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Die Geschichte einer in drei Jahrhunderten · Vorsitzender des Vereins Alt Lemgo Grußwort 7...

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Jürgen Scheffler und Stefan Wiesekopsieker (Herausgeber) im Auftrag der Firma Kracht GmbH & Co. KG Leinenkracht. Die Geschichte einer Lemgoer Kaufmanns- und Unternehmerfamilie in drei Jahrhunderten Schriften des Städtischen Museums Lemgo, Bd. 10 Strohmeier Medien Druck und Verlag Lemgo 2010
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Jürgen Scheffler und Stefan Wiesekopsieker (Herausgeber)im Auftrag der Firma Kracht GmbH & Co. KG

Leinenkracht. Die Geschichte einer

Lemgoer Kaufmanns- und Unternehmerfamilie in drei Jahrhunderten

Schriften des Städtischen Museums Lemgo, Bd. 10

Strohmeier Medien Druck und VerlagLemgo 2010

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Jürgen Scheffler: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Jürgen Scheffler: Die Kaufmannsfamilie Kracht und der Leinenhandel in Lippe im 18. und 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 12

Stefan Wiesekopsieker: Die Industrialisierung der Leinenherstellung in Lemgo.

Die Mechanische Leinen- und Gebild-Weberei Kracht & Co. (1887-1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Reinhard Quentell: Die Firma Kracht & Co. nach 1945. Ein Erinnerungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

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Cornelius QuentellGeschäftsführender Gesellschafter

200 Jahre Firmengeschichte der Kracht GmbH und Co. KGgilt es in diesem Jahr zu feiern. Mit viel Engagement undEinsatz wird seit dem Gründungsjahr 1810 im Unternehmendaran gearbeitet, gute Beziehungen zu Kunden und Liefe-ranten aufzubauen und langfristig zu erhalten. In der vorlie-genden Publikation, die als Begleitband zur Ausstellung imMuseum Hexenbürgermeisterhaus erscheint, werden diese200 Jahre Firmen- und Familiengeschichte in allen Höhenund Tiefen für den Leser erlebbar.

Bei der Lektüre der vorliegenden Jubiläumsschrift stellt sichbei mir ein Gefühl der Dankbarkeit ein. Dankbarkeit ge-genüber den Menschen, die diese Firma zu jeder Zeit mo-dern und lebensfähig hielten. Ganz im Sinne einer Inschriftaus dem Hause meines Urgroßvaters Paul Kracht „Gott gibtkeine Linnen aber Flachs zum Spinnen“.

Mein besonderer Dank gilt den beiden Herausgebern undAutoren Jürgen Scheffler und Stefan Wiesekopsieker. Ohneihren großen Sachverstand wäre diese Jubiläumsschrift überdrei Jahrhunderte nicht vorstellbar.

Vorwort

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„Wo sind sie geblieben – die Lemgoer Traditionsbetriebe?“Diese Frage habe ich in den Mitteilungen unseres VereinsAlt Lemgo im Jahre 2006 gestellt. Das Anliegen war, dieGeschichte der alteingesessenen Firmen, die es längst nichtmehr gibt, nachzuzeichnen. Seit diesem Zeitpunkt habe ichJahr für Jahr versucht, an einen dieser Betriebe, die in derVergangenheit tausende von Arbeitsplätzen zur Verfügungstellten, zu erinnern. Begonnen habe ich im Jahre 2006 mitder Geschichte und dem Betrieb Wippermann in der Kra-merstraße. In der Folgezeit wurden die Firmengeschichteder Möbelfabrik Wilmsmeier, der Maschinenfabrik AugustBurre in Brake, der Polstermöbelfabrik Adolf Wrenger undzuletzt der Lederwarenfabrik Gebr. Koch dargestellt.

Es gibt eine Reihe weiterer, sehr bekannter Betriebe, derenBeitrag zur Lemgoer Industriegeschichte es lohnt aufzu-zeichnen. Ich erinnere an die Traditionsbetriebe Kondor undSchlingmann an der Lageschen Straße und an die Zigarren-fabrik Theo Schmidt (heute August-Hermann-Francke-Schu-le). Wohlgemerkt – diese Betriebe gibt es nicht mehr. Glück-licher Weise gilt dies nicht für die Firma „Leinenkracht“. Indiesem Jahr feiert dieser Betrieb, auch bekannt als Kracht& Co., seinen 200. Geburtstag, und ist damit einer der älte-sten in Lippe.

Es erfüllte mein Historikerherz mit großer Freude, als HerrReinhard Quentell dem Leiter des Museums Hexenbürger-meisterhaus, Jürgen Scheffler, und mir das umfangreicheFirmenarchiv öffnete und wir bewundernd vor der Fülle der

mehr als zwei Jahrhunderte umfassenden Dokumente, Brie-fe, Rechnungen, Fotos und Warenproben standen. Aus die-sem ersten Besuch entstand ganz im Sinne meiner im Jahre2006 geborenen Idee ein besonderes Projekt, nämlich dem200-jährigen Firmenjubiläum eine Ausstellung und einen be-sonderen Jubiläumsband zu widmen. Daraus wurde einefruchtbare Kooperation zwischen dem Museum Hexenbür-germeisterhaus, der Firma Kracht GmbH & Co. KG und demVerein Alt Lemgo.

Der Verein Alt Lemgo hat neben seinem Anliegen, die Ge-schichte der Lemgoer Traditionsbetriebe ins Bewusstsein zurücken, noch einen weiteren Grund, warum wir das beson-dere Firmenjubiläum „200 Jahre Leinenkracht“ begrüßenund fördern. Kommerzienrat Paul Kracht gehörte im Jahre1920 neben unserem ersten Vorsitzenden, Dr. Karl Meier, zuden Gründungsmitgliedern unseres Vereins. Er hat in denFolgejahren mit seinem Sachverstand als erfolgreicher Un-ternehmer mitgeholfen, die ersten Projekte des Vereins, dieWiederherstellung besonders markanter Fachwerkfassaden,zu realisieren. Dafür sind wir ihm auch heute noch zu Dankverpflichtet.

Zum 200-jährigen Jubiläum der Firma „Leinenkracht“ möch-te ich im Namen des Vereins Alt Lemgo ganz herzlich gratu-lieren.

Karl-Heinz RichterVorsitzender des Vereins Alt Lemgo

Grußwort

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Foto der Belegschaft und der Firmenleitung: „Dem Herrn Geheimen Kommerzienrat C. W. Kracht zum 90. Geburtstag gewidmet vom Fabrik-Personal“, 1901.

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Die Grafschaft bzw. das spätere Fürstentum Lippe gehörteim 18. und 19. Jahrhundert zu denjenigen Gewerberegio-nen in Deutschland, die durch die Dominanz des Leinenge-werbes geprägt waren. Neben Schlesien und den oberdeut-schen Gewerbelandschaften Schwabens und Altwürttem-bergs bildete der nordwestdeutsche Raum ein Zentrum desLeinengewerbes im Alten Reich, das sich vom OsnabrückerLand über das östliche Westfalen und Lippe bis an die We-ser erstreckte. Über die Hafenstädte Bremen, Hamburg undAmsterdam wurden feines und grobes Leinen auf überregio-nale und sogar überseeische Märkte exportiert. Auf dieseWeise entwickelte sich in der Frühen Neuzeit ein agrarisch-heimgewerbliches Wirtschaftssystem mit Weltmarktorientie-rung, das die wirtschaftliche und soziale Entwicklung desOsnabrücker Landes sowie Minden-Ravensbergs und Lippesvor der Industrialisierung stark geprägt hat.

Während die Spinner und Weber im ländlichen Raum ansäs-sig waren, konzentrierte sich der Leinenhandel auf die Städ-te. Osnabrück und Bielefeld gehörten zu den Zentren desLeinenhandels im nordwestdeutschen Raum. Demgegen-über hatte die Stadt Lemgo, noch bis ins 16. Jahrhundertdas wirtschaftliche Zentrum des lippischen Leinengewerbes,im Verlauf des 17. und 18. Jahrhundert seine zentralörtlicheBedeutung weitgehend verloren. Erst in der zweiten Hälftedes 18. Jahrhunderts wandten sich Kaufleute erneut dem

Leinenhandel zu. Dazu gehörten Christian Engelbert undHeinrich Christoph Kracht. Über mehrere Generationen wid-mete sich die Familie Kracht dem Leinenhandel und demLeinengewerbe, so dass im Verlauf des späten 19. undfrühen 20. Jahrhunderts der Name „Leinenkracht“ entstand.Neben Carl Weber und seinem Sohn in Oerlinghausen wa-ren Christoph Wilhelm und Paul Kracht die einzigen Kaufleu-te und Unternehmer in Lippe, die den Schritt vom Leinen-handel zur industriellen Leinenfertigung vollzogen.

Die Ausstellung und die vorliegende Publikation beschäfti-gen sich mit der Geschichte des Leinenhandels und des Lei-nengewerbes in Lippe im Allgemeinen und der Geschichteder Kaufmanns- und Unternehmerfamilie Kracht im Beson-deren. Die Anregung kam von Karl-Heinz Richter, dem Vor-sitzenden des Vereins Alt Lemgo. Ihm ging es darum, sichmit der Geschichte Lemgoer Industriebetriebe und ihrenfrüheren Betriebsstätten zu beschäftigen. Dabei war seinBlick auch auf die Firma Gebr. Kracht & Co. gefallen, dieihren Betrieb im Steinweg hatte. Dort, wo über lange JahreLeinen produziert wurde, befindet sich seit den 1970er Jah-ren ein Supermarkt. Durch die Vermittlung von Karl-HeinzRichter entstand der Kontakt zu Reinhard Quentell und sei-nem Sohn Cornelius. Die interessanteste Entdeckung fandauf dem Dachboden des heutigen Firmengebäudes statt:Dort befindet sich das Kracht’sche Firmenarchiv. Zwar in ei-

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Jürgen Scheffler Einführung

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nem fragmentarischen Zustand, dennoch aber mit vielenDokumenten, Fotografien und Objekten zur Geschichte derFirma und der Familie Kracht vom späten 18. bis ins 20.Jahrhundert. Das Firmenarchiv bildet den Grundstock fürdie Ausstellung und das vorliegende Buch.

Seit dem späten 19. Jahrhundert hat die Firma Kracht & Co.mit dem Gründungsdatum 1810 geworben. In diesem Jahrschloss die „Feine Leinen- und Handlungs-Compagnie“ ei-nen Pachtvertrag mit Bürgermeister und Rat der Stadt Lem-go zur Anlage einer Bleiche. Die beteiligten Personen – vorallem der Kaufmann Heinrich Christoph Kracht und seinSchwager Wilhelm Focke – waren schon sehr viel länger alsLeinenhändler tätig. Heinrich Christoph Kracht gehörte zujenen Kaufleuten, die, ähnlich wie die Kaufleute in Bielefeldund Osnabrück, den Leinen- mit dem Manufakturwarenhan-del verbanden. Für die Dauer von zehn Jahren hatte er dar-über hinaus die herrschaftlichen Mühlen in Lemgo und Bra-ke gepachtet. Heinrich Christoph Kracht steht dabei nur füreine der aufeinanderfolgenden Generationen „Leinen-kracht“, die seit dem frühen 18. Jahrhundert als Kaufleuteund Unternehmer in Lemgo tätig waren.

Leider wissen wir – mit wenigen Ausnahmen – von denmännlichen Familienmitgliedern wesentlich mehr als vonden weiblichen. Im späten 19. und 20. Jahrhundert war diemechanische Leinen- und Gebild-Weberei Kracht & Co. ei-ner der größeren Betriebe in der Stadt. Ihr langjähriger In-haber und Leiter Paul Kracht gehörte zu den Honoratiorender Stadt, ähnlich wie sein Vater Christoph Wilhelm im 19.und Urgroßvater Heinrich Christoph im 18. Jahrhundert.Die Ausstellung ist von daher nicht nur ein Beitrag zur Wirt-

schafts-, sondern auch zur Sozial- und Kulturgeschichte derStadt am Beispiel einer ihrer bedeutenden bürgerlichen Fa-milien. Deshalb wird auch die aus heutiger Sicht obskure„Briefaffäre“, die die Stadt Lemgo und das Fürstentum Lip-pe um die Jahrhundertwende über Wochen bewegt hat,nicht ausgeblendet. Denn diese Affäre hat durchaus moder-ne Züge: Es handelt sich quasi um den historischen Vorläu-fer einer „Society“-Geschichte, wie sie mittlerweile zum All-tag der modernen Medien gehören.

In einem Museum wie dem Hexenbürgermeisterhaus, dasim Jahre 1926 gegründet wurde, dominierte über langeJahre ein romantisierend-nostalgischer Blick auf das Leinen-gewerbe. Wie in vielen Heimatmuseen gehören Geräte desvorindustriellen Leinengewerbes, wie ein Handwebstuhl mitInschrift aus dem Jahre 1805, Spinnräder und Flachsbre-chen, zur Sammlung des Museums. In der Ausstellung warüber lange Jahre eine typische Heimatmuseums-Inszenie-rung zu sehen, die keinerlei Informationen über die wirt-schaftlichen Beziehungen und den Arbeitsalltag im Leinen-gewerbe vermittelte. Erstmals wurde im Jahre 1995 eineAusstellung gezeigt, die sich mit der Geschichte der Textil-arbeit im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte. In der Aus-stellung „Ein Hut, ein Kleid, ein Unterhemd. Frauen undTextilarbeit“ wurde auch die Arbeit in der Industrie zumThema gemacht. Ein Blickfang war dabei das vergrößerteFoto des Websaals der Mechanischen Weberei Kracht & Co.aus der Zeit um 1925, eines der wenigen Beispiele für diefrühe Industriefotografie in Lemgo.

Wichtige Anregungen für die damalige Ausstellung kamenvon Prof. Ingrid Köller (1935-2002), die an der Universität

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Oldenburg im Fach Textilwissenschaft gelehrt hat. Sie hatnicht nur die Arbeit des Lemgoer Museums, sondern auchvieler anderer Museen über Jahre mit großem Interesse undviel Begeisterung verfolgt. Dabei ging es ihr vor allem umdie Sammlung, Überlieferung und Präsentation textiler Ob-jekte sowie die Erforschung und Darstellung textilgeschicht-licher Themen. Besonders wichtig war für Ingrid Köller darü-ber hinaus der didaktische Aspekt: die Vermittlung textilge-schichtlicher Themen an Schülerinnen und Schüler im Unter-richt und beim Besuch von Museen und anderen außerschu-lischen Lernorten.

Zum Abschluss der Ausstellungseröffnung hat Ingrid Köllerdem Museum zwei kleine Musterstücke aus Leinen undHalbleinen geschenkt, die in Lemgo hergestellt wurden undnoch mit dem Original-Etikett „Kracht & Co.“ versehen wa-ren. Damit verband sie die Anregung, auf dem Weg textil-geschichtlicher Sammlung und Ausstellung fortzufahren unddabei auch der Geschichte des Leinenhandels und des Lei-nengewerbes künftig größere Beachtung zu schenken.

Nach annähernd 15 Jahren kann das Museum nun die Anre-gung in einer Sonderausstellung aufgreifen. Im Mittelpunktsteht dabei die Geschichte der Kaufmanns- und Unterneh-merfamilie Kracht in drei Jahrhunderten. Wie der Name„Leinenkracht“ verdeutlicht, geht es um die Geschichte desLeinenhandels und des Leinengewerbes in der Stadt Lemgound damit um ein wichtiges Thema der Wirtschafts- und So-zialgeschichte in der Region.

Die Ausstellung wird von einem Kooperationsprojekt mitder Hauptschule Lohfeld in Bad Salzuflen begleitet. Die

Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 8 beschäftig-ten sich im Vorfeld der Ausstellung mit dem Anbau und derGewinnung des Rohstoffs Leinen sowie dessen Verarbeitungzu Garnen und Geweben. Stellvertretend für die große Pa-lette an hochwertigen Haushaltstextilien der Firma Kracht &Co. lag der Fokus im Weiteren auf dem Gegenstandsfelddes Geschirrhandtuchs. Entgegen der eindeutigen Zweck-bestimmung und Nutzung dieses Textils gestalteten die Ju-gendlichen daraus Objekte, die bewusst im Gegensatz zudieser Funktionalität stehen. Die Arbeitsergebnisse werdenparallel zur Ausstellung im Museum präsentiert. Unter demTitel „Museum begreifen oder warum wir Dinge aufbewah-ren“ gehen die Jugendlichen bei Besuchen im Magazin undden Ausstellungsräumen des Museums weiterhin der Fragenach, was mit Gegenständen und speziell mit Textilien pas-siert, die im Alltag nicht mehr benötigt werden. Warum wer-den manche Dinge weggeworfen und andere aufbewahrtoder sogar im Museum gezeigt? Welche Arbeitsschritte sindnotwendig, um eine Ausstellung, wie diejenige zur Ge-schichte der Firma Kracht & Co., zu realisieren?

Herzlicher Dank gilt allen, die die Ausstellung und die Publi-kation ermöglicht haben: der Firma Kracht GmbH & Co. KG,namentlich Reinhard und Cornelius Quentell, dem Verein AltLemgo, dem Museumsverein Hexenbürgermeisterhaus e.V.,der Sparkasse Lemgo und dem Landesverband Lippe. Nichtzuletzt Ina Hoffmann und den Schülerinnen und Schülernder Jahrgangsstufe 8 der Hauptschule Lohfeld in Bad Salzuf-len, die eine eigene Sprache für ihre Auseinandersetzungmit Leinenprodukten gefunden haben.

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Die Städte Bielefeld, Herford und Lemgo gehörten im spä-ten Mittelalter einem einheitlichen Wirtschaftsraum, aberunterschiedlichen Territorialherrschaften an. Die Unter-schiedlichkeit der Eingliederung in den Territorialstaat führ-te langfristig zu unterschiedlichen Wegen in die Moderne,so dass sich Bielefeld zu einem wirtschaftlichen Oberzen-trum der Region entwickeln konnte, während Lemgo denVerlust zentralörtlicher Funktionen zu beklagen hatte. Vongroßer Bedeutung war dabei die Bedeutung des Leinenhan-dels für die jeweilige Stadtwirtschaft. Während die LemgoerKaufleute im 16. und 17. Jahrhundert ihren Status als über-regional tätige Leinenhändler verloren hatten, konnte sichHerford als Garnmarkt etablieren. Bielefeld hatte sich schonim 18. Jahrhundert zum Zentrum der feinen LeinenregionMinden-Ravensberg entwickeln können.1

Die Städte Herford und Lemgo unterschieden sich um 1700hinsichtlich ihrer Bevölkerungszahl und Wirtschaftsstrukturnur wenig voneinander. Herford war um 1700 „eine Klein-stadt oder kleinere Mittelstadt von etwa 2.700 Einwohnern“und erreichte von daher in etwa die Bevölkerungszahl derStadt Lemgo (2.699 im Jahre 1720).2 Umzüge zwischen denStädten waren keine Seltenheit, wobei sowohl Geschäfts-und Berufschancen als auch die Wahl von Ehepartnern zuden wichtigsten Ursachen der Mobilität gehörten.

In Herford setzt nach dem Eintrag im „Deutschen Ge-schlechterbuch“ die „urkundliche Stammfolge“ der FamilieKracht ein, und zwar mit dem Rektor Christopherus Kracht(1604-1674) und seinem Sohn Bernhard Kracht (gest. 1686).Bernhard Kracht war Pfarrer an der Münsterkirche.3 Nachdem Besuch des Gymnasiums in Herford hatte er in Rostockund Gießen studiert. Seit 1668 war er an der Münsterkirchetätig, seit 1671 als Senior. Im Jahre 1682 hatte er die kate-chetische Schrift „Weg zu Gott“ veröffentlicht, die als Vor-läuferin des Herforder Katechismus gilt, den sein NachfolgerMatthias Rothe verfasst hatte.4

Johann Christoph Kracht, der Sohn des Pfarrers BernhardKracht, wurde vermutlich kurz nach 1671, dem Jahre derHochzeit von Bernhard Kracht und Maria Elisabeth Will-mans, geboren. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts ließ er sichin Lemgo nieder. Am 3. April 1708 wurde er als Bürger derStadt aufgenommen.5 Am 19. April heiratete er KatharinaElisabeth Sellige. Sie stammte aus einer über Generationenin Lemgo ansässigen Kaufmannsfamilie, aus der im 17. Jahr-hundert Bürgermeister, Ratssiegler und Kämmerer hervor-gegangen waren. Mit der Heirat ging das große WohnhausSlaverbauerschaft Nr. 1 in den Besitz des Ehepaares über.Das Ehepaar hatte zwei Söhne, Henrich Adolf, der als Klein-kind verstarb, und Johann Christian.

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Jürgen Scheffler Die Kaufmannsfamilie Kracht und der Leinenhandel in Lippe im 18. und 19. Jahrhundert

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Am 25. Juli 1711 hatte sich Johann Christoph Kracht in dasHökeramt aufnehmen lassen. Er starb 1716 im Alter von 46Jahren. Seine Witwe heiratete ein Jahr später in zweiter Eheden Kaufmann Andreas Nicolaus Fritsche aus Neustadt ander Orla, der am 2. März 1717 das Bürgerrecht erworbenhatte.

Die zweite Generation: Johann Christian Kracht

Johann Christian Kracht wurde im Jahre 1711 geboren. Ererhielt im Jahre 1732 das Bürgerrecht. Im gleichen Jahr hei-ratete er Katharina Elisabeth Meyer (1711-1779).

Das Ehepaar hatte zehn Kinder, von denen vier im Säug-lings- bzw. Kleinkindalter starben. Aus einer handschriftli-chen Zusammenstellung über die Geburten und Taufen derKinder des Ehepaares geht hervor, wie über die Wahl derTaufpaten Netzwerke mit verschiedenen einflussreichen Fa-milien in Lemgo und Herford geknüpft wurden. Die erstge-borene Tochter Sophia Elisabeth hatte die Ehefrau des Lem-goer Bürgermeisters und Juristen Christian Topp als Patin.Die Paten des Sohnes Heinrich Christoph waren der Herfor-der Arzt Siveke und der Bruder von Katharina ElisabethMeyer. Als Pate des Sohnes Christian Engelbert wurde derLemgoer Bürgermeister Engelbert Cruel bestimmt.6

Über die geschäftlichen Aktivitäten von Johann ChristianKracht ist wenig bekannt. Im Jahre 1731 hatte er sich mitdem Ansinnen an Bürgermeister und Rat gewandt, eine „Fa-brique“ zur Strumpfweberei in Lemgo zu gründen. Er ver-wies darauf, „wie die Strumpff Weberey heutiges Tages anVielen Orthen und Vornehmen Städten häuffig getrieben

und dadurch die Nahrung vor geringe Leute vielfältig befor-dert werde.“ Auf Grund seiner „außwärts erlernte[n] Wis-senschaft“ und „aus Liebe zum Vaterlande“ wollte er dieStrumpfweberei in der Stadt Lemgo einführen. In seinemSchreiben bat er Bürgermeister und Rat um Unterstützungdurch die Befreiung von Diensten und Abgaben. Die Befrei-ung wurde ihm „auff 6 Jahre“ bewilligt, allerdings geht ausder Aktenüberlieferung nicht hervor, ob die „Fabrique“ ge-gründet wurde.7

Johann Christoph Kracht war Mitglied des Hökeramtes, fürdas er im Jahre 1743 als Deche fungierte.8 Im Jahre 1749wurde er mit seinen vier Söhnen Heinrich Christoph, Christi-an Engelbert, Wilhelm und Diedrich August, die sich zumTeil noch im Kindesalter befanden, in das Kaufmannsamtaufgenommen.9 Johann Christian Kracht starb 1759.

Das Leinengewerbe und der Leinenhandel im 18. Jahrhundert

Im 18. Jahrhundert war das Leinengewerbe der wichtigsteGewerbezweig in der Grafschaft Lippe. Im Wesentlichenwurden zwei verschiedene Qualitäten hergestellt: das feineLeinen in den westlichen Ämtern und das grobe Leinen, dasauch Leggeleinen genannt wurde, in den nördlichen undöstlichen Ämtern der Grafschaft.10

Die herausgehobene Stellung, die die lippischen Städte imLeinenhandel im 15. und 16. Jahrhundert innehatten, war im18. Jahrhundert verloren gegangen. Die Lemgoer Legge,die seit dem Jahr 1315 bestanden hatte, war im Verlauf desDreißigjährigen Krieges verfallen. Sie hatte der Qualitäts-

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kontrolle des Leinens durch die Kaufleute unter der Aufsichtdes Rates gedient. Ein Versuch in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts, die Legge neu zu begründen, war geschei-tert.11 Für die Leinenregionen Ravensberg und Lippe wurdeim Verlauf des 18. Jahrhunderts die Stadt Bielefeld zumZentrum des Leinenhandels. Bielefelder Kaufleute hattensich auf den Handel mit feinem Leinen spezialisiert, und mitder Einrichtung der Bleiche im Jahre 1767 konnten sie ihreMarktposition stärken.12 Dennoch fand auch unter den Biele-felder Kaufleuten noch keine vollständige Spezialisierungauf den Leinenhandel statt. Ähnlich wie in anderen Regio-nen waren die Leinenkaufleute zugleich im Manufaktur- undKolonialwarenhandel tätig.13

Heinrich Christoph und Christian Engelbert Kracht: Kaufleute und Leinenhändler

Heinrich Christoph (1734-1816) und Christian Engelbert(1738-1811) erlangten in den Jahren 1755 bzw. 1760 dasBürgerrecht, Wilhelm (1738-1805) und Diedrich August(1747-1801) in den Jahren 1767 bzw. 1777. Heinrich Chri-stoph und Christian Engelbert Kracht waren Mitglieder imHökeramt und im Kaufmannsamt. Heinrich Christoph fun-gierte im Jahre 1764 als Rentmeister, sein Bruder ChristianEngelbert Kracht führte im Jahre 1770 als Deche das Amts-buch des Hökeramtes.

Die beiden älteren Brüder betätigten sich als Kaufleute ingemeinsamen Unternehmungen, aber auch auf getrenntengeschäftlichen Feldern. In den „Lippischen Intelligenzblät-tern“ waren seit 1767, dem Jahr ihres erstmaligen Erschei-nens, zahlreiche Annoncen erschienen, in denen der Kauf-

mann Christian Engelbert Kracht für sein Warenangebotwarb.14 Er verkaufte holländische Schokolade, Butter (ausButjadingen) und Käse (aus Holland), Heringe, Bücklinge,geräucherten sowie frischen Lachs (aus Holland oder vomRhein), Rum und Rack „in Bouteillen“ und Zitronen. Darüberhinaus bot er im Frühjahr Leinsamen und anderes Saatgut

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Anzeige von Christian Engelbert Kracht. Lippische Intelligenzblätter, 1767.

