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DIE TOTEN STEIGEN AUS GRABERN AUF

Date post: 21-Jan-2022
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DIE TOTEN STEIGEN AUS IHREN GRABERN AUF

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SIMON BOCCANEGRAOper in einem Vorspiel und drei Akten von Giuseppe VerdiLibretto von Giuseppe Verdi, Francesco Maria Piave und Arrigo BoitoFassung von 1881 In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE 20.1.18 GROSSES HAUSAufführungsdauer ca. 2 ¾ Stunden, eine PauseAufführungsrechte G. Ricordi & Co., Bühnenmusikverlag G.m.b.H.

Simon Boccanegra SEUNG-GI JUNG / Ks. ARMIN KOLARCZYKMaria, seine Tochter, Ks. BARBARA DOBRZANSKA / alias Amelia Grimaldi JOANNA ZAWARTKO a. G. Jacopo Fiesco, alias Pater Andrea Ks. KONSTANTIN GORNY / AVTANDIL KASPELIGabriele Adorno RODRIGO PORRAS GARULO / JAMES EDGAR KNIGHT Paolo Albiani NICHOLAS BROWNLEE / RENATUS MESZAR Pietro LUIZ MOLZ / YANG XU Eine Magd Amelias ILKIN ALPAY* Maria, Simons Frau ANNA KÖPNICK / ANNA WACKER * Mitglied des Opernstudios Musikalische Leitung JOHANNES WILLIG Nachdirigat DANIELE SQUEO Regie DAVID HERMANN Ausstattung CHRISTOF HETZER Licht FABRICE KEBOUR Chorleitung ULRICH WAGNER Dramaturgie LUC JOOSTEN, BORIS KEHRMANN Theaterpädagogik ANNA MÜLLER

BADISCHE STAATSKAPELLEBADISCHER STAATSOPERNCHOR & EXTRACHORSTATISTERIE DES BADISCHEN STAATSTHEATERS

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DAS MEER! WIE MIR BEI SEINEM ANBLICK ALTE ERINNERUNGEN WIEDERKEHREN.

Regieassistenz & Abendspielleitung DAVID LAERA, BIANCA-KATHARINA REINAGL Musikalische Assistenz DANIELE SQUEO Musikalische Assistenz & Einstudierung JULIA SIMONYAN, MIHO UCHIDA Studienleitung IRENE-CORDELIA HUBERTI Mitarbeit Choreinstudierung MARIUS ZACHMANN Bühnenbildassistenz SOOJIN OH Kostümassistenz ORPHA BONK Übertitel BORIS KEHRMANN Soufflage ANGELIKA PFAU Inspizienz EVA VON SCHUCH-BÜLOW Leitung der Statisterie OLIVER REICHENBACHER Regiehospitanz MARLENE PAWLAK Bühnenbildhospitanz CHRIS KOCH

Technische Direktion HARALD FASSLRINNER, IVICA FULIR, RALF HASLINGER Bühneninspektor RUDOLF BILFINGER Bühne RUDOLF BILFINGER, MARGIT WEBER Leiter der Beleuchtungsabteilung STEFAN WOINKE Leiter Ton- und Videotechnik STEFAN RAEBEL Ton / Video GUNTER ESSIG, JAN PALLMER Leiter der Requisite RALF HASLINGER Werkstättenleiter GUIDO SCHNEITZ Malsaalvorstand GIUSEPPE VIVA Leiter der Theaterplastiker LADISLAUS ZABAN Schreinerei ROUVEN BITSCH Schlosserei MARIO WEIMAR Polster- und Dekoabteilung UTE WIENBERG

Kostümdirektorin CHRISTINE HALLER Gewandmeister/-in Herren PETRA ANNETTE SCHREIBER, ROBERT HARTER Gewandmeisterinnen Damen TATJANA GRAF, HELENA WACHAUF, KARIN WÖRNER Waffenmeister MICHAEL PAOLONE, HARALD HEUSINGER Schuhmacherei THOMAS MAHLER, NICOLE EYSSELE, VALENTIN KAUFMANN Modisterei DIANA FERRARA, JEANETTE HARDY Kostümbearbeitung ANDREA MEINKÖHN Chefmaskenbildner RAIMUND OSTERTAG Maske SABINE BOTT, SINA BURKHARD, MELISSA DÖBERL, FREYA KAUFMANN, MARION KLEINBUB, JUTTA KRANZ, JASMIN MÜLLER, INKEN NAGEL, SOTIRIOS NOUTSOS, MONIKA SCHNEIDER, KERSTIN WIESELER

WIR DANKENder Privatbrauerei Hoepfner GmbH für die Unterstützung der Premierenfeier.

Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind.

3Seung-Gi Jung, Ks. Barbara Dobrzanska

DAS MEER! WIE MIR BEI SEINEM ANBLICK ALTE ERINNERUNGEN WIEDERKEHREN.

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ZUM INHALT

Prolog

Genua befindet sich im Bürgerkrieg. Patri-zier und Plebejer kämpfen um die Macht. Der Populist Paolo hat die Wahlmänner in der Hand. Er schwankt, ob er den Gold-schmied Lorenzino oder den Korsaren Simon Boccanegra zum Dogen wählen lassen soll. Den einen wie den anderen will er zur Marionette aufbauen.

Simon hat heimlich Maria Fiesco geheira-tet. Ihr adelsstolzer Vater sperrt seine Toch-ter ein, um die Verbindung zu unterbinden. Maria stirbt. Fiesco schwört Simon Rache. Er ist nur zur Versöhnung bereit, wenn Simon ihm seine Tochter übergibt. Das ist unmöglich, denn Maria Boccanegra ist nach dem Tod ihrer Amme verschwunden.

Fiesco schickt Simon in den Palast und weidet sich an seinem Schmerz, als der seine tote Frau entdeckt. Der Mob stürzt herein und feiert Simons Wahl zum Dogen.

Was inzwischen geschah

Die verwaiste Maria Boccanegra wuchs in einem Kloster auf, das zugleich konspira-tiver Treff der Adelspartei ist. Hier taucht Fiesco als Pater Andrea unter. Hier steht Amelia aus der verbannten Familie der Grimaldi unter Kuratel. Als Amelia stirbt, nimmt Maria unter Fiescos Regie deren Identität an, um das Vermögen der Grimaldi vor der Konfiskation durch den Staat zu ret-ten. Paolo will es in seinen Besitz bringen, indem er Maria/Amelia heiratet. Amelia aber liebt Gabriele Adorno, der gemeinsam

EIN PASSIONSSPIEL

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mit Fiesco einen Aufstand gegen den Dogen vorbereitet. Gabriele hat ein persönliches Rachemotiv. Simon verurteilte seinen Vater wegen Hochverrats zum Tode.

1. Akt

Amelia ist in Sorge wegen Gabrieles Auf-standsplänen. Der Doge erscheint. Um den Bürgerkrieg zu beenden, überreicht er Ame-lia Grimaldi die Begnadigung ihrer Familie. Außerdem hält er für seinen Gefolgsmann Paolo um ihre Hand an. Amelia entdeckt ihm, dass es Paolo nur auf ihr Geld abgesehen hat und sie in Wirklichkeit keine Grimaldi ist. Sie erkennen sich als Vater und Tochter.

Simon teilt Paolo mit, dass er sich Amelia aus dem Kopf schlagen soll. Paolo beauf-tragt Pietro, sie zu entführen.

Sitzung im Rathaus zu Genua. Der Doge versucht den Stadtrat zu bewegen, den Bruderkrieg mit Venedig zu beenden. Gabriele stürmt mit einem Mob den Saal. Er will den Dogen wegen Amelias Entführung zur Rechenschaft ziehen. Simon stellt sich den Vorwürfen. Der Mob wendet sich ge-gen Gabriele. Maria alias Amelia, die ihren Entführern entkommen konnte, erscheint. Sie bittet den Dogen um Gnade für ihren Geliebten und gibt den wahren Hergang des Verbrechens zu Protokoll. Simon erkennt, dass Paolo der Hintermann der Entführung war. Er zwingt den Beamten, der den Ver-fassungseid brach, sein Urteil zu sprechen.

2. Akt

Um sich am Dogen zu rächen, lässt Paolo Andrea/Fiesco und Gabriele aus dem Ker-ker befreien und stiftet sie dazu an, Simon zu ermorden. Fiesco lehnt ab, Gabriele

nimmt an. Paolo macht ihm weis, Simon und Amelia lebten in Unzucht zusammen. Zur Sicherheit träufelt Paolo Gift in Simons Wasserkaraffe.

Amelia gesteht ihrem Vater, dass sie sei- nen Erzfeind liebt. Simon ist schockiert, überwindet sich aber. Er stimmt der Hochzeit zu und hofft, die Komplotte der Adelspartei durch diesen neuerlichen Gna-denakt endlich zu beenden.

Simon trinkt aus der Karaffe und schläft ein. Amelia fällt dem Attentäter Gabriele in den Arm. Simon erwacht und gibt Gabriele seine Tochter zur Braut.

Der Mob stürmt das Rathaus. Es ist den Patriziern gelungen, ihn gegen den Dogen aufzuhetzen. Gabriele beschließt, an Si-mons Seite gegen seine Standesgenossen zu kämpfen.

3. Akt

Simon hat den Aufstand niedergeschlagen. Paolo, der die Seiten wechselte, wird zum Schafott geführt. Er rühmt sich, den Dogen vergiftet zu haben.

Erschüttert über soviel Niedertracht, die seine Agitation mit schürte, legt Fiesco sein Inkognito ab und sucht die Aussprache mit dem Dogen. Der kann jetzt endlich Fiescos Friedensbedingungen erfüllen und ihm sei-ne Enkelin zuführen. Fiesco erkennt, dass er 25 Jahre lang verblendet war. Nicht nur Ma-ria, deren Vormund er war, hat er verkannt, sondern auch Simons Friedenswillen.

Simon segnet sterbend das junge Paar und lässt den Patrizier Gabriele Adorno zum neuen Dogen ausrufen.

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David Hermann über „Simon Boccanegra“

„Simon Boccanegra“ ist ein Dogendrama aus dem 14. Jahrhundert. Christof Hetzer und du, ihr entwickelt es aus einem be-sonderen Raum heraus. Warum?

Ein zentrales Thema des Stücks ist das Politische und das ist oft an spezielle Orte gebunden. Politik hat sich im Laufe der Jahrhunderte nicht verändert. Es geht um Intrigen, Macht, Abgehobensein im Amt. Da ist es nicht unwichtig, an welchen Orten sie praktiziert wird. In Deutschland wird aufgrund der Weltkriege meist in Neubauten regiert. Das bedeutet mög-licherweise auch, dass die Politik sich von schlechten Traditionen lösen konnte. In anderen Ländern wie Frankreich oder Italien, wo das Stück spielt, residiert die Regierung in alten Palästen, in denen seit Jahrhunderten die Geschicke des Landes bestimmt werden. Uns hat der Gedanke fasziniert, dass der Bürgermeister von Ge-

nua heute vielleicht in demselben Palazzo sitzt, wie einst Simon Boccanegra. Diese Gemäuer haben Geschichte absorbiert. Da sind viele Menschen durchgegangen, viele Entscheidungen getroffen worden. Wir stellen uns vor, dass die Geister der Vergangenheit dort vielleicht wie Wieder-gänger aus dem Gemäuer hervortreten und die aktuell politisch Handelnden be-einflussen. Das fanden wir eine spannende Ausgangslage, die ein Element für unsere Konzeption abgibt.

Bei Verdi spielt der Prolog 25 Jahre vor dem 1. Akt, bei euch als Rückblende.

