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Die magischen Spiegel

Date post: 03-Jan-2017
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Expose-Redaktion: H. G. Ewers Band 59 der Fernseh-Serie Raumpatrouille HARVEY PATTON

Die magischen Spiegel Während die Menschheit weiterhin im Schatten der Bedrohung durch die Hinterlassenschaften und der Furcht vor der Entdeckung durch die Erben des Rudraja lebt, warf die Regierung des Kolonialplaneten Aureola ein Netz aus Verleumdung und Verketzerung der irdischen Menschheit über die anderen von Menschen bewohnten Planeten der 900-Parsek-Raumkugel. Die kämpfe-rischen und stolzen Aureolaner, die sich erfolgreich gegen die extremen Um-weltbedingungen ihres Planeten behaupteten, wollen alle von Menschen be-wohnten Planeten in einem von ihnen regierten Imperium vereinen. Unter diesen Umständen diente ihnen der Killersatellit, der aus unbekannten Gründen aus der Vergangenheit in die Gegenwart kam, als willkommener Anlaß, ihre Hetze gegen die Regierung der Erde zu verstärken. Sie stellten das uralte Werkzeug des Rudraja, das die Bevölkerung des Planeten Laguna mit brutalen Mitteln versklavte, als Werkzeug der Erde hin. Cliff McLane und seine Crew sahen sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Lagunaer von der Schreckensherrschaft des Killersatelliten zu befreien und gleichzeitig den Menschen aller Kolonialwelten klarzumachen, daß die Menschen der Erde nichts mit diesem Werkzeug des Grauens zu tun haben. Sie kamen nicht umhin, vorübergehend mit den Aureolanern zusammenzuarbeiten, denn gegen die Gefahr eines Bruderkriegs ließ sich nur mit den Waffen des Geistes kämpfen. Aber auch der Killersatellit ließ sich nur mit den Waffen des Geistes besie-gen, denn er war allen Raumschiffen der Menschen haushoch überlegen. Eine List Cliff McLanes veranlaßte ihn schließlich, seine Gegner hereinzulas-sen. Doch da schlägt das Pendel der Zeit für den Killersatelliten erneut in Richtung Vergangenheit aus - und er nimmt jene Aureolaner mit sich, die ihn als Waffe in ihrem Krieg benutzen wollen. Der Killersatellit ist - wahrscheinlich für immer - verschwunden. Doch schon taucht eine neue unheimliche Gefahr auf, DIE MAGISCHEN SPIEGEL ...

Die Hauptpersonen des Romans:

Marak Ajdon - Kapitän eines Forschungsschiffs. Kanija Korosso - Ein Reporter Cliff McLane - Der Kommandant der ORION als Retter in der Not. Helga, Arlene, Atan, Hasso und Mario - Cliffs Begleiter und Mitstreiter. Wilkor - Ein Gaithorer.

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1. „Achtung: Rücksturz aus dem Hy-

perraum erfolgt in exakt drei Minuten!" klang eine Lautsprecherstimme auf. Gleichzeitig wurde das Ticken intensiver, das der Autopilot von sich gab. Die Bildschirme zeigten noch jene wesenlose Schwärze ohne den geringsten Lichtpunkt, die das Charakteristikum der übergeordneten Dimension war, in der sich das Schiff befand.

Zögernd, mit sichtlichem Wider-willen, löste sich Raumkapitän Marak Ajdon aus seiner Erstarrung. Er mußte erst sekundenlang darüber nachdenken, was nun zu tun war. Dann fiel seine Rechte auf einen rot markierten Knopf, und in allen Räumen des Schiffes klangen die Summer auf. Sie riefen die technische Besatzung auf die Manöver-stationen.

Die betreffenden Männer befolgten diese Aufforderung zwar, aber lustlos und mit merklicher Verzögerung. Es gelang ihnen nur schwer, sich von den schimmernden Flächen der schwarzen Spiegel loszureißen, die sie in den Händen hielten oder vor sich befestigt hatten. Als sie dann ihre Positionen einnahmen und mit den gewohnten Tätigkeiten begannen, geschah das wie in Trance.

Keiner sprach auch nur ein Wort mehr als nötig, und auch das war ausgesprochen seltsam. Normalerweise freuten sich die Männer darauf, endlich wieder heimzukehren. Jeder malte sich, je nach Familienstand, die Ankunft und den Empfang zu Hause mehr oder weniger phantasievoll aus. Diesmal war jedoch alles anders, obwohl dies der längste Flug gewesen war, den sie hinter sich gebracht hatten.

Die KAMBORA war ihrer Haupt-aufgabe nach ein Forschungsschiff. Sie war lange Wochen unterwegs gewesen,

denn sie hatte den offenen Sternhaufen NGC 188 aufgesucht, rund siebentau-send Lichtjahre von der Erde entfernt. Nun trennten sie nur noch wenige Stunden von der Rückkehr zu ihrer Basis auf Makoma. Dies war der zweite Planet der Sonne Sadir, Fachbezeich-nung Gararaa Cygnus, im Sternbild Schwan. Eine Welt, etwas kleiner als die Erde, die Schwerkraft am Äquator betrug nur 0,79g. Sie war relativ trocken, die seichten Ozeane machten nur etwa die Hälfte der Oberfläche aus. Dem entsprach auch der Zustand ihrer Kontinente, die größtenteils aus Step-penland bestanden.

Doch gerade das hatte die Kolonisten einst angezogen. Sie stammten durch-weg aus Afrika, aus dem Gebiet der Massaistämme in Tanganjika und Kenia. Ein großer Teil dieser schwarz-häutigen Menschen hatte die Erde verlassen, als dort die Technisierung immer weiter um sich griff. Sie wollten das einfache Leben ihrer Vorfahren leben, nicht in Städten eingeengt, sondern als freie Hirten und Nomaden.

Die terranischen Behörden leisteten ihnen großzügige Hilfe, und so gelang dieses Vorhaben auch. Bald schon grasten auf den riesigen Steppen gewaltige Rinderherden, der Export von Fleisch zur Erde und anderen Welten blühte. Mit ihm auch der Wohlstand der Siedler.

Wer aber genug Geld besitzt, will es auch ausgeben können, um etwas davon zu haben. Das war jedoch den Hirten, die wie ihre Vorväter nomadisierend umherzogen, kaum möglich. So leitete sich schon in der zweiten Generation, fast unmerklich, ein allgemeiner Umschwung ein. Erste Städte wurden gegründet, erste Fabriken gebaut, um die steigenden Ansprüche befriedigen zu können. Die Alten sahen es stirnrunzelnd, aber die Jungen erlagen, wie üblich, bald dem Lockruf von

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leichterem Leben und noch mehr Wohlstand.

Die Steppen begannen zu veröden, die Zahl der Rinderherden nahm drastisch ab. Um einen Ausgleich für die schwindenden Exporte zu schaffen, wurden Techniker von der Erde herangeholt. Immer neue Fabriken entstanden, vor allem Anlagen für die Produktion von Computern und anderen elektronischen Artikeln. Sie fanden auf anderen Kolonialwelten reißenden Absatz, und so war diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.

Als die dritte Generation herange-wachsen war, hatten sich die Ver-hältnisse auf Makoma vollkommen gewandelt. Die Herden verwilderten, weil niemand mehr da war, um sie zu betreuen. Die meisten Menschen lebten im Gebiet von Arusa City auf dem Hauptkontinent, in deren Nachbarschaft es reiche Erzlager gab. Automatische Förderanlagen und Hüttenwerke waren entstanden und belieferten die Industriewerke. Selbst der Anbau der notwendigen Agrarprodukte war weitgehend automatisiert worden - man hatte im Endeffekt genau das Gegenteil von dem erreicht, was die ersten Kolonisten gewollt hatten.

Immerhin waren die Bewohner dieser Welt extrem friedliebend. Kluge Männer hatten zu verhindern gewußt, daß unnötiges Geld für Militär oder gar eine eigene Raumflotte verplempert wurde. Es gab nicht einmal eine richtige Polizei, weil die sonst üblichen Eigentumsdelikte entfielen. Alle Makomaner waren gleich wohlhabend, denn die Gewinne der Industrie wurden nach Art von Genossenschaften gleichmäßig aufgeteilt. So gesehen, waren die Verhältnisse auf Makoma fast ideal zu nennen.

Fast der gesamte Handel mit der Erde und den anderen Welten der Raumkugel wurde durch die großen interstellaren

Frachterlinien abgewickelt. Der einzige Luxus, den sich die Massaiabkömmlin-ge leisteten, waren einige Forschungs-raumer, die oft weit in noch unerforsch-te Gebiete der Milchstraße vorstießen. In ihren Besatzungen fanden sich jene Männer zusammen, deren Blut immer noch nach Abenteuern rief.

Einer dieser Raumer war die KAMBORA, die sich nun auf dem Rückflug nach Makoma befand. Sie hatte zwischen den etwa 150 Sonnen des NGC 188 einen Planeten ausfindig gemacht, der von einer intelligenten, menschenähnlichen Rasse bewohnt war. Von ihm stammten jene schwarzen Spiegel, deren seltsamer Einfluß nun die Besatzung in ihrem Bann hielt.

Nur Kapitän Mafak Ajdon war weniger stark davon betroffen als seine Untergebenen. Er war ein hochgewach-sener, schlanker Mann von 44 Jahren mit ebenholzfarbener Haut. Nachdem er sich einmal aus dem Bann seines Spiegels gelöst hatte, kehrte sein klares Denken wieder zurück. Er atmete wie erlöst auf, als die KAMBORA aus dem Hyperraum fiel und das Sadir-System auf den Bildschirmen erschien.

Mit mißtrauischem Blick beobachtete er den Piloten, der nun den Kurs nach Makoma einschlug. Er fand jedoch keinen Grund zu Beanstandungen. Die Miene des Mannes zeigte zwar noch immer den Ausdruck geistiger Abwesenheit, aber die Routine, die er sich auf vielen Flügen erworben hatte, ließ ihn trotzdem vorschriftsmäßig handeln.

Ajdon lehnte sich aufatmend zurück, und seine Gedanken gingen noch einmal den Weg zum NGC 188. Er bemühte sich, alles dort Erlebte in sein Gedächtnis zurückzurufen.

*

Von der Erde aus betrachtet, lag der

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offene Sternhaufen NGC 188 zwischen dem Polarstern und dem Sternbild Kepheus. Infolge der großen Entfernung konnte er nicht mit dem bloßen Auge wahrgenommen, sondern nur durch Teleskope beobachtet werden. Er bestand aus rund 150 Sonnen der Spektralklassen G8 bis K4, durchweg ältere Gestirne der sogenannten Population II.

Das war es, was ihn für die For-schungsteams von Makoma interessant machte. Die Folgerung, daß dort, auf den Planeten dieser Sonnen, viel früher intelligentes Leben entstanden sein mußte, lag auf der Hand. Man hatte deshalb die KAMBORA ausgeschickt, um in dieser Hinsicht Nachforschungen anzustellen. Je nach Lage der Dinge sollte sie versuchen, Kontakte zu dortigen fremden Rassen aufzunehmen.

Falls eine Verständigung mit ihnen möglich war.

Falls sie überhaupt kontaktfreudig waren.

Falls sie sich nicht als kriegerisch erwiesen.

Falls sich keine Nachteile für die Menschheit ergaben.

Der Katalog dieser und ähnlicher Vorbehalte, den man Marak Ajdon unterbreitet hatte, war ellenlang ge-wesen. Die vielen schlechten Erfah-rungen, die man früher mit Extra-terrestriern gemacht hatte, ließen ihn jedoch als angebracht erscheinen.

Raumkapitän Ajdon hatte sich strikt an diese Vorschriften gehalten. Er war fast übervorsichtig gewesen, kein System wurde ohne vorhergehende gründliche Erkundung durch die vielfältigen Ortungen besucht. Es hatte sich jedoch bald erwiesen, daß all diese Vorsicht überflüssig war. Nirgends waren fremde Raumschiffe festzustellen gewesen, nirgends zeigten energetische Emissionen das Vorhandensein hochentwickelter Zivilisationen an.

Zumindest nicht in jenem Randbezirk des Sternhaufens, den die KAMBORA durchforschte.

Alle vorhandenen Systeme zu untersuchen, wäre eine Lebensaufgabe für die Männer gewesen. Marak Ajdon mußte sich deshalb selbst ein Limit setzen. Er hatte sich dafür entschieden, etwa ein Dutzend Einzelsonnen anzufliegen. Sie standen relativ nahe beieinander, so daß die Reisezeit durch den Hyperraum nicht sehr ins Gewicht fiel. Die Erforschung der diversen Systeme dauerte erheblich länger.

Planeten gab es bei diesen zumeist großen Sonnen in Hülle und Fülle. Es zeigte sich aber, daß diese, gleich ihren Muttergestirnen, den Zenit ihrer Entwicklung längst weit überschritten hatten. Man war nur noch auf sechs Sauerstoffplaneten gestoßen, auf denen es überhaupt Leben gab.

Drei von ihnen waren von vornherein uninteressant gewesen. Ihre Meere waren ausgetrocknet, die Reste einer einst üppigen Fauna und Flora mehr als kümmerlich. Zwei weitere boten noch bessere Bedingungen, erwiesen sich aber ebenfalls als unergiebig. Falls es auf ihnen einmal intelligente Lebewe-sen mit einem hohen technischen und zivilisatorischen Standard gegeben hatte, mußten sie längst wieder ausgestorben sein. Man fand jedenfalls inmitten der ungeregelt wuchernden Vegetation nicht mehr den kleinsten Hinweis auf sie.

Daraufhin hatte sich Ajdon ent-schlossen, direkt bis in den Mittelpunkt des Sternhaufens vorzustoßen. Dort befand sich ein markanter Stern, die Riesensonne Fasom, etwa hundertmal heller als Sol. Zur Überraschung der Männer zeigte sich, daß sie entgegen den Erwartungen nur fünf Planeten besaß. Sonst hatte man bei Gestirnen vergleichbarer Größe bereits bis zu zwanzig Trabanten festgestellt.

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Doch ausgerechnet dieses System hatte es in sich.

Die Einordnung der fünf Welten bereitete keine große Mühe. Der äußere Planet war ein Gasriese vom Jupitertyp, die drei inneren heiß und vollkommen ausgetrocknet. Der vierte dagegen, von ungefährer Erdgröße, war eine Sauer-stoffwelt. Die KAMBORA flog ihn an und ging in einen Orbit, nachdem die Ortungsergebnisse negativ geblieben waren.

Wie überall zuvor, wurde auch hier eine gründliche Analyse über die kli-matischen und sonstigen Verhältnisse vorgenommen. Es gab sieben unter-schiedlich große Kontinente, die man kartographisch erfaßte. Sie trugen tierisches und pflanzliches Leben, aber keine Spuren irgendeiner Zivilisation.

Eine Überraschung erlebten die Männer jedoch, als sie zuletzt den schmalen offenen Landgürtel näher in Augenschein nahmen, der die Äquator-gegend zu drei Vierteln umspannte. Er war im Durchschnitt nur etwa neunzig Kilometer breit und zum größten Teil mit üppiger tropischer Vegetation bedeckt. Er war fast eben und wies keine Gebirge auf, nur wenige erloschene Vulkankegel, die aus dem Urwald ragten. Vor seinen Küsten lagen ausgedehnte Korallenbänke, die sich zwischen kleinen vorgelagerten Inseln erstreckten. Sie bildeten einen natür-lichen Schutz vor den Gezeiten, die durch die beiden Monde dieser Welt hervorgerufen wurden.

Die Männer in der Schiffszentrale waren nur noch mit halbem Herzen bei der Sache. Keiner von ihnen rechnete noch damit, hier etwas zu finden, das irgendwie von Belang war. Sie führten ihre Routinearbeiten durch und bereiteten sich innerlich schon auf die beabsichtigte Rückkehr nach Makoma vor.

Ein erregter Ausruf des Astrogators

riß die Männer urplötzlich aus ihrem Trott. Er hatte sich vorgebeugt und deutete auf den Sektorenbildschirm vor sich, auf dem ein Ausschnitt des Gürtelkontinents in starker Vergröße-rung zu sehen war.

„Da - sehen Sie doch nur, Kapitän! Dort unten gibt es ohne jeden Zweifel Ansiedlungen intelligenter Wesen!"

Der Kommandant wies seinen Piloten an, die KAMBORA abzubremsen, so daß sie über diesem Gebiet verblieb. Dann betrachtete er, zusammen mit den eilig herbeigerufenen Wissenschaftlern, das Bild auf dem Schirm.

„Tatsächlich!" stieß der Exobiologe Dr. Kangewe schon nach wenigen Sekunden aufgeregt aus. „Richtige Holzhäuser, zum Teil auf Pfählen, wie es sie früher auch auf Terra gegeben hat. Das ist eine echte Sensation!"

„Sagen wir: es ist bemerkenswert", schränkte Marak Ajdon ein. „Eine Sensation wäre erst dann gegeben, wenn es da unten eine Zivilisation und Technik gäbe, die der unseren gliche oder ihr sogar überlegen wäre."

Kangewe sah ihn fast beleidigt an. „Wir sind auf eine fremde Rasse

gestoßen, Kapitän - nur das allein zählt hier. Ihre Kopfzahl scheint recht erheblich zu sein, denn überall auf den Lichtungen stehen diese Holzhäuser. Die Übereinstimmung ihrer Bauweise mit der entsprechender Kulturen, die es früher auf der Erde gab, ist direkt frappierend. Ich behaupte sogar, daß die Wesen da unten ausgesprochen humanoid, wenn nicht sogar menschen-gleich sind."

Ajdon zuckte mit den Schultern. „Gut, Sie sind der Fachmann. Ich

gehe wohl nicht fehl, wenn ich an-nehme, daß Sie für eine Landung auf diesem Kontinent, und damit für eine Kontaktaufnahme mit den Einge-borenen sind?"

„Wozu sind wir schließlich hier?"

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fragte der Exobiologe spitz zurück. Der Kapitän hob beschwichtigend die Hände.

„Beruhigen Sie sich, Doc, ich habe ja gar nichts dagegen. Allerdings müssen wir erst noch weitere Daten sammeln, ehe wir handeln. Darüber dürfte wohl der Rest des Tages vergehen, da unten wird es in wenigen Stunden dunkel. Sorgen Sie dafür, daß alles Notwendige getan wird. Die KAMBORA bleibt solange hier im stationären Orbit, Morgen, nach Ablauf unserer Schlafpe-riode, sehen wir weiter."

*

Zwölf Stunden später setzte das Forschungsschiff zur Landung auf dem Gürtelkontinent an.

Inzwischen war vom Bordcomputer durch Extrapolation errechnet worden, daß es auf dieser Landmasse mindestens eine halbe Million von Eingeborenen gab. Wahrscheinlich waren es eher noch mehr, denn die Landschaft war unübersichtlich, so daß längst nicht alle Ansiedlungen auszumachen waren. Der Kontinent war jedoch ziemlich gleichmäßig besiedelt, und darauf stützten sowohl der Rechner als auch die Wissenschaftler ihre Annahmen.

Marak Ajdon hatte als Landeort eine große Lichtung ausgewählt, in deren Mitte sich eine Ansammlung von etwa dreihundert Häusern befand. Die KAMBORA sollte, um die Eingebore-nen nicht über Gebühr zu erschrecken, rund einen Kilometer entfernt, arn Rand des Urwalds niedergehen. Anschlie-ßend, dazu hatte Dr. Kangewe geraten, wollte man sich einige Stunden lang passiv verhalten. Dann erst sollte ein Kommando die Siedlung aufsuchen, um den ersten Kontaktversuch zu unter-nehmen.

Die Hauptaufgabe dabei würde Dr. Mukumba zufallen, dem Lingui-

stikspezialisten des Forschungsteams. Er war ein kleiner, rundlicher Mann mit Froschaugen und dicken Wulstlippen, aber ein wahres Phänomen auf sprachlichem Gebiet. Ihm genügten bereits wenige Brocken eines fremden Idioms zur Basisanalyse und eine halbe Stunde bis zu einer sinnvollen Verständigung. Die Voraussetzung dafür war eine gewisse Menschenähn-lichkeit der Eingeborenen, aber daran zweifelte jetzt niemand mehr.

Das Schiff landete auf einem Anti-gravkissen, weich und fast geräuschlos. Natürlich wurde die Bilderfassung sofort auf das Dorf der Fremden ausgerichtet, aber dort blieb es entgegen den Erwartungen vollkommen ruhig. Man sah keine rennenden Gestalten, die sich in abergläubischer Scheu vor dem silbernen Riesenvogel in Sicherheit zu bringen versuchten.

„Was meinen Sie? Sind die Einge-borenen zu dumm oder zu arglos, um die KAMBORA mit dem Begriff Ge-fahr in Beziehung zu bringen? Oder kann es sein, daß sie bereits Raum-schiffe kennen, weil sie schon früher Besuch anderer Intelligenzen hatten?" erkundigte sich Ajdon bei dem Exobiologen.

Dr. Kangewe wiegte unschlüssig den Kopf.

„Diese Frage läßt sich jetzt noch nicht definitiv beantworten, Kapitän. Solange wir nicht das geringste über diese Leute wissen, ist es praktisch unmöglich, aus ihrem Verhalten irgendwelche Schlüsse abzuleiten. Allerdings sollten sie sehr wohl imstande sein, die KAMBORA als ein Phänomen einzustufen, das so oder so ihre Beachtung verdient."

„Sehr aufschlußreich, Doc", spöttelte der Erste Offizier. „Wenn letzteres zutrifft, warum handeln sie dann aber nicht auch danach? Wir stehen jetzt bereits eine Viertelstunde hier, aber sie

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reagieren einfach nicht." „Unbewohnt ist das Dorf auf keinen

Fall", warf der Astrogator ein. „Ich erkenne einige Gestalten, die sich zwischen den Häusern bewegen."

„Ausschnittsvergrößerung, sofort!" befahl der Kapitän. Der Mann nickte und regulierte seine Instrumente neu ein. Gleich darauf erschienen einige der nächstgelegenen Häuser auf dem Sektorenbildschirm.

Ihr Anblick verriet dem erfahrenen Betrachter, daß die Eingeborenen nicht nur ein beachtliches handwerkliches Geschick, sondern auch einen ausgeprägten Schönheitssinn besaßen. Die meist zweigeschossigen Gebäude waren keine primitiv zusammen-gebastelten Blockhütten, wie es zuerst der Anschein gewesen war. Sie waren aus sorgfältig behauenen und geglätte-ten Stämmen und Brettern errichtet, die mit kunstvollen farbigen Verzierungen versehen waren. Es gab darin richtige Türen sowie große rechteckige Fenster, in deren Offnungen feinmaschige Netze aus Pflanzenfasern gespannt waren.

Das alles registrierten die Beobachter jedoch nur nebenbei. Ihr Hauptaugen-merk galt den fremden Wesen, die sich zwischen den Häusern bewegten, und der Exobiologe stieß bei ihrem Anblick geräuschvoll die Luft aus.

„Ich hatte also recht, Kapitän", sagte er triumphierend. „Diese Leute sind nicht nur humanoid, sondern so weitgehend menschenähnlich, daß sie auch von einem unserer Planeten in der Raumkugel stammen könnten. Wären sie anders gekleidet, würden sie im Gebiet der Südsee oder Vorderindien kaum Aufsehen erregen."

Die anderen mußten ihm recht geben. Die Eingeborenen waren große und kräftige Gestalten, die Männer im Durchschnitt etwa 180 Zentimeter groß, die Frauen etwas kleiner. Ihre Haut war bronzefarben, das lang oder halblang

getragene Haar schwarz. Ihre Kleidung bestand aus hemdähnlichen Gewändern, knielang und mit kurzen Ärmeln. Sie war offenbar aus Pflanzenfasern gewebt, die durch sorgfältige Bearbei-tung geschmeidig gemacht worden waren. Exotisch anmutende bunte Muster zeugten auch hier vom Schönheitssinn der Fremden.

„Sie haben uns längst bemerkt", stellte Dr. Mukumba fest. „Sie sehen immer wieder zum Schiff herüber, können sich aber anscheinend nicht dazu entschließen, etwas zu unter-nehmen. Offenbar erwarten sie, daß wir als die Besucher dieser Welt die Initiative ergreifen."

Marak Ajdon nickte. „Gut, das können sie haben. Erster, sorgen Sie dafür, daß zwei unserer Bodenfahrzeuge ausgeschleust werden. Ich werde das Kontakterteam selbst anführen, Kangewe und Mukumba kommen natürlich gleichfalls mit. Außerdem sieben weitere Männer, die Auswahl überlasse ich Ihnen. Waffen werden vorsichtshalber mitgenommen, sollen aber nicht offen getragen werden. Ich möchte alles vermeiden, was einen schlechten Eindruck auf diese Leute machen könnte."

Dr. Kangewe hob die Hand. „Wenn mich nicht alles täuscht, ha-

ben wir einen ausgesprochen gast-freundlichen Empfang zu erwarten, Kapitän. Wir sollten uns darauf vor-bereiten, ihn entsprechend zu erwidern. Ich denke da an Geschenke. Irgendwel-che Gebrauchsgegenstände, die wir entbehren können, möglichst nicht so kompliziert, daß die Eingeborenen nicht damit fertig werden."

Ajdon überlegte kurz und gab dann dem Ersten Offizier entsprechende Anweisungen. Ein Sortiment einfacher Werkzeuge wurde aus den Lagern der KAMBORA geholt, Messer, Beile und ähnliche Dinge. Außerdem ein Ballen

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von buntkariertem Stoff, der sonst zum Anfertigen von Bettbezügen diente, sich aber ohne weiteres auch zu Kleidung verarbeiten ließ. Die Hauptattraktion waren einige elektronische Feuerzeuge, deren Lebensdauer praktisch unbegrenzt war.

So ausgerüstet, brachen die zehn Männer in ihren Fahrzeugen eine halbe Stunde später zum Dorf der Eingebore-nen auf.

2. Zwei Wochen später befand sich der

Forschungsraumer immer noch auf Gaithor.

So nannten die bronzehäutigen Eingeborenen ihren Planeten. Sie selbst bezeichneten sich als Helo-Uminds, ein Begriff, der sich nicht in eine der menschlichen Sprachen übersetzen ließ. Ansonsten hatte sich die mündliche Verständigung mit den Planetariern als nicht sonderlich schwierig erwiesen.

Die beiden Fahrzeuge waren von sieben Männern empfangen worden, die so etwas wie einen Gemeinderat darstellten, während sich die übrigen Männer, Frauen und Kinder in achtungsvoller Entfernung hielten. Es hatte kein übermäßiges Erstaunen gegeben, als die Raumfahrer aus ihren Gefährten stiegen. Dr. Mukumba hatte sofort die Initiative ergriffen, und bereits nach kurzer Zeit war, unter Zuhilfenahme verschiedener Gesten, die erste Unterhaltung in Gang gekommen.

Alles Weitere entwickelte sich dann ganz von selbst.

Die Geschenke wurden überreicht, von den Helo-Uminds begutachtet und akzeptiert. Das erste Lächeln flog hin und her, dann erfolgte die Einladung an die Menschen. Ein Gastmahl war anscheinend schon vorbereitet worden, und die kunstvoll verzierten Tische

bogen sich fast unter der Last von Früchten, gebratenem Fleisch und gekochtem Fisch.

Der Bordarzt Dr. Nyerere hatte alles unauffällig mit einem Bio-Analysator bestrichen und dann für eßbar erklärt. Es war geradezu frappierend, wie sehr die Verhältnisse auf Gaithor denen auf den besiedelten Welten der irdischen Raumkugel glichen. Nur die Sitten wichen naturgemäß in einigen Punkten von den dort gebräuchlichen ab.

Das hatte sich gezeigt, als der Dorf-Vorsteher seinen Gästen gegen Abend, nach einer Besichtigung des Dorfes und einer anschließenden zweiten Mahlzeit, eine Anzahl gutgewachsener junger Mädchen zur Auswahl präsentierte.

Marak Ajdon hatte zuerst ablehnen wollen, aber Dr. Mukumba hatte ihn rasch umgestimmt. Er hatte ihm erklärt, daß die Zurückweisung einer Beleidi-gung der Helo-Uminds gleichgekom-men wäre. Daraufhin hatte der Kapitän nachgegeben, und das nicht ungern. Schließlich war die KAMBORA schon lange unterwegs, und an Bord gab es keine Frauen ...

