob eruzen klopfe dran, / daz man in wise iedoch hin dan.(129,27-130,1)
60 Jones 2002: 73
61 Mergell 1936: 155
33
höfischen Gesellschaft62.” Es handelt sich hierbei um eine Kritik an der
Hofsgesellschaft63, dessen Denkweise durch die Figur des Königs besonders
unterstrichen wird, wie MERGELL bekundet: „er versagt dem mächtigsten Fürsten des
Reichs die Ehrerbietung, auf die dieser einen Anspruch hat; und er erkennt nicht, daß
der Angriff der Heiden auf die Provence auch ein Angriff auf das riche ist”64.
Hier wird indirekt die Lehnspflicht angesprochen. Der Lehnsherr, also der König, hat
gegenüber seinen Lehnsmännern, in diesem Sinne der Markgraf Willehalm, die Pflicht,
diesen Hilfe zu leisten. Dieses Verhältnis ist mit der Pflichtbeziehung, die innerhalb der
sippe besteht, vergleichbar. Da es sich nun um das Römische Reich handelt, das von
den Heiden in Gefahr gebracht wird, muss der König handeln. Er ist dazu verpflichtet,
sein riche zu verteidigen:
iuch und daz riche er schendet. (169,20) ir sit selbe überriten! ich sol iuch billichen biten daz ir roemischer krone ir riche wert (177,27-29) sone wurdet ir nie Karels sun (179,6) daz er daehte ans riches phaht: diu lerte inz riche schirmen und nimmer des gehirmen (182,20-23).
Zu dieser verpflichtenden Verteidigung des Reiches wird der König von Heimrichs
geslehte mehrmals deutlich aufgefordert, wie STEVENS bemerkt: „In Willehalm, the
desire to protect the kingdom from external and internal threats motivates Heimrich and
his son to challenge Louis to accept his role as the guardian of the ‘rîche’.”65
Willehalm, der zornebaere man (145,4) ist durch die Gesellschaft dazu gezwungen,
grob gegen den König und die Königin vorzugehen:
der marcrave dennoch saz als er zem ersten dar was komen: ir neheines gruoz het er vernomen, die da gruozbaere waren. da kunder zuo gebaren als ir schiere sult gehoeren.
62 Reichel 1975: 391
63 Wobei es nicht „um die prinzipielle Verneinung der tradierten höfischen Normen [geht], sondern um die Überprüfung ihrer Tragfähigkeit in einer konkreten historischen Situation.” (Ib.: 392)
64 Bumke 2004: 291
65 Stevens 1979: 47
34
sine zuht begund er stoeren, der merken wolte siniu wort, diu er sprach vor dem künege dort. (144,6-14)
Er muss sich gegen den „höfischen Verhaltenskodex”66 wenden, um handeln zu können.
Natürlich ist Willehalm Teil dieser höfischen Gesellschaft und dementsprechend von ihr
abhängig, aber es ist ebenfalls seine Pflicht, ihr Widerstand zu leisten, um, laut
REICHEL, „sie aus einer selbstgenügsamen Haltung [...] in eine[r] veränderten
historisch-politischen Situation [herauszuführen]”67.
Die Königin reagiert auf die Provokation Willehalms, indem sie den König in seiner
Anrede unterbricht: ouwe wie wenic uns denne belibe! / so waere ich diu erste die er
vertribe. / mir ist liber daz er warte her, / denne daz ich siner genaden ger.‘(147,7-10).
Bezüglich Willehalms Schwester betont STEVENS ihre Aufgabe als Königin:
„As the daughter of Heimrich, who disinherited his sons to reward faithful service, the queen must not only recognize true service and loyalty, but also repay such service, even if her own husband is unwilling to do so.”68
Im Gegensatz zu der französischen Vorlage wird im Willehalm die Figur der Königin
aufgewertet. Sie steht hier im Mittelpunkt der Verhandlungen, denn die Hilfeleistung ist
von ihr abhängig, wie REICHEL hervorhebt: „ [Die] Besonderheit der Wolframschen
Konzeption [liegt] darin, [die ethische und die machtpolitische Entscheidungsebene][...]
zusammenzudenken”69. Die Königin hat in dieser Szene beide Positionen inne, denn
zum einen ist sie Willehalms Schwester, gehört also zu seiner sippe, und zum anderen
ist sie die Königin, also Lehnsherrin gegenüber dem Markgrafen, einer ihrer Vasallen.
Sie ist Willehalm in doppelter Weise zur Hilfeleistung und zur triuwe verpflichtet, denn,
wie STEVENS betont: „triuwe, or faithfulness and loyalty, is the intangible element that
unites the lord and his vassal, the Christian god and his followers, and family
members.”70
66 Reichel 1975: 393
67 Ib.
68 Stevens 1997: 142
69 Reichel 1975: 396
70 Stevens 1997: 20
35
PRZYBILSKI argumentiert in Bezug auf die Königin:
„Willehalms Hoffnung auf die triuwe seiner Familie wird also gerade von deren gesellschaftlich exponierstester Vertreterin zerstört, die ihr verwandtschaftliches Verhältnis zu dem Markgrafen im Laufe der weiteren Handlung erst wieder neu bestimmen muß.”71
Erst nach diesem Verwandtenstreit kommt Willehalm dazu, über die Episode in
Alischanz zu berichten. Nach diesem Bericht und der Erscheinung Alyzes, Willehalms
Nichte, in Verbindung mit Irmschart (Willehalms Mutter) kommt es zur Versöhnung
zwischen Bruder und Schwester.
Die Versöhnung wird mittels der Königin ausgesprochen, indem diese die ethische
Pflicht einer sippe befolgt: gedenket daz wir sin ein lip (168,13). Auch der König
gewährt Willhalm sein Reichsheer ganz im Sinne der Karlstradition72: ich wil nu helden
zeigen / daz ich des riches hant hie trage.(184,14-15); der von Karel was erborn, / der
begienc da Karles tücke (184,28f.). Sowohl dem König wie auch der Königin wird nun
klar, dass es sich nicht um einen persönlichen Kampf Willehalms um seine Frau
handelt, sondern um einen Kreuzkampf gegen die Heiden, und dies somit eine
Reichssache ist. Die Königin stellt nun die uneingeschränkte Einheit der sippe in den
Mittelpunkt: mine bruoder die hie sin, / gedenket daz wir sin ein lip. (168,12f.). Die
Königin dann die triuwe in ihre Ansprache mitaufnimmt, ist die verwandtschaftliche
Ordnung wiederhergestellt: wart ie triuwe an iu geborn, / ir sult durh triuwe klagen sie.
(180,26f.).
In Bezug auf den König setzt Wolfram es darauf an, seine ere wieder herzustellen, die
durch Willehalms zorniges und emotional geladenes Auftreten beschädigt wurde: wolt
ir erenz riche, / so möht ir willecliche / min helfe gerne enpfahen. (179,21-23).
Weder die Königin noch Willehalm ziehen ihre Worte zurück, dennoch kommt es zur
Versöhnung. Die Hilfe wird geleistet, so wie es die ethische Verpflichtung sowohl des
Lehnsherrn, als auch der sippen-Mitglieder ist.
71 Przybilski 2000: 231
72 Karl der Große, Kaiser des christlichen Abendlandes, Titel Pater Europae - Vater Europas. „Er [Wolfram] schildert die Schlacht in Anlehnung an Kreuzzugsdichtungen als einen Kampf, in dem die Christen, wenn sie getötet werden, in den Himmel kommen. Wolfram hat damit den Willehalm bewusst in die literarische Karlstradition gestellt. Die berühmten, für das Mittelater welthistorischen Kämpfe des großen Vorbildes Karl, der erst wenige Jahrzehnte zuvor heilig gesprochen worden war, finden für das Publikum Wolframs ihre Fortsetzung in den Kämpfen Willehalms, die dadurch erst richtig legitimiert werden.” (Frey 1979: 203)
36
So auch Heimrich: min herze sin ze kinde giht (300,12). Es erscheint auch das Symbol
des Herzens (wie schon in der Szene zwischen Willehalm und seinem Bruder), das von
Willehalms Schwester als Metapher benutzt wird: min herze git die raete (211,28). Es
handelt sich um die Identitätsthematik, die mit dem Thema der Verwandtschaft eng
verbunden ist, wie man anhand der folgenden Aussage Heimrichs erkennen kann: min
sun ist gesouchet niht: / ich bin der des lasters giht. (150,23 f.). Das Unglück des
Sohnes wird zu seinem (Heimrichs) Unglück. Doch ist die Beziehung zwischen Vater
und Sohn nicht unproblematisch und nicht ganz so einheitlich wie es scheint.
PRZYBILSKI betont, wie sehr die Enterbung Willehalms Zukunft verändert hat, vor
allem das Verhältnis zwischem ihm und seinen Vater.
„Der Bruch, der durch die Enterbung entstanden war und Willehalm zu einem Leben voller Gewalt und Krieg gezwungen hatte, kann auch durch die letztendliche triuwe des geslehtes nur überdeckt, nicht aber wieder völlig geheilt werden”73
Es kommt zur Versöhnung der sippe und die Vertrauenskrise ist wie aufgehoben, doch
handelt es sich hierbei um eine oberflächliche Wiederherstellung der Vertrautheit des
Sippengefühls. Vor allem zwischen Willehalm und seinem Vater bleibt die Zerissenheit
weiterhin bestehen. In der Unterrredung, die Willehalm mit seinem Vater am
königlichen Hof führt, kann man die Zweifel Willehalms in Bezug auf seinen Vater an
folgender Aussage ablesen: durh die dri namen ich ger, / daz du dine tugent bekennest /
und dir mich ze kinde nennest (149,24-26). Willehalm will, dass sein Vater ihn als
seinen Sohn anspricht. Er ist sich jedoch nicht sicher, ob diese verwandtschaftliche
Bindung zwischen beiden noch besteht. Sein Vater Heimrich hingegen behandelt ihn
auf eine grobe Weise, indem er den zwivel Willehalms zurückweist:
Der vater sprach wie stet daz dir, ob du zwivel hast gein mir? (150,1 f.); diner manheit missezimt, ob du zwivel gein mir tregest und unser triuwe under legest. (150,8-10),
Außerdem hebt Heimrich die triuwe seines geslehtes besonders hervor:
wa nu die von mir sint erborn? ditze laster habt mit mir rekorn. min sun ist gesuochet niht:
73 Przybilski 2000: 236
37
ich bin der des lasters giht. swaz im ze schaden ist getan, des wil ich mit im pflihte han. (150,21-26)
Heimrich ist tatsächlich das Ideal des Begriffes sippe und ihrer triuwe. Für Heimrich ist
die Invasion der Heiden zunächst einmal nicht von besonderer Bedeutung. Für ihn zählt
ausschließlich die Pflicht seines geslehte, nämlich seinem Sohn Willehalm zur Hilfe zu
kommen. Es ist für ihn eine Angelegenheit der Verwandtschaft, auch wenn sein Sohn
einen anderen Standpunkt vertritt:
Ir hers mich bevilte. der ze ende uz zwispilte ame schachzabel ieslich velt mit cardamome, den zwigelt mit dem prüven waere gezalt, Terramer und Tybalt heten manegern riter da, und Arofel von Persya, und Tesereiz, den ich ersluoc, het ouch riter da genouc. (151,1-10)
Nachdem jedoch Willehalm erneut in zorn ausbricht, nimmt Heimrich die Realität
dieses Krieges wahr (so wie der König).:
welt irz niht snellecliche tuon, sone wurdet ir nie Karels sun. übern tisch er balde spranc. er sprach ich sags iu kleinen danc: ir müezet gein den vienden varen, und geturret nimmer daz gesparen. wer solt iuwer man sin? diu marke und ander lehen min, daz si ledic iu benant. (179,5-13),
Erst jetzt wird Heimrich klar, dass die kristenheit bedroht ist: des wirt diu kristenheit
geschant (182,26). Heimrich ist sich nun der äußeren Bedrohung bewusst. Willehalm
bringt seinen Vater anhand seiner Worte in die Realität außerhalb des königlichen
Hofes zurück. Es wird deutlich, dass Heimrich, der König, die Königin und der übrige
Hof von der Wirklichkeit abgeschlossen leben. Dadurch wird indirekt die Kritik an der
Hofgesellschaft durch Wolfram deutlich.
