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Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Date post: 09-Dec-2016
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@ 194 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip rückgeht. Er fand in den üblichen Vorstellungen von Raum und Zeit eine Annahme, die nicht auf Tatsachen beruhte. Er hatte Erfolg, indem er diese vorgefaßte Meinung aus der Theorie entfernte. VI. Das spezielle Einsteinsehe Relativitätsprinzip 1. Der Begriff der Gleichzeitigkeit Die logischen Schwierigkeiten, die bei der Durchführung des Rela- tivitätsprinzips auf die elektrodynamischen Vorgänge zu überwinden waren, beruhen darauf, daß folgende zwei Sätze in Einklang zu bringen sind: 1. Nach der klassischen Mechanik hat die Geschwindigkeit irgend- einer Bewegung verschiedene Werte für zwei relativ zueinander be- wegte Beobachter. 2. Die Erfahrung aber lehrt, daß die Lichtgeschwindigkeit unab- hängig von dem Bewegungszustand des Beobachters immer denselben Wert c hat. Die ältere lühertheorie versuchte, den Widerspruch der beiden Sätze dadurch fortzuschaffen, daß die Lichtgeschwindigkeit in zwei Summanden geteilt wurde, die Geschwindigkeit des Lichtäthers und die Geschwindigkeit des Lichtes gegen den Ather, wobei der erste Anteil noch durch Mitführungshypothesen geeignet bestimmt werden konnte. Hierdurch gelingt aber die Aufhebung des Widerspruchs nur bezüg- lich Größen 1. Ordnung. Die Lorentzsche Theorie mußte, um den Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit streng aufrecht zu erhal- ten, für jedes bewegte System ein besonderes Längen- und Zeitmaß einführen; der Satz kommt dann also durch eine Art "physikalischer Täuschung" zustande. EINSTEIN erkannte (1905), daß es sich bei der Lorentzschen Längenkontraktion und Ortszeit nicht um einen mathematischen Kunstgriff und eine physikalische Täuschung handelt, sondern um die Grundlagen der Begriffe von Raum und Zeit überhaupt. Von den beiden Sätzen 1. und 2. ist der erste rein theoretischer, begrifflicher Art, der zweite empirisch begründet. Da nun der zweite, der Satz von der Konstanz der Lichtgeschwin- digkeit, als experimentell ganz sicher gelten muß, so bleibt nichts übrig als den ersten Satz fallen zu lassen und damit die Prinzipien der Raum- und Zeitbestitnmung, wie sie bisher immer gehandhabt worden sind. Es muß also in diesen ein Fehler stecken, zum mindesten ein Vorurteil, eine Verwechslung von Gewohnheiten mit Denk not- wendigem, jenem bekannten Hindernis jeglichen Fortschrittes. Dieses Vorurteil nun steckt in dem Begriff der Gleichzeitigkeit. M. Born. Die Relativitätstheorie Einsteins, DOI 10.1007/978-3-642-55459-9_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2003
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194 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

rückgeht. Er fand in den üblichen Vorstellungen von Raum und Zeit eine Annahme, die nicht auf Tatsachen beruhte. Er hatte Erfolg, indem er diese vorgefaßte Meinung aus der Theorie entfernte.

VI. Das spezielle Einsteinsehe Relativitätsprinzip

1. Der Begriff der Gleichzeitigkeit

Die logischen Schwierigkeiten, die bei der Durchführung des Rela­tivitätsprinzips auf die elektrodynamischen Vorgänge zu überwinden waren, beruhen darauf, daß folgende zwei Sätze in Einklang zu bringen sind:

1. Nach der klassischen Mechanik hat die Geschwindigkeit irgend­einer Bewegung verschiedene Werte für zwei relativ zueinander be­wegte Beobachter.

2. Die Erfahrung aber lehrt, daß die Lichtgeschwindigkeit unab­hängig von dem Bewegungszustand des Beobachters immer denselben Wert c hat.

Die ältere lühertheorie versuchte, den Widerspruch der beiden Sätze dadurch fortzuschaffen, daß die Lichtgeschwindigkeit in zwei Summanden geteilt wurde, die Geschwindigkeit des Lichtäthers und die Geschwindigkeit des Lichtes gegen den Ather, wobei der erste Anteil noch durch Mitführungshypothesen geeignet bestimmt werden konnte. Hierdurch gelingt aber die Aufhebung des Widerspruchs nur bezüg­lich Größen 1. Ordnung. Die Lorentzsche Theorie mußte, um den Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit streng aufrecht zu erhal­ten, für jedes bewegte System ein besonderes Längen- und Zeitmaß einführen; der Satz kommt dann also durch eine Art "physikalischer Täuschung" zustande.

EINSTEIN erkannte (1905), daß es sich bei der Lorentzschen Längenkontraktion und Ortszeit nicht um einen mathematischen Kunstgriff und eine physikalische Täuschung handelt, sondern um die Grundlagen der Begriffe von Raum und Zeit überhaupt.

Von den beiden Sätzen 1. und 2. ist der erste rein theoretischer, begrifflicher Art, der zweite empirisch begründet.

Da nun der zweite, der Satz von der Konstanz der Lichtgeschwin­digkeit, als experimentell ganz sicher gelten muß, so bleibt nichts übrig als den ersten Satz fallen zu lassen und damit die Prinzipien der Raum- und Zeitbestitnmung, wie sie bisher immer gehandhabt worden sind. Es muß also in diesen ein Fehler stecken, zum mindesten ein Vorurteil, eine Verwechslung von Gewohnheiten mit Denk not­wendigem, jenem bekannten Hindernis jeglichen Fortschrittes.

Dieses Vorurteil nun steckt in dem Begriff der Gleichzeitigkeit.

M. Born. Die Relativitätstheorie Einsteins, DOI 10.1007/978-3-642-55459-9_7,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2003

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Es gilt als selbstverständlidt, daß der Satz einen Sinn hat: Ein Er­eignis an der Stelle A, etwa auf der Erde, und ein Ereignis an der Stelle B, etwa auf der Sonne, sind gleidtzeitig. Man setzt dabei vor­aus, daß Begriffen wie Zeitrnoment, Gleichzeitigkeit, früher, später usw. eine Bedeutung an sich, apriori, gültig für das Weltganze, zu­kommt. Auf diesem Standpunkt war auch NEWTON, als er die Exi­stenz einer absoluten Zeit oder Dauer postulierte (III, 1, S. 48), die "gleidtförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegen­stand" verfließen soll.

Aber für den messenden Physiker ist jedenfalls eine solche Zeit nicht vorhanden. Für ihn hat der Satz, ein Ereignis bei A und ein Ereignis bei B seien gleichzeitig, schlechthin keinen Sinn, denn er besitzt kein Mittel, um über die Ridttigkeit oder Falschheit der Behauptung zu entscheiden.

Um nämlidt die Gleidtzeitigkeit zweier Ereignisse, die an ver­schiedenen Orten stattfinden, beurteilen zu können, muß man an jedem Ort Uhren haben, von denen man sicher ist, daß sie gleidt gehen oder "synchron" sind. Die Frage läuft also auf die heraus: Kann man ein Mittel angeben, um den gleidten Gang zweier an verschiedenen Orten befindlidter Uhren zu prüfen?

Wir denken uns die bei den Uhren im festen Abstand I bei A und B in einem Bezugssystem S ruhend. Man kann nun die Uhren auf zwei Weisen auf gleichen Gang bringen:

1. Man trägt sie an dieselbe Stelle, reguliert sie dort, bis sie richtig gehen, und bringt sie dann nadt A und B zurück.

2. Man benutzt Zeitsignale zur Uhrvergleichung. Beide Verfahren werden in der Praxis verwandt. Ein Seeschiff führt

einen gutgehenden Chronometer mit, der nach der Normaluhr im Heimathafen reguliert ist, außerdem aber bekommt es Zeitsignale mit drahtloser Telegraphie.

Daß man letztere für nötig hält, beweist das Mißtrauen, welches man gegen die "mitgenommene" Zeit hat. Die praktische Schwäche des Verfahrens der transportablen Uhr besteht darin, daß der kleinste Fehler im Gang sich dauernd vergrößert. Aber auch wenn man die Annahme macht, daß es ideale, fehlerfreie Uhren gibt (wie sie der Physiker in den Atomschwingungen bei der Lichtaussendung zu be­sitzen überzeugt ist), so ist es logisch unzulässig, die Zeitdefinition in relativ zueinander bewegten Systemen auf diese zu stützen. Denn direkt, d . h. ohne Vermittlung von Signalen, prüfbar ist doch der gleiche Gang zweier Uhren, seien sie noch so gut, nur, wenn sie relativ zu­einander ruhen. Daß sie auch bei relativer Bewegung den gleichen Gang behalten, ist (ohne Signale) nicht feststellbar. Es wäre eine reine Hypothese, die wir nach den Prinzipien physikalischer Forschung zu vermeiden suchen müssen. Dadurdt wird man dazu gedrängt, das Verfahren der Zeitsignale für die Definition der Zeit in relativ be-

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wegten Systemen zu bevorzugen. Wenn man damit zu einem wider­spruchsfreien System der Zeitmessung gelangt, wird man nachträglich zu untersuchen haben, wie eine ideale Uhr beschaffen sein muß, damit sie in beliebig bewegten Systemen immer die "richtige" Zeit anzeigt (s. VI, 5, S. 220).

Stellen wir uns einen Schleppzug auf See vor, bestehend aus einem Schleppdampfer A und einigen an gespannter Trosse geschleppten Frachtkähnen B, C, D. Es sei Windstille und so dichter Nebel, daß ein Schiff vom andern nicht sichtbar ist. Sollen nun die Uhren auf den Schiffen verglichen werden, so wird man Schallsignale benutzen. Der Schlepper A wird etwa um 12 Uhr einen Schuß lösen, und wenn der Knall auf den Kähnen hörbar ist, so werden diese ihre Uhren auf 12 Uhr stellen. Hierbei begehen sie aber offenbar einen kleinen Fehler, da ja der Schall eine gewisse Zeit braucht, um von A nach B, C ... zu gelangen. Wenn die Schallgeschwindigkeit c bekannt ist, so kann man diesen Fehler beseitigen. c ist etwa gleich 340 rn/sec. Wenn der

Kahn B um l = 170 m hinter A ist, so braucht der Schall t = ~ = 170 c 340

=~sec von A nach B, die Uhr bei B muß daher bei Eintreffen des

Schalles auf} sec nach 12 Uhr gestellt werden. Aber auch die Korrek­

tion ist nur richtig, wenn der Schleppzug still liegt. Sobald er fährt, braucht offenbar der Schall von A nach B kürzere Zeit, weil der Kahn B der Schallwelle entgegenkommt. Wenn man jetzt die genaue Korrek­tion anbringen will, so muß man die absolute Geschwindigkeit der Schiffe gegen die Luft kennen. Ist diese unbekannt, so ist auch eine absolute Zeitvergleichung mit Hilfe des Schalles unmöglich. Bei sichti­gem Wetter kann man das Licht statt des Schalles benutzen. Da dieses ungeheuer viel schneller läuft, ist der Fehler jedenfalls sehr klein, aber bei einer prinzipiellen Betrachtung kommt es auf die absolute Größe natürlich gar nicht an. Denken wir uns statt des Schleppzuges auf See einen Weltkörper im Xthermeer, statt des Schallsignals ein Lichtsignal, so bleiben 'doch alle überlegungen ungeändert bestehen. Einen schnelle­ren Boten als das Licht aber gibt es irp Weltenraum nicht. Wir sehen, daß die Theorie vom absolut ruhenden Xther zu dem Schluß führt: eine absolute Zeitvergleichung in bewegten Systemen ist nur ausführ­bar, wenn man die Bewegung gegen den Xther kennt.

Aber das Resultat aller experimentellen ForsdlUngen war, daß, eine Bewegung gegen den Xther durch keine physikalische Beobach­tung feststellbar ist. Daraus folgt, daß absolute Gleichzeitigkeit eben­falls auf keine Weise festgestellt werden kann.

Das Paradoxe dieses Satzes verschwindet, wenn man sich klar macht, daß man zur Zeitvergleichung mit Lichtsignalen den genauen Wert der Lichtgeschwindigkeit schon kennen muß, daß aber die Messung dieser

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wiederum auf die Bestimmung einer Zeitdauer herausläuft. Hier liegt offenbar ein logischer Zirkel vor.

Kann man nun auch keine absolute Gleichzeitigkeit erreichen, so läßt sich doch, wie EINSTEIN bemerkt hat, eine relative Gleichzeitig­keit für alle in relativer Ruhe zueinander befindlichen Uhren definie­ren, wobei der Wert der Signal geschwindigkeit nicht bekannt zu sein braucht.

Wir wollen dies zunächst an unserem Schleppzug zeigen. Wenn dieser ruht, so wird der gleiche Gang der auf den Schiffen A und B befindlichen Uhren (Abb. 112) folgendermaßen erreicht werden kön­nen: man bringt ein Boot C genau in die Mitte der Schleppleine zwi-

A

I. c I

Abb. 112. Zur Definition der Gleichzeitigkeit

B

schen A und B und läßt dort einen Schuß abgeben. Dann muß der Knall bei A und B gleichzeitig gehört werden.

Wenn nun der Schleppzug S fährt, so kann man offenbar genau dasselbe Verfahren anwenden. Wenn die Schiffer nicht daran denken, daß sie relativ zur Luft in Bewegung sind, so werden sie überzeugt sein, daß die Uhren in A und B gleich gehen.

Ein zweiter Schleppzug S', dessen Schiffe A', B', C' in genau den­selben Abständen voneinander liegen wie die entsprechenden des ersten S, möge seine Uhren auf dieselbe Art vergleichen. Wenn jetzt der eine Zug den anderen überholt, mag dieser nun ruhen oder selber fahren, so werden in einem Augenblick die Sdtiffe A an A', B an B' vorüber­gleiten, und die Sdtiffer können prüfen, ob ihre Uhren übereinstim­men. Natürlich werden sie finden, daß das nicht der Fall ist. Wenn etwa A und A' zufällig synchron sind, so sind es B und B' nicht.

Dadurdt wird der Fehler zutage kommen. Bei Fahrt braudtt offen­bar das Signal vom Mittelpunkt C nadt dem vorderen Schiff A längere, nadt dem hinteren Schiff B kürzere Zeit als in Ruhe, weil A vor der Schallwelle flieht, B ihr entgegenkommt; und dieser Untersdtied ist ver­sdtieden, wenn die Geschwindigkeiten der bei den Züge versdtieden sind.

Im Falle des Schalles hat nun ein System die richtige Zeit, nämlich das relativ zur Luft ruhende. Im Falle des Lichtes aber besteht keine Möglichkeit, das zu behaupten, weil absolute Bewegung gegen den Lichtäther ein Begriff ist, der nadt allen Erfahrungen keine physika­lisdte Realität hat. Das am Beispiel des Schalles erörterte Verfahren zur Uhrregulierung ist natürlidt audt mit Licht möglich. Die in A und B befindlidten Uhren werden so gestellt, daß jeder vom Mittelpunkt

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C der Strecke AB ausgehende Lichtblitz die Uhren in A und B bei gleicher Stellung ihrer Zeiger erreicht. Auf diese Weise kann jedes System S den Synchronismus seiner Uhren herstellen. Wenn sich aber zwei solche, gleichförmig und geradlinig gegeneinander bewegte Systeme begegnen und etwa die Uhren A, A' übereinstimmen, so wer­den die Uhren B, B' verschiedene Zeigerstellungen haben. Beide Systeme können mit gleichem Recht beanspruchen, die richtige Zeit zu haben, denn jedes kann behaupten, daß es ruht, weil alle Natur­gesetze in bei den gleichlauten.

Wenn aber zwei mit gleichem Recht denselben Anspruch erheben, der seinem Sinn nach nur einem zukommen kann, so muß man schlie­ßen, daß der Anspruch überhaupt sinnlos ist:

Es gibt keine absolute Gleichzeitigkeit. Wer das einmal begriffen hat, dem ist es schwer verständlich, daß

viele Jahrhunderte exakter Forschung vergehen mußten, bis diese ein­fache Tatsache erkannt wurde. Es ist die alte Geschichte vom Ei des Columbus.

Die nächste Frage ist die, ob die Methode der Uhrvergleichung, die wir eingeführt haben, zu einem widerspruchslosen relativen Zeit­begriff führt.

Das ist tatsächlich der Fall. Wir wollen, um das einzusehen, die Minkowskische Darstellung der Ereignisse oder Weltpunkte in einer x t­Ebene ·benützen, wobei wir uns auf Bewegungen in der x-Richtung beschränken und daher y und z fortlassen (Abb. 113 a).

Die auf der x-Achse ruhenden Punkte A, B, C werden in dem xt-Koordinatensystem S als 3 Parallele zur t-Achse dargestellt. Der Punkt C liege in der Mitte zwischen A und B. Von ihm soll zur Zeit t = 0 ein Lichtsignal nach bei den Richtungen ausgesandt werden.

Wir nehmen an, daß das System S "ruhe", d. h. daß die Licht­geschwindigkeit nach beiden Richtungen gleich sei. Dann werden die nach rechts und links eilenden Lichtsignale durch Gerade dargestellt, die gegen die x-Achse gleich geneigt sind und die wir "Lichtlinien" nennen. Die Neigung wollen wir gleich 45° annehmen, was offenbar darauf herausläuft, daß dieselbe Strecke, die in der Figur die Längen­einheit 1 cm aiJf der x-Achse darstellt, auf der t-Achse die sehr kleine

Zeit 1 cm bedeutet, die das Licht zum Durchlaufen von 1 cm Weg c

braucht. Zur einfachen Darstellung ist es besser an Stelle von tals Zeitmaß ·ct zu nehmen. Das heißt, wir wollen auf der Zeitachse die Zeit durch den Lichtweg messen, das ist der Weg ct, den das Licht in der Zeit t durcheilt.

Die Schnittpunkte Al, B1 der Lichtlinien mit den Weltlinien der Punkte A, B geben die Zeitpunkte des Eintreffens der beiden Licht­signale an. Man sieht, daß Al und B1 auf einer Parallelen zur x-Achse liegen, sie haben denselben t-Wert, d. h. sie sind gleichzeitig.

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Jetzt sollen die 3 Punkte A, B, C gleichförmig mit gleicher Ge­schwindigkeit bewegt sein. Ihre Weltlinien sind dann wieder parallel, aber geneigt gegen die x-Achse (Abb. 113 b). Die Lichtsignale werden durch dieselben von C ausgehenden Lichtlinien wie oben dargestellt; aber ihre Schnittpunkte Al' , Bl ' mit den Weltlinien A, B liegen jetzt nicht auf einer Parallelen zur x-Achse, sie sind also im x, ct-Koordi­natensystem nicht gleichzeitig, sondern B/ ist später als Al' . Dagegen wird ein mitbewegter Beobachter mit gleichem Recht behaupten, daß Al' , B/ gleichzeitige Ereignisse (Weltpunkte) sind. Er wird ein x' , cl'­Koordinatensystem S' gebrauchen, bei dem die Punkte Al' , Bl ' auf

a b

t 1 Al 8,

1cm c

x 1 cm A C 8

Abb. 113. a) Die Punkte A, B, C ruhen auf der x·Achse und haben Weltlinien parallel der Cl­Achse. Die Weldinien eines Lichtsignals, das zur Zeit 1=0 in C ausgesandt wird, erreichen A und B in den Weltpunkten A, und B, gleichzeitig zur Zeit I,. b) Die Punkte A, B, C bewegen sich mit der Geschwindigkeit v. Sie ruhen im System x', CI'. A,' und B,' sind die Weltpunkte, in denen das Lichtsignal von C ausgehend A und B erreicht. Die Gleichungen der x'-Achse sind :

c1 c v CI '= O; x=-.; 1= -;_. cl. Die Gleichungen der cl'-Achse sind: x'=O; x=vl= -c' . cl.

einer Parallelen zur x' -Achse liegen. Die Weltlinien der Punkte .A, B, C selbst sind natürlich der ct' -Achse parallel, weil A, B, C im System S' ruhen, ihre x' -Koordinaten für alle t' denselben Wert haben.

Daraus ergibt sich, daß das mitbewegte System S' in der x, ct-Ebene durch ein schiefwinkliges Koordinatensystem x', cl' dargestellt wird, bei dem beide Achsen gegen die ursprünglichen geneigt sind.

Wir erinnern uns nun daran, daß in der gewöhnlichen Mechanik die Inertialsysteme in der x, ct-Ebene ebenfalls durch schiefwinklige Koordinaten mit beliebig gerichteter ct-Achse dargestellt werden, wo­bei aber die x-Achse immer dieselbe bleibt (III, 7, S. 64). Wir haben schon dort darauf hingewiesen, daß dies vom mathematischen Stand­punkt ein Schönheitsfehler ist, der durch die Relativitätstheorie auf­gehoben wird. Jetzt sieht man klar, wie das durch die neue Definition

x

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der Gleichzeitigkeit zustande kommt. Zugleich gewinnt man durch den Anblick der Figur auch ohne Rechnung die überzeugung, daß diese Definition in sich widerspruchslos möglich sein muß, denn sie bedeutet ja nichts anderes als den Gebrauch schiefwinkliger Koordinaten statt rechtwinkliger.

Die Einheiten der Länge und der Zeit in dem schiefwinkligen System werden durch die Konstruktion noch nicht bestimmt. Bei dieser ist nu·r die Tatsache benützt, daß das Licht sich nach allen Richtungen in einem System S gleich schnell ausbreitet, aber noch nicht der Satz, daß die Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen denselben Wert c hat. Zieht man diesen noch heran, so gewinnt man die vollständige Kinematik EINSTEINS.

2. Die Einsteinsche Kinematik und die Lorentz-Transformationen

Wir wiederholen noch einmal die Voraussetzungen der Einstein­schen Kinematik :

1. Das Relativitätsprinzip: Es gibt unendlich viele, relativ gleich­förmig und geradlinig bewegte Bezugssysteme (Inertialsysteme), in denen alle Naturgesetze ihre einfachste (ursprünglich für den absolu­ten Raum oder ruhenden Ather abgeleitete) Gestalt annehmen.

2. Das Prinzip VOll der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: In allen Inertialsystemen hat die Lichtgeschwindigkeit, mit physikalisch gleichartigen Maßstäben und Uhren gemessen, denselben Wert.

Die Aufgabe ist, daraus die Beziehungen zwischen Längen und Zeiten in den verschiedenen Inertialsystemen abzuleiten. Dabei be­schränken wir uns wieder auf Bewegungen parallel zu einer festen Raumrichtung, der x-Richtung.