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an. Wie Kaufleute in anderen Regionen verknüpfte ChristianEngelbert Kracht den Manufaktur- und Kolonialwarenhandelmit dem Leinenhandel.15

Im Jahre 1769 war in Lemgo eine Leinen-Handlungs-Gesell-schaft zum An- und Verkauf von feinem Leinen unter demNamen Wolff & Compagnie gegründet worden war. „Nach-dem seith geraumer Zeit der feine Linnen Handel in derStadt Lemgo gäntzlich vermisset worden“, wie es in den„Verbindungs Regeln der feinen Linnen Handlung zu Lem-go“ formuliert wurde, bestand das Ziel der neu gegründe-ten Gesellschaft in der „Wiederherstellung desselben“.16

Die Leinenhandlung war von elf Mitgliedern gegründet wor-den, die jeweils eine Einlage von 500 Talern eingebrachthatten. Zu den Mitgliedern gehörten die beiden KaufleuteChristian Ludwig Wolff und sein Schwiegersohn J. C. Hoff-meister, der Verleger und Bürgermeister Christian FriedrichHelwing, der Stadtsekretär Johann Albert Hermann Held-mann, der Kaufmann und Camerarius Johann HermannSchnitger und die beiden Brüder Christian Engelbert undHeinrich Christoph Kracht. Für den Ankauf des Leinens wa-ren J. C. Hoffmeister und Christian Engelbert Kracht, für dasFühren der beiden Hauptbücher Christian Wolff und Christi-an Friedrich Helwing verantwortlich. Der Handel umfasstegeschäftliche Beziehungen zu Kaufleuten in Hamburg undBremen, so dass feines Leinen nach Holland, Spanien undAmerika exportiert werden konnte.17

Im Jahre 1774 schieden die beiden Kaufleute Wolff undHofmeister aus der Leinen-Handlungsgesellschaft aus. Überdie Modalitäten der Auszahlung der beiden Kaufleute kam

es zu einem Rechtsstreit, der sich über ein Jahr hinzog. Aus-löser war eine falsche Eintragung im Lagerbuch, in dem 44Stück Leinen versehentlich doppelt gezählt worden waren.Dafür verantwortlich war Heinrich Christoph Kracht, der dasLagerbuch geführt hatte. Der Streit zog sich auch deshalbso lange hin, weil sich beim Ausscheiden der beiden Kauf-leute Wolff und Hoffmeister gezeigt hatte, dass die Leinen-Handlung in den ersten vier Jahren keine Gewinne gemachthatte. Nach dem Ausscheiden der beiden Kaufleute Wolffund Hoffmeister wurde die Leinen-Handlungsgesellschaftvon den verbliebenen Mitgliedern unter dem Namen Faber& Comp. fortgesetzt.

Der Bürgermeister und Verleger Christian Friedrich Helwingwar nicht nur Mitglied der 1769 gegründeten Feinen Lei-nen-Handlungsgesellschaft, sondern er hatte seit 1764 mitChristian Engelbert Kracht „in einem gemeinschaftlichenLinnenhandel gestanden“. Seit 1771 hatte Kracht von Hel-wing finanzielle Mittel „zum gemeinschaftl[ichen] grobenLinnen-Handel empfangen“. Im Jahre 1796 hatte Helwingdie seit Jahren fehlenden Abrechnungen angemahnt. Krachtverwies in seinem Antwortschreiben auf die schwierige wirt-schaftliche Situation, in dem sich der Leinenhandel befand.Helwing drängte auf die Eröffnung des Konkursverfahrens.Kracht aber bemühte sich „zur Rettung seiner Ehre“ und„zur Abwendung des ihm und den Seinigen drohenden Un-glücks“, den Konkurs abzuwenden. Es kam zu einem Ver-gleich, wobei Christoph Engelbert Kracht einen großen Teilder ihm gehörenden Grundstücke veräußern musste.18

Nicht nur Christian Engelbert Kracht, sondern auch sein Bru-der Heinrich Christoph Kracht gehörte zu den Mitgliedern

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der Feinen Leinen-Handlungsgesellschaft. Darüber hinauswandte er sich dem Betrieb von Mühlen zu. In den Jahren1789 und 1790 war er mit dem Magistrat und der Fürstli-chen Rentkammer in Konflikt gekommen, da er auf seinemGartengrundstück in der Nähe des Regenstores, „zwischender Stadtmauer und dem Wall“, eine kleine Öl- und Zwirn-mühle angelegt hatte. Dazu hatte er das Wasser des St. Jo-hannis-Mühlengrabens genutzt, das aber ausschließlich alsLöschwasser bei Feuersbrünsten dienen sollte. Man einigtesich schließlich mit Kracht darauf, dass er auf seinem Grund-stück ein kleines Wasserrad zum Schroten von Rübesamensowie „eine kleine Schnupftabaksmühle“ betreiben durfte.Bürgermeister und Rat der Stadt Lemgo betonten in einemSchreiben an die Fürstliche Rentkammer darüber hinaus dieFörderwürdigkeit der Krachtschen Unternehmung, „die In-dustrie des Camerarius Kracht allen Beifal[l] und Ermunte-rung verdienet, da sie das allgemeine Gewerbe und Nah-rungsgeschäfte befördert“.19 In den Jahren 1795 bis 1805pachtete Heinrich Christoph Kracht die herrschaftlichenMühlen in Lemgo und Brake von der Fürstlichen Rentkam-mer, wobei er sich zum Betrieb der Mühlen Unterpächtersuchte.20

Heinrich Christoph Kracht war aber nicht nur als Kaufmanntätig, sondern er gehörte als Kämmerer (Camerarius) undRatssiegler dem Magistrat seiner Heimatstadt an. Auch dieRegierung sah in ihm einen kompetenten Ratgeber. Wieder-holt hatte die Rentkammer ihn als Sachverständigen zu Rategezogen, um gutachterliche Stellungnahmen zu Gewerbe-gründungen einzuholen.21

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Heinrich Christoph Kracht. Hinterglasmalerei, um 1800.

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Lehrjahre und Familienglück: Die KaufmannsfamilieKracht um 1800

Für die Lemgoer Kaufleute spielte neben der Messe in Leip-zig die Messe in Braunschweig eine große Rolle.22 Laut ei-ner Rechnung, die im Firmenarchiv überliefert ist, orderteHeinrich Wilhelm Kracht (1775-1821), der jüngste Sohn von

Heinrich Christoph Kracht, auf der Braunschweiger Messezu „Lichtmeß 1808“ für den Kaufmann Thospann zahlreicheWaren. Darunter waren Tücher, Mützen und Strümpfe, aberauch Fingerhüte, Schachteln, Tee und Strickstöcke.

Heinrich Wilhelm Kracht hatte als Lehrling und Gehilfe eini-ge Zeit im Haushalt eines Kaufmanns in Braunschweig ver-bracht. Über ein besonderes Erlebnis, das ihm als 16-Jähri-gem in der Familie seines Lehrherrn widerfahren war, hatteer seinen Eltern in einem Brief vom 18. Februar 1791 berich-tet: „Ich ging heute vor 8 Tagen mit dem Sohn hier aus demHause und mit meinen Col[l]egen nach dem Garten. Wie wirwieder zu Hause kamen wurde ich in die Stube geruffen. Dafrug mich der Herr wo ich die weißen Pfeffernüsse her ge-krigt die ich gegessen. Da sagte ich, ich hätte keine geges-sen. Da frug er wo den die Krumen her gekommen, die ichin der Tasche gehabt. Da hatten sie unterdessen dass wirwaren nach dem Garten gewesen meine Taschen visitirt. Dawaren noch ein par Kruhmen in von vorigen Pfingsten. Dawar hier das Vogelschießen auf der Masch. Da kriegte ichErlaubniß mit meinen Col[l]egen hinzugehen und wurde unsGeld gegeben. Da sollten wir uns die Pfeffernüsse kaufen.Die aß ich da aus der Tasche auf.“

Offenkundig hatten der Kaufmann und seine Ehefrau wie-derholt die Taschen des jungen angehenden Kaufmanns un-tersucht, ohne dass er davon wusste. Sie hatten ihn mit ei-nem vermeintlichen Diebstahl konfrontieren und unterAndrohung von Schlägen, wobei es allerdings bei der ver-balen Drohung blieb, zum Eingeständnis seiner Schuld zwin-gen wollen. Nach Ansicht von Heinrich Wilhelm Kracht aberwaren die Vorwürfe unberechtigt. Er beteuerte seine Un-

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Geburtstagsgruß für Heinrich Christoph Kracht von seinem SohnFriedrich Christoph, 1791.

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schuld und wollte seine Ehre verteidigen. Dies hatte er sei-nen Eltern in dem Brief erläutert. „Nun habe ich noch dieseTage gewartet […] sagten mir wohl wieder was, aber sieschwiegen jetzt ganz still und thun als wenn sie von nichtswüssten weil sie sehen dass sie unrecht haben. Nun darf ichda doch ohnmöglich still zu schweigen, den ich muß dochmeine Ehre wieder haben. Und wenn ich auch still schweigeso denken sie es ist doch wohl wahr, er ist froh dass es vor-bey ist. Liebste Eltern Sie wissen es nun am besten wie eszu machen ist. Ich bin hier ein junger Bursche und darf danichts zu sagen. Sie können sich gewiss dazu verlassen dassich reine Sache habe welches Sie ja auch von mir überzeugtsind. Ich habe den Höchsten zum Zeugen. Schreiben Sie mir

doch so bald wie möglich wieder und behalten Sie liebIhren gehorsamen Sohn H. W. Kracht.“

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Schattenriss von Johann Heinrich Wilhelm und Sophie FriederikeThospann mit ihren Kindern aus zwei Ehen, um 1800.

Gedicht zur silbernen Hochzeit von Johann Heinrich Wilhelmund Sophie Friederike Thospann. Titelblatt, Oktober 1809.

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Aber nicht nur der Brief als Dokument der familieninternenKommunikation über einen Konflikt und das Ringen um dieEhre des jungen angehenden Kaufmanns ist im Firmenarchivüberliefert, sondern auch eine Reihe von Bild- und Textquel-len zum Leben der Lemgoer Kaufmannsfamilie Kracht um1800.23 Zu den besonderen Überlieferungen gehört einSchattenriss, der im 20. Jahrhundert häufig zu Werbe-zwecken für die Firma eingesetzt wurde. Dargestellt sindsieben Personen aus dem verwandtschaftlichen Umfeld derFamilie Kracht, und zwar die Schwiegereltern von HeinrichWilhelm Kracht mit ihren Kindern aus zwei Ehen. Auf der lin-ken Seite sind Sophie Droste und ihr gegenüber ihr zweiterEhemann, der Kaufmann Johann Heinrich Wilhelm Thos-pann, zu sehen. Sophie Droste war in erster Ehe mit demKaufmann Johann Ludwig Focke (1733-1783) verheiratet.Bei den beiden Personen auf der rechten Seite handelt essich um die erwachsenen Kinder aus der ersten Ehe von So-phie Droste: Wilhelm Focke und ihm gegenüber DorotheaHenriette Focke (1778-1819). Die drei jüngeren Mädchen,die zwischen den Paaren dargestellt sind, sind die Kinderaus der Ehe von Sophie Droste und Johann Heinrich Wil-helm Thospann. Die Verbindung der KaufmannsfamilienDroste, Focke und Kracht vollzog sich über die Heirat: Wil-helm Focke war mit Charlotte Elisabeth Kracht, DorotheaHenriette Focke mit Heinrich Wilhelm Kracht verheiratet. Eshandelte sich also um die Verbindung zweier Geschwister-paare.24

Von Dorothea Henriette Focke ist ein Brief an ihren späterenEhemann Heinrich Wilhelm Kracht erhalten, den sie ihm am28. Januar 1804 geschrieben hat, als er sich auf einer Reisenach Braunschweig befand. „Lieber Kracht! Mit Vergnügen

sah aus Ihrem Schreiben von Hameln, daß Sie bis dahinglücklich gereißt und zweifle nicht, dass Sie auch den übri-gen Theil der Reise recht vergnügt zurück gelegt haben. Dader Himmel Ihnen so günstig war und das böse Regenwet-ter des ersten Tages – wobey ich Sie recht bedauert – so-bald in schönes Wetter veränderte, so hatten Sie gewiß inGesellschaft des lustigen Herrn Schröter eine recht heitereReise, ich bin in Gedanken oft bei Ihnen gewesen. MeinerUnpässlichkeit wegen, lieber Kracht, seyen Sie unbesorgt.

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Grabstein von Hein-rich Wilhelm Kracht,gestorben 1821, aufdem Friedhof Rintel-ner Straße in Lemgo.Es ist das drittälteste

Grabdenkmal aufdem Friedhof und daseinzige, das sich noch

in situ, also am ur-sprünglichen Ort, be-findet und eine origi-nale Steineinfassung

besitzt.

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Dies hatte nichts zu bedeuten, ich bin jetzt wieder recht ge-sund und flink. Der Rath meines Vaters an Sie, sich nach ei-nem andern Mädgen umzusehen, war zu früh. Thun Sie esdaher noch nicht. Gern mein Theurer mögte ich, wenn's derHimmel will, eine recht lange Reihe von Jahren vereint mitIhnen leben, mit Ihnen die Freuden und Beschwerden desLebens tragen und theilen. Letztere wollen wir uns immermehr erleichtern, erstere aufsuchen wo wir können und unsgegenseitig das Leben versüßen, dann schenkt uns auch ge-wiß Gott seinen Segen und wir wandeln froh und zufriedendurch dies Leben. Was macht Ihr Husten, Sie wollen ihndoch nicht wieder mit zurück bringen? Wie geht's mit IhrenGeschäften? Wahrscheinlich haben Sie schon den Anfanggemacht. Ich hoffe, Sie machen gute Preise, dann wollen wirvor dem Johannisthore einmal recht frisch an zu schachernfangen. Diesen Nachmittag habe ich die Frau Tante Drostenbesucht, sie war sehr artig und bat mich doch ja bald wiederzu kommen, was ich denn auch thun werde. So eben kommtder Brief von Wilhelm durch Wippermanns Knecht worausich sehe dass Sie glücklich dort angekommen sind. Diesfreut mich herzlich. Der Vater verlangt meinen Brief. LebenSie wohl. Grüßen Sie meinen guten Bruder 1000mal von mirund sagen Sie ihm dass wir alle wieder ganz gesund sind.Gott segne Ihre beiderseitigen Geschäfte und führe Sieglücklich wieder zu uns zurück. Dies wünscht. Ich küsse Siein Gedanken und bin ewig Ihre treue Henriette Focke“.

Die Heirat fand zweieinhalb Monate später, am 13. April1804, statt. Dorothea Henriette Kracht starb am 16. Februar1819 im 41. Lebensjahr. Die Todesanzeige wurde in den„Lippischen Intelligenzblättern“ veröffentlicht. Heinrich Wil-helm Kracht starb nur zwei Jahre später. Die vier Kinder imAlter zwischen sechs und dreizehn Jahren blieben als Wai-sen zurück.

Die „Feine Leinen- und Handlungs-Compagnie“ und diePacht der Bleiche am Regenstor (1810)

Am 28. März 1810 wurde ein Vertrag geschlossen, in demdie „Feine Leinen- und Handlungs-Compagnie“ erstmals er-wähnt wird. Bei diesem Vertrag handelt es sich aber nichtum die Gründungsurkunde der Leinenhandlung, wie infrüheren Darstellungen behauptet wurde, sondern um diePacht einer Fläche zur Anlage einer Bleiche.25 Denn bereitsim Jahre 1807 hatte Heinrich Christoph Kracht mit seinemSchwager, dem Lemgoer Kaufmann Wilhelm Focke, die Fir-ma H. C. Kracht & Focke gegründet.26 Im Jahre 1810 warennun auch Christian Engelhard und Heinrich Wilhelm Kracht,die beiden Söhne von Heinrich Christoph Kracht, als Partnerin das Leinengeschäft eingetreten. Neben Heinrich Chri-stoph Kracht und Wilhelm Focke gehörten sie zu den Unter-zeichnern des Vertrages mit Bürgermeister und Rat.

Der „Feinen Leinen- und Handlungs-Compagnie“ wurde einTeil des Walles zwischen dem Oster- und dem Regenstor inErbpacht überlassen, und zwar vom sog. Rondell „bis an dasRegens-Thor mit Einschluß des Dechen-Teiches“ zur Anlageeiner Bleiche. Die Handlungsgesellschaft verpflichtete sich,den Wall an den angegebenen Stellen auf eigene Kosten

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Abbildungen auf den Seiten 20 und 21: Vertrag zwischen der „Feinen-Leinen- u[nd] Handlungs-Compagnie“ und Bürgermeister und Rat der Stadt Lemgo über die Anlage einer Bleiche, 28. März 1810 [Abschrift].

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abtragen zu lassen. Sie zahlte jährlich an die Dechen zehnund an die Stadtkämmerei drei Reichstaler. Die Stadt ver-pflichtete sich demgegenüber, den Weg zwischen dem Ron-dell und dem Aufgang in der Nähe des Regenstors in einerBreite von sechs Fuß herzurichten. Sollte nach Anlage derBleiche eine Entschädigung des Müllers notwendig sein„oder durch den Einsturz des Bogens der Lauf d[es] Wassersgehemmt werden“, so sollte die Stadt die Entschädigungübernehmen.

Die Bleiche blieb bis zum Jahre 1845 im Besitz der Hand-lungsgesellschaft. Am 16. September 1845 verkauften dieCousins Heinrich und Christoph Wilhelm Kracht im Namenihrer Geschwister „die im Jahre 1810 von ihren verstorbe-nen Vätern und Oheim in Gemeinschaft mit Ihren GroßvaterH. C. Kracht von der Stadt in Erbpacht überlassene“ Bleiche„mit allen darauf gemachten Anlagen“ an die Witwe Krü-germeier zum Preis von 750 Talern. Als „Krügermeiers Blei-che“ blieb sie bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein erhalten.Den Zustand der Lemgoer Bleichen, zu denen im späten 19.Jahrhundert zwei weitere Bleichplätze gehörten, beschriebder Lemgoer Lehrer Friedrich Sauerländer in seinen„Jugenderinnerungen“: „Die Bleichen waren von offenenWassergräben durchzogen, die aus dem Alten Flusse, auchPfingstgraben genannt, ausreichend mit Wasser versorgtwurden. Das zu bleichende Leinen, die Hemden, Tücher undLaken wurden auf den zwischen den Kanälen liegenden Ra-senflächen ausgebreitet und den Tag über öfter besprengtmit hölzernen Gießen, d.h. mit etwa 60 bis 70 cm langenrinnenförmigen Schaufeln an langen Stielen – gewisser-maßen Nachbildungen des Armes mit der hohlen Hand. Aufden Bleichen war auch Gelegenheit, die Wäsche noch mal

zu spülen, aufzuhängen und schließlich zu mangeln und zurollen.“27

Leinenhandel in Lippe um 1820

Die Fürstliche Rentkammer hatte im späten 18. und imfrühen 19. Jahrhundert ein Vertrags- und Konzessionssystemfür den Leinenhandel in den lippischen Ämtern aufgebaut,aus dem sie Einnahmen erzielen konnte. Kaufleute undHändler konnten sog. private Linnenhandelskontrakte fürdie einzelnen Ämter oder Kirchspiele übernehmen und sichdamit eine Art Monopolstellung erwerben. Diese Privilegienerstreckten sich allerdings weitgehend auf den Handel mitgrobem Leinen. Wiederholt kam es zu Konflikten zwischendenjenigen, die über die Kontrakte verfügten, und denLemgoer Leinenhändlern. So hatte der KammerassessorOchs aus Brake den Handel in den Ämtern Brake sowie denKirchspielen St. Johann (Lemgo), Wüsten, Detmold undMeinberg gepachtet. Als Heinrich Christoph Kracht in Die-stelbruch 73 Stück Leinwand eingekauft hatte, wurde er vonOchs verklagt. Der Prozess ging zugunsten des LemgoerKaufmanns aus, aber es wurde ihm angeraten, „sich fernerdes Leinenaufkaufs in den beiden Kirchspielen zu enthalten,weil die Befugnis der Kammer, zur Erteilung dergl. auf demLande hergebrachter Kontrakte, keinem Zweifel unterwor-fen sei.“28

Im Jahre 1818 wandte sich Christian Engelhard Kracht miteinem ausführlichen Schreiben an die Fürstliche Rentkam-mer, in dem er sich sowohl gegen das System der Verpach-tung als auch gegen die völlige Freigabe des Leinenhandelsaussprach. In einem weiteren Schreiben aus dem Jahre 1820

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wandte er sich gegen die Praktiken der mit Kontrakten ver-sehenen „Commercianten“, die das aufgekaufte Leinen di-rekt nach Rinteln und Vlotho transportierten, unter Umge-hung der in Lippe ansässigen Leinenhändler, „wodurch denhiesigen Kaufleuten im Lande, welche doch alle hiesige La-sten tragen müssen, den kleinen Nutzen dadurch entzie-hen.“ Kracht plädierte für die Einrichtung einer Legge imFürstentum Lippe, um die Qualität des lippischen Leinens zuverbessern und die Verdienstchancen der lippischen Leinen-händler zu befördern. Aber die Rentkammer verteidigte inihrem Antwortschreiben das System der Verpachtung.29

Die Gründung der Legge in Lemgo (1826)

Im späten 18. und im frühen 19. Jahrhundert war das Lei-nengewerbe durch die Importsperre Englands gegen Warenvom Kontinent sowie durch die Kontinentalsperren in denJahren 1803 und 1806 in eine tiefe Krise geraten. Hinzu kamdie Konkurrenz des Maschinengarns. Die Preise stagniertenbzw. sanken. Die Menge der produzierten Leinwand ging inden 1830er Jahren auf etwa ein Viertel zurück. ZahlreicheSpinner und Weber konnten ihren Lebensunterhalt kaumnoch bestreiten. Die lippische Regierung sah die Krise undden Niedergang des Leinengewerbes mit großer Sorge. Alswesentlicher Grund für die geringere Konkurrenzfähigkeitdes lippischen Leinengewerbes im Vergleich zu anderen Lei-nenregionen wurde die schlechte Qualität der Produkte an-gesehen. Um die Qualität zu heben, gründete die lippischeRegierung im Jahre 1826 die Legge in Lemgo.30

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„Verordnung, die Errichtung einer Legge betreffend.“ Fürstlich Lippische Regierung, 30. März 1826.

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Die neue Leggeordnung wurde am 30. März 1826 erlassen.Nach dem Vorbild der Osnabrücker Legge sollte die Leggein Lemgo dazu dienen, die Qualität der im Land gefertigtenLeinwand zu heben, zu bestätigen und den Absatz zu för-dern. Der Aufgabenbereich erstreckte sich auf die grobenQualitäten, das sog. Meier-, Legge- und Weserlinnen. Be-ginnend mit dem 1. Mai 1826 musste die im Land Lippe her-gestellte grobe Leinwand zur Legge nach Lemgo gebrachtwerden. Dort wurden die Stücke gemessen, gestempelt undzum Verkauf angeboten. Die Legge war für Weber undKaufleute an drei Tagen von 6 Uhr morgens bis mittagsgeöffnet. Sie unterstand einem Leggemeister. Darüber hin-aus wurden zwei Gehilfen beschäftigt. Die Jurisdiktion überdie Legge wurde von der Stadt Lemgo ausgeübt.

Mit der Einrichtung der Legge gewann die Stadt Lemgo fürdie Weber aus den Landgemeinden im lippischen Nordenund Osten, die sich auf die Herstellung der groben Qualitä-ten spezialisiert hatten, als Zentrum des Leinenhandels zwaran Bedeutung. Vermutlich profitierten auch die LemgoerHändler und Wirte vom Leggebesuch der Weber aus denÄmtern des Fürstentums. In der Stadt selbst sowie in denumliegenden Dörfern aber gab es nur wenige Weber.31 Unddie Lemgoer Leinenhändler waren unter den Käufern aufder Legge wohl eher die Ausnahme. Eine nachhaltige För-derung des Leinengewerbes konnte die Lemgoer Leggenicht bewirken. Den Niedergang der heimgewerblich be-triebenen Leinenfertigung in Lippe konnte sie nicht aufhal-ten. Letztendlich war ihre Gründung viel zu spät erfolgt. ImJahre 1874 wurde sie aufgelöst, die 1826 erlassenen Verord-nungen wurden aufgehoben.

Kaufmann und Unternehmer: Christoph Wilhelm Kracht

Christoph Wilhelm Kracht (1811-1902) war über lange Jahr-zehnte der wohl bekannteste Repräsentant der LemgoerKaufmanns- und Unternehmerfamilie Kracht. Er gehört zuden wenigen Lemgoer Persönlichkeiten der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts, denen ein Artikel in der Biografien-sammlung „Menschen vom lippischen Boden“ (1936) ge-widmet ist.32 In dem Beitrag wird er als „Begründer der me-chanischen Leinenweberei in Lemgo“ gewürdigt. Verfasserdes Artikels war der Herausgeber Max Staercke, Verleger inDetmold, der auf die biografischen Informationen zurück-greifen konnte, die Paul Kracht, der Sohn von ChristophWilhelm, zusammengestellt hatte.

Durch den frühen Tod der Eltern war Christoph WilhelmKracht zusammen mit seinem jüngeren Bruder Gustav alsWaise im Haus seines Onkels Christian Engelhard aufge-wachsen. Ob auch die Schwestern dort lebten, geht aus derFamilienüberlieferung nicht hervor. In einem Brief aus demJahre 1882 hatte er daran erinnert, dass sein Bruder und erzunächst bei dem Konrektor Johann Georg Bertold in Kostund Logis waren und dort „sehr schlecht behandelt undförmlich misshandelt wurden“. Es war der Detmolder Pfarrerund Hofprediger Friedrich Adolf Droste, der mit der Familieverwandt war und an dessen Wirken Kracht in seinem Brieferinnerte, der daraufhin veranlasst hatte, dass die beidenBrüder „anderweitig untergebracht“ wurden.