Anhand dieser Hofszene thematisiert Wolfram die Gewalt, den zorn, die Brüche in der
Kommunikation innerhalb der sippe und die damit verbundenen Identitätskrisen.
Wolfram schenkt im Willehalm dem Streit zwischen dem geslehte Heimrichs viel
38
Aufmerksamkeit, wodurch wiederholt verdeutlicht wird, wie sehr die Verwandtschaft
für ihn von Bedeutung war.
STEVENS behauptet ferner:
„the real authority has clearly shifted to Heimrich and his sons. That this should be the case is remarkable, considering that Willehalm and his brothers received no inheritance from their father. […] loyal service must be their highest virtue.”74
Dies verdeutlicht Willehalms Loyalität zu seiner Verwandtschaft und der Christenheit,
für die er, im Gegensatz zum König und der Königin, alles opfern würde. Dies
verdeutlicht außerdem, dass die Verbindung basierend auf Blutsverwandtschaft nicht
ausreicht, um als Angehörige einer sippe angesehen zu werden. Das Handeln bestimmt
die wahre Verwandtschaft, wie STEVENS betont: „Willehalm’s brothers present a
united and formidable front as they attempt to convice the king and queen to fulfill their
obligations towards the kingdom’s most faithful vassal and family member.”75
Anhand der Handlung der Verwandtschaft Willehalms im Sinne der Christenheit und
der sippen-Gemeinschaft werden sie zu “wirklichen” Brüdern Gyburcs. Ein gutes
Beispiel hierfür ist Willehalms Bruder Bernart, der sogar seinen eigenen Sohn aufopfern
würde, um Gyburc zu beschützen:
Do sprach Bernart von Brubant: minen sun man bi den vienden vant, den pfalzgraven manlich. die andern sibene, ir ieslich von arde mine mage sint; der ahte ist vür war min kint: der deheiner ist mir so trut, ich enlieze senewen uz siner hut sniden, e daz uns Tybalt Gyburce naeme mit gewalt (260, 11-20).
74 Stevens 1997: 71/72
75 Ib.: 152
39
4.1.3.1 Willehalm und Alyze
Wie schon im vorausgegangenen Punkt angesprochen, spielt die Figur Alyze in der
Szene am königlichen Hof eine wichtige Rolle. Sie trägt zusammen mit ihrer Mutter in
besonderem Maße zur Versöhnung bei.
Wolfram lobt Alyzes kiusche mehrmals: ir kiusche han gebunden (154,22). Die Begriffe
„'kiusche', 'schame' und 'triuwe' bilden für Wolfram jenes Dreigestirn von
Haupttugenden, die die edle Frau vorzüglich auszeichnen sollen.”76 Sie ist zudem auch
noch saeldebaere: Alyse diu saeldenbaere (154,20). Alyze ist das Vorbild einer adligen
Frau und nimmt somit eine Sonderstellung in diesem Werk ein.
Sie besitzt alle Eigenschaften, sowohl äußerlich wie auch innerlich, einer idealen
höfischen Minnedame :
diu junge reine süeze clar, manege kurze scheiteln truoc ir har, krisp unz in die swarten. swers rehte wolde warten, si was selbe swankel als ein ris, geflorieret in mangen wis. (154,9-14) noch baz denne ichs gedenke lat si getunbiert sin. si gap so minneclichen schin, des lihte ein vreuden siecher man wider hohen muot gewan. ir brust ze nider noch ze hoch. der werlde vientschaft si vloch. ir lip was wunsch des gernden und ein trost des vreuden wernden. swem ir munt ein grüezen bot, der brahte saelde unz an den tot. (155,2-12)
Zudem begrüßt sie Willehalm wie kein anderer in diesem Saal, wie LOFMARK zeigt:
„Unlike her parentes, Alyze never mentions France but speaks at once of the Empire,
and she welcomes Willehalm and calls him uncle.”77 Alyzes Worte lauten: minem vater
dem daz riche / dient, hart ungeliche / kumstu sinem hohen namen. (148, 21-23)
76 Knapp 1970: 137
77 Lofmark 1972: 194
40
Da sie höfische zuht besitzt, ist sie dazu befugt ihren Onkel Willehalm diese zuht ins
Gedächtnis zu rufen: ouwe mir diner werdekeit, / diu noch nie unpris erleit! / wem lieze
du kuschliche zuht? (157,5-7).
Es ist jedoch Alyzes Kniefall, der die entscheidende Handlung in dieser Szene darstellt.
Es handelt sich hierbei um einen „Akt freiwilliger Selbsterniedrigung”78, der nicht zur
gewöhnlichen formellen Begrüßung am Hof gehörte. Aber es ist gerade dieser Akt, der
das Aufsehen bei den Umstehenden und sogar bei Willehalm selbst erregt:
wie kumstu, niftel, sus zuo mir? ja waere dem künege Terramere din vuozvallen alze here. du bist des roemischen küneges kint: swaz hie roemischer vürsten sint, die sulen mich haben deste wirs. (156,6-11)
Der Kniefall Alyzes ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie durch diesen Akt
alle andere Anwesenden im Saal vernachläßigt und somit den Fürsten Willehalm und
seine Reichsstellung hervorhebt. Laut RUH „[geht sie] vor Willehalm auf die Knie, eine
unvergleichliche Geste, Willehalm ist betroffen und überwältigt, sein zorn schwindet in
der erklärenden Rede, die er dem Mädchen hält.”79
Willehalm ist sich der Bedeutung dieser Handlung seiner Nichte - im politischen Sinne -
völlig bewusst, aber seine erstaunte Reaktion bezieht sich ferner auf die übrigen Gäste,
vor allem die anderen Fürsten, „deren Machtstellung und deren Anspruch auf
Gleichrangigkeit dadurch tangiert wird”80, wie REICHEL erläutert.
Alyze nimmt die Stellung ein, die eigentlich Aufgabe der Königin gewesen wäre und
vertritt so die hövescheit, wie LOFMARK akzentuiert:
„The service which Willehalm offers is, service from a vassal to his liege lady [...] It appears that since the Queen has betrayed both the Empire and her kinsmen and caused Willehalm to attack her and break her crown, he will no longer serve her; in her place he serves Alyze.“81
Im Gegensatz zur Königin nimmt Alyze die Stellung des Fürsten, und damit auch seine
christlichen und militärischen Forderungen, im Reich wahr. Sie verhält sich wie 78 Reichel 1975: 399
79 Ruh 1980: 172
80 Reichel 1975: 400
81 Lofmark 1972: 194/195
41
eigentlich ihre Mutter sich hätte verhalten müssen. Gyburc spricht für das Reich und das
geslehte. Willehalms Unterwerfung wird dabei deutlich hervorgerufen:
niftel, nu gestate mirs, daz ich in dime gebote lebe: din güete mir den rat nu gebe. ob du mich niht spottes werst, so stant uf: swes du an mich gerst, des wil ich dir ze hulden pflegen. (156,12-17)
Durch diese Szene wird besonders hervorgehoben, wie sehr sowohl die Fürsten von der
Königsmacht als auch die Macht des Königs von der Fürsten abhängig war. Beide
Mächte sind voneinander abhängig und brauchen sich gegenseitig. Nur auf diese Weise
können die Interessen ausgeglichen werden und Maßnahmen gegen äußere kriegerische
Einflüsse ergriffen werden. Alyze stellt den friedlichen Zustand im geslehte wieder her.
Sie erkennt die Realität im Gegensatz zu der Königin. Sie zeigt Willehalm, dass dieser
in Bezug auf seine Schwester unrecht gehandelt hat:
diu doch din swester solte sin, ob sich diu kan versprechen, wiltu daz danne rechen, da von sich krenket unser art, dar an sint beide unbewart ir werdekeit und din pris. (157,14-19)
Da Alyze „die Vollkommenheit höfischer Existenz repräsentiert”82 verdeutlicht sie dem
Markgrafen, wie er sich im Sinne des höfischen Ideals zu verhalten hat und bringt ihn
dazu, seiner Schwester zu verzeihen:
nun sten ich also vor dir hie, daz ich durh dine komende tugent, und die du hast in diner jugent, diner muoter schulde laze varn. ich wil ouch zorn gein ir bewarn. bit si her uz zuo den vürsten komen. hab iemen hier von mir vernomen da wandel nach gehoere, e daz ich gar zerstoere dem künege sine hochgezit, so ergib ich mich an allen strit gevangenliche in dinen rat: din gebot den slüzzel hat. (159,18-30)
82 Przybilski 2000: 234
42
Nun ist Irmschart, Willehalms Mutter, an der Reihe, um nach dieser scheinbar geheilten
Welt in ihrem geslehte für Willehalms Vorgehen zu sprechen. Und so stellt Irmschart
Willehalm als erstes ein Heer auf ihre Kosten auf, um ihn im Kampf gegen die Heiden
zu unterstützen:
ze Oransche ein hervart ich von miner koste tuon dir ze helfe, lieber sun. (160,24-26) ich wil dir niht enpfliehen, harnasch muoz an minen lip. ich bin so starc wol ein wip, daz ich bi dir wapen trage. der ellenthafte, niht der zage, mac mich bi dir schouwen: ich wil mit swerten houwen. (161,4-10)
Sie ist sogar dazu bereit, selbst auf dem Schlachtfeld zu kämpfen, wie DUBY
bekräftigt: „Der Krieg im Feudalzeitalter ist auch die Angelgenheit der Frauen, weil er
»private« Aspekte hat und diese Sphäre unstreitig weiblicher Zuständigkeit
unterliegt.”83 Irmschart erkennt, dass ihr Sohn die militärische Hilfe des Königs braucht,
um die ere seines geslehte zu retten und die Christenheit zu beschützen.
Erst nach dieser Szene bittet nun auch die Königin ihren Ehemann um Unterstützung:
si sprach durh not ich werben muoz helfe so helfecliche, diu den vürsten unt dem riche werbe nach hohem prise, daz ir dem markyse gestet durh iuwer ere, so daz ir Terramere ze Oransche leger wendet. iuch und daz riche er schendet. (169,12-20)
Ferner spricht Irmschart den König darauf an, schnell zu handeln, denn Gyburc verdient
die Hilfe der Christen, sie hat ihre Loyalität gegenüber der Christen bewiesen.
Insbesondere sollte der König nicht die schon in der ersten Schlacht Gefallenen
vergessen: Terramer und Tybalt, / die mir tot hant gevalt / almeistic mine nachkomen
(183,21-23).
