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Die stabilitätsgefährdenden Metastasen

Date post: 25-Aug-2016
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When metastases jeopardize stability Summary. Multimodal therapy of tumor patients with osseous metastases is an interdisciplinary task. The sur- gical treatment requires optimal integration, in terms of timing and extent of the procedure, into the overall treatment plan. In addition to surgery, modern thera- peutic approaches include systemic chemotherapeutic, hormonal and immunological therapy, radiotherapy, and other drug therapy (i.e. biophosphonates). We use classical stabilization methods with plates and bone ce- ment or intramedullary nailing and also new implants with angular stability like an internal fixator and modu- lar endoprothesis systems in operative therapy. Such stabilizing systems allow bridging of tumor defects in al- most all parts of the skeleton. The ultimate goal of any treatment and especially of operative intervention is a mobile patient with little or no pain and a good quality of life. Key words: Osseous metastases – Skeleton stability – Therapy of osseous metastases – Stabilization methods – Tumor patient. Zusammenfassung. Die Behandlung von Tumorpatien- ten mit ossärer Metastasierung ist heutzutage eine vor- rangig interdisziplinäre Aufgabe mit der Erstellung ei- nes multimodalen Therapiekonzeptes, in dem die ope- rative Therapie bezüglich des Zeitpunktes und des Um- fanges des Eingriffs optimal einzuordnen ist. Ein multi- modales Therapiekonzept beinhaltet neben der operati- ven Therapie die systemische Tumorbehandlung (Che- mo-, Hormon- und Immuntherapie), die Strahlenthera- pie und andere medikamentöse Therapieverfahren (z. B. Osteoklastenhemmer). Für die operative Thera- pie stehen neben den klassischen Verfahren wie die Ver- bundosteosynthese oder intramedullärer Stabilisierung neue winkelstabile Implantate sowie moderne modula- re Tumorendoprothesensysteme, die nach weitestge- hender Tumorresektion eine Defektüberbrückung in ei- nem Großteil der Skelettlokalisationen ermöglichen, zur Verfügung. Ziel der operativen Behandlung muß sein, dem Patienten die Stabilität und Funktion der be- troffenen Regionen und damit seine Mobilität wieder- zugeben bei gleichzeitiger Schmerzreduktion, damit der noch verbleibende Lebensabschnitt mit einer ak- zeptabelen Lebensqualität verbunden bleibt. Schlüsselwörter: Knochenmetastasen – Skelettstabilität – Therapie von Knochenmetastasen – Stabilisierungs- verfahren – Tumorpatienten. Skelettmetastasen sind die häufigste maligne Knochen- erkrankung und Ausdruck der Generalisierung eines Tumorleidens. Neben Leber- und Lungenmetastasen ist das Skelettsystem das dritthäufigst befallene Organ. Innerhalb des Skelettsystems ist dabei die Wirbelsäu- le mit 61,8 % am häufigsten betroffen, insbesondere die mittlere Brust- und obere Lendenwirbelsäule. Als wei- tere häufige Lokalisation werden Femur (10,4 %), hier wieder besonders das coxale Ende, Rippen (9,5 %), Schädel (8,8 %), Becken (4,7 %) und Humerus (1,4 %) angegeben [4]. An den distaler gelegenen Extremitäten- abschnitten wie Tibia, Fibula, Radius oder Ulna werden wesentlich seltener ossäre Metastasen diagnostiziert. In der Regel ist bei Diagnosestellung der ossären Metasta- sierung bereits von einer multifocalen Präsenz dieser Befunde auszugehen. Die Diagnose einer solitären os- sären Metastase stellt den Ausnahmefall dar. Skelett- metastasen sind leider darüber hinaus häufig erstes An- zeichen einer malignen Erkrankung, andererseits ver- laufen auch viele Metastasen subklinisch wie Obdukti- onsstatistiken von Carcinompatienten belegen [3]. Zu den osteotropen Primärtumoren zählen insbeson- dere das Mamma- und Prostatacarcinom, gefolgt vom Bronchial-, Nieren- und Schilddrüsencarcinom. Alle an- deren Carcinome, aber auch Knochen- und Weichteil- sarkome metastasieren selten in das Skelettsystem. Für das Mamma- und Prostatacarcinom werden mitt- lere Überlebenszeiten bei alleiniger Skelettmetastasie- rung von 2 bzw. 4 Jahren angegeben, für das Nieren- Chirurg (1999) 70: 1415–1421 Die stabilitätsgefährdenden Metastasen N. P.Haas, I. Melcher und R. Peine Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (Direktor: Prof.Dr. N.P. Haas), CharitØ, Campus Virchow-Klinikum der Humboldt-Universität zu Berlin Ó Springer-Verlag 1999
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Page 1: Die stabilitätsgefährdenden Metastasen