Wir wenden zwei Methoden an. Die erste geht von unseren graphi­schen Darstellungen aus, die wir am Schluß des vorigen Abschnittes ver­wendet haben. Die zweite bringt eine mehr algebraische Ableitung der Beziehungen zwischen zwei Systemen Sund S', die sich mit der Ge­schwindigkeit v gegeneinander bewegen. Wenn die erste zu umständlich ist, möge man sich mit der ebenso strengen, knappen zweiten begnügen. Rechnerische Beziehungen zwischen den Raum- und Zeitkoordinaten der beiden Systeme können wir herstellen, wenn wir die Einheiten und ihre Beziehungen in Sund S' kennen. Wir müssen also die Einheiten auf der x' - und ct' -Achse des Systems S' in Abb. 113 b finden, die den ge­wählten Einheiten des Systems S entsprechen. In Abb. 114 a soll die Strecke OE von 0 bis E einen Maßstab der Längeneinheit repräsen­tieren, der in S ruht. Die Weltlinien der Enden dieses Maßstabes sind die ct-Achse und die Parallele dazu durch E. Diese Linie schneidet die x'-Achse in e'.

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Die Einsteinsme Kinematik und die Lorentz-Transformationen 201

Die Weltlinien der Endpunkte des gleichen Maßstabes, der in S' ruht, sind die ct' -Achse und eine Parallele dazu durch E' auf der x' -Achse. Die Stred<e ol!/ stellt die Längeneinheit im S' -System dar. Die Weltlinie durch E' schneidet die x-Achse in e.

Wir nennen von nun an die Strecken OE, Oe ete. kurz E, e ete. Die Bedeutung von e' ist folgende: Ein Beobachter, der in S' ruht

und die Länge des Einheitsmaßstabes von S messen will, wird bei gleichzeitiger Beobachtung der Enden des Maßstabes 0 und e' als die Endpunkte finden. Gleichzeitige Beobachtung im S' -System ist wesent­lich, weil die S-Einheit sich relativ zu S' bewegt. Da die Einheit in S' durch E' gegeben ist, so ist das Ergebnis der Längenmessung der Anteil e'IE' der Einheit in S'. Wenn also E einer Stred<e von 1 em entspricht, findet der Beobachter in S' eine Länge von e' I E' cm. Mißt man E' im System S, so findet man e als Länge und eIE ist der entsprechende Fak­tor für die Messung der Einheit von S' von Saus.

Nach dem Relativitätsprinzip sind nun die bei den Systeme gleich­berechtigt, d. h. die Verhältnisse e'IE' und eIE müssen gleich sein:

e' e d E' E' E' = E 0 er e = e •

Aus Abb. 114 a erhalten wir noch zwei Relationen 1:

e'2 = E2 ( 1 + ::)

e2 = E2 ( 1 - ::).

Diese Beziehungen erlauben, den Punkt E' zu konstruieren.

(a)

(ß)

(y)

Die Zeiteinheit Ect ' in S' kann entsprechend aus der Zeiteinheit Ect

in S konstruiert werden. Damit können wir die Koordinaten x und t eines jeden Weltpunktes

P im System S in die Koordinaten x' und t' von P in S' transformieren.

1 Die erste Beziehung ist der Satz des Pythagoras für das Dreieck OEe' (Ef'=E'v/c), Die zweite kann mit Abb. 114b bewiesen werden: Wieder mit dem Satz des Pythagoras haben wir E'2=D2 (1 +V2/C2). Nun gilt e=D-De =D(I-v2/c2). Es folgt

E'2= e2 (1 + V 2/C 2)

(l-v2/c 2)!

Zieht man die Wurzel daraus und aus (ß):

E'= }'r=F:vqc2 '=E ,/1+ 2-/2 e 1-v!/c2 ' e v v c

und setzt beides in (a) ein, so erhält man, indem man }'1+v2/c2 kürzt, als Ergebnis (1').

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In Abb. 114c sind zwei Systeme Sund S' und ihre Längeneinheiten E und E' sowie die Strecke e, bekannt aus Abb. 114a, dargestellt. Ein Punkt P mit den Koordinaten x, ct in S hat die Koordinaten x', ct' in

~~ __________ 4-~ ________ ~ X

e E

a b

c

Abb. 114. a) Einheiten in Raum und Zeit in S (E, Ect ) und in S' (f', f'ct,) . Oe ist die Darstellung eines in S' ruhenden Maßstabes in S, während Oe' die Längeneinheit, die in S ruht, in S' darstellt. b) Zur Berechnung des Verhältnisses f'/ e. c) Lorentz-Transformation der Koordinaten

eines Weltpunktes P

S'. Koordinaten sind 10 Einheiten E in Sund E' 10 S' definiert. Das heißt

, 0 x' x = "E;"-'

wo 0 x' und E' die Strecken bedeuten, wie man sie in der Figur mißt, lind x' die Koordinate ist, und

Ox x= -- oder

E (x-vt)= O(x-vt)

E

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Die Einsteinsme Kinematik und die Lorcntz-Transformationen 203

entsprechend. Aus Abb. 114c lesen wir nun zwei Proportionen ab:

x' (5""7 E x - v t - 0 (x - v t) . E'

und

5X' E' O(x-vt) e

Setzen wir die zweite in die erste ein und benutzen (1'), so haben wir als Ergebnis

e

Die letzten beiden Gleichungen durch y' = y und z' = z ergänzt (denn y und z stehen senkrecht auf der Bewegungsrichtung und ändern sich nicht) stellen die sogenannte Lorentz-Transformation dar, die die Koordi­naten eines Weltpunktes in S' aus denen in S zu berechnen gestattet. Wir schreiben sie in der üblichen Form:

x' =

v t- - X

x-vt ~ V1-v2/c2 ' y'=y, z' = z,t' = V1-v2/c2

(70a)

Es sind genau dieselben Formeln, die LORENTZ durch verwickelte über­legungen aus MAXWELLS Gleichungen fand (siehe V, 15, S. 191).

Wir betrachten nun die algebraische Methode, um dieselben Trans­formationsformeln abzuleiten. Ein Weltpunkt P (Koordinaten x , ct in S und x', Cl' in S') liege auf einer Weltlinie x' = C', die einen Punkt beschreibt, der in der Raumkoordinate C' in S' ruht. Diese Weltlinie hat die Gleichung x-v t=C in S (Abb.114c). Die beiden Gleimungen stellen dieselbe Weltlinie dar. Dividieren wir die zwei, so haben wir (x-v t)/x' =C/C' =a, wo a wie C und C' konstant auf der Weltlinie ist. Es gilt also

a x ' =x-v t. (0)

Nach dem Relativitätsprinzip sind nun die Systeme völlig äquiva­lent. Daher können wir dieselben Argumente auch auf eine Weltlinie anwenden, die einen in S ruhenden Punkt darstellt, mit dem einzigen Unterschied, daß die relative Geschwindigkeit das umgekehrte Zeichen hat. Es muß daher auch x' + v t ' mit x proportional sein, und zwar wegen der Gleichwertigkeit der beiden Systeme mit demselben Propor­tionalitätsfaktor a:

a x =x' +v t' . (E)

@

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204 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Aus dieser Gleichung läßt sich nun mit Hilfe der vorhergehenden t' durch x und t ausdrücken; man findet

v t' =a x-x' = a x- x-v_~ = ~ {(a~-l) x+v t},

also

a a

, a2 -1 at = ··---- x+t.

v

Diese Gleichung zusammen mit der ersten erlaubt x' und t' zu be­rechnen, wenn x und t bekannt sind. Dabei ist aber noch der Propor­tionalitätsfaktor a unbestimmt; dieser muß so gewählt werden, daß das Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gewahrt wird.

Um dieses Prinzip auszunutzen, nehmen wir an, ein Lichtstrahl werde vom Ursprung der Systeme ausgesandt. Wegen der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat die Weltlinie des Lichtes die Gleichung x = c t und x' = c t' in beiden Systemen. Das setzen wir in (<5) und (I:) ein und haben

ac t' = c t - v t = (c - v) t

act =ct'+vt'=(c+v)t'.

Multiplizieren wir sie miteinander, so folgt

a2 c2 t' t= (c-v) (c+v) t' t oder

Die Transformationsformeln werden also

, , v a x =x-v t; at = - 2 x+t.

c

Das ist dasselbe Resultat, das wir auch oben mit der mehr geometrischen Methode gefunden haben.

Will man x, y, z, t durch x', y', z', t' ausdrücken, so muß man die Gleichungen auflösen. Man kann ohne Rechnung aus der Gleichwertig­keit der bei den Systeme Sund S' schließen, daß die Auflösungsformeln genau dieselbe Gestalt haben müssen, wobei nur v in - v verwandelt ist. In der Tat ergibt auch die Ausrechnung:

x= x' +v t' ------

V~-=- -~: y=y', z=z',

, v , t +-x

c2 t= --- - . (70b)

Vl- ~~ Von besonderem Interesse ist. der Grenzfall, daß die Geschwindig­

keit v der beiden Systeme ·im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit c sehr

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Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik 205

klein ist. Dann kommt man gerade auf die Galilei-Transformation

[Formel (29), S. 63] zurück. Denn wenn ~ neben 1 vernachlässigt wer­c

den kann, erhält man aus (70)

x' =x-v t, y' =y, z' =z, t' =t.

Man versteht so, daß wegen des kleinen Wertes, den':::" in allen c

praktischen Fällen hat, die Galileische Kinematik jahrhundertelang allen Bedürfnissen genügte.

3. Geometrische Darstellung der Einsteinsehen Kinematik

Ehe wir den Inhalt dieser Formeln zu deuten suchen, wollen wir die durch sie dargestellten Beziehungen zwischen zwei Inertialsyste­men nach der von MINKOWSKI eingeführten Weise in der vier­dimensionalen Welt x, y, z, t (oder x, y, z, ct) geometrisch deuten. Da­bei können wir die ungeändert bleibenden Koordinaten y, z unbeachtet lassen und uns auf die Betrachtung der x, ct-Ebene beschränken. Alle kinematischen Gesetze erscheinen dann als geometrische Tatsachen in der x, ct-Ebene. Dem Leser ist aber dringend zu empfehlen, die in geo­metrischer Form gewonnenen Beziehungen fortlaufend in die gewöhn­liche Sprache der Kinematik zurück zu übersetzen. Er soll also unter einer Weltlinie wirklich die Bewegung eines Punktes verstehen, unter dem Schnitte zweier Weltlinien die Begegnung zweier bewegter Punkte usw. Man kann sich die Vorstellung der durch die Figuren dargestell­ten Vorgänge sehr erleichtern, indem man ein Lineal zur Hand nimmt, dieses parallel zur x-Achse an der ct-Achse entlang führt und die Schnittpunkte der Linealkante mit den Weltlinien ins Auge faßt. Diese Punkte bewegen sich dann an der Kante hin und her und geben ein Bild des räumlichen Bewegungsablaufs.

Jedes Inertialsystem S wird, wie wir gesehen haben (VI, 1, S. 199), durch ein schiefwinkliges Achsenkreuz in der x, ct-Ebene dargestellt; daß eines darunter rechtwinklig ist, muß als zufälliger Umstand be­trachtet werden und spielt weiter keine Rolle.

Jeder Raumpunkt kann Ausgangspunkt einer Lichtwelle sein, die sich als Kugel gleichförmig nach allen Seiten ausbreitet. Längs der hier allein betrachteten x-Richtung sind von dieser Kugelwelle nur zwei Lichtsignale vorhanden, von denen das eine nach links, das andere nach rechts läuft. Diese werden also in der x, ct-Ebene durch zwei sich kreuzende Gerade dargestellt, die natürlich von der Wahl des Bezugssystems völlig unabhängig sind, da sie wirkliche Ereignisse, Weltpunkte, miteinander verknüpfen, nämlich die nacheinander von dem Lichtsignal getroffenen RaumsteIlen.

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206 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Wir zeichnen diese Lichtlinien für einen Weltpunkt, der zugleich der Nullpunkt aller betrachteten x, ct-Koordinatensysteme sein soll, und zwar als zwei aufeinander senkrechte Geraden. Diese wählen wir als Achsen eines X, Y-Koordinatensystems (Abb. 115).

Damit haben wir eines der Hauptmerkmale der Einsteinschen Theorie vor Augen: Das X, Y -System ist eindeutig bestimmt und in der "Welt" fest, obwohl seine Achsen nicht räumliche Gerade sind, sondern von den Weltpunkten gebildet werden, die em vom Null-

x

y Abb. 115 . Die invarianten Linien X, Y entsprechen Lichtsignalen durch O. Die ausgezogenen Linien stellen Lichtsignale dar, die von 0 ausgehen. Die gestrichelten Linien stellen Lichtsignale

dar, die in 0 zusammenlaufen

punkt ausgehendes Lichtsignal erreicht. Dieses invariante oder "abso­lute" Koordinatensystem ist also höchst abstrakter Art. Man muß sich daran gewöhnen, daß solche Abstraktionen in der modernen Theorie die konkrete Athervorstellung ersetzen. Ihre Stärke ist, daß sie nichts enthalten, was über die zur Deutung der Erfahrungen nötigen Begriffe hinausgeht.

Mit diesem absoluten Bezugssystem X, Y müssen nun die Eichkurven fest verbunden werden, die auf den Achsen eines beliebigen Inertial­systems x, Cl die Einheiten der Länge und Zeit abschneiden. Diese Eich­kurven müssen durch ein invariantes Gesetz dargestellt sein, und es handelt sich darum, ein solches zu finden.

Die Lichtlinien selbst sind invariant. Die X-Achse (Y = 0) wird in einem Bezugssystem S durch die Formel x = c t dargestellt, in einem anderen Bezugssystem S' durch die Formel x' = c t', denn diese drücken

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Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik 207

aus daß die Lichtgeschwindigkeit in beiden Systemen denselben Wert hat. Wir wollen nun die Differenz x' -c t', die für die Punkte der Y-Achse gleich Null ist, mit der Lorentz-Transformation (70) auf die Koordinaten x, ct umrechnen. Dann folgt

x'-ct'= ~ {(x-vt)-C(t-~2X)}

= ~ {x (1+ ~) -ct(l+ ~)} =!+ß(x_ct).

a

Wir haben hier wieder wie üblich

~ = ß. (71) c

Man sieht, daß, wenn x - c t = 0 ist, auch x' - c t' = 0 wird. Für die Y -Am se (X = 0) ist x = - c t und x' = - c t' . Mamen wir

die entspremende Umremnung von x' + c t' in x, ct, so haben wir oben nur c in - c, also aum ß in - ß zu verwandeln (während a = VI - ß2 unverändert bleibt) und erhalten:

, ,I-ß( ) x + c t = --- x + c t . a

Aus diesen beiden Formeln aber liest man leimt eine invariante Bil­dung ab. Es ist nämlich (1 +ß) (I-ß)= l-ß2=a2, daher wird, wenn man die bei den Gleimungen miteinander multipliziert, der Faktor den Wert 1 bekommen und man findet

(x' -c t')(x' +c t') = (x-c t) (x+c t) oder

x' 2 _ c2 t' 2 = x 2 _ c2 t2 ;

d. h. der Ausdruck (72)

ist eine Invariante. Wegen ihres fundamentalen Charakters nennen wir sie die Grundinvariante. Wir sehen, daß F die Dimension [/2 ] hat.

Sie dient uns zunächst zur Bestimmung der Längen- und Zeiteinheit in einem beliebigen Bezugssystem S. Diese Einheiten werden in den ver­schiedenen Systemen S durch Maßstäbe und Uhren eingeführt, die alle dieselbe physikalische Größe und Konstruktion haben. Obwohl die Ein­heiten die Dimensionen Länge und Zeit und die Grundinvariante die Dimension einer Fläche haben, sm reiben wir in diesem und in einigen folgenden Abschnitten nicht ausdrücklich bei Zahlenangaben die Maß­einheiten dazu. F = 1 bedeutet also z. B. F = 1 cm2, wenn als Längen­einheit das cm gewählt wird.

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208 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Wir fragen also nach allen Weltpunkten, für die F den Wert + 1 oder -1 hat.

Offenbar ist F = 1 für den Weltpunkt x = 1, t = O. Das ist aber der Endpunkt eines vom Nullpunkt des Bezugssystems Saufgetragenen Ein­heitsmaßstabes im Augenblick t = O. Da das für alle Bezugssysteme S in gleicher Weise gilt, so erkennen wir, daß die Weltpunkte, für die F = 1 ist, die in einem beliebigen Bezugssystem S ruhende Längeneinheit defi­nieren, wie wir sogleich näher ausführen werden.

Ebenso ist F = - 1 für den Weltpunkt x = 0, C t = 1. Dieser Welt­punkt hängt also in entsprechender Weise mit der Zeiteinheit der im System S ruhenden Uhr zusammen.

Man kann nun die Punkte F = + 1 oder F = -1 sehr leimt geome­trisch konstruieren, indem man von dem invarianten Koordinaten­system X Y ausgeht. Die X-Amse wird von den Punkten gebildet, für die Y = 0 ist; andererseits sind dieselben Weltpunkte in einem beliebigen Inertialsystem S dadurch gekennzeichnet, daß x = c t ist. Daher muß Y mit x - c t proportional sein. Indem wir die Einheit von Y geeignet wählen, können wir

Y=x-ct

setzen. Ganz ebenso findet man durch Betrachtung der Y-Amse, daß man

setzen kann. Es ist dann

X Y = (x - c t) (x + c t) = x2 - c2 t2 = F. (73)

F = X Y bedeutet offenbar den Inhalt eines Rechtecks mit den Seiten X und Y. Will man einen Weltpunkt finden, für den F = X Y = 1 ist, so hat man nur darauf zu achten, daß das aus den Koordinaten X, Y gebildete Rechteck den Flächeninhalt 1 hat. Alle diese Rechtecke lassen sich übersehen. Unter ihnen ist das Quadrat mit der Seite 1; die übrigen sind um so höher, je schmäler sie sind, und um so niedriger, je

breiter sie sind, entsprechend der Bedingung Y = ~ (Abb. 116). Die

Punkte X, Y bilden offenbar eine Kurve, die sich der X-und der Y-Achse immer mehr und mehr nähert. Man nennt diese Kurve eine gleichseitige Hyperbel. Wenn X und Y beide negativ sind, so ist X· Y positiv; daher liefert die Konstruktion einen zweiten, zum ersten spiegel­bildlichen Hyperbelast im gegenüberliegenden Quadranten.

Für F = - 1 gilt dieselbe Konstruktion in den bei den übrigen Quadranten, wo die Koordinaten X und Y verschiedenes Vorzeichen haben.

Die vier Hyperbeln bilden nun die gesuchten Eichkurven, durch die die Einheiten für Längen und Zeiten für alle Bezugssysteme x, ct fest­gelegt werden.

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Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik 209

Die x-Achse treffe die Hyperbeläste F = + 1 in den Punkten P und P'; die t-Achse die Hyperbeläste F = -1 in Q und Q' (Abb. 117).

Wir ziehen durch P eine Parallele zur ct-Achse und behaupten, daß diese den rechten Eichkurvenast F = + 1 nicht noch in einem zweiten Punkt schneidet, sondern gerade in P berührt. Mit andern Worten, wir sagen, daß kein einziger Punkt dieses Eichkurvenastes links von der

y Abb. 116. Eichkurven F= 1 und F=-1

Geraden liegt, sondern daß der ganze Ast rechts von ihr verläuft, alle seine Punkte also x-Koordinaten haben, die größer sind als die Strecke OP.

Das ist in der Tat der Fall. Denn für jeden Punkt der Eichkurve F = x 2 - c2 t2 = 1 ist x 2 = 1 + c2 t2 ; also ist für den Punkt P der Eich­kurve, der zugleich auf der x-Achse t = 0 liegt, x 2 = 1, für jeden andern Eichkurvenpunkt aber ist x 2 um den positiven Betrag c2 t 2 größer als 1. Mithin ist 0 P = 1 und für jeden Punkt des rechten Eichkurvenastes ist x größer als 1.

Ganz ebenso folgt, daß die durch P' gezogene Parallele zur c t-Achse den linken Hyperbelast F = 1 in P' berührt, und daß die durch Q und Q' zur x-Achse gezogenen Parallelen die Hyperbeläste F = - 1 in Q und Q' berühren. Dabei wird offenbar die Strecke OQ = 1. Dtinn der, Punkt Q liegt auf der Eichkurve F = x 2 - c2 t2 = -1 und auf der ct-Achse x = 0, also ist für ihn c2 t2 = 1, ct = 1.

Die bei den Parallelen zur ct-Achse durch P und P' treffen die Licht­linien X, Y in den Punkten Rund R'. Durch dieselben Punkte gehen aber auch die Parallelen zur x-Achse durch Q und Q'. Denn es gilt z. B. für den PunktR x=ct, weil er auf der X-Achse liegt, und x=1, weil

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210 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

er auf der Parallelen zur ct-Achse durch P liegt. Daraus folgt c t= 1, d. h. er liegt auf der Parallelen zur x-Achse durch Q.

Nun sieht man, daß diese Konstruktion der x-Achse mit der vorher (S. 199) gegebenen der gleichzeitigen Weltpunkte übereinstimmt. Denn die ct-Achse OQ und die beiden Parallelen PR und P' R' sind die Weltlinien dreier Punkte, deren einer 0 in der Mitte der beiden andern P, P' liegt. Läßt man nun von 0 ein Lichtsignal nach beiden Seiten laufe!}, so wird dieses durch die Lichtlinien X, Y dargestellt, es trifft also die beiden äußeren Weltlinien in Rund R'. Folglich sind diese bei­den Weltpunkte gleichzeitig, ihre Verbindungslinie der x-Achse parallel, genau, wie es unsere neue Konstruktion ergeben hat.

x

Abb. 117. Konstruktion, die x-Achse zu finden, wenn die cI-Achse gegeben ist, und umgekehrt

Wir fassen nun das Resultat dieser überlegung kurz zusammen: Die Achsen x und ct eines Bezugssystems S liegen so zueinander, daß

jede von ihnen derjenigen Geraden parallel ist, die die Eichkurve im Durchstoßungspunkt mit der andern Achse berührt.

Die Längeneinheit wird durch die Strecke 0 P dargestellt; die Zeit­einheit wird durch die Strecke OQ bestimmt, die allerdings ebenfalls die Längeneinheit darstellt, weil wir die ct-Skala eingeführt haben.

Jede gerade Weltlinie durch den Ursprung, die die Eichkurvenäste F = 1 trifft, kann als x-Achse genommen werden; dann ist die ct-Achse als Parallele zu der in P berührenden Geraden festgelegt. Ebenso kann auch die ct-Achse als eine beliebige, die Eichkurvenäste F = -1 tref­fende Weltlinie gewählt werden; die zugehörige x-Achse ist durch die analoge Konstruktion eindeutig bestimmt.