83 Duby 1990: 145
43
„When she challenges the king, the queen, and all of the knights assembled at Munleun
to help Willehalm, she embodies the family’s unwavering solidarity in the face of
danger, fear, or threats.”84
Es ist hauptsächlich Alyze und dann Irmschart, die den scheinbaren Frieden in der
christlichen Verwandtschaft wieder herstellen, der zu einem erfolgreichen Sieg Kampf
gegen die Heiden notwendig ist. STEVENS erläutert: „Unquestionably, she and Alyze
become the most influential mediators between Louis, his wife, and Willehalm during
the early moments of the festival.”85
Diese Hofszene verdeutlicht die nicht geringen verwandtschaftlichen Probleme
innerhalb der sippe Willehalms. Doch gleichzeitig wird gezeigt, wie die sippe selbst
diese Probleme löst und so ihre Kraft beweist.
Wolfram nimmt somit die spannungsgeladenen Verwandtschaftsbindungen aus seiner
Vorlage auf und vertieft diese, indem er sie als eine Angelegenheit darlegt.
Diese Szene stellt den Wendepunkt dieses Werk dar, denn nun ist der Weg für die
zweite Schlacht gelegt. Die sippe ist aufgrund ihrer triuwe gegenüber ihren Verwandten
dazu verpflichtet, die Toten ihrer eigenen Sippengemeinschaft zu rächen.
Zur sippe und zur triuwe verbunden fühlt sich Gyburc, doch mit einem Unterschied: Sie
ist sowohl an die Heiden wie auch an die Christen gebunden, denn sie war Heidin und
ließ sich aus Liebe zu Willehalm zur Christin taufen. Doch brachte dieser Akt einen
mörderischen Krieg mit sich, in dem sich ihre beiden Verwandtschaftsgemeinschaften
gegenübertraten.
4.2. Gyburcs Verwandtschaft
Gyburc besitzt zwei Namen: als Heidin trug sie den Namen Arabel und nach ihrer
Konvertierung trägt sie als Christin den Namen Gyburc. Ihre Blutsverwandten gehören
dem heidnischen Glauben an und ihre angeheirateten Verwandten dem christlichen,
deshalb hebt JONES heraus:
84 Stevens 1997: 75
85 Ib.: 73
44
She is the „only figure in this poem to feel that she is a full member of two families”86.
Gyburc ist der Ausgangspunkt für die kriegerische Auseinandersetzung zwischen
Christen und Heiden. Sie ist die einzige, die um die Toten auf beiden Seiten leidet und
glaubt von beiden Seiten für dieses Leid beider Seiten gehasst zu werden:
sie sprach der totliche val der hie ist geschehen ze beder sit, dar umbe ich der getouften nit trag und ouch der heiden (306,12-15).
Gyburc ist diejenige, die am meisten leidet wie EHRISMANN meint: „Die tragische
Schuld lastet auf Gyburg”87.
Sie klagt sowohl um die Toten auf christlicher wie auch auf heidnischer Seite: Vivianz,
Mile (254,8) und Tesereiz (254,28). Wobei zu beachten ist, dass Gyburcs Klage sich vor
allem auf Vivianz konzentriert:
ei Vivianz, beas amis, dinen durhliuhtigen hohen pris, wie den diu werlt beginnet klagen! wie moht der tot an dir betagen? Du bist benamen der eine, den ich vor uz so meine, daz ich enpfahe nimmer not der gelich, die mir din tot wil künfteclichen werben. wan mües ich vür dich sterben! (101,27-102,6)
STEVENS behauptet: „Vivianz will always remain one of the most painful reminders of
that cost [her conversion] for her.”88 Erneut wird hier deutlich, wie intensiv die
Beziehung zwischen Gyburc und Vivanz ist, obwohl sie keine Blutsverwandten sind.
Gyburc steht zwischen beiden Fronten, ohne jedoch einer von beiden den Rücken zu
kehren. Auch wenn ihr Vater glaubt, dass sie sich durch die Konversion gegen das
Heidentum entschieden hat, fühlt sie sich auch ihren heidnischen Verwandten
verpflichtet (mage 254,17):
die sol von reht ich klagende sin, swie si heten des toufes niht: diu sippe vlust mir an in giht. (254,18-20)
86 Jones 2002: 72
87 Ehrismann 1927: 285
88 Stevens 1997: 83
45
Die „Toleranzrede“ Gyburcs vor dem Fürstenrat vor der zweiten Schlacht (306,12-
310,30) und das Religionsgespräch zwischen ihr und ihrem heidnischen Vater Terramer
(215,10-221,26) unterstreichen diesen inneren Konflikt Gyburcs in Bezug auf ihre
heidnischen und christlichen Verwandten. Beide Szenen sind in der französischen
Vorlage nicht vorhanden. Dies gilt auch für die Liebesszenen zwischen Gyburc und
Willehalm (99,8-100,25 und 279,6ff.).
Zu den wichtigsten heidnischen Verwandten Gyburcs gehören Arofel, ihr Sohn
Ehmereiz und ihr Vater Terramer, Gyburcs heidnischer Ehemann. Auf Gyburcs Bruder
Rennewart soll im nächsten Kapitel näher eingegangen werden.
Auf der christlichen Seite finden wir die Familie Willehalms, insbesondere Heimrich
und Willehalm selbst, wie auch Vivianz, dessen Besonderheit in dieser Dichtung schon
erläutert wurde.
Gyburc ist mit beiden Sippenverbänden auf verschiedene Weise verwandt, was bei ihr
zu einem „tragischen Dilemma [führt], weil sie durch ihre verwandtschaftlichen
Bindungen zu beständiger Doppelsicht gezwungen ist und sich trotzdem loyal für eine
der beiden Seiten zeigen muß.”89
4.2.1. Gyburc und die heidnische Verwandtschaft
Terramers Verhältnis zu seiner Tochter Gyburc kann anhand zweier entgegengesetzter
Gefühle beschrieben werden. Auf der einen Seite heftige Wutausbrüche und auf der
anderen fürsorgliche Sehnsucht. Terramer spricht zu den Anführern seiner Heere:
nu so din gerich über diner basen tohter sin. diu was etswenne diu tohter min, e si sich Jesuse ergap: sit wuohs ir unsaelden urhap. (350, 2-6) wirt Loys noch hiute entworht, die rache ich vürhte und han ervorht, daz min tohter Arable under sime swerte erzable. (355, 19-23)
89 Przybilski 2000: 208
46
Diese wechselnde Verhaltensweise wird auch von Wolfram selbst ausgesprochen:
[T]erramer, der warp also: hiute vlehen, morgen dro gegen siner lieben tohter. (222,1-3)
Dieses Hin und Her zwischen dro und vlehen bestimmt Terramers Figur. Das Wanken
beruht auf dem Gegensatz beider Figuren in Bezug auf das Thema Religion.
Terramer und seine Verwandtschaft müssen für Gyburcs Religionswechsel Rache
nehmen, denn durch Gyburcs Handlung wurden seine Götter geschändet, so sagt er:
si jahen, Apollo und Tervigant und Mahmet waeren geschant an ir gotlichem prise. (106,7-9); uf minen goten ich do swuor daz ich den goten ir ere so geraeche daz nimmer mere dehein min kint des zaeme daz ez den touf genaeme (107-20-30)
Auch die êre der eigenen sippe, Gyburcs heidnischer sippe, wird durch ihre
Konvertierung verletzt. Terramer muss gegen Gyburg kämpfen, auch wenn er das nicht
will, denn so wird es von ihm verlangt, wie im Folgenden ausgeführt wird:
swaz dir ie geschach oder noch geschiht von mir, daz ist min selbes not: ja gieng ich vür dich in den tot. daz ruoch erkennen Mahumet, daz ich durh Tybaldes bet ungerne uf dinen schaden vuor, unze michs bi unserr e beswuor der baruc unt di erwarten sin: die gaben mirz vür sünde min, daz ich dich taete liplos. mine triuwe ich doch so nie verkos, ich hete dich zeime kinde. (217,16-27).
Sowohl sippe wie auch Religion sind für den heidnischen Anführer besonders wichtig.
Vor allem die Religion: Terramer will seinen Glauben verbreiten und den christlichen
Glauben zerstören:
sinen goten pris also bewarn, / Diu Jesus helfe wolde leben, / daz diu dem tode wurde
gegeben. (340,6-8)
Terramer hält an seinem heidnischen Glauben fest und Gyburc an der christlichen
Religion. Glaube und sippe hängen miteinander zusammen. Es ist nicht möglich, beide
unabhängig voneinander zu betrachten. Terramer muss deshalb gegen seine eigene
47
Tochter vorgehen. Es ist seine Pflicht in Bezug auf seinen Glauben und seine sippe.
Beiden hat Gyburc durch ihre Handlugsweise den Rücken zugekehrt. Diese
Glaubensdisputation zwischen Gyburc und Terramer beginnt in Buch III und wird dann
in Buch V (in einer Kampfpause) fortgeführt. In diesem Religionsgespräch geht es
hauptsächlich darum, dass Terramer seine Tochter für den heidnischen Glauben
zurückgewinnen will. Gyburc jedoch versucht, ihrem Vater die Bedeutung des
christlichen Glaubens zu erläutern. Auf diese Weise versucht Gyburc, ihrem Vater die
Gründe für ihren Glaubenswechsel zu verdeutlichen und näher zu bringen. Bei diesem
Versuch nimmt Gyburc einige der im Prolog schon erwähnten Gedanken auf, wie unter
anderem die Herrlichkeit des Schöpfers und das Geheimnis der Trinität:
si sprach ich han den touf genomen durh den der al die creatiure geschouf, daz wazzer un das viure, dar zuo den luft unt di erden. (215,10-13) daz tet diu Trinität! der sich einen selbe dritten hat ebengelich und ebenher, sich, der enstirbet nimmer mer durh man noch wibes schulde (218,25-29)
Gyburc will mit aller Entschiedenheit dem Vater erklären, worin sich das Christen- und
das Heidentum unterscheiden, doch sie erfährt von Terramer kein Verständnis.