Das war der Versuch, den Zeitsprung zu vermeiden. Alterungsprozesse auf der Opernbühne darzustellen, ist immer prob-lematisch. Wir erzählen die Vorgeschichte als albtraumartigen Flashback. Boccane-gra ist allein. Er arbeitet, plötzlich hört er Stimmen aus der Vergangenheit, erinnert sich an Dinge, die er vor 25 Jahren erlebt

ZUR INSZENIERUNG

MACHT

Nicholas Brownlee

WAS MACHT

MIT MENSCHEN

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hat, die ihn prägten und traumatisierten. Um das als Traum zu kennzeichnen, er-scheinen diese Menschen in Renaissance-kostümen. Das mag zunächst verwirrend scheinen, folgt aber der Logik des Traums und der Logik dieses Gebäudes. Wenn ein Politiker täglich in so einem Palast arbeitet, sich in Gedanken verliert, von Erinnerungen heimgesucht wird, kann ihn die Halluzination überkommen, da steht derselbe Mensch wieder da, jetzt aber in einem anderen Kostüm. Damit verweisen wir aber auch augenzwinkernd auf die eigentliche Handlungszeit des Stücks. Insofern hat dieses Theatermittel eine doppelte Perspektive.

Ist das Trauma, das Simon mit seiner Frau Maria erlebt, für dich real?

Ja. Deswegen steht ihr Bild auf seinem Schreibtisch, als Anker, Sehnsuchtspunkt und Fixpunkt vieler seiner Gedanken.

Dieser überarbeitete Politiker ist von Attentätern und Volksverhetzern umge-ben und versucht, das labile politische Gleichgewicht in der Republik Genua aufrecht zu erhalten. Ist das richtig?

Man sieht einen Politiker, der ein sehr kompliziertes Privatleben hat und ver-sucht, sich und seine politischen Gegner unter Kontrolle zu halten. Ich würde nicht sagen, dass das Volksverhetzer sind. Das sind im Grunde ganz normale parlamen-tarische Gruppen. Die Ratsszene sehe ich als gewöhnliche Kabinettssitzung, wo diskutiert wird, wie man außenpolitisch vorgeht. Natürlich ist das eine Kriegser-klärung, aber da sind für mich keine Volks-verhetzer am Werk. Meine Sicht ist der Versuch, das auf einer normalpolitischen heutigen Ebene zu sehen.

Der Aufstand im 1. Finale basiert nicht auf Volksverhetzung?

Wenn man annimmt, dass Boccanegras System ein rudimentär demokratisches System ist, in dem gewählt wird, dann repräsentiert diese Szene die Bedrohung der Demokratie. Der Mob wird natürlich aufgehetzt, aber Volksverhetzung klingt so mittelalterlich. Wir sehen eine Masse, die beeinflusst wurde, demokratische Regeln missachtet, Gewalt ausübt, wütend auf die gewählten Politiker ist und den Palast stürmt. Das ist aus heutiger Sicht eher eine Demonstration. Der Angriff auf den Palast entspricht eher dem, was in Kiev oder teil-weise in Griechenland vor den Regierungs-palästen passiert. Und wenn die Leute dann den Palast stürmen, wird die Demokratie, alles, was an zivilisatorischen Errungen-schaften aufgebaut wurde, weggespült. Da befinden wir uns wieder anno 000, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Deswegen bricht bei uns die Masse als Frühchristen herein. Nur Boccanegra bleibt modern und ver-sucht, mit dem christlichen Gedanken die Humanität wieder zu implementieren. Das Christliche ist für ihn ja ein großes Thema. Gerade weil er als Korsar ein Außenseiter war, der keine Familie hat, klammert er sich an christliche Gedanken, die er verinnerlicht hat. Wir versuchen in dieser Szene künstle-risch darzustellen, dass da etwas erodiert und wegschwimmt, was mühsam aufgebaut wurde. Die Zeit wird zurückgedreht. An-schließend muss man mit dem Prozess der Zivilisation wieder von vorne beginnen.

Simon ist jemand, der um des Friedens willen in jedem Akt einem Feind vergibt. Siehst du seinen Messianismus kritisch?

Nein, eher als etwas Zwanghaftes. Er lebt in einer Zeit, die so intrigant und

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gewalttätig ist, dass das Persönliche in ihr keinen Platz hat und das Private un-geschützt bleibt. Die Vergebung ist wie ein Mantra, das Simon immer wieder einfordert. Seine Verletzlichkeit und dass er sein eigenes Leben nicht hinbekommt, ist seine Qualität. Die macht ihn aus. Dass er seine Tochter wiederfindet, es aber nicht öffentlich machen kann und damit in die nächste Katastrophe läuft, finde ich bemitleidenswert. Womit wir bei einem weiteren Thema des Stücks wären, seiner Leidensgeschichte. Diese 30-jährige Ge-schichte ist die Passion des Hl. Simon, der er wahrscheinlich gerne wäre. Die Figuren in seinem Umfeld tragen lauter christliche Namen. Es gibt zwei Marien, Peter, Paul, Jakobus, Gabriel, Simon. Der Tod verleiht dieser Leidensgeschichte am Ende auch etwas Endgültiges. Damit könnte sich etwas verändern. Sein Gedanke der Ver-gebung könnte weiter getragen werden. Da bin ich aber eher skeptisch, denn dieser Palast wird nun die nächste Politikerge-neration aufnehmen und ob die es besser macht, ist fraglich. Als Trump die amerika-nische Präsidentschaft übernahm, wischte er auch erstmal die ganze Energie seines Vorgängers Obama weg. Es wäre schön, wenn man am Ende des Abends davon etwas ahnen würde.

Du siehst Simons Tochter Amelia als Terroristin. Von wem wird sie aufgehetzt?

Da sie bei den Grimaldi lebt, die Feinde des Dogen sind, hat sie dieses Denken unbe-wusst übernommen. Sie ist unter Men-schen aufgewachsen, die immer gesagt haben, der Doge ist schlecht. Sie kann das nicht einschätzen, bis sie ihm persönlich gegenüber steht und sieht, dass er anders ist. Außerdem spürt sie auf einmal die fa-miliäre Nähe. Durchaus möglich, dass das

Unterbewußte Signale aussendet, wenn der Vater im Raum ist. Das ist im Grunde wie eine zweite Geburt für sie.

Wo siehst du Simons Versagen?

Da macht er keinen Fehler. Den Fehler macht er später, weil er die Neuigkeit nicht kommuniziert. Keiner weiß, dass sie seine Tochter ist. Er geht z.B. nicht zu Paolo und sagt, du kannst Amelia nicht heiraten, weil sie meine Tochter ist. Er sagt es auch dem Volk nicht und verursacht wieder ein Informationsdefizit, aus dem heraus die nächste Intrige entsteht. Da er nie Familie hatte, weiß er nicht, wie man mit so etwas umgeht. Dafür fehlt ihm der Instinkt. Er ist wie Rigoletto, der seine Tochter verheim-licht und sich dadurch angreifbar macht.

Welche Funktion hat Fiesco im Stück. Es wird von zwei Duetten der beiden Gegenspieler gerahmt. Am Anfang schwört Fiesco Simone ewige Feind-schaft, am Ende kommt es zur Aussprache und Versöhnung.

Die Todfeindschaft ist eine Behauptung. Es gibt kaum Szenen, in denen diese Feindschaft dramatisch ausagiert wird. Es kommt am Ende auch zu keiner Ausspra-che oder Versöhnung, weil Simon gleich stirbt. Das ist eher ein Informationsab-gleich: Ja, Amelia ist Simons gesuchte Tochter – und dann ein emotionaler Zu-sammenbruch. Aber gerade darin sehe ich das Großartige. Fiesco ist für mich eine Art Übervater, der als mahnende Instanz über dem Ganzen schwebt. Er mahnt Boc-canegra an seine Grenzen: „Wo kommst du her? Du bist nicht in die politische Klasse geboren!“ Schließlich wird zwar das Miss-verständnis um Maria aufgeklärt, aber es kommt nichts Drittes dabei heraus.

10 Ks. Barbara Dobrzanska, Rodrigo Porras Garulo

Am Ende löst sich diese Instanz auf. Ich glaube, Verdi wollte hier das Dahinschmel-zen eines Denkmals sehen. Hier bricht eine Wand zusammen. Das ist etwas viel Elementareres. Von daher steht Fiesco für Granit, der in diesem Duett zu Staub zer-bröselt und sich auflöst.

Auch Gabrieles und Amelias Liebesbezie-hung zeigst du von Anfang an gebrochen. Warum?

Weil die Verhältnisse das bedingen. Wenn man im Untergrund lebt und die Verhältnisse attackieren will und ständig Angst hat, aufzufliegen, dann erzeugt das Nervosität. Amelias Situation, einge-sperrt und als Statthalterin der Grimaldi installiert zu sein, fördert eine gewisse Paranoia. Dass sie später trotzdem für Gabriele kämpft, zeigt, dass unter dieser Paraonia eine große Liebe schlummert. Aber es gibt kaum Raum in der Oper, wo man die sieht. Und das finde ich gut, dass man eher das Nichtgelingen dieser Liebe sieht. Trotzdem besteht sie später darauf, Adorno zu heiraten. Was sicher auch dem Wunsch geschuldet ist, die beiden Hälften ihrer Biografie zu verbinden. Sie will ihr früheres Leben jetzt, wo sie auf einmal die Tochter des einflussreichsten Mannes im Staate ist, nicht verleugnen und einfach so tun, als seien all die Leute, mit denen sie 20 Jahre lang zusammengelebt hat, Feinde sind, die hingerichtet gehören. Sie sind Teil von ihr und diesen Teil ihrer Biografie will sie integrieren. Das ist auch eine Minire-bellion, ein spätpubertäres Aufbegehren gegen den Vater, eine verzögerte Emanzi-pation der Tochter in einem Mikrodrama innerhalb des Stücks. In diesem Werk liegen so viele Stränge und Elemente kom-primiert übereinander.

Wie siehst du das Ende der Oper?

Die Sterbeszene ist für mich der atem-beraubendste Teil dieser Oper. Verdi hat hier eine Aufsicht auf die Welt von oben komponiert. Das finde ich dramaturgisch und kompositorisch einmalig. Dieser Mensch hebt ab und sieht die Leute unten, die schreien und Angst haben, aber er schwebt schon ganz woanders. Da kommt auch der religiöse Aspekt des Stücks klanglich wieder ins Spiel. Wir hören Glo-cken, die Chöre, die nach Kloster klingen, Messartige Ensembles, Sopransoli, die aus einer christlichen Messe stammen. Da fragt man sich, warum Verdi diese musikalischen Techniken aus der Mess-komposition so oft benutzt? Das ist auch ein wichtiger Grund, warum unsere Insze-nierung so viel mit christlicher Ikonografie arbeitet. Darauf folgt dann der Ausblick, der sein muss, weil man sonst emotional zu ergriffen nur an dieser Sache kleben bliebe. Der König ist tot, es lebe der König. Es geht weiter, und das ist von uns natür-lich kontrapunktisch gedacht. Das scheint mir wichtig zu sein, weil sonst der Frieden sehr dominieren würde.

Du stellst mit ihm die Liebe zwischen Gabriele und Amelia noch einmal in Frage.

Durchaus. Die Frage des ganzen Abends ist ja: Wie verändert Macht Menschen? Was macht das charakterlich mit ihnen? Wenn Adorno am Ende den Dogentitel er-hält, wird er ein anderer Mensch. Er wird ein politischer Körper, und das ist nicht nur schön.