When metastases jeopardize stability

Summary. Multimodal therapy of tumor patients withosseous metastases is an interdisciplinary task. The sur-gical treatment requires optimal integration, in termsof timing and extent of the procedure, into the overalltreatment plan. In addition to surgery, modern thera-peutic approaches include systemic chemotherapeutic,hormonal and immunological therapy, radiotherapy,and other drug therapy (i.e. biophosphonates). We useclassical stabilization methods with plates and bone ce-ment or intramedullary nailing and also new implantswith angular stability like an internal fixator and modu-lar endoprothesis systems in operative therapy. Suchstabilizing systems allow bridging of tumor defects in al-most all parts of the skeleton. The ultimate goal of anytreatment and especially of operative intervention is amobile patient with little or no pain and a good qualityof life.

Key words: Osseous metastases ± Skeleton stability ±Therapy of osseous metastases ± Stabilization methods± Tumor patient.

Zusammenfassung. Die Behandlung von Tumorpatien-ten mit ossärer Metastasierung ist heutzutage eine vor-rangig interdisziplinäre Aufgabe mit der Erstellung ei-nes multimodalen Therapiekonzeptes, in dem die ope-rative Therapie bezüglich des Zeitpunktes und des Um-fanges des Eingriffs optimal einzuordnen ist. Ein multi-modales Therapiekonzept beinhaltet neben der operati-ven Therapie die systemische Tumorbehandlung (Che-mo-, Hormon- und Immuntherapie), die Strahlenthera-pie und andere medikamentöse Therapieverfahren(z. B. Osteoklastenhemmer). Für die operative Thera-pie stehen neben den klassischen Verfahren wie die Ver-bundosteosynthese oder intramedullärer Stabilisierungneue winkelstabile Implantate sowie moderne modula-re Tumorendoprothesensysteme, die nach weitestge-hender Tumorresektion eine Defektüberbrückung in ei-nem Groûteil der Skelettlokalisationen ermöglichen,

zur Verfügung. Ziel der operativen Behandlung muûsein, dem Patienten die Stabilität und Funktion der be-troffenen Regionen und damit seine Mobilität wieder-zugeben bei gleichzeitiger Schmerzreduktion, damitder noch verbleibende Lebensabschnitt mit einer ak-zeptabelen Lebensqualität verbunden bleibt.

Schlüsselwörter: Knochenmetastasen ± Skelettstabilität± Therapie von Knochenmetastasen ± Stabilisierungs-verfahren ± Tumorpatienten.

Skelettmetastasen sind die häufigste maligne Knochen-erkrankung und Ausdruck der Generalisierung einesTumorleidens. Neben Leber- und Lungenmetastasenist das Skelettsystem das dritthäufigst befallene Organ.