Christoph Wilhelm Kracht hatte eine fünfjährige Lehrzeit inder „Feinen Leinen- und Handlungs-Compagnie“ absolviert,die von seinem Onkel Christian Engelhard Kracht geleitet

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wurde. Wie Anzeigen in den „Lippischen Intelligenzblät-tern“ zeigen, betrieb Christian Engelhard Kracht nicht nurHandel mit Leinen und Leinsamen, sondern führte auch denManufakturwarenhandel fort. So annoncierte er im Jahre1818 Kaffee aus Martinique, Surinam und St. Domingo so-wie Zucker, Tabak, Reis, Butter und Heringe. Sein Geschäftbetrieb er unter dem Namen „C. E. Kracht, Henr[ich's]Sohn.“33

Nach Christian Engelhard Krachts Tod im Jahre 1838 trenntesich die nachfolgende Generation der Familie von der Blei-che am Regenstor. Christoph Wilhelm und sein Bruder Gu-stav gründeten die Firma Gebr[üder] Kracht. Laut Briefkopfhandelte es sich um ein „Manufactur-, Tuch- und Modewaa-ren-Geschäft“, das sich auf „Bielefelder Leinen & Ta-schentücher, Hausmacher- und Leggeleinen“ spezialisierthatte. Im Jahre 1854 gründeten sie zusammen mit ihremCousin Heinrich Kracht, dem Sohn von Christian Engelhard,

die Firma „Kracht & Co“, deren Handel sich laut Gesell-schafts-Vertrag auf „Leinen engros und Maschienen Garne“erstreckte. Als Geschäftslokal diente das Wohnhaus vonHeinrich Kracht. „[…] derselbe überläßt für die Dauer diesesContractes und zwar ohne dafür eine Vergütung für Mietheetc. zu erhalten der Societät den sogenannten Linnensaal,das oben nach hinten befindliche Zimmer zum Lager der[…] Leinen u. Garne und ein Comptoir, zu letzter vorläufigein Zimmer oben im Hause, verpflichtet sich jedoch im kom-menden Frühjahr 1855 den Laden unten zum Comptoir her-stellen zu lassen.“

Die Anteile am Gewinn oder Verlust wurden zu gleichen Tei-len getragen, „so dass Heinr. Kracht die Hälfte und dieGebr. Kracht die andere Hälfte davon zu beziehen oderresp. zu tragen haben“. Darüber hinaus erhielt der Gesell-schaftsvertrag einen Passus über die Angestellten: „Vorläu-fig aber wird versucht, das Geschäft ohne Gehülfen zuführen und werden die Gebr. Kracht einen ihrer jungen Leu-te zur Hülfe stellen wenn es die Arbeiten erfordern wofür je-doch keine Vergütung erstattet wird, so wie auch für die Ar-beit des Knechts von H. Kracht welcher das Packen besorgtnichts vergütet wird.“

Mit der Gründung der beiden Firmen Gebr. Kracht undKracht &. Co. hatten sich Christoph Wilhelm und GustavKracht als Textil- und Leinenkaufleute in Lemgo etabliert.Die Inventur aus dem Jahr 1868 listet die Aktiva und Passivader Firma Kracht & Co. auf. Die Liste der Aktiva zeigt, dassdie Kunden der Firma nicht nur auf Lemgo und Lippe sowiedie benachbarten westfälischen Städte Bielefeld und Her-ford begrenzt waren, sondern auch aus anderen Städten in

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Briefkopf der Firma Gebr. Kracht, 1870.

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Westfalen, wie Dortmund und Gütersloh, im Rheinland, wieElberfeld, Barmen, Duisburg, Düsseldorf, Köln und Aachen,und in Norddeutschland, wie Cloppenburg und Bremen, ka-men. Die weitesten Geschäftsbeziehungen reichten nachTrier, Mannheim und Kiel. Aus einer Zusammenstellung derInventuren in den Jahren 1864 bis 1872 geht hervor, dasssich ein stetig steigernder Gewinn der Firma ergab.

Christoph Wilhelm Krachts Tagebuchaufzeichnungen ausden Jahren 1863 bis 1868 umfassen eine Reihe von Notizenüber den Leinenhandel. So schrieb er am 14. Juni 1863: „ImManufacturgeschäft ging es ziemlich gut, obgleich nichtgrade brilliant. Die Baumwolle ist in Folge des amerikani-schen Krieges, welcher nun schon über ein Jahr wüthet, zuunerhörten Preisen gestiegen. Im Leinengeschäft ist der Ab-satz seit der […] Conjunctur bedeutend größer geworden,das neue Jahr liefert daher ein gutes Resultat, doch sindjetzt die Einkaufspreise so hoch, dass wenig […] bleibt.“

In den folgenden Jahren finden sich ähnlich lautende Einträ-ge. Im Juni 1864 notierte Christoph Wilhelm Kracht: „ImGeschäfte ist Gottes Segen recht sichtbar gewesen. Das De-tail-Geschäft brachte die größte Einnahme, welche bisherda gewesen ist […], auch das Leinen-Geschäft war sehr leb-haft und die Einkäufe in Garn sehr günstig, so dass der Er-trag wohl zu den besten gerechnet werden kann.“ Im Au-gust fügte er hinzu: „Das Leinengeschäft hat sich bis jetztsehr gut gemacht, die Preise sind jedoch auf eine enormeHöhe gestiegen und wird ein Herabgehen auf den Normal-stand nicht ohne Verluste stattfinden können.“ Am Endedes Jahres 1865 bilanzierte er: „Das Herbstgeschäft war gutzu nennen, da der Winter dafür günstig war, es wurden vielewollen[e] Stoffe gekauft, die Einnahme war die höchste, wel-che bis jetzt erreicht ist.“

Wie Stefan Wiesekopsieker in seinem Beitrag zeigt, hattedie Firma Kracht & Co. seit Mitte der 1850er Jahre denSchritt vom reinen Kaufsystem, das sich auf den Aufkauf vonLeinwand beschränkte, zur Beschäftigung von Lohnwebernvollzogen.34 Im November 1868 findet sich nun ein ausführli-

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Die Brüder Gustav und Christoph Wilhelm Kracht, um 1890.

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cher Eintrag im Tagebuch, der auch Zukunftsüberlegungenüber den Schritt zur industriellen Fertigung einschließt.„Das Geschäft war recht lebhaft, es wurden besonders vielewollene Waaren für Männer verkauft, im Allgemeinen ist dasGeschäft aber nicht so gut als man erwartet hat, da dieErndte hier im Lande vortrefflich war und die Ziegelarbeiterwährend des trocknen Sommers viel Geld verdient haben.Im Leinenhandel geht es recht gut mit weißer fabrizierterWaare, die Weberei in dieser Sorte lag im Sommer fast ganzstill, belebt sich aber jetzt zusehends, so dass die einlaufen-de Order ziemlich prompt effectuirt werden kann. […] Deraußerordentliche Mangel an Weberei im Laufe des Som-mers hat uns schon mehreremal darauf hingewiesen einemechanische Weberei zu etabliren, wir haben jedoch bisjetzt noch nicht den kühnen und ohne Zweifel riskanten Ent-schluß fassen können. Unser neuster Gedanke ist es vorläu-fig mal mit einem mechanischen Stuhle zu versuchen.“ Essollte noch annähernd zwanzig Jahre dauern, bevor die Ideerealisiert und die mechanische Weberei in Betrieb genom-men werden konnte.

Religiosität und Wohltätigkeit: Christoph Wilhelm Kracht und die Kleinkinderbewahranstalt

Christoph Wilhelm Krachts Schwester Sophie hatte im Jahre1840 den Pfarrer Ferdinand Clemen (1805-1847) geheiratet.Clemen war seit 1838 Pfarrer an St. Marien in Lemgo. Ergehörte zu den Protagonisten der Erweckungsbewegung inder Stadt Lemgo und im Fürstentum Lippe. So hatte er un-ter dem Titel „Kern und Mark deutscher Kirchenlieder“ imJahre 1844 ein eigenes Gesangbuch herausgegeben. Im

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Prinzessin Luise zur Lippe (1822-1887). Gemälde von Josef KarlStieler, um 1850. Stift St. Marien, Lemgo.

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Jahre 1845 wurde er zum Präses des Lippischen Missions-vereins gewählt. Außerdem rief er einen Enthaltsamkeits-und einen Jünglingsverein ins Leben.35

Im Jahre 1845 hatte Ferdinand Clemen die Kinderbewahr-anstalt in Lemgo gegründet. Zum Vorstand gehörten seinBruder Dr. Heinrich Clemen, Lehrer am Lemgoer Gymnasi-um, Prinzessin Luise zur Lippe, die Äbtissin des Damenstif-tes St. Marien, sowie Sophie Clemen, die Ehefrau des Pfar-rers. War zunächst vor allem die Familie Clemen an derGründung und Leitung der Einrichtung beteiligt, so über-nahm nach Ferdinand Clemens frühem Tod Christoph Wil-helm Kracht die wohl wichtigste Aufgabe im Vorstand, wor-an in der Satzung vom 1. August 1892 ausdrücklich erinnertwurde: „Da die Anstalt vom sel[igen] Pastor Clemen vor sei-nem Abscheiden der Fürsorge seines Schwagers, des HerrnCom[merzien]-Rat C.W. Kracht übergeben war und derselbein der Folge auf Anordnung der damaligen hohen Protekto-rin, der Prinzeß Luise z[ur] Lippe Durchlaucht die 3 evangeli-schen Pastoren von St. Mar[ein], St. Nikolai und St. Johannkooptiert hat: so besteht der Vorstand aus den genannten 4Männern.“ Auch in einem Artikel zum 40-jährigen Bestehender Kleinkinderschule wurde Krachts Wirken gewürdigt. Erhatte wesentlich dazu beigetragen, dass aus der Kleinkin-derbewahranstalt eine Kleinkinderschule hervorgegangenwar: „Demselben ist es […] gelungen, zu erhalten, was ihmübergeben war, und es den Anforderungen der wechseln-den Zeiten entsprechend umzuformen.“

Christoph Wilhelm Kracht übernahm die Rechnungslegungder Kinderbewahranstalt, und er fertigte die Jahresabschlüs-se an, die er mit kurzen Berichten über die Organisation und

den Jahresablauf in der Einrichtung versah. Im Firmenarchivist der Entwurf für ein Schreiben vom 12. August 1851 über-liefert, in dem er im Namen des Vorstandes über die Rech-nungsabschluss und die Entwicklung in der Einrichtung Be-richt erstattete. „Es haben 80-85 Kinder die Anstalt besucht,und da außer den Geldspenden auch viele Gaben anKüchenbedarf eingingen, so war es uns bis jetzt möglich,den 25-30 Armen das Essen zu geben, Morgens u. Nachmit-tags Milch mit Brot und Mittagessen. Im Allgemeinen kön-nen wir über den Stand der Anstalt nur Erfreuliches sagen,mit der Zunahme der Kinder scheint auch das Interesse fürdieselben sich zu mehren. […] Unsere Finanzen haben durchdie im v[origen] Jahre geschenkte namhafte Summe einenbedeutenden Zuschuß erhalten, und wenn die Liebe derGönner unserer Anstalt nicht erkaltet, so hoffen wir, daßdieselbe immer mehr zum Segen für unsere Stadt wird.“

Auch um die Kapitalbeschaffung kümmerte sich ChristophWilhelm Kracht, wobei seine Firma der Einrichtung im Jahre1851 beispielsweise einen Kredit über 300 Reichstaler be-willigt hatte. Auch in späteren Jahren wurden Defizite durchfinanzielle Zuwendungen der Firma bzw. aus dem Privatver-mögen ausgeglichen. Aber Christoph Wilhelm Kracht über-nahm nicht nur Aufgaben in der Verwaltung der Einrichtung,sondern er war auch an der Organisation und Durchführungder Feste beteiligt. Den Höhepunkt im Jahresablauf bildetedie Weihnachtsfeier, in der neben der Ansprache des Pfar-rers und Gesprächen über die Weihnachtsgeschichte die Be-scherung der Kinder im Mittelpunkt stand. Diese Feier hatteim Laufe der Jahre einen besonderen Platz im städtischenLeben erlangt, wie in einem Bericht über die Weihnachtsfei-er des Jahres 1890 hervorgehoben wurde. „Die Weihnachts-

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feier dieser Kinder wird von den Einwohnern der Stadt,nicht blos von den Angehörigen, immer recht zahlreich be-sucht. Eine besondere Bedeutung erhält dieselbe dadurch,daß Ihre Hoheit die regierende Fürstin die Feier nicht zu un-bedeutend hält, um sie mit ihrer Gegenwart zu beehren.“38

Nicht nur im Rahmen der Weihnachtsfeier, sondern auch beianderen Anlässen, wie dem Besuch des Prinzregenten Adolfzu Schaumburg-Lippe und seiner Gemahlin im Jahre 1897,war es Christoph Wilhelm Kracht, der als „Senior“ den Vor-stand der Einrichtung repräsentierte.

Christoph Wilhelm Krachts Tätigkeit im Vorstand der Klein-kinderschule war einerseits die Konsequenz eigener Erfah-rungen, die durch den frühen Tod der Eltern und das Auf-wachsen als Waise geprägt waren, und andererseits Aus-druck einer Frömmigkeit, die vermutlich stark durch die Er-weckungsbewegung beeinflusst war. Im Jahre 1868 formu-lierte er sein Selbstverständnis in einem Tagebucheintrag,den er als Botschaft an seine Kinder verstand: „Liebe Kin-der, wenn ihr diese Zeilen zu Gesichte bekommt, bin ichvielleicht nicht mehr unter Euch, ich bitte Euch aber bleibettreu Eurem Heilande, ich habe schon ein ziemlich langes Le-ben hinter mir ich bin 57 Jahr alt, ich habe in meiner Jugendsehr, sehr schwere und dunkele Zeiten durchlebt, ich habeals verwaisster Knabe viel Noth gehabt, aber in den größtenDrangsalen hat mich stets der Glaube an die Gnade des all-gütigen Gottes und des Heilandes aufrecht erhalten undKraft gegeben. In den letzten Jahren hat uns der Herr mitVermögen beschenkt, so dass Ihr wenn nicht besondere Un-glücksfälle sich ereignen nicht so arm in die Welt eintretetals ich. Sollte dies so bleiben so bitte ich Euch werdet da-durch nicht sicher [?] oder hochmütig und stolz, bedenket

der es gegeben hat kann es bald nehmen. Bleibt dabeisparsam & demüthig, gebt den Armen & Nothleidendenund unterstützt wohlthätige Zwecke Mission usw.“

Familie und gesellschaftliches Leben

Christoph Wilhelm Kracht hatte spät geheiratet. Seit 1858war er mit Dorothea Elisabeth Schröter (1832-1888), Tochterdes Lemgoer Kaufmanns Friedrich Wilhelm Schröter, verhei-

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Dorothea Elisabeth,geb. Schröter, undChristoph WilhelmKracht mit Tochter

Luise, um 1860.

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ratet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Luise (1859-1913), diein der Familie Lilli genannt wurde, und Paul (1863-1959).Christian Wilhelm Kracht war damit erst Vater geworden, alser bereits weit über 40 Jahre alt war. Die Aufzeichnungen inseinem Tagebuch vermitteln einen Eindruck von der Freudeund Dankbarkeit, die er mit Blick auf seine Kinder empfand.So notierte er im Jahre 1863 im Rückblick auf das vergange-ne Jahr: „In unserm eignen Hause ist des Herrn Segen reich-lich eingekehrt und sind bewahrt vor schwerem Leid undUnglück, außer kleinem Unwohlsein ist kein Hausgenossevon Krankheit getroffen. Die ersten Tage (05. Januar)schenkte uns ein Söhnlein, der nun schon ein kräftiger Jun-ge geworden ist und seine ersten Geh- und Sprachversuchemacht. O! es ist eine Lust, ihn und sein 4 1⁄4 Jahr altesSchwesterchen zu sehen; beide sind gesund an Geist undKörper, Lili sehr lebhaft und leicht erregt und gereizt, Paulruhiger, gemüthlich, aber doch nicht phlegmatisch. Gottsegne und beschütze sie […].“

Fünf Jahre später konstatierte Christoph Wilhelm Kracht,dass der neunjährigen Luise, die die Töchterschule besuch-te, das Lernen leicht falle und sie „recht begabt“ sei. Derfünfjährige Paul, der in die Vorschule ging, zeichnete sichdemgegenüber nach Ansicht des Vaters durch ein „für seinAlter […] auffallendes Verständnis für praktische Dinge“ aus.Er wolle unbedingt Kaufmann werden und „behaupteteheute, dass er schon die Preise der Päckchen Zwirn und Sei-de kenne.“

Zwischen Christoph Wilhelm Kracht und seinen Geschwis-tern bestand eine enge Beziehung. An der schweren Erkran-kung seiner Schwester Emilie, die im Jahre 1864 starb,

nahm er lebhaft Anteil. Mit seinem Bruder Gustav stand ernicht nur geschäftlich, sondern auch privat in engem Kon-takt. In seinem Tagebuch schrieb er: „Bruder Gustav […] istund bleibt eine edle Natur, ein Edelstein vom reinsten Was-ser, der auch das mit dem Diamant gemeinsam hat, dass erunbewußt glänzt und leuchtet.“

Geschäftsreisen zu den Kunden und Geschäftspartnern inHamburg und Bremen oder in Elberfeld und Köln sowie zuden Messen in Braunschweig und Leipzig gehörten zum All-tag des Kaufmanns Christoph Wilhelm Kracht. Als sein SohnPaul im Jahre 1884 die erste Geschäftsreise nach Bielefeld,

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Aus dem Familienalbum: Christoph Wilhelm Kracht mit Verwandten, um 1890.

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Dormund und Elberfeld unternahm, war ihm dies einen Ein-trag ins Tagebuch wert. „Gott segne Anfang und Fortgangseiner Lebensreise. Er schien etwas ängstlich zu sein undmeinte, auch Cicero, der große Redner, habe stets eine ge-

wisse Angst gehabt, wenn er zur Rednerbühne gegangensei.“ Im Unterschied zu den Geschäftsreisen dienten Kurauf-enthalte der Erholung und der Begegnung mit der vorneh-men Welt in den Bädern. Mehrfach ist Christoph WilhelmKracht – ähnlich wie sein Bruder Gustav – nach Ostende ge-reist. Auch die Bäder Ems und Pyrmont gehörten zu seinenReisezielen. Bereits im Juli 1839 war er zur Kur nach Emsgereist und berichtete in einem Brief seiner SchwesterSophie ausführlich über seine Eindrücke. Gegen Abend „er-scheint die ganze Welt wieder am Sammelplatze, und zwarim größten Pompe, da solltet Ihr diesen Staat sehen, dieseidenen Mantillen mit Spitzen besetzt, […] diese Verschie-denheit in Schnitt und Stoff, ich weiß, Ihr könntet Euch andiesen Fürsten und Baronen nebst ihren Damen, wovon eshier wimmelt, nicht satt sehen.“

Durch Briefe, vor allem durch die Familientreffen mit denGeschwistern und den Verwandten wurden die Beziehungeninnerhalb der großen Familie gepflegt. Darüber hinaus wur-den regelmäßig Gesellschaften veranstaltet. Ein Kreis vonVerwandten, Nachbarn und Honoratioren der Lemgoer Ge-sellschaft kam dabei im Haus Kracht zusammen. Für dieEhefrauen der Honoratioren wurden Kaffeenachmittage ver-anstaltet. Aber auch Besprechungen über kommunalpoliti-sche Themen, wie die Vorbereitung der Stadtverordneten-wahl, wurden im Hause von Christoph Wilhelm Kracht abge-halten.

Den Gesellschaften im Haus Kracht folgten Gegeneinladun-gen in die Häuser der anderen Lemgoer Honoratioren. Vonbesonderer Bedeutung für das gesellschaftliche Leben inder Kleinstadt Lemgo waren die Einladungen, die von der

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Glückwunschder Belegschaftzum 80. Ge-burtstag vonChristoph Wil-helm Kracht, 15. März 1891.

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Äbtissin des Lippischen Damenstiftes, der Prinzessin Luisezur Lippe, ausgesprochen wurden. Mehrmals finden sich inden Tagebüchern Eintragungen über Gesellschaften imHaus der Prinzessin, bei denen neben anderen Lemgoer Ho-noratioren, wie dem Direktor des Gymnasiums, auch diebeiden Prinzessinnen Friederike und Pauline, die Schwes-tern der Äbtissin, anwesend waren.

Im Jahre 1885 wurde Christoph Wilhelm Kracht zum Kom-merzienrat ernannt. Er gehörte dem Kuratorium für dasGymnasium sowie dem Vorstand der Bürgerschulen an.Auch Stadtverordneter ist er, ähnlich wie sein Bruder Gu-stav, einige Jahre lang gewesen. Im Jahre 1901 beging erseinen 90. Geburtstag. Die Beschäftigten der Leinenwebereibrachten ihm am Vorabend seines Geburtstages ein Stän-dchen und überreichten eine Fotografie, auf der das gesam-te Personal zu sehen war. Er starb am 14. März 1902. Die„Lippische Post“ würdigte seine vielen Verdienste „um dasallgemeine Wohl“ und erinnerte insbesondere an sein Wir-ken für die Kleinkinderbewahranstalt, „die in ihm bis in diejüngste Zeit ihren eifrigen Berater und Helfer sah.“ Aber„auch auf anderen Gebieten der Wohlfahrtspflege“ sei er„ununterbrochen thätig gewesen und hat sich dadurch denlebhaftesten Dank vieler Kreise erworben.“39

Die Feier zur „Hausrichtung“ der Mechanischen Weberei (1887)

Für das Jahr 1887 sind Tagebuchaufzeichnungen von PaulKracht überliefert. Sie enden mit der Darstellung der Haus-richtungsfeier in den neu errichteten Fabrikgebäuden. DieseFeier stand noch ganz in der Tradition der Frömmigkeit, die

in der Familie Kracht gelebt wurde. Alle Lemgoer Pfarrerwaren eingeladen und nahmen an der Feier teil. Zugleichwar das Fest ein Symbol der gesellschaftlichen Verbindun-gen zwischen der Familie des Kommerzienrates Kracht undden Honoratioren der kleinstädtischen Gesellschaft, in dieauch die nachfolgende Generation einbezogen wurde.Denn solche Feste dienten auch der Anbahnung künftigerEhen zwischen den Söhnen und Töchtern der Lemgoer Ho-noratiorenfamilien.

Eingeladen zu dem Fest in dem noch offenen Rohbau wur-den Verwandte und Bekannte. Die Einladungsliste umfassteneben den Verwandten die Pfarrer Heinrich Christian Ebe-ling, Werner Theopold, Gustav Adolf Vorberg und LeopoldHunecke mit ihren Familien. Hinzu kamen weitere LemgoerHonoratioren, wie der Gastwirt Wülker mit Frau und zweiTöchtern, der Arzt Overbeck mit Frau, die Kaufleute Ernstund Lienekogel, der Amtmann Petri mit Tochter sowie derspätere Prokurist Gustav Oldenbürger. Der Posaunenchorspielte Choräle. Nach der Rede des Zimmermeisters Schaf-meister, der vom Gerüst aus sprach, folgte die Ansprachedes Pastors Ebeling. „An die Rede schloß er die Weihe desHauses, Gebet u. Segen. Danach spielte der Posaunenchoreinen Vers von ‚Nun danket alle Gott', mit welchem die Fei-er beendet war.“ Das Fest endete mit einem Essen, auf demzahlreiche Toasts ausgesprochen worden. „Es war ein kolos-saler Redefluß, aber alle fielen gut aus. Die Stimmung in derGesellschaft war einfach brilliant; während die Alten beimGlase Wein blieben, wurden von uns Jungen Pfänderspielegemacht.“

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Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Landesteilen ge-lang dem agrarisch strukturierten Fürstentum Lippe – heutein etwa deckungsgleich mit dem Kreis Lippe – erst kurz vorBeginn des 20. Jahrhunderts der allmähliche Eintritt in dasIndustriezeitalter.1 Neben der geographischen Lage unddem Mangel an Rohstoffen ist für diesen verspäteten Be-ginn der Moderne vor allem die lange „Antiindustrialisie-rungspolitik“ der lippischen Regierung verantwortlich, diebewirkte, dass eine Industrialisierung anfangs nur gegenden Willen des Staates erfolgen konnte. Über viele Jahr-zehnte sahen die politisch Verantwortlichen eher ratlos zu,wie Tausende Landeskinder als Auswanderer ihrer Heimatfür immer den Rücken kehrten oder als Wanderziegler all-jährlich von Frühjahr bis Herbst in der Fremde ihrem Broter-werb nachgingen; die Daheimgebliebenen versorgten in derRegel eine kleine Landwirtschaft.2

Ein Meilenstein auf Lippes schwierigem Weg in das Indu-striezeitalter stellte daher unbestritten der Ende 1880 er-folgte Anschluss des Landes an die bereits 1847 in Betriebgenommene Eisenbahnverbindung Köln-Minden dar. Durcheine Stichbahn waren Detmold, Lage, Schötmar (ab 1892)und Salzuflen zwar zunächst nur mit Herford, aber damit im-merhin mit dem preußischen Eisenbahnnetz überhaupt ver-bunden. 1895 wurde diese Verbindung bis nach Altenbeken

verlängert, womit Lippe über einen direkten Anschluss nachKassel, einem der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte, ver-fügte. Infolgedessen kam es entlang dieses Verkehrswegeszur Gründung zahlreicher Industriebetriebe. Keiner erreichtejedoch die Größe und Bedeutung der seit 1850 in Salzuflenbeheimateten Hoffmann’s Stärkefabriken, die um 1900 gut1.000 Arbeitsplätze boten und ihre Produkte weltweit unterdem Zeichen einer sich putzenden Katze verkauften.

Auch in Lemgo, der zweitgrößten lippischen Stadt, hattensich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige Indus-triebetriebe etabliert, die in der Regel aus Handwerksbetrie-ben hervorgegangen waren. Größere Bedeutung erlangtendie Seidenzwirnerei Köttgen (gegründet 1854), die Stärkefa-brik Klasing (1858), die Lederfabrik Potthoff (1875), die Zi-garrenfabriken Schmidt (wohl schon seit 1830 bestehend)und Kabaker (1878), aber auch die Möbelfabriken Schling-mann (1897) und später Wrenger (1910). Gänzlich auf kleineBetriebe beschränkt war die weithin bekannte Meerschaum-pfeifenfabrikation, die jedoch bereits bald nach der Jahr-hundertwende zum Erliegen kam. Einige der genannten Un-ternehmen entwickelten sich zum industriellen Großbetriebmit einer stattlichen Anzahl von Mitarbeitern; nur wenigenwar allerdings ein langfristiger Erfolg beschieden.3 Zu ebendiesen wenigen Unternehmen gehört die seit nunmehr fast

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Stefan WiesekopsiekerDie Industrialisierung der Leinenherstellung in Lemgo.Die Mechanische Leinen- und Gebild-Weberei Kracht & Co. (1887-1945)

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Vor der Ankunft des ersten Eisenbahnzuges am Bahnhof in Lemgo, 8. Juli 1896. Fotograf: Otto Geiseler, Lemgo.