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Simon Boccanegra liegt in zwei Fassungen vor. Die erste entstand 1856/57, die zweite 1880/81. Die erste repräsentiert den mitt-leren Verdi. Sie reiht sich chronologisch und musikalisch-stilistisch zwischen Trou-badour und Traviata, beide 1853, auf der einen und Maskenball, 1859, und Macht des Schicksals, 1862, auf der anderen Seite ein. Die zweite Fassung steht am Beginn der Zu-sammenarbeit mit dem Homme de lettres, Komponisten und Journalisten Arrigo Boito (1842-1918). Aus dieser Zusammenarbeit ist die Verdi-Boito-Trilogie Simon Boccanegra, 1881, Otello, 1887, Falstaff, 1893, hervorge-gangen. Sie repräsentiert Verdis Spätstil.

Seine Entstehung verdankt Simon Boc-canegra dem Teatro La Fenice in Venedig. Trotz des Traviata-Fiaskos von 1853 ver-folgte dessen Intendanz den Maestro mit Kompositionsaufträgen. Verdi sträubte sich. Anfang 1856 gelang es dem Fenice-Dramaturgen Francesco Maria Piave, ihn umzustimmen. Wenige Wochen später präsentierte Verdi einen Stoff, der ihn inter-essierte: Antonio García Gutiérrez‘ roman-

tische Tragödie Simón Bocanegra aus dem Jahre 1843. Es ist die Geschichte des ersten Dogen von Genua, der die Republik von 1339 bis 1344 und 1356 bis 1364 regierte. In den zwölf Jahren dazwischen lebte er im Exil. Das 14. Jahrhundert war eine chaotische Zeit in Italien. Einflussreiche Familien be-kriegten sich und verbannten sich gegen-seitig aus den jeweils kürzer oder länger von ihnen beherrschten Territorien. Aus dieser Zeit stammen die festungsartigen Stadtpa-läste mit ihren hohen Wehrtürmen, die wir noch heute in der Lombardei und Toskana bewundern. Auch Simon war Zielscheibe zahlloser Anschläge und Verschwörungen, denen er schließlich erlag.

Bürgerkriegsdramen als Zeitspiegel

Von Gutiérrez (1813-1884) stammte schon die Vorlage des drei Jahre vor Simon voll-endeten Troubadour. Beide Werke weisen Ähnlichkeiten auf. In beiden Stücken zeitigen weit zurückliegende, traumatische Erleb-nisse 25 Jahre später katastrophale Folgen. Im Troubadour lässt Vater Luna Azucenas

ZUM STÜCK

VERDISPOLITISCHES

TESTAMENT

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Mutter vor den Augen der Tochter als Hexe verbrennen. Die Tochter rächt sich, indem sie Lunas Sohn ins Feuer wirft. Im Affekt greift sie aber ihr eigenes Kind. Sie behält die Verwechslung für sich. Das Missver-ständnis löst eine 25-jährige Kettenreaktion aus Verfolgung, Hass und Vergeltung aus, die bürgerkriegsähnliche Dimensionen an-nimmt. In Simon Boccanegra sperrt Fiesco seine Tochter ein, um die unstandesgemä-ße Verbindung mit dem Korsaren Simon Boccanegra zu unterbinden. Maria geht wie eine Blume im väterlichen Palast ein. Der wälzt seine Schuld auf den „Verführer“ ab und verfolgt ihn mit 25-jährigem Hass. Fiescos Wühlereien und Aufstandspläne ziehen die Republik Genua in den Abgrund. Die Kinder zahlen für die Sünden ihrer Vä-ter. Familienkonflikte, Egoismus, Sturheit und Verblendung pflanzen den Bürgerkrieg von Generation zu Generation fort.

Dieses fatalistische Geschichtsbild im Zeichen des Absurden muss Verdi an den Stücken des spanischen Victor-Hugo-Epi-gonen gefesselt haben. Sie projizieren die blutige Gegenwart der Karlistenkriege, die Spanien in der Epoche Gutiérrez‘ erschüt-terten, auf die Vergangenheit, um aktuelle Probleme reflektierbar und diskutierbar zu machen. Es ist kein Zufall, dass Verdi kurz nach Simon noch ein drittes spani-sches Bürgerkriegsdrama vertonen wird, Die Macht des Schicksals, in dem er den Schritt vom Individualdrama zum Epochen-panorama gehen wird. Davon ist die erste Fassung des Simon Boccanegra noch weit entfernt. Sie steht – übrigens auch musi-kalisch – eher dem Modell des „Tyrannen-morddramas“ nach Art des Maskenballs nahe, als jener großen, bekenntnishaften geschichtsphilosophischen Reflexion, zu der sich die zweite Fassung ausweitet.Wie lernte Verdi Gutiérrez‘ Historische

Dramen kennen, die in Spanien alle Kassen-rekorde schlugen, aber weder in irgendeine andere Sprache übersetzt, geschweige denn im Ausland aufgeführt wurden? Die Verdi-Forschung vermutet, dass in Spanien tätige Sänger und Freunde ihn auf sie auf-merksam machten. Gerade weil man sie auf Europas Bühnen nicht kannte, waren sie als Opernstoff unverbraucht, also sensationell. Die Briefe der Lebensgefährtin Verdis, Giu-seppina Strepponi, legen nahe, dass sie sie ihm ins Italienische übersetzte.

Auf dieser Grundlage schrieb Verdi eng am Originalstück entlang ein Prosalibretto, das Piave in Verse fasste und er dann vertonte. Trotz seiner Begeisterung für Simon Bocca-negra war der 1. Fassung nur unter seiner eigenen Leitung in Reggio Emilia, Neapel und Rom Erfolg beschieden. Überall sonst fiel das Werk durch. Kein Mensch konnte etwas mit dem obskuren Dogen anfangen. Die Handlung, in der zwei der fünf Prot-agonisten eine doppelte Identität haben, deren Gründe nur erzählt, nicht aber gezeigt werden, galt als unverständlich. Auch mu-sikalisch entsprach Simon wie Macbeth nicht den Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums. Er wurde in Wien, London, Paris, Berlin ignoriert und verschwand nach weni-gen Inszenierungen von den Spielplänen.

Wiederbelebungsversuche

Seit 1866 versuchte Verdis Verleger Tito Ricordi jahrelang, Simon wieder zu beleben. Vergeblich wies er Verdi immer wieder darauf hin. Der war aber nicht interessiert. Nachdem der Tenor, der 1858 an der er-folgreichen Neapler Aufführung mitgewirkt hatte, 1879 erneut von dessen Qualitäten schwärmte, fädelte Ricordi eine Wieder-aufführung an der Mailänder Scala ein und bat den Komponisten um Erlaubnis und um

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Durchsicht der Partitur. Der 67-Jährige hatte nach Aida den Komponistenberuf an den Nagel gehängt. „Ich bin kein militanter Künstler mehr“, antwortete er Ricordi am 27.11.1880. Stattdessen wandte er sich wie der alte Tolstoi der Landwirtschaft und so-zialen Aufgaben zu. „Ich besitze viele Bau-ernhäuser“, erläuterte er seinem Freund Arrivabene am 14.9.1880 seinen neuen Lebenswandel, „die baufällig sind, wie alles hier. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, sie nach und nach zu reparieren oder durch neue zu ersetzen, damit die Bauern nicht von ihnen erschlagen werden. Darum bin ich jetzt Architekt, Mauermeister, Schmied, ein bisschen von allem. Ade Literatur, ade Musik.“ Nun aber fing er wieder Feuer.

Die Neufassung

Verdi liebte Genua. 1841 begann er sei-ne Karriere mit seinem Erstling Oberto in der ligurischen Hafenstadt. Seit 1860 verbrachte er hier jeden Winter. Seit 1877 mietete er den alten Palazzo Doria mit herrlicher Seeterrasse. Mit Blick aufs Meer schrieb er seine alte Oper neu und durchsetzte sie mit impressionistischen Natur- und Stimmungsbildern, die in der 1. Fassung noch fehlen. „In diesem Zusam-menhang“, antwortete er dem drängenden Ricordi, „fallen mir zwei wunderbare Briefe Petrarcas ein, einer an den Dogen Boccanegra, der andere an den Dogen von Venedig. Darin ermahnt er die beiden, die im Begriff sind, einen Bruderkrieg vom Zaun zu brechen, dass sie von derselben Mutter abstammen: Italien usw. usw. Damals gab es noch noblen italienischen Patriotismus. Das ist natürlich alles eher politisch als dramatisch, aber ein begabter Librettist könnte aus dieser Episode ein wirkungsvolles Drama machen.“ Dieser Librettist fand sich in Arrigo Boito.

Die Zusammenarbeit begann unter keinem guten Stern. Als junger Mann hatte der aufbrausene Boito den 29 Jahre älteren Starkomponisten in einer Ode An die ita-lienische Kunst öffentlich beschimpft. Der damals berühmteste Vertreter nicht nur der italienischen Musik, sondern der Kunst überhaupt, habe „den Altar der Kunst wie die Wand eines Freudenhauses be-schmutzt“. Sprich: Seine Opern seien wie der Urin an einer Bordellmauer. Diese Belei-digung vergaß Verdi Boito nie. Dann erlebte der junge Feuerkopf mit seiner eigenen Oper Mefistofele eine krachende Niederlage und verfiel ins andere Extrem einer hypersen-siblen, einsiedlerischen Bescheidenheit. Waidwund zog er sich vor den Menschen zurück und wandelte sich vom Wagnerianer zum Verdi-Verehrer.

Verdis Verleger Ricordi wollte den alten Komponisten schon aus wirtschaftlichen Gründen wieder zum Komponieren bewe-gen und sah in dem kultivierten Boito den einzigen Librettisten, der das Kaliber hatte, von ihm ernst genommen zu werden. Nun handelte es sich darum, dass Boito Verdis Vertrauen zurückgewinnen musste. Man musste den „vecchio papa“ vorsichtig kö-dern, ohne dass er sich in irgendeiner Wei-se vereinnahmt fühlte, worauf er allergisch reagierte. Da Ricordi und Boito wussten, dass Shakespeare Verdis abgöttisch ver-ehrtes Vorbild und er zu dieser Zeit beson-ders von Othello fasziniert war, warfen sie diesen Köder aus. Ohne den geringsten Verdacht zu wecken, sich Verdi aufdrän-gen zu wollen, musste man im beiläufigen Gespräch herausbekommen, wie Verdi sich ein ideales Othello-Libretto vorstellte. Dann musste Boito versuchen, ein solches Libretto zu konstruieren und in Verse zu fassen, die Verdi schön und musikalisch fand. Schließlich wurde es unverbindlich

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diskutiert und alle Probleme, die Verdi auch nur antippte, in neuen Textvarianten aus-geräumt. Die Vorsicht und Diplomatie, die alle Beteiligten einschließlich Verdis Frau, Giuseppina Strepponi, an den Tag legten, um den Jähzornigen nicht zu verstimmen, lesen sich in den Briefwechseln wundersam. Hin-zu kam, dass Boito von Schuldgefühlen we-gen seiner Jugendsünde geplagt wurde. Als Gentleman wollte er alles vermeiden, was den Anschein erweckte, sich dem berühm-ten Mann aufzudrängen. Es ging darum, Verdi ein Ideallibretto vorzulegen, wie er es sich immer erträumt hatte, sodass ihn wie-der Komponierlust packte. Dies war Boito im Falle Othello zu Teilen gelungen als das The-ma einer Bearbeitung des Simon auftauch-te, sodass Verdi Boito nun selbst anbot, die neuen Szenen und Verse zu schreiben.