Innerhalb des Skelettsystems ist dabei die Wirbelsäu-le mit 61,8% am häufigsten betroffen, insbesondere diemittlere Brust- und obere Lendenwirbelsäule. Als wei-tere häufige Lokalisation werden Femur (10,4 %), hierwieder besonders das coxale Ende, Rippen (9,5 %),Schädel (8,8 %), Becken (4,7 %) und Humerus (1,4 %)angegeben [4]. An den distaler gelegenen Extremitäten-abschnitten wie Tibia, Fibula, Radius oder Ulna werdenwesentlich seltener ossäre Metastasen diagnostiziert. Inder Regel ist bei Diagnosestellung der ossären Metasta-sierung bereits von einer multifocalen Präsenz dieserBefunde auszugehen. Die Diagnose einer solitären os-sären Metastase stellt den Ausnahmefall dar. Skelett-metastasen sind leider darüber hinaus häufig erstes An-zeichen einer malignen Erkrankung, andererseits ver-laufen auch viele Metastasen subklinisch wie Obdukti-onsstatistiken von Carcinompatienten belegen [3].

Zu den osteotropen Primärtumoren zählen insbeson-dere das Mamma- und Prostatacarcinom, gefolgt vomBronchial-, Nieren- und Schilddrüsencarcinom. Alle an-deren Carcinome, aber auch Knochen- und Weichteil-sarkome metastasieren selten in das Skelettsystem.

Für das Mamma- und Prostatacarcinom werden mitt-lere Überlebenszeiten bei alleiniger Skelettmetastasie-rung von 2 bzw. 4 Jahren angegeben, für das Nieren-

Chirurg (1999) 70: 1415±1421

Die stabilitätsgefährdenden MetastasenN. P.Haas, I. Melcher und R. Peine

Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (Direktor: Prof.Dr. N. P. Haas), CharitØ, Campus Virchow-Klinikumder Humboldt-Universität zu Berlin

Ó Springer-Verlag 1999

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und colorectale Carcinom 1 Jahr sowie für das Lungen-carcinom, das maligne Melanom und bei unbekanntemPrimärtumor 3±6 Monate [8]. Dabei können bei einzel-nen Tumoren, z. B. dem Mammacarcinom noch nach18±25 Jahren scheinbarer Krankheitsfreiheit Skelett-metastasen auftreten.

Die Symptomatik einer Skelettmetastasierung ist re-lativ unspezifisch, sie unterscheidet sich nicht grund-sätzlich von denen anderer Erkrankungen des Skelett-systems. Im Vordergrund steht der Schmerz, dabei spieltdie Belastungsabhängigkeit und nächtliches Auftreteneine wesentliche Rolle. Schmerzhafte Bewegungsein-schränkungen, Schwellungszustände und letztlich neu-rologische Ausfälle sowie pathologische Frakturen alsplötzliche dramatische Ereignisse können Ausdruckosteodestruktiver Prozesse sein. Als Grundregel kanngelten, daû bei Patienten oberhalb des 40. Lebensjahresmit tumorverdächtigen Osteodestruktionen am ehestenan Carcinommetastasen zu denken ist, bei jüngeren Pa-tienten eher an einen primären Knochentumor. Nebendiesen lokalisierten Beschwerden können systemischeAuswirkungen wie Hyperkalzämie und Störungen derHämatopoese hinzutreten.

Eine Heilung der Tumorkrankheit im Stadium derSkelettmetastasierung ist bis auf wenige Ausnahmenunmöglich. Die prognostische Entwicklung des ossärmetastasierten Tumorleidens ist im wesentlichen abhän-gig von der Anzahl der Metastasen, dem Zeitintervallzwischen Primärtumortherapie und Auftreten der Me-tastasen, der Zahl der betroffenen Organsysteme sowieder Sensitiviät auf Chemo-, Hormon und Strahlenthera-pie bzw. auf ergänzende medikamentöse Therapiekon-zepte (Biphosphonate).