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Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik 211

Diese Regeln treten an die Stelle der Sätze der klassischen Kinematik. Dort war die x-Achse für alle Inertialsysteme dieselbe, die Längen­einheit auf ihr fest gegeben und die Zeiteinheit gleich dem Abschnitt auf der im allgemeinen schiefen ct-Achse, den eine bestimmte, zur x-Achse parallele Gerade auf ihr abschneidet (s. S. 64, Abb. 41).

Wie kommt es nun, daß diese anscheinend so verschiedenen Kon­struktionen tatsächlich kaum unterscheidbar sind?

Das liegt an dem ungeheuer großen Wert der Lichtgeschwindigkeit c verglichen mit den üblichen Geschwindigkeiten von Körpern auf der Erde. In unseren Abbildungen entspricht die Einheit von beispielsweise

1 cm auf der ct-Achse der winzigen Zeit!5=?l: = ~ .10-10 sec. Will man c 3

nämlidl in der Figur 1 sec und 1 em durch Strecken derselben Länge

Abb. 118. Eichkurven in einem xt-Koordinatensysrem, wobei angenommen wurde , c betrage 10 eml,ee. Die Einheiten von t (1 sec) und x (1 em) werden durch gleidle Strecken dargestellt

darstellen, so muß man offenbar die Zeichnung in der t-Richtung zu­sammendrücken, so daß sich alle der t-Achse parallelen Strecken im Ver-

hältnis 1 .~~: c zusammendrängen. Wäre c = 10 ern/sec, so würde sich sec

ein Bild ergeben, wie es die Abb. 118 darstellt; die beiden Lichtlinien würden einen ganz spitzen Winkel bilden, der den Spielraum der x-Achsen darstellt. Dafür würden der Winkel raum der t-Achsen sehr groß und die Eichkurve von t sehr flach . Daher würden für Systeme, deren Relativgeschwindigkeit sehr klein verglichen mit c ist, die Zeit­einheiten nicht merklich voneinander abweichen. Je größer c ist, um so mehr würde die quantitative Verschiedenheit der Veränderlichkeit der x- und t-Ridltung hervortreten. Für den wirklichen Wert von c, näm­lich c = 3.1010 ern/sec, könnte man die Zeichnung auf dem Papier über­haupt nidlt mehr ausführen: die beiden Lichtlinien würden praktisch

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212 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

zusammenfallen, die x-Richtung, die immer zwischen ihnen liegt, also konstant sein. Das ist gerade die Annahme der gewöhnlichen Kinematik. Wir erhalten Abb. 41, Seite 64. Man sieht also, daß diese ein Spezialfall oder besser ein Grenzfall der Einsteinschen Kinematik ist, nämlich der Grenzfall unendlich großer . Lichtgeschwindigkeit.

4. Bewegte Maßstäbe und Uhren

Wir wollen jetzt die einfachsten kinematischen Fragen beantwor­ten, die die Beurteilung der Länge ein und desselben Maßstabes und ein und derselben Zeitdauer von verschiedenen Bezugssystemen aus be­treffen.

Ein Einheitsmaßstab werde vom Nullpunkt des Systems Saus längs der x-Achse hingelegt; wir fragen nach seiner Länge im System S'. Daß diese nicht ebenfalls die Einheitslänge sein wird, ist ohne weite­res klar; denn die mit S' mitbewegten Beobachter werden natürlich die Lagen der Endpunkte des Stabes gleichzeitig messen, d. h. gleichzeitig im Bezugssystem S'. Das ist aber nicht gleichzeitig im Bezugssystem S. Wenn also auch die Lage des einen Stabendes in Sund S' gleichzeitig abgelesen wird, so wird die des anderen Stabendes bezüglich der S-Zeit von den Beobachtern der Systeme Sund S' nicht gleichzeitig abgelesen; in der Zwischenzeit hat aber das System S' sich fortbewegt, die Ablesung der S' -Leute betrifft also eine verschobene Lage des zweiten Stabendes.

Diese Sache erscheint auf den ersten Blick hoffnungslos verwickelt. Es gibt Gegner des Relativitätsprinzips, simple Geister, die nach An­hören dieser Schwierigkeit, eine Stablänge festzustellen, empört aus­rufen: "Ja, mit gefälschten Uhren kann man natürlich alles ableiten; hier sieht man, zu welchen Absurditäten der blinde Glaube an die Zauberkraft mathematischer Formeln führt", worauf sie die Rela­tivitätstheorie in Bausch und Bogen verdammen. Die Leser unserer Dar­stellung werden hoffentlich begriffen haben, daß die Formeln keines­wegs das Wesentliche sind, sondern daß es sich um rein begriffliche Zusammenhänge handelt, die man auch ohne Mathematik recht gut verstehen kann; ja, man könnte im Grunde nicht nur auf die Formeln, sondern sogar auf die geometrischen Figuren verzichten und alles in den Worten der gewöhnlichen Sprache vortragen, nur würde das Buch dann so weitschweifig und unübersichtlich werden, daß kein Ver­leger es drucken, kein Leser es studieren würde.

Wir benuqen nun zunächst unsere Figur in der x, ct-Ebene, um die Frage nach der Längenbestimmung des Stabes in den bei den Systemen Sund S' zu lösen (Abb. 119).

Der Stab soll im System S (x, ct) ruhen; daher ist die Weltlinie seines Anfangspunktes die ct-Achse, die seines Endpunktes die dazu parallele Gerade im Abstand 1; diese berührt die Eichkurve im Punkt

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Bewegte Maßstäbe und Uhren 213

P. Der ganze Stab wird also für alle Zeiten durch den Streifen zwi­schen diesen bei den Geraden dargestellt.

Nun soll seine Länge im System S' (x', er') bestimmt werden, wel­ches gegen S bewegt ist; seine ct' -Achse ist also gegen die ct-Achse geneigt. Wir finden die zugehörige x' -Achse, indem wir im Durchstoß­punkt Q' der er' -Achse mit der Eichkurve die Tangente und zu dieser durch 0 die Parallele Ü-P' ziehen. Die Strecke OP' ist die Längeneinheit auf der x' -Achse. Die Länge des im System S ruhenden Einh,eitsstabes

x

Abb. 119. Lorentz-Kontraktion

gemessen im System S' aber wird bestimmt durch die Strecke OR', die der den Stab darstellende Parallel streifen aus der x' -Achse ausschnei­det; diese ist offenbar kürzer als Opi, also ist OR' kleiner als 1: Der Stab erscheint im bewegten System S' verkürzt.

Das ist gen au die von FITz-GERALD und LORENTZ zur Erklärung des Michelsonschen Versuches ersonnene Kontraktion, die hier als na­türliche Folge der Einsteinschen Kinematik erscheint.

Wenn umgekehrt ein im System S' ruhender Maßstab vom System S gemessen wird, erscheint er natürlich ebenfalls verkürzt, nicht etwa verlängert; denn ein solcher Stab wird durch den Streifen dargestellt, der durch die er' -Achse und die zu ihr parallele Weltlinie durch den Punkt P' begrenzt ist, die letztere trifft aber die Einheitsstrecke OP des Systems S in einem inneren Punkt R, so daß ORkleiner als 1 ist.

Die Kontraktion ist also durchaus wechselseitig, wie es das Relativi­tätsprinzip verlangt.

Die Größe der Kontraktion finden wir am besten mit Hilfe der Lorentz-Transformation (70).

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214 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

10 sei die Länge eines Stabes in dem Bezugssystem S', in dem er ruht; inan nennt 10 auch Ruhlänge oder Eigenlänge des Stabes. Die beiden Enden des Stabes mögen die Punkte Xl' und x 2' sein, also x 2' - Xl' = 10 .

Wenn der Maßstab in S beobachtet wird, haben wir nach der ersten Formel (70a) .

wo Xl' t l und x2 , t 2 die Koordinaten von x/ und x2' in S sind. Nun soll die Längenmessung in S erfolgen, d. h. wir müssen die Koordinaten Xl und X 2 gleichzeitig in S ablesen: wir setzen also t l = t 2 • Subtrahieren wir die beiden Gleichungen, so erhalten wir

(74)

schreiben. Dies besagt, daß die Stablänge im System S im Verh;iltnis VI -7f2: 1

verkürzt erscheint, genau in übereinstimmung mit der Kontraktions­hypothese von FITz-GERALD und LORENTZ (V, 15, S. 189).

Entsprechende überlegungen gelten für die Bestimmung einer Zeit­dauer in zwei verschiedenen Systemen Sund S'.

Wir denken uns in allen Raumpunkten des Systems S gleichgehende Uhren angebracht. Diese haben gleichzeitig bezüglich S eine bestimmte Zeigerstellung ; die Stellung ct1 = 0 wird durch die Weltpunkte der x-Achse, die Stellung c t2 = 1 durch die Weltpunkte der zur x-Achse parallelen, durch den Punkt Q gehenden Geraden dargestellt (Abb. 120).

Im Nullpunkt des Systems S' sei eine Uhr angebracht, die für t = 0 auch t' = 0 zeigt. Wir fragen nun, welche Stellung die Zeiger der Uhr im System S haben, wenn die an derselben Stelle befindliche Uhr des Systems.S' gerade c t2' = 1 zeigt. Der gesuchte Wert von c t2 ist offenbar der Schnittpunkt Q' der cl' -Achse mit der Eichkurve F = -1. Der Punkt R, in dem die ct-Achse die Parallele zur x-Achse durch Q' schnei­det, ist gleichzeitig mit Q' in S; also wird c t 2 durch 0 R dargestellt. Die Abbildung zeigt, daß Ö R > bQ; mithin ist c t2 größer als c t 1 = 1. Das bedeutet, ein Zeitintervall im System S' erscheint verlängert, wenn es im System S gemessen wird.

Umgekehrt ers.cheint die Zeiteinheit <TQ in S verlängert, wenn sie in S' gemessen wird; denfi R' und Q sind gleichzeitig in Sund ÖR'>OQ'.

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Bewegte Maßstäbe und Uhren 215

Um den Betrag der Verlängerung festzustellen, betrachten wir eine Zeitspanne To , die zur Zeit t 1' beginnt und in t 2' endet und durch eine Uhr, die im System S' ruht, angezeigt wird. Nach der zweiten For­mel (70a) haben wir dann

Abb . 120. Zeitdilatation

Wir messen die ganze Zeit To am Ort x/ =x2' der Uhr in S'. Direkt oder mit der ersten Formel (70a) erhalten wir für die Koordinaten dieser Uhr in S (x2 - Xl) = v (t2 - t 1), weil sie die Geschwindigkeit v in S hat. Nun subtrahieren wir t 1' von t2':

v v2 t2 -t1 - -- (X2 -X1) t2 -t1 - - -. - (t2 -t1) V---

"c2 Cl v 2

t2 - t 1 = --11=- ;;-- = ---lI-=-V-;-- = (t2 - t 1) 1 - -~i . 1- - 1- --

c2 c2

Die Zeitspanne t2 - t 1 = T in S ist daher mit To in S' verknüpft durch

T = ---Zo-.::c . (75) ,/ 1- ~~ V c-

Die Zeitdehnung ist also reziprok zur Kontraktion der Längen.

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216 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Natürlich erscheint auch umgekehrt die Zeiteinheit einer im System S ruhenden Uhr im System S' gedehnt.

Man kann auch sagen, daß von irgend einem System aus beurteilt, die Uhren jedes dagegen bewegten Systems nachzugehen scheinen. Die zeitlichen Abläufe in dem relativ bewegten System sind langsamer, alle Vorgänge in diesem System bleiben hinter den entsprechenden des als ruhend betrachteten Systems zurück. Wir kommen nachher auf die hieraus entspringenden, häufig als paradox bezeichneten Umstände zurück.

Man nennt die Zeitangabe einer Uhr in dem Bezugssystem, in dem sie ruht, die Eigenzeit des Systems. Diese ist identisch mit der "Orts­zeit" von LORENTz. Der Fortschritt der Einsteinschen Theorie be­trifft nicht die formalen Gesetze, als vielmehr ihre prinzipielle Auf­fassung. Bei LORENTZ erschien die Ortszeit als mathematische Hilfs­größe im Gegensatz zu der wahren, absoluten Zeit. EINST EIN stellte fest, daß es kein Mittel gibt, diese absolute Zeit aus den unendlich vielen, gleichberechtigten Ortszeiten der verschieden bewegten Bezugs­systeme herauszufinden. Das bedeutet aber, daß die absolute Zeit keine physikalische Realität hat. Zeitangaben haben nur Sinn relativ zu be­stimmten Bezugssystemen. Damit ist die Relativierung des Zeitbegriffes durchgeführt.

5. Schein und Wirklichkeit

Nachdem wir die Gesetze der Einsteinschen Kinematik in der dop­pelten Gestalt von Figuren und Formeln kennen gelernt haben, müssen wir sie vom Standpunkt der Erkenntnistheorie kurz beleuchten.

Man könnte nämlich zu der Meinung gelangen, daß es sich in der Einsteinschen Theorie gar nicht um neue Erkenntnisse über die Dinge der physikalischen Welt handle, sondern nur um Definitionen kon­ventioneller Art, die zwar den Forderungen der Empirie angepaßt sind, aber ebensogut durch andere Bestimmungen ersetzt werden könnten. Dieser Gedanke liegt nahe, wenn wir an den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, das Beispiel des Schleppzuges, denken, wobei das Kon­ventionelle, Willkürliche der Einsteinschen Definition der Gleichzeitig­keit ins Auge springt. Tatsächlich ließe sich die ganze Einsteinsche Kinematik für Schiffe, die sich durch windstille Luft bewegen, voll­kommen durchführen, wenn man Schallsignale zur Uhrregulierung be.., nützt; die Größe c würde dann in allen Formeln die Schallgeschwindig­keit bedeuten. Jedes fahrende Schiff würde je nach seiner Geschwindig­keit seine eigenen Einheiten für Längen und Zeiten haben und zwischen den Maßsystemen verschiedener Schiffe würden die Lorentz-Trans­formationen gelten; man hätte eine widerspruchslose Einsteinsche Welt im Modell.

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Schein und Wirklichkeit 217

Aber diese Widerspruchslosigkeit besteht nur so lange, als wir zu­lassen, daß die Einheiten für Längen und Zeiten durch keine andere Forderung eingeschränkt sein sollen, als daß die bei den Prinzipien der Relativität und der Konstanz der Schall- bzw. Lichtgeschwindigkeit gelten. Ist das die Meinung der Einsteinschen Theorie?

Sicherlich nicht. Vielmehr wird selbstverständlich vorausgesetzt, daß ein Stab, der in zwei Bezugssystemen Sund S' relativ zu diesen unter gen au dieselben physikalischen Bedingungen gebracht, etwa der Einwirkung aller Kräfte möglichst entzogen wird, beidemal dieselbe Länge vorstellt. Ein ruhender, fester Maßstab im System S von der Länge 1 cm soll natürlich auch im System S' die Länge 1 cm haben, wenn er dort ruht und wenn Vorsorge getroffen ist, daß die übrigen physikalischen Verhältnisse (Schwerkraft, Lagerung, Temperatur, elek­trische und magnetische Felder usw.) in S' möglichst dieselben sind wie in S. Genau das entsprechende wird man für die Uhren verlangen.

Man könnte diese stillschweigend gemachte Voraussetzung der Einsteinschen Theorie das "Prinzip von der physikalischen Identität der Maßeinheiten" nennen.

Sobald man sich dieses Prinzips bewußt ist, sieht man, daß mit ihm die übertragung der Einsteinschen Kinematik auf den Fall der Schiffe und der Uhrenvergleichung mit Schallsignalen im Widerspruch steht. Denn die nach EINSTEINS Vorschrift mit Hilfe der Schallgeschwindig­keit bestimmten Längen- und Zeiteinheiten werden natürlich keines­wegs gleich den mit festen Maßstäben und gewöhnlichen Uhren ge­messenen Längen- und Zeiteinheiten sein; die ersten sind nicht nur auf jedem fahrenden Schiff andere, je nach dessen Geschwindigkeit, son­dern es ist außerdem die Längeneinheit querschiffs von der längsschiffs verschieden. Die Einsteinsche Kinematik wäre also zwar eine mögliche Definition, aber in diesem Falle nicht einmal eine nützliche; die gewöhn­lichen Maßstäbe und Uhren wären ihr zweifellos überlegen.

Aus demselben Grund ist es auch nur schwer möglich, die Einstein­sche Kinematik durch Modelle zu veranschaulichen. Diese geben wohl die Beziehungen zwischen Längen und Zeiten in verschiedenen Systemen richtig wieder, stehen aber mit dem Prinzip der Identität der Maßein­heiten im Widerspruch. Die Längenskala muß eben in zwei relativ zu­einander bewegten Systemen Sund S' des Modells verschieden ge­wählt werden.

Ganz anders soll es nun nach EINSTEIN in der wirklichen Welt sein; dort soll die neue Kinematik gerade gelten, wenn man denselbe'f Stab, dieselbe Uhr erst im System S, dann im System S' zur Fest­legung der Längen und Zeiten benutzt. Damit aber erhebt sich die Ein­steinsche Theorie über den Standpunkt einer bloßen Konvention zur Behauptung bestimmter Eigenschaften der wirklichen Körper; da­durch erst gewinnt sie die fundamentale Bedeutung für die ganze Naturauffassung.

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218 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Sehr klar tritt dieser wichtige Umstand hervor, wenn man die Römersche Methode zur Messung der Lichtgeschwindigkeit mit Hilfe der Jupitermonde ins Auge faßt. Das ganze SonnensYStem bewegt sich relativ zu den Fixsternen. Denken wir uns mit 'diesen ein Bezugssystem S fest verbunden, so definiert die Sonne mit ihren Planeten ein anderes System S'. Der Jupiter mit seinen Satelliten ist eine (ideal gute) Uhr mit ihren Zeigern. Diese wird im Kreis herumbewegt, so daß sie bald in die Richtung der relativen Bewegung von S' gegen S, bald in die entgegengesetzte gelangt. Man kann den Gang der Jupiter-Uhr in diesen Stellungen keineswegs durch Konvention willkürlich bestimmen, derart daß die Zeit, die das Licht zum Durchlaufen des Durchmessers der Erdbahn braucht, in allen Richtungen gleich ist; sondern das ist ganz von selbst so, dank der Einrichtung der Jupiter-Uhr. Diese zeigt eben die Eigenzeit des Sonnensystems S' an, nicht irgendeine absolute Zeit oder die fremde Zeit des Fixsternsystems S; mit anderen Worten, die Umlaufszeit der Jupitermonde ist relativ zum Sonnensystem kon­stant (wobei von der Geschwindigkeit des Jupiter selbst relativ zum Sonnensystem abgesehen wird).

Nun behaupten manche, daß diese Anschauung einen Verstoß gegen das Kausalgesetz bedeute. Wenn nämlich ein und derselbe Maß­stab vom System S aus beurteilt eine verschiedene Länge hat, je nach­dem er in S ruht oder sich relativ zu S bewegt, so muß, sagen diese, eine Ursache für diese Veränderung vorhanden sein. Aber die Einstein­sche Theorie gibt keine Ursache an, behauptet vielmehr, daß die Kon­traktion von selbst, als Begleitumstand der Tatsache der Bewegung, einträte. Dieser Einwand ist aber nicht berechtigt; er beruht auf einer zu engen Fassung des Begriffes "Veränderung". An sich hat ja solch ein Begriff gar keinen Sinn, er bedeutet nichts Absolutes, ebensowenig wie Größen- oder Zeitangaben absolute Bedeutung haben. Man ist doch nicht geneigt, zu sagen, ein gegen ein Inertialsystem S gleichförmig und geradlinig bewegter Körper "erleidet eine Veränderung", obwohl er doch seinen Ort gegen das System S verändert. Welche "Verände­rungen" die Physik als Wirkungen zählt, für die Ursachen zu suchen sind, ist durchaus nicht apriori klar, sondern wird erst durch die empirische Forschung selbst bestimmt.

Die Auffassung der Einsteinschen Theorie über das Wesen der Kontraktion ist diese:

Ein materieller Stab ist physikalisch nicht ein räumliches Ding, sondern durchaus ein raum-zeitliches Gebilde; jeder Punkt des Stabes ist jetzt, und jetzt, und jetzt immer noch, zu jeder Zeit. Das adäquate Bild des (räumlich eindimensional) gedachten Stabes ist also nicht eine Strecke der x-Achse, sondern ein Streifen der x, ct-Ebene (Abb.121). Derselbe Stab, in verschieden bewegten Systemen Sund S' ruhend, wird durch verschiedene Streifen dargestellt. Es gibt apriori keine Regel, wie diese 2-dimensionalen Gebilde der x, ct-Ebene zu zeichnen

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Schein und Wirklichkeit 219

sind, damit sie das physikalisme Verhalten ein und desselben Stabes bei versmiedenen Geschwindigkeiten rimtig darstellen. Dazu muß erst eine Eichkurve in der x, ct-Ebene festgelegt werden. Die klassische Kinematik zeimnet diese anders wie die Einsteinsche; welche remt hat, ist apriori nicht festzustellen. In. der klassismen Theorie haben die beiden Streifen dieselbe Breite gemessen parallel zu einer festen x-Achse; in der Einsteinschen Theorie haben sie dieselbe Breite gemessen in den verschiedenen x-Richtungen der relativ bewegten Bezugss}'steme mit verschiedenen, aber bestimmten Einheiten. Die "Kontraktion" betrifft

#ct' I

Abb. 121. Weltlinien zweier Maßstäbe, die relativ zueinander bewegt sind. Jeder Maßstab wird durch Streifen von Weldinien dargestellt , die parallel zu der 1- bzw. I'-Achse der Systeme ver­laufen, in denen die Maßstäbe ruhen . Die Striche der Schraffur stellen die Maßstäbe in ihren

Ruhsystemen zu verschiedenen Zeiten dar

gar nicht den Streifen, sondern die von einer x-Achse ausgeschnittene Strecke. Aber nur der Streifen als Mannigfaltigkeit von Weltpunkten, Ereignissen, hat physikalische Realität, nicht der Querschnitt. Die Kon­traktion ist also nur eine Folge der Betrachtungsweise, keine Verände­rung einer physikalischen Realität. Also fällt sie nicht unter die Be­griffe von Ursache und Wirkung.

Durch diese Auffassung wird auch jene berüchtigte Streitfrage er­ledigt, ob die Kontraktion "wirklich" oder nur "scheinbar" ist. Wenn im mir von einer Wurst eine Scheibe absmneide, so wird diese größer oder kleiner, je nachdem im mehr oder weniger schief smneide. Es ist sinnlos, die verschiedenen Größen der Wurstscheiben als "scheinbar" zu bezeichnen und etwa die kleinste, die bei senkrechtem Schnitt ent­steht als die "wirkliche" Größe.