Beiden Männern war der patriotisch-politisch aktuelle Gehalt des Stoffs wichtig, dessen Botschaft in den Petrarca-Zitaten des neu geschaffenen 1. Finales gipfelte. Um sich anregen zu lassen, vertiefte sich Boito in die Geschichte Genuas. Auf dieser Grundlage löste sich die 2. Fassung von der literarischen Vorlage des spanischen Dra-mas. Sie wurde politisch-philosophischer. Außerdem bewegte beide Männer die Poe-sie, mit der Petrarca in seinen Briefen vom Meer spricht. Dieses Motiv, das in der 1. Fassung musikalisch nur embryonal vorhan-den war, baute Verdi mit Blick auf das Meer vor Genua wie erwähnt stark aus. Schließ-lich verlieh er dem Dogen autobiografisch-bekenntnishafte Züge. Insgesamt sind die Textänderungen mit Ausnahme des neuen 1. Finales weniger umfangreich als die mu-sikalischen. Im Grunde komponierte Verdi das ganze Stück unter teilweiser Verwen-dung der alten Melodien neu. Aber selbst, wo er die Melodien beibehielt, änderte er auch dort oft die Gesangslinie und die Or-

chesterbegleitung. Wer beide Fassungen vergleicht, hört oft denselben Text in unter-schiedlicher musikdramatischer Gestalt.

Bevor sich Verdi an die Neufassung des Si-mon Boccanegra machte, knüpfte er diese an die Bedingung, dass ihm die Mailänder Scala Sänger nach seinen Wünschen böte, die sich widerspruchslos seinen musi-kalischen und szenischen Anweisungen unterwürfen. Außerdem werde er keinerlei Rücksicht auf den Publikumsgeschmack nehmen. Da Boito auf alle noch so geringen Andeutungen Verdis einging und uner-müdlich neue Verse, Nummern, Szenen und Akte lieferte, von denen aber nicht alle verwendet wurden, machte sich auch Verdi an die Arbeit. Wenn er Librettofragen diskutierte, hatte er die musikalischen For-men – Arie, Duettino, Ensemble, Concertato – und ihre ungefähre Länge und Gliederung bereits im Kopf. Er gab seinen Librettisten genau an, wie viele Verse von wie vielen Silben und in welchem Affekt er an dieser oder jener Stelle brauchte. Er war flexibel genug, sich von den Ideen seiner Mitarbei-ter inspirieren und zum Umdenken anregen zu lassen, wusste aber auch genau, wo er sich auf sein eigenes Gefühl verließ. Entwe-der ihm leuchtete eine szenisch-musikali-sche Lösung unmittelbar oder nach einigem Nachdenken ein oder er verwarf sie intuitiv. Diskussionen oder Überzeugungsarbeit liebte er nicht. Das machte er lieber im Stil-len mit sich selber aus.

Die Uraufführung

Auf diese Weise entstanden 1880 das neue Libretto, zwischen 8. Dezember 1880 und 15. Februar 1881 die neue Musik. Am 9. Februar fuhr Verdi von Genua nach Mai-land, um in einer Ernani-Aufführung die Protagonisten, die ihm Ricordi vorschlug, zu

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17Nicholas Brownlee, Seung-Gi Jung, Staatsopernchor

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hören. Von Vorsingen in Privaträumen oder leeren Theatern hielt er nichts. Er wollte die Sänger vor Publikum erleben. Darum brach er seinen Grundsatz, Aufführungen eigner Werke nicht mehr zu besuchen. Er tat alles, um unbemerkt zu bleiben. Vergeblich. Er wurde im Hintergrund seiner Loge erkannt und mit „Eviva Verdi“-Ovationen gefeiert. Mit den von Ricordi vorgeschlagenen Sän-gern aber war der Komponist zufrieden. Der 32-jährige französische Bariton Victor Maurel (1848-1923), sein späterer Jago und Falstaff, überzeugte ihn so sehr, dass er ihm trotz seines jugendlichen Alters die Partie des alten Dogen anvertraute, für dessen vor allem schauspielerische Ansprüche er zu keinerlei Kompromissen bereit war. Um sie seiner Stimme anzupassen, legte Verdi die Partie tiefer. Auch Maurels Allüren tolerierte er angesichts seiner überragen-den szenischen Präsenz. Für Francesco Tamagno (1850-1905), seinen späteren Otel-lo, hingegen legte er die Tenorpartie des Gabriele höher. Die Wiener Sängerin Anna Angermeyer (1853-1907), in Italien als Anna d’Angeri bekannt, war nicht nur seine erste Amelia, sondern hätte auch seine erste Desdemona werden sollen, hätte sie nicht vorher ihre Karriere beendet und gehei-ratet. Für den Fiesco forderte Verdi einen Basso profondo, der bis zum tiefen F sonor klang und „etwas Unerbittliches, Propheti-sches in der Stimme haben“ muss. In dem Polen Edward de Reszke, dem Bruder des Tenors Jean, fand er ihn.

Die musikalischen Proben für die Urauffüh-rung der 2. Boccanegra-Fassung begannen unmittelbar nach der Freischütz-Premiere am 23.2.1881. Einen Tag später traf Verdi in Mailand ein. Am 1. März übernahm er die Probenleitung, am 15. März begannen die szenischen Proben, eine Woche später fand die Generalprobe und am 24. März

die Uraufführung statt. Im Prolog musste Fiescos Arie und im 1. Akt die Wiederer-kennungsszene Amelia-Simone wiederholt werden. Das neue Finale des 1. Akts sei „das glänzendste Stück dramatischer Mu-sik“, das Verdi je geschrieben habe, heißt es in der Kritik. „Das Duett Simones mit Fiesco im 3. Akt und das Quartett mit dem Tod Simones riefen ungeheure Anteilnahme hervor.“ Leone Fortis hebt „drei kolossale Teile“ heraus: „Den Prolog, den zweiten Teil des ersten Aktes, den ganzen dritten Akt, in welchen die dramatische Musik, das Musikdrama, wie immer man es nennen will, im Wesentlichen die Verschmelzung, die Verinnerlichung, die Transsubstantia-tion des Dramas in Musik, der Musik ins Drama, den höchsten Grad der Perfektion erreicht.“ Problematisch sei allerdings, dass kein Mensch die historische Figur des Simon Boccanegra kenne und das Libretto „von einer Schwerfälligkeit und Düsterkeit ist, die jene des Don Carlos übertrifft, was alles sagt! Diese Handlung, die immer näch-tens abläuft, dieses andauernde Gerede von Aufstand, Gift, Tod, das damit endet, dass tatsächlich ein Toter auf der Bühne zurückbleibt, liegt dem Zuschauer wie ein Albtraum auf der Brust.“

Verdi und seine Frau, die den ersten drei der insgesamt zehn Vorstellungen beiwohnten, wurden mit Ovationen überhäuft, bevor sie am 30. März nach Genua zurückkehrten. „Alle Künstler, Choristen, viele Orchester-musiker umringten Verdi und akklamierten ihn.“ 1882 wurde das Stück für sieben Vor-stellungen wieder aufgenommen, 1890 für fünfzehn Vorstellungen ein drittes Mal.

Der Weg nach Karlsruhe

An der Wiener Hofoper kommt Boccanegra am 18. November 1882 mit Amalie Materna

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heraus. Brahms findet die Musik packend und das Libretto unverständlich. Im kom-menden Jahr wird Simon auch dort wieder aufgenommen, allerdings auf drei Akte gekürzt und mit einer Balletteinlage von Leo Délibes. Warum Verdi nicht dagegen ein-schritt, obwohl er im Verlagsvertrag Stri-che, Transpositionen oder Einfügungen in die Partitur untersagt hatte, ist unbekannt. Es folgten 1883 Aufführungen am Pariser Théâtre Italien, in Turin und Neapel, 1884 in Treviso und Alexandria, 1885 in Venedig, 1887 in Lissabon, 1888 in Modena, 1889 in Buenos Aires und Montevideo, 1890 in Madrid, 1891 in Triest und Mantua, 1892 in Genua (unter Toscanini), Messina, Rom und Brescia, 1899 in Turin, 1910, 1933 und 1955 erneut an der Scala, 1929 in Frankfurt a. M., 1930 unter Clemens Krauss in Wien, unter Fritz Stiedry in Berlin, in Essen, Leipzig, Luzern, Darmstadt und Hamburg, 1931 in Prag und Basel, 1932, 1935, 1939 und 1960 an der Met, 1934, 1941, 1949, 1951 und 1957 in Rom, 1935 in Zürich, 1936 in Parma, 1938 in Florenz und Bologna, 1948 in London, 1949 in Cagliari und Triest, 1950 in Florenz, Venedig und Neapel usw. Die deutschspra-chige Aufführungsserie war durch die Bear-beitung Franz Werfels aus dem Jahre 1929 ausgelöst worden, die das Libretto in vielen Details änderte. Das wichtigste betraf den Schluss, in dem der sterbende Boccanegra nicht Adorno die Macht überträgt, sondern sie demokratisch in die Hand des Volks zurückgibt. Werfel machte das Werk an-gesichts der drohenden Diktatur zu einem Bekenntnis zur Weimarer Republik.

Das Gegenteil war bei der Karlsruher Erstaufführung der Fall. Sie fand 1940 als Propagandamaßnahme statt, um das Publi-kum für die frisch geschlossene deutsch-italienische Waffenbrüderschaft zu begei-stern und auf den unvermeidlichen Sieg

zweier so überragender Kulturnationen einzuschwören. Das Publikum feierte die Künstler mit nicht enden wollenden Ova-tionen, heißt es in Richard Slevogts Kritik. Selbst als der Eiserne Vorhang gefallen war, um den Beifall abzuschalten, mussten sie noch siebenmal vortreten. „Als besonders geniale Einfälle nennen wir den musikalisch unerhört kühn gestalteten Chorauftritt am Ende des Vorspiels, dann die herrliche Tonmalerei zu Beginn des ersten Aktes und dessen wahrhaft gewaltiges Finale, sowie den Auftritt Paolo Albianis im zweiten Akte und die musikalisch schauerlich illustrierte schleichende Wirkung des Giftes im Körper des Dogen. Auch die Sterbeszene im letz-ten Akt ist ergreifend und steht ähnlichen Szenen im Schaffen Verdis ebenbürtig zur Seite.“ Karl Heinz Krahls Inszenierung habe in stilisiert gebauten, statt gemalten Büh-nenbildern „den Pulsschlag der politisch geladenen Atmosphäre des Genua des 14. Jahrhunderts“ herausgearbeitet. Über die musikalische Seite heißt es: „Die Sänger sangen erstmals in durchaus italienischer Manier, die Stimmen flossen in weit aus-ladender Kantilene und von jenem ‚con passione‘ durchglüht, welches eben nur der italienischen Gesangskunst eigen ist. Auch die Behandlung des Orchesters, und dies sowohl spieltechnisch als auch klanglich verstanden, verdient höchstes Lob. Wenn dabei die Aufführung im Gesamten zu ei-nem hier nur ganz selten erlebten Format erhoben wurde, so ist das zu großen Teilen auf die faszinierende, dramatisch unerhört stark akzentuierte und wahrhaft mitreißen-de Werkausdeutung Otto Matzeraths zu-rückzuführen, der sich an diesem Abend als hervorragender Verdi-Interpret vorstellte.“ Wie schon bei der Uraufführung war der Darsteller des alten Dogen ein junger Mann, Eugen Ramponi. Adolf Schoepflin sang den Fiesco, Hannefriedel Grether die Amelia,

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Ernst August Waltz den Adorno und Helmut Seiler den Paolo. Weitere Inszenierungen gab es 1974, 1986 und 2005 in Karlsruhe.