Nach Besiedlung des Knochenmarkes mit Tumorzel-len werden von diesen humorale Mediatoren freige-setzt, die zur Aktivierung von ortsständigen Knochen-zellen führen. Die entscheidenden Targetzellen der Me-diatoren sind die Osteoklasten, die eine Aktivierung er-fahren und damit den lokalen Knochenabbau übermä-ûig steigern. Dies bedingt eine osteolytische Destrukti-on mit Stabilitäts- und Funktionsverlust des entspre-chenden Skelettbereiches. Gleichzeitig werden durchdie freigesetzten Mediatoren auch Wachstumsfaktorenaktiviert, die wiederum das lokale Tumorwachstum for-cieren [1]. Hier ist der Therapieansatz der Osteoklas-tenhemmer (Biphosphonate) zu sehen, die das Auftre-ten skelettaler Komplikationen wie pathologische Frak-turen, Knochenschmerzen und einer Tumorhypercalc-ämie reduzieren.

Radiologisch findet dieser gesteigerte lokale Kno-chenumbau seinen Ausdruck in einer Veränderung derKnochenstruktur, die sich osteolytisch (Bronchialcarci-nom), osteoplastisch (Prostatacarcinom) oder gemischt-förmig (Mammacarcinom) darstellt.

Diagnostik

Die grundlegende radiologische Diagnostik bei Skelett-metastasierung basiert auf konventionellen Röntgen-aufnahmen und der Skelettszintigraphie. Dabei werden

durch die Röntgendiagnostik ossäre Metastasen erst dar-gestellt, wenn 30±50 % des Mineralsalzgehaltes verlorengegangen sind [6]. Von wesentlicher detektiver Bedeu-tung ist daher die Skelettszintigraphie, die schon frühzei-tig Lokalisationen erhöhten Knochenstoffwechsels er-kennen läût bevor röntgenologische Veränderungenauszumachen sind. Zudem ist nach einer szintigrafischenUntersuchung eine gezielte röntgenologische Darstel-lung möglich. Bei symptomatischen ossären Metastasenkommen Computertomographie (CT) und Magnetreso-nanztomographie (MRT) zum Einsatz, die die genaueintra- und extraossäre Ausdehnung erkennen lassenund damit eine wichtige Voraussetzung für Operations-planung darstellen. Von auûerordentlicher Bedeutungsind diese Verfahren für die Metastasenchirurgie an derWirbelsäule, wo die Festlegung des operativen Zugangs-weges von der Beziehung der Metastase zum Spinalka-nal abhängt. Bei unklarer Höhenlokalisation der Spinal-kanaleinengung bei multilokolären Befall bzw. bei Rezi-divmetastase kann die Myelographie bzw. das Myelo-CTvon zusätzlicher diagnostischer Aussagekraft sein.

Ein weiteres diagnostisches und therapeutisches Ver-fahren stellt die Angiographie dar, insbesondere beiMetastasen im Bereich des Beckens und der Wirbelsäu-le kann die präoperative Angiographie in Verbindungmit einer Embolisation der tumorversorgenden Gefäûedas intraoperative Blutungsrisiko, z. B. bei Nieren- undSchilddrüsencarcinommetastasen, deutlich reduzieren.Zudem vermag die alleinige Embolisation schon eineTumorverkleinerung sowie eine Schmerzreduktion her-beizuführen.

Therapie

Da bei Auftreten multipler Skelettmetastasen von einerGeneralisierung des Tumorleidens auszugehen ist, unddie Prognose in der Regel infaust ist, tragen die thera-peutischen Bemühungen eher palliativen Charakter.

Die Diagnose einer solitären ossären Metastase stelltden Ausnahmefall dar. In dieser Situation müssen dietherapeutischen Maûnahmen selbstverständlich kurati-ven Charakter tragen, d. h. das operative Vorgehen ent-spricht dem bei primär malignen Knochentumoren.Voraussetzungen hierfür sind die kurative Behandlungdes Primärtumors, eine entsprechend kurativ operableMetastase und ein vertretbares Operationsrisiko.