Auch die restliche Besatzung war ins Dorf übersiedelt und genauso gast-freundlich aufgenommen worden. Bald konnten sich alle ausreichend mit den Eingeborenen verständigen. Ihre vokalreiche Sprache war nicht sonderlich kompliziert, und der Linguistiker brachte den Männern rasch ihre Grundbegriffe bei.

Natürlich nutzten die Wissenschaftler die Zeit dazu, alles über die Helo-Uminds herauszubringen, was zu erfahren war.

Die Bewohner von Gaithor waren freundlich, friedliebend und sehr gastfreundlich. Auch in den anderen Ansiedlungen war es genauso, das bewiesen die zahlreichen Besucher, die sich nach und nach eingefunden hatten. Es gab einen regen Tauschhandel

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zwischen den verschiedenen Orten. Ackerbau und Viehzucht waren so gut wie unbekannt. Die Eingeborenen lebten von den Früchten der Wälder, die es in reicher Vielfalt gab. Fleisch erbeutete man auf der Jagd, und die Küstenstämme betrieben Fischfang in den Küstengewässern. Sie besaßen große, seetüchtige Boote, mit Auslegern und riesigen Segeln, die zuweilen bis zu den etwa vierhundert Kilometer entfernten Nachbarkontinenten im Norden und Süden fuhren. Diese waren jedoch unbewohnt, und die Helo-Uminds hatten kein Interesse daran, sie zu besiedeln.

Das Klima war gleichmäßig mild, gefährliche Tiere gab es nur in den unwegsamen Regionen rings um die erloschenen Vulkane. Eis und Schnee waren vollkommen unbekannt, statt eines Winters gab es nur eine etwa zwei Monate dauernde Regenzeit. Es war eine Idylle wie aus einem Märchen-buch.

Allerdings sollte es nicht immer so gewesen sein. Uralte Legenden be-richteten, daß die Helo-Uminds einst ein Volk von großen Kämpfern ge-wesen seien, das viele siegreiche Kriege geführt habe. Sie enthielten allerdings so wenig Substanz, daß aus ihnen nicht einmal mehr hervorging, gegen wen diese Kriege gerichtet gewesen waren. Das alles lag unzählige Jahrtausende zurück, vom Nebel des Vergessens verhüllt. Jetzt besaßen die Eingeborenen nur noch Speere, Pfeil und Bogen, die allein zur Jagd benutzt wurden.

Dafür besaßen sie etwas anderes, das in keiner Weise in ihre bescheidene Kultur paßte: schwarze Spiegel.

Sie waren oval und jeweils 18 Zen-timeter hoch, ihre größte Breite betrug 13 Zentimeter. Die Spiegelflächen glänzten in sattem Schwarz, waren vollkommen eben und wirkten wie mit Lack überzogen. Sie besaßen eine

Einfassung aus einem unbekannten, glasähnlichen und dunkelgrünen Material, die nach unten hin in einen etwa handlangen Stielgriff auslief. Die Helo-Uminds nannten sie „magische Spiegel", ohne diesen Begriff aber näher zu erklären.

Für sie schienen es irgendwelche Kultgeräte zu sein. Dafür sprach die Tatsache, daß sie, einzeln oder in Gruppen, oft stundenlang unbeweglich dasaßen und auf die schwarzen Flächen starrten. Jeder Eingeborene besaß einen solchen Spiegel, aber es sollte so viele davon geben, daß auf jeden Gaithorer etwa hundert Stück kamen. Die überzähligen wurden in besonderen, nicht bewohnten „Speicherhütten" aufbewahrt, die nur von den Dorfvor-stehern betreten werden durften.

Für den Exobiologen stand fest, daß diese Geräte keinesfalls Erzeugnisse der Helo-Uminds waren. Er stellte vorsichtig Fragen nach ihrem Ursprung, erhielt aber nur unbefriedigende Antworten. Er erfuhr lediglich, daß die Spiegel von Wesen stammen sollten, die als Uminiden bezeichnet wurden, für die es jedoch keine Definition zu geben schien.

Alle Bemühungen, schwarze Spiegel durch Tausch oder auf eine andere Weise zu erwerben, scheiterten. Kein Eingeborener gab sie her, man gestattete den Menschen nicht einmal, sie richtig zu betrachten. Die Besatzung der KAMBORA legte allerdings auch keinen großen Wert darauf. Sie genoß die schönen Tage der ungetrübten Gastfreundschaft in vollen Zügen.

Natürlich konnte dieser paradiesische Zustand nicht von Dauer sein. Die Wissenschaftler vergaßen keinen Augenblick lang, was ihre eigentliche Aufgabe war. Sie sammelten eifrig Daten über Gaithor und seine Bewoh-ner, legten umfangreiche Memobänder an und belichteten unzählige Filmkas-

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setten. Als zwei Wochen vergangen waren, meldete sich der Leiter des Forschungsteams, Dr. Mosambo, bei Marak Ajdon.

„Ich meine, daß es langsam an der Zeit wäre, an die Rückkehr nach Ma-koma zu denken, Kapitän. Unsere wissenschaftliche Arbeit ist praktisch abgeschlossen, mehr können wir mit unseren Mitteln nicht herausfinden. Ich persönlich hätte nichts dagegen, noch einige Zeit hierzubleiben, aber die Behörde in Arusa City dürfte bereits ungeduldig auf uns warten."

Der Kommandant seufzte. „Leider ist es so, Doc. Was sein muß,

hat zu geschehen. Ich werde heute abend die gesamte Besatzung zusam-menrufen, um sie moralisch auf den Abflug vorzubereiten."

Der Start wurde schließlich für den Morgen des übernächsten Tages angesetzt.

*

Bereits am Vorabend befand sich die Mannschaft vollzählig an Bord. Es hatte eine große Abschiedszeremonie gegeben, ein letztes Festessen, und so manche Träne war aus dunklen Mädchenaugen geflossen. Vermutlich würde es aber kein Abschied für immer sein. Früher oder später würde die zuständige Behörde weitere Schiffe nach Gaithor entsenden, und die KAMBORA würde mit Sicherheit darunter sein. Diesen Trost konnte Marak Ajdon seinen Männern geben.

Als die Nacht hereinbrach, saß er mit dem Ersten Offizier und einigen Wissenschaftlern zusammen. Es wurden ausgesprochen sachliche Reden geführt und ein Fazit der Expedition gezogen. Es fiel im großen und ganzen sehr zufriedenstellend aus.

„Eines ärgert mich aber doch", sagte Dr. Kangewe schließlich. „Wir haben unsere Magazine soweit wie nur

möglich geplündert und dafür alles eingetauscht, was zu haben war. Schmuck und Keramiken, primitive Waffen und Holzschnitzereien und so manches mehr. Und doch fehlt noch etwas: Wir haben nicht einen einzigen schwarzen Spiegel an Bord."

Der Kapitän zuckte mit den Schul-tern.

„Ich fürchte, daß Sie sich damit ab-finden werden müssen, Doc. Schließlich besagen unsere eindeutigen Vorschrif-ten, daß wir nichts von fremden Intelligenzen nehmen dürfen, was uns nicht freiwillig gegeben wird. Die magischen Spiegel sind Kultgegenstän-de und damit für uns automatisch tabu."

„Das gilt aber doch wohl nur für jene, die von den Helo-Uminds benutzt werden", ereiferte sich der Exobiologe. „Es gibt aber noch Hunderttausende weiterer, die offenbar zu nichts nütze sind! Sie liegen seit undenklichen Zeiten in Hütten aufgestapelt, ohne daß sich jemand darum kümmert, und werden vermutlich auch in weiteren hundert Jahren so dort liegen. Es würde also gar nicht auffallen, wenn wir eine Anzahl davon an uns bringen."

„Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß wir sie stehlen sollen?" erkundigte sich Marak Ajdon mit hochgezogenen Brauen. Dr. Kangewe schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht, daß unter diesen Umständen ein so hartes Wort ange-bracht ist, Kapitän. Die Spiegel waren ein Geschenk der mysteriösen Uminiden, wer immer das auch sein mag. Dieses Geschenk wurde wohl angenommen, aber nur in sehr be-schränktem Rahmen genutzt. Die Eingeborenen wissen einfach nicht, was sie damit anfangen sollen, also sind die vielen überzähligen Exemplare gewissermaß en herrenloses Gut."

„So sehe ich es auch", stimmte ihm Dr. Mukumba zu. „Für uns könnten die

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Spiegel jedoch, falls sie wirklich magische Kräfte in irgendeiner Form besitzen, sehr interessant sein. Wir sind Wissenschaftler, Kapitän, also von Berufs wegen neugierig. Für uns stellt jedes ungelöste Rätsel eine Herausfor-derung dar."

„Früher oder später wird es ohnehin geschehen, daß wir den einen oder anderen Spiegel bekommen", ergänzte der Teamleiter. „Andere Schiffe werden Gaithor anfliegen, und dann wird mit Sicherheit jemand auf denselben Gedanken kommen wie Kangewe. Wir greifen diesen Leuten also nur vor, sonst nichts."

Ajdon gefiel diese Art des Vorgehens durchaus nicht, aber am Ende der Diskussion gab er doch nach. Im Schutz der Nacht begab sich ein halbes Dutzend Männer unter Führung des Exobiologen zum Dorf zurück. Die Helo-Uminds schliefen, niemand bemerkte sie, und die „Speicherhütte" lag abseits. Ihre Tür war nur durch ein Bastseil gesichert, das sich leicht entfernen ließ.

Im Schein ihrer abgeblendeten Lampen sahen die Raumfahrer mit gelinder Verblüffung, wie riesig die Zahl der hier aufbewahrten schwarzen Spiegel war. Fast die ganze Hütte war mit ihnen angefüllt, es mußten mehrere Zehntausend sein. Die Männer zögerten nicht, sondern füllten die mitgebrachten Plastikkisten bis zum Rand. Anschlie-ßend brachten sie das Seil wieder vor der Tür an und kehrten mit ihrer Beute zürn Schiff zurück.

Am nächsten Morgen startete die KAMBORA, und die Eingeborenen winkten ihr nach. Indessen hatten die Wissenschaftler bereits die Kisten geöffnet und gingen voller Eifer daran, die Spiegel zu untersuchen.

Sie kamen aber nicht einmal dazu, eine Analyse des harten Materials vorzunehmen, aus dem die Spiegel-

flächen bestanden. Es blieb naturgemäß nicht aus, daß sie in die Spiegel sahen, und im gleichen Moment ging eine seltsame Veränderung mit ihnen vor. Sie schienen in eine Art von Trance zu verfallen und vergaßen von einem Moment zum anderen ihr Vorhaben. Nur einfach dazusitzen und auf die glänzenden schwarzen Flächen zu starren, schien nun das einzig Wichtige in der Welt für sie zu sein.

Das Schiff befand sich bereits im Hyperflug, als dem Kapitän ihr langes Schweigen auffiel. Interkomanrufe wurden nicht beantwortet, und so schickte er den Ersten Offizier hinunter in den Laborraum. Der Mann kehrte zwar zurück, brachte aber einige Dutzend der schwarzen Spiegel mit, die er wortlos an die anderen Besatzungs-mitglieder verteilte. Auch bei ihnen genügte ein Blick, und sie verfielen in den Trancezustand.

Von diesem Augenblick an glich die Rückreise der KAMBORA einem gespenstischen Wachtraum. Die Männer wußten noch, was sie taten, aber sie taten es gleichgültig und me-chanisch, wie lebende Puppen. Hätte nicht der Autopilot das Schiff geführt, wäre es wohl kaum wieder nach Makoma zurückgelangt.

Auch Marak Ajdon war dem Bann eines der magischen Spiegel erlegen. Im Gegensatz zu den anderen gelang es ihm aber, sich zuweilen daraus zu befreien. Dann sorgte er dafür, daß der Grad der allgemeinen Vernachlässigung keine katastrophalen Ausmaße annahm. Lange hielten aber die „lichten Momente" auch bei ihm nicht vor. Sein Spiegel schien ständig zu rufen und ihn zu locken; erst, wenn er wieder hineinsehen konnte, war diese Sehnsucht gestillt.

So stand es um die Besatzung der KAMBORA, als sie nach langer Ab-wesenheit wieder den Heimatplaneten

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anflog.

*

Das Schiff landete auf dem Raum-hafen II Arusa, in der Nähe der Hauptstadt. Daß es dabei keine Komplikationen gab, war der Mann-schaft im Tower zu verdanken, die den Raumer in Fernsteuerung nahm. Die geistige Abwesenheit und die erheblich verringerte Reaktionsfähigkeit der Besatzung war den erfahrenen Männern nicht verborgen geblieben.

Sie meldeten ihre Beobachtungen an das Büro der staatlichen Raumreederei weiter, der einzigen, die es auf Makoma gab. Ihr Leiter nahm die Angelegenheit aber nicht sonderlich ernst. Er wußte, daß man bei Männern, die nach monatelanger Abwesenheit zurückka-men, nicht die üblichen Maßstäbe anlegen durfte. Deshalb beorderte er lediglich einige Fahrzeuge zum Schiff, die die Besatzung abholen und in ihre Quartiere bringen sollten.

Er tat das, was er für angemessen hielt, mehr nicht. Daß er sich später deswegen noch bittere Vorwürfe machen würde, konnte er nicht ahnen. So nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Auch die Ankunft auf der Heimat-welt führte keine wesentliche Änderung im Zustand der Besatzung der KAMBORA herbei. Die Männer wußten, daß sie wieder zu Hause waren, aber das berührte sie kaum. Allein die Routine diktierte ihre Handlungen, als sie die Schiffsaggregate stillegten und sich daranmachten, von Bord zu gehen. Sie nahmen ihre persönlichen Sachen mit, die Wissenschaftler die Kassetten mit den Filmen und Memobändern. Auch die Behälter mit den auf Gaithor eingetauschten Dingen wurden von Bord gebracht - als erstes jedoch die Ki-sten mit den magischen Spiegeln.

Niemand hatte sich die Mühe ge-

macht, sie wieder mit Deckeln zu versehen. Sie standen offen da, das Licht der Sonne brach sich in den Spiegeln und rief seltsam schillernde Reflexe hervor. Ein Fahrzeug des Wartungspersonals näherte sich dem Schiff, kurvte elegant ein und hielt neben der Ausstiegrampe an. Die sechs Techniker stiegen aus und gingen auf die teilnahmslos dastehende Besatzung zu.

Sie riefen ihr launige Begrüßungs-worte zu, erhielten jedoch keine Ant-wort. Der Anführer des Wartungsteams sah verwundert, daß die Männer unverwandt in seltsame Spiegel starrten, die aber nichts wiedergaben, weil ihre Flächen schwarz waren. Er redete Marak Ajdon an, aber der Kapitän reagierte nicht.

Der Teamleiter tippte sich mit einer bezeichnenden Geste an die Stirn. „Die Brüder spinnen, wie es scheint", bemerkte er halblaut zu seinen Untergebenen. „Raumfahrer waren ja schon immer besondere Vögel, aber denen da scheint die lange Reise besonders schlecht bekommen zu sein. Eine Art von Raumkoller, möchte ich sagen. Los, wir sehen mal nach, was sie mitgebracht haben. Vielleicht ist etwas dabei, das sich gut zu Geld machen läßt."

Die Techniker öffneten ungeniert die Behälter, in denen die geschnitzten Figuren, Keramiken und sonstigen Dinge verstaut waren. Leise Pfiffe der Bewunderung ertönten, und flinke Finger schoben kleinere Gegenstände rasch in die Werkzeugtaschen. Auch einige schwarze Spiegel verschwanden darin, ohne daß jemand von der KAMBORA-Besatzung Einspruch erhob.

„Aufhören!" rief der Teamleiter plötzlich. „Da kommen schon die Gleiter, um unsere seltsamen Freunde abzuholen. Los, auf ins Schiff, ehe

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jemand etwas merkt." Zufrieden grinsend eilten die Techni-

ker die Rampe hoch. Sie hatten im Laufe der Jahre genug gesehen, um den Wert der eben „organisierten" Dinge abschätzen zu können. Handarbeiten, die unverkennbar von einer Primitiv-welt stammten, standen überall und zu jeder Zeit hoch im Kurs.

Wenig später landeten vier große Gleiter neben dem Schiff. Ihre Luken wurden geöffnet, aber nur ein Mann stieg aus. Es war Narjo Malomba, der direkte Vorgesetzte aller Forschungs-teams von Makoma. Er lächelte erfreut, als er auf Marak Ajdon und die Wissenschaftler zuging, die bei seinem Anblick vorübergehend aus ihrer Versunkenheit erwachten.

„Willkommen daheim!" rief er aus und strahlte über das ganze kaffee-braune Gesicht. „Ihre Reise war von Erfolg gekrönt, das beweisen die Ki-sten, die Sie mitgebracht haben. Nein, sagen Sie nichts, ich lasse mich gern überraschen."

Er öffnete den Deckel der ersten Kiste, und ein fast ehrfürchtiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Er vertiefte sich noch, als er die Vielzahl der Gegenstände von Gaithor in den anderen Behältern sah. Den Kisten mit den schwarzen Spiegeln gönnte er dagegen nur einen kurzen Blick.

„Eine wahre Fundgrube an primitiver Kunst", sagte er schließlich. „So wunderbare Dinge habe ich lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Leider wird unser Institut aber nur einen kleinen Teil davon behalten können. Alles andere muß der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden, wird also zur Versteigerung freigegeben. Dafür fließt aber der Erlös an uns zurück, mit dem wir neue Forschungsexpeditionen finanzieren können. Vielleicht können Sie bald schon auf eine neue Reise

gehen, die noch bessere Ergebnisse bringt."

Marak Ajdon zwang sich dazu, einige passende Sätze zu sagen. Alles in ihm drängte danach, jeden Trubel zu vermeiden, um sich ungestört wieder der Betrachtung seines Spiegels hingeben zu können. Daran war aber vorerst kaum zu denken. Er mußte seinen Reisebericht abgeben, dann stand allen eine eingehende ärztliche Untersuchung bevor.

Trotzdem war auch eine gewisse Befriedigung in ihm.

Sie hatten schätzungsweise zwei-einhalb- bis dreitausend der schwarzen Spiegel nach Makoma gebracht. Fast alle würden zur Versteigerung gelangen und zweifellos hohe Preise erzielen. Sie würden in die Hände von Liebhabern gelangen und diesen würde nun die Wohltat zuteil werden, die magische Wirkung der Spiegel genießen zu können! Es war ein herrlicher Gedanke.

Narjo Malomba ahnte naturgemäß nichts von diesen Gedanken. Er wußte auch nicht, daß die Mannschaft der KAMBORA unter dem Einfluß der magischen Spiegel stand. Alle hatten diese in ihrem Gepäck verborgen, ganz automatisch und ohne jede Verabre-dung. Infolge seiner Begeisterung über die vielen Mitbringsel fiel ihm auch der seltsame Geisteszustand der Männer nicht auf.

Die Behälter wurden in einem Gleiter verstaut, die übrigen nahmen die Schiffsbesatzung auf. Dann starteten alle vier Maschinen zum Raumfahrt-zentrum. Während Ajdon und seine Männer das Medozentrum aufsuchten, begannen Malomba und seine Fachleute bereits mit der Sichtung der Gegenstän-de von Gaithor. Ein Sortiment davon wrurde in einen Raum gebracht, der bereits zahlreiche Artefakte von fremden Welten enthielt. Die übrigen landeten in der Versteigerungshalle.

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Irgendwie hatte es sich schnell herumgesprochen, daß die KAMBORA eine wertvolle Ladung mitgebracht hatte. So fanden sich bereits die ersten Interessenten ein, als die verschiedenen Dinge noch katalogisiert und wertmäßig abgeschätzt wurden. Als zwei Stunden später die Versteigerung begann, brodelte die Halle bereits von Männern und Frauen, die gewillt waren, eine Menge Geld für ihre Liebhaberei auszu-geben.

Die Auktion wurde, vom Standpunkt Narjo Malombas aus, ein voller Erfolg. Die relativ einfachen, aber kunstvoll angefertigten Figuren, Keramiken und Schnitzereien, der Schmuck und die Waffen fanden zuerst ihre Abnehmer. Sie trieben die Preise gegenseitig in die Höhe, und die Auktionatoren rieben sich die Hände.

Die schwarzen Spiegel hatten sie bis zuletzt zurückgehalten. Als sie dann damit herausrückten, erreichte die Begeisterung ihren Höhepunkt. Hunderte von Spiegeln fanden in-nerhalb von einer halben Stunde neue Besitzer. Die Preise dafür erreichten Rekordhöhen, für den Gegenwert bekam man sonst ein komplettes Gleiter-Antigravaggregat.

Nach zwei Stunden hatten die Sammler sich verausgabt, aber es waren immer noch weit über zweitausend Spiegel vorhanden.

Nun traten die professionellen Händler auf den Plan. Sie kauften die restlichen Gegenstände in Bausch und Bogen zu Pauschalpreisen, und bald darauf wurde es in der Versteigerungs-halle wieder still. Die Händler flogen nach Arusa City zurück und beeilten sich, ihre Ware in den Schaufenstern auszustellen.

Bald setzte auch hier der Run ein. Als der Abend hereinbrach, waren sämtliche schwarzen Spiegel abgesetzt, ohne daß jemand auch nur ahnte, was er sich mit

ihnen eingehandelt hatte.

3. Kanija Korosso erwachte nach einem

viel zu kurzen Schlaf, aus dem ihn das hartnäckige Summen der Weckanlage riß. Er war ein typischer Morgenmuffel, der ohne weiteres bis weit nach Mitternacht aufbleiben konnte. Dafür bereitete ihm frühes Aufstehen das größte Unbehagen.

An diesem Morgen fühlte er sich besonders unlustig.

Der Hauptgrund dafür lag, langbeinig und mit atemberaubenden Kurven, neben ihm auf dem breiten, schwellen-den Bett. Kerija war ein Mädchen, nach dem sich auf der Straße selbst Greise voller Bewunderung umdrehten. Sie war Computertechnikern! im Rechen-zentrum von Arusa City, und in ihrem Fach besonders tüchtig. Daneben war sie ein äußerst widerspruchsvoller Cha-rakter: manchmal überschäumend lustig, manchmal von tiefer Melan-cholie erfüllt. Manchmal gerade heraus und unkompliziert, zuweilen aber auch sprunghaft launisch. Bei ihr wußte Kanija am Mittag nie, wie sie am Abend sein würde.

In dieser Nacht war sie aber jeden-falls genauso gewesen, wie er es sich gewünscht hatte. Er warf dem Mädchen, das ruhig weiterschlief, noch einen bedauernden Blick zu. Dann erhob er sich, brachte den elektronischen Wecker mit einem Faustschlag zum Schweigen und machte einige Kniebeugen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Durch die Jalousien stahlen sich die ersten Strahlen der Morgensonne in schmalen Streifen ins Zimmer.

„Eine wahre Schande, so kurz nach Mitternacht aufstehen zu müssen ..." murmelte er vor sich hin. Langsam ging er hinaus in die Küche, schob einen

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Stapel schmutziges Geschirr zur Seite und programmierte die Kaffeemaschine. Dann begab er sich ins Bad, um eine Wechseldusche zu nehmen.

Kanija Korosso war ein hochge-wachsener, schlanker, aber doch muskulöser Mann von 36 Jahren. Sein ebenholzschwarzes Gesicht war gut geschnitten und gleichmäßig, wies aber auch Züge auf, die ihn klug und ehrgeizig erscheinen ließen. Tatsächlich besaß er diese beiden Eigenschaf ten auch in hohem Maße.

Korosso war Reporter bei der größten Zeitung von Arusa City, dem ARUSA SUPERSTAR. Kein beliebiger Reporter, sondern einer, der ein ausgesprochenes Gespür für unge-wöhnliche Ereignisse besaß. Aus die-sem Grund war er der erklärte Favorit des Chefredakteurs.

Das hatte diesen jedoch nicht davon abgehalten, Kanija für diesen Morgen zum Frühdienst einzuteilen, obwohl er seine einzige Schwäche kannte.

Nach zehn Minuten tauchte der Reporter wieder aus dem Badezimmer auf. Als Bekleidung wählte er eine leichte Hose, dazu ein buntes, kurzärmeliges Hemd und Sandalen, denn draußen war es auch jetzt schon sehr warm. Als er dann die Küche aufsuchte, war der Kaffee bereits fertig. Er trank zwei Tassen davon und aß ein Sandwich dazu, das vom Abend vorher übriggeblieben war.

Bis heute abend, schrieb er auf einen Zettel, den er unübersehbar auf dem Wohnzimmertisch deponierte. Wenigstens Kerija sollte ausschlafen können, ihr Dienst im Rechenzentrum begann erst am Mittag wieder. Geräuschlos verließ er seine Wohnung und begab sich auf das flache Dach des Wohnturms, auf dem sein Gleiter stand. Zehn Minuten später traf er, mit nur zwei Minuten Verspätung, im Gebäude des ARUSA SUPERSTAR ein.

Der Chefredakteur begrüßte ihn mit einem kurzen Nicken und schob ihm eine bedruckte Nachrichtenfolie zu.

„Hier, das ist eben erst aus dem Ticker gekommen. Ziemlich mysteriöse Sache. Lies es durch und sage mir dann, was du davon hältst."

Kanija Korosso setzte sich auf eine Schreibtischecke und begann zu lesen. Um ihn herum waren die vielfältigen Geräusche und die ständige hektische Unruhe der großen Redaktion.

„Nun?" forschte der Chefredakteur nach einer Weile ungeduldig. Korosso hob den Kopf und sah ihn aus schmalen Augen an.

„Wirklich sehr merkwürdig, das muß ich sagen. Sicher, hier in Arusa City passiert ständig etwas, aber diese Häufung von Zwischenfällen an einem Morgen ist beunruhigend. Was bringt acht Menschen fast gleichzeitig dazu, in verschiedenen Stadtteilen Amok zu laufen und mindestens dreißig Leute umzubringen?"

Der Chief lachte humorlos auf. „Genau das ist die Preisfrage, mein

Lieber. Leider haben wir keine Polizei, und die Zivilbehörden sind schwerfällig und in dieser Sache restlos überfordert. Falls es so weitergeht, wird man sich vermutlich entschließen, die Notfallmi-liz einzuberufen, aber bis dahin kann noch viel passieren. Doch die Sorgen der Stadtverwaltung sind nicht die un-seren. Was da geschieht, ist nicht sehr schön, gibt aber dicke Schlagzeilen für uns. Schön wäre es, wenn wir einen kompetenten Augenzeugen hätten, der einen solchen Amoklauf aus der Nähe mit erlebt und, wenn möglich, auch noch filmen kann."

Kanija Korosso seufzte und warf die Folie auf den Schreibtisch. „Mit anderen Worten: Ich soll mich schleunigst auf die Socken machen und zusehen, daß mir das gelingt Wie stellst du dir das eigentlich vor? Meinst du, die

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betreffenden Leute würden mir zu Gefallen gerade dann loslegen, wenn ich in der Nähe bin?"

„Warum nicht?" sagte der Chefre-dakteur. „Schließlich bist du doch der Mann, der die Sensationen wittert. Wenn es einer schafft, dann kannst nur du es sein."

Korosso sah anklagend zur Decke empor.

„Und das am frühen Morgen, kaum daß ich halbwegs wach geworden bin! Was ist, wenn ich erfolglos bleibe?"

Sein Vorgesetzter zuckte mit den Schultern.

„Ich werde jedenfalls der letzte sein, der dir das anlastet, Kanija. Schwirre jetzt trotzdem los und sieh zu, ob du etwas auf die Beine bringen kannst. Vielleicht ist hier etwas im Gange, dessen Tragweite gar nicht abgesehen ist; eine Amokepidemie oder etwas Ähnliches, zuweilen passieren solche Dinge, entgegen aller Wahrscheinlich-keit."

Der Reporter nickte und erhob sich. Schweigend begab er sich in sein kleines Büro und holte seine Ausrüs-tung hervor, eine hochwertige elektronische Kamera und einen Hochleistungsrecorder. Drei Minuten später saß er wieder in seinem Fahrzeug und lenkte es mitten ins Zentrum von Arusa City.

Er war noch unterwegs, als bereits neue Katastrophenmeldungen aus seinem Funkgerät kamen.

Vier weitere Amokläufer waren aufgetaucht, hatten wahllos um sich geschossen und neunzehn weitere Menschen getötet. Außerdem wurden vierundzwanzig Selbstmorde gemeldet, die zum Teil auf spektakuläre Weise begangen worden waren. Ein eiskaltes Frösteln überlief Kanija Korosso. Was an diesem Morgen geschah, überstieg das Maß des Wahrscheinlichen bei weitem, das war ihm klar.