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220 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Genau so hat ein Stab in der Einsteinschen Theorie verschiedene Längen, je nach dem Standpunkt des Beobachters. Von diesen ist eine die größte, die Ruhlänge, aber darum ist sie nicht wirklicher als die anderen. Die Anwendung der Disjunktion von "scheinbar" und "wirk­lich" in diesem naiven Sinn ist nicht klüger, als wenn man fragt, wel­ches die wirkliche x-Koordinate eines Punktes xy sei, ohne daß man angibt, welches xy-Koordinatensystem gemeint sei.

Ganz entsprechendes gilt von der Relativität der Zeit. Eine ideale Uhr hat in dem Bezugssystem, in dem sie ruht, immer ein und den­selben Gang; sie zeigt die "Eigenzeit" des Bezugssystems an. Von einem anderen System aus beurteilt aber geht sie langsamer; ein bestimmter Abschnitt der Eigenzeit erscheint dort länger. Auch hier ist wieder die Frage sinnlos, welches die "wirkliche" Dauer eines Vorganges sei.

Bei richtiger Auffassung enthält die Einsteinsche Kinematik keiner­lei Dunkelheiten oder gar innere Widersprüche. Wohl aber stehen viele ihrer Ergebnisse im Gegensatz zu gewohnten Denkformen oder zu Lehren der klassischen Physik. Wo diese Gegensätze besonders kraß sind, werden sie häufig als unerträglich, als paradox empfunden. Wir werden im folgenden zahlreiche Schlüsse aus der Einsteinschen Theorie ziehen, die zuerst starken Widerspruch fanden, bis es gelang, sie experi­mentell zu bestätigen. Eines der verblüffendsten Beispiele ist das so­genannte "Uhrenparadoxon", welches auch in unserer Zeit noch heftig diskutiert wird, obwohl EINSTEIN selbst es vor einem halben Jahr­hundert schon befriedigend geklärt hat.

Man denke sich einen Beobachter A im Nullpunkt 0 des Inertial­systems S ruhend. Ein zweiter Beobachter B soll sich zunächst am sei ben Ort 0 in Ruhe befinden, dann mit gleichförmiger Geschwindig­keit auf gerader Linie, etwa der x-Achse, forteilen, bis er einen Punkt C erreicht. Dort soll er umkehren und wieder mit derselben Geschwin­digkeit geradlinig nach 0 zurückkehren.

Beide Beobachter haben ideale Uhren bei sich, die ihre Eigenzeit anzeigen. Die Zeitabschnitte der Beschleunigung bei der Abreise, der Umkehr und der Ankunft von B kann man im Verhältnis zu der Dauer der ganzen Reise so kurz machen wie man will, indem man die Zeitdauer der gleichförmigen Bewegungen hin und zurück hinreichend groß macht; wenn etwa der Gang der Uhren durch die Beschleunigung beeinflußt werden sollte, so wird diese Wirkung bei genügend langer Reisedauer verhältnismäßig beliebig klein bleiben, so daß man sie vernachlässigen kann. Dann muß aber die Uhr des Beobachters B nach seiner Rückkehr nach 0 gegen die Uhr von A nachgehen, denn wir wissen (VI, 4, S. 215), daß während der Perioden gleichförmiger Be­wegung von B, die für das Resultat maßgebend sind, die Eigenzeit hinter der Zeit irgend eines anderen Inertialsystems zurückbleibt. Man sieht dies besonders anschaulich an dem geometrischen Bild in der x, ct-Ebene (Abb. 122). In diesem haben wir der Bequemlichkeit hal-

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Schein und Wirklichkeit 221

ber die Achsen des x, ct-Systems aufeinander senkrecht gezeichnet. Die Weltlinie des Punktes A ist die ct-Achse; die Weltlinie des Punktes B ist die geknickte (punktiert gezeichnete) Linie OUR, deren Knickpunkt U auf der zur ct-Amse parallelen Weltlinie des Umkehrpunktes C liegt.

Durch U legen wir die Hyperbel F = x2 - c2 t2 = - c2 t2u , wo tu die Eigenzeit von B in U ist. Diese treffe die ct-Amse in Q. Dann ist offen­bar die Eigenzeitstrecke OQ für den Beobamter A gen au gleim der

R

A

ct

\ B , \

x

------------------~~~--~----------------~ x c

y

Abb. 122 . VeranschauJimung des Uhren paradoxons

Eigenzeitstrecke OU für den Beobachter B, denn Q und U liegen auf derselben Eichkurve. Die Eigenzeitdauer für A bis zum Rückkehrpunkt R ist aber, wie die Figur lehrt, mehr als doppelt so groß wie OQ, wäh­rend sie für B genau doppelt so groß ist wie ou. Daher hat die Uhr von A im Augenblick der Rückkehr einen Vorsprung vor der Uhr von B.

Die Größe des Vorsprungs berechnet sich leicht aus der Formel (75), worin T o die Eigenzeit von A, T die von B bedeutet:

T= __ T_o_, R q

1--c2

und das gilt in jedem Augenblick der Bewegung, da Hin- und Rückreise mit derselben Gesmwindigkeit erfolgen. Es gilt also insbesondere aum für den Augenblick der Rückkehr, wobei dann To die gesamte Reise-

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222 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

dauer nach der Eigenzeit von A, T die Reisedauer nach der Eigenzeit von B bedeutet. Für v ~ c schreiben wir (75) näherungsweise

T=To 1+ -- . ( 1 v 2 )

2 c2

Damit läuft die Uhr von A um den Betrag

v 2 T-To=-To

2 c2

gegen die Uhr von B vor, wenn B seine Reise beendet hat.

(76)

Das Paradoxe dieses Ergebnisses liegt darin, daß jeder innere Vor­gang im System B langsamer ablaufen muß als derselbe Vorgang im System A. Alle Atomschwingungen, ja der Lebenslauf selbst müssen sich gerade so verhalten wie die Uhren. Wenn also A und B Zwillingsbrüder sind, so muß B nach der Rückkehr "Von der Reise jünger sein als der Bruder A. In der Tat, ein wunderlicher Schluß, der aber durch keine Deutelei zu beseitigen ist. Man muß sich damit abfinden, wie man sich vor einigen Jahrhunderten mit den auf dem Kopf stehenden Antipoden abfinden mußte. Es handelt sich, wie die Formel (76) zeigt, um einen Effekt zweiter Ordnung. Um ihn nachzuweisen, braucht man sehr große Geschwindigkeiten. Bis heute sind die Geschwindigkeiten, erreichbar mit Raketen oder ähnlichem, viel zu klein. Wir werden jedoch zeigen, daß man den Effekt wirklich nachweisen kann, wenn man kleine Teilchen benutzt, die Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit c besitzen.

Dennoch wollen wir Gleichung (75) anschaulich machen, indem wir uns eine Reise zu den Sternen ausmalen. In Abb. 122 möge die ct-Achse die Weltlinie der Erde, CU diejenige des Sterns sein. Dann ist oe die Entfernung / des Sterns von der Erde (gemessen von der Erde). Der gesamte Weg 2/ für die Reise ist gleich vT. Wir schreiben die Glei­chung (75) zwischen den Zeiten in der Form

Hier ist To die Zeit des Reisenden in seinem Raumschiff und l/c = Tl ist die Entfernung des Sterns, gemessen durch die Zeit, die das Licht be­nötigt, um / zu durcheilen. Es ist wohl bekannt, daß die nächsten Fix­sterne weit entfernt sind, einige Lichtjahre, d. h. das Licht braucht einige Jahre, um von ihnen zur Erde zu gelangen.

Bei einer Reise zu einem Stern im Abstand / mit einer Rakete der Geschwindigkeit v ist also die Eigenzeit des Reisenden, die er bis zur Rückkehr braucht

cH2 To = 2 Tl' - 1 - --;; , v c-

(75 a)

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Schein und Wirklichkeit 223

während die entsprechende Zeit, die auf der Erde verfließt,

(75b)

Ist. Der nächste bekannte Fixstern ist a-Centauri am südlichen Himmel

mit einer Entfernung von 4,5 Lichtjahren. Ein bekannter Stern des nördlichen Himmels ist Sirius mit einem Abstand von 9 Lichtjahren von der Erde. Um Formel (75 a) zu erläutern, stellen wir uns eine Reise zu a-Centauri vor, wo 2 Tz = 9 Jahre ist. In Abb. 123 ist To

gegen ~- aufgetragen, und zwar für 2 Tz = 9 Jahre. Wir sehen, daß der C

Reisende eine Zeit To = 10 Jahre braucht, wenn seine Geschwindigkeit v=c'O,67 beträgt (To = 20 Jahre für v=c'O,41 etc.). Währenddessen

T 0 [Jahre) 50

40

30

20 ---

10

v

0 0.1 0.5 c

Abb. 123. Benötigte Eigenzeit T, für eine Raum­fahrt nach a-Centauri (Entfernung 4,5 Licht­

jahre) aufgetragen gegen vlc

T I [Jahre] 25

20

15

10

5

0 0.1 0.5 Abb. 124. Durchmessene Entfernung Tl in Lichtjahren, gemessen von der Erde au s, für

eine Raum fahrt von der Eigenzeitdauer T, = 10 Jahre aufgetragen gegen v lc

verstreichen auf der Erde nach (75 b) T = 13,5 Jahre bei der 10-Jahres­reise (T = 22 Jahre bei To = 20 Jahre).

In Abb. 124 ist Tz gegen _'lJ für To = 10 Jahre aufgetragen. Daraus C

können wir also die Entfernung Tl entnehmen, die mit einer Geschwin­digkeit v in einer Zeit von 10 Jahren für den Reisenden erreichbar ist. Beispielsweise kann man mit v = C· 0,9 einen Stern in 10 Lichtjahren Entfernung erreichen; oder die Minimalgeschwindigkeit, um a-Centauri in einer 10-Jahresreise zu besuchen, ist 0,67 c.

Wir merken an, daß die überraschende Tatsache, die Gleichung (75) ausdrückt, auf eine andere Weise mit Hilfe der Lorentz-Kontraktion formuliert werden kann, die der Raketenpassagier für die Entfernung I

v c

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224 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

mißt. ' Nam (74) ist dieser Abstand 1 V 1- v 2 • Die Gesmwindigkeit c2

des Sterns relativ zur Rakete ist 'v. Daher ist die Zeit, die für die Durm-

~aufung dieser Strecke benötigt wird ~o = I V 1 - ~~ / v, und das ist

gerade dasselbe wie (75 a). Wie gesagt, solme Weltraumexperimente können bis heute nicht ge­

macht werden. Aber es gibt Ersmeinungen an kosmischen Strahlen, die eine völlige Bestätigung der Zeitdehnung bedeuten und den Effekt be­stätigen, den wir im Uhren paradoxon beschrieben haben. Die Existenz kosmismer Strahlen ist seit 50 Jahren bekannt. Sie kommen aus dem Weltraum und bestehen aus sehr schnellen Teilchen, hauptsächlich Proto­nen (Kernen des Wasserstoff atoms), aber aum aus Kernen anderer Atome. Sie treffen von allen Seiten auf die Erdatmosphäre und stoßen mit Teilchen der Luft zusammen. Wenn ein kosmisches Teilchen den Kern eines Atoms der Atmosphäre (Stickstoff oder Sauerstoff) trißt, werden neue Teilchen erzeugt, die Mesonen heißen. Ihre Masse liegt zwischen der von Protonen und Elektronen. Diese primären Mesonen, :n-Mesonen genannt, sind nimt stabil und zerfallen in andere leichtere Teilchen. :n-Mesonen können auch künstlich mit den großen Beschleuni­gungsmaschinen (Zyklotrons etc.) erzeugt werden. Sie sind dann ziem­lich langsam und ihre Lebensdauer ist praktisch die gleiche, als wenn sie in Ruhe wären. Daher kennt man die Eigenlebensdauer der :n-Meso­nen To= 10-8 sec. Wenn nun die Gesmwindigkeit der kosmischen Meso­nen die Limtgeschwindigkeit wäre, könnten sie nur eine Strecke c To = 3 .1010 .10-8 cm = 300 cm durchlaufen. Aber :n-Mesonen sehr hoher Energie kann man in Meereshöhe beobachten. Wie können sie in ihrer kurzen Lebensdauer die Atmosphäre durchdringen, d. h. eine Höhe von etwa h = 30 km = 3.106 cm? Dieses widersprumsvolle Problem wird aufgeklärt, wenn wir die Zeitdehnung in Betracht ziehen: Die beobachtete Lebensdauer T auf der Erde ist viel größer als To' denn

es gilt T = To/V 1- ~: . Damit die :n-Mesonen die Erdoberfläche er­

reichen, muß ihre Lebensdauer größer als die Höhe der Atmosphäre dividiert durch ihre Geschwindigkeit sein. Die Minimalgeschwindigkeit muß daher die Bedingung

oder vlc

M 2 1- -

c2

h

M 2 1--c2

v

3.106 cm ~~--__ ~-- =104 1O- 8·3·1010 cm

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Schein und Wirklichkeit

erfüllen. Daraus kann man vlc berechnen und erhält

v=c( 1- ~ 10-8) = 0,999999995 c.

225

Geschwindigkeiten dieser außerordentlichen Größe kommen In der 'kosmischen Strahlung häufig vor.

So illustrieren die n-Mesonen das Uhrenparadoxon. Jedes Meson trägt seine eigene Uhr mit sich, die die Eigenzeit To des Zerfalls be­stimmt. Aber die von einem irdischen Beobachter gemessene Zerfalls­zeit T ist viel länger. Wie wir schon oben beschrieben haben, kann man das auch in anderer Weise ausdrücken: Das bewegte Meson mißt die Entfernungen auf der Erde kontrahiert und kann so in Abhängigkeit von seiner Geschwindigkeit beträchtlime Strecken zurücklegen.

Wenn man sich gegen dieses Ergebnis zur Wehr setzt und es als paradox bezeichnet, so meint man mit diesem Wort nichts als "un­gewohnt", "sonderbar"; darüber hilft die Zeit hinweg.

Aber es gibt auch Gegner der Relativitätstheorie, die aus dieser überlegung einen Einwand gegen die logische Folgerichtigkeit der Theorie ableiten wollen. Diese argumentieren so: Nach der Relativi­tätstheorie sind zwei gegeneinander bewegte Systeme gleichberechtigt. Man kann also auch B als ruhend auffassen. Dann vollführt A eine Reise in genau derselben Weise wie vorher B, nur in der entgegen­gesetzten Richtung. Man muß daher schließen, daß die Uhr von B bei der Rückkehr von A einen Vorsprung vor der Uhr von A hat. Aber vorher waren wir genau zu dem entgegengesetzten Ergebnis gekom­men. Da nun nicht die Uhr von A vor der Uhr von B vorgehen und zugleich die Uhr von B vor der Uhr von A vorgehen kann, so enthüllt diese überlegung einen inneren Widerspruch der Theorie -so meinen die Oberflächlichen. Der Fehler dieser überlegung liegt auf der Hand; das Relativitätsprinzip betrifft nur gleimförmig und geradlinig gegeneinander bewegte Systeme; auf beschleunigte Systeme ist es in der bisher allein entwickelten Form nicht anwendbar. Aber das System B ist beschleunigt (B muß ja umkehren, um zu A zurück­zukommen); es ist also nicht mit A gleichwertig. A ist ein Inertial­system, B ist es nicht. Später werden wir allerdings sehen, daß die all­gemeine Relativitätstheorie EINSTEINS auch gegeneinander beschleu­nigte Systeme als gleichwertig betrachtet, doch in einem Sinn, der genauer Erörterung bedarf. Wir werden von diesem allgemeinen Standpunkt noch einmal auf das "Uhrenparadoxon" zurückkommen und zeigen, daß auch da bei sorgfältiger überlegung keinerlei Schwierigkeiten vorliegen.

Die Relativierung der. Begriffe Länge und Zeitdauer erscheint vielen schwierig; doch wohl nur darum, weil sie ungewohnt ist. Die Relativierung der Begriffe "unten" und "oben" durch die Entdeckung der Kugelgestalt der Erde hat den Zeitgenossen sicherlich nicht ge-

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226 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

ringere Schwierigkeiten bereitet. Auch hier widersprach das Ergebnis der Forschung einer aus dem unmittelbaren Erlebnis geschöpften An­schauung. Ähnlich scheint EINSTEINS Relativierung der Zeit mit dem Zeiterlebnis des einzelnen nicht in übereinstimmung zu sein; denn das Gefühl des "Jetzt" erstreckt sich schrankenlos über die Welt, alles Sein eindeutig mit dem Ich verknüpfend. Daß dasselbe, was das Ich als "zugleich" empfindet, ein anderer als "nacheinander" bezeichnen soll, das läßt sich in der Tat durch das Zeiterlebnis nicht begreifen. Aber die exakte Wissenschaft hat andere Kriterien der Wahrheit; da das absolute "Zugleich" nicht feststellbar ist, muß sie diesen Begriff aus ihrem System ausmerzen.

6. Die Addition der Geschwindigkeiten Wir wollen jetzt tiefer in die Gesetze der Einsteinschen Kinematik

eindringen. Dabei beschränken wir uns zumeist auf die Betrachtung der x, ct-Ebene; die Verallgemeinerung der gewonnenen Sätze auf

x x

y

a b Abb . 125 . a) Zeitartige Entfernung OP. b) Raumartige Entfern ung 0 Q

den vierdimensionalen xyzt-Raum bringt keine wesentlichen Schwierig­keiten mit sich und soll darum nur gelegentlich gestreift werden.

Die Lichtlinien, die durch F = x 2 - c2 t 2 = 0 gekennzeichnet sind, teilen die x, ct-Ebene in vier Quadranten (Abb. 116); in jedem Qua­dranten behält offenbar F dasselbe Vorzeichen, und zwar ist F > 0 in den beiden gegenüberliegenden Quadranten, die die Hyperbeläste F = + 1 enthalten, und es ist F < 0 in den beiden gegenüberliegenden Quadranten, die die Hyperbeläste F = - 1 enthalten. Eine durch den Nullpunkt 0 gehende, gerade Weltlinie kann zur x-Achse oder zur ct-Achse gemacht werden, je nachdem sie in den Quadranten F> 0 oder F < 0 verläuft; dem entsprechend unterscheidet man die Welt­linien in raumartige und zeitartige (Abb. 125).

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Die Addition der Geschwindigkeiten 227

In irgend einem Inertialsystem trennt die x-Achse die Weltpunkte der" Vergangenheit" (t< 0) von denen der "Zukunft" (t > 0). Aber für jedes Inertialsystem ist diese Scheidung eine andere; denn für eine andere Lage der x-Achse fallen Weltpunkte, die vorher oberhalb der x-Achse, also in der "Zukunft" lagen, nun unterhalb der x-Achse, also in die Vergangenheit, und umgekehrt. Nur die durch Weltpunkte innerhalb der Quadranten F < 0 dargestellten Ereignisse siQd für jedes Inertialsystem eindeutig entweder "vergangen" oder "zukünftig". Für einen solchen Weltpunkt P (Abb. 125 a) ist c2 t2 > x2, d. h. in jedem zulässigen Bezugssystem ist der Zeitabstand der beiden Ereignisse 0 und P größer als die Zeit, die das Licht braucht, um von einem Ort zum andern zu laufen. Man kann dann immer ein solches Inertialsystem S einführen, dessen ct-Achse durch P geht, in dem P also ein am räum­lichen Nullpunkt stattfindendes Ereignis darstellt. Von einem andern Inertialsystem aus beurteilt, wird sich dieses System S geradlinig und gleichförmig so bewegen, daß sein Nullpunkt gerade mit den Ereignis­sen 0 und P koinzidiert. Dann ist offenbar für das Ereignis P im System S x=O, also F= _c2 t 2 <O.

In jedem Inertialsystem stellt die ct-Achse die Weltpunkte dar, die im räumlichen Ursprung auf der x-Achse liegen und trennt in der zwei­dimensionalen Figur die Punkte links von denen rechts vom Ursprung. Aber für ein anderes Inertialsystem mit anderer ct-Achse ist diese Schei­dung offenbar eine andere; nur für die innerhalb der Quadranten F> 0 gelegenen Weltpunkte ist es eindeutig bestimmt, ob sie "vor" oder "hinter" dem räumlichen Nullpunkt liegen. Für einen solchen Punkt Q (Abb. 125 b) ist c2 t 2 < x2 ; d. h. in jedem zulässigen Bezugssystem ist der Zeitabstand der beiden Ereignisse 0 und Q kleiner als die Laufzeit des Lichtes zwischen ihnen. Dann kann man ein geeignet bewegtes Inertial­system S einführen, dessen x -Achse durch Q geht, indem also die beiden Ereignisse 0 und Q gleichzeitig sind. In diesem System ist offenbar für das Ereignis Q t = 0, also F = x 2 > O.

Daraus geht hervor, daß die Invariante F für jeden Weltpunkt P eine meßbare Größe von anschaulicher Bedeutung ist; entweder läßt sich durch Einführung eines geeigneten Koordinatensystems P mit 0 "auf gleichen Ort transformieren", dann ist F = - c2t2, wo t der Zeit­unterschied des Ereignisses P gegen das an derselben RaumsteIle des Systems S stattfindende Ereignis 0 ist, oder P läßt sich mit 0 "auf Gleichzeitigkeit" transformieren, dann ist F = x 2 , wo x der räumliche Abstand der bei den im System S gleichzeitigen Ereignisse ist.

Die Lichtlinien F = 0 stellen in jedem Koordinatensystem Bewegun­gen mit Lichtgeschwindigkeit dar. Daher entspricht jeder zeitartigen Weltlinie eine Bewegung mit kleinerer Geschwindigkeit als C; jede Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit kann "auf Ruhe transfor­miert" werden, weil zu ihr eine zeitartige We!tlinie gehört.

Was gilt nun aber für Bewegungen mit überlichtgeschwindigkeit?

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228 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Es ist nach dem Vorangehenden wohl klar, daß die Einsteinsche Relativitätstheorie solche für physikalisch unmöglich erklären muß. Denn die neue Kinematik verliert allen Sinn, wenn es Signale gäbe, die die Gleichzeitigkeit von Uhren mit überlichtgeschwindigkeit zu kontrollieren erlaubten.

Hier scheint sich eine Schwierigkeit zu erheben. Angenommen, ein System S' hätte die Geschwindigkeit v gegen ein

anderes S; ein bewegter Körper K bewege sich relativ zu S' mit der Geschwindigkeit u'. Nach der gewöhnlichen Kinematik ist dann die relative Geschwindigkeit des Körpers K gegen S

u=v+u' .