Im Zuge der Optimierung systemischer und strahlen-therapeutischer Therapieverfahren und durch den Ein-satz weiterer medikamentöser Behandlungsstrategienkonnte die Überlebenszeit von Patienten mit generali-siertem Tumorleiden weiter verlängert werden, so daûdie operative Therapie auch von Skelettmetastasen im-mer mehr an Bedeutung gewinnt.

Das Ziel der operativen Versorgung besteht darin,die Lebensqualität der Patienten für die verbleibendeÜberlebenszeit durch geeignete Verfahren zu sichern.Im engeren Sinne beinhaltet das neben der Schmerzfrei-heit die Wiederherstellung der Funktion und Belastbar-keit der betroffene Skelettabschnitte und damit dieWiedererlangung der Mobilität des Patienten.

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Dazu sind die operativen Verfahren so zu wählen,daû Reoperationen wegen Metastasenrezidiv bzw. Im-plantatkomplikationen vermieden werden [16]. Weiter-hin sollten einfache, komplikationsarme Verfahren mitkurzer Operationszeit zur Anwendung kommen [11,12].

Soweit der operative Eingriff nicht wesentlich erwei-tert werden muû, sollte im Rahmen jeder operativenVersorgung von Skelettmetastasen Tumormaterial füreine histologische Untersuchung gewonnen werden. Ei-nerseits kann dadurch ausgeschlossen werden, daû essich um die ossäre Metastase eines Zweitcarcinoms mitmöglicherweise anderen zusätzlichen lokalen oder sy-stemischen Therapieoptionen handelt; andererseits istbekannt, daû z. B. beim Mammacarcinom in etwa 20 %der Fälle eine Veränderung des Hormonrezeptorstatuszu finden ist. Daraus können sich neue therapeutischeKonsequenzen ergeben.

Operationsindikationen stellen aus unserer Sicht diedrohende oder manifeste pathologische Fraktur, derdrohende oder manifeste Querschnitt und therapiere-fraktäre Skelettschmerzen dar.

Wirbelsäule

Bei Metastasenbefall der Wirbelsäule, insbesondere derstärker belasteten Abschnitte, steht neben dem Stabili-tätsverlust und der damit verbundenen Schmerzenganz entscheidend die neurologische Komplikation mitQuerschnittssymptomatik im Vordergrund.

Dabei kann der metastatische Befall ganzer Wirbel-säulenabschnitte oder eine diffuse ossäre Disseminie-rung die notwendige Implantatverankerung technischerschweren oder unmöglich machen. An der Wirbelsäu-le sind aus onkologischer Sicht bedingt durch die anato-mischen Beziehungen zum Rückenmark überwiegendnur intralesionale Tumorresektionen ausführbar. Zieldes operativen Eingriffs muû die Dekompression vonMyelon, Cauda und Nervenwurzeln sein, was direktdurch die Resektion des Tumors aber auch indirektdurch dorsale Entlastung des Myelons und Aufrichtungder Deformität geschieht. Bei Hypernephrom- undSchilddrüsencarcinommetastasen kann eine präoperati-ve Embolisation das intraoperative Blutungsrisiko deut-lich verringern.

Die Entscheidung über die Wahl des optimalen Zu-ganges wird neben der Metastasenlokalisation, dem os-sären Metastasierungsmuster und dem Allgemeinzu-stand des Patienten auch von der Prognose der Grund-erkrankung beeinfluût. Da in der Regel ein metastati-scher Befall von Wirbelkörper und Bogenwurzeln zuverzeichnen ist, ist der ventrale Zugang meistens des ef-fektivere Verfahren. Der Vorteil liegt in der Möglich-keit weitestgehender Tumorentfernung bei gleichzeiti-

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Abb. 1. HWK-5-Destruktion durch die Metastase eines Mamma-carcinoms ± Vertebrektomie, Harmskorb-Interposition, dorso-ventrale Spondylodese mittels Platten