Der historische Boccanegra

Simon Boccanegra wird in Verdis Libretto als „un popolan“ oder Mann aus dem Volk bezeichnet. Damit ist allerdings kein Prole-tarier gemeint. Er wurde 1301 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Genua geboren, die ausgedehnte Ländereien und ein Ca-stello im Stadtgebiet besaß, das heute noch zu sehen ist. Seine Berufsbezeichnung lautet im Libretto „un corsaro“. Auch die-ser Begriff hat im Laufe der Jahrhunderte einen Bedeutungswandel erfahren. Corsari waren im Trecento das maritime Pendant zu den Condottieri, also privat wirtschaftende Kriegsdienstleister. Sie unterhielten auf eigene Rechnung bemannte Kriegsschiffe, die sie zum Zweck militärischer Konflikt-lösung an externe Auftraggeber vermie-teten. De iure wurde die „guerra di corsa“ zu Verdis Lebzeiten abgeschafft, de facto aber bestand sie bis zum Ersten Weltkrieg fort. Auch heute sourcen Länder wie die USA und Russland Verteidigungsaufgaben wieder an privat wirtschaftende paramilitä-rische Sicherheitsfirmen aus.

Der Korsar Simon Boccanegra bekämpfte im Auftrag Genuas jahrzehntelang dessen Handelsfeinde. Einer wird im Libretto na-mentlich genannt. Er „vertrieb den afrika-nischen Piraten aus dem Mittelmeer und brachte den Ruhm der ligurischen Fahne wieder zu alter Höhe“. Mit dem „afrika-nischen Piraten“ waren die auf Sizilien stationierten Sarazenen gemeint, die die Hegemonie der ligurischen Küstenstädte in Frage stellten. Wie aus einem Mann, des-sen Geschäft der Krieg war, ein Mann des Friedens wurde, lässt Verdi offen.

Simon Boccanegra wurde am 23. Septem-ber 1339 zum ersten Dogen von Genua ge-wählt und am 24. September auf Lebenszeit bestätigt. Trotzdem musste er sich 1344 zurückziehen, um zwölf Jahre später als 4. Doge wieder aus der Verbannung zurückge-rufen zu werden. Doge war ein militärischer Titel. Er ist in venezianischer Mundart das Äquivalent zu Dux = Heerführer, General, worauf die „ducale corona“ im Libretto an-spielt. Simon war ein Mann des Ausgleichs im Innern, aber beileibe kein Pazifist, der mi-litärische Mittel zur Durchsetzung genueser Interessen ablehnte. Er verbannte den Adel aus der Stadt, um einen Unruheherd auszu-merzen, womit er natürlich neue Racheakte und Verschwörungen provozierte. Um sich dagegen wie auch gegen die weiterhin ak-tiven Sarazenen zu verteidigen, rüstete er eine schlagkräftige Galeerenflotte aus. 1362 wurden mehrere Verschwörungen gegen ihn aufgedeckt und blutig niedergeschlagen. 1363 gelang es seinen Feinden, ihn während eines Festmahls zu Ehren Peters I. von Zy-pern zu vergiften. Dass der schon im 2. Akt vergiftete Simone im 3. Akt noch den Sturm auf den Dogenpalast abwehrt, ist historisch verbürgt. Ebenso Gabriele Adornos (1320-1398) Nachfolge als 5. Doge von Genua. Dichterische Freiheit ist allerdings seine Einsetzung durch Simone als eine Art poli-tisches Testament. Der historische Simone hielt nichts von dem historischen Gabriele.

Das Janusgesicht Boccanegras schlägt sich im Libretto wie in der Musik nieder. Der Simone Verdis hat den Vater Gabrieles als Hochverräter zum Tode verurteilt, was den Spross der reichen Kaufmannsfamilie zwingt, wie Hamlet den Vater zu rächen. Im Prolog gehört der befestigte Stadtpalast der Fieschi noch dem aktuellen Familien-oberhaupt Jacopo. Die Fieschi werden wie die Grimaldi verbannt und tauchen in einem

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Kloster in der Nähe der Rivalin Genuas, Pisa, unter. Es wird zum konspirativen Treff der Boccanegra-Feinde. Jacopo nimmt als Pater Andrea eine falsche Identität an und rettet das Familienvermögen der Grimaldi vor der Konfiskation, indem er den Tod der letz-ten Grimaldi-Erbin im Kloster vertuscht und die ihm unbekannte Tochter Boccanegras als Amelia Grimaldi ausgibt. Simons Gewalt-akte motivieren im Libretto die Gewalt sei-ner Gegenspieler. Er kann ihnen nur dadurch den Wind aus den Segeln nehmen, dass er die Verbannung der Grimaldi aufhebt und Gabriele Adorno vergibt. Die Musik zeigt Si-mone durchgehend als heißblütigen Mann, der seinen Jähzorn beherrschen muss.

Auch sonst spielen historische Details eine Rolle im Libretto. Wenn vom „abate Lorenzin“ die Rede ist, ist damit kein Abt gemeint, sondern das genueser Amt des „abate de popolo“, der bei Streitfällen als Schiedsrichter zwischen Regierungsorga-nen und Bürgern zu vermitteln hatten. In der Ratsszene des 1. Finales zitiert Simone den „König der Tartaren“, der der Republik Genua ein Bündnis mit freiem Zugang zum Schwarzen Meer anbietet. Genuas exklu-siver Zugang zum Schwarzen Meer war ein wesentlicher Faktor seines Wohlstands.

Die Familienfehde zwischen dem Patrizier Fiesco und dem Korsaren Simone sah Verdi pars pro toto für die Konflikte, die die ita-lienischen Provinzen seiner Zeit unterein-ander ausfochten, die aber auch die Bür-gerschaften der Städte spalteten. Vor dem Hintergrund des Risorgimento mahnt Simon Boccanegra zu nationaler Einheit, zur Über-windung von Standesdünkel auf Seiten der Aristokratie einer-, Klasseninteressen der Bürger und Arbeiter andererseits. Gerade als selbst stilisierter „Bauer von Roncole“ wünschte sich der alte Verdi eine harmo-

nische Gemeinschaft, statt Gezänk und gewalttätige Auseinandersetzungen. Dar-um zeichnete er im Simon einen Klassen-konflikt zwischen Patriziern und Plebejern, der von anderen politischen Gegensätzen, etwa den ideologischen Grabenkriegen zwischen Guelfen und Ghibellinen überla-gert wird und ein erhebliches Potenzial an spontaner Mobbildung kennt. Simon ist der Mann, der qua Leiden und daraus resultie-render Weisheit diese Spaltung überwin-det. Der Schluss der Oper, in dem sich die Protagonisten nach 25-jährigen Kämpfen gegeneinander als wiedervereinigte, große Familie in die Arme fallen, erinnert nicht von ungefähr an Lessings weisen Nathan, der die Religionskonflikte des vorangegan-genen Jahrhunderts in der märchenhaften Utopie einer Großfamilie der Weltreligio-nen auflöste. „Schau das Wunder“, ist das Vermächtnis Simons an seine wieder gefundene Tochter: „Fiesco ist der Vater deiner Mutter, die du nie gekannt hast.“ Sein Segen für Tochter und Schwiegersohn lautet, an Gott gerichtet: „Verwandle die Dornen meines Leidens für sie in Blumen.“ Und Fiesco, der Schwiegervater, wird zum Testamentsvollstrecker ernannt. Damit wird er zum wahren „Herrenbruder“ Jako-bus. Insofern trägt die Familienutopie, die Verdis Oper in der Zweitfassung zeichnet, Züge eines politischen Testaments. Eines Testaments allerdings, in dessen finalem Totenritual sich Marias Hoffnung „Der Himmel wird auf meinen Schmerz mit Güte antworten“ Jacopos Skepsis „Alles Glück ist Lüge“ und der Bestätigung des Chores, „Das stimmt, die Kreatur weint immer. Die Welt trägt einen Trauermantel“ gegenüber steht. Verdi setzt am Schluss vielstimmi-ges Patt in Szene. Sein Vertrauen auf den Lieben Gott war trotz aller Anleihen, die er beim Passionsspiel machte, nicht beson-ders groß.

22 Nicholas Brownlee, Ks. Barbara Dobrzanska, Seung-Gi Jung, Yang Xu, Staatsopernchor & Extrachor

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ZUR MUSIK

Allgemeines

Verdis Simon Boccanegra besteht aus vier Akten, von denen der erste, um den Zeit-sprung von 25 Jahren zwischen den ersten beiden zu markieren, als Prolog bezeichnet wird. Die Akte sind von ungleicher Länge. Der Prolog und die Akte 2 und 3 dauern je ca. 25 bis 27 Minuten, der 1. Akt ist mit 55 Minuten doppelt so lang. Der alte Verdi war um Kürze und Direktheit bemüht, er ließ sich aber im 1. Akt auch nicht drängen, um ein abstraktes Ideal von Ausbalanciertheit zu erzwingen, wie er es später in Otello und Falstaff realisierte.

Die Partitur ist in Nummern unterteilt, wie das romantische Melodramma – aber inkonsequent. Der Prolog und der 3. Akt bestehen jeweils aus einer einzigen, durch-komponierten Nummer, nämlich 1 und 11, der 1. Akt umfasst die Nummern 2 bis 6, der 2. Akt die Nummern 7 bis 10. Die Nummern 1 und 11 tragen keine Bezeichnung, die Num-mern 2 bis 10 traditionelle wie „Preludio e Aria“, „Scena e Duetto“, „Scena, Terzetto

e Finale II“ usw. Das heißt aber nicht, dass diese Nummern in sich geschlossen wären. Im Gegenteil. In mehreren Fällen gehen sie pausenlos ineinander über, während sich umgekehrt in den nicht nummernmäßig untergliederten Rahmenakten Formteile wie Romanze mit Chor, Scena, Duett usw. ausmachen lassen. In der Neufassung des Simon Boccanegra erkennt man also noch Reste der alten Gesangsoper mit ihrer Auf-teilung in Nummern, die aber in Richtung auf das durchkomponierte Musikdrama hin aufgelöst werden. Das wird indirekt auch durch die Uraufführungskritiken bestätigt, die registrieren, dass das Publikum kaum Gelegenheit für Zwischenapplaus und Da capos hatte. Im Übergang vom 2. zum 3. Akt radikalisiert Verdi diese Tendenz zum durchkomponierten Drama, indem das Vorspiel des 3. Akts aus einer Orchesterpa-raphrase des Chores besteht, mit dem der 2. Akt a cappella, also unbegleitet, schloss. Wir hören also zweimal dieselbe Musik, einmal chorisch, einmal instrumental. Verdi deutet damit an, dass er keine Zäsur zwischen 2. und 3. Akt wünscht, wie es in

KÜRZEUNDGENAUIGKEIT

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unserer Aufführung auch realisiert wird. Die Revolte, die am Schluss des 2. Akts begann, geht unmittelbar in die Straßenkämpfe des 3. über und endet mit dem „Vittoria“-Ruf der Dogen-Partei.

Trotz dieser Tendenz zum Musikdrama sieht man der Partitur Verdis Verwurzelung im formalen Denken der stilisierenden Roman-tik an. Die erzählenden Nummern, also z. B. Paolos Schauerballade vom Geisterhaus der Fieschi im Prolog, die verschiedenen Erzäh-lungen der Kindheitsgeschichte Maria Boc-canegras im Prolog und im 1. Akt oder der eben genannte Schlusschor des 2. Akts sind alle zweistrophig gegliedert, die Arien und Duette zwei- oder dreiteilig. Solche Unter-gliederungen erleichtern dem Publikum die Orientierung im wiedererkennbaren musika-lischen Material und erlauben andererseits Variation und Überraschungseffekte. Der alte Verdi streicht allerdings radikal alles Formelhafte und nutzt das Prinzip der Va-riation extensiv, um musikalische Gedanken inhaltlich in immer wieder neue Richtungen und Bereiche zu lenken, eine musikalische Anmutung psychologisch aufzufächern, den Fokus der Klangrede auf neue Aspekte des gesungenen Textes oder die Aufmerksam-keit auf eine andere Figur im mehrstimmigen Vokalsatz zu richten.