Wenn nun sowohl v, als auch u' die Hälfte der Lichtgeschwindig­keit übertreffen, so ist u = v + u' größer als c, was nach der Relativi­tätstheorie unmöglich sein soll.

Natürlich beruht dieser Widersprum darauf, daß man in der Kine­matik des Relativitätsprinzips, wo jedes Bezugssystem eigene Längen­und Zeiteinheiten hat, Geschwindigkeiten nicht einfam addieren darf. ~n sieht das schon daraus, daß in irgend zwei gegeneinander

bewegten Bezugssystemen die Lichtgeschwindigkeit immer denselben Wert hat; gerade diese Tatsame haben wir früher zur Ableitung der Lorentz-Transformation benützt (VI, 2, S. 200 ff .).

Das Gesetz für die Zusammensetzung von Geschwindigkeiten kön­nen wir aus diesen Transformationen (70) ableiten. Wir betrachten dazu einen Körper, der sich im System S' bewegt. Er soll sich in der x', y' -Ebene bewegen und daher zwei Geschwindigkeitskomponenten ux' und u1/ haben. Er soll vom Ursprung zur Zeit t' = 0 starten. Seine Weltlinie ist daher durch die Gleichungen

x' =ux'·(

y' =uy' ·t'

(a) (ß)

gegeben. Wir können erwarten, daß dieselbe Bewegung von einem System Saus beobamtet, ebenfalls geradlinig mit den konstanten Ge­schwindigkeiten U x und U y erfolgt. Für die Weltlinie in S haben wir daher

x=ux·t (,,)

(0)

Um die Beziehung zwischen den Geschwindigkeiten in Sund S' zu erhalten, führen wir in die Gleichungen (a) und (ß) mit den Lorentz­Transformationen (70 a) die Koordinaten x, y und t ein. Aus (a) wird damit

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Die Addition der Gesdtwindigkeiten

Der Vergleich mit (y) zeigt, daß

ist. In der gleichen Weise folgt aus (ß)

und mit (77 a)

uv' (1- ~ ux )

l~_ v 2

V 1 c2

U y =

1--2 , C

V-------;2

u y = u y ,

l Ux v +-­(2

229

(77 a)

(77 b)

(77 a, b) stellen EINSTEINS Additionstheorien der Gesmwindigkeiten dar, das an die Stelle der einfamen Formeln

der alten Kinematik tritt.

Ux=Ux ' +v

Ull = ulI'

Handelt es sich insbesondere um einen in der Bewegungsrimtung des Systems S' gegen S laufenden Limtstrahl, so ist ux' = (, uy' = O. Dann liefert die Formel (77) das selbstverständliche Resultat

v+c U x = - - ,- =(; uy=O,

1+~ c

das den Satz von der Konstanz der Limtgesmwindigkeit ausdrückt. überdies aber sieht man, daß für irgendeinen longitudinal bewegten Körper U x < c bleibt, solange ux' und v positiv und < c sind. Denn wenn wir (77 a) durm c dividieren, können wir das Ergebnis umordnen zu

Ux ( 1 - u;') ( 1 - ~_) - =1-------------------. c 1 u x' v + - n-c·

Daraus können wir unsere Feststellung ablesen, weil unter den oben genannten Bedingungen der zwe~te Term remts immer kleiner als 1 ist (der Nenner ist größer als 1, die beiden Faktoren des Zählers sind

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230 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

kleiner als 1). Das entsprechende gilt erst recht für transversale, über­haupt für beliebige Bewegung.

Die Lichtgeschwindigkeit ist daher kinematisch eine unüberschreit­bare Grenze. Diese Behauptung der Einsteinschen Theorie hat viel Widerspruch gefunden. Sie schien eine unberechtigte Beschränkung für zukünftige Entdecker, die Bewegungen mit überlichtgeschwindigkeit suchen wollten.

Man kennt ja in den ß-Strahlen der radioaktiven Substanzen Elek­tronen von nahezu Lichtgeschwindigkeit. Warum sollte es nicht mög­lich sein, diese so zu beschleunigen, daß sie überlichtgeschwindigkeit erreichen?

Die Einsteinsche Theorie behauptet nun, daß das prinzipiell nicht möglich sei, weil der Trägheitswiderstand oder die Masse ein(ls Körpers um so größer ist, je mehr sich seine Geschwindigkeit der des Lichtes annähert. Wir gelangen damit zu der neuen Dynamik, die sich auf der Einsteinschen Kinematik aufbaut.

7. Einsteins Dynamik

Die Galilei-Newtonsche Mechanik ist aufs engste mit der alten Kinematik verknüpft. Das klassische Relativitätsprinzip beruht ins­besondere auf der Tatsache, daß Geschwindigkeitsänderungen, Beschleu­nigungen, gegen Galilei-Transformationen invariant sind.

Man kann nun natürlich nicht für einen Teil des Naturgeschehens die eine, für einen anderen Teil die andere Kinematik annehmen, für die Mechanik die Invarianz bei Galilei-Transformationen, für die Elektrodynamik die Invarianz bei Lorentz-Transformationen fordern.

Nun wissen wir, daß erstere ein Grenzfall der letzteren sind, durch unendlich große Werte der Konstanten c gekennzeichnet. Daher werden wir mit EINSTEIN annehmen, daß die klassische Mechanik gar nicht streng gilt, sondern einer Abänderung bedarf: die Gesetze der neuen Mechanik müssen gegen Lorentz-Transformationen invariant sein.

Um diese Gesetze zu finden, müssen wir uns entscheiden, welche fundamentalen Gesetze der klassischen Mechanik beibehalten werden sollen und welche fallen gelassen oder modifiziert werden müssen. Das Grundgeset:: der Dynamik, mit dem wir begannen (II, 9), ist der Impulssatz. Dabei war der Impuls definiert durch

p=mv.

Die Impulsänderung war m w, wenn w die Geschwindigkeitsänderung bedeutet. Es ist aber klar, daß wir diese Formel nicht einfach beibehal­ten können. Denn während in der klassischen Mechanik die Geschwin­digkeitsänderung in jedem Inertialsystem denselben Wert hat (111, 5), ist das jetzt nicht mehr der Fall wegen EINSTEINS Additionstheorem der Geschwindigkeit (77). Daher hat die Definition nur einen Sinn, wenn

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Einsteins Dynamik 231

neue Vorschriften gegeben werden, wie man den Impuls von einem System in ein anderes transformiert. Daher kann man nicht gut von dieser Definition ausgehen, um die neue Dynamik durch Verallgemeine­rung zu gewmnen.

Aber wir können sicher vom Gesetz der Erhaltung des Impulses aus­gehen [II, 9, (9)]. Es besagt, daß der Gesamtimpuls, den zwei Körper mit sich führen, erhalten bleibt, unabhängig von der Art wie diese Körper bei einem Stoß ihre Geschwindigkeiten ändern. Es enthält also nur zwei Körper, die aufeinander wirken und wechselseitig Stöße er­leiden, ohne daß noch äußere Einflüsse dazu kommen, d. h. unabhängig von dritten Körpern oder Koordinatensystemen. Daher fordern wir, daß dieses Gesetz auch in der neuen Dynamik gelten soll.

Das ist allerdings, wie wir sehen werden, unmöglich, wenn wir ein anderes Axiom der klassischen Mechanik beibehalten wollen, daß näm­lich die Masse eines Körpers eine konstante Größe für jeden Körper ist. Die Masse ein und desselben Körpers soll also eine relative Größe sein. Sie kann verschiedene Werte haben, je nach dem Bezugssystem, in dem man sie mißt, abhängig von der Geschwindigkeit, die der Körper in dem System hat. Es ist klar, daß die Masse in einem bestimmten System nur von der Größe der Geschwindigkeit abhängen kann, nicht auch von ihrer Richtung.

Um die unbekannte Abhängigkeit m (u) der Masse m eines Körpers von seiner Geschwindigkeit u abzuleiten, wählen wir ein ganz spezielles Beispiel, den unelastischen Stoß zweier sich bewegender Körper. »Un­elastisch" heißt, daß die beiden Körper nach dem Stoß zusammenhaften I. Ein Beispiel für solch einen Stoß ist das Auftreffen einer Pistolenkugel m l

auf einen Holzblock m 2 • Nach dem Stoß steckt die Kugel in dem Block und beide bewegen sich mit derselben Geschwindigkeit (Abb. 126 a).

Wir behandeln das Beispiel zunächst in NEWTONS Mechanik mit dem Gesetz der Erhaltung des Impulses. Vor dem Stoß möge u die Geschwin­digkeit von mt sein, die Geschwindigkeit von m2 sei Null. Die gemein­same Geschwindigkeit nach dem Stoß sei ü. Dann sind die Gesamt-

impulse vor dem Stoß m t u

nach dem Stoß M ü = (mt + m2 ) ü.

Nach dem Gesetz der Impulserhaltung sind beide Impulse gleich, also haben wir mt u=M ü.

Diese Gleichung ermöglicht uns die Berechnung der Geschwindigkeit u der Kugel aus der Geschwindigkeit ü nach dem Stoß. So hat man die Geschwindigkeit von Geschossen wirklich bestimmt, bevor moderne Methoden wie die Photographie bei höchsten Geschwindigkeiten ent-

I Im Gegensatz zu den völlig elastischen Stößen von S. 27, wo die stoßenden Körper keine bleibenden Verformungen erlitten und keine mechanische Energie in andere Energieformen verwandelt wurde.

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232 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

wickelt waren. Wenn nämlich m 2 ~ m 1 , ist die Geschwindigkeit ü viel kleiner als u und kann leicht gemessen werden.

Aus Gründen der Einfachheit wählen wir nun die stoßenden Körper gleim: m t =m2 =m (etwa zwei Kugeln aus Wams). Dann erhalten wir ü = u/2. Wir beachten, daß die mechanische Energie bei diesem Stoß nicht erhalten bleibt. Die kinetische Energie ist

vor dem Stoß

nach dem Stoß 2m -2 m 2 - - u = - u. 2 4

Die Differenz der beiden Energien ; u2 - ~ u2 = -T u2 wird während

des Stoßes in Wärme verwandelt. Das ist die Behandlung nach der klassischen Mechanik.

Nun betrachten wir die beiden Kugeln in relativistischer Mechanik, wo eine mögliche Abhängigkeit der Masse von der Geschwindigkeit in

M

ü

a

b cr--o

c O~ Abb. 126. a) Ein Holzblo<k (Masse m.) hängt in seiner Gleichgewichtslage al s Pendel an einem langen Seil. Eine Pistolenkugel (Masse m,) wird mit hoher Geschwindigkeit u in den Blo<k geschossen und bleibt darin ste<ken. !llo<k und Kugel zusammen erhalten dadurch eine gemeinsame Geschwindigkeit ii , die viel kleiner als " ist, wenn m, viel größer als m, ist. ii kann leicht durch Beobachtung des schwingenden Pendels gemessen werden. b) Stoß zweier gleicher Kugeln, die nach dem Stoß aneinander haften. Die linke Kugel kommt mit der Geschwindigkeit u an, die gemeinsame Geschwindigkeit nach dem Stoß ist ii. c) Derselbe Stoß wie in Abb. 126 b, aber beobachtet von einem System S' , das mit der Geschwindigkeit " der linken Kugel von Abb. 126 b bewegt ist. Darin ruht die linke Kugel, die rechte bewegt sich mit -/I und die

gemeinsame Geschwindigkeit nach dem Stoß in - ii

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Einsteins Dynamik 233

Betracht gezogen wird. Für dasselbe Experiment (Abb. 126 b) lautet das Gesetz von der Impulserhaltung jetzt

m(u)·u=M(ü)·ü. (a)

.In (a) haben wir die allgemeine Bezeichnung M(ü) für die Masse nach dem Stoß gewählt, denn es ist nicht selbstverständlich, daß M(ü) gerade 2 m(ü) ist. Wir werden bald sehen, daß in der Tat M(ü) nicht gleich 2 m(ü) ist.

Zunächst leiten wir eine Beziehung zwischen u und ü ab. Die obige Gleichung (a) gilt in einem System S, in dem die linke Kugel sich mit der Geschwindigkeit u bewegt, während die rechte ruht (Abb. 126 b).

Nun beobachten wir denselben Zusammenstoß in einem System S' , das sich relativ zu S mit der Geschwindigkeit + u bewegt. Dann ist in S' die linke Kugel in Ruhe, während sich die rechte mit - u bewegt. Das kann man leicht aus (77 a) erkennen: u wird in 0 transformiert und 0 in - u. In S' verläuft wegen der gleichen Kugeln der Stoß ganz symmetrisch zu dem in S ab (Abb. 126 c). Daher ist die gemeinsame Geschwindigkeit nach dem Stoß in S' auch - ü. Aber wir können diese Geschwindigkeit durch (77 a) mit der gemeinsamen Geschwindigkeit ü in S verknüpfen, indem wir v = + u, U x = ü und üx' = - ü setzen. Dann folgt

oder, nach u aufgelöst

-ü+u

2ü u = ----.

ii2

1 + -:; c-

(ß)

Gleichung (ß) ergibt für den klassischen Grenzfall (~ -* 0) das uns

schon bekannte Ergebnis ü = u/2.

v

g 2 U· 1 - ­

c 2

v

Abb. 127. StOß zweier Kugeln wie in Abb. 126 b, aber beobachtet von einem System, in dem alle Kugeln eine Geschwindigkeit v senkrecht zu u und'; von Abb. 126 b haben

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234 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Als nächstes leiten wir eine weitere Beziehung ab:

m(u) + m(O) = M(ü). (y)

Wir können sie das Gesetz der Erhaltung der Masse nennen. (y) kann leicht abgeleitet werden, indem wir den Geschwindigkeiten eine kleine Zusatzgeschwindigkeit v senkrecht zu u und ü überlagern und das Gesetz der Impulserhaltung auf die y-Komponente v anwenden (Abb.127). Dazu führen wir ein neues Bezugssystem S' ein, das sich mit der Geschwindig­keit - v in der y-Richtung relativ zum ursprünglichen System S bewegt. Wir können die Formeln (77 a) und (77 b) darauf anwenden mit dem einen Unterschied, daß die x- und y-Komponenten vertauscht werden müssen

1 UyV +­[2

, uy+V U y = - --.

1 Uy v +-­[2

Weil in S die Kugeln vor und nach dem Stoß in der x-Richtung fliegen, ist stets U y = 0 und die Gleichungen reduzieren sich zu

, N 2 Ux =Ux 1- - ; [2

uy'=v.

Die Geschwindigkeitskomponenten in S sind daher:

linke Kugel rechte Kugel vereinter Körper

Ux Uy

u o

Im System S' dagegen gilt :

linke Kugel

V- v 2 U 1- ­

(2

v

o o

ü o

rechte Kugel vereinter Körper

o N 2 Ü 1- -[2

v v

Nun hängen die Massen nur von der Größe der Geschwindigkeit ab, d. h. von V ~/+~~2 . Darum lautet der Erhaltungssatz des Impulses für die y-Komponente in S'

m(u') · v + m(v)· v= M(ü')·v,

wenn wir V~~2 --i-~~2 für die linke Kugel u' und für den vereinten Kör­per nach dem Stoß ü' nennen.

Dividieren wir diese Gleichung durch v, so folgt

m(u') + m(v) = M(ü'). (b)

Page 42: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Einsteins Dynamik 235

Sie gilt für jeden Wert von v, also auch für v = O. Setzen wir in (<5) v = 0, so erhalten wir sofort (1'). (15) ist die allgemeine Form des Gesetzes der Erhaltung der Masse, während (I') ein Spezialfall ist. (I') benutzen wir nun, um die Abhängigkeit der Masse von der Geschwindigkeit ab­zuleiten.

Wenn wir in (a) M(ü) nach (I') durch m(u) +m(O) ersetzen, ergibt sich

m(u) u = (m(u) + m(O»· ü oder

1t m(u)=m(O)· -_.

u-u Verwenden wir noch (ß) *, so erhalten wir endlich

( ) m(O) mU=R,2·

1--,2 (78)

Damit haben wir gefunden, wie die Masse von der Geschwindigkeit abhängt. Die Masse m (0) = mo heißt Ruhmasse des Körpers, d. h. es ist die Masse gemessen in einem System, in dem der Körper ruht. In der klassischen Mechanik wird nur dieser Grenzfall der Masse benutzt.

Für den Impuls eines Körpers, der sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, haben wir

* Die Rechnung verläuft so: Setzt man u nach (/1) ein, so ergibt sich

ü ü

u-ü = ---::-::-_-

2 Ü _ _ 2 __ -1 ü2

1+-----u

c2

ü! 1+-

c2

Andererseits ist

1--( Ü2 )2 c%

daher, wieder mit (/1)

( Ü2)2 1--c2

ü2

1+-c2

=1- ( Ü2 )2 1+-

c2

Faßt man beide Resultate zusammen, so hat man Ü 1

u-ü= Jl-~

(79)

Page 43: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

236 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

wo m die Masse bedeutet, die von der Geschwindigkeit nach (78) ab­hängt.

Nun können wir uns der Bewegungsgleichung für Kräfte zuwenden, die kontinuierlich wirken. Dazu müssen wir uns der Formulierung aus der klassischen Mechanik bedienen, die auf dem Impuls beruht, den der bewegte Körper mitführt (Il, 10, Seite 30). Es ist klar, wie sie auf die neue Mechanik übertragen werden muß, aber wir haben sie für die longitudinale und transversale Komponente getrennt zu betrachten. Sie lautet dann:

Eine Kraft K erzeugt eine Anderung des Impulses auf solche Weise, daß die Anderungsgeschwindigkeit der longitudinalen bzw. der trans­versalen Komponente des Impulses gleich der entsprechenden Kompo­nente der Kraft ist.

Die Bewegungsgleichungen können wir nun leicht aufstellen. Der Impuls p eines Körpers im Zeitpunkt t = 0 möge die Komponenten Px(O) und py(O) haben. Seine Geschwindigkeit v zur selben Zeit falle in die x-Richtung. Nun möge die Kraft K mit den Komponenten K x und Ky für eine kurze Zeit T wirken. Sie wird die Impulskomponenten in px(r) und P:;(T) ändern: In Formeln

y

px(r) - Px(O) =KxT

py(r) - py(O) = K y T.

v w.

x

Abb . 128. Die Geschwindigkeit v in x-Richtung wird durdJ kleine Geschwindigkeitskomponenten W z und w" verändert . Es resultiert die Geschwindigkeit v

Die Kraft erzeugt kleine Zusatzgeschwindigkeiten W x und W y zu den Geschwindigkeitskomponenten (Abb. 128); die resultierende Geschwin­digkeit sei iJ. Dann werden die obigen Gleichungen zu

m(v)· (v + ws) -m(v)·v . m(v)·wy

Page 44: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Einsteins Dynamik 237

Da W z und W lI klein gegen v sein sollen, vernachlässigen wir im folgen­den Quadrate dieser Größen und ihr Produkt gegen Terme, die nur linear von ihnen abhängen.

Wenn wir des öfteren die Näherungsformeln _1_ ~ I-x und . l+x

vT+X ~ 1 + ~ x für x ~ 1 von Seite 186 verwenden und die Abkürzung

2

:22 = 1 - v ., einführen, erhalten wir nach kurzer Rechnung ':. C·

m (v) = m (v) ( 1 + :2~~) und damit für die Impulskomponenten in der x-Richtung

m(V)(l+ :2zc~) (v+wx)-m(v)'O~ m(v)wxC~:2+1)= m(v;2· W .l 1-

c2

und in der y-Richtung

m('O)(l+ W.lv)wy "'-' m(v)wll • a 2 c2

In die Erhaltungssätze von oben eingesetzt also

mev) mo ._-- W.l= w z =Kz 7:

1-~: (A3 m(v)wy = Rmo Wy =KlI 7:.

'02 1- -

c2

* Zunächst gilt . - V 2~ (~) '0= JI(V+wx)2+ Wy!'" V 1+ - v - '" v 1 + -:;- =v+wx.

Damit folgt _ mo

m('O)=m(v+ws)= V . Ferner ist angenähert 1- (V+wz)2

c2

Das heißt

mev) "-' m o ~ m o (1 + v w z ) ,

(1 - vwz) - H2 a2 c2 a 22 1- -a c c2

also Formel (E).

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238 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Wenn wir die Komponenten der Beschleunigung durch

b Wy d b W x x=-un y=-i 't

einführen, erhalten wir für die Kraftkomponenten

mobx K x = 3'

(R) (80)

Der Zusammenhang zwischen Kraft und erzeugter Beschleunigung ist also ein anderer, je nachdem die Kraft in der Richtung der schon vor­handenen Bewegung oder senkrecht dazu wirkt.

In den ersten Jahren der Realitivitätstheorie pflegte man diese For­meln auf eine Gestalt zu bringen, in der sie dem Grundgesetz der klassi­schen Dynamik [II, 10 (10)] möglichst ähnlich sahen. Dazu führte man

(81)

ein, und nannte diese Größen longitudinale und transversale Masse. Dann kann man schreiben:

(82)

in formaler übereinstimmung mit dem Grundgesetz der gewöhnlichen Mechanik.

Um Verwirrung zu vermeiden benutzen wir im folgenden nur die relativistische Masse

Nichtsdestoweniger sieht man hier, wie notwendig es ist, den Massen­begriff von Anfang an ausschließlich durch den Trägheitswiderstand zu definieren; sonst wäre es nicht möglich ihn in der relativistischen Mechanik anzuwenden, denn für longitudinale und transversale Kräfte kommen verschiedene Massen in Betracht und diese sind überdies nicht charakteristische Konstanten des Körpers, sondern hängen von seiner Geschwindigkeit ab. Der relativistische Massenbegriff entfernt sich also sehr weit von dem Sprachgebrauch, wo Masse irgendwie Quantität der Materie bedeutet. Ein Maß dafür ist in gewissem Sinn die Ruhmasse m o ; aber diese ist wiederum nicht, wie in der gewöhnlichen Mechanik,

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Einsteins Dynamik 239

in einem beliebigen Bezugssystem gleich dem Verhältnis von Kraft zu Beschleunigung.

Ein Blick auf die Formel (78) für die Masse lehrt, daß die Werte der relativistischen Masse m um so größer werden, je mehr sich die Geschwindigkeit v des bewegten Körpers der Lichtgeschwindigkeit nähert. Für v = c wird die Masse unendlich groß.

Daraus folgt, daß es unmöglich ist, mit endlichen Kräften einen Körper auf überlichtgeschwindigkeit zu bringen. Sein Trägheits­widerstand wächst ins Unendliche an und verhindert die Erreichung der Lichtgeschwindigkeit.