Unklar blieb jedoch weiterhin, warum es sich ereignete. Bis jetzt waren, soweit bekanntgeworden, zwölf Menschen in wilde, blutrünstige Raserei geraten. Sie hatten etwa fünfzig Unbeteiligte umgebracht, und weitere vierundzwanzig Leute hatten ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt. Daß es hier irgendwelche Zusammenhänge gab, daran konnte kein Zweifel mehr bestehen. Doch worin bestanden sie, welches war der auslösende Faktor?

Grassierte eine unbekannte Seuche auf Makoma, die die Menschen unzurechnungsfähig machte und wie Berserker wüten ließ ?

Korosso preßte die Lippen zusam-men, ließ der Gleiter in eine Lande-schneise einschwenken und brachte ihn am Rand eines Parkplatzes zu Boden. Dann aktivierte er das energetische Prallfeld und steuerte das Gefährt auf die Straße hinaus. Er blieb auf der äußeren rechten Fahrspur, die norma-lerweise kaum benutzt wurde, denn auch in Arusa City hatten es die meisten Menschen eilig. Er schaltete auf Automatsteuerung und ließ das Fahrzeug im Schrittempo dahinzockeln.

Er öffnete das rechte Seitenfenster, lehnte sich halb hinaus und musterte die Passanten auf dem breiten Gehsteig. So machte er den Eindruck eines jungen Mannes, der auf der Suche nach einem Abenteuer war. Mancher Blick aus feurigen Mädchenaugen streifte ihn, aber er lächelte nur neutral zurück. Innerlich blieb er angespannt und bereit, sofort zu reagieren, sobald etwas Un-gewöhnliches geschah. Die Kamera ruhte griffbereit in seiner Rechten, der Recorder mit dem hochempfindlichen Richtmikrophon hing vor seiner Brust.

*

Eine Stunde später war er immer noch unterwegs.

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Er fuhr systematisch die Haupt-straßen ab, hinauf und hinunter. Hier war das Gebiet mit den meisten Geschäften, und entsprechend stark war der Fußgängerverkehr. An diesem Vormittag war jedoch nicht alles wie sonst, das merkte er an vielen kleinen Anzeichen. Die Leute gingen zwar ihren üblichen Geschäften nach, aber mit einer ungewohnten Eile. Viele waren sichtlich nervös und sahen sich immer wieder mit unsicheren Blicken um. Die blutigen Ereignisse waren also schon allgemein bekannt, und nun fürchtete jeder, daß sie auch ihn ereilen konnten.

Trotzdem erfolgte das, was dann plötzlich geschah, vollkommen über-raschend.

Kanija Korosso fuhr gerade an ei-iiem Parkplatz vorbei, der in eine Grünanlage eingebettet war. Dicht vor ihm ging ein Gleiter nieder, für seine Begriffe viel zu schnell, und setzte hart auf. Eine gutgekleidete ältere Dame verließ das Fahrzeug, und der Reporter entspannte sich wieder. Diese rundliche, gutmütig wirkende Frau war bestimmt harmlos.

Doch schon im nächsten Augenblick trat er hart auf die Bremse und duckte sich zusammen. Er hatte das verzerrte Gesicht der Matrone gesehen - es war eine wüste Fratze voll Wut und Haß! Er sah auch den kleinen Handstrahler, den sie aus ihrer Handtasche holte und mit dem sie wahllos auf die Menschen zu feuern begann, die auf den Parkbänken saßen oder sich zwischen den abge-stellten Fahrzeugen bewegten.

Augenblicklich war ringsum die Hölle los.

Die Menschen begannen, von pani-scher Furcht erfüllt, loszurennen. Doch der Feuerstrahl aus der Waffe war schneller als sie. Sekunden später wälzten sich Männer, Frauen und Kinder am Boden, gellende Schmer-

zensschreie zerrissen die Luft. Da-zwischen klang das kreischende Ge-lächter der Amokläuferin auf, die hüpfende Tanzschritte vollführte und immer noch weiter um sich schoß.

Sie achtete jedoch nicht auf die Straße, und Korosso nutzte das aus. Seine Hand mit der Kamera fuhr hoch, der Recorder begann zu surren. Kanija war zutiefst entsetzt und erschüttert, aber er kam trotzdem seiner Aufgabe als Reporter nach. Dies war vermutlich das erstemal, daß es gelang, einen authentischen Bericht über einen solchen Vorfall auf den Film zu bannen. Der Streifen war frei von Emotionen wie Schreck und Todesangst. Er würde ein weit besserer Zeuge des Geschehens sein als die schwer getroffenen öder zumindest geschockten Menschen.

Als es keine sich bewegenden Ziele mehr gab, begann die Frau, auf die nächsten Gleiter zu feuern. Plötzlich schrie sie aber schmerzerfüllt auf und schleuderte die Waffe von sich. Sie war so heiß geschossen, daß ihre Hand sie nicht mehr halten konnte. Für einen Moment stand die Todesschützin still da und sah wie erwachend um sich.

Doch schon im nächsten Moment verzerrten sich ihre Züge erneut. Hastig lief sie zu ihrem Gleiter zurück, warf sich hinein und startete die Maschine. Das Fahrzeug bockte zuerst, machte dann einen förmlichen Satz nach vorn und erhob sich in die Luft. Nun kamen von der Straße her Menschen angerannt, aber der Reporter beachtete sie nicht. Sollten sie sich um die Verwundeten oder Toten kümmern - er hatte Besseres zu tun.

Vielleicht gelang es ihm, die Frau einzuholen und zu stellen. Jetzt, da sie keine Waffe mehr besaß, war sie relativ ungefährlich. Wenn er sie überwältigen und in ein Hospital bringen konnte, würde es den Ärzten vielleicht möglich sein, etwas über diese „Amokseuche"

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herauszubekommen. Er startete gleichfalls seinen Gleiter

und folgte der davonrasenden Maschi-ne. Es wurde eine wilde Jagd, denn die Geistesgestörte mißachtete sämtliche Regeln und hielt sich nicht an die vorgeschriebenen Luftkorridore. Korossos Gleiter besaß jedoch stärkere Aggregate, so daß er ihr ohne Schwie-rigkeiten auf den Fersen bleiben konnte. Zwischendurch aktivierte er das Funkgerät und informierte den Chefredakteur in hastigen Sätzen über das Geschehen.

Er mußte sich mitten im Wort unterbrechen, denn das Fahrzeug vor ihm schoß plötzlich steil in die Tiefe. Es steuerte den Parkplatz hinter einem Wohnturm an, setzte schlitternd auf und rammte dabei einige andere Fahrzeuge. Dann sprang die Frau heraus und rannte auf den Hintereingang des Gebäudes zu.

Korosso verlor kostbare Zeit bei dem Versuch, seine Maschine einwandfrei zu landen. Das gelang ihm wohl, aber inzwischen war die Matrone bereits durch die Tür verschwunden. Hastig sprang er aus dem Gleiter und hetzte mit langen Sprüngen hinter ihr her.

Andere Menschen waren im Au-genblick nicht zu sehen, und auch der Korridor des Gebäudes war leer. Ka-nija sah gerade noch, wie die Amok-läufer in in einem Lift verschwand, der sich gleich darauf in Bewegung setzte; Es gab zwei weitere Aufzüge, aber keine ihrer Kabinen war unten. Rasch machte der Reporter kehrt und jagte auf die Nottreppe zu, die sich seitlich davon befand.

Er wußte, daß er den Wettlauf mit dem schnellen Lift unmöglich gewinnen konnte. Dafür mußte es ihm aber möglich sein, festzustellen, in welchem Stockwerk die Frau ihre Kabine verließ. Alles wies darauf hin, daß sie in diesem Gebäude wohnte, und wenn sie sich erst in ihrem Apartment befand, war sie so

gut wie gefangen. Die schmale Treppe schien kein Ende

zu nehmen. Kanija kam bald außer Atem, aber er gab nicht auf. Auf jedem Absatz sah er auf die Leuchtanzeige des Lifts, aber dieser bewegte sich immer noch weiter nach oben. Er hielt erst an, als das Dachgeschoß erreicht war, und plötzlich ahnte der Reporter voraus, was nun geschehen würde.

Er aktivierte seine letzten Kräfte und hetzte weiter nach oben. Als er jedoch mit pfeifenden Lungen das flache Dach erreichte, sah er sofort, daß er zu spät gekommen war. Die Frau schwang sich gerade über die Dachbrüstung und stürzte sich mit einem gellenden Schrei in die Tiefe ...

Kanija Korosso lehnte sich erschöpft an die Wand eines Lüftungsschachts. Er wartete ab, bis sich seine schmerzenden Lungen und sein wild hämmerndes Herz halbwegs beruhigt hatten. Dann ging er mit müden Schritten zum Aufzug hinüber und ließ sich von ihm zurück ins Erdgeschoß tragen.

Als er die Straße erreichte, sah er bereits den Menschenauflauf. Irgend jemand mußte bereits den Notruf betätigt haben, denn in der Ferne war schon die Sirene eines Unfallfahrzeugs zu hören. Er drängte die Gaffenden zur Seite und sah resigniert auf die Leiche, die innerhalb einer großen Blutlache auf dem Gehsteig lag. Ein letztes Mal betätigte er seine Kamera, dann wandte er sich wortlos ab, um seinen Gleiter aufzusuchen.

Auf halbem Wege stockte sein Schritt.

Irgend etwas hatte neben der Toten gelegen, ein Gegenstand, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Er hatte ausgesehen wie ein Handspiegel, der nach dem Sturz aus achtzig Meter Höhe natürlich zerschmettert war. Die Scherben waren jedoch schwarz gewesen - wie konnte das nur sein?

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Der Film würde die Einzelheiten zeigen, den Amoklauf, die Toten und Verletzten. Was bedeutete dem-gegenüber schon ein Spiegel, und wenn er noch so merkwürdig aussah ...

„Zurück zur Redaktion", murmelte der Mann. „Der Chef wird zufrieden sein, er hat ja auch nicht das miterlebt, was mir beschieden war."

4. Die Krankenschwester hieß Corinna.

Sie war hochbeinig und gut pro-portioniert, schien jedoch nicht viel auf ihr Äußeres zu geben. Ihr Gesicht war ebenmäßig, schien aber noch nie mit Kosmetika in Berührung gekommen zu sein, das aschblonde Haar war eng um den Kopf gelegt und lief am Hinterkopf in einen archaisch anmutenden Knoten aus. Sie war der personifizierte Ana-chronismus in einer Zeit, in der die Frauen weit mehr Wert auf Schön-heitspflege legten als je zuvor. Der Klang ihrer Stimme entsprach vollauf ihrem Mangel an weiblichem Charme.

„Stellen Sie sich da vor den Schirm", kommandierte sie kühl. „Etwas mehr nach rechts bitte - ja, so ist es gut. Und jetzt tief einatmen und die Luft anhalten, mindestens zehn Sekunden lang! Dabei nicht rühren, verstanden?"

„Verstanden", sagte Cliff McLane und tat, wie ihm geheißen wurde. Er kannte Corinna und ihre absolute Humorlosigkeit nun bereits zur Genüge. Ein Medocomputer konnte nicht trockener und kühler sein als sie. Er postierte sich, nur mit seiner Haut bekleidet, vor den Schirm, hielt die Luft an und zählte in Gedanken bis fünfzehn.

Die Schwester war zu einem Schalt-pult getreten und hantierte daran herum. Ein leises Surren erklang, als der Durchleuchtungsmechanismus seine Arbeit aufnahm. Im Hintergrund saß der

Stationsarzt vor einem anderen Gerät und betrachtete aufmerksam das Bild, das, für Cliff nicht sichtbar, darauf erschien. Ein Aufzeichnungsapparat lief mit und hielt es für die Kartei fest.

Die Prozedur war beendet, Cliff durfte seinen Bademantel wieder anziehen. Anschließend ging er zu dem Arzt hinüber, der ihm lächelnd entgegensah.

„Gratuliere, Commander, alles ist wieder in bester Ordnung. Sie haben sich wirklich sehr mit dem Gesund-werden beeilt."

McLane grinste gequält. „Ich hatte allen Grund dafür, Doc. Ihre Corinna mag so tüchtig und zuverlässig sein, wie sie will, aber für einen Mann meines Schlages ist sie einfach eine Zumutung. Immer so zugeknöpft wie ihr Kittel, nie ein freundliches Lächeln - wer mag unter solchen Umständen schon gern Patient sein?"

Der Mediziner nickte verständnis-innig, ging aber nicht weiter darauf ein. „Sie können sich in Ihr Zimmer begeben und ankleiden, das Mittagessen nehmen Sie noch bei uns ein. Inzwi-schen werden bereits Ihre Entlassungs-papiere fertig gemacht, um 14 Uhr haben Sie alles überstanden."

„Danke, Doc", sagte Cliff, drückte ihm die Hand und ging los.

Als er kurz nach 14 Uhr den Ausgang des Hospitals der Basis 104 hinter sich ließ, waren dort alle vollzählig versammelt: Arlene und Helga Legrelle, Mario de Monti, Atan Shubashi und Hasso Sigbjörnson mit seiner weißen Mähne. Sie begrüßten ihn mit großem Hallo, aber der Oberst achtete kaum darauf. Sein Blick ging zu dem untersetzten Mann mit dem glattrasier-ten Schädel, der mit dem gleichmütigen Lächeln des Asiaten hinter der ORION-Crew stand.

„Tunaka Katsuro!" sagte er gedehnt. „Der hohe Chef des GSD persönlich -

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muß ich mich jetzt freuen? Ich möchte es ja gern, aber ich traue mich nicht. Ich kann einfach nicht daran glauben, daß Sie nur aus purer Anhänglichkeit hierhergekommen sind, Katsuro-San." Der Japaner verneigte sich leicht. „Das ist es, was ich an Ihnen - unter anderem - so bewundere, Commander McLane: Ihre rasche Auffassungsgabe, das Vermögen, stets etwas weiter zu denken als andere. Doch Sie sollten sich durch meine unwerte Person nicht davon abhalten lassen, Ihre Gefährten gebüh-rend zu begrüßen. Mein kleines An-liegen kann noch kurze Zeit warten."

„Kleines Anliegen - diese Formu-lierung läßt mich allerlei Schlimmes befürchten", meinte Cliff trocken. Er umfaßte die beiden Mädchen und drückte sie kurz an sich. „Es ist schön, wieder in eurem trauten Kreis zu sein, ihr Lieben. Also nichts, wie weg von hier, ehe es vielleicht jemand einfällt, mich zurückzuholen. Wohin soll die Reise gehen?"

„Ins Starlight-Casino", sagte Mario prompt. „Das Wiedersehen vollkommen trocken zu begehen, wäre einfach eine Stilwidrigkeit. Nach der langen Abstinenz muß deine Kehle doch vollkommen ausgedörrt sein, du Armer."

„Das ist sie", bestätigte der Oberst grinsend. „Darf ich Sie gleichfalls zu einem Drink einladen, Chef der Si-cherheit? Oder verstößt das irgendwie gegen Ihre Prinzipien, die Sie ja bekanntlich in reichem Maße besitzen?"

„Ein guter Schluck, mit Maßen ge-nossen, erfreut den Magen und be-schwingt das Herz", sagte Katsuro würdevoll. „Außerdem läßt es sich dabei gut plaudern, so daß das Ange-nehme mit dem Nützlichen verbunden wird."

„Wobei das Angenehme vermutlich auf der Strecke bleiben dürfte", meinte Cliff ahnungsvoll. „Auf denn, laßt uns

nicht länger zögern. Ein guter alter Freund namens Archer's tears erwartet uns mit hochprozentiger Ungeduld."

Zehn Minuten später saßen sie in einem kleinen, gemütlichen Anhängsel des Starlight-Casinos zusammen. Dort gab es keine Robotkellner, ein freundlicher junger Mann bediente sie. Als dann die Gläser auf dem Tisch standen, stieg aus ihnen das würzig-herbe Aroma auf, das Mc'Lane auf dieser Erde der Zukunft so lange hatte entbehren müssen. Hasso hatte dafür gesorgt, daß es nun speziell für die Crew wieder Archer's tears gab. Er mußte zwar verdünnt werden, weil die Destillerie ihn irrtümlich auf 69 Prozent gebracht hatte, reichte dafür aber auch entsprechend länger.

Sie genossen fast andächtig die ersten Schlucke, aber dann kam Cliff sofort zur Sache.

„Wo drückt Sie nun der Schuh, Katsuro?" fragte er geradeheraus. „Etwas, das sich unmittelbar auf die Erde bezieht, kann es nicht sein, das sagt mir die Art Ihres Vorgehens. Hängt es wieder mit den Aureolanern zusammen?"

Der Japaner schüttelte den Kopf. „Diesmal nicht, Commander. Seit der Affäre mit dem Killersatelliten verhalten sie sich bemerkenswert ruhig. Wir vermuten allerdings, daß das nur eine trügerische Ruhe ist, es gibt auf Aureola noch mehr Männer vom Schlage eines Mukdim-Khan. Ich habe deshalb dafür gesorgt, daß GSD- Agenten auf dem Planeten ein-geschleust werden, um die Lage dort zu erkunden. Außerdem haben wir über unsere diplomatischen Kanäle eine Aufklärungskampagne für die anderen Kolonialwelten gestartet. Sie sollen wissen, daß die Erde keineswegs darauf aus ist, eine Hegemoniepolitik gegenüber ihnen zu betreiben. Unser jetziges Problem heißt Makoma."

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„Zweiter Planet der Sonne Sadir im Schwan, 563 Lichtjahre von der Erde entfernt", ergänzte Atan Shubashi unaufgefordert. „Eine Welt, die fast ausschließlich von Afrikanern besiedelt wurde und die zu unserer Zeit der größte Fleischlieferant der Raumkugel war. Inzwischen hat man sich dort umgestellt, fördert Erze und baut Computer, alles auf kollektivistischer Basis."

„Kein schlechtes System", aner-kannte Cliff. „Vorausgesetzt natürlich, daß der Gewinn gerecht verteilt wird. Doch was haben wir mit Makoma zu schaffen? Würden Sie die übergroße Güte haben, mich darüber aufzuklären, Mister GSD?"

Katsuro nippte an seinem Glas und stellte es dann ruckhaft ab. „Deswegen bin ich, nach einer Besprechung mit Han Tsu-Gol und Leandra de Ruyter, zu Ihnen gekommen. Ihre Crew weiß übrigens auch noch von nichts, wir haben uns erst vor dem Hospital getroffen. Kurz und gut: Auf diesem Planelen grassiert eine förmliche Amokseuche, die schon zahlreiche Menschenleben gefordert hat. Außerdem besagen die spärlichen Nachrichten, die wir über Hyperfunk erhielten, daß die Selbstmordrate der Makomaner zur selben Zeit sprunghaft angestiegen ist. All das klingt so besorgniserregend, daß wir beschlossen haben, die ORION zur Klärung der Lage dorthin in Marsch zu setzen."

McLane zog überrascht die Brauen hoch.

„Soll das ein Witz sein, Katsuro?" erkundigte er sich kühl. „Vergessen Sie nicht, daß mir noch ein Gene-sungsurlaub zusteht. Außerdem, so finde ich, wräre die ORION auf Ma-koma vollkommen fehl am Platze. Daß sich die dortigen Probleme durch den Einsatz von Strahlkanonen oder gar Overkill lösen lassen, erscheint mir

recht zweifelhaft. Warum haben Sie kein Ärzteteam auf diese Welt geschickt?"

Der GSD-Chef schüttelte den Kopf. „Bitte, keine vorschnellen Schlüsse, McLane", sagte er ernst. „Sie wissen längst noch nicht alles, was mit dieser Sache in Zusammenhang steht. Hier, sehen Sie sich das einmal an."

Er nahm den kleinen Diplomaten-koffer, den er bei sich getragen hatte, auf seinen Schoß. Er öffnete ihn, hielt ihn aber so, daß nur Cliff hineinsehen konnte, der neben ihm saß. Darin lag ein relativ kleiner, ovaler Spiegel mit Handgriff, ähnlich denen, die zur Standardausrüstung auf weiblichen Toilettentischen zu gehören pflegen.

Seine Rückseite befand sich oben, so daß nur das glasartige, grüne Material derselben zu sehen war. Katsuro ergriff ihn, drehte ihn um und wandte gleichzeitig seine Augen ab. Er sah den Commander wie lauernd unter gesenkten Lidern an.

„Nun, was sagen Sie jetzt?" fragte er leise.

*

Cliff McLane war im ersten Au-genblick enttäuscht. Er wußte sich keinen Reim darauf zu machen, was Katsuro damit bezwecken mochte, ihm einen simplen Frisierspiegel zu zeigen. Zwar war der Asiate stets für eine Überraschung gut, aber die schien hier nicht gegeben zu sein.

Doch schon im nächsten Moment mußte er seine Ansicht revidieren. Er hatte kaum eine Sekunde auf die - zu seiner Verwunderung schwarze -Spiegelfläche gesehen, als er zurück-zuckte. Unwillkürlich bedeckte er seine Augen mit der Hand, als ob er sie vor grellem Licht schützen mußte. Tunaka Katsuro registrierte das mit einem feinen Lächeln. Rasch schloß er den

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Koffer wieder und stellte ihn auf den Boden zurück.

„Was haben Sie, Commander?" forschte er.

Cliff nahm vorsichtig die Hand wieder von den Augen und atmete auf, als er den Koffer verschwinden sah. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst geworden, auf seiner Stirn hatten sich feine Schweißtropfen gebildet. Er tupfte sie mit einem Erfrischungstuch ab und versuchte indessen, das eben Gesehene voll zu erfassen und einer raschen Analyse zu unterziehen.

„Cliff, was ist mit dir?" fragte nun auch Arlene besorgt. „Hier trink einen Schluck, damit dir wieder besser wird. Du siehst ja aus, als hätte dich der Teufel aus dem Koffer heraus angegrinst!"

Der Commander nahm das Glas aus ihrer Hand und trank es mit einem großen Schluck leer. Er stellte das Glas auf die Tischplatte zurück und sagte dann langsam:

„Du hast es fast getroffen, Mädchen. Allerdings war es nicht der Teufel, der da gegrinst hat, sondern ich selbst! Ich sah mein Gesicht in der schwarzen Spiegelfläche, und es war zu einem boshaften, höhnischen Lächeln verzogen. Dabei bin ich vollkommen sicher, daß ich nichts dergleichen getan habe, und das hat mich geschockt."

„Bestimmt nur eine Sinnestäuschung, Alter", warf Mario de Monti ein.

McLane schüttelte nachdrücklich den Kopf.

„Mitnichten, Mario, das kann ich dir versichern. Ich habe gegrinst, oder vielmehr mein Abbild in diesem merkwürdigen Spiegel. Das war aber noch nicht alles, denn gleichzeitig überkam mich ein äußerst seltsames Gefühl. Es war, als würde mich das vertrackte Ding auf geradezu magische Weise anziehen. Ich schreckte vor der Fratze auf der schwarzen Fläche zurück

und spürte doch das dringende Bedürfnis, den Spiegel in die Hand zu nehmen und mich in seinen Anblick zu versenken. Es ließ erst wieder nach, als der Koffer geschlossen war."

Plötzlich erwachte seine übliche Tatkraft wieder. Abrupt wandte er sich zum Chef des GSD um und sah ihn zwingend an.

„Jetzt aber richtig heraus mit der Sprache, Katsuro-San! Ich bin kein Mann, dem man die Wahrheit in ho-möopathischen Dosen verabreichen muß, das sollten Sie doch mittlerweile wissen. Existiert ein Zusammenhang zwischen den Ereignissen auf Makoma und dieser Art von Spiegeln?"

Falls Katsuro nun befriedigt war, verstand er es geschickt zu verbergen. Sein Gesicht war eine Maske besten asiatischen Gleichmuts, als er nun nickte.

„Sie sollen selbstverständlich um-fassend über alles informiert werden, McLane. Deswegen bin ich hier. Gehen wir am besten einmal in der chronologi-schen Abfolge des Geschehens vor:

Als erstes erhielten wir die Nach-richten über die schrecklichen Ereignisse auf Makoma. Selbstver-ständlich versuchten unsere Wissen-schaftler sofort, die Gründe für die Amokläufe und Selbstmorde her-auszufinden. Das Ergebnis blieb ne-gativ, weil es keine Präzedenzfälle gab, die sie als Arbeitsgrundlage hätten heranziehen können. Auch TECOM wurde mit eingespannt, versagte jedoch gleichfalls, weil es keine brauchbaren Daten für ihn gab. Natürlich versuchten wir, Arusa City auf Makoma über Hyperfunk zu erreichen, aber die dortige Funkstation meldete sich nicht."

„Konnten Sie nicht einfach ein Hilfsschiff dorthin entsenden? Das wäre doch das Nächstliegende gewesen", warf Shubashi ein.

Tunaka Katsuro machte eine hilflose

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Geste. „Gerade in dieser Hinsicht waren uns

die Hände gebunden. Makoma ist eine autonome Kolonialwelt, nur ein Hilfeersuchen der dortigen Regierung hätte ein Eingreifen gerechtfertigt. Wir besaßen jedoch nichts als einige vage Informationen, und Sie alle wissen, wie mißtrauisch Terra von allen Seiten beobachtet wird."

Cliff nickte. „Ich kann mir gut das Geschrei vorstellen, das augenblicklich auf Aureola und anderswo laut geworden wäre: Da, seht die böse Erde! Auf der einen Seite bestreitet sie alle hegemonialen Absichten - auf der anderen versucht sie, unter dem Mantel der Nächstenliebe einen hilflosen Planeten zu okkupieren! Das wäre ein gefundenes Fressen gewesen. Auch Dementis hätten da nicht viel genützt. Was hat Sie nun aber dazu bewogen, Ihre Ansicht darüber zu ändern? Der seltsame Spiegel dort in ihrer Tasche?"

„Derselbe", bestätigte der GSD-Chef. „Wir erhielten ihn in einem versiegelten Päckchen, das uns mit einem Handels-schiff von Deneb erreichte. Es hatte also einige Umwege hinter sich, vermutlich wurde es von einem Raumer auf den Weg gebracht, der Makoma infolge der dortigen Ereignisse verließ. Der Absen-der war ein gewisser Kanija Korosso, ein Reporter aus Arusa City. Vielleicht hat er sehr überstürzt handeln müssen, der Sendung lag keine Nachricht oder Erklärung bei. Sie enthielt nur den schwarzen Spiegel, sonst nichts."

Er mußte sich unterbrechen, denn die Bedienung erschien mit frisch gefüllten Gläsern. Er trank einen Schluck Archer's tears und fuhr dann fort:

„Das Päckchen kam gestern an und wurde von einem meiner Assistenten geöffnet. Er dachte sich nichts dabei, denn er hatte es zuvor durchleuchtet und festgestellt, daß es keinerlei ver-dächtige Gegenstände enthielt. Was

daraufhin geschehen ist, läßt sich nur vermuten, denn er befand sich allein in dem Raum. Eine halbe Stunde später wurde er von einem anderen Mitarbeiter gefunden - tot! Er hatte den Lauf einer HM 4 gegen sein Gesicht gerichtet und abgedrückt."

Bestürztes Schweigen breitete sich am Tisch aus, und Cliff schluckte un-willkürlich. Er hatte, wenn auch nur kurz, den Einfluß gespürt, den der Spiegel über ihn zu erlangen versuchte. Jetzt konnte er verstehen, weshalb der Japaner so vorsichtig mit ihm umge-gangen war.

„Das war aber noch nicht alles", sagte Katsuro. „Der andere Mann war klug genug, aus den Gegebenheiten seine Schlüsse zu ziehen. Er hütete sich, in den Spiegel zu sehen, sondern legte ihn zurück in das Päckchen und informierte mich sofort. Unsere Gedanken gingen aber leider in eine falsche Richtung, und so übergab ich das Päckchen unseren Spezialisten vorn ABC-Dienst. Sie legten zur Untersu-chung Schutzanzüge an, aber auch das erwies sich als nutzlos. Der Mann, der den Spiegel als erster in die Hand nahm und hineinsah, drehte gleich darauf durch. Er schrie ein Wort, das wie Zauberspiegel klang, dann begann er zu toben und ging auf seine Kollegen los. Es gelang ihnen, ihn zu überwältigen, ehe er Unheil anrichten konnte, aber sein Geist ist hoffnungslos verwirrt.