SCHRÖDER verdeutlicht das Unverständnis Terramers auf folgende Weise:
„das Heidentum ist für ihn ein Phänomen der Weltgeschichte, der Geschichte der Menschheit. [...] Mit ihrer Taufe ist sie zu geschichtlichem Bewußtsein gekommen, und wenn sie ihren Vater tump nennt, so meint sie, daß es ihm an solchem Bewußtsein fehle.”90
Terramer ist es aufgrund des Mangels an „geschichtlichem Bewusstsein“ nicht möglich,
seine Tochter zu verstehen. Es ist ihm unmöglich ihre Gedanken nachzuvollziehen. Ihm
fehlt der Teil, der ihn hätte dazu bringen können, die Worte seiner Tochter wirklich zu
verstehen. Beide haben eine völlig unterschiedliche Sichtweise. Das ist das eigentliche
Problem zwischen Gyburc und Terramer. Es gibt kein Verständnis zwischen Tochter
und Vater. Terramer liebt zwar seine Tochter, aber er kann ihren Religionswechsel nicht
verzeihen, ebensowenig wie ihre Schändung der ere der sippe. Das Dilemma liegt in der
zweifachen unere, wie PRZYBILSKI erläutert:
90 Schröder 1978: 358
48
„[Z]um einen hat Gîburc das Ansehen der muslimischen Götter geschändet, deren Verehrung die sippe auf transzendenter Ebene eint, zum anderen unterminiert Gîburcs Handeln die Allgemeingültigkeit einer der wesentlichen Säulen des Gesellschaftsvertrags der sippe - die Ehe.”91
Das Problem der sippe wird an diesem Zitat deutlich hervorgehoben: die ere und die
sippe. Beides ist nicht immer auf friedliche Weise zu verbinden. Gyburc hat durch ihren
Religionswechsel die transzendente Vereinigung mit ihrer sippe zerstört. Die êre der
Götter gehört zu der sippen-Einheit dazu. Es ist undenkbar, beides voneinander zu
trennen. Im Weiteren ist es Terramers Pflicht als sippen-Oberhaupt und Anhänger des
heidnischen Glaubens gegen Gyburc vorzugehen. Terramers Wanken kann nicht gelöst
werden, da er dazu verpflichet ist, gegen seine Tochter vorzugehen. Das
Pflichtbewusstsein in Bezug auf die sippe, dass uns schon in der christlichen
Verwandtschaft begegnet ist, besteht auch hier. In diesem Sinne sind sich diese beiden
Verwandtenverbände nicht so unähnlich, wie man annehmen könnte. Im Grunde
handeln beide aus demselben Grund: der sippe. Sowohl Heiden wie auch Christen
ziehen in den Kampf, um ihre sippe, ihre ere und ihren Glauben zu verteidigen. Sie sind
demnach nicht so verschieden, wie sie es selbst sagen. Das Problem ist, dass sie dies
nicht einsehen wollen. Sie halten an ihrer religiösen Überzeugung fest und lassen es erst
gar nicht zu, dass es zu Vergleichen beider kommen mag. Für Heiden wie auch Christen
bilden sippe und Glaube die beiden wichtigsten Pfeiler ihres Daseins. Religion und
Verwandtschaft gehören für Heiden und Christen zueinander und können nicht getrennt
von einander betrachtet werden, wie STEVENS deutlich hervorhebt:
„Based on the strength of these familial relationships, both the Christians and Saracens
expect assistance from their gods like the vassal expects support from his lord, and the
child from its father.”92
Doch sind sie sich dieser Ähnlichkeit nicht bewusst, was es unmöglich macht sich
gegenseitig zu verstehen.
Terramers blinder Zorn gegenüber der Christenheit, also nicht nur gegen Willehalm,
wird schon während der ersten Schlacht von ihm selbst deutlich ausgesprochen:
91 Przybilski 2000: 203
92 Stevens 1997: 56
49
die helde von der heidenschaft, nu reche et unser altiu kraft, die wir heten von den goten, daz so verre uz ir geboten Arabel diu vervluochet ist komen! mit und den goten ist benomen der ich e jach ze kinde, von taverne ingesinde. von salsen suppierren sich Tybalt muose vierren von sinem wibe und alle ir kint, die hie durh rehte rache sint. (44,5-16) eret die gote und dar nach mich, daz Tybalt und des gerich noch hiut ein sölh phant hier neme, daz Arabeln des gezeme, ob es geruochet Tervigant, daz si diu kristenlichen bant und den touf unsere. e si zuo Jesese kere, ich sols uf einer hürde e sehen verbrennen gar: daz müeze geschehen. (44,21-30)
Dieser Zornausbruch ist gegen alle Christen gerichtet, die seine Tochter geraubt haben.
Für Terramer handelt es sich zunächst um einen Einzug in den Kampf gegen die
Christen, die seine sippe zerstört haben. Er ist blind vor Wut.
Da Gyburc jedoch dem christlichen Glauben nicht abschwört, bleibt Terramer nichts
anderes übrig als seine Tochter hinzurichten und droht ihr mit Folter. Er handelt nun
direkt gegen seine eigene Tochter, denn sie hat ihretwillen den Glauben gewechselt.
Keiner hat sie dazu gezwungen. Diese Umwandlung zum christlichen Glauben ist für
Terramer unverständlich:
ich wil und han mir des erdaht, daz ich manege unkunde not Arabeln gaebe und smaehen tot, des Jesus genueret si: der wille ist minem herzen bi. (108,18-22)
In dieser kürzeren Auseinandersetzung (109,17-110,10), die dem Religionsgespräch
vorausgeht, bietet Terramer seiner Tochter driu dinc zeren (109,22):
daz si in dem mere viele ze tal, umb ir kel einen swaeren stein; ode daz ir vleisch und ir bein ze pulver wurden gar verbrant; od daz si Tyblats hant
50
solte hahen an einen ast. (109,24 -29)
Es ist die Grausamkeit, die besonders auffällt, denn es handelt sich hierbei um Vater
und Tochter. Doch Terramers Aufgabe liegt gerade darin, keinen Unterschied zwischen
seiner Tochter und irgendeinem anderen sippen-Mitlgied zu machen. Ob er diese
Differenz wirklich durchzieht wird im Grunde bis zum Ende nicht eindeutig, denn
Gyburc bleibt am Leben. Terramer rührt seine Tochter nicht an. STEVENS deutet
diesen Zwiespalt Terramers an: „Although Terramer forces Gyburg to choose between
her family and Christianity, he reveals his own pain since he too must choose between
his loyalty to the ‘baruc’ and to his gods and the blood ties with his daughter.”93
Terramer zwingt seine Tochter zwischen ihrer Blutsverwandtschaft und dem
christlichen Glauben zu wählen, aber er selbst befindet sich auch in einer Zwangslage.
Auch er befindet sich zwischen seinem Glauben auf der einen Seite und seiner Tochter
auf der anderen.
Gyburc lässt sich aber von seinem Vater nicht einschüchtern und zeigt ihm ihre Stärke
in der Szene, in der ihr Vater Orange angreift. Sie verteidigt Orange mit all ihren
Kräften, ihrer Liebe zu Willehalm und zur Christenheit.
Sie gibt nicht auf und wird etwas härter in ihrer Wortwahl, die sich gegen ihren Vater
richtet:
ir gunerten Sarrazine, etliche mage mine, ir welt hier beiten grozer not: iu kumt der zwivalte tot. doch ir mit bietet tode dri, die zwene sint iu nahen bi: diss kurzen lebens ende, und der sele unledic gebende vor iuwerem gote Tervigant, der iuch vür toren hat erkant. (110, 21-30)
Sie erkennt natürlich das Dilemma ihres Vaters: Ei vater hoch unde wert, / daz din muot
der tumpheit gert (218,1f.), doch das Problem ist, dass sowohl Tochter wie auch Vater
aneinander vorbeireden: Terramer hat keinen Erfolg mit seinen Überredungsversuchen
und Gyburc trifft mit ihren theologischen Begründungen auch auf kein Verständnis, vor
allem das Geheimnis der Trinität des christlichen Glaubens ist für Terramer
93 Stevens 1997: 55
51
unverständlich. Für Terramer ist Jesus ein einfacher Mensch gewesen. Auch die
Geschichte über Adam und Eva werden in beiden Religionen auf unterschiedliche
Weise nacherzählt. Dies zeigt, dass die Verschiedenheit beider Religionen zu tief liegt.
Gyburc kann sich noch soviel Mühe geben, doch sie schafft es nicht, ihren tumpen
Vater, wie sie ihn nennt, von dem Gegenteil zu überzeugen.
Wolfram kritisiert Terramers Vorgehensweise anhand der Worte des Erzählers zu
Beginn der Dichtung:
Terramer unvuoget, daz in des niht genuoget, des sinte tohter duhte vil. (11,19-21)
Die Blindheit Terramers wird anhand dieses Zitats deutlich. Wolfram ist der Meinung,
dass Terramer die Liebe seiner Tochter, wer auch immer diese sei, annehmen sollte:
swen min kint ze kür, / ungerne ich den ze vriunt verlüt. (11,23f.).
STEVENS verdeutlicht Terramers Dilemma, indem sie sagt: „Terramer vacillates
between his role as a powerful and respected leader of a large kingdom and his
responsibilities as a loving father.”94 Er befindet sich in einer schwierigen Lage. Er ist
Vater, aber zugleich auch König. Beide Positionen sind bezüglich Gyburcs Konversion
schwer zu vereinen.
Terramer leidet nicht nur in Bezug auf seine Tochter, sondern auch in Bezug auf seine
anderen Verwandten,vor allem seine Enkel und Söhne, die sich im Krieg befinden:
nu sit ir miner kinde kint, die hie mit maneger storje sint, Poydjus und Ehmereiz: swa ich iuch bede in strite weiz, und ouch die zehen süne min, min herze hat den selben pin, da sleht man uf min selbes verh. (347,21-27)
Terramer erkennt den Schmerz, den diese zweite Schlacht mit sich bringen wird. Ein
Schmerz der sich auf sein eigen Fleisch und Blut bezieht. Man bemerkt, dass sogar
Terramer, der versucht mit allen Kräften sein Herz, seine Gefühle zu unterdrücken, sehr
wegen seinen Verwandten leidet auch wenn dieses Leid nicht mit seinen grausamen
Gedanken bezüglich seiner Tochter in Einklang zu bringen sind.
94 Stevens 1997: 58
52
Das Leid der Heiden wie auch der Christen zeigt, dass jeder Verwandte wie ein
Körperteil eines Jeden ist, unter dessen Abtrennung man erneut leidet.
Das Verhältnis Vater-Tochter ist sehr angespannt und scheint nicht zu einem friedlichen
Ende führen zu wollen. Beide erzielen kein Verständnis. Aber auch das Verhältnis
Mutter-Sohn, also Gyburc und Ehmereiz, ist nicht passiv.
Gegen Ende des 5. Buches im Gespräch zwischen Gyburc und Heimrich erzählt Gyburc
unter anderem von ihrem Sohn Ehmereiz. Hierbei ist zu beachten, dass er der Einzige
war, der versuchte die Rückkehr seiner Mutter zum heidnischen Glauben zivilisiert zu
verhandeln:
den schaden ze gelten disem lant: swa daz gein einem bisant mit vlüste het enphangen not, ie da gein Karels lot wolt er wegen bereitez gelt. wingarten, boume, gesaetez velt, alle die wiesen unt die heide, ors und ander vihe diu beide, al den bu unz an den strowes wisch, die vogele, daz wilt und den visch, wolt ich der überverte phlegen (256,19-29)
Doch gefällt Gyburc dieses Angebot überhaupt nicht, denn sie ist seine Mutter und nicht
eine kaufbare Ware, sie ist kein Tier:
do sprach ich sun, wie stet dir das? dir zaeme ein ander rede baz. wilt du mich veile machen und dinen pris verswachen, daz man mich gelte sam ein rint? (257,11-15)
Und versucht zudem noch seinem Sohn zu erklären, wieso sie zum christlichen Glauben
übergetreten ist:
din bieten hat missetan. zem marhcraven han ich muot: niemen mac geleisten sölh guot daz mich von im gescheide. (257, 26-29)
Dieser kurze nacherzählte Dialog zeigt Gyburcs Leid, denn sie fühlt sich schuldig, aber
zugleich zeigt es ihren wiederholten Versuch, ihren Verwandten zu erklären, weshalb
sie diese Entscheidung getroffen hat. Es geht um Liebe, Liebe für Willehalm und das
Christentum, denn beides ist untrennbar für sie.
53
Gyburc spricht aus ihrem Herzen. Sie spricht nicht gegen ihre heidnischen Verwandten.
Sie steht nicht auf der einen oder anderen Seite, sondern zwischen beiden. Sie fühlt sich
weiterhin als ein Mitglied ihrer heidnischen sippe (lieber vater 219,28), aber auch als
ein christliches Mitglied. Doch erhält sie kein Verständnis von ihrer sippe dafür: daz
was ir aller leide (257, 30).