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drei Jahrhunderten im Leinenhandel tätige Firma Kracht.Diese errichtete 1887 eine mechanische Weberei, deren Er-zeugnisse weit über die lippischen Grenzen hinaus vertrie-ben wurden, und leistete damit einen wichtigen Beitrag zurIndustrialisierung Lemgos.

Gründung der Mechanischen Leinen- und Gebild-Weberei Kracht & Co.

Sowohl die „Feine Leinen- und Handlungs-Compagnie“ alsauch die später gegründeten Kracht’schen Firmen, Gebr.Kracht bzw. Kracht & Co., handelten mit Leinenwaren allerArt, stellten diese aber nicht selbst her. Etwa ab Mitte der1850er Jahre griff man jedoch insofern in den Produktions-prozess ein, als man nach der Erfindung der mechanischenSpinnmaschine und deren raschen Verbreitung mechanischgesponnenes Garn kaufte, um es in Lohnarbeit weiterverar-beiten zu lassen. Als Lieferanten dienten vor allem die bei-den in dieser Zeit in Bielefeld etablierten Flachsspinnereien,die Spinnerei Vorwärts (Gründung 1850/Produktionsbeginn1852) und die Ravensberger Spinnerei (1854/1857).4 Krachtwiederum beschäftigte zahlreiche Lohnweber, die in derUmgebung von Lemgo ansässig waren; genannt werden inden Unterlagen des Firmenarchivs die nordlippischen OrteMeierberg, Steinegge und Linderbruch sowie das zuPreußen gehörige Goldbeck (bei Rinteln). Hier wurde dasangelieferte Garn auf Handwebstühlen, die, wie immer wie-der berichtet wird, zum Teil sehr primitiv waren, zu Leinenverarbeitet.

Es ist das Verdienst des späteren Geheimen Kommerzien-rats Christoph Wilhelm Kracht (1811-1902), den so genann-

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Karl Henckel: Der letzte lippische Handweber. Öl auf Leinwand, 1929. Lippisches Landesmuseum Detmold.

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ten „Schnellschützen“ bei „seinen“ Webern eingeführt zuhaben, der wesentlich zur Steigerung der Produktionbeitrug. Auf seine Initiative hin wurden sogar Kurse einge-richtet, in denen die Lohnweber mit dieser technischen In-novation vertraut gemacht wurden. Den fortschreitendenVerfall der Hausweberei konnte dies jedoch nicht aufhalten,denn auch Kracht musste die Vorzüge des mechanischenWebens nutzen, wollte die Firma konkurrenzfähig bleiben.Alsbald ließ man den Großteil seines Leinens bei der Webe-rei Piderit in Gadderbaum bei Bielefeld in Lohn herstellen,insbesondere „Reinleinen aus feinen Flachsgarnen“,„Milchleinen“, „8-fädig karierte Leinen“ und „gestreifte Lei-nen“, allesamt Waren, die bislang auf Handwebstühlen ge-fertigt worden waren. Der Wechsel zu einem zuverlässigenFabrikationsbetrieb erfolgte aber nicht zuletzt deshalb, weildie Lohnweber im Sommer vermehrt als Wanderziegler ar-beiteten und die zu Hause verbliebenen Frauen undMädchen mit Feldarbeiten beschäftigt waren. Dadurch wa-ren sie nicht in der Lage, die Menge an Leinen zu liefern, dievon Kracht benötigt wurde.5

Nach und nach scheinen die verschiedenen Kracht’schenHandelsunternehmen unter der Leitung von Christoph Wil-helm Kracht zusammengeführt worden zu sein.6 In diesemZusammenhang ist wohl auch der Firmensitz verlegt wor-den, und zwar an die Mittelstraße. Hier hatten um 1868Christoph Wilhelm Kracht und sein jüngerer Bruder und Ge-schäftspartner Gustav Kracht (1813-1892) zwei Häuser (Sla-verbauerschaft (SB) 8/Mittelstraße 78 und SB 9/Mittelstraße80) erworben. Während das Haus Nr. 8 im Jahre 1870 durcheinen klassizistisch anmutenden Neubau ersetzt und von derFamilie Kracht als Wohnhaus genutzt wurde, diente das be-

nachbarte Anwesen, zu dem u.a. ein Lagerhaus, eine Scheu-ne und ein Pferdestall gehörten, für die nächsten zwei Jahr-zehnte Firmenzwecken.7 Die offenbar nicht mehr benötigtenLiegenschaften wurden abgestoßen: das Haus SB 1/Mittel-straße 64 an die Firma Ernst & Lienekogel (1885) und dasHaus SB 2/Mittelstraße 66 an einen Kürschner (1886).8 Da-bei legt der Zeitpunkt der Verkäufe die Vermutung nahe,dass in der Familie seinerzeit bereits Überlegungen imGange waren, hinsichtlich ihrer „Unternehmensgruppe“neue Wege zu beschreiten.

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Haus Mittelstraße 78, um 1950.

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Mitte der 1880er Jahre, als auch in Lippe langsam das Indu-striezeitalter Fuß zu fassen begann, reifte nämlich bei denKrachts allmählich der Gedanke, eine eigene mechanischeLeinenweberei aufzubauen. Man begann, den Wandel vomManufakturwarenhandel hin zum produzierenden Unterneh-men zu vollziehen, wobei sich neben Christoph WilhelmKracht, der immerhin schon das 75. Lebensjahr vollendethatte, vor allem Paul Kracht (1863-1959), sein Sohn und de-signierter Nachfolger, als führender Kopf erwies. Da es da-mals in Deutschland noch keine adä-quaten Hersteller von Spezialmaschi-nen, wie mechanische Webstühle undSpulmaschinen, gab, reiste Paul Krachtim Jahre 1885 nach England und be-suchte dort entsprechende Firmen.Wenig später gaben Vater und Sohndie notwendigen Bestellungen auf,woraufhin im März 1888 der Firmen-chronik zufolge in Lemgo folgendeMaschinen eintrafen: „2 Kettspulma-schinen, 1 Kopsmaschine, 1 Zettelma-schine, 1 Schlichtmaschine und 24 me-chanische Webstühle.“ Ausweislich derüberlieferten Rechnungen wird deut-lich, dass es sich für damalige Verhält-nisse um gewaltige Investitionen han-delte!

Parallel musste natürlich ein Fabrikgebäude geschaffen wer-den, das die Produktion beherbergen konnte.9 Dazu hatteChristoph Wilhelm Kracht Anfang Juni 1887 dem LemgoerMagistrat mitgeteilt, dass er beabsichtige, auf dem „Landean der Lager Chaussee“ (Marienbauerschaft 118, heuteSteinweg 66) eine „Mechanische Leinenweberei“ zu errich-ten. Die notwendigen Zeichnungen lieferte der Bielefelder„Civil-Ingenieur“ Heinrich Landwehr (1835-1914), über dengelegentlich eines späteren Bauantrages aus dem Jahre

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Entwurf zum Neubau der mechanischen Leinenweberei für Kracht & Comp. Lemgo,

1887. Die Zeichnung stammt von dem Bielefelder Ingenieur Heinrich Landwehr.

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1892 mitgeteilt wird, dass er eine „Auto-rität ersten Ranges in seinem Specialfa-che“ sei und bereits 70 derartige Fabrik-anlagen entworfen habe. Wie beim Kaufder Maschinen wandte man sich auch beider Auswahl des Baumeisters der Fabrik-anlage an Spezialisten der Branche undschreckte nicht vor eventuell höheren Ko-sten zurück. Seitens des zur Prüfung not-wendigerweise hinzugezogenen Land-baumeisters erforderten die eingereich-ten Pläne nur geringfügige Nachbesse-rungen, so dass der Magistrat der „sehrdringlich gewünschten Ertheilung derBauerlaubniß“ binnen kurzem, und zwarschon mit Datum vom 20. Juni 1887,nachkommen konnte.

In den nächsten Monaten entstand vor den Toren der Stadtein stattlicher, eingeschossiger Gebäudekomplex mit auffal-lendem Sheddach, das – wie üblich in der Branche – ge-wählt worden war, um den großen überdachten Flächen ei-ne gleichmäßige und gute Belichtung zu verschaffen. DieAusführung der nach modernen Gesichtspunkten gestalte-ten Fabrikanlage war örtlichen Handwerksbetrieben über-tragen worden: Für die Maurerarbeiten zeichnete die FirmaRadau, für die Zimmerarbeiten die Firma Schnakenbeck ver-antwortlich. Im Frühjahr – offenbar passend zum Eintreffender Maschinen – waren alle Gebäude fertiggestellt und be-zugsbereit. Endlich konnte die eigene Produktion aufge-nommen werden! Dazu heißt es in der Firmenchronik kurzund knapp: „Im Mai 1888 wurde durch den Weber Hennig

das erste Stück Leinen in feierlicher Weise auf dem Kontorabgegeben.“

Auch die „Lippische Post“ interessierte sich für den Indu-strialisierungsschub, den die Stadt durch die Fertigstellungund die Inbetriebnahme des Kracht’schen Betriebes erlebte,und notierte am 17. Mai 1888: „Die neuerbaute mechani-sche Weberei der Herren Kracht & Co. ist seit 8 Tagen in Be-trieb und bereits am Schlusse vor[iger] Woche – am Freitagund Sonnabend – wurde das Lager aus dem bisherigen Ge-schäftshause in die neuen Lagerräume, sowie die Komptoir-Utensilien nach dem neuen Etablissement gebracht. Wie wirhören, sind bei der Einrichtung der Fabrik keine Kosten ge-scheut, sodaß die neuesten Konstruktionen überall zur An-

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Briefkopf der Firma Kracht & Co. Mechanische-Leinen u[nd] Gebild-Weberei, 1902.

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wendung gekommen sind. Der Webesaal ist für 60 Web-stühle eingerichtet, doch sind zurzeit nur erst einige im Be-triebe.“10

Innerhalb kurzer Zeit war es der altehrwürdigen Manufaktur-warenhandlung gelungen, sich in einen Industriebetrieb mo-derner Prägung zu verwandeln. Dies ermöglichten unter-nehmerischer Mut, den Christoph Wilhelm Kracht und seinSohn Paul Kracht einbrachten, sowie die notwendige Kapi-talkraft und Kreditwürdigkeit, über die die ursprünglicheKracht’sche Leinenhandlung augenscheinlich verfügte bzw.die ihr zugebilligt wurde. Mit Aufnahme der neuenGeschäftstätigkeit firmierte man unter dem Namen Mecha-nische Leinen- und Gebild-Weberei Kracht & Co. Stolz konn-te künftig darauf verwiesen werden, Lippes erste und – fürdie nächsten anderthalb Jahrzehnte – einzige mechanischeWeberei zu sein. Tatsächlich schlug erst nach der Jahrhun-dertwende (1904) die Oerlinghauser Leinenhandlung CarlWeber & Co. einen ähnlichen Weg ein und wagte denSprung vom Handels- zum Fabrikationsunternehmen.11

Paul Kracht – Firmenpatriarch und verwundbarer Privatmann

Den größten Anteil an der Gründung und weiteren Entwick-lung der mechanischen Weberei in den nächsten fünf Jahr-zehnten hatte zweifelsohne Paul Kracht, dessen Lebenswegim Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen wer-den soll.

Paul Kracht wurde am 5. Januar 1863 in Lemgo als einzigerSohn des bereits mehfach erwähnten Kaufmanns Christoph

Wilhelm Kracht und seiner Ehefrau Elisabeth Schröter (1832-1888), einer Lemgoer Kaufmannstochter, geboren; aus der1858 geschlossenen Ehe entstammte auch noch die TochterLuise, genannt Lilli (1859-1913), die sich 1880 mit JuliusScholtz (1849-1925), einem später in Salzwedel tätigen Pfar-rer und Superintendenten, verheiratete. Aus der EheScholtz/Kracht gingen drei Kinder hervor, die aber in derLemgoer Firma ebenso wie ihre Mutter keine Rolle spielensollten – nicht einmal als stille Teilhaber.12

Paul Kracht wurde nach dem Besuch der Bürgerschule undder gymnasialen Vorschule Ostern 1872 in die Sexta desLemgoer Gymnasiums aufgenommen, das er vor Ostern1883 nach Erreichen der Unterprima mit dem von ihm zuProtokoll gegebenen Wunsch, Kaufmann werden zu wollen,verließ.13 Bereits im Oktober 1882 war ihm „nach Prüfungseiner persönlichen Verhältnisse und seiner wissenschaftli-chen Befähigung“ die Berechtigung zum Dienst als Ein-jährig-Freiwilliger ausgehändigt worden; gesundheitsbe-dingt wurde er später jedoch gar nicht zum Militärdienstherangezogen. Um das nötige Rüstzeug für die anvisierteÜbernahme des väterlichen Unternehmens zu erwerben, be-suchte Paul Kracht die Webschule in Mülheim (heute Köln-Mülheim) sowie die Königlich Technische Hochschule Char-lottenburg und erhielt eine praktische Ausbildung bei derMechanischen Weberei W. Meckel in Ohligs (heute Solin-gen-Ohligs). Den eigentlichen kaufmännischen Schliff dürfteer jedoch durch seinen Vater in der eigenen Firma erhaltenhaben.

In die Planungen zur Errichtung der mechanischen Webereischeint Paul Kracht von Anfang eingebunden gewesen zu

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sein, ja, neben seinem bejahrten Vater ist er offenbar dietreibende Kraft gewesen. Erstaunlich ist, dass der Vater ihnnach England entsandte, um dort den Einkauf von mechani-schen Webstühlen zu tätigen, was dafür spricht, dass ergroßes Vertrauen in die inzwischen erworbenen Fachkennt-nisse seines Sohnes setzte. Nachdem Paul Kracht den Auf-bau der Weberei und die Umstrukturierung des Unterneh-mens mit begleitet hatte, arbeitete er für die neue Firmavorwiegend im Außendienst, wodurch er wertvolle Verbin-dungen zu Großkaufleuten, insbesondere in Bremen undKöln, knüpfte. Die Leitung der Firma lag indes weiterhin inden Händen Christoph Wilhelm Krachts, wenngleich er an-gesichts seines hohen Alters – er feierte am 15. März 1901seinen 90. Geburtstag14 – mehr und mehr seinem Sohn dasTagesgeschäft überlassen haben dürfte. Erst im Januar 1901wurde Paul Kracht als Mitinhaber („Gesellschafter“) in dieFirma aufgenommen.

Gut anderthalb Jahre zuvor, am 5. September 1899, hattesich Paul Kracht mit Martha Wippermann (1870-1938), derTochter des vermögenden Lemgoer Fabrikanten und Kom-merzienrats Friedrich Wippermann (1838-1903) und dessenFrau Sophie Lindemann (1846-1917), verheiratet. Mit derEheschließung wurden zwei Lemgoer Honoratioren-Familienzusammengeführt, die nicht nur über Generationen in der

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„4 alte Lemgoer Pennäler“. Blankenberg, [Paul] Kracht, Brodtmann, Petri. Fotograf: Otto Geiseler, Lemgo, um 1890.

Martha Wippermann

und ihreFreundin

Milla Wülker,August 1896.

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Stadt ansässig waren, sondern auch über einen gewichtigenwirtschaftlichen und politischen Einfluss in der Alten Hanse-stadt verfügten. Das junge Paar zog in das Kracht’scheStammhaus an der Mittelstraße; aus ihrer Ehe ging als einzi-ges Kind eine Tochter namens Käthe (1901-1989) hervor.

In den ersten Jahren wurde die Ehe der Krachts auf eineharte Probe gestellt, und zwar durch eine „Briefaffäre“, diebereits vor der Verheiratung ihren Anfang genommen hatte,sich nach und nach zu einem „Fall Kracht“ entwickelte undschließlich ganz Lemgo, aber auch Lippe aufs heftigste be-wegte. Ein großes Echo fand die Affäre in der Presse; sobrachte die „Lippische Post“ während des Hauptprozessesgegen die Eheleute Kracht (März/April 1905) seitenlangeBerichte aus dem Gerichtssaal zum Abdruck, durch die diewesentlichen mitstenographierten Aussagen der Beteiligten

an die Öffentlichkeit gelangten.15 Die Aufsehen erregendeAffäre kann im Folgenden allenfalls grob skizziert werden,nicht zuletzt wegen der großen Zahl an Akteuren, ihrer Be-ziehungen zueinander sowie der gewaltigen Materialfülle.Ohne Frage: Eine detailliertere Untersuchung des Falls wäreeine lohnende Aufgabenstellung, da dadurch auch wertvolleAufschlüsse über Lemgos Honoratioren gewonnen werdenkönnten. Was ist – kurz gefasst – damals geschehen?

Zwischen 1896 und 1899 und dann wieder in den Jahren1903 und 1904 wurden zahlreiche Lemgoer, insbesondereaus den „besseren Kreisen“, durch etwa 200 anonyme Brie-fe belästigt und verärgert. Während in der ersten Phasehauptsächlich Paul Kracht und seine spätere Frau MarthaWippermann sowie beider nächster Bekanntenkreis im Visierdes Schreibers waren, war in der zweiten Phase der Kreis

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Verlobungsanzeige von Martha Wippermann und Paul Kracht, April 1899.

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der Betroffenen deutlich größer. Auch die Thematik verän-derte sich: Stand in den frühen Briefen die Liebesbeziehung(zwischen den beiden Hauptpersonen) im Mittelpunkt, dreh-te es sich in den späteren vornehmlich darum, wer in Lemgogesellschaftlich die erste Rolle spielte. Im Verlauf der erstenBriefserie, mit der wohl vorrangig das Ziel verfolgt worden

war, die beiden späteren Eheleute zusammenzubringen –tatsächlich hörte sie mit deren Verlobung auf –, kam es(1898/99) zu gerichtlichen Auseinandersetzungen vor demSchöffengericht in Hohenhausen. In einem dieser Verfahrenwar Paul Kracht selbst der Urheberschaft der Briefe ange-klagt, wurde aber freigesprochen, u.a. weil die Schriftsach-verständigen gegenläufige Gutachten erstellten. MarthaWippermann war mehrfach als Zeugin vernommen wordenund hatte unter Eid geleugnet, irgendetwas über die Her-kunft der Briefe zu wissen.

Nach einigen Jahren der Ruhe wurde die Lemgoer Gesell-schaft dann ab Anfang 1903 von einer neuen Welle anony-mer Briefe überschüttet. Diese zeichneten sich einerseitsdurch größere Schärfe und Gemeinheit aus, andererseitsließen sie nun recht intime Kenntnisse des Schreibers überdie Verhältnisse vieler angesehener Familien erkennen. Wie-derum richtete sich der Verdacht gegen Paul Kracht, umsomehr, als nun dessen Familie ganz von der Zusendung ano-nymer Schreiben verschont blieb. Als man bei einer Haus-durchsuchung bei Krachts in einem Papierkorb Löschblättermit Abdrucken der charakteristischen (verstellten) Schriftzei-chen des anonymen Schreibers entdeckte, wurde PaulKracht in Untersuchungshaft genommen; zeitweise auch sei-ne Frau. Paul Kracht schien der Täter zu sein, der Fall wargelöst – allerdings tauchten alsbald neue Briefe auf, was zurFolge hatte, dass der vermeintliche Täter freigelassen wer-den musste. Da die Behörden aber der Ansicht waren, dassder Schuldige im Hause Kracht zu finden sei, konzentriertensich die Untersuchungen in der Folgezeit auf dessen sämtli-che Bewohner. Nachdem von allen Schriftproben genom-men worden waren, verdichteten sich die Hinweise zuse-

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Exlibris vonMarthaKracht, entworfen von WalterSteinecke, um 1925.

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hends auf eine Urheberschaft Martha Krachts. Aus diesemGrund wurde gegen sie Anklage wegen Meineides (in denVerfahren der Jahre 1898/99!) und Beleidigung durch dasSchreiben anonymer Briefe in mehreren Fällen erhoben; ihrEhemann wurde der Beihilfe bezichtigt.

Das Hauptverfahren vor einem Detmolder Schwurgerichtwurde Ende März 1905 eröffnet und nahm 17 Verhandlungs-tage in Anspruch. Unter großem Interesse der Öffentlichkeit– die Presse berichtete, wie bereits erwähnt, täglich undüberaus ausführlich – wurden fast 100 Zeugen vernommenund zahlreiche Gutachter gehört. Die handschriftlichen Be-funde, mehrere eigentümliche Rechtschreibfehler, derLöschblattfund im Hause Kracht sowie eine Reihe weitererVerdachtsgründe ließen die Geschworenen auf schuldig plä-dieren. Infolgedessen wurde Martha Kracht zu anderthalbJahren Zuchthaus verurteilt. Daran konnte auch ein von derVerteidigung durchgesetztes Wiederaufnahmeverfahrennichts ändern, nachdem im Mai/Juni 1905, also nach derVerkündung des Urteils und dem Haftantritt Martha Krachts,abermals sieben Schriftstücke eingetroffen waren. Da Gut-achten diese jedoch als Fälschungen enttarnt hatten, wurdedas Wiederaufnahmeverfahren im Sommer 1906 eingestellt.Die Verurteilte musste auch den Rest ihrer Strafe verbüßen.

Paul Kracht hingegen war abermals freigesprochen worden,und alle Beteiligten waren sich einig, dass er nicht einmal alsMitwisser in Betracht kommen könne. Denn: „Sein ganzer

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Zettel mit einer anonymen Nachricht, die im Hausbriefkastender Familie Kracht gefunden wurde, 1903. Die Nummerierungam Rand stammt von einem der Schriftsachverständigen.

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Charakter, sein Auftreten vor Gericht, sein Verhalten bei derHaussuchung [...] und zu guter Letzt der Inhalt der Briefesprachen gegen sein Schuld. [...] dieser vielbeschäftigteKaufmann hätte sich zu einer für ihn so sinnlosen Schreibereisicherlich nicht die Zeit genommen, auch war ihm schwerlichein so starkes Interesse an weiblichen und weibischen Din-gen, wie es in den Briefen hervortrat, zuzutrauen.“16 Für die

unschuldig erlittene Haft erstritt er im Juli 1907 eine Ent-schädigung in Höhe von 6.000 M.17 Auf Grund der Ereignis-se übersiedelte die Familie nach der Haftentlassung MarthaKrachts im Oktober 1908 nach Bielefeld, wo sie unweit desBahnhofes eine Wohnung in einem neu erbauten, gutbür-gerlichen Mehrparteienhaus (Herforder Straße 52) bezog.18

Nachdem sich die Wogen hinsichtlich der „Briefaffäre“ undihrer Folgen mit der Zeit etwas geglättet hatten, bereitetePaul Kracht in der ersten Hälfte des Jahres 1911 die Rück-kehr seiner Familie nach Lemgo vor. Dazu wurden Planun-gen für den Bau einer großzügigen Villa (heute Engelbert-Kämpfer-Straße 50)19 in Angriff genommen, deren Entwurfder renommierte Bielefelder Architekt Bernhard Kramer(1869-1953)20 fertigte. Dieser war in Lippe kein Unbekannter,da er bereits zahlreiche Bauten in Salzuflen, insbesonderefür die dortige Salinen- und Badeverwaltung, aber auch fürmehrere Privatleute entworfen hatte. Paul Kracht dürfte denbis heute für seine qualitativ hochwertigen Bauten sehr ge-schätzten Architekten während seines Aufenthalts in Biele-feld kennen gelernt haben. Mitte Oktober 1911 wurde derBauantrag gestellt, bald darauf wurde mit den Bauarbeitenbegonnen. Ende September 1912, und damit nach vier Jah-re währendem „Exil“, kehrte Paul Kracht mit seiner Familievon Bielefeld nach Lemgo zurück, um das neue, überausprächtige Heim mit parkartigem Garten in der Nähe der Be-ga zu beziehen.

Der Neubau der Villa führte der Öffentlichkeit vor Augen,dass hier ein zweifelsohne erfolgreicher Fabrikant und(früherer) Bürger, der sich nichts vorzuwerfen hatte, in seineVaterstadt zurückgekehrt war. Um die erlittene Schmach vor

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„Fall Kracht Lemgo 1905“. Ausgaben der

Lippischen Post mitBerichten über die

„Briefaffäre“. Aus dem Archivder Firma Hoff-

mann's Stärkefabri-ken. Stadtarchiv

Bad Salzuflen, H VI 566.

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sich selbst, vor allem aber vor der Öffentlichkeit als aus-gelöscht betrachten zu können, war eine Anerkennung, undzwar möglichst von höchster Stelle, vonnöten. Aus diesemGrund wandte sich Paul Kracht am 23. September 1916 anGeorg von Eppstein (1874-1942), den Geheimen Kabinetts-rat des lippischen Fürsten Leopold IV. (1871-1949), und leg-te ihm in aller Ausführlichkeit seinen Fall und sein Anliegendar: „Gewiß dürfte es Euer Hochwohlgeboren bekannt sein,daß gegen mich in den Jahren 1903 bis 1905 ein Prozeß ge-führt wurde, in welchem ich angeklagt war anonyme Briefegeschrieben zu haben. Der endgültige Urteilsspruch desSchwurgerichts lautete auf Freisprechung meiner Person.[...] Meine Frau wurde verurteilt, von Anfang an bis zu demheutigen Tage bin ich von ihrer Unschuld fest überzeugt ge-wesen, aber ich beuge mich und muß mich dem Urteils-

spruch beugen. Die Ehe habe ich mit meiner Frau aus obi-gem Grunde fortgesetzt.– Wir haben ein einziges Kind, eineTochter, welche jetzt 15 Jahre alt ist und bisher von unseremUnglück noch nichts gehört hat.– Mein ganzes Sinnen undTrachten geht nun dahin, Fürsorge zu treffen, daß, wennmein innigst geliebtes Kind über kurz oder lang, sei esdurch uns oder andere das Geschick der Eltern erfährt, das-selbe die Elternliebe und Achtung nicht verliert.– Das Kindhat im Laufe der Jahre oft durch unwillkürliche Erzählungenvon der früheren, so unendlich glücklichen Zeit unserer Fa-milien gehört, einer Zeit, in der mein Schwiegervater undVater – ersterer war Commerzienrat, letzterer Geheimer

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Kolorierte Zeichnung der Villa Kracht. Zeichnung aus dem Gäs-tebuch der Familie Kracht, um 1925.