Das ist in dürren Worten die Sach-lage, wie sie sich uns darbietet. Die entsprechende Schlußfolgerung daraus zu ziehen, war relativ einfach: Spiegel dieser Art müssen es sein, die für den Ausbruch der Amokseuche auf Makoma verantwortlich sind! Das war es, worauf uns der Reporter mit seiner Sendung hinweisen wollte. Es scheint sie dort in großer Anzahl zu geben, sonst hätte die Serie der Morde und Selbsttötungen nicht derartige Ausmaße

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angenommen."

*

Das Schweigen am Tisch schien in-zwischen zu einer fast greifbaren Wand geworden zu sein. Vor den geistigen Augen der Raumfahrer entstand eine Vision von Unheil und Schrecken. Hasso Sigbjörnson fand als erster die Sprache wieder.

„Das alles klingt sehr plausibel, Katsuro", räumte er mit der bei ihm üblichen Bedächtigkeit ein. „Ande-rerseits erscheint es dem logisch ab-wägenden Verstand doch zugleich auch unwahrscheinlich. Zauberspiegel - dieser Begriff klingt nach alten Märchen. Diese Parabeln waren jedoch reine Erfindungen, ohne jeden realen Hintergrund."

„Stimmt", sagte Helga Legrelle. „Die meisten Märchen wurden sogar von Schriftstellern erdacht, die man in gewisser Weise als Vorläufer der Autoren des utopischen Genres der neueren Zeit betrachten kann. Ich erinnere hier an die Namen von Hauff, Andersen und den Gebrüdern Grimm, die mir noch geläufig sind. Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer ist die Schönste im ganzen Land ...? Wie sollte es heute so etwas geben?"

Cliff lächelte säuerlich und bemerkte: „Du würdest vermutlich anders reden, wenn du in diesen Spiegel gesehen hättest, Helgamädchen. Nachdem ich selbst den Einfluß gespürt habe, der von ihm ausging, neige ich dazu, auch das Unwahrscheinliche für möglich zu halten. Haben wir nicht schon genügend andere Dinge erlebt, die genauso phantastischwaren?"

„Für die es jedoch im nachhinein stets eine einleuchtende Erklärung gab", schwächte Atan Shubashi ab. „Was zuerst wie Zauberei aussah, entpuppte sich meist als ein Zusammentreffen

besonderer physikalischer Gegebenhei-ten, zuweilen auch als die Auswirkung parapsychischer Phänomene. Solche Kräfte in simplen Spiegeln zu vermuten, auch wenn ihre Fläche schwarz ist, erscheint mir aber absurd. Auch in dieser Zeit dürfte es noch niemand geben, der imstande ist, so etwas herzustellen."

Tunaka Katsuro hatte der Diskussion interessiert, mit unbewegtem Gesicht, gelauscht. Nun hob er die Hand.

„Derselben Ansicht waren wir auch, aber wir haben inzwischen unsere Meinung revidieren müssen. Ich habe nach einigem Überlegen TECOM mit dieser Frage konfrontiert, in dem das Wissen vieler Jahrhunderte gespeichert ist. Ich erhoffte mir nur eine Hypothese - doch zu meiner Überraschung wartete er mit ausgesprochen konkreten Tatsachen auf! Bereits im 20. Jahrhun-dert begann man auf Terra damit, eine Art von Spiegeln zu konstruieren, die als Datenspeicher benutzt werden konn-ten. Dies waren Kristallplatten be-sonderer Art, die alles aufnahmen, was sie zu ,sehen' bekamen, selbst in völliger Dunkelheit. Irgendwie - das Verfahren selbst wurde nicht überliefert - konnten die so erlangten In-formationen später nach Belieben wieder abgerufen, beziehungsweise sichtbar gemacht werden. Später setzte sich jedoch das Verfahren der subatomaren Datenspeicherung und -Verarbeitung durch, nach dem auch TECOM jetzt arbeitet"

„Es gibt tatsächlich nichts, das es nicht irgendwie doch gibt", sagte Cliff McLane kopfschüttelnd. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hält also sogar unser Schlaumeier TECOM es für möglich, daß es so etwas wie denkende Spiegel geben kann?"

„Er vertritt jedenfalls aufgrund der alten Daten die Meinung, daß ein solches Prinzip keinem bekannten

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Naturgesetz widerspricht, Commander. Er extrapolierte sogar, daß eine systematische Weiterentwicklung auf dieser Basis erfolgen könnte, allerdings nicht unter den jetzt gegebenen technischen und physikalischen Voraussetzungen. Dazu gehöre ein Wissen, das die Menschheit vielleicht erst nach Jahrtausenden erlangen dürfte. Dann wäre es aber denkbar, Spiegel oder andere Geräte zu konstruieren, die eine Art von eigenem Bewußtsein besäßen und dazu imstande wären, Lebewesen hypnotisch oder suggestiv zu beeinflussen."

„Das Rudraja!" platzte Mario de Monti heraus. „Diese Macht besaß, ebenso wie das Varunja, schon vor langer Zeit ein derartiges Wissen; das haben wir zu unserem Leidwesen schon oft genug erfahren müssen. Vielleicht gab es auch auf Makoma einst einen Stützpunkt dieser Kosmischen Macht. Jetzt entdeckte ihn jemand und grub diese Amokspiegel aus. Wie gut die Hinterlassenschaft des Bösen auch jetzt noch funktioniert, ist ja hinlänglich be-kannt."

Der Chef des GSD zuckte mit den Schultern.

„Das ist eine Annahme, die sich nicht beweisen läßt, de Monti. Bisher hat sich das Erbe des Rudraja nur auf der Erde und in ihrer näheren Nachbarschaft bemerkbar gemacht, wie auf Dusty oder Laguna. Makoma ist jedoch 563 Lichtjahre von Terra entfernt, und es gibt kein Bindeglied, das dorthin führt. Auch TECOM ist der Meinung, daß es sich hier um eine andere, uns noch unbekannte Macht handeln müsse. Auf jeden Fall erscheint der Planet in einem solchen Ausmaß gefährdet, daß der Rechner uns, ungeachtet der Bedenken wegen der anderen Kolonialwelten, den Einsatz der ORION empfahl. Ich habe daraufhin sofort mit Han Tsu-Gol und der Admiralin konferiert, und wir

kamen zu dem Entschluß, diesen Ratschlag zu befolgen."

„Die Klügeren haben nachgegeben!" lächelte Arlene Mayogah. „Angesichts der Erfahrungen, die sie bisher mit uns gemacht haben, ist das wirklich bemerkenswert. Was sagst du dazu, Cliff? Fühlst du dich, beschwingt durch Archer's tears, schon wieder gesund genug, in diesen Einsatz zu gehen?"

Cliff McLane ging jedoch nicht auf ihren leichten Ton ein. Sein Gesicht blieb e rnst, als er s agte:

„Okay, Katsuro, ich stimme im Na-men der Crew zu. Natürlich brauchen wir eine umfassende Hand-lungsvollmacht, denn die Lage auf Makoma läßt wahrscheinlich keine Zeit für langwierige Rückfragen. Ebenso erwarten wir die Rückendeckung Terras, falls es zu Komplikationen in bezug auf Aureola oder andere Kolonialwelten kommen sollte. Drittens bitte ich um die Aushändigung des schwarzen Spiegels aus ihrem Koffer. Ich traue mir durchaus zu, seinen Kräften nach einigem Training widerstehen zu können. Er könnte uns wertvolle Ansatzpunkte für den Einsatz liefern."

Tunaka Katsuro schüttelte jedoch den Kopf.

„Die nötigen Vollmachten sind Ihnen zugestanden. Nur den Spiegel werden Sie nicht bekommen, vor einer Übergabe an Sie hat uns TECOM ausdrücklich gewarnt. Dieses Teu-felsding könnte die ganze Crew unter seinen Einfluß zwingen, und damit wäre der Einsatz des Schiffes aufs höchste gefährdet. Wir behalten ihn hier und werden ihn, natürlich mit größter Vorsicht, verschiedenen Tests unterziehen. Falls diese verwertbare Ergebnisse bringen, werden Sie umgehend über Hyperfunk unterrich-tet."

Cliff war nicht ganz zufrieden, aber

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er gab nach. Natürlich hoffte er insgeheim, auf Makoma andere schwarze Spiegel in die Hand zu be-kommen, aber das sagte er nicht laut. Vorgesetzte brauchten nicht alles zu wissen.

Was zu sagen war, war gesagt. Noch ein Glas Archer's tears, dann löste sich die Runde auf. Katsuro übernahm die Rechnung und begab sich mit dem Koffer auf den Weg zu seinem Büro. Die ORION-Crew suchte ihre Quartiere auf und traf die Vorbereitungen zum Aufbruch nach Makoma.

Als die Dunkelheit über Groote Eylandt hereinbrach, stieg der Raumkreuzer aus dem Strudel im Carpentaria-Golf empor, und trat den Flug über 563 Lichtjahre hinweg an.

5. „Da sind wir, Freunde", sagte Mario

und wies auf die große, gelbrote Sonne, die sich in der Mitte des Hauptbild-schirms befand. „Gamma Cygnus, auch Sadir genannt. Wir befinden uns jetzt genau an jenem Punkt, an dem auf den Sternkarten der Hals des Schwans beginnt, den man in dem Sternbild sieht. Wißt ihr überhaupt, woher dieser Name stammt?"

„Natürlich nicht", meinte Arlene und zwinkerte Cliff zu. „Los, erzähle es uns", forderte sie ihn mit geheuchelter Neugier auf.

„Aus der griechischen Sage, wie schon der Name erkennen läßt", erklärte der Kybernetiker. „Angeblich wurde ein Freund Phaetons, des Sohnes des Helios, nach dessen Ableben von den Göttern an den Himmel versetzt. Dies machte ihn unsterblich, und nun beklagt er als himmlischer Schwan für ewige Zeiten den zu frühen Tod des Freundes. Daher auch der Name Schwanenge-sang."

„Seltsam", warf Hasso ein. „Soviel ich weiß, war Phaeton ein ziemlich ungeratener Sohn. Von seinem Vater mit der Lenkung des Sonnenwagens betraut, kutschierte er diesen so nahe an die Erde heran, daß sie in Brand geriet. Besagter Freund dürfte also kaum noch lange genug gelebt haben, um den Tod seines Freundes zu erfahren. Irgend etwas scheint mir da nicht ganz zusammenzupassen, Mario. Hast du eine Erklärung für diese Diskrepanz?"

De Monti kratzte sich am Kopf und suchte vergeblich nach einer Antwort. Die anderen grinsten, und Cliff warf trocken ein: „Vielleicht gab es damals schon so etwas wie eine solare Feuerwehr, nach Art unserer ORION. Ohne einen solchen Deus ex machina dürfte es ja heute keine Erde mehr geben. Doch damit genug vom Altertum, Freunde, wenden wir uns wieder der unerfreulichen Gegenwart zu. Was sagen deine Instrumente, Atan?"

„Entfernung zu Sadir im Augenblick 3,5 Astronomische Einheiten, senkrecht zur Ekliptik, Cliff. Keine Raumschiffe oder sonstige fremden Körper im System der sieben Planeten feststellbar. Von Makoma gehen energetische Emissionen aus, sie sind aber nur sehr schwach. Dort arbeiten anscheinend nur noch einige wenige Kraftwerke."

„Das klingt bedenklich", sagte der Oberst mit gerunzelter Stirn. „Immerhin dürften wir auf dem Planeten landen können, ohne ein großes Risiko einzugehen. Aus den Unterlagen, die ich von T.R.A.V. erhielt, geht hervor, daß es dort keinerlei Abwehranlagen gibt. Errechne die Kursdaten, Atan, wir machen uns sofort auf den Weg."

Zwei Stunden später lag die grün-blaue Kugel des Planeten unter dem Schiff. Arusa City befand sich in der Nähe des Terminators, dort war die Sonne erst vor kurzem aufgegangen.

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Der Tag dauerte auf Makoma achtzehn Stunden, so daß der Crew ausreichend Zeit zur Erkundung der Verhältnisse blieb.

McLane sah aus schmalen Augen auf den Sektorenschirm, der den Raumha-fen II Arusa in starker Vergrößerung zeigte. Er war seit längerer Zeit nicht mehr benutzt worden, das erkannte er sofort. Die weite Fläche lag ausgestor-ben dar zwischen den Randgebäuden schien es keinerlei Leben zu geben, auch auf den Straßen zur Hauptstadt ruhte der Verkehr.

„Da, Cliff!" sagte Shubashi plötzlich und deutete auf die betreffende Stelle. „Ein zerstörtes Raumschiff, siehst du?"

„Ich sehe es", knurrte der Com-mander. „Ein Frachter der C-Klasse, offenbar durch Explosionen vernichtet, während er sich am Boden befand. Das sieht nicht eben gut aus; aber im Augenblick gibt es nichts, das eine Gefahr für uns bedeutet."

Er aktivierte das elektronische Bordbuch und sprach einen kurzen Bericht. Dann wandte er sich an Helga Legrelle.

„Auch in dieser Situation wollen wir die üblichen Formen wahren. Rufe den Tower an, Helgamädchen, und ersuche um eine Landegenehmigung für uns. Niemand soll später sagen können, daß wir uns unkorrekt benommen hätten, falls es Ärger gibt."

Die Funkerin nickte und schaltete ihre Geräte ein. Schon nach kurzer Zeit wandte sie sich dem Commander zu.

„Der Tower erteilt uns die Geneh-migung, Cliff. Allerdings wurde sie nicht durch Menschen gegeben, sondern vom Zentralcomputer. Demnach scheint das Gebäude verlassen zu sein."

McLane zuckte mit den Schultern. „Ob verlassen oder nicht, spielt keine

Rolle. Wir haben die Genehmigung, und sie ist in der Speicherung festgehal-ten. Wir landen jetzt."

Er brachte das Schiff etwa hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt zu Boden und verankerte es mittels der Antigravpolster. Die Crew wartete voller Anspannung, aber nichts geschah. Die Außenmikrophone brachten nur das leise Singen des warmen Windes herein, der über das weite Areal strich. Sonst herrschte beklemmende Stille.

„Hasso und Helga, ihr bleibt im Schiff", sagte Cliff schließlich. „Alle anderen machen sich fertig zum Verlassen der ORION, Handwaffen werden mitgenommen. Wir dringen in den Tower ein, um dort erste Fest-stellungen zu treffen. Vermutlich wurde in den Computerspeichern einiges festgehalten, das uns eine halbwegs brauchbare Rekonstruktion der Geschehnisse auf Makoma erlaubt. Daß die gesamte Bevölkerung des Planeten schlagartig unter den Einfluß der schwarzen Spiegel geraten ist, ist wohl kaum anzunehmen. Zumindest in den ersten Stunden müssen noch Schiffe gestartet sein, sonst hätte das Päckchen des Reporters nie den GSD auf Terra erreicht." Der Teleskopstutzen senkte sich auf den Boden, der Zentrallift nahm die vier Raumfahrer auf und brachte sie hinunter. Die Schotte fuhren auf, und Cliff betrat als erster den Boden des Hafens. Die Luft war warm und trocken, sie trug einen undefinier-baren, fremden Geruch in sich. Das war jedoch nichts Ungewöhnliches. Die Zusammensetzung der Atmosphäre war kaum auf zwei Planeten innerhalb der Raumkugel gleich.

„Kommt", sagte McLane und setzte sich in Bewegung.

Die vier Menschen gingen langsam und vorsichtig auf das vor ihnen auf-ragende Gebäude zu. Ihre Hände schwebten über den Griffstucken der Waff an, ihre Augen suchten die Fenster, Eingänge und die Umgebung

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des Towers ab. Die gespenstische Stille hielt an und zerrte an ihren Nerven. Das einzige Geräusch außer dem Singen des Windes war das ihrer Stiefel auf dem harten Bodenbelag des Hafens.

„Dort drüben ist etwas, Cliff!" stieß Arlene plötzlich hervor. „Rechts vom Tower, im Schatten zwischen ihm und dem Nebengebäude, war eine flüchtige Bewegung. Ich bin ganz sicher, daß dort jemand auf uns lauert."

Die kleine Gruppe blieb stehen, und Cliff legte die Linke über die Augen. Die große, gelb rote Sonne stand noch tief, und ihre Strahlen blendeten ihn. Dann erkannte er einige große Vögel, die zwischen den Büschen einer Anpflanzung umherflatterten, und lachte leise auf.

„Fehlanzeige, Mädchen, diese Tiere werden uns bestimmt nichts tun. Wir brauchen also ..."

„In Deckung!" schrie Mario de Monti in diesem Augenblick.

*

Plötzlich lag ein rasch anschwel-lendes Heulen und Dröhnen in der Luft. Es kam aber nicht von den Ha-fengebäuden her, sondern aus ihrem Hintergelände, das für die Raumfahrer nicht einzusehen war. Innerhalb weniger Sekunden stieg seine Tonhöhe an, bis nur noch ein Fauchen und Zischen zu hören war. Es jagte heran, endete abrupt, und dann klang der Donner schwerer Explosionen auf.

Die vier Personen hatten sich zu Boden geworfen, zogen die Köpfe ein und preßten sich eng gegen den Plastbeton. Heulend rasten Splitter über sie hinweg, schlugen ganz in ihrer Nähe ein, und die Druckwelle der Geschosse fegte über sie hinweg.

„Kampf raketen!" dachte Cliff McLane, der sich nicht zum erstenmal in einer solchen Lage befand. „Ge-

schosse mit Feststoffantrieb, zum Glück aber nur mit chemischen Sprengköpfen. Nur ein Projektil mit atomarer Ladung - dann gäbe es jetzt weder uns noch die ORION mehr!"

Die Geräusche verklangen, letzte Splitter fielen in einiger Entfernung zu Boden. „Zurück ins Schiff!" rief Cliff aus und sprang hastig auf. „Schnell, ehe eine zweite Salve kommt!"

Zugleich mit ihm rannten die Ge-fährten los, durch Schwaden von Sprengstoffrauch und pulverisiertem Beton. Sie sahen die metertiefen Krater, die vor, neben und hinter dem Schiff entstanden waren. Alle lagen bedenk-lich nahe, aber keines der Geschosse hatte die ORION direkt getroffen. Sie hatte allerdings einen Regen von Splittern abbekommen, die ihre stabile Hülle jedoch nicht beschädigt hatten.

Sie warfen sich in den Lift, der gleich darauf wieder mit ihnen nach oben schoß. Schrecken stand in ihren Gesichtern, aber zugleich auch die Erleichterung darüber, gerade noch einmal davongekommen zu sein. Mario de Monti lachte heiser auf.

„Es geht doch nichts über einen freundlichen Empfang. Cliff, hast du nicht vorhin gesagt, daß es hier kaum ein Risiko für uns gibt? Hätten diese Brüder besser gezielt, wäre eine kostenlose Himmelfahrt für uns fällig gewesen."

McLane enthielt sich einer Antwort, denn eben orgelte eine zweite Salve heran. Diesmal lag sie voll im Ziel, und die ORION schüttelte sich unter den Einschlägen. Sie erzielte jedoch keine Wirkung, denn inzwischen hatte Hasso Sigbjörnson den Schutzschirm des Kreuzers aktiviert. Dann hasteten die vier in die Zentrale, und Cliff warf sich in den Pilotensitz. Im nächsten Moment schoß das Schiff mit Höchstbe-schleunigung in den Morgenhimmel und entfernte sich aus dem Gefah-

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rengebiet. „Ich habe alles über die Duplikat-

anlage des Maschinenraumes verfolgen können", erklärte Hasso, dessen Abbild auf dem Schirm im Hintergrund der Zentrale stand. „Die Abschußrampen liegen etwa einen Kilometer vom Raumhafen entfernt, dort hat man regelrechte Kampfstellungen errichtet. Ich frage mich nur, wo die Makomaner ihre Raketen herbekommen haben mögen. Katsuro hat uns doch versichert, daß dieser Planet nichts dergleichen be-sitzt."

Der Commander grinste freudlos. „Du vergißt, daß es hier in der Um-

gebung zahlreiche Bergwerke gibt, Alter. Das bedeutet auch das Vor-handensein von Sprengstoffen. Allem Anschein nach ist die Entwicklung auf Makoma in eine neue Phase getreten, die bei unserem Start noch nicht vorherzusehen war. Welcher Art sie ist, gilt es herauszufinden. Ich bringe das Schiff auf zehn Kilometer Höhe, dort können uns die Geschosse kaum noch erreichen. Wir werden als nächstes Arusa City von oben betrachten, um zu sehen, was sich dort tut."

Er dachte flüchtig daran, die Erde zu informieren, schob den Gedanken jedoch gleich wieder beiseite. Es war noch zu früh, sie hatten noch keine greifbaren Ergebnisse erzielt.

Er stabilisierte die ORION IX, als sie sich zehntausend Meter über dem Boden befand, und ließ sie langsam auf die Hauptstadt Makomas zutreiben. Atan Shubashi hatte sämtliche Schirme eingeschaltet, und die Männer und Arlene beobachteten sorgfältig das unter ihnen vorbeiziehende Gelände.

„Da sind die Raketenstellungen", sagte Mario und regulierte einen Sektorenbildschirm neu ein. „Himmel, sind das vielleicht primitive Dinger! Soll ich eine kurze Strahlensalve hinunterschicken?"

„Auf gar keinen Fall", knurrte Cliff. „Wir sind gekommen, um hier wieder Ordnung zu schaffen, nicht um zu zerstören. Da ist ja schon die Stadt, und sie wirkt so tot wie damals die Basis 104, als uns die Dara in die Zukunft versetzten, um die Isolationisten auszuschalten. Keine Spur von Verkehr, weder auf den Straßen noch in der Luft. Oh, da hat es an verschiedenen Stellen aber kräftig gebrannt! Die Amokseuche scheint im Lauf der Zeit in einen allgemeinen Zerstörungstrieb ausgeartet zu sein, anders ist das kaum zu erklä-ren."

Die Optiken lieferten auch aus dieser Höhe gestochen scharfe Bilder. In verschiedenen Stadtteilen waren ganze Straßenzüge nur noch ausgebrannte Ruinen. Andere Gebäude waren schwer beschädigt, offenbar durch Beschuß oder Sprengungen. Das alles mußte aber schon vor einiger Zeit geschehen sein, die Brände waren längst erloschen.

Niemand hatte sich jedoch an die Arbeit gemacht, hier wieder aufzu-räumen. Viele Straßen waren durch Trümmer blockiert, und überall standen Fahrzeuge kreuz und quer durcheinan-der. Die meisten waren ebenfalls beschädigt oder ausgebrannt, Arusa City bot das Bild einer vom Krieg überrollten Stadt. Nirgends war auch nur ein Mensch zu sehen.

„Fast könnte man meinen, daß da unten überhaupt niemand mehr lebt", sagte Helga Legrelle. Sie hatte ihr Funkpult verlassen, denn es gab für sie ohnehin nichts zu tun. „Hältst du das für möglich, Cliff? Könnten sich die Bewohner unter dem verderblichen Einfluß der schwarzen Spiegel gegenseitig restlos umgebracht haben?"

McLane hob die Hände. „Das läßt sich von hier aus nicht beurteilen, es gibt einfach zu viele Imponderabilien. Keiner von uns hat auch nur eine blasse Ahnung, wie viele dieser Spiegel es hier

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gibt oder gab, ob sie nur jeweils auf eine, oder auch auf beliebig viele Personen wirken, und so weiter. Ich persönlich glaube jedenfalls nicht, daß es so schlimm ist. Wie bei jeder Seuche muß es auch hier Immune geben, nur werden sie sich verborgen haben, um zu überleben. Wie lange sie das aber durchhalten können, ist eine andere Frage. Die Versorgungslage ..."

„Da, Cliff!" rief Atan dazwischen und deutete auf einen anderen Schirm, der das Stadtzentrum zeigte. „Eben ist ein Gleiter aufgestiegen und rast mit Höchstfahrt davon. Jetzt wird er von den umliegenden Dächern aus beschossen..."

Augenblicklich versammelte sich die gesamte Crew vor diesem Schirm. Shubashi hatte die Beleuchtung gedämpft und führte die Kamera nach. Sie sahen, wie die Maschine in einem irren Zickzackkurs zwischen den Hochhäusern und Wohntürrnen hindurchkurvte. Die von den Dächern und aus Fenstern flammenden Bahnen aus Strahlwaffen aller Kaliber verfehlten ihn oft nur um wenige Meter. Rechts, links, auf und ab - der Gleiterpilot flog mit dem Mut der Verzweiflung um sein Leben. Jetzt zeigte es sich, daß Arusa City keines-wegs ausgestorben war. Allerdings schienen sich die Überlebenden gegenseitig aufs schärfste zu bekämp-fen.

„Wir sollten dem oder den Insassen helfen, Cliff!" sagte Arlene Mayogah erregt. „Wer da auch immer fliegt, er muß bei vollem Verstand sein, das beweisen seine Flugkunststücke. Geh mit der ORION herunter, das wird die Schützen ..."

„Nicht mehr nötig, Mädchen", er-klärte McLane aufatmend. „Er hat es bereits geschafft, auch ohne uns. Wir wären ohnehin zu spät gekommen, um noch rechtzeitig eingreifen zu können.

Warten wir ab, was jetzt weiter geschieht."

*

Der Gleiterpilot hatte, unter Auf-bietung all seines Könnens, einen der ausgebrannten Straßenzüge erreicht, an dem sich ein großer freier Platz anschloß. Er ließ sein Fahrzeug im Tiefflug zwischen den Ruinen da-hinschießen, zog es dann über dem Platz steil hoch und kam unbehelligt bis auf fünfhundert Meter Höhe. Dort konnte ihn kein Handstrahler mehr erreichen, und schwerere Waffen besaßen seine Gegner offenbar nicht.

Die Maschine schwenkte nach We-sten, überflog die Vororte, und erreichte das freie Land. Nun mäßigte ihr Lenker das Tempo, er schien sich noch nicht darüber schlüssig zu sein, wo es wirklich Sicherheit für ihn gab. Schließlich flog er eine weite Kurve und hielt auf die Ausläufer des Gebirges zu, die bis auf etwa zwanzig Kilometer an Arusa City herankamen.

„Wir folgen ihm", erklärte Cliff so-fort. „Es ist für mich erwiesen, daß der Gleiterpilot Herr seiner Sinne ist, also nicht unter dem Einfluß eines schwar-zen Spiegels steht. Wir müssen versuchen, genau den Ort zu be-stimmen, an dem er landet. Anschlie-ßend nehmen wir eine Lancet, gehen herunter und nehmen Kontakt zu ihm auf. Wenn es hier jemand gibt, der uns sagen kann, was auf Makoma gespielt wird, dann ist es mit Sicherheit dieser Mann."

„Falls es ein Mann ist", sagte Helga, aber niemand achtete auf ihre Worte. Die ORION hatte sich inzwischen in Bewegung gesetzt und flog gleichfalls auf das Gebirge zu. Atan sorgte dafür, daß der Gleiter nicht aus dem Bereich der Bilderfassung geriet. Die Maschine kurvte zwischen die Vorberge, mied

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aber sorgfältig jene Hänge, an denen sich Siedlungen befanden. Sie verschwand schließlich in einem muldenförmigen Tal zwischen zwei bewaldeten Bergen und kam nicht mehr zum Vorschein.

„Schluß der Vorstellung", sagte Atan nach einer Kontrolle seiner Instrumente. „Der Gleitermotor ist ausgeschaltet, das Antigravaggregat ebenso. Was befiehlt unser hoher Gebieter?"

„Daß du hier an Bord bleibst und das Steuer übernimmst", ordnete der Commander an. „Hasso gleichfalls, und auch du, Helga. Ich fliege zusammen mit Arlene und Mario los, du sorgst für eine einwandfreie Funkverbindung. Die ORION bleibt hier im stationären Orbit, sofern die Umstände keine Umorientie-rung erfordern. Sollten andere Fahrzeuge in der Umgebung auftau-chen, gebt ihr sofort Alarm."

Wenig später öffnete sich die Han-garschleuse, und das Beiboot schwebte ins Freie. Es fiel auf den Planeten zu, aber Cliff ließ es einen weiten Bogen beschreiben, so daß es aus der Gegenrichtung das Tal anflog. Er war gleichermaßen ungeduldig und neugierig, aber er beherrschte sich. Überstürztes Handeln konnte eher schaden als nutzen.