Abb. 2. BWK-8-Metastase eines malignen Melanoms mit Spinal-markkompression ± Vertebrektomie, Harmskorb-Interposition,ventrale Spondylodese mittels Platte

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ger Durchführung einer suffizienten belastungsstabilenImplantatpositionierung und -montage. Andererseitsmuû von einer gröûeren Belastung des Patienten mit ei-ner erhöhten Komplikationsrate insbesondere bei tho-rakalem Zugang ausgegangen werden. Daher sollte die-ser Zugang solchen Patienten vorbehalten werden, dieeinen lokalisierten Befall aufweisen, sich in gutem All-gemeinzustand befinden und eine low-risk-Metastasie-rung mit einer längeren Überlebenszeit aufweisen.

Demgegenüber kommt der dorsale Zugang mit La-minektomie bevorzugt bei Patienten mit multifocalenWirbelkörperbefall mit Beteiligung der Wirbelbögen,bei tumoröser Infiltration wesentlicher prävertebralerStrukturen (Aorta, V.cava), bei schlechtem Allgemein-zustand und high-risk-Metastasierung mit kurzer Über-lebensprognose zum Einsatz. Ein dorso-ventrales Vor-gehen ist den tumorbedingten Instabilitäten der ventra-len und dorsalen Wirbelstrukturen vorbehalten, unterBerücksichtigung der o. g. Entscheidungskriterien [15].

Neben den unterschiedlichen Systemen zur dorsalenStabilisierung nach Laminektomie kommen ventral zurDefektüberbrückung und Stabilisierung spezielle Me-tall- oder Keramikimplantate (Körbchen, Spacer) inVerbindung mit Knochenzement zur Anwendung.

In unserer Klinik werden zur Defektüberbrückungbei ventralen Vorgehen überwiegend mit Knochenze-ment aufgefüllte Metallkörbchen in Verbindung mit ei-ner zur Stabilisierung plazierten Platte verwendet.

Sowohl bei alleiniger dorsaler Stabilisierung mit La-minektomie als auch nach intralesionaler ventraler Tu-morresektion ist eine zusätzliche postoperative Strah-len- oder systemische Therapie zur Verhinderung eineserneuten Tumorwachstums bzw. als Voraussetzung füreine mögliche Recalcifizierung des Wirbelkörpers unddamit Wiedererlangung einer gewissen Stabilität ange-zeigt (Abb. 1±3).

Becken

Die Häufigkeit der Lokalisation von ossären Metasta-sen im Bereich des Beckens ist mit 4,7 % im Vergleichzur Wirbelsäule gering. Insbesondere bei periacetabulä-rer Lokalisation führt die ossäre Destruktion neben be-lastungsabhängigen Schmerzen auch zu einer Stabili-

tätsgefährdung mit Einschränkung bzw. Aufhebung derGehfähigkeit.

Ebenso wie für den Bereich der Wirbelsäule stehenMRT und CT in der Diagnostik der Beckenmetastasenfür die Beurteilung der intraossären und extraossärenTumorausdehnung sowie zur Operationsplanung imVordergrund.

Auch hier ist die präoperative Embolisation der Tu-morgefäûe bei stark vascularisierten Metastasen für die

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Abb.3 . a Multipler metastatischer Befallder LWS durch ein Mammacarcinom mitinkompletter Querschnittssymptomatik ±Laminektomie, dorsale Stabilisierungmittels Fixateur interne. b Vertebrekto-mie mit Harmskorb-Interposition sowieventraler Spondylodese mittels Wolter-platte

a b

Abb. 4. Solitäre Metastase eines endometrioiden Carcinoms imSitzbein-Acetabulumbereich ± Beckenteilresektion und Defekt-überbrückung mittels Tumorendoprothese

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Reduktion des intraoperativen Blutungsrisikos von we-sentlicher Bedeutung.