Die Harmonik der Instrumentalbegleitung ist im späten Boccanegra extrem beweglich, um den Eindruck eines ständigen Fließens und sich Veränderns der musikalischen Landschaft zu erzeugen. Dissonanzen und Fortissimo werden sparsamst, aber sehr gezielt eingesetzt, um einer Wendung ins Bittere oder Katastrophische den direkte-sten Klangausdruck zu verleihen. Diese Dis-sonanzen werden immer wieder sofort auf-gelöst oder zurückgenommen, um den Effekt nicht durch Dauerbeschuss abzustumpfen.

Die Instrumentation lichtet Verdi stark auf. Der Orchestersatz ist kammermusikalisch, mit der Tendenz, alles wegzulassen, was weggelassen werden kann. Die Dynamik be-wegt sich in leisen Lautstärkebereichen, hat aber das Potenzial zum Gefühlsausbruch.

Klangrede

Schauen wir uns die Akte im Einzelnen an. Der Prolog begann in der Urfassung mit einer kleinen Ouvertüre, die Verdi in der 2. Fassung streicht, um direkt in die Handlung zu springen, wie er das später in Otello und Falstaff tut. Das ist ein Merkmal seines Spätstils. Verdi geht keine Umwege mehr. Der Szenenkomplex, in dem erst Paolo und Pietro Simons Wahl zum Dogen beschließen und Paolo den widerstrebenden Simone dann davon überzeugt, die Wahl anzuneh-men, weil er damit Maria gewinnen kann, wird von dem nächtlichen und leise umher schleichenden Verschwörermotiv zusam-mengeschlossen, das prägnant formuliert ist und harmonisch-instrumentatorisch sonatenhaft durchgearbeitet wird, später aber nie wieder in der Oper erscheint. Daran schließt sich Paolos Schauerballade vom Palast der Fieschi an, in dem es spukt. Indem er ihnen suggeriert, dass die Fieschi mit dem Bösen im Bunde stehen, bewegt Paolo die Wahlmänner dazu, den Widersa-cher der Fieschi, Simone, zu wählen. Diese Schauerballade erinnert an die gleichartige Ballade Ferrandos im 1. Bild des Trouba-dours und war in ihren Grundzügen schon in der Erstfassung vorhanden.

Dann lernen wir Fiesco mit einer zweistro-phigen Romanze kennen, in der sich der alte Patriarch von seinem Palast verab-schiedet und in die Verbannung geht. Den Hintergrund bilden die Schmerzensschreie der Mägde, die Marias Tod beklagen, und

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27Ks. Barbara Dobrzanska, Ilkin Alpay

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die Mönche, die ihr die Totenlitanei sin-gen, alles ohne romantisch-melodische Expansion, sondern so knapp und lapidar wie möglich. Die Zwischenrufe sind mehr rhythmischer als melodischer Natur. Das Besondere daran, den Abstand zum roman-tischen Melodramma, erkennt man, wenn man sie mit der Klosterszene im Troubadour vergleicht, wo das „Miserere“ zu einer großen Nummer ausgebaut ist. Der Trau-ermarschrhythmus, der Fiescos Romanze mal mehr, mal weniger deutlich unterlegt ist, leitet mit einem Halbschluss zu dem Duett über, in dem die Positionen Fiescos und Simons aufeinanderprallen. Staccati der Violinen und Bratschen suggerieren Fiescos granitene Sturheit, Simons flehen-de Gesangslinie fließt. Eingelegt in dieses Duett ist als Mittelteil Simons f-Moll-Erzäh-lung vom Verlust seiner Tochter. Die Syn-kopen in den Streichern sind zweideutig. Sie können wie Schluchzer stocken oder sanft wogen wie die Meeresbrandung, die an das Haus der Amme Marias spült. Das Duett mündet in Simons Wutausbruch über die „starrsinnige, schreckliche Bande der Fieschi“. Er entschließt sich, in den Palast einzubrechen und findet die tote Maria in dem Moment auf ihrem Katafalk aufge-bahrt, als das Volk herbeistürmt und mit einer überdrehten Festmusik, die aus dem Maskenball stammen könnte, seine Wahl zum Dogen feiert. Hier spielt Verdi mit dem größtmöglichen Kontrast zwischen Simons Aufstieg ins höchste Staatsamt und seiner tiefsten menschlichen Verzweiflung. Wie mit Peitschenhieben treibt der unerbittliche „Viva“-Rhythmus Simon in den verordneten Jubel des Wahlsiegers hinein.

Der 1. Akt beginnt mit einem instrumentalen Stimmungsbild. Trillerfiguren der Violinen und wogende Sextolen der Pikkoloflöte evozieren die „ora bruna“, die braune

Stunde der Dämmerung und die Brise des erwachenden Tages am Meer. Sie werden als musikalische Gesten auch Amelias dreiteiliges Cantabile grundieren. Der A-Teil setzt sich aus einer einzigen melodischen Phrase zusammen, die viermal variiert und mit einer kleinen Coda abgeschlossen wird. Im B-Teil ruft das Bild des nächtlichen Meeres frühkindliche Erinnerungen wach. Amelia sieht ihre sterbende Amme, die sie dem Schutz des Himmels anvertraut. Sie durchlebt, freudianisch gesprochen, ihre Urszene. Verdi hat diese Vision 1881 mit einer über Quartsextakkorde in weit ent-fernte Tonarten ausgreifenden, fallenden Instrumentallinie neu unterlegt, als würde die laut Regiebuch 27-jährige Waise in den verschütteten Brunnen ihrer Kindheit hinabsteigen. Eine notengetreue Wieder-holung des A-Teils mit neuer Instrumental-begleitung verdrängt den traumatischen Schock kosmischer Verlassenheit wieder. Die Coda nimmt das Orchestervorspiel auf und stellt den Zustand vollkommenen Ein-klangs mit der Natur wieder her. B-Teil und Wiederholung des A-Teils werden durch eine Streicherüberleitung miteinander ver-bunden, die Simons Erzählung vom Verlust Marias aus dem Prolog zitiert. So erfährt der Hörer schon zu Beginn des 1. Aktes, dass die angebliche Amelia Grimaldi in Wirklichkeit Simons verlorene Tochter ist.

Gabrieles anschließende Serenade könn-te aus dem Troubadour stammen. In der ursprünglichen Fassung schloss sich hier eine große Bravourcabaletta Amelias an, die Verdi ersatzlos strich, da sie als reine Konzertnummer die dramatisch vorwärts drängende Handlung aufhielt. An ihre Stelle setzt Verdi ein modernes Aktionsduett, in dem sich Sopran und Tenor gegenseitig ins Wort fallen. Auch dieses Duett ist wie dasjenige Simones und Fiescos im Prolog

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dreiteilig und besitzt wie dieses in der Mitte ein Arioso, das die Vorhaltfiguren der plät-schernden Wellen aus dem Stimmungsbild des Vorspiels aufgreift, während Amelias Vokallinie das pentatonische Bratschen-motiv des Windes umspielt. Sie versucht Gabriele damit in jenes Idyll zurückzu-locken, das wir am Anfang gehört hatten und das sich als dünne Kruste über ihrer existenziellen Angst erwies. Vor allem im Orchester wird das Meer an verschiedenen Stellen der Oper von verschiedenen Perso-nen immer wieder als Frei- und Glücksraum beschworen, der mehr Utopie als Realität ist.

Für Applaus lässt die Stretta des Duetts keine Zeit, denn das Nachspiel moduliert in die Tonika und geht direkt in die nächste Szene über, in der Fiesco dem heirats-willigen Gabriele offenbart, dass Amelia keine Grimaldi, sondern ein mittelloses Findelkind ist. In der Urfassung gab es hier ein Racheduett mit viel bravouröser Vokal-akrobatik und hoch kochenden Emotionen. Verdi ersetzte es 1881 durch ein religiös getöntes Duettino, in dem Fiesco die beiden jungen Leute segnet. Holz- und Blechbläser evozieren mit Pedalnoten Orgelklang, die Harmonik bezieht Kirchentonarten ein, die Satzbezeichnung lautet „Sostenuto religio-so“. Verdi wollte durch die Ersetzung eine ruhigere Farbe in die Partitur bringen. Per-manente Exaltation ermüdet auf Dauer.

Im dritten Szenenkomplex erkennen sich Amelia und Simon als Tochter und Vater nach 25 Jahren wieder. Verdi hat das komplexe Duett stark bearbeitet und vor allem im 2. Teil die Stimmführung radikal geändert. Sein Hauptmotiv wird als Wieder-erkennungsmotiv in den folgenden beiden Akten eine wichtige Rolle spielen. Dann teilt Simone Paolo mit, dass er sich Amelia aus dem Kopf schlagen solle, worauf dieser mit

Pietro in einem kleinen Duettino Amelias Entführung plant. Dieses konspirative Duett mit kurzen Fragen und Anweisungen, die hastig und atemlos im Pianissimo geflüstert werden, damit niemand mithört, erinnert an die Sprache der Buffa-Oper des späten 18. Jahrhunderts, etwa an das Duettino aus dem 2. Akt der Hochzeit des Figaro, in der Cherubino und Susanna einen Ausweg aus dem verschlossenen Schlafzimmer der Gräfin suchen und Cherubino aus dem Fenster springt. Dass Verdi hier wie auch für das Duettino Pietros und Paolos zu Be-ginn des 2. Akts die musikalische Sprache der Komik wählt, mag befremden. Aber schon zu Shakespeares Zeiten war der Bösewicht der Clown. Über das Laster, das im englischen Mysterienspiel als Vice verkörpert wurde, soll gelacht werden. Aus dieser Tradition stammt die Verkörperung des Teufels als Herlequin = Harlekin. Verdi hielt sich vom Mörderchor in Macbeth und Verschwörerchor im Maskenball bis hin zu bestimmten Jago-Szenen an diese Volks-theatertradition. Durch Paolos Selbstver-fluchung im 1. Finale und seinen Monolog zu Beginn des 2. Akts fügte er dieser Schicht der Fassung von 1857 1881 eine andere, dä-monische hinzu, die an Jagos nihilistisches „Credo“ erinnert.

Das „Pace“-Finale

Das Finale des 1. Akts von 1881 ersetzte die an den Maskenball gemahnende Festszene von 1857, in der die Nachricht von der Ent-führung Amelias in das Regierungsjubiläum des Dogen hineinplatzt. Die Neufassung nimmt fast die Hälfte des 1. Aktes ein – wie das berühmte 2. Finale der Hochzeit des Figaro. Es gliedert sich in drei große Teile: 1. die Ratsherrensitzung, 2. den Aufstand des Volks und 3. das Erscheinen Amelias, die Erzählung von ihrer Entführung und Simons

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31Nicholas Brownlee, Yang Xu

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Petrarca-Ansprache „Plebe! Patrizi! Po-polo“ mit ihren klagenden Synkopen. Die Ansprache mündet in ein religiöses Canta-bile und schließlich in das große „Pace“-Concertato. Paolos an Rigoletto bzw. Mon-terone erinnernde Selbstverfluchung setzt als Coda einen harten Kontrast dazu.