„Wer sich auch immer in der Ma-schine befindet, er muß total verun-sichert und verängstigt sein. Nur ein behutsames Vorgehen gibt uns die Aussicht, einen Kontakt in der'von uns gewünschten Weise herstellen zu können", erklärte er.

„Wahr gesprochen, großer Stratege", grinste Mario. „Hoffen wir nur, daß dieser Kontakt nicht darin besteht, daß man uns plötzlich einen schwarzen Spiegel vor die Pupillen hält!"

„Abwarten", gab McLane kurz zurück. Er steuerte die Lancet zwischen zwei Bergrücken hindurch, nahm dann Fahrt weg und den Antigrav in Betrieb.

Nun bewegte sich das Boot im Schneckentempo und vollkommen geräuschlos dahin. Cliff dirigierte es, dicht über den Baumwipfeln, über eine Felsbarriere hinweg. Dann hatten sie das bewußte Tal vor sich, und sofort sprach auch die Ortung an. Der Gleiter stand auf einer Grasfläche, seine Kabine war offen, und niemand befand sich darin.

Behutsam setzte der Oberst die Lancet hinter einer Baumgruppe auf, die ihr halbwegs Deckung gab. Dann rief er das Schiff an. „Habt ihr irgendwelche Beobachtungen machen können?" erkundigte er sich.

„Bedaure, Cliff", sagte Helga Le-grelle. „Wir haben euren Einflug be-merkt, und wir haben auch den Reflex des Gleiters auf dem Schirm, aber das ist alles. Über diese Entfernung hin ließ sich nicht feststellen, ob jemand das Fahrzeug verlassen hat."

„Wir sehen es, und es istverlassen", entgegnete Cliff. „Wo der oder die In-sassen geblieben sind, werden wir herausfinden. Wir steigen jetzt aus und durchkämmen das Gelände, das Tal ist nicht allzu groß. Falls sich andere Gleiter in dieser Gegend zeigen, rufe uns sofort an."

„Wird gemacht, großer Meister", versprach die Funkerin, und McLane unterbrach die Verbindung. „Hinaus mit euch, an die frische Luft", wandte er sich an seine Begleiter. „Hier wird sie nicht mit Raketensplittern und Betonstaub durchsetzt sein."

Sie verließen die Lancet und spürten sogleich die geringere Schwerkraft des Planeten. Das Gras war noch taufeucht, in den Bäumen und Büschen flatterten und zwitscherten bunte Vögel. Schmetterlinge segelten durch die Luft, kaum zehn Meter entfernt saß ein hasengroßes Nagetier und sah die Menschen neugierig aus dunklen Knopf äugen an. Makoma mochte gar kein

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übler Planet sein - in normalen Zeiten! Vorsichtig, jede Deckung ausnut-

zend, pirschten sich Cliff und die Gefährten an den Gleiter heran. Sie glaubten nicht an eine Gefahr, aber die Vorsicht saß ihnen im Blut. Plötzlich wies Arlene nach rechts, wo sich im knöcheltiefen Gras deutliche Fußspuren abzeichneten.

„Da sind zwei Menschen gegangen, Cliff!" raunte sie.

Der Commander nickte und folgte mit den Augen dem Verlauf der beiden Fährten. Sie führten zwischen die Büsche, die den Grasfleck säumten und sich bis an den etwa zweihundert Meter entfernten Berghang hinzogen. Sie liefen dicht nebeneinander her, beschrieben aber zuweilen vollkommen unmotivierte Kurven. Cliff zog sogleich die. richtigen Schlüsse daraus.

„Es sieht so aus, als wäre einer der Gleiterinsassen verwundet und müßte von dem anderen gestützt werden. Ich frage mich nur, weshalb sie sich dann ausgerechnet hier in die Wildnis begeben haben. Hier gibt es doch weit und breit keine Gelegenheit zur Versorgung eines Verletzten."

Sie setzten sich in Bewegung und folgten den Spuren.

Das Buschwerk wurde bald lichter, denn die Wurzeln fanden in dem steinigen Boden nur wenig Nahrung. Er war uneben und stieg rasch an, um dann in die zerklüftete, vegetationslose Bergwand überzugehen. Die Raumfah-rer hatten nun Schwierigkeiten, die Spuren zu verfolgen. Sie hatten sich einige Meter voneinander entfernt und verständigten sich durch leise Zurufe.

Plötzlich blitzte es über ihnen am Hang auf. Ein Strahlschuß fauchte heran, schlug hinter ihnen ein und verkohlte einige Büsche. Das geschah vollkommen überraschend, aber Cliff und seine Begleiter reagierten instinktiv. Sie warfen sich in die nächste

Deckung und zogen sofort ihre Waffen. Schon wenige Sekunden später feuerte der Schütze wieder. Er schien jedoch im Umgang mit dem Strahler nicht sehr geübt zu sein, denn auch diesmal lag der Schuß zu weit.

Nun hatte McLane aber erkannt, wo er sich aufhielt.

„Lauft los, wenn ich es sage", rief er Arlene und Mario zu. „Ich schieße zurück und zwinge den Mann in Dek-kung. Achtung: eins, zwei, drei - jetzt!"

Seine Gefährten gehorchten und rannten im Zickzack auf die Bergwand zu. Cliff zielte sorgfältig und visierte eine Stelle an, die einige Meter rechts von der dunklen Öffnung lag, aus der das Feuer gekommen war. Ihm lag nichts daran, einen Mann zu töten, der sich selbst nur mit Mühe und Not aus dem Chaos in der Stadt gerettet hatte.

Der Schuß aus der HM 4 schlug in den Fels, und ein Regen von glühenden Splittern spritzte nach allen Seiten davon. Cliff schoß nochmals, diesmal links daneben. Sein Plan ging auf, denn Mario und Arlene erreichten unbehelligt den toten Winkel. Ein dritter Feuerstoß, dann sprang er selbst auf und hetzte in weiten Sprüngen los.

Nun schoß auch sein Widersacher erneut, und diesmal besser. McLane spürte für Bruchteile von Sekunden den heißen Lufthauch, es roch nach Ozon, und seine Haare begannen zu knistern. Dann warf er sich hinter einen Felsblock und war vorerst in Sicherheit.

„Bist du in Ordnung, Cliff?" erkun-digte sich Arlene besorgt. Sie lag einige Meter links von ihm, de Monti auf der anderen Seite. Im Tal war es still geworden, die Vögel waren verstummt und hatten erschreckt das Weite gesucht. Dunkle Rauchschwaden trieben durch die Luft, abgesprengte Felsbrocken polterten den Hang hinunter und schlugen unten auf.

„Alles klar, Mädchen", sagte der

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Commander, als er wieder bei Atem war. „Bis hierher sind wir gekommen, aber jetzt ist unsere Lage nicht sonderlich günstig. Der Mann mit der Strahlwaffe sitzt da oben in einer Felsspalte oder Höhlung, und er kann von diesem Platz aus den ganzen Hang kontrollieren. Es muß auch einen Aufstieg dorthin geben, aber ihn zu nehmen, wäre der Weg in den sicheren Tod."

„Ich versuche es trotzdem", bot sich Mario an, aber Cliff wehrte energisch ab. „Du bleibst hier unten - das ist ein dienstlicher Befehl! Laß mich überlegen, irgendwie werde ich schon einen Ausweg finden."

Arlene Mayogah löste das schwierige Problem schon Sekunden später auf ihre eigene Art.

„Heh, Sie Verrückter da oben!" rief sie mit voller Lungenkraft. „Warum schießen Sie auf Leute, die nichts weiter vorhaben, als Ihnen zu helfen? Wir stehen nicht unter dem Einfluß der schwarzen Spiegel - wir sind Raumfah-rer von der Erde!"

„Gott sei Dank!" rief eine Männer-stimme von oben herab. Dann flog ein Handstrahler im hohen Bogen durch die Luft und fiel zwischen den Büschen nieder. Cliff erhob sich und drückte das Mädchen spontan an sich.

„Hab Dank, meine schwarze Perle", sagte er erlöst.

6. Zwei dunkelhäutige Männer standen

vor den Angehörigen der ORION-Crew. Beide waren unverletzt, wirkten jedoch vollkommen erschöpft und halb verhungert. Einer trug Zivilkleidung, der andere eine uniformähnliche Kombination.

Seine Augen blickten stumpf, er war nicht ansprechbar und völlig apathisch.

„Es tut mir ehrlich leid, auf Sie ge-schossen zu haben", erklärte der andere. „Ich habe die Landung Ihres Bootes nicht beobachten können und hielt Sie für Verfolger aus Arusa City. Wenn Sie das mitgemacht hätten, was ich in der letzten Zeit erlebt habe, wären Sie auch mißtrauisch gewesen. Jetzt habe ich jedoch Hoffnung, daß es wieder besser wird. Mein Päckchen an den GSD auf Terra hat also sein Ziel erreicht."

Cliff McLane sah ihn ungläubig an. „Sie sind Kanija Korosso, der Re-porter?" fragte er. Sein Gegenüber nickte.

„Der bin ich, Commander, aber ich habe mir schon oft genug gewünscht, es nicht zu sein. Verzeihung - haben Sie vielleicht etwas zu essen und zu trinken bei sich? Wir haben seit gestern nichts mehr zu uns genommen, und die Wasserversorgung in der Stadt funktioniert kaum noch."

„Kommen Sie mit in unser Boot", forderte Cliff ihn auf. Er aktivierte sein Armbandfunkgerät und unterrichtete den Rest der Crew im Schiff über die Entwicklung. Sie gingen los, und Mario de Monti führte den zweiten Mann, der kein Wort sprach und offensichtlich willenlos war.

In der Lancet angekommen, holte Arlene Fertiggerichte und Dosen mit Fruchtsaft hervor. Eine Viertelstunde später konnte die klärende Unterhaltung beginnen.

„Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben", sagte der Reporter. „Es ist jetzt schon so lange her, seit ich die Sendung zur Erde einem der Schiffe mitgab, die Makoma überstürzt verließen, als hier das Chaos begann. Es war mir gelungen, den schwarzen Spiegel einem Selbstmörder abzuneh-men, der sterbend auf der Straße lag. Er übte jedoch keine besondere Wirkung auf mich aus, ich scheine irgendwie immun zu sein. Ich kam nicht mehr

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dazu, einige aufklärende Zeilen zu schreiben, verpackte ihn und flog damit, von allen Seiten beschossen, zum Hafen. Mit viel Geld und Überredungs-kunst brachte ich einen Frachterkapitän dazu, das Päckchen mitzunehmen. In meinem Beruf hört man viel, und der GSD von Terra hat einen guten Ruf. Nicht zu Unrecht, wie ich sehe."

McLane ging nicht weiter auf das ein, was nach dem Erhalt des Spiegels auf der Erde geschehen war. „Berichten Sie mir, bitte, in chronologischer Reihen-folge, was sich hier ereignet hat. Jede Einzelheit kann wichtig sein, wenn es an die Bereinigung der Lage auf Makoma geht."

Korosso lächelte düster und deutete auf seinen Begleiter, der inzwischen in einem Kontursitz eingeschlafen war.

„Alles begann mit Marak Ajdon, der mit einem Forschungsschiff vom Sternhaufen NGC 188 zurückkam. Der Raumer brachte Tausende von schwarzen Spiegeln mit, die von den Eingeborenen eines dortigen Systems stammten. Niemand ahnte, welche Eigenschaften sie besaßen, sie wurden zu horrenden Preisen an die Einwohner von Arusa City verkauft. Am nächsten Morgen setzte dann die Welle von Amokläufen und Selbstmorden ein.

Natürlich hatte jeder der Käufer der Spiegel auch Angehörige, die gleich-falls hineinsahen. Offenbar genügte schon ein kurzer Blick auf die schwarzen Flächen, um die geistige Verwirrung der Menschen hervor-zurufen, die wie eine Lawine um sich griff. Innerhalb weniger Tage gab es hier Zehntausende von Toten, aber die Behörden waren hilflos, weil es auf Makoma weder Polizei noch Militär gab. Die Notfallmiliz wurde aufgerufen und trat auch teilweise zum Einsatz an, aber die für besondere Fälle angelegten Waffendepots waren leer! Diejenigen, die unter dem verderblichen Einfluß der

schwarzen Spiegel standen, hatten sie geplündert. Aus ihnen stammten die Waffen, die das Verderben erst auslösten."

Der Reporter schwieg erschöpft und griff gierig nach der Dose mit Fruchtsaft, die ihm Arlerie reichte.

Die Schilderung wurde leise und lei-denschaftslos vorgetragen, erschütterte die Raumfahrer aber gerade deshalb um so mehr.

„Dann trat eine Phase scheinbarer Ruhe ein", fuhr Korosso fort. „Die Stadt atmete auf und leckte ihre Wunden, niemand sprach von den schwarzen Spiegeln. Fünf Tage lang sah es so aus, als würden die Verhältnisse wieder normal, aber dieser Schein trog. Die hypnotischen Spiegel - so nenne ich sie selbst - bewirkten inzwischen, von vielen anderen Menschen betrachtet, eine Modifizierung der Vorgänge. Plötzlich rotteten sich die Leute zusammen und begannen mit Terroran-schlägen gegen öffentliche Einrichtun-gen. Mit Sprengstoffen, die aus den Minen in der Umgebung stammten, wurden die Regierungsgebäude zerstört, die Hyperfunkanlage von Arusa City und die Videozentrale in die Luft ge-jagt. Dann begann ein Kampf aller gegen jeden. Improvisierte Raketen beschossen die letzten Schiffe, die sich noch auf dem Hafen II Arusa befanden, und vertrieben sie von unserer Welt. Der Verkehr und die Versorgung der Bevölkerung kamen vollkommen zum Erliegen, niemand wagte sich noch auf die Straßen, weil er sofort unter Beschüß genommen wurde. Ich habe mich inzwischen schon tausendmal gefragt, welchen Sinn das alles haben könnte - ich fand ihn einfach nicht heraus."

Cliff McLane dachte unwillkürlich an Laguna und den Killersatelliten, der ebenfalls, einer uralten überholten Programmierung folgend, Tod und

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Verderben über eine ganze Welt gebracht hatte. Trotz aller Parallelen, die es gab, schien hier aber das Erbe des Rudraja als Urheber auszuscheiden. Daß die uralte Kosmische Macht auch in einem Sternhaufen, Tausende von Lichtjahren entfernt, eine Basis besessen haben sollte, war mehr als unwahrscheinlich.

Er wies auf Marak Ajdon, der leise schnarchend in dem Kontursitz hing. „Sie sagten vorhin, daß mit der Rückkehr seines Schiffes alles seinen Anfang genommen hätte. Logisch gesehen, müßte er dann doch eines der ersten Opfer der schwarzen Spiegel gewesen sein. Weshalb lebt er noch, und wie ist er in Ihre Gesellschaft gelangt?"

Kanija Korosso zuckte mit den Schultern.

„Den ersten Teil dieser Frage kann ich auch beim besten Willen nicht beantworten, Commander. Die Be-satzung der KAMBORA ist, soviel ich weiß, während der schrecklichen Ereignisse nie irgendwie aktiv in Er-scheinung getreten. Als die zweite Phase begann, war ich gerade im Auftrag unseres Chefredakteurs in der Stadt unterwegs. Zufällig gelang es mir, die Sprengung der Videozentrale zu filmen, und ich kehrte mit diesen Aufnahmen zur Redaktion zurück. Unterwegs lief mir Ajdon über den Weg, er rannte ziellos umher und wäre fast unter mein Fahrzeug geraten. Ich erkannte ihn und nahm ihn mit, in der Hoffnung, Auskünfte über die schwarzen Spiegel erhalten zu können. Vergeblich, und das nicht nur in einer Hinsicht. Als ich das Redaktionsgebäu-de erreichte, war es verlassen und verwüstet, überall lagen Tote herum. Ich unternahm noch einen Versuch, in meine Wohnung zu gelangen, aber er schlug fehl. So blieb ich notgedrungen mit dem Raumkapitän in der Redaktion.

Sie liegt im oberen Teil eines Hoch-hauses, von dort aus konnte ich die Stadt und ihre Umgebung übersehen.

Schließlich hatten wir alles Eßbare aufgezehrt, das in dem Bau zu finden war, und zum Überfluß kam auch kein Wasser mehr aus den Leitungen. Ich war bereits dazu entschlossen, einen Ausbruchsversuch zu wagen, da kamen Sie mit Ihrem Schiff. Ich ahnte, was nun geschehen würde, aber ich hatte keine Möglichkeit, Sie zu warnen. Als die ORION dem Raketenbeschuß unversehrt entkam, nahm ich das als ein gutes Zeichen. Ich griff mir den stupide dahindämmernden Marak Ajdon, brachte ihn in meinen Gleiter und flog los. Man beschoß mich von allen Seiten, aber ich war wild entschlossen, es zu schaffen. Das gelang mir auch mit Glück und Geschick, aber ich wußte nicht, wie ich Ihren Raumer erreichen konnte. Ich konnte nur hoffen, daß Sie mein Fahrzeug sichten würden, weil sich sonst kein einziger Gleiter mehr in der Luft befand. Unterwegs funkte ich pausenlos, aber ich bekam keine Antwort. So entschloß ich mich, in den Bergen zu landen. Das war es - alles Weitere wissen Sie bereits selbst." Er lehnte sich erschöpft zurück und schloß die Augen. Sekunden danach war er bereits eingeschlafen, und Cliff McLane verzichtete darauf, ihn noch zu stören. Statt dessen sah er seine Begleiter an.

„Jetzt kennen wir die Makoma-Story, zumindest zu einem großen Teil. Hier war offenbar einmal nicht das Erbe des Rudraja am Werk, aber die Bilanz ist trotzdem ausgesprochen bedrückend. Ich bin dafür, erst einmal eine schöpferische Pause einzulegen und alles mit den anderen im Schiff zu besprechen. Sei so nett, Mario, und stelle die Funkverbindung her."

*

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„Wirklich, eine böse Geschichte", sagte Hasso Sigbjörnson, oben in der ORION IX. „Dies scheinen tatsächlich denkende Spiegel zu sein, das sieht man an der Art, wie sie die Menschen stufenweise beeinflußt haben. Cliff, ich fürchte fast, daß diese Sache eine Nummer zu groß für uns ist. Wir sind ganze sechs Figuren, aber es gibt Tausende dieser Unglücksbringer. Wie sollten wir es wohl anstellen, sie aus dem Verkehr zuziehen?"

„Zumal die Makomaner einiges da-gegen haben dürften", ergänzte Atan Shubashi. „Sie schießen offenbar auf jeden, der nicht auch unter dem Einfluß eines Spiegels steht. Vermutlich gibt es irgendein Merkmal, an dem sie das erkennen." Cliff nickte düster. „Einfach losgehen und die Spiegel konfiszieren, ist wirklich nicht drin. Sobald wir unsere markanten Gesichter zeigten, wären wir schon, so gut wie tot. Das wäre eine Aufgabe für eine ganze Division von Raumlandetruppen. Zuvor müßte man aber die ganze Gegend vom Schiff aus mit Lähmstrahlern bestrei-chen, um die Bevölkerung durch Paralysierung auszuschalten. Und dann hätte die Angelegenheit noch immer einen gewaltigen Haken."

„Einen, an dem die Soldaten bald schon baumeln würden ...", murmelte Mario niedergeschlagen. „Alle Häuser durchzukämmen und die Spiegel einzusammeln, wäre kein Problem, sondern nur eine Zeitfrage. Die meisten Männer würden es sich aber kaum verkneifen können, wenigstens einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Das würde sie vermutlich innerhalb kürzester Zeit in einen Haufen durchdrehender Individuen verwandeln, und dann begänne der ganze Zauber von vorn!"

„Leider nur zu wahrscheinlich", meinte Helga Legrelle und seufzte. „Cliff, ich bin dafür, die Erde anzurufen

und Han Tsu-Gol und Katsuro über die Sachlage zu unterrichten. Sollen sie doch versuchen, einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden."

McLane wedelte verneinend mit der Hand.

„Das hieße, die Verantwortung nach bewährtem Muster auf dem Dienstweg von uns abzuwälzen. Nein, Helgamäd-chen, dieser Vorschlag ist hiermit dankend abgelehnt. Dies wäre das erstemal, daß die ORION-Crew gleich nach dem ersten Anlauf kapituliert. Bedenke nur, was für eine Wirkung das hätte - unser ganzes, sorgsam gepflegtes Image wäre mit einem Schlag zum Teufel! Niemand würde uns zukünftig noch mit besonderen Aufgaben betreuen, wir wären nur noch eine Allerweltsbesatzung, wie die meisten anderen auch. Möchtest du das verantworten?"

„Eine wirklich grausige Vision", ergänzte der Bordingenieur. „Keine Abenteuer mehr, keine Aussicht, jemals wieder als Retter der Menschheit zu füngieren, nur noch Stumpfsinn und Routine. Mich schaudert bei dem bloßen Gedanken an diese Mög-lichkeit!"

„Solch eine Schande über unseren Häuptern - undenkbar", ergänzte der Astrogator. „Dazu kämen dann noch die wirtschaftlichen Folgen: Niemand würde mehr lesen wollen, was der selige Pieter Paul Ibsen über uns geschrieben hat! Seine Bestseller würden eingestampft, der Verlag ging pleite, der Umsatz der Papiermühlen würde sich drastisch verringern. Außerdem müßten die Erben des großen Dichters hinfort am Hungertuch nagen, weil die Tantiemen ausblieben. Nicht nur unser Ruf wäre ruiniert, sondern auch eine Menge unschuldiger Menschen."

Die Diskussion hatte eine Wendung genommen, die sie für einen Außenste-

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henden, angesichts der Gefahr für den Planeten Makoma, als äußerst deplaziert, fast schwachsinnig, erscheinen lassen mußte. Doch auch dies gehörte zum besonderen Stil der ORION-Crew. Indem sie sich vorübergehend von den "wirklich wichtigen Dingen ablenkte, gewann sie Abstand zu ihnen. Sie trieb Unsinn, aber sie tat es mit Methode. Nach dieser „schöpferischen Pause" konnte sie daran gehen, sie aus einer anderen, vielleicht besseren Perspektive zu betrachten, und so zu neuen, überra-schenden Erkenntnissen gelangen.

Diesmal kam es jedoch nicht soweit. Die Ursache, die das vereitelte, hieß

Marak Ajdon. Der Raumkapitän war erwacht, erhob sich, und ging schwan-kend im Steuerraum der Lancet umher. Sein Gesicht war grau und verfallen, sein Blick irrte stumpfsinnig hin und her. Sein Mund war halb offen, zuweilen rannen Speichelfäden aus ihm zum Kinn herab. Er bot den Anblick eines Mannes, dessen Geistesflamme fast erloschen war.

Cliff nickte kurz, und Mario nahm sich seiner an. Er ergriff seinen Arm und führte ihn zu seinem Kontursitz zurück, und Ajdon ließ es willenlos geschehen. Indessen öffnete Arlene eine Medobox und holte daraus die Hochdruckspritze mit einem mittel-starken Sedativum hervor. Der Ky-bernetiker streifte den rechten Ärmel der Kombination des Frachterkapitäns hoch, und gleich darauf zischte eine Dosis des Medikaments in dessen Blutbahn.

Schon Sekunden später entspannte sich der Körper des großen, hilflosen Mannes. Er blieb bei Bewußtsein, aber der ziellose Bewegungsdrang wich von ihm. Dafür kamen nun stammelnde, unverständliche Worte aus seinem Mund.

Der Commander runzelte die Stirn

und bemerkte leise: „Man sieht, daß dieser Mann viel durchgemacht hat, aber eine Frage bleibt dabei offen. Er war doch einer der ersten, die Kontakt mit den diabolischen Spiegeln hatten. Weshalb reagiert er so gänzlich anders als die Bewohner von Makoma? Diese wurden zu Amokläufern. Warum nicht auch er?"

„Eine gute Frage, Cliff", sagte Hasso vom Bildschirm her. „Es besteht aber die Möglichkeit, daß er den anderen Opfern nur um einiges voraus ist. Vielleicht ist sein Zustand das Endstadium, das alle erreichen werden, die mit dem Anblick dieser Spiegel konfrontiert wurden?"

„Das glaube ich nicht", warf Arlene Mayogah ein. „Ich nehme vielmehr an, daß Ajdon unter einem schweren Schock steht, der diese Geistestrübung ausgelöst hat. Man müßte versuchen, ihn davon zu befreien."

„Du hast eine Idee?" fragte Cliff aufhorchend. Das Mädchen nickte zögernd.

„Du weißt, daß ich mich früher in-tensiv mit allem befaßt habe, was mit Hypnose zusammenhing. Ich könnte versuchen, den Mann zu hypnotisieren, Cliff. Die Voraussetzungen sind gut, denn das Medikament hat ihn in einen Zustand aufnahmebereiter Entspannung versetzt. Vielleicht bessert sich sein Befinden darauf hin wesentlich."

McLane wiegte den Kopf. „Schaden dürfte ein solcher Versuch

ihm wohl kaum", sagte er dann „Okay, du hast meinen Segen dazu Oder hat sonst jemand Einwände vorzubringen?"

Es gab keine. „Marak Ajdon ist, in bezug auf die

schwarzen Spiegel, eine Schlüsselfi-gur", erklärte Hasso dazu. „Ihn zu-mindest teilweise zur Normalität zurückzuführen, könnte von großem Vorteil für uns sein. Vielleicht kann er uns wenigstens soviel sagen, daß ein

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Teil der Rätsel von Makoma geklärt wird."

Inzwischen kramte Arlene bereits in einem Fach und brachte daraus eine Handlampe mit bunten Filtervorsätzen hervor. Sie sah Cliffs fragenden Blick und erklärte: „Es ist fraglich, ob Ajdon in seinem Zustand auf eine mündliche Einrede reagieren wird. Deshalb möchte ich die psycho-mechanische Methode anwenden, das System kreisender bun-ter Lichter, das meist in Zweifelsfällen die besten Erfolge erzielt."

„Wende an, Mädchen", sagte der Commander. „Es kommt nicht auf die Methode an, allein die Wirkung ist ausschlaggebend."

*

Die ORION IX schwebte über dem Planeten, auf dem ein Großteil der Bewohner, weit von der Normalität entfernt, unter dem Einfluß stand, der von den schwarzen Spiegeln ausging. Haß und Terror regierten; wer noch normal war, mußte sich verbergen und zusehen, daß er irgendwie am Leben blieb. Es gab keine geregelte Versor-gung mehr, kaum noch Trinkwasser, und nur die vollautomatisch gesteuerten Kraftwerke liefen noch. Allerdings war infolge der Terrorakte das elektrische Leitungsnetzt teilweise zerstört, und die Liste ließ sich in einer langen Reihe wreiter fortsetzen.

In dem Tal zwischen den Bergen war von alldem nichts zu bemerken. Die Lancet stand auf ihren Landestützen inmitten der Lichtung, und drei Terraner bemühten sich, den verwirrten Geist des Raumkapitäns zu heilen, soweit das in ihren Kräften stand. Die Sichtscheiben des Bootes waren verdunkelt, so daß nur ein schwaches Dämmerlicht darin herrschte. Arlene hatte inzwischen damit begonnen, Marak Ajdon mittels der Lampe in

Hypnose zu versetzen. Zumindest hoffte sie, daß es ihr gelang.

Zu diesem Zeitpunkt erwachte der Reporter wieder, streckte sich, und sah sich verständnislos um. „Was geschieht hier?" erkundigte er sich bei Cliff McLane, der aufmerksam die Bemü-hungen des Mädchens beobachtete.

„Still!" raunte Cliff und erklärte Korosso in kurzen Worten das Vor-haben. Indessen schwenkte Arlene weiter die Lampe im Kreis und sprach in monotonem, suggestivem Tonfall auf Ajdon ein. Im Gesicht Marios war deutlich Skepsis zu erkennen.

Sie wich aber nach kurzer Zeit, denn der Kapitän reagierte tatsächlich positiv. Sein Gesicht entspannte sich, der Ausdruck der Stupidität wurde deutlich gemildert. Er verfiel in Trance, aber in diesem Zustand war der Blick seiner Augen erheblich klarer als zuvor. Das Mädchen nickte den anderen zu, und fragte dann, langsam und deutlich akzentuiert:

„Sie waren es doch, der die schwar-zen Spiegel nach Makoma gebracht hat, nicht wahr? Sagen Sie mir jetzt, was es mit ihnen auf sich hat. Warum verwirrt sich der Geist jener Menschen, die in die schwarzen Flächen sehen? Weshalb rasen und morden sie?"