Enneking und Dunham haben das Becken hinsicht-lich operativer Strategien in 3 Bereiche eingeteilt [5, 7].Der erste Bereich betrifft die Beckenschaufel. Hierkönnen Resektion, auch mit Kontinuitätsunterbre-chung des Beckenringes durchgeführt werden, ohnedaû zwingend eine Stabilisierung erforderlich ist. Eshat sich gezeigt, daû es häufig zu einer kontinuierlichenAnnäherung des verbliebenen Os iliums an das Sacrummit der Ausbildung eines stabilen ¹Neoarthrosª kommt[2].

Stabilitätsgefährdende Metastasen im periacetabulä-ren Bereich (entpricht dem zweiten Bereich nach Enne-king und Dunham) bedürfen einer operativen Inter-vention mit Gelenkersatz.

Der dritte Bereich betrifft die Sitz- und Schambein-region, hier ist die Resektion ohne jegliche Stabilisie-rung möglich. Obwohl diese beiden Resektionsverfah-ren keine wesentlichen operationstechnischen Proble-me mit sich bringen, ist die Indikation für diese Eingrif-fe als relativ zu betrachten. In erster Linie kommennichtchirurgische Therapiemaûnahmen zur Anwen-dung.

Die Wahl der operativen Technik und die Ausdeh-nung des Eingriffs wird von den bereits genanntenEntscheidungskriterien bestimmt. Zur Rekonstruktionder Resektionsdefekte unter Einschluû des Hüftgelen-kes stehen die Verbundosteosynthese und spezielleTumorendoprothesen zur Verfügung. Bei geringen Be-fall des periacetabulären Knochens kann die Versor-gung mit einer konventionellen Hüftendoprothese er-folgen, ggf. mit einer Pfannendachabstützschale [10].Gröûere Defekte benötigen dagegen einen Metall-Ze-ment-Verbund, der die künstliche Pfanne aufnimmt.Dabei erfolgt über die Metallimplantate die Anbin-

dung des Knochenzementes an den verbleibendenBeckenknochen, zusätzlich können an der Beckenin-nenseite plazierte Plattenosteosynthesen die Stabilitätder Konstruktion erhöhen. Der Knochenzement führtdabei neben seiner Stabilitätssicherung durch dieTemperaturentwicklung beim Aushärten zur zusätzli-chen Blutstillung und zur Thermonekrose noch ver-bliebener Tumorzellnester in einer Umgebung von3±5 mm.

Andere Möglichkeiten der Defektüberbrückung sinddurch spezielle Endoprothesensysteme gegeben (Sattel-endoprothese, Beckenteilersatz). Dabei wird beimBeckenteilersatz aus dem Datensatz der CT-Untersu-chung ein entsprechendes original groûes Kunststoff-modell angefertigt, an dem der Operateur die vorgese-henen Resektionsgrenzen markiert. Anschlieûend er-folgt anhand des Resektionsdefektes und der vorgese-henen Verankerungsflächen die Produktion der Metall-endoprothese. Dieses sehr aufwendige operative Ver-fahren, bei dem die Tumorresektion im Sinne einer par-tiellen inneren Hemipelvektomie durchgeführt wird,sollte den Patienten mit solitären Metastasen bzw. mitprognostisch günstiger Grunderkrankung sowie effekti-ven zusätzlichen Therapieverfahren vorbehalten blei-ben. Dabei ist zu berücksichtigen daû diese Operations-verfahren mit einer hohen perioperativen Komplikati-onsrate bis zu 50% behaftet sind (Infektion, Implantat-lockerung, Rezidiv) [14] (Abb. 4).

Extremitäten

An den Extremitäten sind Femur und Humerus am häu-figsten von Metastasen betroffen, hier insbesondere dascoxale Femur. Für den Bereich der oberen Extremitä-ten steht die Wiederherstellung der Funktion, an der

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Abb.5 . a Ausgedehnte osteolytische Me-tastase mit pathologischer Fraktur proxi-maler Humerus bei Oesophaguscarcinom± Resektion und Defektüberbrückungmittels isoelastischer Tumorprothese.b Pathologische Humerusfraktur bei mul-tipel ossär metastasierten Mammacarci-nom ± Stabilisierung mittels Humerusna-gel mit Mehrfachverriegelung

a b

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unteren Extremität die der Belastbarkeit bei der Wahldes Operationsverfahrens im Vordergrund.