Hier sieht man, wie die Einsteinsche Theorie sich harmonisch zu einem einheitlichen Ganzen abrundet; die fast paradox erscheinende Annahme einer unüberschreitbaren Grenzgeschwindigkeit wird durch die Naturgesetze in der neuen Form selbst gefordert.

Die Formel (78) für die Abhängigkeit der Masse von der Geschwin­digkeit ist dieselbe, die schon LORENTZ durch elektrodynamische Rechnungen für sein abgeplattetes Elektron gefunden hatte. Dabei drückte sich m o durch die elektrostatische Energie S des ruhenden Elektrons ebenso aus, wie in der Abrahamschen Theorie [V, 13, S. 182, Formel (69)], nämlich

4 S m - - - -- --0- 3 c2·

Wir sehen jetzt, daß der Lorentzschen Massenformel eine viel all­gemeinere Bedeutung zukommt. Sie muß für jede Art von Masse gel­ten, gleichgültig, ob diese elektrodynamischen Ursprungs ist oder nicht

Experimente von KAUFMANN (1901) und anderen, wobei Kathoden­strahlen durch elektrische und magnetische Felder abgelenkt wurden, haben bestätigt, daß die Masse von Elektronen mit der Geschwindigkeit in übereinstimmung mit LORENTZ' Formel (78) anwächst. Andererseits sind diese Messungen nicht länger eine Stütze für die Annahme, daß alle Masse elektromagnetischen Ursprungs sei, denn EINSTEINS Relativi­tätstheorie zeigt, daß jede Masse, unabhängig von ihrem Ursprung, in derselben Weise von der Geschwindigkeit abhängt, genau wie die Lorentzsche Formel es verlangt.

Eine andere Bestätigung von (78) ist durch die Spektroskopie erfolgt. Ein Atom besteht aus einem schweren, positiv geladenen Kern, der von einer solchen Zahl von Elektronen umgeben wird, daß das ganze Atom elektrisch neutral ist. Die Spektroskopie untersucht die Wechselwirkung dieser Elektronen mit Licht. Die Bewegung der Elektronen wird durch mechanische Gesetze beherrscht. Weil die spektroskopischen Messungen äußerst genau sind, kann man leicht Abweichungen von der klassischen Dynamik bei der Elektronenbewegung feststellen. Die Ergebnisse haben die Richtigkeit von EINSTEINS Dynamik voll und ganz bestätigt.

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240 Das spezielle Einsteinsme Relativitätsprinzip

8. Die Trägheit der Energie

Im vorhergehenden Abschnitt haben wir einen Punkt bei der Be­handlung des unelastischen Stoßes nicht besprochen, nämlich die Be­ziehung zwischen den Massen m der einzelnen Kugeln und der Masse M der vereinigten Kugeln nach dem Stoß. Das können wir mit Hilfe der Gleichung (y) aus Abschnitt 7 nachholen:

m(u)+m(O)=M(ü) .

Zuerst wollen wir die Ruhmasse M (0) = Mo der vereinigten Kugeln bestimmen. Wir erhalten sie, wenn wir in ein System S" übergehen, in­dem die Geschwindigkeit von M Null ist. Offenbar bewegt sich S" gegen S mit der Geschwindigkeit ü. Weil die beiden Kugeln gleich sind, folgt aus Gründen der Symmetrie, daß sie in S" entgegengesetzt gleiche Ge-

Abb. 129. Der Stoß zweier gleicher Kugeln (Abb . 126b) beobachtet von einem System S", in dem die gemeinsame Geschwindigkeit nach dem Stoß Null ist. Die Geschwindigkeiten vor dem Stoß

sind ii und -ii

schwindigkeiten ± ü haben (Abb. 129). Aus dem Additionstheorem der Geschwindigkeiten folgt in der Tat, daß ü in 0, u in ü und 0 in - u übergeht. Die Erhaltung der Masse lautet daher

oder m(ü) + m( - ü) = 2 m(ü) = M(O)

M _ 2mo

0- V1 - ü 2 '

c2

Im Falle kleiner Geschwindigkeit, ü <.{ c, gilt

(a)

(a')

(ß)

Die Ruhmasse Mo ist also nicht gleich 2 mo, der Masse der beiden Ku­gelr., wie man erwarten könnte. Es gibt noch einen Beitrag zweiter Ord­nung. Dieser Term ist gerade die kinetische Energie der bei den Kugeln vor dem Stoß, dividiert durch c2 • Die kinetische Energie einer Kugel ist . ,

T = '!!.Q Ü2• Die beiden Kugeln kommen beim Stoß zur Ruhe. Ihre kine-2

tische Energie 2 T wird in Wärme Q verwandelt: Q = 2 T. Wir sehen daher, es gilt

(y)

Page 48: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Die Trägheit der Energie 241

Man kann also sagen: Ein Zuwachs an Wärmeenergie Q erhöht die Masse um Q/ c2•

Wir kennen schon ein zweites Beispiel, wo sich die Masse verändert. Nämlich bei Zuführung kinetischer Energie. Wir betrachten die normale Abhängigkeit der Masse m (v) von der Geschwindigkeit v für v ~ c:

m(v)=mo+ L mo v 2 • ~ =m +.I. (0) 2 c 2 0 c2

Wieder ist die Masse vergrößert um einen Betrag Energie/c2, wo wir diesmal die kinetische Energie eines bewegten Körpers ins Auge gefaßt haben.

Wir können das Ergebnis verallgemeinern, indem wir sagen: Die Zuführung einer Energie e vergrößert die Masse eines Körpers um e/c2 •

Wir haben das nur für kinetische und Wärmeenergie gezeigt, erwarten es aber auch für alle andern Energieformen (elektrische, chemische Ener­gie etc.).

Wenn wir Gleichung (ß) mit c2 multiplizieren und (r) benutzen, lesen wir

(ß')

oder

(ß")

Diese Gleichung stellt das Gesetz der Erhaltung der Energie dar: Die Energie vor dem Stoß (kinetische Energie 2 T) ist gleich der Energie nach dem Stoß (Wärmeenergie Q). Es ist ein Spezialfall der Gleichung (17), wenn nur kinetische und Wärmeenergie beteiligt sind.

Wir erkennen so, daß vom Standpunkt der Relativitätstheorie das Gesetz der Erhaltung der Masse nichts anderes ist als das Gesetz der Er­haltung der Energie. Darum ist es gerechtfertigt zu behaupten, der Energieinhalt E eines Körpers sei gleich seiner Masse multipliziert mit c2 :

E=m c2 • (83)

Allgemein ist die kinetische Energie T als Differenz der Energie des bewegten Körpers E = mev) c2 und der Energie des Körpers in Ruhe Eo = mo c2, also

(84)

Diese Definition geht für kleine v in die klassische Definition T = -1~ v 2

über. Mit der neuen Erklärung (84) von T gelten die Gleichungen (ß') und (ß") auch für Geschwindigkeiten, die nicht klein gegen c sind.

Wir können an dieser Stelle einen wichtigen Unterschied zwischen klassischer und relativistischer 11echanik feststellen. In der klassischen Mechanik müssen wir einen Unterschied zwischen solchen Prozessen

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242 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

machen, die die mechanisme Energie erhalten, und solchen, die das nicht tun u~d einen Teil in Wärme oder andere Energieformen verwandeln. Wir haben z. B. beim unelastischen Stoß gesehen, daß eine Hälfte der kinetismen Energie (wenn im System S gemessen) in Wärme verwandelt wird. Also bleibt die memanisme Energie dabei nicht erhalten.

In der relativistischen Mechanik jedoch haben wir das Gesetz der Massenerhaltung [(y) vom vorhergehenden Abschnitt], das alle Energie­formen einschließt

m(u) c2 +mo c2 =M(ü) c2 •

Diese Gleichung enthält im klassischen Grenzfall die ganze Behandlung des Problems in der klassischen Physik: wir haben dann

mo c2 + !!!...o u2 + mo c2 = Mo c2 + 1_ Mo ü2

2 2

Wir wissen, daß Mo = 2 mo + .9 ist mit Q = 2· ~ mo Ü2• Daher gilt c2 2

~o u2 = Q + _} . 2 m o ü2 + ~_ ~ ü2 .

Der letzte Term muß vernachlässigt werden, denn er ist ein Teil der relativistischen Korrektur der kinetischen Energie; er ist um den Faktor -2 1!:. kleiner als die andern bei den Glieder und vernachlässigbar für u und c2

Ü ~ c. Daher bleibt die Gleichung

1710 u2 =Q+ -~- . (2 m o) ü2 2 2

(85)

übrig. Auf der linken Seite steht die kinetische Energie Tl der Kugeln vor dem Stoß, auf der remten Seite stellt Q den Teil von Tl dar, der beim Stoß in Wärme verwandelt wird. Der zweite Term ist die übrig­bleibende kinetische Energie T2 der beiden aneinander haftenden Kugeln

nach dem Stoß. Wir wissen, daß klassism ü = ; gilt, daher folgt

T 2 = 1710 u2 = ! I und Q = !I . Das sind die klassismen Formeln. 4 2 2

Nun leiten wir ab, wie sich T oder E ändern, wenn eine Kraft K für die kurze Zeit 1: auf einen Körper wirkt. v, T(O) und E(O) mögen die Gesmwindigkeit und die Energien des Körpers sein, bevor die Kraft wirkt, ii, T(1:) und E(1:) die Geschwindigkeit und die Energien des­selben Körpers, wenn die Kraft gewirkt hat. v zeige in x-Richtung. Dann haben wir wegen (83)

E(1:) - E(O) = T(1:) - T(O) = [m(ii) - m(v)] c2 •

Page 50: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Die Trägheit der Energie 243

Vom vorhergehenden Abschnitt, Gleichung (E) wissen wir, daß

gilt, wobei W x die kleine Zusatzgeschwindigkeit in x-Richtung ist, die die Kraft erzeugt hat (Abb. 130). Darum gilt

E(T) -E{O) = T(r) _ T(O) = __ :a'.x v _ m(v) = K x vr. v 2

1- - -c2

Der letzte Teil der Gleichung folgt aus (80). Nun ist

3rl~ E«(~X = X-tE!.::: T(~

die Anderungsgeschwindigkeit der Energie, und wenn wir die x-Kompo­nente der Beschleunigung bx = wx/r einführen, so erhalten wir

T(r) - T(O) m(v) -------- -- = - ----- ·bx·v=Kx·v. T v 2

1- ­c2

Die entsprechende klassische Gleichung ist

T(r)-T(O) =mobx.v=Kxv. T

(86)

Die rechte Seite ist aber die negative zeitliche Anderung der potentiellen Energie U. Denn während eines hinreichend kleinen Zeitintervalles r kann man die Kraft als näherungsweise konstant ansehen und so ver­fahren, als ob es sich um die Schwerkraft handelte, deren potentielle Energie [11, 14, Formel (15), S. 41 ff.] gleich G x war; dabei war die Richtung x der Schwere entgegen angenommen, so daß G = - K x gesetzt werden muß.

Nennen wir x(O) und x(r) die x-Koordinaten des Körpers, bevor und nachdem die Kraft gewirkt hat, so ist die Anderungsgesc.~windig­keit der potentiellen Energie

_l!f!t-=-U(~t =G (x{r)-x(O)) =G·v= -Kx'v, T T

da x(r) - x{O) = v ist gemäß der Definition der Geschwindigkeit. Füh­T

ren wir das in Gleichung (86) ein, so bleibt als Resultat

T(r) + U(r) = T(O) + U(O) ,

d. h. T + U ist zeitlich konstant wie in der klassischen Mechanik.

Page 51: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

244 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

EINSTEINS Gleichung (83)

E=m c2,

die die Proportionalität von Energie und träger Masse feststellt, ist oft das wichtigste Ergebnis der Relativitätstheorie genannt worden. Darum wollen wir noch einen andern einfachen Beweis dafür geben, der von EINSTEIN selbst stammt und keinen Gebrauch vom mathematischen Formalismus der Relativitätstheorie macht.

Dieser stützt sich auf die Tatsache der Existenz des Strahlungs­druckes. Daß eine Lichtwelle, die auf einen absorbierenden Körper auf­trifft, auf diesen einen Druck ausübt, folgt aus den Maxwellschen Feld­gleichungen mit Hilfe eines von POYNTING (1884) zuerst abgeleiteten Satzes; und zwar ergibt sich, daß der Impuls, der von einem kurzen Lichtblitz oder Lichtstoß von der Energie E auf die absorbierende Fläche

ausgeübt wird, gleich E_ ist. Wir werden das im nächsten Abschnitt be-c

weisen. Dieses Resultat ist experimentell von LEBEDEW (1890) und später mit größerer Genauigkeit von NICHOLS, HULL und anderen be­stätigt worden. Genau denselben Druck erfährt ein Körper, der Licht aussendet, ebenso wie ein Geschütz beim Abschuß einen Rückstoß be­kommt.

Wir denken uns nun einen Hohlkörper, etwa ein langes Rohr, und in diesem an den Enden zwei gleich große Körper A, B aus glei­chem Material, die also nach den gewöhnlichen Vorstellungen die

10 B A 11 ID

c I Or B .. A v

~

Ja B A 01 _ x

Abb. DO. Ein Rohr mit zwei gleichen Körpern A und B an seinen Enden. A trägt einen Energie­betrag E, der in Form eines Lichtblitzes von A nach B .nit der Geschwindigkeit c gesandt wird. Der Rü<.kstoß erzeugt die Geschwindigkeit v für das Rohr. Wenn E von B absorbiert ist, ruht das Rohr wieder, hat aber eine Verschiebung x erlitten. Das mittlere Stadium des Vorganges ist der Einfachheit halber gezeichnet, als ob das Rohr sich starr bewegte . Der wirkliche Vorgang

verläuft, wie im Text beschrieben

gleiche Masse haben (Abb. 130). Der Körper A soll aber einen Energie­überschuß E über B haben, etwa in der Form von Wärme, und es soll eine Einrichtung (Hohlspiegel oder dergleichen) vorhanden sem, um

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Die Trägheit der Energie 245

diese Energie E in der Form von Strahlung nach B zu senden. Die räumliche Ausdehnung dieses Lichtblitzes sei klein gegen die Länge 1 des Rohres.

Dann erfährt A den Rückstoß -~ . Wenn er auf das Rohr mit der c

Masse AI als Ganzes übertragen würde, erführe dieses die Geschwindig­keit v, die aus der Impulsgleichung

E Mv= -

c

folgt . Nun erfolgt die übertragung des Impulses an das Rohr als Gan­zes nicht momentan, denn wenn das Rohr starr wäre, würden die Kräfte im Rohr mit einer Geschwindigkeit größer als die des Lichtes fort­geleitet. In Wirklichkeit erfolgt die übertragung des Rückstoßes durch das Rohr von A nach B durch elastische Kräfte, die viel langsamer als das Licht laufen. Deshalb muß man den Vorgang gedanklich in zwei Teile zerlegen: 1. die Emission des Lichtes von A, 2. die Absorption bei B, deren Wirkung auf das Rohr wir unabhängig voneinander zu einem so späten Zeitpunkt betrachten, daß sich nicht nur die elastische Bewegung durch die Stöße über das ganze Rohr ausgebreitet hat, son­dern daß alle elastischen Schwingungen im Rohr wieder abgeklungen sind, so daß nur noch die Verschiebungen des Rohres als Ganzes übrig geblieben sind. Um den gesamten Effekt zu erhalten, muß man die beiden Verschiebungen addieren, die durch die beiden Stöße bei A und B erzeugt werden, denn elastische Wellen (kleiner Amplitude) über­lagern sich ungestört.

1. Der Rückstoß auf A überträgt eine solche Bewegung auf das Rohr, daß zu einem späten Zeitpunkt t1 , wenn alle Schwingungen ver­schwunden sind, seine Geschwindigkeit v und seine Verschiebung

beträgt. 2. Wenn das Licht in B absorbiert wird, erfährt das Rohr eine Be­

wegung, von der zum Zeitpunkt t 1 nur noch eine Geschwindigkeit in entgegengesetzter Richtung - v übrig geblieben ist. Die dazugehörende Verschiebung beträgt

Xz= -v (tl-t),

wenn t die Zeit ist, die das Licht zum Durchlaufen der Rohrlänge I von A nach B benötigt. Denn der Stoß bei B erfolgt um die Zeit t später.

Die Summe beider Verschiebungen ist

X=X 1 +x2 =v t, dieselbe, als wenn man das Rohr als starr betrachtet 1.

I EINSTEINS erste Ableitung (1905) nahm das Rohr als starr an. Später (1907) hat er selbst das Konzept des starren Körpers in der Relativitätstheorie kritisiert. Unsere Ableitung ist eine vereinfachte Darstellung einer Betrachtung von E. FEENBERG.

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246 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Wenn wir hier v = _ß_ und Me

t = i einsetzen, erhalten wir als Ver­e

schiebung des Rohres

El x= -- .

M e2

Nun kann man die Körper A, B miteinander vertauschen, und zwar ohne Anwendung äußerer Einwirkungen; man stelle sich etwa vor, daß zwei im Rohr befindliche Männer A an die Stelle von B, B an die Stelle von A bringen und dann selbst an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren. Nach der gewöhnlichen Mechanik müßte dabei das ganze Rohr keine Verschiebung erfahren; denn dauernde Ortsver­änderungen können nur durch äußere Kräfte bewirkt werden.

Ist diese Vertauschung ausgeführt, so wäre im Inneren des Rohres alles wie zu Anfang, die Energie E wieder an derselben Stelle wie vorher, die Massenverteilung gen au die gleiche. Aber das ganze Rohr wäre gegen seine Ausgangslage durch den Lichtstoß um die Strecke x verrückt. Das widerspricht natürlich allen Grundsätzen der Mechanik. Man könnte ja den Prozeß wiederholen und dadurch dem System ohne Anwendung äußerer Kräfte eine beliebige Ortsveränderung erteilen. Das ist unmöglich. Der einzige Ausweg ist die Annahme, daß bei der Vertauschung von A und B diese beiden Körper nicht mechanisch gleichwertig sind, sondern daß Binfolge seines um E höheren Energie­gehaltes eine um m größere Masse als A habe. Dann bleibt bei der Ver­tauschung nicht alles symmetrisch, sondern es wird die Masse m von rechts nach links um die Strecke l verschoben. Dabei verschiebt sich das ganze Rohr um eine Strecke x in der umgekehrten Richtung; sie be­stimmt sich daraus, daß der Vorgang ohne äußere KraftwirklIng vor sich geht. Wenn also t' die Zeit ist, die zum Vertauschen von A und B be­nötigt wird, so ist der Gesamtimpuls, bestehend aus dem des Rohres

M ~ und dem der transportierten Masse -m ~ , Null: t t

daraus folgt

Mx-ml=O;

ml x= M- '

Diese Verrückung muß nun die durch den Lichtstoß erzeugte gerade aufheben. Also muß

ml E l x= - = --

M Mc2

sein. Hieraus kann man m berechnen und findet

E m= --- .

c2

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Die Trägheit der Energie 247

Das ist der Betrag an träger Masse, den man der Energie E zu­schreiben muß, damit der Grundsatz der Mechanik gültig bleibt, daß ohne Wirkung äußerer Kräfte keine Ortsveränderungen eintreten können.

Da schließlich jede Energie auf Umwegen in Strahlung verwandel­bar ist, muß der Satz universelle Gültigkeit haben. Damit haben wir eine große Vereinheitlichung im Wissen von der materiellen Welt ge­wonnen: Materie im weitesten 5inne des Wortes (einschließlich des Lichtes und anderer Formen reiner Energie in der Sprache der klassi­schen Physik) zeigt zwei grundlegende Qualitäten: Die Trägheit, ge­messen durch ihre Masse, und die Fähigkeit, Arbeit zu leisten, gemessen durch ihre Energie. Wo elektrische und magnetische Felder oder an­dere Wirkungen zu starken Energieanhäufungen führen, da kommt die Erscheinung der Massenträgheit zustande. Das Elektron und die Atome sind solche Stellen ungeheurer Energiekonzentration.

Wir können von den zahlreichen und wichtigen Folgerungen dieses Satzes nur wenige kurz berühren.

Was zunächst die Masse des Elektrons betriffi:, so zeigt die For- @ mel (69), S. 182, für die Ruhmasse mo = _4 -~, daß die elektrostatische

3 c-Energie 5 nicht die gesamte Energie E des ruhenden Elektrons sein kann. Es muß noch ein anderer Energieanteil V vorhanden sein, E = 5 + V, derart, daß

wird. Daraus folgt V =4 5 -5 = 1_ 5 = 1_ E. Die gesamte Energie ist 334

also zu drei Vierteln elektrostatisch, zu einem Viertel von anderer Art. Dieser Anteil muß von den Kohäsionskräften herrühren, die das Elek­tron gegen die elektrostatische Abstoßung zusammenhalten.

Weitere Beispiele entnehmen wir der modernen Forschung. So hat sich ergeben, daß es drei Arten von n-Mesonen gibt (siehe Seite 225). Eine Art ist positiv, die zweite negativ geladen (die Ladung ist so groß wie die des Elektrons) und die dritte ist elektrisch neutral (n+ -, n-­und nO-Mesonen). Genaue Bestimmungen der Massen dieser Teilchen zeigen, daß diejenigen von n+ und n- gleich und 273mal größer sind als die Elektronenrnasse, während die Masse des n° nur 264mal so groß wie die des Elektrons ist. Wie im Falle des Elektrons kann man diesen Unterschied in der Masse durch die elektrische Ladung erklären. Die Ladung bewirkt ein elektrisches Feld, das eine gewisse Energie 5 ent­hält, die für positive und negative Mesonen gleich ist . Daher müssen die geladenen Teilchen n± schwerer sein als nO, und zwar um den Betrag 5/c2• Die Massendifferenz m+ -mo=9 meZ (mez ist die Elektronen­rnasse) besagt, daß in den geladenen Mesonen viel mehr elektrische

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248 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Energie als im Elektron vorhanden ist. In Kapitel V, 13 haben wir die Formel für die Energie S angegeben, die eine Ladung e mit sich führt, wenn sie auf der Oberfläche einer Kugel vom Radius a verteilt ist

S= 1..~. 2 a

Wenn WIr dasselbe Modell auf das geladene Meson anwenden, 1st

(2 (m+ -mo) = 1.."::', wo a der "Radius" der Ladungsverteilung 1m - 2 a

Meson ist. a kann berechnet werden und man findet a = 1,5 .10-14 cm, einen Wert, viel kleiner als der Radius des Elektrons in übereinstim­mung mit der größeren Massendifferenz.