Marak Ajdon bäumte sich kurz auf, ein konvulsivisches Zucken flog über seine Züge. „Es ist . . . es ist ein Fluch!" stammelte erwiderstrebend. „Wir haben ihn heraufbeschworen ... wir haben den Helo-Uminds . . . die heiligen Spiegel gestohlen. Wir sind . . . wir sind an allem schuld!"

Mario und Cliff waren neben den Kontursitz getreten, faßten Ajdon an den Armen und hielten ihn darin fest. „Regen Sie sich nicht auf, Marak", sagte Arlene ruhig und eindringlich. „Sie sind hier unter Freunden, die Ihnen helfen wollen, Ihnen und ganz Makoma. Dazu brauchen wir jedoch Ihre

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Auskünfte, Ihre Mitarbeit. Haben Sie verstanden?"

„Ich habe verstanden", gab der Ka-pitän, nun wieder vollkommen ruhig, monoton zurück.

„Sehr gut", sagte das Mädchen. „Denken Sie jetzt nicht mehr an Ma-koma, erinnern Sie sich an etwas, was vorher war. Wer sind die Helo-Um-inds, und wo leben sie? Was hat Sie dazu bewogen, ihnen die schwarzen Spiegel zu entwenden?"

Plötzlich begann Ajdon, Wenn auch sehr leise, zusammenhängend und flüssig zu reden: „Die Helo-Uminds - wir fanden sie auf einer Welt, die sie selbst Gaithor nennen, im Sternhaufen NGC 188. Sie leben auf einem schmalen Gürtelkontinent, sind humanoid und sehr gutmütig. Wir waren zwei Wochen bei ihnen, und es waren schöne Wochen. Sie kennen keine Technik, haben aber für Eingeborene eine relativ hochstehende Kultur. Sie gaben uns alles, was wir wollten, nur ihre schwarzen Spiegel nicht, obwohl sie sie im Überfluß besitzen,"

Er machte eine Pause, und nun schaltete Cliff sich ein. „Frage ihn, wozu sie die Spiegel benutzen", flü-sterte er.

Arlene gab die Frage weiter, und Ajdon antwortete bereitwillig. „Sie wollten nicht darüber reden, die Spiegel sind Heiligtümer oder mindestens Kultgegenstände für sie. Sie saßen oft stundenlang da und sahen wie entrückt hinein, ohne ein Wort zu reden. Überall in den Speicherhütten lagen Tausende überzähliger Spiegel herum, und unsere Wissenschaftler . . . ich war dagegen . . . ich wollte nicht . . . "

Plötzlich begann er am ganzen Körper zu zittern, und seine Stimme erstarb. Sein Gesicht verzerrte sich und nahm wieder den geistlosen Ausdruck an, den es vor dem Beginn des

Experiments gezeigt hatte. „Frage ihn nach den Koordinaten von

Gaithor, schnell!" rief Cliff dem Mädchen zu. „Wir müssen sie unbe-dingt haben, auf diesem Planeten ist der Schlüssel für alle Ereignisse zu finden."

Arlene sprach erneut auf Marak Ajdon ein, aber er reagierte nicht mehr. Das Zittern seiner Glieder ebbte ab, seine Augen fielen zu, und er sank übergangslos in den tiefen Schlaf der totalen Erschöpfung.

„Da ist vorerst nichts mehr zu ma-chen, Cliff", sagte Arlene resignierend. „Dieser Mann ist in einem miserablen Zustand, es war schon fast ein Wunder, daß er so klare Auskünfte gab. Vor Ablauf eines halben Tages können wir nicht mehr darauf rechnen, mehr von ihm zu erfahren."

McLane sagte ein wenig feines Wort. „Verdammt, daß er gerade im entscheidenden Augenblick schlapp-machen mußte", knurrte er dann. „Wir haben zwar eine ganze Menge erfahren, aber eben das Wichtigste nicht."

„Kein Grund zur Aufregung, Cliff", sagte Hasso über die Bildfunkver-bindung zur ORION. „Zuweilen muß man sich auch bescheiden können, und wenn es noch so schwer fällt. Ziehen wir jetzt erst einmal das Fazit aus allem."

Arlene nickte, kam zu Cliff und schmiegte sich an ihn.

„Hasso hat recht, alles auf einmal kann man nur selten haben. Mir gibt besonders zu denken, was Ajdon über den Umgang der Helo-Uminds mit ihren Spiegeln ausgesagt hat: Sie saßen oft stundenlang da und sahen wie entrückt hinein, ohne ein Wort zu reden! Das ergibt gegenüber dem, was hier auf Makoma geschehen ist, eine Diskrepanz wie zwischen Tag und Nacht. Wir sollten versuchen, eine Erklärung dafür zu finden."

„Der Sternhaufen NGC 188 ist eine

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Ansammlung sogenannter alter Sterne", meldete sich Atan Shubashi. „Das Leben dort muß viel früher entstanden sein. Folglich sind auch die Helo-Uminds eine sehr alte Rasse, die diese Spiegel vielleicht schon seit Jahrtausen-den besitzt. Der lange Umgang mit ihnen wird sie dazu befähigen, die angeblich magischen Kräfte derselben irgendwie zu neutralisieren oder zu beherrschen."

Mario de Monti verzog das Gesicht. „Wenn das so ist, wie wäre es dann mit folgender Hypothese: Diese Ein-geborenen wußten sehr genau, was sie taten, als sie Ajdon und seinen Leuten die Aushändigung von schwarzen Spiegeln verweigerten! Sie mußten die Menschen inzwischen gut genug kennengelernt haben, um zu wissen, daß diese sich nicht damit bescheiden würden. Vielleicht haben sie den Diebstahl der Spiegel auf diesem Umweg provoziert."

„Um eine ganze Welt sinn- und zwecklos ins Chaos zu stürzen?" fragte Helga Legrelle skeptisch. „Was hätten sie davon, wo sie doch Tausende von Lichtjahren von Makoma entfernt sind? Diese Annahme erscheint mir mehr als kühn, Mario."

„Mir ebenfalls", stimmte McLane ihr zu. „Beenden wir vorerst die Diskussi-on, ohne weitere Fakten ist sie doch sinnlos. Wir werden eben notgedrungen abwarten müssen, bis Ajdon erneut ansprechbar ist."

„Moment, Commander, eben fällt mir etwas ein", meldete sich Kanija Korosso, der bis dahin stiller Beob-achter gewesen war. „Ich weiß zufällig, daß die KAMBORA, Marak Aj-dons Raumschiff, nach ihrer Rückkehr zur Überholung in die Raumhafenwerft von IlArusa gebracht worden ist. Dort dürfte sie sich auch jetzt noch befinden, denn als das Chaos begann, wurden alle Arbeiten am Hafen eingestellt. Nützt

Ihnen das etwas?" Cliff lachte auf und schlug ihm auf

die Schulter. „Und ob, Mann der Informationen!

Jedes Schiff der Erde und der Kolo-nialwelten besitzt einen automatischen Kursaufzeichner, also auch die KAMBORA. Darin, und wohl auch im Autopiloten, der den Flug durch den Hyperraum steuert, dürften mit großer Gewißheit die Koordinaten von Gaithor gespeichert sein! Ich sehe Land für uns, Freunde und Freundiryien."

„Auf zum Raumhafen?" fragte Atan Shubashi. McLane nickte.

„Natürlich, was sonst. Wir operieren getrennt: du bringst die ORION dorthin, nimmst sie aus dem Orbit und behältst die Raketenstellung im Auge, damit sie uns keine neuen Schwierigkeiten bereiten kann. Wir bleiben in der Lancet und fliegen gleichfalls zum Hafen - auf geht's!"

7. „Hallo, Kommandant", sagte Helga,

Legrelle. Die Funkverbindung zwischen den beiden Fahrzeugen wurde permanent aufrechterhalten, und Cliff meldete sich sofort.

„Hier bin ich, Helgamädchen. Etwas von Belang?"

„Allerdings, Cliff: Man hat inzwi-schen zwei weitere Raketenstellungen eingerichtet, eine davon in der Nähe der Werft! Wir stehen jetzt zwei Kilometer über dem Hafen, und können alles genau übersehen. Offenbar sind die Projektile jetzt speziell für den Beschuß von Luft- und Raumfahrzeugen vorgesehen, die Gerüste zeigen steil in den Himmel. Bisher haben die Makomaner die ORION noch nicht bemerkt - doch, jetzt haben sie! Die ersten drei Raketen steigen auf, aber sie sind langsam, kein Problem, ihnen

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auszuweichen. Deine Befehle?" Die Lancet hatte einen Umweg ge-

macht, um das Stadtgebiet nicht überfliegen zu müssen. Sie raste in fünfhundert Meter Höhe dahin, ihr Ziel war die Werft, die östlich des Hafens lag. Sie war nur noch etwa zwei Kilometer entfernt, und McLane verringerte nun die Fahrt. Deutlich sah er auf dem Hauptbildschirm die ORION IX, und er erkannte auch die Projektile, die mit langen Schweifen aus Feuer und Rauch in den Himmel stiegen. Das Schiff wich ihnen in elegantem Bogen aus, aber auch sie änderten daraufhin ihre Richtung und folgten ihm.

„Schutzschirm einschalten, Atan!" rief Cliff hastig aus. „Die Burschen haben offenbar automatische Suchköpfe eingebaut."

„Schon geschehen", beruhigte ihn Shubashi sofort. Sekunden später detonierten die Geschosse am Schirm, der sie mit Leichtigkeit aufhielt. Cliff nickte zufrieden, aber schon im nächsten Moment griff er hart in die Steuerung und riß die Lancet herum. Die Gegner hatten das Boot nun auch bemerkt, und ihm ebenfalls drei Raketen zugedacht. Sie folgten ihm beharrlich, waren kleiner und wendiger als die ersten, und stellten eine ernste Gefahr für das Beiboot dar.

„Dafür, daß die Makomaner nie Streitkräfte besaßen, haben sie er-staunlich schnell gelernt", stellte der Commander fest. Er ließ die Lancet durchsacken, bis sie sich nur noch fünfzig Meter über dem Hafengelände befand. Die Projektile schossen nun schräg von oben auf sie zu, und genau das hatte er gewollt. Erneut riß er das Fahrzeug zur Seite, beschleunigte dann voll und stieß steil nach oben. Die Raketen versuchten zu folgen, schafften es jedoch nicht mehr. Sie krachten auf den Boden und explodierten dort, ohne Schaden anzurichten.

„Eben reicht es!" knurrte Cliff, der sah, daß man inzwischen auch das Schiff mit zwei weiteren Salven bedacht hatte. „Bist du im Geschützstand, Hasso? Gut, dann bestreiche doch die Verrückten da unten mit Lähmstrahlen, damit dieser Spuk endlich aufhört."

Eine Minute später rührte sich bei den Stellungen nichts mehr. McLane wies Shubashi an, die ORION über den Werftanlagen zu halten, zur Sicherung gegen etwaige weitere Gegner. Er selbst setzte die Lancet vor der größten Halle auf, die allein als Aufenthalt für die KAMBORA in Frage kam.

„Komm, Mario, wir steigen aus", bestimmte er nach einem kurzen Rundblick. „Korosso, achten Sie bitte auf die Bildschirme, du, Arlene, deckst uns mit dem Bordgeschütz den Rücken."

Die beiden Männer sprangen aus dem Boot, ihre Hände ruhten über den Griffstücken der Strahler. Ringsum war jedoch alles ruhig, das gesamte Werftgelände lag verlassen da. Die Sonne stand nun schon hoch am Himmel, und ein leichter, warmer Wind zerstreute die letzten Reste der Explosionswolken. Das riesige Hangartor war geschlossen, fuhr aber schon nach dem ersten Druck auf den Öffnungskontakt zur Seite.

„Hier gibt es also noch Strom", stellte Cliff erleichtert fest. „Gut, das vereinfacht alles." Er schob sich in die gewaltige Halle und sah im einfallenden Licht den Körper des For-schungsraumers aufragen. Mario suchte und fand den richtigen Schalter, die Flutlichtanlage blendete auf und erfüllte den Raum mit ihrem grellen Schein.

Die vielfältigen Anlagen waren hochmodern, aber die beiden Raum-fahrer schenkten ihnen kaum einen Blick. Ihr Interesse galt allein der KAMBORA, ihre Schotte waren ge-öffnet und die Personenrampe aus-

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gefahren. Cliff und Mario stiegen sie empor und betraten das Schiff. Be-leuchtung und Antigravschacht funktionierten, durch Speicherbänke versorgt, und wenig später konnten sie die Steuerzentrale betreten.

Das erste Bemerkenswerte, das Cliff McLane darin sah, war ein schwarzer Spiegel! Er steckte mit dem Stielgriff in einer spaltbreit geöffneten Abdeckplatte am Hauptsteuerpult. Rasch legte der Kybernetiker die Linke vor die Augen, als er die glänzende schwarze Fläche sah. Seine Rechte zog die HM 4, aber der Commander fiel ihm in den Arm.

„Nicht doch, Mario - auf diese Ge-legenheit habe ich schließlich gewartet! Man kann einer Gefahr nicht dadurch begegnen, daß man sie ignoriert, das war noch nie meine Art. Ich werde mich ihr stellen, um zu sehen, was dabei herauskommt."

„Bist du verrückt geworden?" entfuhr es de Monti. Cliff grinste kurz und schüttelte den Kopf. „Mitnichten, Freund. Ich will ein wohlkalkuliertes Risiko eingehen, sonst nichts. Ich sehe jetzt in den Spiegel, du beobachtest mich scharf; sobald ich beginne, anomale Reaktionen zu zeigen, paralysierst du mich - das ist ein dienstlicher Befehl!"

Marios Mienenspiel zeigte deutlich, was er von dem Vorhaben hielt, aber er gehorchte. Mit drei Schritt Abstand folgte er McLane, der nun entschlossen auf das Steuerpult zuging. Er war durchaus nicht so gelassen, wie er sich gab, ein sonderbares Gefühl machte sich in ihm breit. Es war jedoch keine Furcht, sondern mehr Erwartung und Wiß begier, mit der er der Konfrontati-on entgegensah. Er nahm im Pilotensitz Platz und richtete den Blick voll auf den Spiegel, dessen Fläche sich kaum einen halben Meter vor seinem Gesicht be-fand. Was würde nun geschehen ...? fragte er sich.

In den ersten Sekunden schien sich gar nichts zu ereignen. Das wie gelackt wirkende schwarze Oval reflektierte wohl das Licht, aber Cliff suchte vergeblich nach seinem Abbild darin. Er begann sich zu wundern, merkte jedoch schon im nächsten Augenblick, daß dieses Gefühl nicht nur aus ihm selbst kam. Die Welle des Erstaunens, die ihn erfüllte, ging zum größten Teil eindeutig von dem Spiegel aus!

Hinter sich hörte er die schweren Atemzüge de Montis, aber er achtete nicht darauf. Er konzentrierte sich voll auf die schwarze Fläche, bemüht, alle ihn ablenkenden Gedanken abzublo-cken. Weitere Sekunden vergingen, die Verwunderung in ihm nahm noch zu. Dann bildeten sich, zuerst nur schwach, dann immer deutlicher, Konturen in dem Spiegel aus. Sie formten sich schließlich zu seinem eigenen Gesicht, aus dem ihn seine Augen, von einer stummen Frage erfüllt, eindringlich ansahen.

Dann verschwand das Bild abrupt wieder, und zugleich auch die Ver-wunderung aus seinem Geist. Er starrte noch eine Weile in das Oval, aber es geschah nichts mehr. Aufatmend drehte er sich zu dem Kybernetiker um, der ihn aus schmalen Augen mißtrauisch ansah.

„Alles in bester Ordnung, Alter", sagte er und erhob sich langsam wieder. „Etwas ist geschehen, aber nichts, das dich irgendwie beunruhigen müßte. Ich bin nach wie vor voll Herr meiner Sinne, werde also weder dich noch mich zu ermorden versuchen. Zufrieden?"

Mario de Monti zuckte mit den Schultern, die Anspannung verlor sich aus seinem Gesicht. Er vermied es jedoch, selbst in den Spiegel zu sehen, und Cliff schlug ihm mit mildem Lächeln auf die Schulter.

„Komm jetzt, wir rufen die Koordi-naten von Gaithor aus den Speichern ab. Wenn wir sie haben, können wir endlich

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dazu übergehen, die Initiative zu ergreifen, deren Endziel die Normalisie-rung der Zustände auf Makoma sein wird."

Nichts hinderte die beiden Männer daran, die Daten aus dem Kursauf-zeichner und Autopiloten abzufragen. Sie erhielten sie anstandlos. Mario nahm die Folien an sich und wandte sich zum Gehen. Cliff dagegen zögerte noch einen Moment. Dann nahm er, einem plötzlichen Impuls folgend, den schwarzen Spiegel an sich. Er schob ihn wortlos in das Oberteil seiner Bord-kombination, und verließ dann gleichfalls den Steuerraum.

„Da seid ihr endlich!" empfing Ar-lene erleichtert die beiden Gefährten. „Hier hat sich nichts ereignet, aber wir haben uns Sorgen um euch gemacht. Ist alles glatt gegangen?"

„Bei uns geht immer alles glatt", behauptete de Monti großspurig und warf die Datenblätter auf den Kar-tentank. McLane grinste verstohlen, nahm im Pilotensitz Platz und schaltete den Antrieb ein. Gleich darauf schoß die Lancet in die Höhe, erreichte die ORION und wurde eingeschleust. Kanija Korosso und Kapitän Ajdon kamen mit an Bord und wurden in den Gästekabinen untergebracht.

Der Commander unterrichtete die Crew über das, was zuvor in der KAMBORA geschehen war. Dann wandte er sich der Funkerin zu.

„Bitte, nimm Verbindung zu T.R.A.V. auf, Helgamädchen. Sage ihnen knapp und präzise, was wir hier erlebt haben, laß dich aber auf keine unnützen Erörterungen ein. Sollte jemand versuchen, dir auf die Nerven zu fallen, weise ihn darauf hin, daß wir bereits nach Gaithor im NGC 188 unterwegs sind."

„Sind wir das?" fragte Hasso Sig-björnson vom Maschinenraum aus, in dem er sich nun wieder befand. Cliff

McLane grinste nur und nahm den Pilotensitz ein. Er beschleunigste die ORION mit vollen Werten, und bald fiel Makoma, die Welt voller Mord und Terror, hinter dem Schiff zurück.

*

„Das war ein verdammt langer Flug", seufzte Mario, als das Schiff endlich wieder den Hyperraum verließ. „Immerhin sind wir jetzt fast am Ziel unserer Wünsche; oder kannst du eine Kursabweichung von Bedeutung feststellen, Atan?"

Der Astrogator rechnete bereits eifrig, verglich seine Daten mit denen, die aus der KAMBORA stammten, und ermittelte das Spektrum der nahen Sonne. Dann wandte er sich um und schüttelte den Kopf. „Keine Differen-zen, alles ist in bester Ordnung. Das da vorn muß die Sonne Fasom sein."

„Sehr schön, Freunde", sagte Cliff. „Arlene, sei so nett, und hole Marak Ajdon in die Zentrale. Ich hoffe, daß er uns jetzt einige zusätzliche Auskünfte geben kann. Der Anblick der hiesigen Konstellationen dürfte Erinnerungen in ihm wecken. Notfalls mußt du ihn noch einmal hypnotisieren, damit wir von ihm den Ort erfahren, an dem sich sein Schiff auf Gaithor befand."

„Ich fliege, hoher Gebieter" lächelte das Mädchen und verließ den Steuer-raum. In den vergangenen Tagen hatte sich das Befinden des Raumkapitäns wesentlich gebessert. Medikamente aus der Bordapotheke, die speziell auf die Belebung der Gehirntätigkeit ausgerich-tet waren, zeigten ihre Wirkung. Ajdon war zwar noch immer weitgehend teil-nahmslos, aber schon wieder dazu fähig, selbständig zu essen und die sonst notwendigen Verrichtungen vorzuneh-men. Die meiste Zeit über schlief er jedoch.

„Meinen Sie, daß wir auf Gaithor die

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volle Wahrheit über die schwarzen Spiegel erfahren werden, Cliff?" fragte der Reporter. McLane verzog das Gesicht.

„Was ist Wahrheit! fragte schon Pontius Pilatus, und das ist einige tausend Jahre her! Dazu kann ich nur einen Spruch aufsagen, den ich in verschiedenen Abwandlungen schon Dutzende von Malen gebraucht habe: Die absolute Wahrheit gibt es nicht, Kanija. Sie kann viele verschiedene Gesichter haben, je nach dem Stand-punkt und der Mentalität des Betrach-ters. Dem einen Individuum kann sie die höchste Seligkeit bescheren, für das andere kann sie voller Bitterkeit sein. In dieser Beziehung gleicht sie den schwarzen Spiegeln."

„Wie meinst du das?" forschte Helga Legrelle verwundert.

„Ganz einfach, Helgamädchen: Die Wahrheit an sich ist gewissermaßen ein Neutrum, also weder gut noch böse, nur zeitigt sie verschiedene Wirkungen. Ich habe lange nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß das gleiche auch für die Spiegel gilt. Den Helo-Uminds scheinen sie zur geistigen Erbauung zu dienen - den Makomanern haben sie dagegen nichts als Unheil gebracht. Wenn diese magischen Spiegel wirklich denken können, muß es eine Art von geistiger Beziehung zu ihren Besitzern geben, die sich aber wohl kaum auf Anhieb einsteilen dürfte. Wer das nicht weiß, dem können leicht Pannen unterlaufen, und das muß wohl auch auf Makoma der Fall gewesen sein. Den Leuten dort fehlte das nötige Verständnis für die Spiegel, und das löste dann Fehlreaktionen auf beiden Seiten aus."

„Gut gesprochen, großer Philosoph", spöttelte Mario de Monti. „Große Worte gelassen daherzusagen war ja schon immer eine deiner Stärken. Dies ist allerdings eine bloße Theorie, für die dir

jeder Beweis fehlt." „Fehlt er wirklich?" fragte Cliff ernst.

„Ich meine, daß das Gegenteil hinlänglich bewiesen ist. Schließlich habe auch ich in einen schwarzen Spiegel gesehen, obwohl ich um seine Fähigkeiten wußte, und nichts ist ge-schehen. Inzwischen habe ich das Experiment mehrmals wiederholt, und es hat sich nichts geändert."

„Du hast den Spiegel mit an Bord gebracht?" keuchte der Kybernetiker und zog sich unwillkürlich einige Schritte zurück. Der Commander nickte gelassen und griff in seine Kombinati-on.

„Hier ist er, und ich sehe jetzt wieder hinein! Er zeigt mein Gesicht, mit einem satten Grinsen, obwohl ich keine Miene verziehe. Bitte, überzeugt euch selbst."

Keiner traute sich das zu, weder Mario, noch Helga oder Atan. Nur Kanija Korosso trat hinter Cliff, im Vertrauen auf seine augenscheinliche Immunität. Er lächelte gleich darauf den anderen zu, und nun kam auch die Funkerin zögernd näher. Cliff drehte den Spiegel so, daß die schwarze Fläche ihr zugewandt war, und Helga sah mutig darauf.

Sie erblickte ihr eigenes Gesicht, nur stimmte auch bei ihr die Mimik nicht. In ihren Zügen lagen Skepsis und ein leichter Anflug von Besorgnis, ihr Spiegelbild dagegen sah sie fragend und nachdenklich an. Gleich darauf begann es zu lächeln, blieb für einige Sekunden so und verschwand dann spurlos. Das Mädchen atmete auf, und nun folgten auch die anderen ihrem Beispiel. Dreimal wiederholte sich der gleiche Vorgang, und de Monti nickte beein-druckt.

„Hiermit leiste ich in aller Form große Abbitte; du hattest recht, wie fast immer. Was läßt sich nun aber aus all dem folgern, Cliff? Hängt es vielleicht

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damit zusammen, daß wir aus der Vergangenheit kommen oder mit einer größeren psychischen Stabilität ausgerüstet sind?"

In diesem Moment kam Arlene, zu-sammen mit dem Kapitän der KAM-BORA, in die Zentrale. Sie kamen auf McLane zu, und dieser hielt den Spiegel zufällig so, daß Ajdon hineinsehen mußte. Obwohl sein Gesicht ruhig und unbewegt war, bildete sich in dem schwarzen Oval sofort eine bösartige Grimasse aus, und der Makomane schreckte davor zurück.

Im nächsten Augenblick verzerrten sich seine Züge. Er warf sich ungestüm nach vorn, entriß Cliff den Spiegel und versuchte, ihn mit Schlägen gegen das Pilotenpult zu zertrümmern. Mario und Atan reagierten jedoch rasch genug. Es gelang ihnen, Ajdon den Spiegel wieder

zu entreißen und dem Commander zu übergeben, der ihn sofort in seiner Kombination verschwinden ließ.

„Tut mir leid, Cliff", sagte Arlene bestürzt. „Ich konnte ja nicht ahnen, was hier vorgeht, sonst hätte ich besser aufgepaßt. Jetzt scheint der Anfall aber vorbei zu sein."

Tatsächlich beruhigte sich Marak Ajdon übergangslos wieder. Überrascht sahen die anderen, daß nun die Starre von seinem Gesicht verschwand, seine Augen blickten klar und richteten sich auf Cliff McLane.

„Ich bedaure diesen Vorfall, Com-mander", sagte er langsam. „Der An-blick kam zu überraschend für mich, aber im Endeffekt scheint er doch eine positive Wirkung erzielt zu haben. Am Anfang war ohnehin alles ganz anders. Als sich die KAMBORA auf dem Rückflug befand, standen wir alle unter dem Einfluß der schwarzen Spiegel, aber sie versetzten uns nur in eine Art von Trance. Erst am Morgen nach unserer Ankunft auf Makoma begannen die übrigen Mitglieder meiner

Besatzung, genauso durchzudrehen wie die Käufer der Spiegel. Ich selbst geriet in einen Zustand geistiger Verwirrung, der jedoch nie in Raserei ausartete. Alles, was um mich herum vorging, erlebte ich in einem Dämmerzustand. Mein Verstand arbeitete nach wie vor klar, aber mein vegetatives Nerven-system spielte verrückt. Vermutlich war dieser Zwitterzustand auf die Gehirn-operation zurückzuführen, der ich mich vor zehn Jahren unterziehen mußte. Damals wurde mir ein Tumor entfernt, wobei vermutlich einige Nervenleiter unterbrochen worden sind."

Kanija Korosso nickte spontan. „So ähnlich dürfte es sich auch bei mir verhalten, Marak. Im Alter von zwölf Jahren hatte ich eine Hirnhaut-entzündung, die aber rasch wieder auskuriert wurde. Das dürfte der Grund für meine Immunität gegen die Spiegel sein."

„Das freut mich für Sie beide", sagte" Cliff. „Nachdem nun auf diese Weise soweit alle Klarheiten beseitigt sind, wie es Mario ausdrücken würde: An die Arbeit, Freunde, ich nehme Kurs auf Gaithor."

*

Marak Ajdon hatte sich wirklich überraschend gut erholt. Der Schock beim Anblick des schwarzen Spiegels schien, nach Abklingen seines Tobsuchtsanfalls, eine Sperre gelöst zu haben, mit der er seit dem Abflug vom Planeten der Helo-Uminds belastet gewesen war.

Nun näherte sich die ORION IX wieder dieser Welt, und der Raum-kapitän betrachtete ihr Bild auf dem Zentralschirm mit zwiespältigen Gefühlen. Arlene Mayogah sah die tiefen Falten auf seiner Stirn und trat neben ihn.

„Kann ich etwas für Sie tun, Marak?"

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erkundigte sie sich. „Falls sich Ihr Befinden wieder zum Negativen hin verändern sollte, sagen Sie es sofort."

Ajdon lächelte leicht und schüttelte den Kopf. „Danke, ich fühle mich zunehmend wohler, und das verdanke ich zum großen Teil Ihnen. Nein ich glaube nicht, daß es zu einem Rückfall kommen wird. Was ihn noch belastet, ist der Gedanke an ein neuerliche Zusammentreffen den Eingeborenen."