4.2.2. Gyburc und die christliche Verwandtschaft
Gyburc wird ohne Zögern in die Heimrich-sippe aufgenommen und als Mitglied der
sippe anerkannt. Natürlich fühlt Gyburc auf Anhieb aufgrund der Erziehung Vivianz' (in
het durh sippe minne 24,13) eine gewisse Verbundenheit mit der christlichen
Verwandtschaft, doch obwohl sie in die Heimrich-sippe als Schwägerin eintritt, hat sie
das Gefühl, die Schwester der Söhne Heimrichs zu sein: und miner brouder, iuwerr
kinde (262,25); miner swester, miner vrouwen (120,2).
Sogar Heimrich nennt sie zir liebstem vater (252,29) und der Erzähler unterstreicht
dieses Verhältnis: gedienten tohter (250,25) gedienter vater (268,7).
Gyburc fühlt sich in Bezug zu ihrer christlichen Verwandtschaft mehr als sippen-
Mitglied als in Bezug zu ihrer eigenen Blutsverwandtschaft, von der sie abgewiesen
wird. Terramer kann und will den Standtpunkt seiner Tochter nicht verstehen. Heimrich
hingegen nimmt Gyburc in seinen Verwandtschaftszyklus auf, als hätte sie schon immer
dazu gehört. Die Tatsache, dass sie vorher Heidin gewesen ist, ist für ihn nicht von
Bedeutung. Sie hat gezeigt, dass sie seine triuwe verdient. Das allein zählt für ihn.
Gyburc bezeichnet Heimrich meistens als sweher (238,5; 249,16; 250,2; 251,5), aber
auch als vater (252,29). Man kann also die Beziehung zwischen Heimrich und Gyburg,
laut STEVENS, als „a surrogate father-daughter relationship”95 bezeichnen. Der
Unterschied zwischen Terramer und Heimrich ist, dass Heimrich die triuwe in den
Mittelpunkt seiner Verwandtschaftsvorstellung stellt, wohingegen Terramer die êre
vertritt.
95 Stevens 1997: 75
54
Gyburc hat Heimrich gegenüber diese triuwe bewiesen:
wan daz iu gebot iuwer triuwe iu noch gebiutet daz iuwer pris bediutet swes sich vriunt ze vriunden sol versehen, des mac min sun der markys jehen, Unt sine mage über al. ir habt den totlichen val unseres künnes wol vergolten (251,24-252,1),
Es gibt für Heimrich keinen Grund, sie in seine Verwandtschaft aufzunehmen. Heimrich
ist derjenige, der Gyburc am meisten tröstet, denn er ist von ihrer Loylität gegenüber
seinem geslehte und der Christenheit überzeugt, wie STEVENS betont: „he insists […]
that triuwe demands triuwe in return and states emphatically that he and his family will
not waver in the towards Gyburg”96. Diese Nähe beider Figuren zeigt sich vor allem in
der Rede Gyburcs an ihren Schwiegervater (252,29-259,12). Gyburc gibt in ihrer
Aussprache mit ihm preis, dass sie sich als Schuldige in dieser kriegerischen
Auseinandersetzung fühlt:
ich schur siner hantgetat, der bede machete und hat, den kristen und den heiden! (253,9-11)
Gyburcs Worte zeigen den intensiven Schmerz, den sie erfährt, weil sie sich für das
Christentum und für Willehalms geslehte entschieden hat.
Doch auch Heimrich leidet (in ähnlicher Form wie Terramer) unter dem Krieg, da seine
engsten Verwandten getötet werden und er dies auf eine so innige Art und Weise fühlt,
als würde es ihm selbst zustossen:
Heimrich al eine mich nu da erbarmet sere, daz die endelosen ere so tiuwer sin alter koufte und anderstunt sich toufte sin geslehte da in bluote. wie was im do ze muote, da siniu kint und kinde kint und er selbe in söhlen noeten sint, dar zuo mage unde man? (405,20-29)
96 Stevens 1997: 76
55
In völligem Gegensatz zu den Kriegsepisoden, die das ganze Werk beherrschen, steht
die eheliche Liebe, die zwischen Willehalm und Gyburc besteht und die „in der
höfischen Epik ohne Parallele”97 ist:
an ein bette wart gegangen, da er und diu küneginne pflagen sölher minne, daz vergolten wart ze beder sit daz in uf Alyscanz der strit hete getan an magen: so geltiv si lagen. (279,6-12)
Auch der Herzensaustausch zwischen Gyburc und Willehalm bei seiner Abreise zum
Königshof zeigt, wie sehr sie miteinander verbunden sind. Das Bild des Tausches der
Herzen ist in der mittelalterlichen Dichtungen ein oft benutztes Symbol der Liebestreue.
Wie schon in der sippe, in der wir mit der Blutsverwandtschaft vertraut wurden, wird
hier die Ehe als ein Zusammenfügen von Blut und Wesen dargestellt. Eine Bindung, die
alles und jeden überschreitet:
Gyburc behielt daz herze sin. ouch vuor ir herze uf allen wegen mit im: wer sol Orangis pflegen? der wehsel rehte was gevrumt: ir herze sol sich vienden wern, Gyburge vor untroste nern. (109,8-14)
Diesen hohen Wert der Liebe zwischen zwei Mann und Frau wird auch an einer anderen
Stelle des Werkes deutlich, in der Willehalm seine Liebe zu Gyburg als hohe minne
(95,13) ausspricht. Es handelt sich bei dieser Liebesbeziehung nicht nur um profane
Liebe, denn die würde einer heidnischen Beziehung gleichen, vielmehr zeichnet sich
eine christliche Beziehung aufgrund ihres transzendenten Charakters aus.
In der christlichen Liebe zwischen Willehalm und Gyburc ist Gott gegenwärtig:
[D]urh den han ich mich bewegen daz ich wil armuot phlegen, unt durh den der der hoechste ist. (216,1-3) durh des hoehisten gotes hulde, ein teil ouch durh den markys der bejaget hat so manegen pris. (310,17-20)
97 Bumke 2004: 301
56
Diese minne ist beherrscht von der triuwe zwischen beiden, die man vor allem bei
Willehalms Versprechen am Tag der Abreise von Orange beobachten kann:
Er gap des fianze, daz diu jamers lanze sin herze immer twunge, unz im so wol gelunge daz er si da erloste mit manlichem troste, und lobt ir dennoch vürbaz daz er durh liebe noch durh haz nimmer niht verzerte von spise diu in nerte, niht wan wazzer und brot (105,1-11)
Durch dieses Versprechen zeigt Willehalm Gyburc seine triuwe. Dieselbe triuwe, die er
innerhalb seines geslehte gegenüber anderen Mitgliedern und ebenso gegenüber Gott
gezeigt und übermittelt hat. Es ist diese triuwe, die das Leid des gesamten Werkes
überwinden kann.
Gyburc steht zwischen zwei Fronten: Den Heiden, ihren Blutsverwandten, und den
Christen, in deren Verwandtschaft sie schon aufgenommen wurde. Ihre Liebe zum
christlichen Menschen und zu Gott löst ein gewaltsamer Krieg aus.
Gyburcs bedeuntendste Rede, die ihren inneren Zwiespalt zeigt, ist die sogenannte
Toleranz- oder Schonungsrede (306,1-310,30), die sie im Fürstenrat vor der zweiten
Schlacht hält.
Es war nicht üblich, dass Frauen an diesen Kriegsräten teilnahmen, doch da Gyburc bei
der Verteidigung in Oransche mit dem Schwert für die Christen gekämpft hat, wird ihr
diese Teilnahme gewährt.
In dieser Rede geht es Gyburc vor allem darum, dass die Christen im Falle eines Sieges
die Heiden schonen sollten, denn auch sie stammen von Gott ab; alle Menschen werden
als Heiden geboren. Gyburc spricht diesen Gedanken sehr deutlich aus:
schonet der gotes hantgetat. ein heiden was der erste man den got machen began. (306,28-30) wir waren doch alle heidnisch e. (307,25)
Außerdem widerspricht sie dem Gedanken, dass die Bestimmung der Heiden die Hölle
ist, wie sie selbst sagt: die heiden hin zer vlust / sint alle niht benennet (307,14f.), denn
ihrer Meinung nach, können auch diese Ungläubigen noch gerettet werden und nennt als
57
Beispiel dafür Namen aus dem Alten und Neuen Testament: Elias und Enoch / vür
heiden sint behalten noch. (307, 1f.).
Für Gyburc gibt es keinen Unterschied zwischen Heiden und Christen, der nicht zu
überwinden wäre.
Diese Rede nimmt einige der Gedanken des Prologs wieder auf, wie z.B. den
Kindschaftsgedanken. Dieser Gedanke soll eine Begründung für die Erlösung der
Heiden sein. Eine Begründung, die Gyburc anhand von Beispielen aus dem Alten
Testament darzulegen versucht.
Im Prolog wird erklärt, dass der Mensch durch die Taufe die Gotteskindschaft erhält,
wie der Erzähler sagt: din kint und din künne (1,16); du bist Christ, so bin ich kristen
(1,28).
Diese Idee verdeutlicht den Unterschied, den die Kirche zwischen den getouften und
den ungetouften macht. Durch die Taufe werden die Christen zu Kinder Gottes. Diese
Position können die Heiden nie erreichen.
In Gyburcs Rede jedoch wird erklärt, dass alle Menschen vor der Taufe Heiden waren,
denn alle Menschen sind auf die gleiche Weise auf die Welt gekommen: wir waren
doch alle heidnische. (307,25). Auch gibt sie das Beispiel von Jesus, der seine ersten
Gaben von Heiden, nämlich den Heiligen Drei Königen, erhalten hat. Auch Adam und
Eva waren Heiden. Damit begründet Gyburc ihre Auffassung, dass nicht alle Heiden zur
Hölle verdammt sind: die heiden hin zer vlust / sint alle niht benennet (307,14 f.).
Es handelt sich im Prolog und in Gyburcs Rede um zwei unterschiedliche
Gotteskindschaftsverhältnisse. Im Prolog handelt es sich um eine Gotteskindschaft, die
in der Taufe begründet ist und damit einen übernatürlichen Charakterzug aufweist. In
Gyburgs Rede jedoch wird die natürliche Kindschaft angesprochen. In diesem
Verhältnis steht der Mensch der Gestalt Gottes gegenüber. In diesem Falle ist der
Mensch gotes handgetat (306,28), denn er wurde von Gott geschaffen. Zu dieser Art
von Kindschaft gehören selbstverständlich auch die Heiden.
Leider trifft sie mit ihrem Barmherzigkeits- und Schonungsgedanken im Fürstenrat
nicht auf Unterstützung, sie steht allein da. Die Gewalttätigkeit des Krieges ist zu groß,
um Gyburcs Appell mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Doch Wolfram nimmt Gyburcs
Grundgedanken dieser Rede am Ende der Dichtung wieder auf und lässt diesen anhand
einer Frage offen, so dass diesem Gedanken doch noch eine besondere Bedeutung
zukommt:
58
die nie des toufes künde enpfiengen, ist daz sünde, daz man die sluoc alsam ein vihe? (450,15ff.)
In dieser Rede finden wir den Humanitäts- und/oder Barmherzigkeitsgedanken
Wolframs. Anhand von Gyburc zeigt Wolfram hier sein Ideal der Humanität, dass alle
Menschen von Gott abstammen, auch die Heiden.