Wie wir oben erläutert haben, besteht ein Atom aus einem positiv geladenen Kern (Radius etwa 10-13 cm) und der umgebenden Wolke von Elektronen, die die Kernladung gerade neutralisiert. Der Kern selbst ist aus Protonen und Neutronen aufgebaut. Protonen haben posi­tive Ladung vom Betrag der Elektronenladung. Ihre Masse ist etwa 2000 met. Das Proton ist der Kern des leichtesten Atoms, des Wasser­stoffes. Das Neutron hat etwa die Masse des Protons, ist aber - wie der Name sagt - elektrisch neutral. Ein Atom kann durch zwei Größen gekennzeichnet werden: durch seine Masse, die im wesentlichen die Masse des Kerns ist (denn die Beiträge der Elektronen können vernach­lässigt werden), und durch die Ladung des Kerns, die durch die Zahl der Protonen festliegt und · gleich der Zahl der umgebenden Elektronen ist. Das chemische Verhalten eines Atoms wird durch die Elektronen be­stimmt, die sich bis in E~tfernungen von etwa 10-8 cm vom Kern be­wegen. Daher entscheidet die Zahl der Elektronen oder Protonen allein über die chemische Art des Atoms. Man kennt Kerne mit der gleichen Zahl von Protonen und verschiedenen Anzahlen von Neutronen. Die zugehörigen Atome haben das gleiche chemische Verhalten, aber unter­schiedliche Massen. Solche Atome nennt man Isotope. Ein chemisches Element ist im allgemeinen eine Mischung verschiedener Isotope.

Das einfachste Beispiel ist Wasserstoff, welcher ein Isotop besitzt, den sogenannten schweren Wasserstoff oder Deuterium, dessen Kern aus einem Proton und einem Neutron besteht und Deuteron heißt. Wenn wir die Massen der Bestandteile addieren

Masse des Protons Masse des Neutrons

mp = 1,6724.10-24 g mN = 1,6747.10-24 g

erhalten wir mp+ mN = 3;3471·10~24 g. Die gemessene Masse des Deuterons aber beträgt nur mD= 3,3433 .10- 24 g. Nach Gleichung (83) können wir aus der Massendifferenz

mp+mN-mD=O,0038 · 1O- Z4 g (etwa 4 Elektronenmassen)

entnehmen, wieviel Energie ein~m Deuteron zugeführt werden muß, um es in Proton und Neutron zu spalten. Das Experiment bestätigt die

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Energie und Impuls 249

Berechnung genau. Dieselbe Energie wird frei, wenn sich ein Proton und ein Neutron zu einem Deuteron vereinigen.

Ein anderes Beispiel ist von großer technischer Wichtigkeit und wird in Kernreaktoren ausgenutzt. In diesen Wärmekraftanlagen geht folgen­der Prozeß vor sich: Ein Kern des Uranisotops 235 (der aus 235 Teilchen, 92 Protonen und 143 Neutronen besteht) nimmt ein Neutron auf, wird instabil und spaltet sich in zwei kleinere Kerne und einige Neutronen. Diese Neutronen können neue Urankerne spalten. So kann eine "Ketten­reaktion" ablaufen, die sich selbst erhält. Die Bruchstücke jeder Spal­tung fliegen mit großen kinetischen Energien auseinander, werden von der umgebenden Materie abgebremst und heizen diese auf. Wenn wir die Massen der Spaltprodukte addieren, finden wir eine kleinere Summe als die Masse des U 23s-Kerns. Die Massendifferenz ist etwa 400mal die Elektronenrnasse. Die Energie dieser Massendifferenz ist die kinetische Energie der Bruchstücke des Urankerns. Diese Energie wird in Wärme verwandelt.

Um die Größe dieses Effektes zu veranschaulichen, kann man die Wärmeproduktion der Uranspaltung mit der durch Kohleverbrennung vergleichen: Man erhält die gleiche Energie bei Spaltung von 1 g Um wie bei der Verbrennung von 20 Tonnen Kohle.

Die bei den letzten Beispiele zeigen, daß Wärme bei zwei Prozessen gewonnen werden kann: durch Spaltung schwerer Atomkerne und durch Aufbau kleiner Atomkerne aus ihren Bestandteilen (Kernfusion, Kern­verschmelzung). Der zweite Prozeß ist die Wärmequelle der Sterne.

Es ist wohlbekannt, daß der Prozeß der Kernspaltung in der Atom­bombe (A-Bombe), der Prozeß der Kernfusion in der Wasserstoffbombe (H-Bombe) angewendet wird. Aber wir wollen diese düsteren Aspekte, die die technische Entwicklung in Zusammenhang mit EINSTEINS Formel bietet, nicht näher besprechen.

9. Energie und Impuls Im siebten Abschnitt dieses Kapitels haben wir das Gesetz der Er­

haltung der Masse oder Energie unter Benutzung nur des Impulserhal­tungssatzes abgeleitet. Das deutet eine sehr enge Beziehung zwischen Impuls und Energie an, die eine charakteristische neue Tatsache in der Relativitätstheorie ist, ähnlich der Beziehung zwischen Raum und Zeit.

Im dritten Abschnitt dieses Kapitels haben wir aus der Lorentz­Transformation die Grundinvariante F = x2 - c2 t 2 abgeleitet, wo x und t die Koordinaten eines beliebigen Welt punktes P sind. Wir wiederholen kurz, was F bedeutet: Wenn wir P in zwei Systemen Sund S' mit dem­selben Ursprung durch seine Koordinaten (x, t) und (x', t') darstellen, dann ist

x 2 _ c2 t2 = x' 2 _ c2 t' 2 = F

unabhängig vom Koordinatensystem.

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250 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Aus Impuls p=m(u)·u und Energie E=m(u)·,2 eines Massen­punktes können wir folgenden Ausdruck bilden und mit (78) verem­fachen:

Wir sehen, daß dieser Ausdruck invariant ist, d. h. unabhängig vom speziellen Koordinatensystem, in dem wir Impuls und Energie messen. Das legt nahe zu vermuten, daß sich Impuls p und Energie E dividiert durch ,2 (oder in andern Worten Impuls p und Masse m) von einem System S in ein anderes System S' in derselben Weise transformieren wie x und t, nämlich durch die Lorentz-Transformation.

Wir können diese Vermutung ohne Schwierigkeiten beweisen. S' habe die Geschwindigkeit v, gemessen von S. Dann gilt (zur Verein­fachung sollen alle Geschwindigkeiten die v-Richtung haben):

in S in S'

Impuls: p=m(u)·u, Impuls: p' =m(u') u',

Energie: E = m(u) ,2; Energie: E=m(u') c2 ;

Die Geschwindigkeiten u und u' sind durch das Additionstheorem (77a)

verknüpft

und

u'+v u = ---- Wir berechnen

u'v 1+ --

,2

u'+v , E'

P +v ­,2 =mo R- --r==='

1- - 1--v 2 V U'2 ,2 ,2 -F- ~ 1-­,2

1 v, E' v , +-u --+-p E ,2 ,2 ,2

,2-=m(u)=mo V----~;-V u'; = -V=:~;2 ' 1- -- 1---- 1- --,2 ,2 ,2

(88 a)

(88 b)

also die der ersten und vierten Formel (70 b) entsprechenden Gleichungen. Wenn der Impuls nicht der x-Achse parallel ist, sondern Komponen­

ten px, py, pz in Sund Px' , py' , pz' in S' hat, müssen wir in (88a, b) p durch Px und p' durch PI' ersetzen und py = py' und pz = pz' ergänzen.

Page 58: Die Relativitätstheorie Einsteins || Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Energie und Impuls

Kehren wir die Formeln um, so erhalten wir

E Pr-V -

E v E' -"9 - 2" pr

I C2

Pr =Y =-=~' 1- --

c2

, , c- c py = py , pz = pz , c2 = _·Y·· ~-v2

1- -c2

übereinstimmend mit (70 a).

251

(88 c)

Formel (87) ist von großer Wichtigkeit. Sie erlaubt, P zu berechnen, wenn E bekannt ist, und umgekehrt:

(87a)

(87b)

In EINSTEINS Beweis des grundlegenden Gesetzes der Trägheit der Energie haben wir eine Beziehung zwischen Energie und Impuls eines

Lichtwellenzuges benutzt: p ='i. Nun ist Licht ein Energiestrom mit c

der Geschwindigkeit c. Darum muß nach der Relativitätstheorie seine Ruhmasse Null sein: m o = O. Damit wird aber (87 a) in der Tat zu

E p= - .

c Eine interessante Anwendung der Transformationsformeln von p

und E tritt in der Quantentheorie auf, über die wir kurz sprechen wol­len. Auf der Quantentheorie beruht das Verständnis der Atome und ihrer Eigenschaften. Sie wurde durch PLANCK (1900) begründet. Eines ihrer Hauptergebnisse ist die "Quantisierung" der Energie des Lichtes. Sie besagt, daß die Energie eines Lichtstrahles der Frequenz v nicht jeden Wert haben kann, sondern aus Quanten e endlicher Größe besteht

(89)

Dabei ist h die fundamentale Plancksche Konstante, die alle atomaren Prozesse beherrscht. Aus (89) kann man Masse und Impuls der Licht­quanten berechnen

e hv m= ····· =-;

c2 c2 (90)

(J.. = !... ist die Wellenlänge des Lichtes; siehe (35». Darum kann man v

eine Lichtwelle als einen Strom von Teilchen auffassen, die die Ruh-

masse Null, den Impuls p = ~. und die Energie e = h v haben. c

Diese Lichtquanten oder Photonen können sich in andere Teilchen verwandeln, wenn zugleich die Erhaltung von Energie und Impuls

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252 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

sichergestellt ist. Wir wollen ein spezielles Beispiel betramten, in dem noch ein weiterer Erhaltungssatz gilt, nämlich der sier Ladung. Dieses Gesetz fordert, daß die Gesamtladung der reagieren'den Teilmen vor und na& der Reaktion dieselbe ist. Nun fand ':A}mERSON (1932), daß Limtquanten, wenn sie mit andern Teilchen (Atomkernen) zusammen­stoßen, in ein Paar anderer Teilmen verwandelt werden können, von denen eines ein Elektron, das andere sein positives Gegenstück ist, ge­nannt Positron. Das Positron hat ANDERSON bei dieser Gelegenheit ent­deckt. Es hat genau dieselben Eigensmaften wie das Elektron, ab­gesehen von der Ladung, die die gleiche Größe, aber das entgegen­gesetzte Vorzeichen hat. Die Bedingung der Ladungserhaltung ist bei Erzeugung eines Paares erfüllt. Die Erhaltung der Energie erfordert, daß die Energie des Lichtquants e größer als 2 meZ c2 ist, der Ruhmasse des Paares. Aber das reicht nom nicht aus. Es muß auch der Impulssatz erfüll t sein.

Wir können nun leicht einsehen, daß Lichtquanten keine Paare im freien Raum erzeugen können, denn dann können nicht beide Erhaltungs­sätze gleichzeitig erfüllt werden. Ohne in Einzelheiten zu gehen, kann man nämlich folgendermaßen argumentieren: Wenn solch eine Um­wandlung möglich wäre, könnte sie in jedem Bezugssystem beschrieben wer4en. Für einen Beobachter in einem System S', das sim mit der Ge­schwindigkeit v in Richtung der Limtquanten bewegt, ist deren Energie e' nach (88 b) (mit E' =e' =p'c, E=e, aufgelöst nache') :

V~ v-v 1-- 1- -,c2 c

e = -~ v 'e= 1+ .o-· e (91)

c c

Wenn man daher die Geschwindigkeit nur groß genug wählt, kann man e' so klein machen, wie man will. Daran erkennt man unmittelbar, daß in S' die Energie nicht erhalten werden kann, denn sie muß, wie wir gesehen haben, größer als 2 meZ c2 in jedem System sein.

Damit sich Paarerzeugung ereignen kann, muß daher noch ein ande­res Teilchen zugegen sein, das Energie und Impuls in solmer Weise auf­nehmen kann, daß die Erhaltungssätze erfüllt sind. Darum kann die Paarerzeugung durch y-Strahlen nur in der Nähe von Atomkernen vor­kommen. Der Kern ändert sim bei dem Prozeß nimt, er sorgt nur für die Erfüllung der Erhaltungssätze. Der Einwand, daß im smnell be­wegten System S' die Photonenenergie klein ist, so daß die Bedingung e' > 2 m eZ c2 nicht mehr erfüllt ist, kann jetzt nicht mehr angewandt werden, denn in S' hat der Atomkern eine sehr hohe. Energie und kann die fehlende Energie zuführen.

Es gibt in der Relativitätstheorie eine Beziehung zwismen Strom und Ladung, ähnlich der zwischen Raum und Zeit oder zwismen Impuls

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Energie und Impuls 253

und Energie, die wir oben diskutiert haben. Wir wollen sie kurz be­sprechen, und damit einen Blick auf die relativistische Elektrizitätslehre werfen. .

Nehmen wir an,N Elektronen mifder Ladung Ne befänden sich in einem Würfel der kantenlänge Lo • Dann beträgt die Ladungsdichte (Jo

in dem Würfel Ne

{!o= T3. o

Wenn die Ladungen ruhen, ist die Stromdichte io Null. Ein Beobachter, gegen den die Ladungen mit der Geschwindigkeit v

in Richtung einer Kante bewegt sind, mißt ein kontrahiertes Volumen 103. yf=-vqc2~- denn die Kante des Würfels parallel der Geschwindig­keit ist um yl"='-V2!c2 kontrahiert. Die Zahl der Elektronen kann jedoch nicht vom Bezugssystem abhängen. Darum wird der Beobachter eine Ladungsdichte

e= Ne e l3R2=Ro v 2 o 1-- 1--

c2 ,2

(92)

messen. Die bewegten Ladungen stellen aber einen Strom 1m Innern des

Volumens dar. Er ist offenbar durch

. Nev Qov J= = =QV

103 J 1 - ~ J 1 - ~ (93)

gegeben. Aus (92) und (93) können wir aber eine Invariante ableiten, ähnlich,

wie wir sie schon aus x und t oder p und m gebildet haben:

(94)

Die Gleichungen (92) und (93) kann man auch

schreiben, wo mund p Masse und Impuls der Elektronen sind. Mithin haben j und e dieselbe Transformation wie p und m, die Lorentz-Trans-. formation

., J-- v (J . J=R" 1--. 2 C

v. (J- - J

, c2 e=R2' 1--c2

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254 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

und umgekehrt

. j' +v7j' ,= -V- - -~-= ~ ; c2

in übereinstimmung mit (70 a, b).

, v " (! + -, c2

Das führt uns zu einem bemerkenswerten Effekt. Ein langer, gerader Draht, der ruht und einen Strom führt, ist elektrisch neutral, denn er besteht aus ebensoviel positiven Ionen in Ruhe wie er bewegte negative Elektronen enthält. Die Elektronen sollen die Geschwindigkeit u haben. Daher können wir die Dichten von Ladung und Strom folgendermaßen schreiben:

Elektronen (!-= -n·e ,-= -neu=(! u

(!++r=O;

Ionen j+=O.

Ein Beobachter mit der Geschwindigkeit v in Stromrichtung findet dagegen den Draht elektrisch aufgeladen, denn die Ladungsdichten, die er mißt, sind

_ v._ (! ---- J

(!-' = -V C~2 = V tl=' ;2 (1- vc:)' 1-- 1- -

c2 c2

(!+

e+'~ V -- v'· 1- -

c2

Addieren wir beide, so bleibt eine Ladungsdichte übrig

vu +, _, _ c2 n e v u

(! + e = - e V ';2 = FV2 . 1- - c2 1- -

c2 c2

Wir sehen, daß der Draht positiv geladen ist. Das können wir uns in einem x, ct-Diagramm veranschaulichen

(Abb. 131 b). Der Einfachheit halber betrachten wir ein lineares Modell des Drahtes und nehmen Ionen und Elektronen äquidistant im Abstand a an (Abb. 131 a). Zur Zeit t = 0 mögen Ionen und Elektronen an den gleichen Punkten liegen. Die Weltlinien der ruhenden Ionen sind Parallele zur ct-Achse, die der Elektronen sind auch untereinander parallel, aber entsprechend der Geschwindigkeit u geneigt. Wenn wir den Draht von einem System (x', ct'), das sich gegen (x, ct) mit v be­wegt, betrachten, sehen wir, daß der Abstand BÖ der Ionen auf der x' -Achse vom Abstand Da der Elektronen verschieden ist. In Abb. 131 b ist BÖ kleiner als JjÖ, daher ist die Dichte der Ionen größer als die der Elektronen und der Draht ist positiv geladen.

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Energie und Impuls 255

Jetzt betrachten wir die Felder der Ströme und Ladungen in den beiden Systemen. Wir wissen, daß der dektrisch neutrale Draht mit seinem Strom ~rn ~ .ci-System nu ..... 'v.on .einem magnetischen Feld um-

~ ~ ~ ~ ~ @ e (±) (t) (±)

a cl' ct

/ /

b / ~~------~----------r----------f----------+-~ x

Abb . 131. a) Ruhende Ionen ® und bewegte Elektronen e in einem Draht. b) die Weltlinien der Ionen sind parallel der cI-Achse, die der bewegten Elektronen parallel zueinander aber geneigt, alle im Abstand a voneinander im x, cl-SYStem . Wenn sie von einem x', ct' -System, das sich mit der Geschwindigkeit v gegen das erste bewegt, beobachtet werden, sind die Abstände· der Ionen

OB verschieden von denen der Elektronen öb

geben ist, während der positiv geladene Draht im x', ct' -System oben­drein ein elektrisches Feld hat. Daher muß in der Relativitätstheorie die Vorstellung eines elektrischen und magnetischen Feldes zur Konzeption eines elektromagnetischen Fddes (E und H) zusammengefaßt werden. Die Einzelfelder haben keine selbständige Bedeutung. Die Komponenten

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256 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

des elektromagnetischen Feldes (E, H) hängen vom Bezugssystem ab. Das heißt beispielsweise, wenn in einem System S nur ein magnetisches Feld vorhanden ist, mißt ein Beobachter im System S' auch ein elek­trisches Feld oder umgekehrt. Damit kommen wir zu einer außerordent­lich einfachen qualitativen Erklärung der elektromagnetischen Erschei­nungen in bewegter Materie (Kap. V, 11): In Abb. 103 und 105 bewegt sich ein Stück Materie in einem Magnetfeld. Ein Beobachter, der sich mitbewegt, nimmt daher auch ein elektrisches Feld wahr. Dieses Feld verursacht einen elektrischen Strom in einem Leiter, während es auf einem Isolator Oberflächenladungen influenziert.

10. Optik bewegter Körper

Nachdem wir die wichtigsten Folgerungen aus der abgeänderten Mechanik gezogen haben, ist es an der Zeit, auf diejenigen Probleme zurückzukommen, aus denen die Einsteinsche Relativitätstheorie her­vorgegangen ist, die Optik bewegter Körper. Die Grundgesetze dieser Gebiete sind in den Maxwellschen Feldgleichungen zusammengefaßt, und schon LORENTZ hatte erkannt, daß diese für den leeren Raum (E= 1, 11= 1, 0=0) bei den Lorentz-Transformationen invariant sind. Die exakten, invarianten Feldgleichungen für bewegte Körper hat MINKOWSKI (1908) aufgestellt. Sie unterscheiden sich von den Lorentzschen Formeln der Elektronentheorie nur in nebensächlichen Gliedern, die nicht durch Beobachtungen geprüft werden können, haben aber mit diesen die partielle Mitführung der dielektrischen Polarisation gemein und erklären daher alle elektromagnetischen und optischen Vorgänge an bewegten Körpern in voller übereinstimmung mit den Beobachtungen. Wir erinnern insbesondere an die Versuche von RÖNTGEN, EICHENWALD und WILSON (V, 11, S. 167 ff.), doch wollen wir nicht darauf eingehen, weil dazu ausführliche mathematische Ab­leitungen nötig sind. Die Optik bewegter Körper aber läßt sich ganz elementar behandeln, und wir wollen sie als eine der schönsten An­wendungen der Einsteinschen Theorie hier darstellen.

In dieser gibt es keinen Ji.ther, sondern nur relativ zueinander be­wegte Körper. Daß alle optischen Vorgänge, bei denen Lichtquelle, durchstrahlte Substanzen und Beobachter in ein und demselben Inertial­system ruhen, dieselben sind für alle Inertialsysteme, ist nach der Einsteinschen Relativitätstheorie selbstverständlich. Diese erklärt also auch den Michelsonschen Versuch, aus dem sie ja hervorgegangen ist. Es handelt sich also jetzt nur darum, ob die bei relativen Bewegungen von Lichtquelle, durchstrahltem Medium und Beobachter auftretenden Erscheinungen von der Theorie richtig wiedergegeben werden.

Wir denken uns eine Lichtwelle in einem materiellen Körper, der

im Bezugssystem S ruht; ihre Geschwindigkeit sei Cl = ~ (n ist der n

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Optik bewegter Körper 257

Brechungsindex), ihre Schwingungszahl sei v, ihre Richtung relativ zum System S die x-Richtung. Wir fragen, wie diese drei Merkmale der Welle von einem Beobachter beurteilt werden, der in einem Bezugs­system S' ruht, das sich mit der Geschwindigkeit v parallel der x-Richtung des Systems S bewegt.

Wir behandeln diese Frage nach derselben Methode, die wir früher (IV, 7, S. 103) darauf angewandt haben, nur daß wir statt der Galilei­Transformationen die Lorentz-Transformationen zugrunde legen. Wir haben dort gezeigt, daß die Wellenzahl

( X, -xo) v t 1 -to- --c-

eine Invariante ist, denn sie bedeutet die Anzahl der Wellen, die vom Moment to an den Punkt Xo verlassen und bis zum Moment t, den Punkt X 1 erreichen (Abb. 69, S. 103). Diese Invarianz gilt natürlich jetzt für Lorentz-Transformationen, daher haben wir

( X,-xo)' (, , x',-x'o) v t,-to- -~ =v t 1-t o- C'1

wo v, v' und c, , Cl' die Frequenzen und Geschwindigkeiten der Welle relativ zu den Systemen Sund S' sind. Setzt man hier rechts die durch die Lorcntz-Transformation 70 a, S. 203, gegebenen Ausdrücke für x' und t' ein, so erhält man:

( x,-xo) v'( v ( ) x,-xo-v(t,-to») v t1 -tO - -- = -- t1 -tO - - X 1 -XO - , , c, a C2 C ,

wo a = V1- tf- = 1 f~ - ~~ ist. Beobachten wir den Wellen zug nun zu-V c2

erst an einem festen Zeitpunkt, d. h. setzen t1 - to = 0 und dividieren durch x, - xo , so folgt

(95 a)

Dann können wir aber den Wellenzug an einem festen Raumpunkt vor­bei ziehen lassen, d. h. Xl = Xo • Dividieren wir jetzt durch t1 - to , so erhalten wir

~'= -~~(1+ ~-). (95b) a Cl

Dividiert man die zweite Gleichung durch die erste, so erhält man:

v 1 + -;­

c, c1 = ----=-

v 1 - + -(2 c' 1

e'l +v

1 + ~~~! c2

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258 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Diese Formel stimmt genau mit dem Einsteinschen Additionstheorem der Geschwindigkeiten bei longitudinaler Bewegung [Formel (77 a)J, überein, wenn man darin U x durch CI' u'x durch C'I ersetzt. Dieselbe Regel, die für die Umrechnung der Geschwindigkeiten materieller Kör­per relativ zu verschiedenen Bezugssystemen gilt, ist also auch auf die Lichtgeschwindigkeit anwendbar.