Villa Kracht. Ansichtskarte, um 1920.

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Commerzienrat – noch lebten. [...] Würde durch einen gnä-digen Akt der Huld von höchster Stelle aus mir jetzt eineGenugtuung für all das entsetzliche, namenlose Unglück,welches ich unschuldig erleiden mußte, zuteil, so bestände

auch Hoffnung, daß meine Tochter in dem oben ausgespro-chenen Sinne bewahrt bliebe.“21

Verbunden mit dem Hinweis auf sein altes Unternehmenund der namentlichen Nennung mehrerer Fürsprecher undLeumundszeugen, zu denen er auch den Lemgoer Oberbür-germeister Dr. Ernst Höland (1854-1923) zählte, erbat PaulKracht schließlich eine Audienz beim Geheimen Kabinetts-rat, um Einzelheiten zur Erlangung des Titels zu besprechen.Bei dieser Zusammenkunft gab er dem Bittsteller den Rat,sich mit einem in etwa gleichlautenden Schreiben, wie er eserhalten habe, direkt an den Landesherrn zu wenden. Aller-dings sollte auch gleich die stolze Summe von 50.000 M zu-gunsten der in Gründung befindlichen Fürst-Leopold-Aka-demie beigefügt werden, was Paul Kracht mit Datum vom 2.Oktober 1916 sofort in die Tat umsetzte. Dabei versicherteer dem Fürsten: „Niemals würde ich diesen hochherzigenund großmütigen Akt des Durchlauchtigsten Fürsten ver-gessen und wenn der Durchlauchtigste Fürst mich braucht,so bin ich zur Stelle.“

Bereits wenige Tage später erhielt Paul Kracht die erlösendeNachricht, dass seine Spende auf fruchtbaren Boden gefal-len sei. Am 6. Oktober ließ er den Kabinettsrat wissen:„Noch niemals in meinem Leben hat mich ein so heißesDankesgefühl durchströmt, als von dem Augenblicke an, indem Euer Hochwohlgeboren mir durch den Fernsprecherdie Mitteilung machten, daß Seine Durchlaucht, unser in-nigst geliebter Fürst sich gnädig über mich geäußert habeund ich stolzer Hoffnung sein dürfte. Was wird meine Frauund mein Kind sagen?! Nein es ist zu viel des Glücks; ichwagte es nicht zu hoffen, denn mein Leben bildete bisher

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Portal der VillaKracht, um 1950.

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eine Reihe von Demütigungen und Enttäuschungen.“ Dieeigentliche Verleihung des Titels erfolgte dann am 30. Mai1917, dem nächsten Geburtstag des Fürsten; auch dieserAkt kostete den frischgebackenen Kommerzienrat noch ein-mal eine Gebühr in Höhe von 500 M. Der Wunsch PaulKrachts, dem Fürsten in einer Audienz persönlich danken zudürfen, wurde ihm nicht gewährt, woraufhin er ein ausführli-ches Dankschreiben auf den Weg brachte.22

Auch im folgenden Jahr spendete Paul Kracht noch einmal40.000 M, denn – so formulierte er in einem Brief vom 23.Mai 1918 – „meine Feinde werden einen Zusammenhangzwischen dieser [ersten] Stiftung und der Titelverleihungaufzubauen und durch meine, durch die Hochfürstliche Gna-de gehobene Stellung auf’s neue wieder zu untergrabenversuchen.“ Diese Spende kam ebenfalls der inzwischeneröffneten Fürst-Leopold-Akademie zugute.23 Auch dafür re-vanchierte sich der Landesherr und verlieh Paul Kracht mitDatum vom 6. Juli 1918 das Ehrenkreuz 4. Klasse (1. Abt.)des Fürstlich Lippischen Hausordens. Wenige Monate spätersorgte die Revolution dafür, dass Orden und Titel und derimmer wieder kritisierte „Handel“ damit in einem anderenLicht gesehen wurden. Paul Kracht hat seinen Kommerzien-rat-Titel bis an sein Lebensende mit großem Stolz getragen,nicht zuletzt weil er ihn als angemessene Entschädigung fürdas ihm und seiner Familie zugefügte Unrecht ansah. Fürimmer offen bleiben wird allerdings, inwieweit die EheleuteKracht tatsächlich in die „Briefaffäre“, der die Lemgoer Öf-

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Verleihung des Titels „Kommerzienrat“ an Paul Kracht. Urkunde des Fürsten Leopold IV. zur Lippe, 30. Mai 1917.

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fentlichkeit und die Justiz über Jahre beschäftigte, ver-wickelt waren.

Im März 1925 verheiratete sich Käthe Kracht, das einzigeKind aus der Ehe von Paul und Martha Kracht, mit dem Offi-zier Hermann Quentell (1892-1976), dem ältesten Sohn desKöniglich Preußischen Baurats Karl Quentell (1860-1943)und seiner Frau Elisabeth, geb. Oswald (1869-1950).24 Durchdie Geburt dreier Söhne und einer Tochter vergrößerte sichdie Familie nach und nach: Hans-Wilhelm (1926-1944), Rein-hard (Jg. 1932), Hermann (Jg. 1934) und Ilse Quentell (Jg.1936). Bereits im Jahre 1926 hatte Paul Kracht für die jungeFamilie unweit seines eigenen Anwesens ein großzügigesWohnhaus (heute Engelbert-Kaempfer-Straße 30) errichtenlassen; den Entwurf für den inzwischen ebenso wie dieKracht’sche Villa unter Denkmalschutz stehenden Bau liefer-

te der bekannte Lagenser Architekt Gustav Meßmann(1879-1944).25

Die heute seltsam anmutende Titel-Beschaffung sollte we-der den Blick für Paul Krachts Leistungen als Fabrikant nochfür sein Engagement in Vereinen, aber auch im politischenund sozialen Bereich verstellen. Ersteres kann bei der nochzu leistenden Betrachtung der positiven Entwicklung desUnternehmens angegangen werden, Letzteres hat im Fol-genden seinen Platz. Zeit seines Lebens war Paul KrachtMitglied zahlreicher Vereine, die er auch immer wieder fi-nanziell unterstützte. In Würdigungen anlässlich runder Ge-

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Hochzeit von Käthe Kracht und Hermann Quentell, 1925.

Wohnhaus Engelbert-Kaempfer-Straße 30, 1989.

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burtstage oder seines Todes wurde besonders sein Engage-ment bei den Lemgoer Schützen und im Turnverein von1863 hervorgehoben. 1920 gehörte er zu den Mitbegrün-dern des Vereins Alt Lemgo, der sich die Bewahrung des hi-storisch gewachsenen Stadtbildes und der dazugehörigenBauten auf die Fahnen geschrieben hatte; viele Jahre war erals Schatzmeister im Vorstand von Alt Lemgo tätig. Als zwei-ter Lemgoer, der ein Auto besaß, sich aber stets von einemChauffeur fahren ließ, erwarb er die Mitgliedschaft desADAC-Ortsvereins, dessen Vorsitz er sogar einige Jahre in-nehatte. Entspannung und Erholung fand er ferner auf derJagd im eigenen Revier bei Humfeld und gelegentlich beider Fischerei.26 Schließlich sei noch auf sein lebhaftes Inter-esse für lippische Münzen und Medaillen hingewiesen, dieer, wie ein von ihm erstelltes Verzeichnis zeigt, u.a. bei Auk-tionen ersteigerte.

Paul Kracht errang in der Lemgoer Freischießen-Gesell-schaft, wie sich der Schützenverein vor 1945 nannte, zwarnie die Königswürde, doch gehörte er seit den 1920er Jah-ren deren Verwaltungsrat an. Ab 1938 – zu diesem Zeit-punkt war die Gesellschaft als Verein des Deutschen Schüt-zenbundes im Sinne der nationalsozialistischen „Gleich-schaltung“ Teil des NS-Reichsbundes für Leibesübungen –war er Mitglied des neugebildeten Ältestenrats, eines Bera-tergremiums des „Vereinsführers“, der wohl dieselben Auf-gaben wie der Verwaltungsrat gehabt haben dürfte. Als En-de 1925 mit dem Bau des Schützenhauses begonnen wur-de, zeigte sich alsbald, dass der Gesellschaft die Kosten da-vonliefen. In dieser Situation sprang Paul Kracht zusammen

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Paul Kracht. Gemälde von Carl Kuiper, undatiert.

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mit zwei anderen Honoratioren ein und sicherte zwei Hypo-theken in Höhe von insgesamt 150.000 M durch eine ent-sprechende Garantieleistung.27

Aus diesem Grund, aber auch wegen seiner generellen„Opferfreudigkeit“ wurde ihm anlässlich des SchützenfestesAnfang Juli 1933 bei einem Festessen der höchste Ordender Gesellschaft überreicht. Sichtlich überrascht bedankteer sich mit einer kurzen Ansprache, die in der „LippischenPost“ wie folgt wiedergegeben ist: „Liebe Schützenbrüder!Sie werden es meinem Gesichte angesehen haben; ich binüberrascht. Das hatte ich nicht erwartet. Ich freue mich;aber diese Ehrung habe ich nicht verdient. Ich habe nur mei-ne Pflicht getan. Nichts wollte ich für mich erreichen. Ich ha-be mich bemüht, meine Pflicht zu erfüllen nach den Gedan-ken Adolf Hitlers und habe mir Mühe gegeben, in seinemSinne zu arbeiten. In unserem kleinen Kreise haben wir im-mer ‚Volksgemeinschaft’ getrieben. Wir sind immer treu ge-wesen unseren alten Farben und unseren guten deutschenUeberzeugungen.– Ich bin überrascht und kann Ihnen keinewohlgesetzte Rede halten; aber meine Worte kommen vonHerzen. Den Orden werde ich in Ehren tragen.“28

Wie die meisten Anwesenden begrüßte offenbar auch PaulKracht den gerade begründeten Hitler-Staat, wenngleich ersich bis dahin mit öffentlichen Äußerungen zu tagespoliti-schen Fragen oder zum Nationalsozialismus nicht hervorge-tan hatte.29 Im Kaiserreich scheint Paul Kracht keiner Parteiangehört zu haben – auf Mitgliederlisten des Landesaus-schusses für Lippe der Nationalliberalen Partei, der Heim-statt vieler Unternehmer, erscheint er nicht.30 In der Weima-rer Republik sympathisierte er mit einer der rechtsliberalen

oder konservativen Parteien; als deren Sprachrohr oder garKandidat für kommunalpolitische Ämter trat er nicht in Er-scheinung. Immerhin versah er zwischen 1921 und 1933 dasAmt des Ratssieglers und war somit ehrenamtlich tätigesMitglied des Magistrats.31 Diese Position dürfte er dank derFürsprache der bürgerlichen Gruppen („Vereinigter bürgerli-cher Wahlvorschlag“/„Bürgerliche Vereinigung“ und „Bür-gerliche Mitte“/„Liste Schlepper“), die bis Januar 1932 dieLemgoer Stadtverordnetenversammlung dominierten,32 er-langt haben, die Paul Kracht als einen der Ihren betrachte-ten, ohne dass erkennbar ist, welcher der vielen in Fragekommenden Parteien und Gruppierungen er konkret nahestand. Vielleicht war es gerade seine parteipolitische Unge-bundenheit, die ihn für das Ratssiegler-Amt prädestinierte.

Die Ad-hoc-Äußerung Paul Krachts bei der Verleihung desSchützenordens macht jedoch deutlich, wie schnell sichauch bisher unabhängig denkende Bürger den neuenMachthabern empfahlen. Darüber hinaus gehende Aktivitä-ten Paul Krachts für das NS-Regime sind nicht greifbar,wenngleich er für Adolf Hitler (1889-1945) und seine Bewe-gung schon früh Begeisterung aufgebracht hatte und zum1. Mai 1933 der NSDAP beitrat.33 Lange pflegte er freund-schaftlichen Umgang mit der lokalen NS-Größe WalterSteinecke (1888-1975), der immer wieder versuchte, seineKunstwerke an und über ihn zu verkaufen. Erst im Verlaufdes Zweiten Weltkrieges schwand Paul Krachts Vertrauen inden „Führer“.34

Abschließend soll noch an eine soziale Komponente im Rah-men des ehrenamtlichen Wirkens von Paul Kracht erinnertwerden: In der Nachfolge seines 1902 verstorbenen Vaters

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engagierte er sich im Vorstand der 1845 begründeten Kin-derbewahranstalt. Als Schriftführer und Rechnungsführerstellte er Haushaltspläne und Jahresabschlüsse auf undbemühte sich nach Kräften, die häufig prekäre Finanzlageder Anstalt in den Griff zu bekommen. Nicht selten stopfteer – wie schon sein Vater – kleinere Haushaltslöcherzunächst aus eigener Tasche oder besorgte Darlehen beider Kracht’schen Weberei. Auch sämtliche die Kinderbe-wahranstalt betreffenden Baumaßnahmen wurden von PaulKracht betreut, so dass es für diese einen herben Verlust be-deutete, als er wegen seines Wegzugs zum 1. Oktober 1908aus dem Vorstand ausschied. Im November 1919 trat er er-neut in den Vorstand ein und setzte sein verdienstvolles Wir-ken bis Mitte der 1940er Jahre fort. Auch in diesen zweiein-halb Jahrzehnten griff er der Anstalt mehrfach finanziell un-ter die Arme.35

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Betriebsfeier zum 85. Geburtstag von Paul Kracht, Januar 1948.

Einladung zum 80. Geburtstag von Paul Kracht mit Familie, Ver-wandten und Gästen (u.a. Bürgermeister Wilhelm Gräfer undEhefrau sowie Gauamtsleiter Walter Steinecke und Ehefrau).Zeichnung der Tischordnung im Gästebuch der Familie Kracht,5. Januar 1943.

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Ende der 1920er Jahre interessierte sich Paul Kracht zuneh-mend für die Geschichte seiner Familie. Dazu nahm er Kon-takt zum Verlag für Sippenforschung und Wappenkunde C.A. Starke in Görlitz, dem Herausgeber des „Deutschen Ge-schlechterbuches“, auf. Dieser war gerade dabei, einen Lip-pe-Band zu erstellen, für den Paul Kracht eine Stammfolgeeinreichte, bei deren Erarbeitung er sich der Unterstützungdes in genealogischen Fragen sehr versierten HohenhauserApothekers Felix Meyer (1875-1959) bediente.36 Kurz vordem Erscheinen des Bandes (1931) entbrannte ein heftigerStreit zwischen Paul Kracht und der Redaktion, weil Erstererdarauf bestand, dass die Überschrift „Kracht, aus Lemgo inLippe“ lauten solle. Verlag und Redaktion setzten aberschließlich „Kracht, aus Herford in Westfalen“ durch, wasmit dem „ältesten Vorkommen“ ebendort begründet wur-de. Widerwillig beugte sich Paul Kracht dieser Vorgabe,handelte aber als Kompromiss die Fußnote „seit 1708 zuLemgo in Lippe“ aus. Ganz offenbar war ihm die Präsentati-on der Verbindung Kracht/Lemgo besonders wichtig.37

Abgesehen davon, dass der Eintrag im „Deutschen Ge-schlechterbuch“ nun auch über Lippe hinaus dokumentierte,dass die Familie zu den ersten ihrer Heimatstadt zählte, ver-gegenwärtigte Paul Kracht zunehmend, dass er der letzteNamensträger seines Familienzweiges wie in seinem Unter-nehmen sein würde und somit ihm die Aufgabe zukäme, fürden Nachruhm der Familie zu sorgen. Vielleicht gewann vordiesem Hintergrund auch die Idee Kontur, ein Selbstbildnisanfertigen zu lassen. Denn etwa in dieser Zeit entstand einnahezu lebensgroßes Dreiviertelporträt des Kommerzien-rats, das der anerkannte Maler Carl Kuiper (1865-1935)schuf.36 Zum Erhalt des Namens Kracht, nicht zuletzt aus ge-

schäftlichem Interesse, war bereits bald nach der Geburtdes ersten Enkelsohnes Hans-Wilhelm Quentell beim Lippi-schen Landes-Präsidium erwirkt worden, dass dieser denNamen Quentell-Kracht führen dürfe.39

Im Mai 1938 verstarb Martha Kracht, die Ehefrau PaulKrachts, im 68. Lebensjahr; in einer ebenso prächtigen wiefeierlichen Prozession wurden ihre sterblichen Überrestevon der Engelbert-Kaempfer-Straße zur Familiengrabstätteauf dem Friedhof an der Rintelner Straße gebracht. PaulKracht nahm in der Familie bis zu seinem Tod die Stellungdes unangefochtenen Oberhaupts ein; sämtliche rundenGeburtstage, zu denen sich jedes Mal zahlreiche Würdenträ-ger des öffentlichen Lebens und Vereinsvorstände einfan-den, wurden sowohl in der Familie als auch in der Firmafestlich begangen. Die Presse nahm an diesen Jubiläen je-weils regen Anteil, handelte es sich doch um einen stadtbe-kannten Bürger Lemgos und vermutlich letzten lippischenKommerzienrat.

Bis Anfang der 1940er Jahre war Paul Kracht auch noch inder Firma tätig, erst dann zog er sich aus dem Tagesge-schäft zurück, wenngleich er allerdings sein Privatbüro be-hielt, das nicht angetastet wurde. Von Zeit zu Zeit statteteer der Firma einen Besuch ab, um sich über den Gang derGeschäfte berichten zu lassen.

Als „Lemgos ältester Mitbürger“ verstarb Paul Kracht im 97.Lebensjahr am 18. Oktober 1959 in dem von ihm erbautenHaus an der Engelbert-Kämpfer-Straße, das erst 1951 vonden Besatzungstruppen freigegeben worden war.40 Im Trau-erhaus trafen unzählige Kondolenzschreiben ein, durch die

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aus nah und fern die große Wertschätzung für den Verstor-benen zum Ausdruck gebracht wurde. So schrieb der frühe-re Landespräsident Heinrich Drake (1881-1970): „Der Ent-schlafene hat mir, das darf ich wohl sagen, seit langen Jahr-zehnten nahegestanden [...]. In den letzten Jahrzehnten die-ser neueren Zeit habe ich oft und gern Gelegenheit genom-men, mich mit dem alten Herrn über die Zeiten und ihre Er-scheinungen zu unterhalten, und das war mir immer ein an-

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Kondolenzschreiben des Lemgoer Bürgermeisters zum Tod vonPaul Kracht, 19. Oktober 1959.

Grabstätte der Familie Kracht auf dem Friedhof Rintelner Straße, 2010.

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genehmer Beiklang in meinem eigenen Leben, das sich sosehr mit meiner alten Vaterstadt Lemgo verbindet.“ Untergroßer Beteiligung wurde Kommerzienrat Paul Kracht aufder Familiengrabstätte beigesetzt – nicht nur ein bewegtesLeben, sondern auch eine Epoche hatte ihr Ende gefunden.

Entwicklung und Gedeihen der Firma – ein Überblick

Mitte der 1890er Jahre setzte sowohl weltwirtschaftlich alsauch für die deutsche Industrie ein starker Aufschwung ein,der mit geringen Unterbrechungen bis zum Ausbruch desErsten Weltkrieges (1914) anhielt. Vor allem durch die „neu-en“ Industrien der Elektrotechnik und der Chemie kam es zueinem rapiden Anstieg der Erwerbstätigen in Industrie, Han-del und Verkehr, die bei der Berufszählung des Jahres 190756,2% ausmachten; im Vergleich dazu waren zur gleichenZeit in der Landwirtschaft nur noch 28,6% der Erwerbstäti-gen beschäftigt. Damit gelang Deutschland das industrielle„Überholen“ Englands, wobei sich vor allem im Hinblick aufden Auf- bzw. Ausbau der Kriegsflotte politisches Welt-machtgebaren mit ökonomischen Interessenlagen verband.Grundsäulen dieses industriellen Fortschritts waren Wissen-schaft und Bildung, was sich an der ständig steigenden Zahlneuer Ausbildungsstätten, wie Schulen, Fachschulen, Fach-hochschulen oder Universitäten, zeigen lässt. Der wirtschaft-liche Aufstieg Deutschlands führte zu einer deutlichen undallgemeinen Verbreiterung des Wohlstands, wie sich an ei-ner Zunahme des Verbrauchs bestimmter Nahrungsgüter,wie Zucker, Kaffee, Fleisch oder Reis ablesen lässt. Außer-dem avancierte Deutschland seit Mitte der 1890er Jahrevon einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland.Verbessert hatte sich in den letzten zwei Jahrzehnten vor

dem Ersten Weltkrieg auch die Lage der Arbeiterschaft,doch obwohl die realen Einkommen stiegen, konnte dieseEntwicklung nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dasssich das Arbeiterleben noch vielfach am Rande der Dürftig-keit bewegte.

Vor diesem Hintergrund ist auch die positive Entwicklungder Mechanischen Leinen- und Gebild-Weberei Kracht &Co. seit den 1890er Jahren zu sehen, die bald über 100 Be-schäftigte zählte und zu einem für kleinstädtische Verhältnis-se recht bedeutenden Industriebetrieb und wichtigen Ar-

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Saal der Mechanischen Weberei, 1896.

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beitgeber wurde. Als solcher hatte die Firma bereits im Mai1889 die Mitgliedschaft des nun für ganz Lippe sprechen-den Lippischen Handels- und Gewerbe-Vereins in Detmolderworben, nachdem dieser sich entschlossen hatte, auchauswärtige Mitglieder aufzunehmen;41 aus dem Verein ging1904 die Handelskammer für das Fürstentum Lippe hervor.Die seit Gründung bis zum Ersten Weltkrieg regelmäßig unddanach nur noch sporadisch herausgegebenen Jahresbe-richte geben einen guten Überblick über das Auf und Abeinzelner Branchen der lippischen Wirtschaft und zuweilensogar Hinweise auf die Situation einzelner Firmen.

So hieß es im Jahresbericht für 1906 über die Leinenindu-strie: „Durch die in der ganzen Welt im Herbst 1905 auftre-tende und seitdem ununterbrochen anhaltende sehr lebhaf-te Nachfrage nach Leinenwaren war es den Spinnereienmöglich, die Notierungen höher und höher zu setzen, sodaßjedes Untergebot schlank abgelehnt werden konnte. DieWebereien mußten deshalb die Preise für alle Arten Leinenund Halbleinen mehrmals erhöhen [und] sind noch immermit Aufträgen überhäuft, und bei den kleinen Lägern ist esmanchmal recht schwierig, annehmbare Lieferfristen in Aus-sicht zu stellen.“42 Zuweilen finden sich auch Angaben überdie Lage auf dem Arbeitsmarkt: „Bis Mitte des Jahres [1909]waren Arbeitskräfte genug zu haben, doch machte sich imHerbst teilweise stark mangelndes Angebot an Arbeiterin-nen bemerkbar.“43 Häufig – so etwa für 1911 – wurde aufglobale Zusammenhänge verwiesen, die Auswirkungen aufdie lippischen Webereien und ihre Geschäftstätigkeit hat-ten: „Rosig ist die Lage also nicht, besonders, wo ange-sichts der politischen Verwicklungen im Orient und der nochimmer andauernden Unsicherheit des amerikanischen Textil-geschäftes mancherlei unberechenbare Faktoren die weite-re Entwicklung des Geschäfts beeinflussen können.“44

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„Arbeiter-innen

gesucht“. Anzeige aus

der Lippi-schen Post

vom 23.April 1910.

Warenlager der Mechanischen Weberei, 1896.

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Die gedeihliche Entwicklung des Kracht’schen Unterneh-mens lässt sich aber auch an den zahlreichen baulichen Er-weiterungen ablesen.45 Zu den 1887/88 erbauten Gebäudenan der „Lager Chaussee“ kamen bis zum Ausbruch des Er-sten Weltkrieges folgende hinzu: Lagerhaus und Schlosserei(1892), Kohlenschuppen (1894), „Anbau“ (1899), Hofmauer

(1901), „Anbau“ (1905), Wohnhaus und Esssaal (1906/07),Stallung (1907), Garage und Benzinlager (1911), Umbau derBüroräume (1912). Die Zeichnungen für die Erweiterungs-maßnahmen lieferten unterschiedliche lokale wie auswärtigeArchitekten, die Ausführung wurde zumeist Lemgoer Hand-werksbetrieben übertragen. Die Maschinen-Ausstattunghielt offenbar viele Jahre den Bedürfnissen stand. Erst ge-gen Ende des Krieges war die Anschaffung eines neues Kes-

Preisliste, um 1910.

Erinnerung andas hundertjähri-ge Bestehen derFirma Kracht &Co., Farblitho-grafie, 1910.

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sels notwendig, da der alte nach 31 Jahren so reparaturbe-dürftig war, dass ein Austausch unausweichlich war.

Schon Anfang Januar 1901, und damit erst gut ein Jahr vordem Tod Christoph Wilhelm Krachts, war eine Veränderungin den Rechtsverhältnissen des Unternehmens eingetreten.Seit dem Tod seines Bruders Gustav Kracht (1892) war C. W.Kracht der alleinige Inhaber und einzige Zeichnungsberech-tigte des Unternehmens gewesen, befand sich selbst aberkurz vor Vollendung seines neunten Lebensjahrzehnts. Sei-nem Sohn Paul hingegen, der schon viele Jahre in verant-wortungsvoller Weise die Entwicklung des Betriebes mitge-staltet hatte, war bislang nicht einmal Prokura erteilt wor-den. Dies musste nicht zuletzt wegen des fortgeschrittenenAlters des Vaters unbedingt geändert werden. Aus diesemGrund wurde am 5. Januar 1901 Paul Kracht neben seinemVater als alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter in dasHandelsregister eingetragen. Die gleiche Befugnis wurdeam selben Tag dem langjährigen Angestellten Gustav Ol-denbürger (1839-1918) erteilt, wodurch Christoph WilhelmKracht seinem Sohn, obwohl er bereits 38 Jahre alt war, eineArt väterlichen Berater zur Seite stellen wollte. Als nützlichund geradezu vorausahnend erwies sich diese Konstellationin den Jahren der „Briefaffäre“: Während dieser Zeit, undvor allem als Paul Kracht sich in Untersuchungshaft befand,leitete Gustav Oldenbürger den Betrieb allein!

Der damals über 60-jährige Gustav Oldenbürger, Sohn desAugustdorfer Pfarrers Elias Oldenbürger (1806-1866), hatteseine Karriere im Unternehmen als junger Mann im Manu-fakturwarengeschäft begonnen. Der Firmenchronik zufolgewar er häufiger Gast im Kracht’schen Wohnhaus an der Mit-

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Gustav Oldenbürger, um 1910.