4.3. Rennewart
Rennewart, Gyburcs Bruder, ist in Bezug auf seine Position und Funktion im Willehalm
eine komplementäre Figur zu Gyburc. Im Gegensatz zu Gyburc, die freiwillig ihre
heidnische sippe verlassen hat, wird Rennewart seiner beraubt. Während Gyburc zum
christlichen Glauben konvertierte, hält Rennewart an seiner heidnischen Religion fest,
aus welchem Grund er am Königshof zum Küchendienst verdammt wird.
Beide Figuren bilden eine Brücke zwischen Heiden und Christen. Rennewart anhand
seines Hasses und Gyburc aufgrund ihrer minne zu Willehalm und dem christlichen
Glauben. Anhand der Figur Rennewarts bearbeitet Wolfram das Thema der Identität.
Diese Frage der Identität wird besonders deutlich im Gespräch zwischen Rennewart und
Gyburc (291ff.), doch zuvor soll auf Rennewarts Hass gegen seine eigenen
Blutsverwandten eingegangen werden.
Rennewart hasst seine Familie, wie man an seinem folgenden Wortlaut sehr deutlich
erkennen kann: [D]er knappe sinem vater haz (285,1);
diu wart gegeben einem man: der hat ouch an mir missetan (der hat so manegen pris bejagt), sit brouder an mir sint sus verzagt, daz er mich liez so lange in not, sit wariu miltde des niht gebot. dem selben und minem geslehte trag ich grozen haz mit rehte (292,15-22)
Es handelt sich um einen Hass, der aus Liebe entstanden ist. Seiner Meinung nach
haben seine Verwandten, die er eigentlich lieben sollte, ihn verraten, die triuwe
gebrochen und damit das Band zwischen ihm und seiner sippe für immer zerrissen: in
duhte daz si verbosten / ir triuwe. (285,4f.).
59
Doch was Rennewart nicht weiß und der Zuhörer vom Erzähler erfährt, ist, dass seine
Verwandtschaft unschuldig ist: sin haz unrehtegiht (285,5). Rennewart wurde nämlich
als Kind seinem geslehte beraubt und anschließend an den französischen Hof verkauft.
Rennewart beschuldigt seine Verwandten, ihn nicht aus seiner erniedrigenden Lage
befreit zu haben. Es handelt sich jedoch um einen Irrtum, der Rennewart zum Hass und
zur daraus folgenden Rache führt. Seine Verwandten wissen nicht, was ihm zugestossen
ist noch er sich aufhält.
Rennwart verleugnet jedoch seine heidnische Herkunft und seine Religion nicht, wie er
selbst zu Gyburg sagt: ‚mir sint dri got erkant, / der heilige Tervagant, / Mahumet und
Apolle: / ir gebot ich gerne ervolle.‘(291,21-24).
Man bemerkt bei Rennewart ein äußerst starkes Sippenbewusstsein, wie er selbst
zugibt: und doch vil werder liute vruht. / des muoz ich jehen, han ich zuht. (290,25f.).
Dieser Gedanke wird auch von der Forschung unterstrichen, wie PRZYBILSKI darlegt:
„Für Rennewart stellt die Verwandtschaft den höchsten Wert dar, daher motiviert sie auch seine Taufweigerung, die ihm den einfachsten Weg versperrt, in der Fremde seinen angebrochenen Status wiederzuerlangen, und daher nimmt er es seinen Verwandten so übel, daß sie ihn nicht befreit haben.”98
Dies ist der Grund für seinen Zorn und für seinen Kampf auf der Seite der Christen und
gegen seine sippe, wie Rennewart in seiner Unterredung mit Gyburg erklärt:
‚vrouwe, ane allen var gesten ich siner werdekeit. ich riche ouch schamlichiu leit, da von mich die heiden solten lange han gescheiden.‘(293, 16-20).
Rennewart kämpft auf der Seite der Christen und dient als Werkzeug Gottes, denn erst
durch Rennwarts Eintritt in den Kampf gelingt es den Christen, die gewaltige Überzahl
der Heiden siegreich zu bekämpfen. Diesen Gedanken kann man an Willehalms Worten
ablesen:
daz ich vin im des siges pflac, und vin der hoechsten hende. (452,24f.)
98 Przybilski 2000: 181/182
60
Dies wird von KNAPP wie auch von anderen Forschern unterstrichen: „Freilich ist
Rennewart ein Erwählter; nur er kann den Christen den Sieg erfechten.”99
Hier tritt also wieder der religiöse Aspekt dieses Werkes auf, dem Wolfram viel mehr
Beachtung schenkt als es in der Vorlage der Fall ist.
Es gibt aber noch einen zusätzlichen Grund für Rennewarts Kampf auf der christlichen
Seite: seine minne zu Alyze. Diese unschuldige minne wird vom Erzähler näher
erläutert:
do man in ir zeinem gespilen gap, ir zweiter liebe urhap volwuohs: die brahtens an den tot und liten nach ein ander not. (284,13-16)
Rennewarts Verhältnis zu seiner sippe ist von Hass erfüllt, doch Gyburc wird zu einer
Ausnahme. Rennewart und Gyburc wissen zunächst nicht, dass sie Geschwister sind
und diese Beziehung bleibt auch unausgesprochen, aber es besteht von Anfang an ein
besonders liebevolles Verhältnis zwischen beiden.
4.3.1. Rennewarts Verhältnis zu den Heiden
Nach der Szene, in der Rennewart den Küchenchef getötet hat, schickt Willehalm
Gyburc in die Küche, um Rennewart zu beruhigen:
‚der küchenmeister ist verlorn; nemet minen vriunt mit vuogen dan.‘
In diesem Gespräch zwischen Rennewart und Gyburc in der Küche ( 289,20-296,21),
die Gyburc zum ersten Mal betritt, geht es nicht so sehr um das Gesagte, sondern um
die Gesten, wie wir anhand des folgenden Zitats sehen können: ir mantels swanc si
umbe in ein teil (291,5).
Bei diesem Einhüllen in den Mantel handelt es sich um eine Schutzgeste. Gyburc will
Rennewart in Obhut nehmen. Aber vor allem zeigt Gyburc anhand dieser Geste ihre
Gefühle für Rennewart und sie bemüht sich, dem vriunt Willehalms in seiner
Demütigung zu helfen. 99 Knapp 1970: 335
61
LOFMARK unterstreicht die Geste Gyburcs und behauptet: „This gesture indicates her
protective care for Rennewart and is a great honour for him”100.
Rennewart erkennt diese Respektgeste Gyburcs, denn er erwidert Folgendes:
‚vrouwe, diss waere geil der beste riter der ie gebant helm uf houbet mit siner hant. swer mich alsus sitzen siht, vil ungevouge er mit giht, und nimt mich drumb in sinen spot: des erlat mich, vrouwe, durh iuweren got.‘ (291,6-12)
In dieser Unterredung werden ebenfalls die Emotionen vor allem von Gyburc offen
dargelegt, wie an dieser Stelle sichtbar wird:
min herze giht etewes uf in, dar umbe ich dicke siufzic bin (272,21f.); min herze mich des niht erlat, ich ensi im holt, ich enwiez durh waz (272,28f.).
Gyburc spürt eine drängende Nähe zu Rennewart. Es ist ihr Herz, das spricht. Wieder
haben wir es hier mit dem Herzmotiv zu tun, das uns schon mehrere Male im Laufe
dieses Werkes begegnet ist. Es ist ein Leitmotiv, das das Gedicht beherrscht und den
Gegensatz zum Krieg darstellt. Immer wenn in den Pausen zwischen den grausamen
Kämpfen zwischen Heiden und Christen die Gespräche der sippen Gestalt annehmen,
kommen Gefühle auf, die sowohl Leid wie auch Freude offenlegen.
Rennewart erkennt Gyburcs Zuvorkommenheit, ihre Mühe ihm in seinem Leid zu
helfen und so spricht er: vrouwe, ir sit so guot (289,27). Diese kurzen Worte sind
ausreichend, um das intime Verhältnis zwischen beiden Figuren zu spüren, wie KNAPP
darlegt, denn es geht um „eine Atmosphäre der Herzenswärme, des gegenseitigen
Verstehens, wie es nur unter Familienangehörigen besteht.”101
Aber auch äußerlich sind sich Rennewart und Gyburc ähnlich, wie wir von Wolfram
erfahren:
sin und ir, ir beder schin sich kunde alsus vermaeren, as ob si bede waeren uf ein insigel gedrucket
100 Lofmark: 1972: 172
101 Knapp 1970: 106
62
und gahes her abe gezucket: daz underschiet niht wan sin gran. (274,18-23)
Dies zeigt, dass der Grad der Verwandtschaft auch anhand des äußerlichen Aussehens
auszumachen ist.
Wie schon angedeutet, geht es in diesem Gespräch vor allem, um die Identität
Rennewarts. Gyburc ahnt schon vor Beginn der Unterredung die verwandtschaftliche
Verbindung zwischen ihr und Rennewart, wie sie selbst sagt:
mich dunkte, man sold in halden baz. (272,6); ich mouz im antlützes jehen als eteslich min geslehte hat. (272, 26f.)
Obwohl während des gesamten Gespräches die Offenbarung dieser
Geschwisterbeziehung in der Luft liegt, wird diese jedoch mit keinem Wort erwähnt.
Gyburc fragt wiederholt nach seiner Herkunft:
‚trut geselle min, möht es mit dinen hulden sin, so vragt ich wannen du waerest erborn (290,19-21); ‚lieber vriunt vil gouter, hastu vater oder muoter, bruoder oder swester? (292,3-5).
Wir haben es hier mit dem Höhepunkt der Problematik der Verwandtschaft in diesem
Werk zu tun, denn die Geschwisteridentität wird verheimlicht. Rennewart weicht
Gyburcs Fragen aus, indem er nicht direkt antwortet. Aber Rennewarts Worte lassen
erkennen, dass auch er sich ihr verbunden fühlt. Auf Gyburcs Frage nach dem Namen
seines geslehte antwortet Rennewart:
‚man gap eteswa ze swester mir ob aller clarheit den lobes kranz, ein maget diu nam der sunne ir glanz, so man si bede des morgens sach und diu sunne durh die wolken brach. (292,10-14)
Rennewart wird sogar noch etwas direkter und stellt die Hypothese auf, es könne sich
bei Gyburc um seine Schwester handeln:
eteslicher miner swester schin [...] und waeret ir rich also si sint, ir möhet wol sin des selben kint, der an mir hat enteret sich, gein dem ouch immer min gerich (292,28-293,4)
63
Doch es bleibt nur bei einer Vermutung, die weder von Rennewart noch von Gyburc als
Tatsache offenbart wird. Es erfolgt kein Wiedererkennen, obwohl Gyburc ihre Herkunft
darlegt (293,28-294,30), indem sie ihm von ihrer Vergangenheit spricht. Nur der
Erzähler legt diese Identität dar, indem er auch Rennewarts Vergangenheit nacherzählt
(282,19-285,22). Rennewart offenbart diese Identität in seiner ausführlichen Klage
(287,1-288,30), in der er in seinem letzten Satz deutlich ausspricht: ich doch Terramers
barn.
4.3.2. Rennewarts Verbindung zu den Christen
Rennewart wird von Gyburc respektiert und auch Willehalm zeigt ihm seinen Respekt.