Löst man nach c' I auf, so erhält man die strenge Mitführungs­formel:

C'I = 1- V CI

c2

Dieses Gesetz ist aber, wenn man Glieder von höherer als 2. Ord­nung in ß = v/c vernachlässigt, mit der Fresnelschen Mitführungsformel (44), S. 117 identisch. Denn in dieser Näherung kann man schreiben:

also

1 = __ 1 _ = 1 + 1...= 1 + ~ 1- vC I 1_ L n nc

c2 n

C'I=(C I -V)(1+ nVc)

v CI v 2 =cl-v+---

nc nc

= CI (1 _ ~ + ~ _ _ c_ . V:), Cl n C n Cl C

und wenn man wieder das letzte Glied 2. Ordnung fortläßt und .~\ C

1 = - setzt:

n

c' 1 = Cl - V ( 1 - ~2) •

Das ist genau die Fresnelsche Mitführrmgsformel. Die zweite der Formeln (95) stellt das Dopplersche Prinzip dar.

Dieses wendet man gewöhnlich auf das Vakuum an, setzt also Cl = c, dann folgt aus dem Additionstheorem der Geschwindigkeiten bekannt­lich (5. 229) auch c' 1= c. Sodann gibt die zweite der Formeln (95)

v'1=ß2 , a ')I =')1 ---=')1

1+ ~ 1+ß C

Nun ist 1 - ß2 = (1 - ß) (1 + ß), daher kann man schreiben

y' =y V(1-ß) (1 +ß) =')1 V1-ß . l+ß l+ß

(95 c)

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Optik bewegter Körper 259

Die strenge Formel für den Dopplersehen Effekt bekommt also die symmetrische Gestalt

y' VI + ; = y V 1 -~- , (96)

die die Gleichwertigkeit der Bezugssysteme Sund S' evident macht.

Für kleine ß = 3!.- erhalten wir die gewöhnliche Formel (41) (Seite c . 107) für den Dopplereffekt, wenn wir ß2 in (95 c) vernachlässigen:

y' :::: -Y __ ~ y (1- ß) . l+P-

Wir können die Dopplerformel (96) auch ableiten, indem wir die Lichtquantenvorstellung benutzen. Setzen wir in Gleichung (91) die Energie der Lichtquanten in den beiden Systemen t = h y und t' = h v', so ist die Formel identisch mit (96) .

Für große Geschwindigkeiten weicht (96) von der klassischen For­mel (41) ab. Das wird offensichtlich, wenn man den Fall behandelt, in dem die Richtung des Lichtes und die Relativgeschwindigkeit v nicht übereinstimmen, insbesondere, wenn sie senkrecht aufeinander stehen. Nach der klassischen Theorie sollte es dann keinen Dopplereffekt geben, während die Relativitätstheorie einen Effekt fordert. Daher kann man von einem neuen relativistischen Effekt sprechen, dem sogenannten transversalen Dopplereffekt. Er kann auf die gleiche Weise wie der ge­wöhnliche longitudinale Effekt berechnet werden:

Die Relativgeschwindigkeit v zwischen Sund S' soll wie bisher in Richtung der aufeinander fallenden x- und x' -Achse zeigen, aber die Richtung des Lichtes sei senkrecht dazu, etwa parallel zur y' -Achse. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie damit auch parallel zur y-Achse zeigt.

Während die Entfernung des Anfangs des Lichtwellenzuges zur Zeit t' 0 bis zum Ende zur Zeit t' 1 in S' beobachtet y' 1 - y' 0 ist, gilt dafür in S nicht einfach YI - Yo , sondern sie wird auch von XI - X o abhängen, etwa a (XI - xo) + b (Yl - Yo)' Die Formel für die Invarianz der Phasen lautet daher

l' (tl - to - a (XI -_~~ttjJ_(l!.::- Yo)) = y' (t'I _ t' 0 _ y' I ~ i o) . . Cl Cl

Wir müssen nun die Lorentz-Transformationen (70 a) oder (70 b) an­wenden. Wenn wir (70 b) anwenden und X' 1 = X' 0 , y' 1= y' 0 setzen, um auszudrücken, daß das Experiment an einem in S' festen Ort gemacht wird, so wird die Rechnung kompliziert, weil wir dann die Größe a kennen müssen. Wenn wir aber (70 a) verwenden und Xl = X o und YI = Yo setzen, erhalten wir leicht

1" y = --' - .

a

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260 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Ein Beobachter, der sich relativ zu S mit der Geschwindigkeit v be­wegt und senkrecht zu v auf eine Lichtquelle sieht, die die Frequenz y

aussendet, mißt also die verändene Frequenz

y' = a y = }' V 1 _ v2

, c2

die kleiner als y ist. Das ist der transversale Dopplereffekt. Wie die Ableitung zeigt, ist er eng mit der Zeitdehnung verwandt: t 1' - to'

= ! (tl - to)' Er sagt einfach, daß die Anzahl der Uhrschläge für alle a

Beobachter gleich ist. Der transversale Dopplereffekt wurde im Laboratorium beobachtet,

als man Kanalstrahlen untersudlte (IV, 8, Seite 109), die gen au defi­nierte Geschwindigkeit und Richtung hatten (I VES und STILWELL 1938; OTTING 1939). Die Schwierigkeit dieser Messungen bestand im Beitrag des gewöhnlichen longitudinalen Dopplereffekts, wenn die Beobach­tungsrichtung ein wenig von der Senkrechten abwich. Sie wurde über­wunden durch die Bemerkung, daß der longitudinale Effekt entgegen­gesetzt gleich für zwei Lichtstrahlen ist, die vom Kanalstrahl in ent­gegengesetzten Richtungen ausgesandt werden. Wenn man beide Licht­strahlen zugleich beobachtet und das Mittel der Messungen nimmt, wird der longitudinale Effekt eliminiert. Auf diese Weise wurde der trans­versale .Effekt nachgewiesen und so die Zeitdehnung auf einem ganz direkten Weg bewiesen 1.

Um die Aberration des Lichtes zu behandeln, benutzen wir das Additionstheorem der Geschwindigkeiten. Im System S' möge sich Licht in y-Richtung bewegen, daher ist ux' = 0, uy' = c. Die Transformations­formeln (77a, b) ergeben als Geschwindigkeit in S

ux=v und u ll =C V 1- ~:. Daher ist in S die Richtung des Lichtes nicht senkrecht, sondern geneigt zur x-Richtung. Leicht stellen wir zunächst fest, daß auch in S die Lichtgeschwindigkeit c ist, denn yux2 + u1l2 = c. Das Verhältnis der

Komponenten !!~ entspricht der alten Definition der Aberrations-Uy

d konstanten T (Abb. 132). Es war dabei 1 die Teleskoplänge und d die

1 Der transversale Dopplereffekt wurde mit Hilfe des Mößbauereffektes (siehe Seite 309) in jüngster Zeit genau gemessen: Auf einer rasch rotierenden Scheibe (Umlaufszeit T) waren der Sender S der Mößbauerstrahlung im Zen­trum, der Empfänger E im Abstand r vom Zentrum angebracht, so daß E eine

Geschwindigkeit v= ~; r gegen S senkrecht zu SE=r hatte. Es ergab sich eine

Dopplerverschiebung der Resonanzfrequenz von E gegen die von S genau nach obiger Formel.

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Optik bewegter Körper 261

Verschiebung des Fernrohrs durch die Erdbewe~ung, während das Licht das Fernrohr durchläuft (IV, 3). Daher haben wir

v d U x c

1= Uy = V· ;2

1- ~2

Wir können die Aberrationsformel auch in der Lichtquantenvor­stellung ableiten: In S' sind die Komponenten des Impulses der Licht-

quanten Px' = 0 und Pu' = p' = E' (p' hat die y-Richtung). In S hat der c

s $' v

x ~--------------------------__ ~+-, x' ~--------------~~

y y'

Abb. 132. Die Aberration in der Relativitätstheorie. Um positive Gesch~Jil\dibkeirskomponenten (u z , UW' "11', v) zu haben . benutzen wir ein umgekehrtes Koordinatensysttm. In S', das sid! mit der Geschwindigkeit v gegen die Erde bewegt und in dem der Fixstern ruht. läuft das Lid!t in

y'-Rid!tung. In S, in dem die Erde ruht, haben wir zwei Komponenten Ur und Uw der Lid!tgesd!w indigkeit

Impuls p zwei Komponenten Px und py, aus denen p mit dem Satz des Pythagoras folgt: p2 = Px2 + pi. Wir berechnen diese Komponenten p.c. und py mit den Transformationsformeln (88):

E' v, Px' +v-· - -- Pu

c2 C

PX=--===l~; V 1 -~; 'V 1 - ~; py= Pu'·

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262 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

Die Aberrationsformel folgt aus dem Verhältnis Px , das dem obigen py

Verhältnis !!"'- gleim ist. Uy

Die exakte Aberrationsformel geht in die elementare Formel über, wenn ß2 vernamlässigt wird:

d v 7 =ß= c·

Dieses Resultat ist besonders bemerkenswert, weil sämtlime Ather­theorien bei der Erklärung der Aberration beträchtlime Smwierig­keiten zu überwinden haben. Mit Hilfe der Galilei-Transformation erhält man gar keine Ablenkung der Wellenebene und Wellenrimtung (IV, 10, S. 121), und man muß, um die Aberration zu erklären, den Begriff des "Strahles" einführen, der in bewegten Systemen nimt mit der Fortpflanzungsrichtung übereinzustimmen braucht. In der Einstein­schen Theorie ist das nicht nötig. In jedem Inertialsystem S fällt die Richtung des Strahles, d. h. des Energietransportes, mit der Senkrech­ten auf den Wellenebenen zusammen, trotzdem ergibt sich die Aberra­tion in derselben einfamen Weise wie der Dopplersme Effekt und die Fresnelsche Mitführungszahl aus dem Begriff der Welle mit Hilfe der Lorentz-Transformation.

Diese Ableitung der Grundgesetze der Optik bewegter Körper zeigt die überlegenheit der Einsteinschen Relativitätstheorie gegenübl':.r allen anderen Theorien auf das smlagendste.

11. Minkowskis absolute Welt

Das Wesen der neuen Kinematik besteht in der Untrennbarkeit von Raum und Zeit. Die Welt ist eine vierdimensionale Mannigfaltig­keit, ihr Element ist der Weltpunkt. Raum und Zeit sind Formen der Anordnung der Weltpunkte, und diese Ordnung ist bis zu gewissem Grad mit Willkür behaftet. MINKOWSKI hat diese Anschauung in die Worte gefaßt: "Von Stund an sollen Raum und Zeit für sim völlig zu Schatten herabsinken und nur nom eine Art Union der bei den soll Selbständigkeit bewahren." Und er hat diesen Gedanken konsequent durchgeführt, indem er die Kinematik als vierdimensionale Geometrie entwickelte. Wir haben uns seiner Darstellung durmweg bedient, wo­bei wir nur zur Vereinfachung die y- und z-Amsen fortließen und in der xt-Ebene operierten. Werfen wir nun noch einen Blick vom mathe­matischen Standpunkt auf die Geometrie in der xt-Ebene, so erkennen wir, daß es sich nimt um die gewöhnliche Euklidische Geometrie han­delt. Denn bei dieser sind alle vom Nullpunkt ausgehenden Geraden gleichberechtigt, die Längeneinheit auf ihnen ist dieselbe, die Eimkurve also ein Kreis (Abb. 133). In der xt-Ebene aber sind die raumartigen

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Minkowskis absolute Welt 263

und zeitartigen Geraden nicht gleichwertig, auf jeder gilt eme andere Längeneinheit, die Eichkurve besteht aus den Hyperbeln

F = x2_c2t 2 = ± 1.

Inder Euklidischen Ebene kann man unendlich viele recht­winklige Koordinatensysteme mit demselben Nullpunkte 0 konstru-

~ y' y

Abb. 133 . Die Grundinv ariante der Euklidischen Geometrie

ieren, die durch Drehung auseinander hervorgehen. In der xt-Ebene gibt es ebenfalls unendlich viele gleichberechtigte Koordinatensysteme, bei denen die eine Achse innerhalb eines Winkelgebietes willkürlich ge­wählt werden kann.

In der Euklidischen Geometrie ist die Entfernung 5 eines Punktes P mit den Koordinaten x, y vom Nullpunkt eine Invariante gegen Drehungen des Koordinatensystems (siehe III, 7, (28)). Nach dem Pythagoräischen Lehrsatz wird 5 durch die Formel (Abb. 135)

S2 = x2 + y2

dargestellt, und zwar in jedem System, d. h. es ist für ein x' y' -System S2 = x' 2 + y' 2. Die Eichkurve ist durch s = 1 dargestellt. s oder S2 kann als Grztndinvariante der Euklidischen Geometrie betrachtet werden.

In der x t-Ebene ist die Grundinvariante

die Eichkurve ist F = ± 1. MINKOWSKI bemerkte nun, daß hier eine Parallelität zum Vorschein

kommt, die auf die mathematische Struktur der vierdimensionalen Welt (bzw. der x t-Ebene) ein helles Licht wirft. Setzt man nämlich - c2 t2 0= u 2 , so wird offenbar

F = x 2 +1{2 = 52

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264 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip

und läßt sich als Grundinvariante S2 einer Euklidischen Geometrie mit den rechtwinkligen Koordinaten x, u auffassen.

Allerdings kann man aus der negativen Größe -c2t2 im Bereich der gewöhnlichen Zahlen keine Quadratwurzel ziehen, u selbst hat keine elementare Bedeutung. Aber die Mathematik ist längst gewohnt, solche Schwierigkeiten mit kühnem Schwung zu überwinden. Die "imaginäre" Größe 1I=f=i hat seit GAUSS Bürgerrecht im mathema­tischen Reich. Wir können hier auf die strenge Begründung der Lehre von den imaginären Zahlen nicht eingehen. Sie sind im Grunde nicht "imaginärer", als eine gebrochene Zahl wie 2/3, denn Zahlen, "mit denen man zählt", sind doch eigentlich nur die natürlichen, ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4 ... 2 läßt sich nicht durch 3 teilen; 2/3 ist also ebenso­gut eine nicht ausführbare Operation wie 11 -1. Die Brüche wie 2/3 bedeuten eine Erweiterung des natürlichen Zahlbegriffs, die durch die Schule und die Gewohnheit jedem geläufig und unanstößig ist. Eine ähnliche Erweiterung des Zahlbegriffs sind die imaginären Zahlen, jedem Mathematiker ebenso gewohnt und geläufig, wie die Bruch­rechnung. Alle Formeln, die imaginäre Zahlen enthalten, besitzen eine ebenso scharfe Bedeutung, wie die aus gewöhnlichen, "reellen" Zahlen gebildeten, und die aus ihnen gezogenen Folgerungen sind ebenso zwingend.

Bedienen wir uns hier des Symbols R = i, so können wir schreiben:

u = i c t.

Die nicht-euklidische Geometrie der xt-Ebene ist also formal mit der euklidischen Geometrie in der xu-Ebene identisch, wobei nur reellen Zeiten t imaginäre u-Werte entsprechen.

Dieser Satz ist nun für die mathematische Behandlung der Relativi­tätstheorie von unschätzbarem Vorteil. Denn bei zahlreichen Opera­tionen und Rechnungen kommt es nicht auf die Realität der betrach­teten Größen an, sondern nur auf die zwischen ihnen bestehenden algebraischen Beziehungen, die für imaginäre Zahlen ebenso gelten wie für reelle. Man kann daher die aus der euklidischen Geometrie bekann­ten Gesetze auf die vierdimensionale Welt übertragen. MINKOWSKJ

ersetzt

x y z ict durch

x y z u

und operiert dann mit diesen 4 Koordinaten in völlig symmetrischer Weise. Die Grundinvariante wird dann offenbar

F =S2 =x2+ y2+ Z2+ u 2 •

Die Sonderstellung der Zeit verschwindet dadurch aus allen Formeln, was die Bequemlichkeit und übersichtlichkeit der Rechnungen sehr er-

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Minkowskis absolute Welt 265

höht. Im Schluß resultat muß man dann wieder u durch i c t ersetzen, wobei nur solche Gleichungen physikalischen Sinn behalten, die aus­schließlich mit reellen Zahlen gebildet sind.

In der xt-Ebene ist jedoch offenbar die Zeit t mit der Längen­dimension x keineswegs vertauschbar. Die Lichtlinien X und Y schei­den als unüberwindbare Schranken die zeitartigen von den raumartigen Weltlinien. MINKOWSKIS Transformation u = i c t ist also nur als mathe­matischer Kunstgriff zu werten, der gewisse formale Analogien zwischen den Raumkoordinaten und der Zeit ins rechte Licht setzt, ohne doch eine Verwechslung zwischen ihnen zuzulassen.

Wir werden in Zukunft für die Größe

s =}lF = }lx2+ y2 +Z2 +u2 = }lx2 + y2+ Z2_ c2 t2

die Bezeichnung "vierdimensionale Entfernung" gebrauchen, wobei wir uns bewußt bleiben müssen, daß das Wort in übertragenem Sinne ver­standen wird. Der eigentliche Sinn der Größe s ist nach unsern früheren Erörterungen über die Invariante F leicht zu verstehen. Beschränken wir uns auf die x t-Ebene, so wird

s = yI = Y x 2 + u2 = Y x2 _ c2 t2: Nun ist für jede raumartige Weltlinie F positiv, also s als Quadrat­wurzel aus einer positiven Zahl eine reelle Größe; man kann dann den Weltpunkt x, t mit dem Nullpunkt durch Wahl eines geeigneten Bezugs­systems S gleichzeitig machen. Dann ist t=O, also s= yx2 =x der räumliche Abstand des WeItpunktes vom Nullpunkt.

Für jede zeitartige Weltlinie ist F negativ, also s imaginär; dann gibt es ein Koordinatensystem, in dem x = 0, also s = }I- c2 t2 = i c t ist. In jedem Fall hat also s eine einfache Bedeutung und ist als meßbare Größe zu betrachten.

Wir schließen damit die Darstellung der speziellen Einsteinschen Relativitätstheorie ab. Ihr Ergebnis können wir etwa so zusammen­fassen:

Nicht nur die Gesetze der Mechanik, sondern die aller Naturvor­gänge, besonders die elektromagnetischen Erscheinungen, lauten voll­kommen identisch in unendlich vielen, relativ zueinander gleichförmig geradlinig bewegten Bezugssystemen, die man Inertialsysteme nennt. Wenn man in jedem dieser Systeme Längen und Zeiten mit physi­kalisch gleichen Maßstäben und Uhren mißt, ergibt sich für eine be­stimmte Länge oder Zeit in jedem System ein anderes Meßergebnis, aber diese Maße sind durch die Lorentz-Transformationen miteinander verknüpft.

Bezugssysteme, die sich relativ zu den Inertialsystemen beschleunigt bewegen, sind, genau wie in der Mechanik, mit den Inertialsystemen nicht gleichwertig. Bezieht man die Naturgesetze auf solche beschleunig­ten Systeme, so lauten sie anders. In der Mechanik treten Fliehkräfte

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266 Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins

auf, in der Elektrodynamik analoge Wirkungen, deren Studium uns zu weit führen würde. EINSTEINS spezielle Relativitätstheorie be­seitigt also nicht den Newtonsehen absoluten Raum in dem eingeschränk­ten Sinn, den wir diesem Wort früher (IH, 6, S. 59) gegeben haben. Sie stellt gewissermaßen nur für die ganze Physik einschließlich der Elektrodynamik denjenigen Zustand her, den d ie Mechanik seit NEWTON hatte. Die tiefen Fragen des absoluten Raumes, die uns dort beunruhig­ten, sind also noch immer nicht gelöst.

Wir werden jetzt sehen, wie EINSTEIN sie bewältigt hat.

VII. Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins

1. Relativität bei beliebigen Bewegungen

Bei der Erörterung der klassischen Mechanik haben wir ausführ­lich die Gründe besprochen, die NEWTON zur Aufstellung der Begriffe

I I I I

~

Abb. 134. Zw ei ur­s pr ü n ~ 1 ich ku~el fö r­mi gc, flü ssi ge Kö rper SI und 5, . die sich rd ativ zueinander

des absoluten Raumes und der absoluten Zeit geführt haben; wir haben aber auch sogleich die Einwände hervorgehoben, die man vom Standpunkt der Er­kenntniskritik gegen diese Begriffsbildungen vorbrin­gen kann .

NEWTON stützt die Annahme des absoluten Rau­mes auf die Existenz der Trägheitswiderstände und Fliehkräfte. Diese können augenscheinlich nicht auf Wechselwirkungen von Körper zu Körper beruhen, weil sie im ganzen Universum, soweit die Beobachtung reicht, unabhängig von der lokalen Verteilung der Massen in der gleichen Weise auftreten. Daher schließt NF.WTON, daß sie von den absoluten Beschleunigun­gen abhängen. Damit wird der absolute Raum als fiktive Ursache physikalischer Erscheinungen einge­führt .

Das Unbefriedigende dieser Theorie erkennt man aus folgendem Beispiel:

Im Weltenraum mögen zwei flüssige Körper SI und S2 von gleicher Substanz und Größe vorhanden sein, in solcher Entfernung, daß die gewöhnlichen Gravitationswirkungen des einen auf den anderen un-

um c i ne g eme ins ame kl h d bb d d 11 Achse dreh en mer ic gering sin (A .134). Je er er Körper so

unter der Wirkung der Gravitation seiner Teile auf­einander und der übrigen physikalischen Kräfte im Gleichgewicht sein, so daß keine relativen Bewegungen seiner Teile gegenein:lnder statt­finden. Aber die bei den Körper sollen um die Verbindungslin ie ihrer


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