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telstraße und avancierte zum „intime[n] Freund des Hau-ses“. Und weiter heißt es über ihn: „Oldenbürger war einaußerordentlich befähigter kluger Mann, der mit seltenerTreue und Gewissenhaftigkeit die Geschicke der Firma lenk-te und auch im Jahre 1887 an der Umwandlung der Hand-weberei in die in diesem Jahre gegründete Mech[anische]Weberei maßgeblich beteiligt war.“ Noch vor Ende des Er-sten Weltkrieges trat Gustav Oldenbürger krankheitsbe-dingt Anfang März 1918 aus der Firma aus und verstarb einhalbes Jahr später in Lemgo.

Der im August 1914 ausbrechende Weltkrieg brachte man-che Veränderungen mit sich: Einige männliche Beschäftigtenwurden eingezogen, Materialknappheit bestimmte den All-tag, Geschäftsbeziehungen gerieten ins Stocken, ein Teilder Kundschaft brach weg. Dafür kamen im Verlauf des Krie-ges staatliche und militärische Stellen als gute und zunächstdauerhafte Kunden hinzu. Dies führte sogar dazu, dassmehrfach Anträge an die Detmolder Regierungsbehördengestellt wurden, um die Arbeitszeit verlängern zu dürfen. Soheißt es in einem Schreiben vom 17. September 1917: „Wirarbeiten jetzt an 5 Wochentagen je 10 Stunden und bittenuns zu gestatten am sechsten Tage weitere 8 Stunden denBetrieb aufrecht erhalten zu dürfen, also wöchentlich imganzen 58 Stunden.– Diese verlängerte Arbeitszeit liegt, ab-gesehen von der schnellen Erledigung unserer sehr dringli-chen Heersaufträge (Drillichstoffe, Sandsackstoffe, Stroh-sackstoffe, Segelleinen, Handtücher u.s.w.) auch sehr im In-teresse unserer 85 Arbeiter, denen durch die Beschäftigungan allen Wochentagen ein in dieser schweren Zeit sehr will-kommener höherer Verdienst zufließen würde.“ Die Geneh-migung wurde umgehend erteilt.46

Auch im Zuge der Neuanschaffung des Kessels erfahren wiraus einem Schreiben der Firma vom 27. Juli 1918 an denLemgoer Magistrat, dass der „Betrieb als Kriegswichtiger-und Höchstleistungsbetrieb anerkannt [ist]“. Bald daraufheißt es: „Unser ganzer Betrieb ist mit eiligen Aufträgen fürHeer und Marine beschäftigt, besonders dringend werdenvon den militärischen Behörden die Gasschutz- und Ver-bandstoffe, welche wir in grossen Mengen zu liefern haben,angefordert, sodass eine Stockung in unserer Produktiondie militärischen Dispositionen empfindlich stören würde.“Aus diesem Grund wurden Kauf und Inbetriebnahme desKessels umgehend genehmigt – den Ausgang des Kriegeswenige Wochen später beeinflusste das beschleunigte Ver-fahren freilich nicht mehr.

Bereits Anfang März 1918 war nach dem Ausscheiden desverdienten Gesellschafters Gustav Oldenbürger die bis da-hin bestehende offene Handelsgesellschaft aufgelöst unddie Firma von Paul Kracht allein weitergeführt worden.Abermals wurde einem langjährigen Angestellten Prokuraerteilt: Dabei handelte es sich um Wilhelm Bockstiegel(1863-1925), der am 1. November 1892 als Reisender in dieFirma eingetreten war. In dieser Eigenschaft bereiste er fürdas Unternehmen sehr erfolgreich den gesamten norddeut-schen Raum, übernahm aber noch vor dem Ersten Weltkriegeine Aufgabe in der Firma selbst. Auch er wird in den Anna-len der Firma als „ein guter Freund des Hauses Kracht“ be-zeichnet, dessen „früher Tod allseitig sehr schmerzlich emp-funden [wurde].“

Zum 1. Juli 1922 wurde die Firma wieder in eine offene Han-delsgesellschaft umgewandelt. Die beiden Gesellschafter

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waren nun Paul Kracht und seine Tochter Käthe, die ebendie Volljährigkeit erreicht hatte. Zwar war jeder der Gesell-schafter zur Zeichnung und zur Vertretung der Gesellschaftallein befugt, doch waren Käthe Kracht in einigen FällenBeschränkungen auferlegt: Ohne die Zustimmung ihres Va-

ters durfte sie u.a. keine Immobilien an- und verkaufen, Hy-potheken und Darlehen auf Geschäftsgrundstücke bzw.Bankkredite aufnehmen oder Prokuristen und Handlungsbe-vollmächtigte anstellen oder entlassen. Wenngleich KätheKracht bis ins hohe Alter ein großes Interesse an der Firmaund deren Fortentwicklung hatte, hat sie selbst nie aktiv insGeschäftsgeschehen eingegriffen.

Parallel zur Aufnahme Käthe Krachts als Gesellschafterinwurde Gustav Löhr (1880-1938) Prokura erteilt. Dieser warzum 1. April 1898 als Lehrling in die Firma eingetreten undalsbald durch seine technische und rechnerische Begabungpositiv aufgefallen. Großen Anteil hatte er an der Entwick-lung der Kracht’schen „Niereißa“-Produkte, ferner erfand er

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Betttuch „Niereißa“. Werbung, um 1925.

Betttuch „Niereißa“. Werbung, um 1925.

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Blick in den Websaal. Fotograf: Fritz Ohle, Lemgo, um 1930.

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einen Rechenstab, der unter der Bezeichnung „Löhr’s Textil-stab“ patentiert wurde und in der Branche großen Anklangfand. Zwei Jahre nach der Eheschließung mit Käthe Krachtwurde im März 1927 Hermann Quentell, der nach einer ent-sprechenden Ausbildung, u.a. in einer Fachschule in Bram-sche, in das Kracht’sche Unternehmen eingetreten war,ebenfalls Prokura erteilt; im Dezember 1935 wurde er alsweiterer Gesellschafter aufgenommen.

Wirtschaftlich waren die Jahre nach dem Ersten Weltkriegzunächst beschwerlich, offenbar war die Umstellung von der

Kriegs- auf die Friedensproduktion mit allerlei Schwierigkei-ten verbunden; überdies hatte sich die Stellung des Arbeit-gebers gegenüber den Arbeitnehmern durch eine veränder-te Gesetzgebung ebenfalls verändert. Und so heißt es überdie ersten zehn Jahre der Weimarer Republik in der Firmen-chronik: „Dann, nach 1918, kam bald die Inflation mit ihrenunheimlichen Auswirkungen und erst [im] Oktober 1928konnte wieder normal nach Goldmark gerechnet werden. Eswar sehr schwierig, unsere Produktion unterzubringen, wirmachten durch Propaganda und Reisen große Anstrengun-gen und erzielten durch die Löhrsche Erfindung – der Nie-reißa-Weberei – einen guten Aufschwung.“ Erwähnt seinoch, dass die „Niereißa“-Produkte nur über ausgewählteund erstklassige Fachgeschäfte, möglichst nur in je einempro Stadt, vertrieben wurden.47

In eben diesen Zwischenkriegsjahren stechen neben einigenkleineren vor allem zwei größere Baumaßnahmen deutlichhervor: Die Errichtung zweier so genannter Arbeiterhäuser(1919/20), über die später näher berichtet werden soll, so-wie die gegen Ende der 1920er Jahre erfolgte erheblicheVergrößerung der Produktionsstätte. Dazu wurde im Herbst1927 mit der Errichtung einer säulenlosen Halle mit Shed-dach zur Aufstellung weiterer (neuer) Webstühle begonnen,die in der ersten Jahreshälfte 1928 in Betrieb genommenwurde. In der Erläuterung zur Baumaßnahme heißt es dazu:„Das Fabrikgebäude soll in der Breite von 33,26 m und inder Länge von 24,70 m erweitert werden.– Der neue Webe-saal soll ganz frei von jeglichen Stützen sein. Zur Unterstüt-zung der Dachkonstruktion sind sechs Gitterträger vorgese-hen. Diese tragen sich 24,- m frei und werden an ihren En-den durch U eiserne Säulen getragen. Die sechs eiserne[n]

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„Jubiläums-Liste“, 1930.

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Säulen, die in die Giebelwand zu stehen kommen, sollen inihren Querschnitten so bemessen sein, dass sie gleichzeitigauch noch einem späteren Erweiterungsbau dienen können.[...] Das neue Dach wird dem alten Dache angepasst.“ Of-fenbar wollte man bereits für künftige Erweiterungen gerü-stet sein und rechnete mit einer positiven Wirtschaftslage inden nächsten Jahren – ein Irrtum, wie sich bald herausstel-len sollte.

Die schwere Wirtschaftskrise, die im Oktober 1929 durchden Zusammenbruch der amerikanischen Börse ausgelöstworden war, traf alsbald auch Lippe mit voller Wucht: Fir-menzusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, marode Lan-desfinanzen sowie heftige politische Auseinandersetzungenzwischen links und rechts bestimmten über mehrere Jahreden Alltag. Gegen den allgemeinen Trend wurden beiKracht gerade in diesen Jahren größere Investitionengetätigt, wie z.B. der Neubau des großen Fabriksaals oderder Ankauf mehrerer moderner Webstühle, wobei das Zielverfolgt wurde, an bewährte herkömmliche Qualitätsstan-dards anzuknüpfen. Und so ist es nicht verwunderlich, dassin einer 1931 verfassten Monografie zur „Wirtschaftsgeo-graphie des Landes Lippe“ über das Kracht’sche Unterneh-men Folgendes zu lesen ist: „Noch in den letzten Jahren hatder Betrieb durch Ausstattung mit allermodernsten Maschi-nen eine wesentliche Erweiterung erfahren. Das Fabrika-tionsprogramm der Firma Kracht & Co. umfaßt, der altenTradition der lippischen Leinenweber treu bleibend, dieHerstellung von Qualitätsware.“48

Ausgelastet war die Weberei aber dennoch keinesfalls, dennauch sie hatte angesichts der Wirtschaftskrise unter einer

schlechten Auftragslage zu leiden; überdies gab es bran-chenspezifische Probleme, wie sich aus einer Stellungnahmeder Firma ablesen lässt, die in Zusammenhang mit der Be-teiligung an einer Ausschreibung für Leinen- und Wäschelie-ferungen an Heer und Marine Mitte Januar 1930 an die Lip-pische Landesregierung abgegeben wurde: „Die gesamteLeinen-Industrie hat einen ausserordentlich schweren Standin der heutigen Zeit, da das Leinen durch Baumwolle undKunstseide in hohem Masse verdrängt worden ist, beson-ders die kleinen und mittleren Webereien, zu denen auchwir gehören, stehen in erbittertem Wettbewerb mit denGrossunternehmungen […]. Wie der Ertrinkende sich an denStrohhalm klammert, so würden wir eine Erleichterung in

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120-jähriges Firmenjubiläum, 1930.

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unserer Produktionsmöglichkeit haben, wenn uns der obenerwähnte Lieferungsauftrag oder ein Teil desselben über-schrieben würde.“49

Im Zuge des Ausschreibungsverfahrens kam es sogar zu ei-ner persönlichen Unterredung zwischen Paul Kracht undLandespräsident Heinrich Drake, in der die Landesregierungüber den „Kampf um die Aufrechterhaltung [des] Betriebes“informiert wurde. Dabei hob der Unternehmer hervor, dassder Betrieb mithelfen könne, die Zahl der Wanderarbeiterdurch die Wiederinbetriebnahme jetzt stillstehender Web-stühle zu verringern. Eben dieses Ziel – die Reduzierung der

Wanderarbeit – lag Heinrich Drake und den meisten Partei-en ganz besonders am Herzen. Aus diesem Grund richtetedie Landesregierung ein direktes Schreiben an die Zentral-beschaffungsstelle in Berlin, in dem sie das Angebot der Fir-ma Kracht „wärmstens unterstützt[e].“ Ferner wies sie dar-auf hin, dass „es leider bislang nicht gelungen [sei], vomReiche Beiträge zur Sesshaftmachung der Wanderarbeiterzu erlangen,“ weshalb versucht werde, „durch Verschaffung

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„Trockenperle“. Werbung, um 1925.

Gesundheits-Windel „Wohltat“. Werbung, um 1925.

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von Aufträgen die hiesige Industrie zu beleben und dadurchArbeitsmöglichkeiten zu schaffen.“50 Ob die Firma den Zu-schlag für die Lieferung erhielt, kann aus den vorliegendenUnterlagen nicht ersehen werden.

Im März 1930 kam ein neuer Verkaufskatalog der Firma zumVersand, diesmal angesichts des 120-jährigen Bestehens als„Jubiläums-Liste“ bezeichnet. Neben einigen Informationenzur Familien- und Firmengeschichte – Christoph Wilhelmund Paul Kracht wurden im Porträt gezeigt – wurde stolz aufdie „modernsten Maschinen und Einrichtungen“ sowie dienunmehr 150 Leinen-Webstühle verwiesen, die vor allem imjüngst errichteten Websaal in einer „Größe von 1.000 qmfreitragend ohne jede Säule konstruiert“ Aufstellung gefun-den hatten. Zur Produktpalette gehörten u.a. Betttuchlei-nen, Handtuchstoffe, Wischtücher, Windelstoffe und Gardi-nenleinen in Reinleinen, Halbleinen und Baumwolle. Aus-führlich wurden in der „Jubiläums-Liste“ die „Krachtuko“-Fabrikate beworben, deren Vorzüge detailliert beschriebenwurden. Dabei handelte es sich um Haustuche wie Windeln,vor allem Betttuche, deren Mittelbahn eine „ganz allmähli-che Verdichtung der Kettfäden ohne jeden Absatz“ aufwies.Dieses Produkt war patentamtlich geschützt und wurde al-lein von der Kracht’schen Weberei hergestellt. Zur Verwen-dung kamen zu dieser Zeit Garne, die, soweit es sich umLeinengespinste handelte, zumeist von Bielefelder oder an-deren deutschen Spinnereien, aber auch aus französischen,belgischen und russischen bezogen wurden.51

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Schnell-Trockentuch „Trockenperle“, Werbung, um 1925.

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Die Ernennung Adolf Hitlers (1889-1945) zum Reichskanzleram 30. Januar 1933 und die damit verbundene Machtüber-nahme der Nationalsozialisten veränderte Deutschland undseine Menschen wie keine Phase in seiner Geschichte es jezuvor getan hatte. Die Macht der Partei und ihrer Organisa-tionen war allgegenwärtig, brutal wurden jede Oppositionund jede andere Meinung unterdrückt. Dass der Terror desRegimes nicht nur in der Reichshauptstadt und anderengrößeren Städten, sondern auch in der Provinz das Lebender Menschen beeinflusste, ist seit langem bekannt. Und soblieb auch Lippe, wo die Nationalsozialisten schon gut 14Tage vor der eigentlichen so genannten Machtergreifung ih-re anlässlich der Landtagswahl dazu hochstilisierte „Durch-bruchsschlacht“ geschlagen hatten, nicht vor den Auswir-kungen der NS-Herrschaft und ihren Folgen verschont.

Auch das Wirtschaftsleben blieb von der nationalsozialisti-schen Weltanschauung und Politik nicht unberührt. In unge-ahnter Schnelligkeit „eroberten“ die neuen Machthaber dieeinzelnen Betriebe und ihre Arbeiterschaft, umso schnellernatürlich, wenn, wie im Falle Kracht, der „Betriebsführer“dem Nationalsozialismus nicht ablehnend gegenüberstand.Und so reihte sich auch die Kracht’sche Weberei in die ver-ordneten Feierlichkeiten zum 1. Mai des Jahres 1933 ein,über die es in der „Lippischen Post“ am Folgetag hieß: „Um7 Uhr versammelten sich in allen Betrieben die Arbeitneh-mer- und Angestelltenschaft, um die Hakenkreuzflagge zuhissen, die dann über allen Werkstätten flatterte und aufkeinem Fabrikschornsteine fehlte. Der Obmann des Betrie-bes hielt bei der Hissung der Flagge eine kurze Anspracheund verlas dann die formulierte Ansprache der nationalso-zialistischen Betriebsorganisation.“ Im Anschluss daranWarenkontrolle, um 1925.

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„Krachtuco“-Windeln. Wer-bung, um 1925.

Zwirn-Handtuch„Herkula“. Werbung, um 1925.

„Krachtuko“-Betttuch. Werbeplakat,1930.

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nahm auch die Kracht’sche Belegschaft an den weiteren Fei-erlichkeiten in der Lemgoer Innenstadt teil, die in der Presseals „gewaltigste Kundgebung, die man jemals erlebt hat,“bezeichnet wurden.52

Auch in den folgenden Jahren wurden im engen Schulter-schluss mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der national-sozialistischen Einheitsgewerkschaft, zahlreiche Veranstal-tungen im Sinne der Partei durchgeführt. Dazu gehörten diepropagandistisch überhöhte Ausrufung der „Arbeits-schlacht“ am 21. März 1934, die jährlichen Mai-Feiern, dieÜbertragung von Rundfunkansprachen hoher NS-Funktionä-re, die Durchführung von Betriebsfeiern sowie die Teilnah-me an Aufmärschen jeglicher Art. Im Dienste der Verbrei-tung der nationalsozialistischen Ideologie standen auch diezahlreichen „Betriebsappelle“, in denen langjährige Mitar-beiter durch die Firmenleitung, in der Regel durch PaulKracht persönlich, und den Betriebsobmann Albrecht Schlö-mer (1894-1975) geehrt und mit kleinen Gaben beschenktwurden. Die „Belohnungen“, die seitens der DAF dem Be-trieb zuteil wurden, nehmen sich dagegen recht bescheidenaus: Er erhielt lediglich drei Anerkennungsurkunden imDAF-Leistungswettkampf (1939, 1941 und 1942).

Besonderes Aufsehen erregte die Live-Übertragung einereinstündigen musikalischen „Werkpause“ aus den Kracht’-schen Fabrikhallen durch den Reichssender Köln am 18. Fe-bruar 1937: „Im festlichen Gewande grüßte das Fabrikge-bäude, Hakenkreuzfahnen wehten im Winde, mühelos war

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Textil-Zeitung. Richtigstellung der Firma Kracht & Co. Sonderseite, 1933.

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der Weg zu dem Werkpausen-Gelände zu finden, denn einSpalier von Fahnen lenkte den Schritt. In dem lichten Ar-beitsraum, wo sonst Hunderte fleißiger Hände mit weben-der Kunst gestalten, herrschte festliches Treiben. Auf derTribüne hatte bereits die Lemgoer Stadtkapelle Platz ge-nommen, und ihr Meister musterte mit kritischen Blickenseine Schar. Und all die fleißigen Weberinnen hatten sich imVordergrunde aufgebaut und warteten auf Freund ‚Rudi’,der bei seinem Erscheinen stürmisch gefeiert wurde.“53

Tatsächlich erfreute sich Moderator Rudolf (Rudi) Rauher(1901-1958) seinerzeit größter Beliebtheit, die insbesondereauf die Anfang Februar 1936 begonnene Sendereihe „DieWerkpause“ zurückzuführen ist. Im Rahmen dieser Sendung

wurden bis Kriegsausbruch fast werktäglich zwischen 12.00und 13.00 Uhr aus den Werkshallen des Sendegebietes Mu-sik- und kurze Wortbeiträge übertragen. Dabei wurde dieBelegschaft jeweils aufgefordert, sich als Vortragender, Sän-ger oder sogar Tänzer aktiv mit einzubringen, wovon auchin Lemgo reger Gebrauch gemacht wurde. Der Moderatorwiederum stellte im Verlauf der Sendung die Stadt und dieFirma vor, wobei die Treue der Belegschaft zu ihrem Unter-nehmen ganz besonders betont wurde. Ohne Frage: DieSendung war eine unterhaltsame Abwechslung im Arbeits-alltag, dennoch darf nicht verkannt werden, dass sie einenTeil der nationalsozialistischen Propaganda darstellte.

Auch während der NS-Zeit wurden einige kleinere Baumaß-nahmen durchgeführt, die aber vor allem mit den Kampag-nen zur Verschönerung des Arbeitsplatzes in Verbindung zubringen sind. Zu nennen sind hier der Bau einer neuen Toi-lettenanlage (1934) sowie die Einrichtung von Bade- undDuschräumen (1937/38). Mehr der Optimierung der Produk-tionsabläufe dienten die Vergrößerung der Schlosserei(1936) und ein kleiner Erweiterungsbau (1939/40). Letztererwar übrigens teilweise unterkellert, um für die Belegschafteinen Luftschutzkeller zu schaffen. Der Betriebsraum an sichwar für die Aufstellung einer neuen Schlichtmaschine ge-dacht, die „ihrer Größe und ihrer Eigenart wegen“ andern-orts keinen Platz finden konnte. Im Hinblick auf diese Inve-stition wurde dem Stadtbauamt Lemgo gegenüber am 2.Mai 1939 betont: „[S]ie bildet aber eine Lebensfrage für un-seren Betrieb, besonders für die Stoffe [...], die wir für dieHeeresbeschaffungsämter herzustellen haben.“ Die Geneh-migung für die Anschaffung der neuen Maschine „deutscherErzeugung“ wurde übrigens nicht zuletzt dadurch erreicht,

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Firmenleitung und Belegschaft, 21. März 1934.

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dass auf diese Weise eine „1888 von England eingeführte“ersetzt werden konnte.54

In der während des Krieges zusammengestellten Firmen-chronik heißt es über die Zeit nach 1933 recht lapidar: „Seitder Machtergreifung Hitlers besserten sich die Produktions-und Absatzverhältnisse bis zu dem zweiten Weltkriege, dereine ganz andere Situation schaffte, indem die Reichsstellenfast die gesamten Erzeugnisse lenkte und für den zivilenSektor nur wenig übrig blieb.“ Zweifelsohne stellte sich diewirtschaftliche Lage der Weberei nach 1933 besser dar alsvor der „Machtergreifung“, doch darf dies nicht darüberhinwegtäuschen, dass die Firma zeitweise durchaus zukämpfen hatte. Dass dies auf die nationalsozialistische Wirt-schaftspolitik zurückzuführen ist, zeigt ein Blick in ein Proto-koll der Kracht’schen Stiftung vom 27. Mai 1937, in dem esheißt: „Durch einschneidende Verfügungen der Behörden,die die Bewirtschaftung der für die Weberei erforderlichenRohmaterialien vorzunehmen haben, mußte im Betriebe derFirma Kracht & Co. die Arbeitszeit auf 24 Stunden pro Wo-che verkürzt werden. Die Folge hiervon ist, daß eine AnzahlArbeitskameraden in schwere wirtschaftliche Not gerät.“Aus diesem Grund zahlte die firmeneigene Stiftung im Maiund Juli 1937 kleine Geldbeträge an besonders Betroffeneaus, eine Maßnahme, die auf Grund der Ursache nicht groß-artig publik gemacht wurde.

Spätestens mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges verän-derten sich die Verhältnisse grundlegend: Aufträge für denzivilen Sektor mussten zugunsten von solchen für den mi-litärischen zurückgestellt werden. Wie schon im Ersten Welt-krieg galt der Betrieb als „kriegswichtig“, weshalb die Pro-Programmzettel, 1937.

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duktion, nun aber im Wesentlichen für die Wehrmacht, in et-wa auf Vorkriegsniveau aufrecht erhalten wurde. Dies zeigenauch die Beschäftigtenzahlen: Anfang Oktober 1941 betrugdie Stärke derjenigen, die sich „im Lohnverhältnis“ befan-den, 106 Personen. Von diesen wurden in der betreffendenAufstellung lediglich zwei als „zur Wehrmacht“ abkomman-diert bezeichnet – angesichts der Tatsache, dass die Arbei-terschaft schon allein 90 Arbeiterinnen aufwies, ist dies nichtverwunderlich. Etwas anders sah es bei der Angestellten-schaft aus; hier waren immerhin bereits fünf von 16 Ange-

stellten eingezogen. In etwa diesem Rahmen konnte dieProduktion der Kracht’schen Weberei bis zur BesetzungLemgos durch amerikanische Truppen am 5. April 1945 fort-geführt werden.

„Mein Liebster ist ein Weber“ –die Kracht’sche Belegschaft

Die jahrzehntelange erfolgreiche Tätigkeit der Kracht’schenWeberei war in hohem Maße von der Arbeitsleistung einerzuverlässigen, qualifizierten und bezahlbaren Mitarbeiter-schaft abhängig. Ein abschließender Blick soll deshalb aufdie Zusammensetzung und Herkunft der Kracht’schen Be-

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Postkarte mit der Werbung für die Sendung, 1937.

Spielschar/Werkschar, 1938.

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legschaft geworfen werden, der mit einer Betrachtung dervon der Firmenleitung ergriffenen Maßnahmen im Rahmenbetrieblicher Sozialpolitik verbunden werden soll.

Zunächst, so kann der Firmenchronik entnommen werden,gestaltete sich die „Arbeiterfrage“, d.h. wie Arbeiter für dasneu gegründete Unternehmen überhaupt gefunden werdenkonnten, als sehr schwierig. Tatsächlich dürften Facharbei-ter, die zur Bedienung der zahlreichen Spezialmaschinen un-abdingbar waren, in und um Lemgo herum rar gewesensein, weshalb – vermutlich über Anzeigen in Fachzeitschrif-ten – entsprechende Kräfte angeworben werden mussten.Auf diese Weise kamen einige schlesische Familien nachLemgo, deren Namen in der Firmenchronik genannt wer-den: „[E]s waren Ehepaar Hennig, Jäckel, Walter, Knospeund der Webemeister Rusert. Später kamen Kneisel und Lin-decken.“ Möglicherweise konnten auch über die geschäftli-chen Verbindungen nach Bielefeld Fachkräfte gewonnenwerden.