Willehalm hat Gyburc als Zeichen seines Respekt gegenüber Rennewart zu ihm in die
Küche geschickt. Er hat nicht, wie vielleicht erwartet, seine Handlungsweise in Bezug
auf den Küchenmeister kritisiert. Ganz im Gegenteil, er schickt sogar seine Frau zu
seinem Freund, um diesen zu trösten und ihm zur Seite zu stehen.
Dieses Verhältnis wird von LOFMARK auf folgende Weise dargestellt: „Willehalm and
Gyburg [...] however, always treat him with kindness and respect, which gradually
foster trust on his part and make him willing to accept their guidance.”102 Rennewarts
sozialer Status steigt aufgrund der güete Willehalms und Gyburcs. Rennwart benötigt
vor allem Respekt und eine liebevolle Behandlung, denn er hat am königlichen Hof als
Küchenjunge viel erleiden müssen. Sowohl Willehalm wie auch Gyburc schenken ihm
diese respektvolle und fürsorgliche Behandlung, weshalb sich Rennewart für sie
verantwortlich fühlt und tut, was von ihm verlangt wird. Als Willehalm Rennewart vor
dem Festmahl darum bittet, sich zu Gyburc und Heimrich zu begeben, um ihnen seinen
Dienstbereitschaft zu zeigen, antwortet Rennewart ihm:
herre, sprach do Rennewart, im belibet min dienst ungespart, und alen den die es geruochent, die ez güetlichen versuochent. (273,15-18)
102 Lofmark 1972: 149
64
Die güete Willehalms und Gyburcs kann man, laut LOFMARK, wie folgt
charakterisieren: „a natural sympathy which prompts them to be consistently kind and
in their kindness to show Rennewart the respect he desires and tries so valiantly to
deserve.”103 Rennwart unterstützt die Christen in ihrem Kampf gegen die Heiden, seine
eigenen Verwandten, weil er nur von Gyburc und Willehalm respektvoll behandelt
wurde. Es ist seine Art, ihnen dafür Dankbarkeit zu zeigen. Es handelt sich bei güete
also um ein Verhalten unter Gleichrangigen, nicht etwa wie milte, das für Untergebene
gilt. Willehalm ist sich über diesen Unterschied im Klaren und zeigt somit gegenüber
Rennewart güete und nicht milte. Dies wird am folgenden Wortlaut Willehalms
deutlich: min zeswiu hant (452,29). Die güete tritt in Rennewarts Leben mit Willehalm
ein. Willehalm spricht zum König: waz ob ich, herre, im sin leben / baz berihte, ob ich
mac? (191,22f.). Erst durch Willehalms Fürsprache beginnt für Rennewart die
Möglichkeit, sich innerlich zu entwickeln. Kurz nachdem Willehalm den König um
Rennewart für sich gebeten hat und dieser ihm Rennewart übergibt, führen beide ihre
erste Unterhaltung. In dieser erkennt Rennewart auf Anhieb Willehalms güete und
spricht diese Anerkennung aus:
herre, wie sol ich nu varn? swaz ir heizet mich bewarn, des phlige ich als ich phlegen kan. so lieben herren ich nie gewan, iuwer hulde si min lon. (195,7-11)
Rennwart spricht hier von hulde, denn, laut LOFMARK, ist güete „naturally
experienced as hulde by the person who benefits from it.”104 Dieses Verhalten
Rennewarts steht in völligem Kontrast zu seinem anfänglichen gewaltsamen Auftritt, in
dem er sogar den Koch ins Feuer wirft, weil dieser zuvor seinen Bart versengt hatte. Es
handelt sich also um ein Geben und Nehmen. Derjenige der Rennewart schlecht
behandelt, wird auf dieselbe Weise von ihm behandelt. Rennewart behandelt den
Nächsten auf dieselbe Weise wie er selbst von diesem behandelt wird. Da Willehalm
wie auch Gyburc ihn von Anfang an gut behandlen, ihn respektieren wie kein anderer
am Hof, ihm ihre güete zeigen, verhält auch Rennewart sich ihnen gegenüber
entsprechend gütig und respektvoll. Willehalm schenkt ihm Respekt, güete und wahre
103 Ib.: 165
104 Lofmark 1972: 169
65
Freundschaft und Rennewart schenkt ihm seine Treue, seinen Gehorsam und seine Kraft
im Kampf gegen die Heiden. Ebenso nimmt Willehalm Rennewarts Gehorsam und
Kraft in Anspruch, wie auch Rennewart Willehalms Respekt und güete.
Es ist Rennewarts Kraft und Gott, die die Christen in der zweiten und entscheidenden
Schlacht zum Sieg über die Heiden führt.
Doch der Sieg ist mit Unglück verbunden, wie der Erzähler schildert: der marcrave hete
den sige / mit grozem schaden errungen (445,14f.), wobei der größte Schaden durch das
Verschwinden Rennewarts entsteht. Rennewart wird unter den Toten nicht aufgefunden.
Willehalm spricht sein großes Leid aus: ine han noch niht vernumen / war min zeswiu
hant si kumen (452,19f.). Und für Willehalm bedeutet dieser Sieg eine Niederlage: dirre
sige mir schunpfentiure (459,26), denn er hat seinen geliebten Freund verloren, der ihm
so lieb war wie ein Blutsverwandter. Seine lange Klage (452,19-456,24) verdeutlicht
dieses intime Empfinden besonders gut. Sie übersteigt sogar die Klage um seinen
Neffen Vivianz am Anfang dieser Dichtung.
Besonders hervorgehoben hat Wolfram eine letzte Szene in dieser Dichtung: die
Matribleizszene. Da der König Matribleiz ein Verwandter Gyburcs ist, erweist
Willehalm ihm, aufgrund seiner triuwe (462,7), manheit (462,7) und milte ane riuwe
(462,7), eine besondere ere. Er gestattet ihm die toten heidnischen Könige zu bergen
und sie nach ihrem Brauch zu bestatten (462,13-463,1). Willehalm begründet seine
Vorgehensweise zum einen mit Verwandtschaftsverhältnis der Heiden mit Gyburc, wie
er dem König erzählt: daz ich die waren sippe weiz / zwischen iu und dem wibe min
(461,26f.). Zum anderen entscheidet er sich für diesen Akt, weil er während seiner
Gefangenschaft im Land der Sarazenen mit dieser Ehrung der Toten vertraut wurde, die
ihn zutiefst bewegte. Matribleiz erkennt die unvergleichliche und bedeutungsvolle
Handlungsweise Willehalms an. Vom Erzähler erfährt man Folgendes:
do dancte er dem markys und sprach also, daz al sin pris mit der tat waere beslozzen und sin triuwe mit lobe begozzen, des sin saelde immer blüete und sin unverswigeniu güete (463,5-10)
Matribleiz und Willehalm ehren einander, beide erkennen die triuwe des anderen an.
Der heidnische König und der christliche Markgraf verstehen sich. Sie kommen zu
einem friedlichen Entscheidung dieses Krieges, der die Scham der Heiden verdeckt.
66
Erneut haben wir es hier mit Willehalms triuwe zu tun, die er gegenüber Gyburc und
auch ihrer sippe erweist. Genau dieselbe triuwe, die ihn nach der ersten Schlacht dazu
veranlasst, Gyburcs Onkel Arofel zu töten, bestimmt nun sein umgekehrtes Verhalten.
Es ist die triuwe, die jedes Handeln Willehalms auszeichnet.
Diese Szene könnte eine mögliche Konfliktlösung darstellen, da Willehalm durch
diesen Barmherzigkeitsakt versucht, den Brauch der Heiden, ihrer art Respekt zu
erweisen. Auch Matribleiz zeigt seinen Respekt gegenüber Willehalm. Aber durch die
anschließende Aussage Willehalms, in der er seine Botschaft für Terramer an Matribleiz
weitergibt, wird deutlich, dass er das gesamte Leid noch einmal auf sich und seine
Verwandten nehmen würde, wenn Terramer aus demselben Grund gegen ihn und seine
sippe kriegerisch vorgehen würde: vür war ich liez e manegen lip / verhouwen als ist hie
geschehen. (466,14f.). Willehalm will, dass Terramer auch den christlichen Glauben
respektiert und nicht gegen den Glaubenswechsel der eigenen Tochter vorgeht.
Willehalm schließt mit der Tatsache ab, dass ihm der größte Sieg, nämlich Gyburc,
verbleibt, weshalb für Willehalm diese Ehrerbietung nur ein Lohn für Terramers
Niederlage darstellt, die er ihm gerne erweist: des mir ze kürzwile wart / an minem arm
ein süezez teil (466,20f.).
Die Reaktion Terramers bleibt offen, sie wird von Wolfram nicht ausgeführt, weshalb
es fraglich bleibt, ob diese Handlung Willehalms zum Frieden zwischen beiden
Religionen und sippen führen könnte.
67
5. Schlusswort
Diese Arbeit verdeutlicht, dass ein Sieg der Christen oder auch der Heiden den Konflikt,
der auf Grund der verwandtschaftlichen Problematik einen Höhepunkt erzielt, nicht löst.
Die in der Forschung oft diskutierte Frage, ob es sich beim Willehalm, um ein
vollendetes Werk oder ein Fragment handelt, bleibt weiterhin offen. Diese Frage ist für
die Lösung des Konflikts auch nicht entscheidend und wahrscheinlich war dies auch das
Ziel Wolframs. Das Werk endet, wie es beginnt mit Willehalm und Gyburc auf der
einen Seite und Terramer auf der anderen, nur nun mit vielen Gefallenen auf beiden
Seiten. Der eigentliche Konflikt zwischen Vater und Tochter und der Religion bleibt
ungelöst.
Die Geste Willehalms am Ende des Werkes zeigt eine "gewisse" Schonung der Heiden,
für die Gyburc in ihrer Rede plädiert hatte, da ihrer Meinung nach, alle Menschen gotes
handgetat sind. Willehalms Respekt gegenüber der Heiden bezieht sich jedoch
anscheinend nur auf die Toten, denn die lebenden gefangenen Heiden werden in Ketten
gelegt. Da die Vorgehensweise Willehalms nur die toten Heiden einbezieht, könnte eine
mögliche Versöhnung der Heiden und Christen in Frage bleiben.
Bei Gyburcs Schonungsgedanke steht natürlich die Verwandschaft, das Kernthema der
vorliegenden Arbeit, im Mittelpunkt. Gyburc war Heidin bevor sie sich konvertieren
ließ. Der Schonungsgedanke bezieht sich auf ihre Blutsverwandten. Die
Zwiespältigkeit, in der sich Gyburc befindet, bzw. das Wanken zwischen heidnischen
und christlichen Verwandten, ist das Dilemma dieser Dichtung. Sie fühlt sich sowohl
den Christen wie auch den Heiden verwandt.
Das Thema der Sippengehörigkeit beherrscht das gesamte Werk und macht ein
gemeinsames und solidarisches Handeln innerhalb der beiden sippen überhaupt erst
möglich. Doch besteht ein Zusammenhalt nur innerhalb der zwei sippen, er überquert
nicht die Grenzen zur anderen. Der religiöse Aspekt ist also eng mit dem der
Verwandtschaft verbunden.
Es geht um zwei sippen und zwei verschiedenen Religionen, die sich von Anfang bis
Ende gegenüberstehen und gegeneinander kämpfen. Gyburcs Rede stellt Wolframs
einzig mögliche Konfliktlösung in den Vordergrung des Werkes: die Idee der
gemeinsamen Geschöpflichkeit und die Gotteskindschaft. Es stellt einen Weg dar, beide
sippen miteinander zu verbinden und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu bilden.