Die eingetretene pathologische Fraktur stellt hierbeieine absolute Operationsindikation dar, da durch ande-re Therapiemaûnahmen eine Wiederherstellung derFunktion und Belastbarkeit nicht zu erreichen ist. Fürdie operative Versorgung bei drohender pathologischerFraktur spricht die einfachere Operationstechnik, dieVermeidung der Frakturschmerzen für den Patientenund auch die Verminderung der Komplikationsrate.

Der auf radiologischen und klinischen Daten basie-renden 12-Punkte-Score von Mirels hat sich zur Beur-teilung der Frakturgefährdung bewährt. Folgende Fak-toren werden darin bewertet: persistierender Schmerztrotz Strahlentherapie, permeatives Wachstum, solitärelytische Läsion > 2,5 cm Durchmesser, solitäre lytischeLäsion mit Corticalisdestruktion > 50 %, isolierte Frak-tur des Trochanter minor [9]. Ab einem Punktwert von

9 ist eine prophylaktische Operation anzuraten. Dabeigilt im Allgemeinen zu beachten, daû unter der Strah-lentherapie über einem Zeitraum von 2±3 Wochen miteiner Vergröûerung der lytischen Destruktion zu rech-nen ist, bevor eine Recalcifizierung und damit ein Stabi-litätszuwachs eintritt.

Die operative Therapie der Skelettmetastasen er-folgt in der Regel in den Schritten Tumorresektion undDefektrekonstruktion. In Abhängigkeit von der Radi-kalität der Resektion sollten sich lokale und systemi-sche adjuvante Therapiemaûnahmen anschlieûen. Diesgilt insbesondere bei alleiniger Stabilisierung der Meta-stase mit einem intramedullären Kraftträger ohne Re-duktion der Tumormasse. Dieses Verfahren findet An-wendung bei Patienten mit schlechtem Allgemeinzu-stand oder mit multifocalem Befall eines Knochens, woeine sichere Verankerung der Implantate nicht mehrmöglich erscheint. Ansonsten ist die vollständige Re-

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Abb.6. Pathologische laterale Schenkel-halsfraktur bei per-/subtrochantärer Me-tastase eines Prostatacarcinoms ± Resekti-on und Defektüberbrückung mittels Tu-morendoprothese

Abb.7. Osteolytische Metastase einesBronchialcarcinoms lateraler Femur-condylus ± Verbundosteosynthese

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sektion des tumortragenden Knochens anzustreben.Die Defektüberbrückung erfolgt in der Regel im ge-lenknahen Bereich mittels Endoprothesen [13].

Am Schaft und im Metaphysenbereich müssen dieallgemeinen Regeln einer stabilen Osteosynthese be-rücksichtigt werden. In Abhängigkeit vom Tumorleidenund der Überlebenschance kommen Knochenzementoder Bankknochen adjuvant zum Einsatz. Groûe Vor-teile bieten die neuerdings zur Anwendung kommen-den winkelstabilen Implantate basierend auf dem Prin-zip eines Fixateur interne (Abb. 5±8).

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Univ.-Prof. N. P. HaasUnfall- und WiederherstellungschirurgieCharitØ, Campus Virchow-KlinikumHumboldt-UniversitätAugustenburger Platz 1D-13353 Berlin

N. Haas et al.: Die stabilitätsgefährdenden Metastasen 1421

Abb.8. Pathologische supracondyläreFemurfraktur bei Bronchialcarcinom ±Verbundosteosynthese mit winkelstabilerPlatte (Liss-Platte) und Knochenzement


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