Allerdings gelang es der neuen Fabrik, auch gebürtige Lem-goer als Arbeitskräfte einzustellen. Auf Grund ihrer fami-liären Bindung an ihre Heimatstadt erwiesen sich solche alsbesonders treue Mitarbeiter. Beispielhaft sei der Schlosser-meister Ernst Richard (1859-1944) genannt, der 1938 sein50-jähriges Arbeitsjubiläum begehen konnte: „Ernst Richardwurde am 18. November 1859 als Sohn des Schlossermei-sters Fritz Richard in Lemgo geboren. Nach dem Besuch derVolksschule in Lemgo trat Ernst Richard im Oktober 1873bei seinem Vater, der in der Sauerstraße in Lemgo eineSchlosserwerkstatt besaß, in die Lehre. Im Jahre 1877 hatteErnst Richard ausgelernt und arbeitete in den ersten Jahren

bei seinem Vater. Im Frühjahr 1882 ging dann der jungeSchlossergeselle auf die Wanderschaft. [...] Von Bremerha-ven, wo Richard zuletzt Büchsenmacher in der Depotbüch-senmacherei war, kam er im Jahre 1887 nach Lemgo zurück.Als dann im Jahre 1888 die Handweberei Kracht & Co. me-chanisiert wurde, trat Richard am 1. Februar 1888 als Schlos-sermeister und Maschinenführer in diese Firma ein. MeisterRichard hat dann den ganzen Aufbau der Firma Kracht &Co. als mechanische Leinenweberei miterlebt. Heute ist ernoch jeden Tag in der Schlosserei der Firma tätig.“55

Bei Aufnahme der Produktion dürfte die Firma etwa 50 Be-schäftigte gehabt haben, in den nächsten Jahren vergrößer-te sich die Belegschaft stetig bis auf knapp über 100.56 Alslangjähriger Durchschnittswert zur Bezifferung der Mitarbei-terzahl scheint eine Größenordnung von etwa 130 zutref-fend zu sein. Damit blieb die Kracht’sche Weberei, was ihrePersonalstärke anbetrifft, deutlich hinter der zweiten lippi-schen Weberei, Carl Weber & Co. in Oerlinghausen, zurück,die in Spitzenzeiten an mehreren Standorten zusammen et-wa 1.000 Beschäftigte zählte.57 Branchentypisch arbeitetenauch bei Kracht überwiegend Frauen, als Berufsbezeichnun-gen finden sich vornehmlich Weberin oder Spulerin. Die we-nigen Männer waren als Meister, Vorarbeiter, Handwerker(Schlosser) oder als Angestellte im Büro tätig. Der Reisendeund spätere Prokurist Wilhelm Bockstiegel ist ein Beispieldafür, dass die Firma schon vor der Jahrhundertwende ihreErzeugnisse mit Hilfe freier Handelsvertreter vertrieb. Diesebereisten vor allem Bayern, Württemberg, Ostfriesland,aber auch die Metropolen Berlin und Frankfurt am Main mitihren großen Kaufhäusern und sorgten für gedeihlichen Ab-satz.

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Wie sich die Belegschaft genau gliederte, ist der bereits er-wähnten Aufstellung vom 1. Oktober 1941 zu entnehmen,die trotz der Zeitumstände, repräsentativ erscheint, nicht zu-letzt, weil die eingezogenen Beschäftigten ebenfalls Berück-sichtigung fanden. Im „Lohnverhältnis“, also als Arbeiterund Arbeiterinnen, wurden 106 Personen geführt: 90 Frau-en, elf Männer, zwei „Beschädigte“, ein Lehrling sowie zwei„zur Wehrmacht“ eingezogene. Im „Angestelltenverhältnis“standen 16 Personen: neun kaufmännische bzw. technischeAngestellte, darunter zwei Frauen, zwei Lehrlinge sowie fünfeingezogene Angestellte. Insgesamt ergibt sich somit eine„Gefolgschaft“ von 122 Personen. Damals (möglicherweise)noch tätige Vertreter wurden in der Aufstellung allerdingsnicht erfasst.

Um den Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft zu för-dern, veranstaltete die Unternehmensleitung bereits vordem Ersten Weltkrieg zwei Betriebsfeste. Das erste fand imVerlauf des Jahres 1910 anlässlich des (vermeintlich) 100-jährigen Jubiläums der Firma statt; Einzelheiten sind nichtüberliefert. 1913 wurde dann mit einem großen Betriebsfestan das 25-jährige Bestehen der mechanischen Weberei erin-nert. Dazu hatte die Firmenleitung die Belegschaft am 27.September in das Gasthaus „Zu den 3 Linden“ in der Näheder Firma zu einem gemeinsamen Essen eingeladen. Dabeiließ Paul Kracht in einer Ansprache die Geschichte des Un-ternehmens Revue passieren. An deren Ende wurden vierBeschäftigte geehrt, die seit Produktionsbeginn in der Firmatätig waren. Sie erhielten „eine vom Fürstl[ichen] Hofmar-schallamt ausgestellte Urkunde und von Seiten der Firmaein ansehnliches Geldgeschenk.“ Zur Erinnerung an denFesttag bekam jeder Teilnehmer ein Foto der gesamten Be-

legschaft überreicht. Nachdem die Angestellten und Arbei-ter ihre Glückwünsche und ihren Dank überbracht hatten,„wechselten einige komische Vorträge und Theaterstückemiteinander ab, die alle aufs beste unterhielten.“ Einen wei-teren Höhepunkt der Feierlichkeiten stellte das Abbrennenzweier „bengalischer Feuer“ dar, wozu sich die Festgemein-de zum Fabrikhof begab. Den Abschluss fand die Ju-biläumsfeier dann wiederum im Lokal, „wo ein Tänzchen dieFestteilnehmer noch lange in der gemütlichsten Stimmungzusammenhielt.“58

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Firmenleitung und Belegschaft zum 25-jährigen Bestehen derMechanischen-Leinen- und Gebild-Weberei, 1913.

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Wie sich die Arbeiterschaft während ihrer betrieblichenTätigkeit zu verhalten hatte, welche Arbeitszeiten galten,welche Strafen bei Fehlverhalten drohten, regelten so ge-nannte Arbeitsordnungen, die durch eine Gewerbeord-nungsnovelle seit 1892 für Firmen mit 20 und mehr (regel-mäßig) Beschäftigten obligatorisch waren. Die standardisier-ten Texte weisen von Firma zu Firma nur geringe Unter-schiede auf; eine von der Kracht’schen Firmenleitung erlas-sene Arbeitsordnung konnte bedauerlicherweise nicht er-mittelt werden, es muss sie aber definitiv gegeben haben.Dienten solche Arbeitsordnungen einerseits zur Disziplinie-rung der Belegschaft, so darf nicht übersehen werden, dasssie andererseits auch den Zweck erfüllen sollten, deren Ge-fährdung zu verhindern. Gerade dort, wo Motoren, Maschi-nen und gefährliche Werkstoffe zum Einsatz kamen, warendie häufig ungelernten Beschäftigten vielfältigen, gelegent-lich sogar tödlichen Gefahren ausgesetzt.59

Diesen Gefahren begegneten die Unternehmen häufig da-mit, dass sie freiwillig Unfallverhütungsmaßnahmen ergrif-fen, denn schließlich lag es auch in ihrem Interesse, sich einegesunde Belegschaft zu erhalten, insbesondere natürlichgesunde Fachkräfte. So ließ z.B. die Oerlinghauser WebereiWeber & Co. im Jahre 1905 ihre Webstühle mit einer selbstkonstruierten Schutzvorrichtung gegen das Herausfliegender Schützen ausstatten, die seitens der Gewerbeaufsichtauch anderen Webereien zur Anbringung empfohlenwurde.60 Man darf annehmen, dass diese Schutzvorrichtungüber kurz oder lang auch an den Kracht’schen Webstühleninstalliert wurde. Kontrolliert wurden die Unternehmen übri-gens seit Ende des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Einhal-tung der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Beleg-

schaft durch die Gewerbeaufsicht, die alljährlich einen Be-richt über die von ihr stichpunktartig „revidierten“ Betriebeverfasste. Erst ab 1908 verfügte Lippe über einen eigenenGewerbeaufsichtsbeamten, zuvor wurden diesbezüglicheAufgaben von preußischen Gewerberäten ausgeführt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts initiierten zahlreiche Un-ternehmen Maßnahmen im Rahmen betrieblicher Sozialpoli-tik, die zeitgenössisch als „Wohlfahrtseinrichtungen“ be-zeichnet wurden. Abhängig von der Größe und Finanzkraftdes jeweiligen Betriebes errichteten auch lippische FirmenWerkswohnungen, gründeten Kranken- und Pensionskassen,schufen Fonds zur Belohnung einzelner Beschäftigter, unter-stützten werkseigene Vereine zur Gestaltung der Freizeitoder organisierten Ausflüge und Betriebsfeste. Zuweilen be-stand die „Wohltat“ des Fabrikherrn in der Gewährung vonUrlaubstagen oder der Bereitstellung von spezieller Arbeits-und Schutzkleidung. Die von Unternehmerseite finanziertenMaßnahmen wurden von der Belegschaft überaus dankbarangenommen, wenngleich sie nur selten aus purer Men-schenfreundlichkeit entwickelt worden waren, sondern inder Absicht, die Belegschaft an das Unternehmen zu bindenund so eine Stammarbeiterschaft aufzubauen. Vielfach ge-lang es sogar, die Arbeiterschaft auf diesem Wege der Sozi-aldemokratie und den Gewerkschaften zu entfremden, wes-halb sich aus diesen Reihen auch die stärksten Gegner anden „Wohlfahrtseinrichtungen“ aller Art rekrutierten.61

Eine Belegschaftsstärke der Kracht’schen Weberei vondurchschnittlich 130 Arbeitern und Angestellten lässt keinallzu umfangreiches Angebot an Maßnahmen betrieblicherSozialpolitik erwarten; tatsächlich hat es vor dem Ersten

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Weltkrieg nur einige wenige gegeben: So stiftete ChristophWilhelm Kracht anlässlich seines 90. Geburtstages am 14.März 1901 ein Kapital von 2.000 M, „deren Zinsen am 15.März jeden Jahres an solche Arbeiter der Fabrik verteiltwerden soll[t]en, die durch Krankheit in Notlage gekommensind“.62 Hinzugezählt werden müssen ferner die bereits er-wähnten Geldgeschenke an die langjährig Beschäftigten an-lässlich des Weberei-Jubiläums (1913) sowie das von der Fir-ma ausgerichtete Betriebsfest.63 Schließlich kann nicht aus-geschlossen werden, dass die wenigen Angestellten sowiedie überschaubare Anzahl höherer Angestellter mit Gratifi-kationen, Urlaubstagen und anderen Geschenken belohntwurden. Arbeiter und Arbeiterinnen sind wohl nur bei be-sonderen Arbeits- oder Firmenjubiläen beschenkt worden.

Während des Ersten Weltkrieges dürften alle Anstrengun-gen im Rahmen betrieblicher Sozialpolitik geruht haben.Erst im Jahre 1919 wird der Faden wieder aufgenommen:Ende des Jahres wurden dem Magistrat Pläne zum Bau ei-nes Doppel-Wohnhauses mit einem jeweils rückseitig ange-bauten Stall zur Genehmigung vorgelegt. Bereits im Som-mer des folgenden Jahres konnten die auch als „Arbeiter-wohnhäuser“ bezeichneten Bauten (Steinweg 72/74) bezo-gen werden.64 Anhand von Adressbüchern lässt sich aller-dings nachweisen, dass die Häuser, die links vom eigentli-chen Firmenkomplex entstanden, ebenso wie das Wohn-haus von 1906/07 in der Regel von den technischen Ange-stellten und ihren Familien bewohnt wurden.65 Dies hattenatürlich den Zweck, die für das reibungslose Funktionierender Produktion notwendigen Kräfte stets verfügbar zu ha-ben. Ein Blick auf andere deutsche (auch lippische) Unter-nehmen zeigt, dass mit dem Bau eine zeittypische Maßnah-

me ergriffen wurde, die der eklatanten Wohnungsnot nachdem Ersten Weltkrieg bekämpfen helfen sollte. Erinnert seiauch an das Siedlungsprojekt der Moritz-Kabaker-Stiftung,durch die im Lemgoer Pahnsiek nahezu zeitgleich zumKracht’schen Bauvorhaben sechs Doppelhäuser errichtetwurden.66

Während der NS-Zeit verstärkten viele Unternehmen ihresozialen Aufwendungen. Abermals sollte versucht werden,die Arbeiterschaft fest an den Betrieb zu binden. Partei,DAF – insbesondere das Amt für Schönheit der Arbeit – und

Mittagspause auf dem Fabrik-Gelände. Arbeiterinnen der FirmaKracht & Co., um 1930.

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Entwurfszeichnung des „Arbeiterwohn-

hauses“, 1919.

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„Betriebsführer“ zogen dabei an einem Strang, um dieSchaffung einer „Werksfamilie“ Wirklichkeit werden zu las-sen. Bei Kracht lassen sich in diesen Jahren folgende Maß-nahmen festmachen: der Aufbau einer Lebensversicherungfür die männlichen (!) Beschäftigten mit je 3.000 RM, aus-zahlbar im 65. Lebensjahr oder bei seinem Tod an die Er-ben, eine zusätzliche Altersversicherung für die über (!) 65Jahre alten „Gefolgschaftsmitglieder“, der schon erwähnteAusbau der sanitären Anlagen, die Einrichtung von Turnkur-sen sowie die Gründung einer „Betriebsfrauengruppe“, de-ren Bekleidung von der Firma gestellt wurde. Auffällig, aberzeittypisch ist die geringe Zahl an Maßnahmen für die weib-lichen Beschäftigten, obwohl diese doch den größten Teilder Belegschaft ausmachten.

Die bedeutendste und allen Mitarbeitern gleichermaßen zu-gute kommende Maßnahme war allerdings die Kracht’scheStiftung. Dazu hatte die Firma am 1. Mai 1935 zugunsten ih-rer Belegschaft 10.000 RM gestiftet, die von einem im dar-auffolgenden Dezember gegründeten Verein verwaltet wer-den sollten. Zweck des Vereins war es, bei Unglücksfällen,Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Notfällen dieKracht’schen Mitarbeiter oder deren Angehörige, und zwarin barem Gelde, zu unterstützen. Bei der Festsetzung derUnterstützungen durch den Vorstand sollten das bisherigeEinkommen, die Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie sei-ne Verdienste um das Unternehmen Berücksichtigung fin-den. Der Stiftungsbetrag wurde von der Firma im Rahmeneines Darlehens mit 4% verzinst, so dass nach einem Jahr253,68 RM zur Verteilung anstanden. Davon wurden aller-dings nur fünfmal 25 RM zugunsten langjähriger Mitarbeite-rinnen ausgeschüttet. Auch in den folgenden Jahren erhiel-

ten zahlreiche Mitarbeiter oder „Veteranen“ kleinere Geld-beträge zwischen 4 und 100 RM aus den Zinsüberschüssenausgezahlt. In der „Vertrauensratsitzung“ vom 8. Mai 1945wurde sogar beschlossen, 1.230 RM an 61 Beschäftigte zuverteilen. Eine besondere Funktion kam der Stiftung bei derLinderung der durch Kurzarbeit in Not geratenen Beschäf-tigten im Verlauf des Jahres 1937 zu. Doch auch bei ande-ren Notlagen dürfte die Stiftung segensreich gewirkt haben,z.B. wenn die Witwe eines langjährig Beschäftigten eine Bei-hilfe zu den Kosten der Bestattung ihres Mannes erhielt.67

Zum festen Bestandteil innerbetrieblicher Festkulturwährend der NS-Zeit gehörten die aufwändig inszeniertenMitarbeiterehrungen bei Arbeitsjubiläen. Zwischen 1933und 1945 konnten insgesamt 19 Männer und Frauen ihr 25-,40- oder gar 50-jähriges Jubiläums bei der Weberei Krachtbegehen. Das Bemühen um den Aufbau einer Stammarbei-terschaft, wie sie im Interesse eines jeden Unternehmerslag, war bei Kracht offensichtlich erfolgreich. Es spricht aberfür ein generell gutes Arbeitsklima, das sich auch in späte-ren Jahren daran ablesen lässt, dass die meisten Beschäftig-ten auf eine überaus lange Dauer ihrer Betriebszugehörig-keit zurückblicken konnten. In der NS-Zeit wurde dies als„Liebe zum Führer (des Betriebes)“ interpretiert, entspre-chend gestalteten sich die bereits erwähnten Betriebsfeiern:Dem Jubilar wurde der Arbeitsplatz geschmückt, Geschen-ke der Firmenleitung, der DAF und der Kollegen überge-ben; es wurden Ansprachen gehalten, bei goldenen Ju-biläen kam zuweilen sogar der Bürgermeister hinzu, umdem Arbeitsveteranen eine Urkunde auszuhändigen. ZurAusgestaltung der Feierstunde trug jeweils der werkeigeneFrauenchor bei, zu dessen Repertoire selbstverständlich das

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Lied „Mein Liebster ist ein Weber“, ein Volkslied aus demfrühen 19. Jahrhundert, gehörte. Der für den Jubilar zwei-felsohne bedeutsame Tag wurde im Foto festgehalten, inder Regel berichtete die „Lippische Post“ recht ausführlich.

Eine Gesamtkonzeption zur Umsetzung der Maßnahmen imRahmen betrieblicher Sozialpolitik wurde bei Kracht nichtentwickelt, und zwar weder in der Zeit vor dem Ersten Welt-krieg noch in den Jahren bis 1945. Etwas anderes wäre beieiner Firma dieser Größenordnung auch verwunderlich ge-

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Mittagspause am Bega-Ufer. Arbeiterinnen der Firma Kracht &Co., um 1930. Nach der Famlienüberlieferung der Leihgeberindes Fotos begegneten die Frauen, die bei Kracht beschäftigtwaren, am Begaufer den Arbeitern einer Firma, die sich auf deranderen Seite des Flusses befand. Deshalb hätten die Frauendie Fabrikkleidung abgelegt.

Kracht'sche Stiftung e. V.: Auszahlung von Beiträgen an Arbei-terinnen zum 1. Mai 1936.

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wesen. Dennoch fanden zahlreiche Betriebsfeiern (anlässlichrunder Geburtstage der Firma oder Paul Krachts), Jubilareh-rungen oder die Verteilung von Geldgeschenken statt. Die-se führten ganz offensichtlich dazu, dass die Beschäftigtenvor dem Hintergrund allgemein als positiv beurteilter Ar-

beitsbedingungen dem Unternehmen die Treue hielten. DieRomantik des oft und viel gesungenen „Weberliedes“ dürf-te sich im Alltag des Industriebetriebes jedoch nur selteneingestellt haben.

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Jubilarehrung: Goldenes Arbeitsjubiläum von

Heinrich Schafmeister. Rechts neben dem Jubilar

Bürgermeister Wilhelm Gräfer,1939.

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Ostern war ich in der Firma und sah einen Elendszug mitGefangenen den Steinweg sich bewegen. Auf einem Prit-schenwagen zog man wohl Tote mit sich, bewacht durch„Volkssturm“-Angehörige, die selbst kaum noch laufenkonnten. Die Gefangenen brachen einfach zur Seite auf dasGelände unserer Firma aus und brachten Gras und unreifeFrüchte an sich.

Mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen endetedann jegliche Tätigkeit in der Firma, schon bedingt durchdie absolute Ausgangssperre. Man errichtete noch mit Pap-peln von den Wällen verschiedene Panzersperren.

Mein Vater war Hauptmann im „Volkssturm“. Im Luftschutz-keller der Firma wurden einige Kisten mit uralten dänischenGewehren zur „Verteidigung“ der Stadt eingelagert. Orga-nisierte Kampfhandlungen gab es praktisch nicht mehr. Mei-nem Vater gelang es mit Hilfe des Müllers, eine vorbereiteteSprengladung an der Langenbrücker Brücke schadlos zumachen.

Es existierten im Westen der Stadt verschiedene Lager mitZwangsarbeitern, die in der ansässigen Industrie eingesetztwaren. Die meisten waren Polen und Russen, die in den Ta-gen nach der Kapitulation unkontrolliert plündernd umher-streiften, so auch in unserer Firma. Wir hatten zwar einenTeil unserer Warenbestände vorsorglich im Lindenhaus, in

Reinhard QuentellDie Situation der Firma Kracht & Co. nach 1945. Ein Erinnerungsbericht

Preisliste, 1948.

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den Räumlichkeiten der Lippischen Heil- und Pflegeanstalt,und im Kindergarten bei „Tante Alma“, der früheren Klein-kinderschule, ausgelagert, aber den Rest nahmen die ehe-maligen Zwangsarbeiter mit, die sich zum Teil sogar in derFirma „einquartierten“. Schließlich gelang es meinem Vatermit Hilfe der amerikanischen Militärpolizei, mit rigiden Mit-teln die Firmengebäude zu räumen zu lassen.

Auch unsere Kohlenbestände, die wir dringend zum Betriebder Dampfmaschine etc. benötigten, wanderten in die Bol-lerwagen unserer Mitbewohner. Es gab längere Zeit über-haupt keine Elektrizität in den Firmengebäuden.

Wie lange die Firma stillstand, weiß ich im Einzelnen nichtmehr, jedenfalls müssen es einige Monate gewesen sein.Ende 1945 gelang es uns, bei der in Minden befindlichenMilitärregierung eine Produktions-Lizenz zu erlangen. Wirstellten Baumwollrohgewebe für die Besatzungsmacht her.Die notwendigen Rohstoffe wurden uns zugeteilt und ka-men aus Bremen. Die Fahrten nach Minden fanden im gelie-henen Opel P 4 der Firma Wippermann statt, da unserePKW's von der Wehrmacht beschlagnahmt worden waren.

Inzwischen mussten wir auch unser Wohnhaus räumen, dasvon der mittlerweile in Lemgo residierenden englischen Be-satzung benutzt wurde. Wenig später ereilte dieses Schick-sal auch die Villa meines Großvaters Paul Kracht, der sich inein Haus der Firma am Steinweg zurückzog.

Die Firma hatte eine langjährige treue Kundschaft, die ver-suchte, bei uns wieder Ware zu beziehen. Allerdings konn-ten wir dies nur in sehr begrenzten Umfang erfüllen. Der

Umsatz auf dem zivilen Sektor bestand fast ausschließlich inKompensationsgeschäften. Die ersten Angestellten und Ar-beiter kamen aus der Gefangenschaft wieder zurück, auchmeldeten sich viele Flüchtlinge als Weber, vornehmlich ausSchlesien.

Mit der Währungsreform kehrten geordnete Verhältnisseein. Wir konnten unsere Kundschaft wieder mit den bekann-

Käthe und Hermann Quentell am Tag ihrer silbernen Hochzeitmit ihren Kindern Hermann, Ilse und Reinhard, 1950.

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ten Artikeln beliefern, wie Geschirrtüchern, Handtüchern,Windeln und vor allen Dingen Betttüchern. Der Außen-dienst, bestehend aus freien Handelsvertretern, bereistewieder das gesamte Bundesgebiet. Es begann eine Epochemit großem Umsatz und guter Konjunktur, die sich über diegesamten 1950er Jahre erstreckte.

Anfang der 1960er wurden umfangreiche Modernisierungs-maßnahmen durchgeführt. Wir schafften neue Jacquard-webstühle zur Produktion von Frottierhandtüchern an. In ei-ner späteren Rationalisierungswelle wurden zwölf vollauto-matische Webautomaten von der Firma Dornier angekauft,die im zweischichtigen Turnus produzierten. Damit konntenwir auch unser Spezialprodukt „Niereißa“-Betttuch herstel-len.

Diese patentierte Ausführung gestattete es, eine allmähli-che Verdichtung in beiden Fadensystemen, der Kette unddem Schuss, zu gewährleisten. Mit diesem Produkt warenwir überall in den großen Bettenfachgeschäften vertreten.Auf den schmalen Webstühlen wurden Geschirrtücher undHandtücher mit Schutzeinwebung hergestellt, vornehmlichfür die Staatsbäder und große Industriebetriebe.

Der Abschluss meiner schulischen und meine beruflicheAusbildung fiel in die Nachkriegsjahre. Meine schulischeAusbildung am Lemgoer Gymnasium habe ich in der Ober-sekunda beendet, um auf Wunsch meines Vaters in die tex-tile Ausbildung zu gehen. Ich besuchte eine kaufmännischeBerufsschule in Bielefeld und volontierte im TextilkaufhausOpitz am Jahnplatz. Ein Jahre arbeitete ich bei der Ravens-berger Spinnerei in Bielefeld und in der Weberei Schilde-

Betttuch „Niereißa“.Werbung aus den

1950er Jahren.

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Ansicht der Firmengebäude. Fotograf: Karl Ernst Ohle, Lemgo, um 1950.

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Werbung für verschiedene Artikelaus den 1950er und 1960er Jahren.

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sche. Außerdem besuchte ich dort die Fortbildungsschulefür Textilindustrie in der Detmolder Straße. Später war ichein Jahre als Volontär bei der Firma F.A. Kümpers in Rheinetätig. Im Anschluss besuchte ich 1 1/2 Jahre lang die Staatli-che Textilschule in Reutlingen. Im Jahr 1954 trat ich als An-gestellter in die Firma ein. Später erhielt ich die Prokura undwurde schließlich Teilhaber.

Um dem Druck auf dem Textilmarkt zu entgehen, versuchteich mit Erfolg, mich an öffentlichen Ausschreibungen zu be-

teiligen, beispielsweise der Stadt Hamburg, der DeutschenSchlafwagengesellschaft und der Bundeswehr. Mitte der1960er Jahre wurde mir jedoch klar, dass die Produktionska-pazität des Unternehmens nicht ausreichte, eine auf dieDauer hinreichende Gewinnschwelle zu erreichen. Zudemwurde der Importdruck immer drückender. Ich versuchte,dem durch Import von billigen Rohgeweben auszuweichen,die wir anschließend veredelten (konfektionierten). Damitverlagerten wir unsere Tätigkeit immer mehr von der ei-gentlichen Produktion („vom Garn zum Betttuch“) zum Im-port.

Im Jahr 1966 wurde schließlich die Weberei (auch auf Emp-fehlung verschiedener Textilberatungsfirmen) nach knapp80 Jahren eingestellt. Es gelang mir, einen Großteil des Ma-schinenparks zu verkaufen. Damit stand ich mit 35 Jahren,so glaubte ich, vor dem Ende meines beruflichen Lebens inder Textilindustrie. Zuerst versuchte ich, eine Anstellung beiverwandten großen Unternehmen zu finden, aber ein Le-ben in Abhängigkeit passte wohl nicht zu mir.