68
Anscheinend handelt es sich bei Gyburcs Rede um einen Vorläufer des
Toleranzgedankens, der sich erst in späteren Jahrhunderten entwickeln würde.
Es geht um zwei verfeindete verwandtschaftliche Verbände, die zwei unterschiedlichen
Religionen angehören, deren Glaubens- und Verwandtschaftskrieg durch eine Frau
entsteht. Das Problem ist, dass es keine gemeinsame übergeordente Instanz gibt, die
diese Auseinandersetzung friedlich lösen könnte.
Da beide Gruppen noch nicht einmal die gleiche Vorstellung in Bezug auf Gott teilen
und nicht daran interessiert sind, den Glauben des anderen wenigstens zu verstehen,
kommt es notwendigerweise zu einer „Verkettung von Bluttaten“ (HAUG), bei der der
Tod eines Verwandten durch den eines anderen beglichen wird. Dadurch entsteht
folglich ein Teufelskreis, der sich vollkommen in die Erzähllogik der chanson de geste
einordnet.
Der Gedanke, der hier den Mittelpunkt bildet, ist die triuwe. Willehalm ist eines der
besten Beispiele, um die Bedeutung des Begriffes triuwe in diesem Werk darzulegen.
Willehalms Verhalten ist von Anfang bis Ende von triuwe bestimmt. Er verhält sich
nach der ersten Schlacht Arofel gegenüber völlig anders als am Ende der zweiten
Schlacht Matribleiz gegenüber. Es handelt sich um zwei verschiedene Situationen, da
die Umstände nicht vergleichbar sind und in diesem Sinne auch nicht Willehalms
Verhalten. Willehalm hält bis zum Ende der Dichtung an seiner triuwe zu Gott, zur
sippe und zu Gyburc fest, wobei letztere vielleicht die Gründe für sein abschließendes
Verhalten in der Matribleizszene sind.
Es ist die triuwe, die aufeinander folgende Tötungen begründet, denn jeder Angehörige
der beiden Verwandtschaften ist dazu verpflichtet, den Tod seines sippen-Mitgliedes zu
rächen. Die triuwe ist somit Ausgangspunkt des gesamten kriegerischen Konflikts.
Terramer MUSS die Entführung seiner Tochter und die daraus folgende Konversion
derselben rächen und zwar für seine sippe wie auch für seine Götter. Die triuwe ist
ebenfalls der entscheidende Aspekt, der den Konflikt bis zum Ende am Leben hält.
Aufgrund der triuwe, die beide Verwandschaftsverbände innerlich zusammenhält, ist
die Verkettung der Toten auf beiden Seiten notwendig: Daher ist ein friedliches Ende
nicht in Sicht. Schließlich macht die triuwe den Sieg auf der christlichen Seite
überhaupt erst möglich. Die Christen siegen nur aufgrund ihrer triuwe zu Gott, zur
minne und zur sippe.
69
Der Krieg erscheint in diesem Zusammanhang als eine schreckliche Erfahrung und stellt
eine kriegerische Konfliktlösung in Frage. Das Thema Gewalt auf dem Schlachtfeld
wird auch zum Thema innerhalb der Verwandtschaft und lässt die triuwe ins Wanken
geraten, wie man an dem Verwandtschaftszwist der christlichen sippe am Hof des
Königs beobachten konnte.
Im Gegensatz zur französischen Vorlage, stellt Wolfram die Erzählung von beiden
Seiten des Konflikts, d.h. Christen und Heiden, dar. Es handelt sich um eine objektivere
Darstellung, wodurch eine Sichtweise ze beder sit möglich ist. Somit werden nicht nur
die Unterschiede zwischen beiden sippen dargestellt, sondern auch die Ähnlichkeiten.
Beide besitzen dieselben Motive für den Kampf, auch die Struktur der Verwandtschaft
ähnelt sich ebenso wie die politische Ordnung.
Der Erzähler in dieser Dichtung führt von Anfang bis zum Ende ein Gespräch mit
seinem Publikum. Dieses Gespräch lässt das Publikum näher an das Geschehen heran
und ermöglicht eine tiefere Reflektion der einzelnen Handlungen. Dies wird vor allem
durch die Reden Willehalms und Gyburcs gezeigt.
Durch die Bearbeitung der französischen Vorlage wird klar, dass Wolfram der
Verwandtschaft ein besonderes Interesse widmete und diese, im Gegensatz zur Vorlage,
in den Mittelpunkt seiner Dichtung legte.
70
Literaturverzeichnis
I. Textausgabe
Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Text und Übersetzung. Berlin; New York: de
Gruyter3, 2003.
II. Lexika
Der grosse Brockhaus: 12 Bd. / Wiesbaden: Eberhard Brockhaus, 1953.
Duden – Deutsches Universalwörterbuch. Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der
Dudenredaktion. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag4, 2001.
Duden – Die sinn- und sachverwandten Wörter. Band 8. [Hrsg. Vom
Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion.] Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich:
Dudenverlag2, 1997.
Duden – Das Stilwörterbuch. Band 2. Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der
Dudenredaktion. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag7, 1988.
Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Stuttgart: Hirzel38, 1992.
Meyers Grosses Taschenlexikon: in 24 Bd. / Hrsg. u. bearb. von d. Lexikonredaktion d.
Bibliograph. Inst. [Chefred.: Werner Digel u. Gerhard Kwiatkowski]. - Mannheim;
Wien; Zürich: Bibiographisches Institut, 1983.
Wilpert von, Gero: Sachwörterbuch der Literatur. Suttgart: Kröner7, 1989.
Wischer, Erika (Hrsg):Geschichte der Literatur. Band II. Die Mittelalterliche Welt 600-
1400. Frankfurt am Main; Berlin: Popyläen Verlag, 1988.
http://www.woerterbuchnetz.de/woerterbuecher/lexer/wbgui?lemid=LT01808
71
III. Forschungliteratur
Bertau, Karl: Das Recht des Andern. Über den Ursprung der Vorstellung von einer
Schonung der Irrgläubigen bei Wolfram von Eschenbach. In: ders., Wolfram von
Eschenbach. Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte.
München: 1983: 241-258.
Bernhardt, E.: Zum Willehalm Wolframs von Eschenbach. In: Zeitschrift für deutsches
Altertum und deutsche Literatur 32. 1900: 36-57.
Bertau, Karl: Über Literaturgeschichte: Literarischer Kunstcharakter un Geschichte in
der Höfischen Epik um 1200. München: Beck, 1983.
Brackert, Helmut. Wolframs von Eschenbach Willehalm. Annäherung an einem
mittelalterlichen Text. Literaturwissenschaft: ein Grundkurs. Ed. Helmut Brackert and
Jörg Stückrath. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1992: 160-73.
Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag12, 2008.
Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2004.
Bumke, Joachim: Wolframs Willehalm. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag8,
1959.
Duby, Georges (Hrsg.): Geschichte des privaten Lebens. 2. Band: Vom Feudalzeitalter
zur Renaissance. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag3, 1990.
Ehrismann, Gustav: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des
Mittelalters. 2. Teil. 2. Abschnitt. 1. Hälfte. München: C.H.Beck'sche Verlag, 1927.
Fink, Reinhard: Sippe und Rittertum bei Wolfram. Zeitschrift für Deutschkunde 57.
1943: 12-25.
72
Frey, Winfried, et.al. Wolfram von Eschenbach: Willehalm. In: Einführung in die
deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts. Adel und Hof. Band 1. Hrsg. von Frey,
Winfried; Raitz, Walter; Seitz, Dieter. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1979: S. 197-
222.
Greenfield, John / Miklautsch, Lydia: Der "Willehalm" Wolframs von Eschenbach. Eine
Einführung. Berlin; New York: de Gruyter, 1998.
Greenfield, John: “ir sît durh triuwe in dirre nôt”: The Role of triuwe in Wolfram’s
Willehalm. In: Wolfram's "Willehalm". Fifteen Essays. Hrsg. von Jones, H. Martin;
McFarland, Timothy. Camden House, 2002: 61-76.
Kienast, Richard: Zur Tektonik von Wolframs "Willehalm". In: Wolfram von
Eschenbach. Hrsg. von Rupp, Heinz. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft,
1966: 433 f.
Kiening, Christian: Reflexion - Narration. Wege zum 'Willehalm' Wolframs von
Eschenbach. Tübingen: Niemeyer, 1991.
Knapp, Fritz Peter: Rennewart. Studien zu Gehalt und Gestalt des "Willehalm"
Wolframs von Eschenbach. Dissertation der Universität Wien. Wien: Verlag Notring,
1970.
Lofmark, Carl. Rennewart in Wolfram’s Willehalm: a Study of Wolfram von
Eschenbach and His Sources. Cambridge: Cambridge University Press, 1972.
Mc Farland, Timothy: Giburc’s Dilemma: Parents and Children, Baptism and
Salvation. In: Wolfram's "Willehalm". Fifteen Essays. Hrsg. von Jones, H. Martin;
McFarland, Timothy. Camden House, 2002: 121-142.
73
Mergell, Bodo: Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen. 1. Teil
Wolframs Willehalm. In: Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung. Hrsg. von
J. Schwietering. Heft 6. Münster in Westfalen: Verlag der Achendorffschen
Verlagsbuchhandlung, 1936.
Peters, Ursula. Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder. Die Adelsfamilie in der
volkssprachigen Literatur des Mittelalters. Tübingen: Niemeyer, 1999.
Przybilski, Martin: sippe und geslehte. Verwandtschaft als Deutungsmuster im
"Willehalm" Wolframs von Eschenbach. Hrsg. von Horst Brumer, Edgar Hölsch, Rolf
Sprendel, Dietmar Willoweit. Imagines Medii Aevi. Intersiziplinäre Beiträge der
Mittelalterforschung Band4. Wiesbaden: Reichert Verlag, 2000.
Reichel, Jörn. Willehalm und die höfische Welt. Euphorion 69 (1975): 388-409.
Ruh, Kurt. Willehalm. Höfische Epik des deutschen Mittelaters II. Berlin: Erich Schmidt
Verlag. 1980: 154-95.
Schmid, Elisabeth: Enterbung, Ritterethos, Unrecht. Zu Wolframs Willehalm. In:
Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 107. 1978: 259-270.
.
Schröder, Werner: Zur Entwicklung des Helden. In: Wolframs 'Willehalm'. Hrsg. von
Ludwig Wolff, W. Schröder. Neumünster: Wachtholtz, 1962: 272 f.
Schröder, Walter Johannes. Der Toleranzgedanke und der Begriff der Gotteskinschaft in
Wolframs Willehalm. rede und meine: Aufsätze und Vorträge zur deutschen Literatura
des Mittelalters. Köln: Böhlau Verlag, 1978: 350-65.
Schulze, Hans K. Familie, Sippe und Geschlecht. Grundstrukturen der Verfassung im
Mittelalter. Band II. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer. 1986: 9-48.
74
Stevens, Sylvia: Family in Wolfram von Eschenbach’s Willehalm: mîner mâge triuwe
ist mir wol kunt. In: Studies on Themes and Motifs in Literature 18. New York: 1997.
Wentzlaff-Eggebert, Friedrich Wilhelm: Kreuzzugsdichtung des Mittelalters. Studien zu
ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit. Berlin: 1960: 247-276.