„Ich verstehe", sagte das Mädel. Zwischen ihm und den beiden Männern von Makoma herrschte jene von Vertrautheit, die auf ihre meinsame Hautfarbe zurückzuführen war. „Allerdings sehe ich keinen plausiblen Grund dafür, daß Sie nun gewisse Schuldkomplexe kultivieren. Schließ-lich besitzen die Helo-Uminds, wie Sie sagten, erheblich mehr Spiegel, als sie für ihre ,Andachten' benötigen. Vermutlich haben sie den Verlust der entwendeten Exemplare noch gar nicht bemerkt."

Der Kapitän hob langsam die Schul-tern.

„Darauf wage ich mich nicht mehr zu verlassen, nach allem, was geschehen ist. Ich vermute vielmehr, daß es zwischen diesen ,denkenden' Spiegeln auch eine Art von Kommunikation gibt. Die Weise, in der sie die Menschen auf Makoma beeinflußten, zeugte von einer geradezu vorbildlichen Koordination, Eine solche wäre aber kaum praktikabel gewesen, wenn jeder Spiegel gewisser-maßen ein einsames Individuum wäre." Cliff hob überrascht den Kopf. „Ein völlig neuer, aber gar nicht so unglaublicher Aspekt", warf er ein. „Schließlich hat schon TECOM in seiner Analyse ein Postulat aufgestellt, das den schwarzen Spiegeln eigenes ,Bewußtsein' zubilligt. Tatsächlich erscheint es doch auch so, als ob sie irgendwie ein bewußtes Dasein führen, wenn sie natürlich auch keine Lebewe-

sen sind. Denkt nur an die außerge-wöhnlichen Fähigkeiten, die sie besitzen, an ihre geradezu erstaunlichen Reaktionen. Warum sollte es dann nicht auch eine Verständigung zwischen ihnen geben können?"

„Jetzt gehst du aber entschieden zu weit", sagte Mario de Monti. „Die Spiegel sind eindeutig Gegenstände, angefertigt von jenen Wesen, die man Ajdon gegenüber als Uminiden bezeichnet hat. Daß sie solche Wunder vollbringen, kann ich einfach nicht glauben."

„Was sind schon Wunder?" philo-sophierte McLane. „Ereignisse, die unglaublich erscheinen - bis dann jemand kommt, der die Zusammen-hänge richtig sieht und eine ein-leuchtende Erklärung präsentieren kann! Gerade du als Kybernetiker solltest wissen, was sich mit Hilfe einer weit fortgeschrittenen Technik alles ermöglichen läßt. Schon wir sind imstande, in winzigen Kristallen Millionen von Informationen zu speichern, und diese Spiegel sind im Vergleich zu ihnen riesengroß. Die sagenhaften Uminiden können in ihnen Dinge untergebracht haben, von denen wir noch nicht einmal zu träumen wagen."

„Weil du gerade von Träumen re-dest", bemerkte Shubashi aus dem Hintergrund. „Du solltest dich wieder den Realitäten zuwenden, verehrter Kommandant. Wenn du nicht innerhalb der nächsten Minuten das Bremsmanö-ver einleitest, schießen wir weit an Gaithor vorbei."

Cliff hob anklagend die Augen zur Decke empor.

„Kaum beschäftigt man sich einmal ernsthaft mit irgendwelchen Dingen, kommt bestimmt jemand, um einen daran zu hindern. Auf jeden Fall neige ich dazu, Maraks Vermutung sehr ernst zu nehmen. Wir sollten uns moralisch

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darauf vorbereiten, auf Gaithor noch einige Überraschungen zu erleben."

„Was wäre die ORION-Crew ohne Überraschungen?" beendete Arlene die Unterhaltung. „Ein Whisky ohne Alkohol!"

„Ein wahrhaft entsetzlicher Ge-danke!" kommentierte Mario.

Die ORION IX hatte sich indessen dem Planeten bis auf eine halbe Million Kilometer genähert. Cliff bremste sie ab und ließ sie einen Bogen beschreiben, der sie am äußeren Mond von Gaithor vorbeiführte. Er erschien für kurze Zeit auf den Bildschirmen und bot das übliche Bild eines Himmelkörpers, der zu klein war, um eine Atmosphäre halten zu können. Schroffe Felsen, Krater mit gewaltigen Ringwällen, üefschwarze Schatten direkt neben grellem Licht.

Das alles huschte auf den Schirmen vorbei, ohne besondere Beachtung zu finden. Plötzlich stieß Arlene jedoch einen Ruf der Überraschung aus.

„Da - seht doch nur! Sieht das nicht aus wie die Ruinen von großen Ge-bäuden? So, als hätte sich in dieser Mondsenke einmal eine Station in-telligenter Wesen befunden?"

Die anderen strengten ihre Augen an, aber es war bereits zu spät. Ein Mondgebirge, von Meteoreinschlägen zerklüftet, entzog die Senke ihren Blicken. Atan Shubashi, der die Schirme am aufmerksamsten beobachtet hatte, schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht, daß da etwas in dieser Art gewesen ist. Die unter-schiedlichen Formationen täuschen den Augen zuweilen etwas vor, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Oder haben Sie bei ihrem ersten Besuch etwas dergleichen bemerkt, Kapitän?"

Marak Ajdon verneinte. „Wir haben den beiden Monden aber auch kaum Beachtung geschenkt", erklärte er. „Unsere Astronomen filmten sie im

Vorbeiflug, aber die Aufnahmen sollten erst nach der Rückkehr nach Makoma ausgewertet werden. Warum es nicht mehr dazu kam, wissen Sie."

„Nun, das läßt sich wohl noch nachholen", meinte Cliff und leitete den Orbit um den Planeten ein.

Gaithor stand groß auf dem Zen-tralschirm, nur zu einem Drittel be-leuchtet, denn die ORION flog ihn-schräg von hinten an. Ein Bild, wie es die Raumfahrer schon Hunderte von Malen erblickt hatten, das sie jedoch immer wieder aufs neue faszinierte. Allmählich wurde die erleuchtete Zone größer, die Umrisse der Kontinente schimmerten zwischen Wolkenfeldern auf. McLane winkte Ajdon zu sich heran.

„Da kommt gerade der Gürtelkon-tinent in Sicht. Wo ungefähr, meinen Sie, befand sich der Landeplatz der KAMBORA?"

Der Raumkapitän betrachtete das Abbild des Planeten und rief sich die Gegebenheiten ins Gedächtnis zurück. Nach einer Weile zuckte er mit den Schultern.

„Wir haben Pech, Cliff. Die betref-fende Gegend befindet sich jetzt innerhalb der Nachtzone, dort wird es erst in etwa acht Stunden wieder hell. Wir werden notgedrungen mit der Landung warten müssen."

„Schicksal", sagte der Commander. „Okay, dann bringe ich das Schiff jetzt in eine Umlaufbahn, parallel zum Äquator. Arlene und Helga, versucht ausnahmsweise einmal, nett zu uns zu sein. Schiebt die größten Steaks, die in den Kühltruhen zu finden sind, in den Mikrowellenherd, und kocht einen Eimer voll Kaffee. Anschließend gehen wir alle schlafen, um dann frisch und ausgeruht auf Gaithor zu landen."

Als Cliff sich auskleidete, nahm er noch einmal den schwarzen Spiegel zur Hand und sah hinein.

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Schleier wogten über das dunkel-glänzende Oval. Er glaubte, in den flüchtigen Bewegungen die Gestalten von Menschen oder menschenähnlichen Wesen zu erkennen, war seiner Sache jedoch nicht sicher. Jedenfalls zeigte der Spiegel eine ungewöhnliche Aktivität, die ihn beunruhigte.

War das ein schlechtes Omen? Stand dieses rätselhafte Ding, das Erzeugnis einer ebenso rätselhaften Rasse, jetzt bereits irgendwie in Verbindung mit den Hunderttausenden anderer Spiegel, unten auf Gaithor? Kündigte es ihnen das Eintreffen der Menschen an?

Er war geneigt, auch das für mög-lichzuhalten.

Als hätte der Spiegel den Inhalt seiner pessimistischen Gedanken erfaßt, reagierte er auf seine Weise.

Die Schleier verschwanden, se-kundenlang war seine schwarze Kri-stallfläche vollkommen klar. Dann bildeten sich darauf die Umrisse von Cliffs Gesicht aus, dessen Züge genauso ernst waren, wie in Wirklichkeit. Dann aber veränderten sie sich plötzlich. Das ironische Grinsen, das schon Marschall Wamsler oft genug zur Weißglut getrieben hatte, erschien. Das Spiegel-bild kniff das rechte Auge zu, zwinkerte einige Male und streckte dann die Zunge heraus.

Dann verschwand es abrupt, nichts war mehr zu sehen.

Cliff Allistair McLane stieß einen langen Seufzer aus, dem ein äquiva-lenter Fluch folgte. Was mochte das alles bedeuten? Er wußte es nicht, aber er schlief nicht gut in dieser Nacht.

8. „Da ist es!" sagte Marak Ajdon, und

sein ausgestreckter Finger stach auf eine Stelle, die soeben am Rand des Sektorenbildschirms erschien. Cliff

nickte und verringerte die Fahrt der ORION noch mehr. Schließlich hing das Schiff, nur vom Antigrav getragen, genau über dem bezeichneten Punkt.

Shubashi setzte die Zoom-Objektive ein, und das Dorf der Helo-Uminds schien förmlich in die Zentrale hineinzuschießen. Es lag im hellen Licht der Morgensonne, ein Trupp von bewaffneten Männern verließ es gerade, augenscheinlich, um auf die Jagd zu gehen. Ansonsten gab es nichts Besonders zu sehen. Spielende Kinder liefen zwischen den Häusern umher, Frauen gingen irgendwelchen Verrich-tungen nach. Alles wirkte vollkommen ruhig und friedlich.

Konnte man diesem Frieden trauen? McLane stellte sich die Frage, denn

er dachte an das seltsame „Verhalten" seines Spiegels vom Vorabend. Er sagte jedoch zu den anderen nichts darüber, um sie nicht unnütz zu beunruhigen; Statt dessen wies er auf einen großen dunklen Fleck, der am Rand der Lichtung zu sehen war.

„Dort scheint es vor kurzem gebrannt zu haben", stellte er fest. Ajdon folgte seinem Wink und zog dann verwundert die Brauen hoch.

„Das ist die Stelle, an der wir mit der KAMBORA gelandet sind. Das Feuer wurde aber nicht durch uns entfacht, wir haben nur den Antigrav gebraucht, nicht die Düsen. Es muß also erst ausgebro-chen sein, als wir längst wieder fort waren."

„Zufall, Cliff?" erkundigte sich Mario leise. Der Commander wiegte den Kopf, sah, daß Maraks Interesse sich voll auf den Bildschirm konzen-trierte, und gab ebenso leise zurück:

„Vermutlich nicht. Ich glaube viel-mehr, daß die Eingeborenen das Feuer absichtlich gelegt haben. Sie wollten alle Spuren der fremden Besucher austilgen, verstehst du! Das hieße dann, daß sie den Diebstahl der Spiegel sehr

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wohl bemerkt haben." „Also kein Empfang mit Blumen und

Kränzen für uns ...", murmelte der Kybernetiker. „Dafür aber vielleicht einer mit vorgehaltenen schwarzen Spiegeln, die uns hypnotisieren! Wir werden uns ziemlich vorsehen müssen, Cliff."

„Nicht mehr als üblich; Gefahr ist unser Leben, seit eh und je", gab der Freund zurück. Dann hob er die Stimme.

„Achtung, alle herhören! Wir landen da unten, der Einfachheit halber nahe beim Dorf. Übertriebene Vorsicht brauchen wir nicht mehr walten zu lassen, die Helo-Uminds sind keines-wegs scheu. Allerdings sollten wir uns auch vor Leichtsinn hüten. Wenn wir das Schiff verlassen haben, entfernt sich keiner mehr als einige Schritte von den anderen, solange die Lage nicht restlos geklärt ist."

„Nehmen wir Waffen mit?" fragte Atan Shubashi. Cliff nickte.

„Das schon, aber nicht die HM 4. Die Gasdrucknadler genügen, sollten aber nicht zu offensichtlich getragen werden. Und vor allem: keiner schießt, auch dann nicht, wenn sich die Eingeborenen feindselig verhalten sollten, ehe ich es befehle! Das gilt auch für Sie, Marak und Kanija."

Die beiden Makomaner sahen sich an, dann erklärte der Raumkapitän: „Vielleicht wäre es besser, ganz auf das Mitnehmen von Waffen zu verzichten, Cliff. Wir haben die Bilder aus Arusa City noch zu deutlich vor Augen."

„Makoma ist nicht Gaithor", sagte Hasso Sigbjörnson vom Maschinen-raum her. „Die Helo-Uminds werden sich hüten, uns irgendwie dazu zu bringen, hier Amok zu laufen. Schließlich besteht dann die Gefahr, daß sie selbst die Opfer sind."

„Ich nehme trotzdem nichts der-gleichen mit, weder eine HM 4, noch

einen Nadler", beharrte Ajdon, und der Reporter schloß sich ihm an.

„Ganz, wie Sie wollen", sagte der Commander. „Sie beide sind Zivilisten, wir nicht. Wir sind Angehörige der T.R.A.V. und tragen die Verant-wortung, die schwerste aller Bürden."

Er wandte sich wieder um und be-gann zu schalten. Langsam senkte sich die ORION IX dem Boden entgegen, wurde abgefangen und mittels der Schwerkraftpolster verankert. Die Crew blieb noch für kurze Zeit in der Zentrale, um die Reaktionen der Planetarier registrieren zu können.

Die Helo-Uminds hatten den großen, silberglänzenden Diskus natürlich längst gesehen. Im Dorf entstand Bewegung, die Einwohner strömten aus den Häusern und starrten dem Schiff entgegen. Keiner machte jedoch Anstalten, sich ihm zu nähern - war das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Helga Legrelle stellte diese Frage, aber Cliff zuckte nur mit den Schultern. „Gehen wir hinaus", sagte er lakonisch. „Das ist die sicherste Methode, es zu erfahren."

„Sagtest du sicher?" erkundigte sich Arlene, aber er achtete nicht darauf. Er schaltete, bis auf die Beleuchtung und die Luftregenerierung, alle Aggregate aus, öffnete dann den Waffenschrank und teilte die Nadler aus. Dann ging er wortlos voran zum Zentrallift. Der schwarze Spiegel steckte griffbereit vorn in seiner Kombination.

Während sie schweigend nach unten glitten, überdachte er noch einmal alles. Gab es irgendwo einen schwachen Punkt - hatte er etwas übersehen, oder nicht ausreichend überlegt? Nein, es gab nichts, was ihm Sorgen bereiten mußte, abgesehen von den Unwägbar-keiten, die draußen auf sie warten mochten. An der sprachlichen Barriere konnte die Verständigung mit den Helo-

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Uminds jedenfalls nicht scheitern. Die Crew hatte die lange Reisezeit in

dieser Hinsicht optimal genutzt. Sobald es das Befinden Marak Ajdons erlaubte, hatte Cliff ihn alles auf Band sprechen lassen, was er von dem Idiom der Gaithorer beherrschte. Damit hatte Mario dann den Computer gefüttert, der innerhalb weniger Stunden einen Sprachkursus ausgearbeitet hatte, der selbst Ajdon in Erstaunen versetzte. Ihm hatten sich alle an Bord unterzo-gen, und nun beherrschten sie - vermut-lich - die Sprache der Eingeborenen perfekt.

„Auf ins Vergnügen!" unkte Mario, als sich die Liftschotte öffneten. Der Commander grinste flüchtig und begab sich als erster ins Freie.

Sein Gesicht erstarrte, als er die Veränderung bemerkte, die sich in-zwischen dort vollzogen hatte. Bis auf die Kinder hatten sich alle anwesenden Helo-Uminds vor dem Schiff versam-melt. Sie standen da wie eine lebende Mauer, unbewegten Gesichts, Männer wie Frauen. Nirgends waren Waffen zu sehen, aber dafür trug jeder etwas anderes bei sich: einen schwarzen Spiegel!

Schweigend sahen sie zu, wie die acht Menschen die ORION IX verlie-ßen. Marak Ajdon kam als letzter, und plötzlich lief feine Welle der Erregung durch die wartende Menge. Ein Raunen klang auf, vereinzelt wurden zornige Ausrufe laut. Die Mauer setzte sich in Bewegung und schob sich langsam auf Cliff zu, der jedoch, äußerlich unbeeindruckt, weiterging.

Er wußte sehr genau, daß er jetzt kein Zeichen von Schwäche oder Un-sicherheit geben durfte. Die Helo-Uminds hatten Ajdon wiedererkannt, und ihre Gefühle für ihn waren offensichtlich wenig freundschaftlicher Natur. Jetzt galt es, sie von ihm abzulenken, ehe etwas geschah, das

nicht mehr gutzumachen war. Cliff McLane blieb stehen, etwa fünf

Meter von den vordersten Eingeborenen entfernt. Einer plötzlichen Eingebung folgend, zog er den schwarzen Spiegel hervor und sah demonstrativ hinein. Das dunkle Oval blieb leer, entgegen seinen Erwartungen. Dafür geschah jedoch etwas anderes.

Die Gaithorer hielten abrupt an. Sie schwiegen verblüfft, aber Sekunden später ging ein dumpfes Raunen durch ihre Reihen. Cliff ergriff jetzt die Initiative.

„Ich grüße euch, Bewohner von Gaithor!" sagte er in der vokalreichen Sprache der Helo-Uminds. „Wir kommen in Frieden und hoffen, daß er auch von euch nicht gebrochen wird. Ich bitte um ein Gespräch mit dem Dorf Vorsteher, weil es wichtige Dinge zu klären gibt."

Man verstand ihn gut, das sah er an der nun folgenden Reaktion. Die Eingeborenen öffneten eine Gasse, und durch sie kam ein älterer Mann auf McLane zu. Er strahlte eine natürliche Würde aus, aber seine Züge blieben ernst und verschlossen. Zwei Meter vor Cliff blieb er stehen, seine Augen strahlten unverhüllte Ablehnung aus.

„Zwischen uns gibt es nichts zu be-sprechen, Mensch", sagte er dumpf, und auch der Commander verstand jedes Wort. „Auch wir wollen den Frieden nicht brechen, wir haben nichts gegen euch, die ihr uns erstmals besucht. Ich verlange jedoch, daß ihr uns jenen Mann übergebt, der das Schiff geführt hat,, das uns vor einem Doppelmond besuchte. Wir müssen ihn zur Rechen-schaft für den Mißbrauch der Gast-freundschaft ziehen, den er und seine Männer begangen haben!"

„Nicht er war schuld an dem Ge-schehen", erwiderte Cliff mit Bedacht. „Es waren andere Männer, die gegen seinen Willen das taten, was du ihm

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anlastest. Warum sollte er dafür nun büßen?"

Sein Gesprächspartner machte eine unwillige Geste. „Es gibt immer einen, der zu bestimmen hat", erklärte er entschieden. „Hier bin ich, Wilkor, es, zusammen mit den Ratgebern des Dorfes. In seinem Wolkenschiff war er es. Wenn ich versage, muß ich dafür einstehen - warum sollte es bei ihm anders sein?"

Objektiv gesehen, hat dieser Mann recht! Dachte der Commander. Ajdon hat sich schwach gezeigt, als er dem Verlangen seiner Besatzung nachgab. Trotzdem muß ich einen Ausweg finden, der keinem zum Schaden gereicht. Hier geht es schließlich ...

Seine Gedanken brachen ab, denn plötzlich erschien Marak Ajdon neben ihm. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, aber sein Gesicht zeigte einen Ausdruck starker Entschlossenheit. „Ich will nicht beschönigen, was damals geschehen ist", rief er aus. „Ich habe mich von meinen Leuten überreden lassen, und ich bedaure das sehr. Wenn ich könnte, würde ich die Spiegel sofort zurückgeben, aber das liegt nicht mehr in meiner Macht. Sie sind in den Händen anderer Menschen auf meiner Welt, und sie haben großes Unheil über sie gebracht. Durch ihren Einfluß sind bereits unzählige Männer und Frauen umgekommen, und wir konnten nichts dagegen tun."

Ein Zug von Bestürzung erschien auf dem Gesicht des Dorfvorstehers, und Cliff setzte sofort nach. Er spürte intuitiv, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen war.

„Es ist so, wie es der Mann Ajdon gesagt hat, Wilkor", erklärte er. „Die schwarzen Spiegel üben einen un-heilvollen Einfluß auf die Bewohner von Makoma aus. Sie zwingen sie, andere und sich selbst umzubringen. Wir kennen kein Mittel, um diesem

sinnlosen Morden Einhalt zu gebieten. Deshalb sind wir gekommen, um von euch Rat und Hilfe zu erbitten."

Sekunden vergingen, in denen die Zeit stillzustehen schien. Der Helo-Umind hatte den Blick zum Boden gesenkt, in seinen Zügen arbeitete es heftig. Plötzlich hob er ruckhaft den Kopf.

„Die gestohlenen magischen Spiegel waren andere, als wir sie gebrauchen", erklärte er leise. „Auch sie stammen von den Uminiden, aber es wurde uns verboten, sie jemals anzusehen. Was es damit auf sich hat, sagt unsere Überlieferung nicht, aber wir haben sie immer befolgt. Nur einmal hat einer unserer Männer gegen dieses Gebot verstoßen, und er starb noch am selben Tag, auf ungeklärte Weise."

„Woher hätten Ajdon und seine Männer das wissen sollen?" fragte Cliff McLane. „Sie wurden nicht gewarnt, und so kam es zu diesem Diebstahl. Sie sind zwar moralisch schuldig, aber unzählige andere haben inzwischen dafür mit ihrem Leben bezahlt! Und so wird es immer weitergehen, wenn kein Weg gefunden wird, um Abhilfe zu schaffen. Wer soll die Verantwortung dafür tragen?"

Gebannt starrten beide Parteien, die Helo-Uminds und die Menschen aus der ORION, auf die beiden Männer, die dieses schicksalschwere Gespräch führten. Niemand sagte ein Wort, nur das Lärmen unbekümmert spielender Kinder klang aus dem Dorf herüber. Wilkor stand da und focht offenbar einen schweren Kampf mit sich selbst aus.

„Wir wollen nicht, daß weiter Un-schuldige sterben", erklärte er schließlich bekümmert. „Ein Weg muß gefunden werden, um Abhilfe zu schaffen, das sehe ich ein. Ich werde mich jetzt zurückziehen, um mit den anderen Ältesten zu beraten. Findet

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euch am Mittag wieder hier ein, dann werde ich euch unsere Entscheidung verkünden."

Er drehte sich um und ging los, und alle übrigen Dorfbewohner folgten ihm. Als sie in ihren Häusern verschwunden waren, lachte Mario de Monti verhalten auf und schlug dem Commander auf die Schulter.

„Ich will ja nicht behaupten, daß du ein Schlitzohr bist, Cliff. Die Art, wie du alle Verantwortung auf die Helo-Uminds abgeschoben hast, war aber jedenfalls ein Meisterstück. Sie werden jetzt ganz schön schwitzen, schätze ich, Du bist wirklich der geborene Diplomat."

Cliff sah auf und schüttelte langsam den Kopf.

„Wenn du es so ansiehst, liegst du gewaltig daneben, Mario. Im Gegensatz zu jenen Leuten, die sich Diplomaten schimpfen, habe ich nur genau das gesagt, was auch meine Überzeugung war! Kommt, wir begeben uns zurück ins Schiff."

*

„Da kommen sie!" rief Atan aui der vor den Bildschirmen Wache hielt. „Diesmal nicht alle, nur etwa zwei Dutzend, und durchweg Männer."

„Eigentlich schade", meinte Mario enttäuscht. „Die Frauen der Helo-Uminds sehen gar nicht übel aus, und ihre luftige Kleidung eröffnet durchaus erfreuliche Perspektiven."

„Er wird immer wieder rückfällig, unser Schmalspur-Casanova", sagte Helga kopfschüttelnd. „Du solltest lieber an Erethreja denken, dein Blumenkind. Nimmt deine Liebe zu ihr etwa mit dem Quadrat der Entfernung ab?"

Cliff McLane achtete nicht auf dieses Geplänkel, sondern winkte dem Bordingenieur. „Komm, Hasso, wir

fahren hinunter. Die Gaithorer scheinen, obwohl sie uns gegenüber Primitive sind, doch ein hochentwickeltes ethisches Bewußtsein zu besitzen. Oder vielleicht gerade deshalb, mög-licherweise auch durch die Beein-flussung der magischen Spiegel."

„Ob sie es aber schaffen werden, uns praktikable Ratschläge für Makoma zu geben?" zweifelte Sigbjörnson, während der Lift mit ihnen nach unten glitt. „Sie haben schließlich nur Erfahrungen im Umgang mit ihren normalen Spiegeln, während über den anderen ein Tabu lag. Ein Erfolg erscheint mir ungewiß."

„Was ist schon gewiß im Leben?" lautete Cliffs rein rhetorische Rück-frage. Er ließ die Lifttür aufgleiten, und sie traten ins Freie hinaus. Die Eingeborenen standen etwa fünfzig Meter vom Schiff entfernt, Wilkor einige Schritte vor ihnen. McLane nickte ihm ernst zu, ließ ihm jedoch das erste Wort.

„Wir haben eingehend beraten", erklärte der Dorfvorsteher. „Wir haben auch die Spiegel befragt, aber sie gaben uns keine Antwort, die Entscheidung mußten wir selbst treffen. Es soll kein unnützes Sterben bei euren Leuten mehr geben, Mensch Cliff. Deshalb bin ich bereit, zusammen mit sieben Auser-wählten mit euch zu kommen. Wir wollen versuchen, die verbotenen magischen Spiegel zu euren Gunsten zu beeinflussen. Ihr müßt uns jedoch ver-sprechen, daß sie uns zurückgegeben werden, falls wir unser Ziel erreichen."

„Danke, Wilkor", sagte Cliff schlicht. „Das, was ihr tun wollt, ist mehr, als wir zu hoffen wagten. Dafür verspreche ich, daß wir alles tun wollen, was in unserer Macht liegt, daß ihr die entwendeten Spiegel zurückbekommt. Genügt euch das?"

Der bronzehäutige Mann machte eine zustimmende Geste, und dann ging alles sehr schnell. Sieben ältere Helo-Uminds

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lösten sich aus dem Kreis der anderen, die schweigend den Rückweg antraten. Zwei Minuten später befanden sich die acht Gaithorer an Bord der ORION, und Arlene nahm sich ihrer an. Sie führte sie in die Gästekabinen und erklärte ihnen das Wichtigste. Die Männer in ihrer archaischen Bekleidung wirkten an Bord des Raumschiffs denkbar deplaziert, aber sie fanden sich überraschend gut mit den Gegeben-heiten ab.

McLane verlor keine Zeit, sondern leitete umgehend den Start von Gaithor ein. Der Planet fiel rasch hinter dem Schiff zurück, und bald umgab wieder der Hyperraum den Diskus.

Die nun folgenden Reisetage brach-ten lange Diskussionen, an denen sich die Helo-Uminds jedoch nicht beteiligten. Keiner der acht Männer zeigte Interesse für die terranische Technik, sie blieben in ihren Kabinen und vertieften sich in den Anblick ihrer Spiegel. Cliff ließ ihnen ihren Willen. Er erinnerte sich an jene, nun weit zurückliegende Zeit, in der auch er versucht hatte, durch Meditation zum besseren Erkennen der Welt und seiner selbst zu finden.

Dann kam der Rücksturz in den Normalraum, die ORION IX steuerte Makoma an. Helga Legrelle versuchte sofort, über den Funk etwas über die derzeitige Lage dort zu erfahren, aber ergebnislos. Weder in Arusa City noch anderswo waren Radio oder Video in Betrieb, also schien die Lage noch unverändert zu sein.

Auch diesmal gab der Zentralcom-puter von II Arusa anstandslos die Landeerlaubnis. Als sich das Schiff jedoch auf den Hafen niedersenkte, schossen ihm wieder Dutzende von Kampfraketen entgegen. Sie zerschell-ten am Schutzschirm, den der Com-mander vorsorglich aktiviert hatte, alles weitere erledigte Mario de Monti vom

Geschützstand aus. Er bestrich die Raketenstellungen mit Lähmstrahlen und sofort kehrte Ruhe ein.