Alle Aktionen dieses Finales werden im Orchester lautmalerisch evoziert. Der Mittelteil, die Aufstandsszene, nimmt den Sturmchor des Otello vorweg. Der 3. Teil ist der am reichsten gegliederte. Sein Zentrum ist das fünfstimmige Concertato mit Chor, in dem der Chor homophon deklamiert und Amelia einen Cantus firmus über das Ganze legt, also eine markante Melodie, die von den anderen Stimmen umspielt wird. Nor-malerweise liegt ein Cantus firmus in der Mitte des Vokalsatzes, damit er von den anderen Stimmen umspielt werden kann. Verdi verlegt ihn aus inhaltlichen Gründen in den Diskant. Amelia schwebt wie ein Engel über dem Geschehen. Ihre mantraartige „Pace“-Melodie steigt wie in Endlosschlei-fe in Schlängellinien immer wieder eine Oktave hinab. Sie erinnert an die Gnade des Himmels, die laut dem Psalmisten wie ein Gottesgeschenk unerschöpflich von oben auf die Menschen herab taut. „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen!“, heißt es im 133. Psalm: „Wie Hermontau, der herabfällt auf die Berge Zions! Denn dahin hat der Herr den Segen entboten.“ An die-sen „Pace“-Cantus firmus wird Verdi auch am Schluss der Oper in der Sterbeszene Simones, ebenfalls ein Concertato, wieder anknüpfen. Eine verwandte ostinate, wie im Rausch immer wieder niedersteigende Me-lodie war im Orchester auch schon im Wie-dererkennungsduett von Vater und Tochter zu hören. Sie ist eine zentrale Botschaft der Musik.

Der Gabriele-Akt

War der 1. Akt mit Ausnahme des Finales von Duetten in allen Kombinationen – Ame-lia-Gabriele, Gabriele-Fiesco, Simone-Ame-lia, Paolo-Pietro – geprägt, gehört der 2. Akt musikalisch dem Tenor Gabriele Adorno. Er beginnt mit der Szene, in der Paolo Simons Ermordung plant. Sie steht in c-Moll, der Fluchtonart des 1. Finales, knüpft also tonal unmittelbar an das Vorangegangene an, und mündet in Paolos Credo, der ihn zum Gei-stesbruder Jagos macht. Paolo erschauert wie Jago unter dem Fluch, den er über sich selbst ausgesprochen hat und der musi-kalisch durch zwei Motive der Fluchszene dargestellt wird. Die punktierten Figuren der Posaunen erinnern an die Posaunen des Jüngsten Gerichts, der chromatische Dreischritt ist das Anathema-Motiv des 1. Finales. Angst macht Paolo zum Mörder. Er träufelt Simon Gift in seine Wasserkaraffe, ein Vorgang, der lautmalerisch durch ein stockendes Motiv nachgezeichnet wird. Es evoziert auch die heimtückisch langsa-me Wirkung des Gifts. Das Teuflische des Plans quittiert das Orchester mit einem Höllensturz ins tiefe As, aus dem sich Paolo langsam und bedächtig eine c-Moll-Leiter aufsteigend wieder hocharbeitet, um mit einem G-Dur-Schrei zu triumphieren. Die Totenglocken des Schlusses der Oper sind auf dasselbe tiefe As gestimmt.

An Paolos Monolog schließt sich ein Duet-tino in Rondo-Form an, in dem er Fiesco zu überreden versucht, Simon zu ermorden, was dieser von sich weist. Das Duett ist kurz, weil Fiesco in seinen Grundsätzen fest ist und Paolo bei ihm keine Chance hat. Es verwendet die Rondoform, weil Paolo es durch Insistieren auf dem gleichen Motiv trotzdem immer wieder neu versucht. Mehr Erfolg hat er bei Adorno. Auch der weist

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ihn zunächst energisch zurück. Doch dann nimmt Paolo ihn in die Mangel. Harmonisch, indem er ihn alle Tonarten von fis-Moll bis Des-Dur hindurch systematisch bearbeitet. Inhaltlich, indem er ihm weismacht, Amelia habe ein Verhältnis mit dem Dogen. Adorno schluckt den Köder und schraubt sich in kleinteilig ventilierenden Eifersuchtsfiguren hoch, die sich in seiner zweiteiligen Arie Luft machen müssen. Der 1. Teil in a-Moll basiert auf dieser Erregungsfigur, der 2. in E-Dur löst den Krampf nach einer Über-leitung in einen sanft wiegenden ¾-Takt auf und zeigt Adorno von seiner verletz-lichen Seite. Die Melodie versucht sich aufzuschwingen, fällt aber immer wieder auf den Zentralton gis zurück. Erst in der Schlusssektion vermag sich der Qualschrei seiner Brust zu entringen.

Die Konfrontation mit Amelia vollzieht sich in einem zweiteiligen Duett. Es wird von ei-ner atemlosen Rezitativszene eingeleitet, die sich drei Oktaven hochschraubt, bevor sie in einem betörenden Cantabile wieder zur Ruhe kommt. Adorno beschwört Ame-lia in fis-Moll zu einer Begleitung, die wie Messerstiche stichelt, Amelia versucht ihn in Fis-Dur zu einer fließenden Romanzen-begleitung zu beruhigen. Ihre Gesangslinie variiert das „Pace“-Motiv des 1. Finales und wird immer wieder von den Einwürfen des Tenors gestört. Eine Fanfare kündigt den Dogen an. Das Duett fällt in seine an-fängliche Hektik und Tonart – fis-Moll – zu-rück, um mit einer dramatischen Stretta zu schließen, in der Gabriele Amelia anfangs imitiert. Dann verfällt er in einen obsessiv wiederholten, morbiden Septimabschwung auf „Egli morrà! – Er soll sterben!“, aus dem Amelia ihn mit chromatisch aufstei-genden Treppenfiguren wieder hochzuho-len versucht, was ihr zuletzt auch gelingt. Die Stretta endet mit einem großen, ein-

stimmigen Aufstieg aller Instrumental- und Vokalstimmen.

Das 2. Finale schließt an die Tonart des Duetts an, fis-Moll, zeigt sie aber von einer anderen Seite. Der sorgenvolle Doge tritt zu einem gedankenschweren Streicheruniso-no ins Zimmer, wie wir es von Verdis König Philipp aus Don Carlos kennen („Sie hat mich nie geliebt.“). Als Amelia ihm gesteht, dass sie seinen Todfeind Adorno liebt, bricht die Wut in einer viermal wiederholten chromatischen Violinfigur aus ihm heraus. Der Streit eskaliert. Zweimal schleudert das Orchester den böse knirschenden Tritonus oder „Teufel in der Musik“ fortissimo her-aus. Aber nur kurz – einmal für den Vater, einmal für die Tochter. Sie steht ihrem Vater in puncto Entschlossenheit nicht nach. Eine Sechzehntelfigur in Violinen und Bratschen signalisiert, wie aufgewühlt der Doge ist, aber auch, wie sich sein Affekt allmählich wieder legt. So kündigt er der Tochter an, dass er auch Adorno vergeben wird.

Hier wird die Begleitung gefährlich dünn. Mit einer einfachen Kadenz kehrt das Or-chester zu Fis-Dur zurück. Die Zeit scheint stillzustehen, während der sinnierende Doge das Gift trinkt. Die Pauken warnen leise, die Posaunen des Jüngsten Gerichts einen Akkord lang auch laut. Aus dem Drei-tonmotiv des Gifts entwickelt sich in den hohen Geigen eine Schlummermusik. Die Holzbläser spielen leise das Amelia-Motiv aus dem Wiedererkennungsduett. Der schlafende Doge träumt von dem Glück der Wiedervereinigung mit ihr, die nun erneut auf dem Spiele steht. Als Simon im Halb-schlaf den Feind erwähnt, der sie ihm neh-men wird, erscheint der Genannte, um sein Attentat zu vollbringen. Die Reprise des Schlummermotivs hält den Mörder jedoch zurück. Er will nicht, wie Macbeth, „den

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Schlaf morden“. Amelia fällt ihm in den Arm. Aus dieser Situation entwickelt sich das zweiteilige Terzett. Es beginnt mit einem dramatisch erregten Teil voll szenischer Aktion, in dem Adorno führt, und mündet in ein fließendes es-Moll-Andante sostenuto, in dem Amelia dominiert. Eine Coda mit Kadenz im einträchtigen Unisono aller drei Stimmen schließt es ab.

Das kurze Finale ist ein wirkungsvolles Effektstück. Den Hintergrund bildet ein zweistrophiger A-cappella-Chor hinter der Bühne. Davor entspinnt sich eine erregte Rezitativdebatte der Protagonisten auf der Bühne. Hier wandelt Verdi wieder eine Technik der Renaissancemotette ab. Wäh-rend hinter der Bühne die aufständische Meute auf den Regierungspalast losmar-schiert, verhandeln Adorno, Amelia und Simon, dass Adorno die Menge, die sich aus seinen Gesinnungsfreunden rekrutiert, beruhigen und falls ihm das nicht gelingt, an der Seite Simons gegen die Aufständischen seiner eigenen Partei kämpfen soll.

Der Showdown

Der 3. Akt beginnt, wie erwähnt, mit einer Instrumentalversion desselben Chores. Im Zentrum steht nach Paolos Gang zum Schaffott das Schlussduett Fiescos und Simones. Es wird durch eine kurze Reprise der Schlummer- bzw. Giftszene des 2. Akts eingeleitet, wo sich über einem Posaunen-ton das Giftmotiv schlangenhaft hoch- und runterschlängelt, wie es im Text heißt: „Ein heißes Feuer schlängelt sich durch meine Adern.“ Das Giftmotiv weicht einem chro-matisch auf- und absteigenden Streicher-tremolo, das wie die fächelnde Brise klingt, die Simon besingt, wenn er das Fenster öff-net. In diese trügerische, weil harmonisch labile Hoffnung platzt Fiesco herein und die

trägen Streichersforzati, die sein Rezitativ begleiten, drohen mit ihren leeren Quarten und Quinten wie das Gambenlamento eines barocken Requiems. Fiesco kündigt ihm mit chromatisch fallenden Gesangslinien seinen nahen Tod wie ein Gottesgericht für ein an-geblich tyrannisches Leben an, das Fiesco mit dem des Belsazar gleicht. Und wieder wird er dabei von den Posaunen des Jüng-sten Gerichts unterstützt. Dann verwandelt sich der Diskurs in einen Dialog, unter des-sen verbaler Schicht die Streicher das Herz-pochen der Gewissensnot hörbar machen. Fiesco erinnert noch einmal an das Duett des Prologs und pocht auf seinen damaligen Racheschwur. Simone versucht ihn erneut mit flehend-fließender Linie zu besänftigen. Sie spielen die Urszene vom Anfang der Oper erneut durch. Doch nun kann Simone Fiesco mitteilen, dass die angebliche Ame-lia Grimaldi jene Tochter ist, die Fiesco zu Beginn der Oper als Preis für eine Versöh-nung forderte. Fiesco bricht in einen Wahn-sinnsschrei aus und die folgenden beiden Abschnitte des Duetts entwickeln sich über einem stockenden Schluchzmotiv, das schließlich zu fließen beginnt und sich so in das erlösende Tränenmotiv verwandelt. Fiesco bereut in einem weichen Es-Dur-Lar-go seine Verblendung, während Simon das Versöhnungsmotiv aus dem Prolog zitiert. Fiesco erkennt, dass aus Simon „die Stim-me des Himmels“ spreche – und schon vor 25 Jahren gesprochen hat –, muss ihm aber über einem Trauermarsch mitteilen, dass er vergiftet wurde. Simons Passionsweg endet mit seinem Segen, in dem er der Nachwelt in barocker Manier sein Leben und Leiden deutet und als Lehre vermacht. Das Trau-erritual der abschließenden Sterbeszene nimmt mit Marias „Pace“-Cantus firmus das 1. Finale wieder auf.

Ks. Konstantin Gorny, Seung-Gi Jung

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JOHANNES WILLIG Musikalische Leitung

Johannes Willig wurde in Freiburg/Breis-gau geboren und studierte an der dortigen Hochschule Klavier, Dirigieren und Kor-repetition sowie Orchesterleitung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Wien. 2000 wechselte er als 2. Ka-pellmeister und Assistent des GMD an das STAATSTHEATER KARLSRUHE. 2003/04 war er 1. Kapellmeister und stellvertreten-der GMD an der Oper Kiel. Weitere Enga-gements führten ihn u. a. an das Teatro Comunale di Bologna, Staatstheater Wies-baden, Theater St.Gallen, Theater Freiburg sowie an die Deutsche Oper Berlin und die Opéra de Lyon. Seit 2011/12 ist er 1. Kapell-meister und Stellvertretender Generalmu-sikdirektor am STAATSTHEATER KARLS-RUHE. Hier leitete er u. a. Maskenball, Tosca, Traviata, Macbeth, Prophet, Figaro, Adriana Lecouvreur und Sinfoniekonzerte. 2017/18 dirigierte und dirigiert er das Silves-terkonzert, Prokofjews Romeo und Julia, Simon Boccanegra und Lucio Silla.

DANIELE SQUEO Nachdirigat

Daniele Squeo studierte Klavier und Chorlei-tung in Italien sowie Orchesterleitung in Wei-mar. Der Preisträger internationaler Wettbe-werbe arbeitete mit der Neuen Philharmonie Westfalen, den Philharmonikern von Jena und Essen, den Symphonikern von Nürnberg und Bochum, dem Karlsbader Sinfonieor-chester sowie dem Orchester des Teatro Lirico Sperimentale Spoleto zusammen. Er besuchte Meisterkurse bei Steven Sloane, Sir Roger Norrington und Sylvain Cambreling.Operndirigate führten ihn mit La traviata nach Rom, Spoleto und Assisi. 2013/14 war Squeo Studienleiter und Kapellmeister am Theater Nordhausen, bevor er 2014 an das STAATS-THEATER KARLSRUHE wechselte, wo er seit 2015/16 als Erster Kapellmeister amtiert. Hier leitete er die Neuinszenierungen I Capuleti e i Montecchi, Der Liebestrank und The Riot of Spring, zahlreiche Repertoirevorstellungen, Sinfoniekonzerte sowie demnächst Roméo et Juliette und Anna Bolena. Einladungen führen ihn nach Basel und Bregenz.

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DAVID HERMANN Regie

David Hermann studierte Regie an der Hoch-schule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin und war Assistent von Hans Neuenfels. Im Jahr 2000 gewann er den Ersten Preis beim Internationalen Wettbewerb für Regie und Bühnenbild in Graz. Er inszenierte u. a. an der Deutschen Oper Berlin, am Theater Basel, bei der Ruhrtriennale, am Opernhaus Zürich sowie regelmäßig an der Oper Frankfurt, wo er u. a. einen Monteverdi-Zyklus und zuletzt eine Krenek-Trilogie herausbrachte. Mit Mo-zarts Ascanio in Alba gab er sein Debüt bei den Salzburger Festspielen. Weitere Arbeiten waren und sind in Amsterdam, Antwerpen, Nancy, Essen, Düsseldorf, Heidelberg, Saarbrücken, Montpellier, Lausanne, Luzern und Madrid zu sehen. Am STAATSTHEATER KARLSRUHE inszenierte er 2011 Die Trojaner, 2014 Boris Godunow und 2016 Das Rheingold. Als nächstes Projekt steht Janáceks Aus einem Totenhaus in Frankfurt an.

CHRISTOF HETZER Austattung

Der Salzburger studierte als Meisterschüler bei Erich Wonder an der Akademie der Bil-denden Künste in Wien. Seit 2001 arbeitet er freischaffend als Bühnen- und Kos-tümbildner u. a. an Berliner Schaubühne, Bayerischen Staatsoper, Oper Frankfurt, Vlaamse Opera Antwerpen, Mailänder Sca-la, in Zürich, Basel, Gent, Essen, Paris, Rom, Hamburg, Wien, Bonn, Amsterdam und Kopenhagen mit RegisseurInnen und Cho-reografInnen wie Hans Neuenfels, Christian Stückl und Constanze Macras zusammen. 2013 stattete er Jan Philipp Glogers neuen Fliegenden Holländer bei den Bayreuther Festspielen aus. Enge Arbeitspartnerschaf-ten verbinden ihn mit Pierre Audi, Stefan Herheim und David Hermann. 2011 wurde ihm der Hein-Heckroth Förderpreis für Büh-nenbild verliehen. Am STAATSTHEATER KARLSRUHE stattete er bisher David Her-manns Trojaner und Boris Godunow aus.

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SEUNG-GI JUNG Simon BoccanegraDer koreanische Bariton studierte in Seoul und Karlsruhe. Engagementsführten ihn nach Bern, Augsburg, Gstaad und Toulouse. 2011 debütierte er als Marcello und Vater Germont am Teatro La Fenice in Venedig. Im gleichen Jahr kam er ans STAATSTHEATER, wo er bisher u. a. die Titel-rolle in Macbeth, Donner in Rheingold und Belcore im Liebestrank sang.

Ks. ARMIN KOLARCZYK Simon BoccanegraDer in Trento aufgewachsene Bariton gehörte zehn Jahre dem TheaterBremen an, bevor er ans STAATSTHEATER wechselte. Hier gestaltete erdie großen Mozart- und Wagner-Partien, Wagnerdämon in Wahnfried und zuletzt Gunter in der Götterdämmerung. Er wurde mit dem Titel Kam-mersänger geehrt und debütierte 2017 bei den Bayreuther Festspielen.

Ks. BARBARA DOBRZANSKA Amelia GrimaldiInternationale Engagements führten die polnische Sopranistin u. a. nachBudapest, Rom, Wien und Stockholm. Seit 2002 gehört sie zum Ensembledes STAATSTHEATERS. Hier verkörperte sie fast alle großen Verdi- undPuccini-Heroinen sowie viele Partien des slawischen und französischenRepertoires. 2017 gastiert sie als Marta in Die Passagierin in Dresden.

JOANNA ZAWARTKO a. G. Amelia GrimaldiDie polnische Sopranistin studierte an der Lipiński Musikakademie Wrocław. An den großen Bühnen ihrer Heimat interpretierte sie Partien wie Verdis Desdemona, Tschaikowskis Tatjana, Bizets Micaëla, Dvořáks Rusalka, Moniuszkos Halka. Außerdem ist sie eine gefragte Konzertsän-gerin. Als Amelia Grimaldi ist sie erstmals am STAATSTHEATER zu Gast.

Ks. KONSTANTIN GORNY Jacopo FiescoMit seinem Debüt bei den Bregenzer Festspielen 1993 startete der rus-sische Bass eine Weltkarriere, die ihn u. a. nach Wien, Tokio, Sydney, Paris und Tel Aviv führte. Seit 1997 ist er Mitglied des STAATSTHEATERS KARLSRUHE, seit 2006 Kammersänger. Hier war er u. a. als König Marke in Tristan und Isolde und Hagen in der Götterdämmerung zu erleben.

AVTANDIL KASPELI Jacopo FiescoDer georgische Bass studierte in Tiflis und München, wo er als Sparafu-cile in Rigoletto debütierte. Am Prinzregententheater war er der Komtur in Don Giovanni. Seit 2011/12 ist er am STAATSTHEATER engagiert. Hier sang er außer den großen Verdi- und Puccinipartien Sarastro in der Zau-berflöte, Zacharias im Prophet, Fafner in Das Rheingold und Siegfried.

RODRIGO PORRAS GARULO Gabriele AdornoGeboren in Mexiko-City, studierte er am Salzburger Mozarteum. Bis 2015gehörte er zum Meininger Theater. Gastspiele führten ihn u. a. zu den Stuttgarter Philharmonikern und an die Oper Leipzig. Seit der Spielzeit 2017/18 ist er Ensemblemitglied am STAATSTHEATER, wo er u. a. Don José, Cavaradossi, Alfredo und Maurizio in Adriana Lecouvreur verkörperte.

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JAMES EDGAR KNIGHT Gabriele AdornoDer Australier und Juilliard School-Absolvent ist seit 2015 Ensemblemit-glied des STAATSTHEATERS. Hier sang er u. a. Fenton in Falstaff, Mac-duff in Macbeth, Alfredo in La traviata, Maurizio in Adriana Lecouvreur und Froh im Rheingold. 2017/18 ist er außerdem als Tybalt in Roméo et Juliette zu hören. Folgen Sie @jamesedgarknight auf Instagram.

NICHOLAS BROWNLEE Paolo AlbianiDer amerikanische Bass-Bariton studierte an der Rice University Hous-ton und zählt Titelpartien in Die Hochzeit des Figaro und Herzog Blau-barts Burg zu seinem Repertoire. Seit der Spielzeit 2017/18 ist er Ensem-blemitglied am STAATSTHEATER, wo er u. a. Melisso in Alcina, Enrico VIII in Anna Bolena und Count Capulet in Roméo et Juliette singen wird.

RENATUS MESZAR Paolo AlbianiDer studierte Kirchenmusiker verfügt über ein breitgefächertes Repertoire.Über Braunschweig, Weimar und Bonn kam er 2012 ans STAATSTHEATER,wo er die großen Wagnerpartien Hans Sachs, Amfortas, Marke und Wotanverkörperte. 2017/18 singt er u. a. Hermann Levi in Wahnfried, Wotan/Wan-derer in der Walküre und Siegfried sowie Publio in La clemenza di Tito.

LUIZ MOLZ PietroLuiz Molz kommt aus Brasilien, wo er auch sein Gesangsstudium absol-vierte. Von 2001 bis 2016 gehörte er zum Solistenensemble des STAATS-THEATERS und hat mehr als 80 Partien gesungen, darunter die Titelpar-tien in Boitos Mefistofele und Mozarts Hochzeit des Figaro. Seit 2016 ist er Mitglied des BADISCHEN STAATSOPERNCHORES.

YANG XU PietroDer chinesische Bassbariton absolvierte sein Studium in Peking. Von 2013 bis 2015 war er Mitglied des Karlsruher OPERNSTUDIOS, seit 2016 ist er fest am STAATSTHEATER engagiert. Hier singt er in der Spielzeit 2017/18 u. a. Fasolt in Das Rheingold, Publio in La clemenza di Tito, Som-nus in Semele und Lord Rochefort in Anna Bolena.

ILKIN ALPAY Magd AmeliasErste Theatererfahrungen sammelte die türkische Sopranistin im Staatli-chen Kinderchor der Staatsoper Ankara. 2008 bis 2014 studierte sie an der Bilkent Universität Philosophie. 2016 gewann sie den 18. Siemens-Gesangs-wettbewerb und wurde ins Opernstudio des STAATSTHEATERS aufgenom-men, wo sie u. a. Cupid in Semele und Papagena in Die Zauberflöte singt.

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BILDNACHWEISE

TITEL Felix GrünschloßPROBENFOTOS Falk von Traubenberg PORTRAITS Ariel Oscar Greith CAMI

IMPRESSUM

HERAUSGEBER BADISCHES STAATSTHEATERKARLSRUHE

GENERALINTENDANT Peter Spuhler

KAUFMÄNNISCHER DIREKTORJohannes Graf-Hauber

VERWALTUNGSDIREKTOR Michael Obermeier

CHEFDRAMATURG Jan Linders

OPERNDIREKTOR Michael Fichtenholz

REDAKTIONDr. Boris Kehrmann

KONZEPT DOUBLE STANDARDS BERLIN www.doublestandards.net

GESTALTUNGRoman Elischer

DRUCK medialogik GmbH, Karlsruhe

BADISCHES STAATSTHEATER KARLSRUHE 2017/18Programmheft Nr. 427www.staatstheater.karlsruhe.de

TEXTNACHWEISAlle Texte sind Originalbeiträge von Dr. Boris Kehrmann.

WARUM GEHT MIR DIE WAHRHEIT SO SPAT AUF?

41Anna Wacker

MEIN GRAB SOLL DER ALTAR DER ITALIENISCHEN EINHEIT WERDEN


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