Plötzlich kam Cliff eine Idee. Er unterbrach den Landeanflug und zog die ORION IX wieder hoch. „Wir gehen auf dem großen Zentralplatz in Arusa City herunter", verkündete er. „Der Hafen ist zu weit von der Stadt entfernt, als daß die Helo-Uminds dort etwas ausrichten könnten. Seid so nett, und holt sie inzwischen schon aus den Kabinen, Arlene und Helga. Schnelles Handeln dürfte geboten sein, wenn wir erst gelandet sind."

Minuten später senkte sich das Schiff auf den verlassen daliegenden Platz nieder. Nur Atan und Mario blieben an Bord, der eine am Pilotenpult, der andere im Feuerleitstand. Alle übrigen fuhren, voll bewaffnet und mit gemischten Gefühlen, mit Wilkor und seinen Begleitern im Lift nach unten. Die nächsten Minuten mußten die Entscheidung bringen - so oder so.

Die Helo-Uminds zeigten auch jetzt keine erkennbaren Gefühlsregungen. Sie sprachen nicht, sondern befolgten schweigend die Anweisungen der Raumfahrer. Während diese ihre Waffen schußbereit in den Händen hielten, umklammerten ihre Hände nur die schwarzen Spiegel, deren Flächen allerdings nach außen hin gerichtet waren.

Bisher hatten weder die Crew, noch Ajdon oder Korosso auf den schwarzen Ovalen etwas erkennen können. Nun aber sah Cliff, bei einem raschen Blick zurück, etwas, das ein Frösteln über seinen Rücken laufen ließ: Die Spiegel waren zu einem gespenstisch anmuten-den Leben erwacht! In schneller Folge zuckten bunte Leuchterscheinungen über sie hin, ihre Flächen schienen von innen heraus zu glühen. Sie zeigten nichts Konkretes, für menschliche Sinne Erfaßbares, nur farbige Muster, die sich

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in schneller Folge veränderten. McLane war versucht, seinen eigenen

Spiegel hervorzuholen, um dessen Reaktion zu sehen, aber er nahm sich nicht die Zeit dazu. Seine Blicke durchforschten, ebenso wie die der anderen, die Umgebung, den großen quadratischen Platz und die Hoch-häuser, die ihn umstanden. Sie alle waren darauf gefaßt gewesen, von wütendem Feuer empfangen zu werden, aber es geschah nichts dergleichen.

Dann gab Wilkor seinen Begleitern einen Wink. Sie schritten nach allen Seiten davon und gruppierten sich rings um das Schiff. Keiner von ihnen zeigte durch sein Mienenspiel an, daß er von der großen fremden Stadt irgendwie beeindruckt war. Die Gaithorer verteilten sich, blieben dann einfach stehen und warteten, mit einer wahrhaft stoischen Ruhe.

Cliff McLane, die beiden Mädchen und Hasso, fühlten sich alles andere als wohl in ihrer Haut. Sie standen da, wie auf dem Präsentierteller, willkommene Zielscheiben für Schützen aus den umliegenden Gebäuden. Sie sahen sich aufmerksam um, aber fast eine Minute lang ereignete sich nichts. Dies schien die längste Minute ihres Lebens zu sein. Ajdon und der Reporter hielten sich im Hintergrund, sie hatten auch diesmal auf die Mitnahme von Waffen ver-zichtet.

Dann aber kam abrupt Leben in die Szene.

Von allen Seiten her, aus den Aus-gängen der Gebäude, strömten nun Menschen auf den Platz. Cliff hob unwillkürlich seine HM 4, ließ sie aber gleich darauf wieder sinken. Diese Leute hatten es nicht auf ihr Leben abgesehen, das erkannte er sofort.

Die Männer und Frauen bewegten sich langsam, wie in Trance, voran.

Sie rückten von allen Seiten auf die ORION vor, aber niemand von ihnen

war bewaffnet. Dafür trugen alle schwarze Spiegel mit sich, die ovalen Flächen gegen die Brust gepreßt. Wie von magischen Kräften angezogen, überquerten sie den Platz, der von Trümmern von Fahrzeugen und anderen Gegenständen übersät war. Sie formierten sich zu acht langen Reihen, und jede kam auf einen der Helo-Uminds zu.

Schweigend, mit maskenstarren Gesichtern, zogen sie an diesen vorbei - und legten ihre Spiegel vor ihre Füße! Arlene wandte sich zu Cliff um, ungläubiges Staunen auf ihren Zügen.

„Wir haben gewonnen!" flüsterte sie erstickt.

9. Eine Stunde war vergangen, und der

Vorgang nahm immer noch kein Ende. Wie von unhörbaren Stimmen gerufen, erschienen immer neue Makomaner auf dem Platz, ergossen sich aus allen Straßen, die meisten kamen offenbar von weither. Wie willenlose Puppen paradierten sie an den Männern von Gaithor vorbei, legten ihre Spiegel auf die immer mehr anwachsenden Haufen. Dann gingen sie wieder davon, versam-melten sich am Rand des Platzes und blieben dort stehen, eine schweigende, wie hypnotisiert wirkende Phalanx.

„Sie scheinen gar nicht zu wissen, was mit ihnen geschehen ist", stellte Hasso schließlich halblaut fest. „Der schlimme Einfluß, den die gestohlenen Spiegel auf sie ausgeübt haben, scheint vollkommen nahtlos von einem neutralisierenden jener der Helo-Uminds abgelöst worden zu sein. Wie laßt sich so etwas nur erklären, Cliff?"

Der Commander sah ihn aus schma-len Augen an. „Frage mich nicht, Hasso, ich weiß auch nicht mehr als du. Die Bezeichnung magische Spiegel

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scheint doch nicht nur ein leeres Wort zu sein. Über das alles können wir uns aber später noch ausgiebig die Köpfe zerbrechen. Jetzt frage ich mich, was wohl geschehen mag, wenn das hier vorüber ist."

Dieser Zeitpunkt kam nach etwa anderthalb Stunden. Ein einzelner Mann, ebenso erschöpft und ver-nachlässigt aussehend, wie alle anderen, kam auf Wilkof zu und legte einen Spiegel vor ihm ab. Als er sich entfernte, wandte sich der Gaithorer langsam zu McLane um.

„Es ist vorüber, Mensch Cliff! Alle magischen Spiegel von dieser Welt sind uns gebracht worden, bis auf jene, die zerstört worden sind. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt und wir sind glücklich darüber. Dafür beginnt nun die deine. All diese Männer und Frauen werden in kurzer Zeit wie aus einem schlimmen Traum erwachen. Keiner von ihnen wird sich klar an das erinnern können, was in diesen Tagen auf Makoma geschehen ist. Du mußt es ihnen erklären, wenn nicht eine neue Ver-wirrung über sie kommen soll."

„Das ist wieder einmal typisch: im Endeffekt bleibt alles an mir hängen!" murmelte Cliff, aber zugleich flog ein erstes Lächeln über sein Gesicht. „Wir danken euch sehr, Wilkor, ihr habt mehr für diese Welt getan, als ihr ermessen könnt. Jetzt aber schnell zurück ins Schiff. Von dort aus werde ich zu den Leuten reden, sobald sie wieder ansprechbar sind."

Wieder in der Zentrale angekommen, bemerkte er, daß dieser Zeitpunkt bereits da war. Die Makomaner waren aus der Starre erwacht, sahen sich verstört um, erblickten den Kreuzer und riefen wild durcheinander. McLane nickte der Funkerin zu, und Helga schaltete die starken Außenlautsprecher der ORION IX ein. Gleich darauf schallte die Stimme des Kommandanten

weithin hörbar über das Areal und zog die Aufmerksamkeit der von dem frem-den Zwang Befreiten auf sich.

„Männer und Frauen von Arusa City: Hier spricht Cliff McLane, Komman-dant des terranischen Raumkreuzers ORION. Euer Planet stand seit Wochen unter dem Einfluß fremder Kräfte, die Chaos und Zerstörung bewirkt haben. Ihr werdet nicht mehr wissen, was geschehen ist, denn ihr wart unmittelba-re Opfer dieses Zwanges. Laßt es euch von anderen berichten, die verschont geblieben sind, zumindest in geistiger Hinsicht, dafür aber einen hohen Zoll an Leben und materiellen Werten entrichten mußten. Das alles ist jetzt vorbei, für immer.

Was ihr auch immer im Zustand der geistigen Unfreiheit getan habt, ihr konntet nichts dafür! Geht jetzt zurück und versucht, nach besten Kräften und so rasch wie möglich, wieder Ordnung zu schaffen. Räumt die Trümmer auf und bringt die Versorgung wieder in Gang, kümmert euch um die Kranken und Verletzten, um die Alten und die Kinder. Mehr kann ich euch jetzt nicht raten, wir können euch auch keine materielle Hilfe geben. Unsere Aufgabe war es, die Wurzeln des Übels zu be-seitigen, und das haben wir getan."

Während er sprach, waren viele weitere Menschen auf dem Platz er-schienen. Zuerst kamen sie zögernd und vorsichtig, nicht verwunderlich nach dem Chaos und Terror der vergangenen Wochen. Allmählich wurden es immer mehr, sie verloren ihre Scheu, mischten sich unter die anderen, und die ersten Gespräche kamen in Gang. Cliff registrierte das befriedigt und erhob nochmals die Stimme.

„Ich vermute, daß auch Mitglieder der Regierung oder der Stadtverwaltung unter den Anwesenden sind. Diese Personen bitte ich, sich hier beim Schiff einzufmden. Es gibt einiges, das ich mit

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ihnen besprechen möchte, ehe wir wieder abfliegen."

McLane behielt recht. Schon nach kurzer Zeit lösten sich je zwei Männer und Frauen aus der sich ständig vergrößernden Menschenmenge. Sie kamen auf das Schiff zu, und Arlene fuhr nach unten, um sie in Empfang zu nehmen.

„Eine der Frauen ist die Erste Se-natorin von Makoma", sagte der Reporter, „der größere Mann der Verwaltungschef von Arusa City. Die beiden anderen sind Minister für das Gesundheitswesen und öffentliche Ordnung."

„Also genau jene Leute, die wir brauchen", stellte der Commander befriedigt fest.

Er gab Helga Anweisung, für eine kleine Stärkung zu sorgen, und auch das erwies sich als angebracht. Die vier Frauen und Männer befanden sich nicht nur in einem Zustand weitgehender geistiger Verwirrung. Sie waren auch schmutzig, abgerissen und vollkommen ausgehundert. Nur ein Rest ihrer guten Erziehung bewahrte sie davor, wie wilde Tiere über das angebotene Essen herzufallen, das ihnen im Aufenthalts-raum der ORION IX vorgesetzt wurde.

Cliff ließ sie taktvoll allein. Erst nach zwanzig Minuten fand er sich, zusammen mit Arlene, Ajdon und Korosso, bei ihnen ein. Er nickte ihnen freundlich zu, drückte ihnen die Hände und ignorierte den intensiven Geruch langer körperlicher Vernachlässigung, der von ihnen ausging. Statt dessen begann er, ihnen behutsam zu erklären, was seit der Rückkehr der KAMBORA alles auf Makoma vorgefallen war. Marak Ajdon und der Reporter assistierten ihm dabei.

„All das ist wirklich entsetzlich, Commander", sagte Sheila Murumba, die Erste Senatorin, tonlos. „Meine letzte bewußte Erinnerung datiert vom

Erwerb eines schwarzen Spiegels her. Was seither geschehen ist, liegt wie hinter einem dichten schwarzen Schleier, verworren wie ein schreckli-cher, abstruser Alptraum. Wenn ich nur daran denke, daß ich vermutlich selbst viele unschuldige Menschen..."

Ihre Stimme erstarb, ein Beben durchlief ihren abgezehrten Körper. Cliff sah sie zwingend an und schüttelte den Kopf.

„Sie dürfen nicht mehr daran denken, Senatorin. Es gibt in diesem Fall keine Schuldigen. Sämtliche Amokläufer handelten unter fremden Einflüssen, auch Sie. Es wird viel Bitterkeit von seiten der nicht davon berührten, dafür aber um so schlimmer betroffenen Menschen geben. Ihre Aufgabe und die Ihrer Minister und Beamten wird es sein, ihnen die entsprechende Aufklä-rung zu geben. Niemand darf für das zur Verantwortung gezogen werden, was er tat, als er nicht Herr seiner Sinne war. Die einzige Sühne kann nur der volle Einsatz zur Wiedergutmachung sein. Sollte sich herausstellen, daß Sie es aus eigener Kraft nicht schaffen, so suchen Sie auf der Erde um Hilfe nach. Man wird sie Ihnen nicht versagen."

„Hast du da nicht etwas zuviel ver-sprochen, Cliff ?" fragte Arlene, nachdem die Besucher, zusammen mit Ajdon und Korosso, sich wieder verabschiedet hatten. McLane grinste flüchtig.

„Keineswegs, Geliebte meines Her-zens. Katsuro hat mir, im Namen des ganzen Spitzen-Triumvirats von Terra, jede Menge von Vollmachten erteilt. Diese erlöschen erst, wenn wir zur Erde zurückkehren, und soweit ist es noch lange nicht. Jetzt steht uns erst noch ein zweiter Flug nach Gaithor bevor, um Wilkor und seine Mannen zurückzu-bringen!"

*

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Die Crew war wieder unter sich. Die

jetzt unschädlichen schwarzen Spiegel befanden sich, in Plastikkisten verstaut, in den Kabinen der Helo-Uminds. Diese waren, unmittelbar nach Beendigung ihres geheimnisvollen Wirkens, wieder zur früheren Passivität zurückgekehrt. Cliff hatte versucht, ihnen zu danken, aber sie hatten kaum darauf reagiert.

Der Zentralplatz von Arusa City hatte sich wieder geleert. Die Stadtbewohner verliefen sich, Makoma begann damit, seine zahlreichen schweren Wunden zu lecken. Bereits nach einer Stunde empfing Helga Legrelle die erste Sendung einer improvisierten Videosta-tion. Sheila Murumba hielt eine aufklärende Ansprache an die Bewohner des Planeten und forderte sie zum intensiven Einsatz bei der Schadensbeseitigung und der Wieder-aufnahme der Versorgung auf. Die ORION IX, das Wirken ihrer Crew und der Gaithorer wurde zwar voll gewürdigt, aber sonst fand das Schiff keine Beachtung mehr.

„Der sprichwörtliche Mohr hat seine Schuldigkeit getan", sagte Hasso vom Maschinenleitstand her. „Man braucht uns nicht mehr, also sollten wir gehen, das Schiff ist startklar."

„Irrtum, die Mohren bleiben voll-zählig auf Makoma zurück", korrigierte Cliff. „Außerdem gehen wir nicht, sondern fliegen, und zwar mit Höchstbeschleunigung, beachte bitte diesen feinen Unterschied."

Gleich darauf hob der Kreuzer ab und schoß in den Himmel des Planeten empor.

Der Flug war reine Routine. Er verlief glatt, die Crew fand in ihren gewohnten Trott zurück. Sie fand auch Gaithor wieder, und das Schiff landete an der gleichen Stelle wie zuvor.

Cliff McLane war sehr überrascht, als ihn Wilkor einlud, einige Tage in

seinem Dorf zu verbringen. Er stimmte zu, denn er hatte nichts zu versäumen. Die Erde war gleich nach dem Abflug von Makoma kurz vom erfolgreichen Abschluß der Mission unterrichtet worden.

Es wurden schöne Tage, die Gast-freundschaft der Helo-Uminds ließ keine Wünsche offen. Besucher aus anderen Orten kamen, es gab festliche Mahlzeiten, Geschenke wurden ausgetauscht. Mario de Monti schielte sehnsüchtig nach den Mädchen der Eingeborenen, aber er ging leer aus. Die ORION hatte selbst Frauen an Bord, deshalb trug Wilkor der Crew keine seiner Rasse an.

Es kam zu zahlreichen Gesprächen, aber sie brachten nicht viel ein. Die „magischen Spiegel" schieden als Thema aus, das machte der Dorfvor-steher den Terranern bald klar. McLane bemühte sich, wenigstens etwas über die geheimnisvollen Um-iniden herauszubekommen, aber das Ergebnis blieb mager. Nichts war konkret, die alten Überlieferungen waren dunkel und verworren.

„Sie sind für die Helo-Uminds nur noch Sagengestalten", erklärte Cliff bei einem Gespräch mit der Crew. „Sie haben die Spiegel nach Gaithor gebracht, möglicherweise, um die Eingeborenen durch sie zu beeinflussen und sie zu unterwerfen. Ob ihnen das jemals geglückt ist, erscheint jedoch fraglich, es weist jedenfalls nichts darauf hin."

„Dafür weist einiges darauf hin, daß wir bald wieder von hier abfliegen müssen", sagte Mario. „Das hochwohl-löbliche Triumvirat dürfte wenig Verständnis dafür zeigen, daß wir uns einen ausgedehnten Urlaub auf Gaithor genehmigen, Cliff."

Helga Legrelle feixte spöttisch. „Du bist ja nur sauer, weil hier nicht alles so läuft, wie du es gern möchtest! Dabei ist

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das doch nur zu deinem Besten, Don Jüan. Um so größer wird später die Sehnsucht nach deinem Blumenkind sein."

„Trotzdem hat Mario recht", sagte Cliff lakonisch. „Hier können wir doch nichts mehr ausrichten, also sollten wir den Rückweg antreten, ehe man uns als lästig empfindet."

Am nächsten Morgen startete die ORION IX. Zahlreiche Helo-Uminds verabschiedeten sie und winkten ihr zu, als sie majestätisch emporstieg. Atan Shubashi seufzte elegisch.

„Die Gaithorer sind im Grunde doch beneidenswert. Die Natur gibt ihnen alles, was sie zum Leben brauchen, ihre geistigen Bedürnisse werden durch die schwarzen Spiegel befriedigt. Sind sie nicht der Inbegriff eines sorglosen Daseins?"

Cliff lachte humorlos auf. „Jetzt noch, aber wohl nicht mehr für lange. Sie wurden entdeckt, und damit dürfte alles seinen mathematisch vorausbere-chenbaren Verlauf nehmen. Andere Schiffe werden früher pder später hier landen, um den Helo-Uminds die Segnungen der menschlichen Zivilisati-on zu bringen. Segnungen, wie da sind: Streß, Plattfüße, Neurosen und Magengeschwüre! Die Zivilisation kennt kein Erbarmen, Atan."

„Alter Schwarzseher", sagte Arlene Mayogah. „Daß es so weit kommen wird, glaube ich nicht. Die Makomaner haben vermutlich auf Jahre hinaus genug zu tun, um die Schäden zu beseitigen, die durch das blinde Wüten der Beeinflußten entstanden sind. Sie werden lange nicht daran denken können, weitere Forschungsschiffe auszusenden, Gaithor wird bei ihnen in Vergessenheit geraten. Und von uns erfährt ohnehin niemand etwas über diese Welt, ausgenommen Han Tsu-Gol und Co."

„Auch der Alte Weise Elefant ist

zuweilen unberechenbar", meinte McLane pessimistisch. „Er denkt oft um drei Ecken zugleich - weiß man, was dabei herauskommen mag?"

*

Die Erde hatte die ORION IX wieder. Das Schiff tauchte in den Strudel im Carpentaria-Golf und wurde in seinen Hangar in der Basis 104 eingeschleust. Die Crew verließ den Kreuzer, aber sie kam nicht weit.

„Admiralin de Ruyter an Com-mander McLane", schallte lautstark eine Durchsage aus den Rundrufmembranen. „Sie und Ihre Crew werden gebeten, sich im Konferenzraum VI einzuf inden, um dort Ihren Bericht abzugeben. Achtung, ich wiederhole..."

„Mahlzeit!" sagte Mario und ver-drehte theatralisch die Augen. „Das nenne ich eine glatte Pietätlosigkeit. Man läßt den heimgekehrten Kriegern nicht einmal eine Viertelstunde Zeit, um richtig Heimatluft zu schnuppern."

Atan Shubashi grinste und bemerkte anzüglich: „Ich gehe wohl kaum fehl in der Annahme, daß du damit den Duft von Archer's tears meinst, Computer-bändiger. Was soll's - berichten müssen wir so und so, bringen wir es also gleich hinter uns. Dann kann uns wenigstens hinterher niemand mehr stören."

Im Konferenzraum wartete nicht nur die Admiralin allein. AuchHan Tsu-Gol und Tunaka Katsuro waren anwesend und sahen den Raumfahrern erwar-tungsvoll entgegen.

„Wie schön!" sagte Cliff sarkastisch. „Der vertraute, aber so lange entbehrte Anblick Ihrer werten Gesichter erfreut mein Herz und labt meine Seele. Jetzt fühle ich mich erst wieder richtig zu Hause."

„Erst das lange Verweilen in der Fremde", sagte Katsuro salbungsvoll, „bringt nicht nur Menschen, sondern

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auch Raumfahrer dazu, das schätzen zu lernen, was ihnen die Heimat bietet. So steht es geschrieben in den Annaien meiner Heimat, Sie hörten eine leichte Adaption."

Leandra de Ruyter lächelte belustigt. „Nach dieser überaus herzlichen und stimmungsvollen Begrüßung sollten wir nun allmählich zur Sache kommen. Nehmen Sie alle Platz, und erzählen Sie, Cliff. Eine Kurzfassung genügt, den ausführlichen schriftlichen Bericht können Sie später abfassen."

„Mit acht Durchschlägen natürlich", kommentierte Mario de Monti. „Abzuliefern bei Major Hackler, dem wackeren Reiter des papiernen Schimmels."

In das allgemeine Gelächter stimmle auch Han Tsu-Gol mit ein. Je länger McLane jedoch die Ereignisse der Mission beschrieb, um so ernster wurden die Gesichter. Als er nach einer Viertelstunde geendet hatte, nickte ihm die Admiralin zu.

„Ich glaube, auch im Namen von Tsu-Gol und Katsuro zu sprechen, wenn ich Ihnen und der Crew meine volle Anerkennung ausdrücke. Sie haben umsichtig und folgerichtig gehandelt und unser Vertrauen nicht enttäuscht. Nun wird uns niemand nachsagen können, wir hätten auf Makoma eigensüchtige Ziele verfolgt, auch die Aureolaner nicht"

Der Regierungschef hob die Hand. „Eine kleine Einschränkung erscheint

mir aber wohl doch angebracht, Oberst. Es war etwas voreilig von Ihnen, der Senatorin ein pauschales Hilfeverspre-chen zu geben. Ich weiß nicht, ob wir es uns leisten können..."

Cliff unterbrach ihn, ebenso ent-schieden, wie respektlos.

„Es tut mir fast leid, Ihnen hierin widersprechen zu müssen, Han Tsu-Gol. Makoma ist schwer betroffen, Arusa City zu fast einem Drittel ver-

wüstet oder ausgebrannt. Millionen von Menschen - die Zahl der Toten dürfte einige Zehntausende betragen - sind ausgehungert, verkommen und aufs tiefste geschockt. Ihnen die dringend nötige Hilfe zu verweigern, hieße, sie geradewegs in die Arme jener zu treiben, die Terra übel wollen. Wenn Sie es unter dieser Perspektive betrachten, werden Sie mir wohl kaum einen Mißbrauch meiner Vollmachten anlasten können."

Der GSD-Chef nickte. „McLane" hat vollkommen recht. Er hat aber nicht nur in moralischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht einwandfrei gehandelt, als er die humanitäre Hilfe wohl anbot, aber von einem förmlichen Ersuchen der Behörden auf Makoma abhängig machte. Es wird zweifellos kommen, und damit haben wir eine volle Rückendeckung für alle denkba-ren Fälle."

Auch die Admiralin stimmte ihm zu, und Han Tsu-Gol gab sich geschlagen. Dann ergriff Katsuro erneut das Wort.

„Ein ernstes, noch nicht gelöstes Problem bleibt uns leider noch: die Gefährlichkeit der schwarzen Spiegel. Gaithor und die Helo-Uminds sind zweifellos interessante Objekte, deren wissenschaftliche und sonstige Erforschung sich jedoch unter den gegebenen Umständen leider von selbst verbietet. Bedauerlicherweise hatten auch unsere Spezialisten Pech, die mit der Untersuchung des Spiegels betraut waren, den uns der Reporter übersandt hat. Er zersplitterte bei einem Test und löste sich in zahllose Fragmente auf, mit denen nichts mehr anzufangen ist. Wir werden also wohl nie herausbekommen, wer die Uminiden sind oder waren, die jene Objekte nach Gaithor brachten."

Cliff McLane grinste, griff in seine Kombination, und brachte „seinen" schwarzen Spiegel zum Vorschein.

Leandra de Ruyter schrie unterdrückt

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auf und preßte die Hände auf die Augen, die beiden Männer wichen erschrocken zurück. Sie drohten in Panik zu verfallen, aber Cliff sagte trocken:

„Kein Grund zur Beunruhigung, hochwohllöbliches Triumvirat! Dieser Spiegel ist vollkommen ungefährlich, dessen können Sie versichert sein. Ich wollte ihn Wilkor zurückgeben, doch er überredete mich förmlich dazu, ihn zu behalten. Er sagte, daß der Spiegel sich inzwischen gewissermaßen auf mich eingestimmt hätte, sein Tabu wäre erlo-schen. Weder ich noch andere Men-schen brauchten je zu befürchten, daß er einen irgendwie negativen Einfluß auf uns ausüben könnte."

Die Admiralin war die erste, die es riskierte, einen Blick in das schwarze Oval zu werfen. Schließlich folgten auch Han Tsu-Gol und Katsuro ihrem Beispiel, wenn auch blaß und sichtlich nervös. Nichts geschah, und Cliff lächelte zufrieden.

„Auf dem Flug hierher hat bereits die gesamte Crew entsprechende Ex-perimente durchgeführt, wenn ich so sagen darf, spricht jedoch auf nie-manden an, außer mir. Das aber auch nur sporadisch, er zeigt mein Gesicht nur dann, wenn es ihm gerade gefällt."

„Sie dürfen ihn trotzdem nicht be-halten!" sagte der GSD-Chef. „Sie werden über kurz oder lang heraus-finden, welche Geheimnisse dieses Objekt in sich birgt."

„Ich denke nicht daran!" erklärte McLane bestimmt. „Ihre Leute haben bereits einen Spiegel zerstört, und das gleiche könnte auch mit diesem geschehen. Er ist mein persönliches Eigentum, ein Geschenk der Helo-Uminds. Ich werde versuchen, so weit wie möglich mit ihm vertraut zu werden, behutsam, so wie man eine geliebte Frau behandelt. Vielleicht kommt es zu einer so weitgehenden Abstimmung, daß er mir irgendwie verrät, wer seine Schöpfer waren. Oder auch noch sind, was ich keineswegs für ausgeschlossen halte. Dann könnten wir sie aufsuchen, und nach langer Zeit wieder Verbindung mit einer neuen extraterrestrischen Rasse aufnehmen."

„Wie das vor sich gehen dürfte, kann ich mir lebhaft ausmalen", sagte Han Tsu-Gol verärgert. „Ich warne Sie eindringlich, Commander McLane! Neue Eigenmächtigkeiten Ihrerseits werde ich auf gar keinen Fall dulden oder gar sanktionieren."

„Immer diese harten Worte!" seufzte Cliff. „Ich werde sie trotzdem respektieren und nicht aktiv werden, solange es mir nicht ausdrücklich gestattet wird. Zufrieden, hoher Boß?"

Han nickte, wenn auch ein deutlicher Zug von Skepsis auf seinen Zügen blieb. Dafür fing McLane ein verstohle-nes Blinzeln der Admiralin auf. Cliff grinste verschwörerisch zurück, denn es sagte ihm genug.

E N D E

Die magischen Spiegel brachten das Verhängnis über die Bevölkerung des Planeten Makoma im Sonnensystem Sadir, weil sie unbefugt aus der Obhut ihrer Bewahrer entfernt wurden. Wieder einmal mußte die ORlON-Crew zum Brennpunkt des Geschehens eilen und retten, was noch zu retten war. Die bewährten Hüter der Menschheit konnten die Natur der magischen Spiegel enträtseln und dem Amoklauf auf Makoma ein Ende bereiten. Aber sie irrten sich, als sie glaubten, daß damit das Kapitel „magische Spiegel" ab-geschlossen sei. Einen Vorgeschmack auf die Bedeutung dieser seltsamen Spiegel erhält die

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ORION-Crew schon bald nach ihrer Rückkehr auf die Erde. Wie die Begeg-nung mit einem unheimlichen Besucher aus Weltraumtiefen ausgeht, das er-zählt Horst Hoffmann im ORION-Roman der nächsten Woche mit dem Titel:

PLANETEN-MONSTRUM


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