Da der Kundenkontakt durch den bestehenden Außen-dienst (Handelsvertreter) noch bestand, reifte die Idee, dasgesamte Angebotspalette der Firma durch Zukauf weiterzu-führen, und zwar bei gleich hohem Qualitätsanspruch. In be-scheidenem Rahmen richtete ich mich in den restlichen Räu-men der Firma mit einem Lager und Versand ein und botpraktisch unseren Kunden die gleiche hochwertige Kollekti-on der Krachts an. Ich erkannte recht bald, dass die eigent-liche Kunst nicht im Verkauf, sondern im Einkauf lag. Es be-gann eine intensive Reisetätigkeit zu meinen neuen Liefe-ranten, die ich in der damaligen DDR, in Polen, der damali-

Blick in die Produktionshalle nach der Aufgabe der industriellenFertigung, 1966.

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gen Tschechoslowakei sowie in Brasilien und in der Türkeifand, also praktisch in den Billiglohnländern. Dem Unterneh-men kam zu Gute, dass wir durch den zeitigen Entschlussein Vorreiter waren und uns von den Strukturen herkömm-lichen konservativen Unternehmerdenkens getrennt hatten.Natürlich erinnere ich mich daran, dass es im Kreise unsererKonkurrenten durchaus auch kritische Stimmen gab.

Der überwiegende Teil der Produktionshallen wurde vermie-tet, ein willkommener Beitrag zur Finanzierung unseres neu-en Handels. Wir errichteten eine weitere Verkaufshalle aufdem Gelände am Steinweg. Das Objekt Steinweg 66 wurdein unser Privatvermögen überführt. Die drei ehemaligen Be-triebshäuser wurden zu Gunsten von Parkplätzen abgeris-sen.

Anfang der 1960er Jahre heiratete ich Traudel Kober undzog in die Villa meines Großvaters an der Kämpferstraße.Leider war der ursprünglich angrenzende Park mit Pferde-stall, Gartenhäusern und Kutscherhaus schon früher verkauftund der Erlös noch für die Modernisierung der Firma ver-wendet worden.

Im Jahre 1978 stellte sich heraus, dass das Handelsunter-nehmen im Steinweg aus allen Nähten platzte. Wir suchtenein neues Domizil und fanden es auf einem Baugrundstückin Lieme, das vom Landesverband zuerst gepachtet undspäter gekauft wurde. Eine erste Halle mit 3.500 qm wurdeerrichtet, die später um zwei weitere Anbauten vergrößertwurde. Durch die günstige Entwicklung der Firma standenwir finanziell auf „eigenen Beinen“. Es gelang, wichtige eu-ropäische Handelsagenturen und auch überseeische Nieder-

lassungen zu gründen. Damit stellte sich das Unternehmeninternational auf.

Unsere Bestrebungen, sich mit der Produktpalette auf Rein-leinen- und Halbleinen-Artikel zu spezialisieren, füllte eineMarktnische aus. Dies machte uns auch bei großen Abneh-mern interessant.

Im Jahr 2000 schied mein Bruder Hermann Quentell als Mit-inhaber aus dem Unternehmen aus. An seiner Stelle rücktemein Sohn Cornelius nach, der heute das Unternehmenmehrheitlich führt. Die Gesellschaft wird in Form einerGmbH & Co. KG geführt und befindet sich in der neuntenGeneration in Familienbesitz.

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Jürgen Scheffler

Die Kaufmannsfamilie Kracht und der Leinenhandel in Lippeim 18. und 19. Jahrhundert

1 Reinhard Vogelsang: Bielefeld, Herford und Lemgo. Drei Landstädte imStaat der frühen Neuzeit. In: 88. Jahresbericht des Historischen Vereinsfür die Grafschaft Ravensberg 88 (2002/2003), S. 51-78.

2 Nicolas Rügge: Im Dienst von Stadt und Staat. Der Rat der Stadt Her-ford und die preußische Zentralverwaltung im 18. Jahrhundert. Göttin-gen 2000 (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsge-schichte 15), S. 35.

3 Deutsches Geschlechterbuch. Genealogisches Handbuch bürgerlicherFamilien 72 (Lippisches Geschlechterbuch 1). Görlitz 1931, S. 101-116.

4 Friedrich-Wilhelm Bauks: Die evangelischen Pfarrer in Westfalen vonder Reformationszeit bis 1945. Bielefeld 1980 (Beiträge zur Westfäli-schen Kirchengeschichte 4), S. 273. Zu Krachts Wirken an der Münster-kirche: Otto Wöhrmann: Aus dem Leben und aus der Zeit des Vatersdes Herforder Katechismus, des Seniors und Magisters Matthias Rothe,Predigers an der Münsterkirche zu Herford 1674-1727, eines Vertretersdes Pietismus in der schweren Zeit nach dem 30jährigen Kriege. Her-ford 1919. Rothe war Verfasser der Leichenpredigt auf Bernhard Kracht(Lemgo 1687).

5 Zu den Bürgeraufnahmen: Hans Hoppe (Bearb.): Bürgerbuch der StadtLemgo von 1506 bis 1886. Detmold 1981 (Lippische Geschichtsquellen9).

6 Firmenarchiv Kracht & Co. Bei Zitaten aus den Quellen, die dem Fir-menarchiv entstammen, wird im Folgenden auf Einzelnachweise ver-zichtet.

7 Stadtarchiv Lemgo, A 3229. Vgl. Hans Hoppe: Stadtgeschichtliche Ein-leitung. In: Otto Gaul/Ulf-Dietrich Korn: Stadt Lemgo. Münster 1983(Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 49/I), S. 102.

8 Das Hökeramtsbuch, in dem der letzte Eintrag aus dem Jahre 1851 von

Wilhelm Kracht als Rentmeister stammt, befindet sich im Firmenarchiv.Die Dechen waren die Vorsteher der in Lemgo vorhandenen Zünfte.

9 Hans Hoppe (Bearb.): Matrikel des Lemgoer Kaufmannsamtes 1386-1838. Lemgo 1987 (Lippische Geschichtsquellen 15).

10 Als Überblick: Johannes Arndt: Das Fürstentum Lippe im Zeitalter derFranzösischen Revolution 1770-1820. Münster/New York 1992, S. 314-344. Zur Stellung Lippes im Kontext der deutschen Leinenregionen:Elisabeth Harder-Gersdorff: Leinen-Regionen im Vorfeld und im Verlaufder Industrialisierung (1780-1914). In: Hans Pohl (Hrsg.): Gewerbe- undIndustrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert.Stuttgart 1986 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.Beiheft 78), S. 202- 253.

11 Heinz Schierenberg: Blüte und Verfall der lippischen Leinenindustrie. In:Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde X (1914),S. 84.

12 Axel Flügel: Kaufleute und Manufakturen in Bielefeld. Sozialer Wandelund wirtschaftliche Entwicklung im proto-industriellen Leinengewerbevon 1680 bis 1850. Bielefeld 1993 (Studien zur Regionalgeschichte 6).Allgemein zum Leinengewerbe in Ravensberg: Wolfgang Mager: Pro-toindustrialisierung und agrarisch-heimgewerbliche Verflechtung in Ra-vensberg während der Frühen Neuzeit. Studien zu einer Gesellschafts-formation im Übergang. In: Geschichte und Gesellschaft 8 (1982), S. 435-474.

13 Vgl. für die Leinenhändler in Bramsche: Hans-Werner Niemann: Leinen-handel im Osnabrücker Land. Die Bramscher Kaufmannsfamilie Sanders1780 -1850. Bramsche 2004 (Bramscher Schriften 5/Kulturregion Osna-brück 21).

14 Lippische Intelligenzblätter vom 14.2., 27.6. und 26.12.1767.15 Über den Leinenhandel in Lemgo in der Frühen Neuzeit und die Be-

deutung der Familie Kracht als Leinenhändler gibt es bislang nur denArtikel von Fr[iedrich] Sauerländer: Das Lemgoer Leinengeschäft seitdem Dreißigjährigen Kriege. In: Lippischer Dorfkalender 1954, S. 50-51. Für den Hinweis danke ich Hermann Hentschel.

Anmerkungen

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16 Stadtarchiv Lemgo, A 3141. In den „Verbindungs Regeln“ wird übri-gens explizit erwähnt, dass die Mitglieder der Gesellschaft „nicht alleinmännlichen, sondern auch weiblichen Geschlechts“ sein konnten. ZurEntwicklung von Handel und Gewerbe in Lemgo im 18. Jahrhundertvgl. Hoppe, wie Anm. 7, sowie Karl Meier-Lemgo: Geschichte der StadtLemgo. Lemgo 1981 (Lippische Städte und Dörfer 1), S. 208-218.

17 Die Bemühungen zur „Wiederaufrichtung“ des Leinenhandels in derStadt Lemgo in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind in derneueren Literatur zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der GrafschaftLippe im 18. Jahrhundert bislang nicht berücksichtigt worden. NeithardBulst/Jochen Hoock: Bevölkerungsentwicklung und Aktivitätsstrukturals statistisches und polizeiliches Problem in der Grafschaft Lippe in derzweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Neithard Bulst/JochenHoock/Wolfgang Kaiser (Hrsg.): Die Grafschaft Lippe im 18. Jahrhun-dert. Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft eines deutschen Klein-staates. Bielefeld 1993 (Sonderveröffentlichungen des Naturwissen-schaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe 40), S. 178-184.

18 Stadtarchiv Lemgo, A 3142. Christian Friedrich Helwings Beteiligungam Leinenhandel ist bislang in der Literatur unbeachtet geblieben, soauch bei Anne-Margarete Brenker: Die Meyersche Hofbuchhandlung inder zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bielefeld 1996, S. 37-40.

19 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe (imFolgenden zitiert als Landesarchiv Detmold), L 92 N, Nr. 1097.

20 Regina Fritsch: Von Mühlen und Menschen. Führer durch das Mühlen-museum am Schloß Brake mit der Geschichte der Mühlen und ihrer Be-wohner. Lemgo 1997, S. 56.

21 Landesarchiv Detmold, L 92 N, Nr. 143 und 144.22 Zum Besuch Lemgoer Kaufleute auf den Braunschweiger Messen: Mar-

kus A. Denzel: Die Braunschweiger Messen als regionaler und überre-gionaler Markt im norddeutschen Raum in der zweiten Hälfte des 18.und im beginnenden 19. Jahrhundert. In: Vierteljahrschrift für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte 85 (1998), S. 70-71.

23 Dazu gehört ein als Druck herausgegebenes Gedicht: Unsere vereh-rungswürdigen Eltern Johann Heinrich Wilhelm und Sophie FriederikeThospann bei Ihrer silbernen Hochzeitsfeier am 29ten October 1809geweiht von Ihren dankbaren Kindern. Lemgo 1809.

24 Ein ähnlicher Schattenriss aus der Zeit um 1800 ist von der LemgoerPfarrerfamilie Pothmann überliefert. Vgl. Meier-Lemgo, wie Anm. 16, S.251.

25 Der Hinweis auf das Jahr 1810 als Gründungsdatum der „Feinen Lei-nen- und Handlungs-Compagnie“ findet sich in dem Artikel von Rich-ard Tiemann: Ein seltenes Jubiläum heimischer Industrie. 120 JahreKracht’sches Leinen. In: Lippische Post vom 28.3.1930. Ähnlich auchKarl Meier: Lemgo zu Urgroßvaters Zeiten. In: WestfälischeZeitung/Neue Lippische Rundschau vom 1.2.1949.

26 Lippische Intelligenzblätter vom 19.10.1816.27 Hans Hoppe (Bearb.): Lemgo Anno dazumal. Bilder und Erinnerungen

aus alter Zeit. Lemgo 1975, S. 107.28 Stephanie Reekers: Beiträge zur statistischen Darstellung der gewerbli-

chen Wirtschaft Westfalens um 1800. Teil 9: Lippe und Lippstadt. In:Westfälische Forschungen 29 (1978/79), S. 65.

29 Landesarchiv Detmold, L 92 N, Nr. 41.30 Heinz Schierenberg: Die Wiedererrichtung der Lemgoer Legge und der

zu Oerlinghausen. In: Mitteilungen aus der lippischen Geschichte undLandeskunde XI (1921), S. 1-62.

31 Hoppe, wie Anm. 7, S. 104-105.32 Max Staercke: Menschen vom lippischen Boden. Lebensbilder. Det-

mold 1936, S. 260-261. 33 Lippische Intelligenzblätter vom 17.5.1817 und vom 28.2.1818.34 Ähnlich wie im Ravensberger Feinleinengewerbe dominierte auch in

Lippe im 18. und frühen 19. Jahrhundert das sog. Kaufsystem, d.h. dieWeber selbst besorgten den Einkauf des Garns und produzierten aufeigene Rechnung. Vgl. Axel Flügel: Kaufmännische Orientierung undMechanisierung. Das Feinleinengewerbe in Ravensberg 1680-1890. In:Karl Ditt/Sidney Pollard (Hrsg.): Von der Heimarbeit in die Fabrik. Indu-strialisierung und Arbeiterschaft in Leinen- und BaumwollregionenWesteuropas während des 18. und 19. Jahrhunderts. Paderborn 1992(Forschungen zur Regionalgeschichte 5), S. 107-108.

35 Zur Biografie von Ferdinand Clemen und zur Erweckungsbewegung inLemgo vgl. Jürgen Scheffler: Kirche und Kleinstadt. Lemgo im 19.Jahrhundert. In: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 86 (1992),S. 47-77.

36 Burkhard Meier: „Unserer lieben Tante Prinzeß“. Aus der Geschichte

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evangelischer Kindergärten in Lemgo. Lemgo 2005 (Beiträge zur Ge-schichte der Diakonie in Lippe 6), S. 21-24.

37 Lemgoer Gemeindeblatt vom 26. 4.1885.38 Ebd. vom 4.1.1891.39 Lippische Post vom 15.3.1902.

Stefan Wiesekopsieker

Die Industralisierung der Leinenherstellung in Lemgo. Die mechanische Leinen- und Gebild-Weberei Kracht & Co.(1887-1945)

1 Innerhalb dieses Beitrages werden Zitate und wichtige Literaturverwei-se in den Anmerkungen nachgewiesen; stammen die Angaben aus Un-terlagen des Firmenarchivs, sind diese nicht gesondert gekennzeichnet.Gelegentlich wird auf eine „Firmenchronik“ verwiesen. Dabei handeltes sich um ein mehrseitiges Typoskript, das die wichtigsten Daten undFakten der Firmengeschichte enthält und zwischen 1941 und 1943 ent-standen ist. Größere Teile sind Anfang der 1940er Jahre in ein von derDeutschen Arbeitsfront (DAF) herausgegebenes, 200-seitiges „Ge-meinschaftsbuch“ übertragen worden (S. 51-54); die Seiten 1 bis 50sind herausgerissen worden - sie enthielten wahrscheinlich Fotos vonVeranstaltungen aus der NS-Zeit -, die Seiten 55 bis 200 sind unbe-schriftet geblieben.

2 Das Standardwerk zur Industrialisierung Lippes bleibt vorerst PeterSteinbach: Der Eintritt Lippes in das Industriezeitalter. Sozialstrukturund Industrialisierung des Fürstentums Lippe im 19. Jahrhundert. Lem-go 1976 (Lippische Studien 3).

3 Zur Industrialisierung Lemgos vgl. Karl Meier-Lemgo: Geschichte derStadt Lemgo. Lemgo 1952 (Sonderveröffentlichung[en] des Naturwis-senschaftlichen Vereins für das Land Lippe [9]), S. 234-235, sowie Mar-tin Luchterhandt: Modernisierung einer Kleinstadt. Lemgo 1850 bis1900. Bielefeld 1990 (Forum Lemgo 6).

4 Ein guter Überblick über die Bielefelder Leinenindustrie und deren ein-zelnen Firmen findet sich in Eduard Schoneweg (Bearb.): Bielefeld. DasBuch der Stadt. Bielefeld 1926, S. 389-418.

5 Lippische Post vom 8.10.1913. 6 Handelsgerichtlich blieben die Firmen Gebr. Kracht und Kracht & Co.

weiterhin als getrennte Firmen bestehen; spätestens nach dem Aus-scheiden seines jüngeren Bruders und Teilhabers (1892) war ChristophWilhelm Kracht jedoch Alleininhaber beider Unternehmen, wie ein Hin-weis aus dem Jahre 1897 belegt (vgl. Landesarchiv Detmold, D 23 Lem-go, Nr. 1232, fol. 3).

7 Stadtarchiv Lemgo, Waldeyer'sche Häuserkartei, SB 8 und 9. 8 Landesarchiv Detmold, D 23 Lemgo, Nr. 202 (Verkauf an Ernst & Liene-

kogel), und Nr. 255 (Verkauf an Frevert).9 Hier und im Folgenden: Stadt Lemgo, Bauamt, Bauakte Steinweg 66,

Bd. 1.10 Lippische Post vom 17.5.1888. Mit dem „bisherigen Geschäftshause“

ist das Haus SB 9 (Mittelstraße 80) gemeint.11 Zur wesentlich größeren Firma Carl Weber & Co. und ihre auf feine und

feinste Leinenwaren hin orientierte Produktpalette vgl. Paul Wendig-gensen: Beiträge zur Wirtschaftsgeographie des Landes Lippe. Hanno-ver 1931, S. 176-178, sowie Fritz Soll sen. und jun. (Bearb.): Die Dorf-schaft Oerlinghausen. Aufzeichnungen von August Reuter. 2. Aufl. Leo-poldshöhe 1995, S. 257-283.

12 Vgl. zu der in Lemgo weit verzweigten Familie Kracht hier und im Fol-genden Deutsches Geschlechterbuch. Genealogisches Handbuch bür-gerlicher Familien 72 (Lippisches Geschlechterbuch 1). Görlitz 1931, S.101-116.

13 Archiv des Engelbert-Kaempfer-Gymnasiums, Lemgo, GymnasialalbumI, Nr. 213.

14 Lippische Post vom 15.3.1901.15 Bei dem Berichterstatter der „Lippischen Post“ könnte es sich um den

späteren Landespräsidenten und SPD-Politiker Heinrich Drake gehan-delt haben. Zum „Fall Kracht“ sei außerdem verwiesen auf die umfang-reichen Prozessakten (Landesarchiv Detmold, D 21 B, Nr. 482-489 und554) sowie auf Georg Meyer: Der Fall Kracht. In: Archiv für gerichtlicheSchriftuntersuchungen und verwandte Gebiete 1 (1908), Nr. 2, S. 121-195.

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16 Meyer, wie Anm. 15, S. 132.17 Landesarchiv Detmold, L 80.18, Nr. 883.18 Schriftliche Auskunft des Stadtarchivs Bielefeld vom 19.1.2010.19 Stadt Lemgo, Bauamt, Bauakte Engelbert-Kaempfer-Straße 50.20 Stefan Wiesekopsieker: Bernhard Kramer (1869-1953). Zum 50. Todes-

tag eines Bielefelder Architekten, der auch in Bad Salzuflen Spuren hin-terließ. In: Heimatland Lippe 96 (2003), Nr. 1/2, S. 12-15.

21 Hier und im Folgenden Fürstlich Lippisches Archiv, Schloss Detmold, Nr.292.

22 Fürstlich Lippisches Archiv, Schloss Detmold, Nr. 2030, sowie Landesar-chiv Detmold, L 75, Abt. II, Gr. 6, Nr. 22, fol. 248-251.

23 Fürstlich Lippisches Archiv, Schloss Detmold, Nr. 292.24 Zur Familie Quentell und ihren vielfältigen Bezügen zu Lippe vgl. Deut-

sches Geschlechterbuch. Genealogisches Handbuch bürgerlicher Famili-en 121 (Hessisches Geschlechterbuch 14). Glücksburg/Ostsee 1956, S.393-435. Ein Nachruf anlässlich des Todes von Hermann Quentell findetsich in der Lippischen Landes-Zeitung vom 28.2.1976.

25 Stadt Lemgo, Bauamt, Bauakte Engelbert-Kämpfer-Straße 30. Vgl. zuGustav Meßmann: Merret Sievers: Modernes Bauen und Heimatschutz.Der lippische Architekt Gustav Meßmann (1879-1944). Frankfurt/Mainu.a. 1998 (Europäische Hochschulschriften 28/325), zum vorliegendenBau vgl. S. 304-306.

26 Lippische Landes-Zeitung vom 7.1.1953 und Lippische Rundschau vom3.1.1953 und 19.10.1959.

27 Herbert Hitzemann/Günther Frevert: Chronik der Lemgoer Schützenge-sellschaft von 1575 e.V. Lemgo 1992, S. 25-46 und 92-94. Zur engenVerbindung der Familie Quentell mit der Lemgoer Schützengesellschaftvgl. ebd.

28 Lippische Post vom 4.7.1933. Vgl. zum Zusammenhang und zur Funkti-on der Freischießen-Gesellschaft bei der Herstellung der nationalsoziali-stischen „Volksgemeinschaft“ Hanne Pohlmann/Klaus Pohlmann: Konti-nuität und Bruch. Nationalsozialismus und die Kleinstadt Lemgo. Lemgo1990 (Forum Lemgo 5), S. 77-85, sowie Dies.: „Volksgemeinschaft“ undlokale Traditionen – Zur Geschichte der Stadt Lemgo im „DrittenReich“. In: Peter Johanek/Herbert Stöwer (Hrsg.): 800 Jahre Lemgo.Aspekte der Stadtgeschichte. Lemgo 1990 (Beiträge zur Geschichte derStadt Lemgo 2), S. 559-584.

29 Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass der am 20. April 1933 einge-weihte Hitler-Gedenkstein am Schützenhaus auf Anregung Paul Krachtsvom Verwaltungsrat der Freischießen-Gesellschaft gestiftet wurde(Stadtarchiv Lemgo, V 9, Nr. 3, fol. 77, vgl. Pohlmann/Pohlmann, wieAnm. 28, S. 80). Hierfür erhielt er eine durch das Firmenarchiv überlie-ferte Dankurkunde (Ausstellungsdatum 23. April 1933), die vom Lemgo-er NSDAP-Ortsgruppenleiter unterschrieben wurde.

30 Stadtarchiv Bad Salzuflen, H I 4080.31 Vgl. zu den daraus erwachsenen weiteren Ehrenämtern Paul Krachts in

der Selbstverwaltung der Stadt Lemgo Adreßbuch des Landes Lippe.Detmold 1926, S. [259].

32 „Vereinigter bürgerlicher Wahlvorschlag“/„Bürgerliche Vereinigung“war ein Zusammenschluss aus DNVP, DVP, Zentrum und einzelnen wirt-schaftlichen Gruppen, die „Bürgerliche Mitte“/„Liste Schlepper“ rekru-tierte sich aus DDP-Wählern, vgl. Pohlmann/Pohlmann, wie Anm. 28, S.28-38.

33 Schriftliche Auskunft des Bundesarchivs, Berlin vom 25.1.2010 aufGrund der Angaben in der NSDAP-Gaukartei (Mitgliedsnummer:3569342).

34 Einschätzung seines Enkels Reinhard Quentell vom 13.1.2010. Zu WalterSteinecke, dessen politisches wie künstlerisches Wirken noch längstnicht im Detail erfasst ist, vgl. Pohlmann/Pohlmann, wie Anm. 28, S. 47.

35 Burkhard Meier: „Unserer lieben Tante Prinzeß“. Aus der Geschichteevangelischer Kindergärten in Lemgo. Lemgo 2005 (Beiträge zur Ge-schichte der Diakonie in Lippe 6), S. 11-76.

36 Der aus Lemgo stammende Felix Meyer steuerte ebenfalls eine Stamm-folge für den Band bei (Deutsches Geschlechterbuch, wie Anm. 12, S.163-188).

37 Die Ahnenforschung fand eine Fortsetzung im Verlauf des Jahres 1936,als Paul Kracht als Mitglied des Sparkassenvorstandes - ein Amt, das erschon über zehn Jahre ausfüllte - für sich und seine Frau einen „Arier-nachweis“ erbringen musste.

38 Der in Iserlohn geborene Maler, Grafiker und Kunstgewerbler Carl Kui-per wurde vor allem als Porträtist sehr geschätzt und war u.a. am rumä-nischen Königshof tätig; zuletzt wirkte er in Hamburg (schriftliche Aus-kunft des Stadtarchivs Iserlohn vom 12.1.2010; eine Todesanzeige findetsich im Iserlohner Kreisanzeiger vom 3.4.1935).

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39 Deutsches Geschlechterbuch, wie Anm. 12, S. 115. Die dadurch ge-plante Fortsetzung des Namens erfüllte sich nicht, da Hans-WilhelmQuentell-Kracht 1944 in Belgien fiel. Aus diesem Grund wurde 1953versucht, für die übrigen Kinder eine Namensänderung zu erwirken, einUnterfangen, das jedoch im Sande verlief.

40 Nach der Beschlagnahmung seines Hauses am 20. Juni 1946 wohntePaul Kracht für die nächsten fünf Jahre im Wohnhaus auf dem Werks-gelände (Steinweg 66).

41 Zwölfter Jahresbericht des Lippischen Handels- und Gewerbe-Vereinsin Detmold über das Geschäftsjahr vom 1. Mai 1889 bis 30. April 1890.Detmold 1890, S. 7 (Beschluss der Aufnahme auswärtiger Mitglieder)und S. 24 (Mitgliederverzeichnis).

42 Bericht der Handelskammer für das Fürstentum Lippe in Detmold fürdas Jahr 1906. Detmold [1907], S. 42.

43 Bericht der Handelskammer für das Fürstentum Lippe in Detmold fürdas Jahr 1909. Detmold [1910], S. 33.

44 Bericht der Handelskammer für das Fürstentum Lippe in Detmold fürdas Jahr 1911. Detmold [1912], S. 48.

45 Hier und im Folgenden: Stadt Lemgo, Bauamt, Bauakte Steinweg 66,Bd. 1.

46 Landesarchiv Detmold, L 80.16, Nr. 751.47 Zu „Niereißa“ und „Krachtuko“ vgl. auch Nicole Kuprian: Buntkariert

und blütenweiß. Vom Umgang mit Bettwäsche. Münster 1999 (Westfäli-sche Volkskunde in Bildern 8), S. 105-110.

48 Wendiggensen, wie Anm. 11, S. 177.49 Landesarchiv Detmold, L 75, VIII/2, Nr. 22, Bd. 2, fol. 231-236.50 Ebd.51 Wendiggensen, wie Anm. 11, S. 177.52 Lippische Post vom 2.5.1933.53 Lippische Post vom 19.2.1937.54 Stadt Lemgo, Bauamt, Bauakte Steinweg 66, Bd. 1. Der erste in

Deutschland hergestellte Webstuhl war von der Firma im April 1900von der Sächsischen Webstuhlfabrik Louis Schönherr, Chemnitz, ge-kauft worden.

55 Lippische Post vom 1.2. 1938.56 Luchterhandt, wie Anm. 3, S. 77.57 Wendiggensen, wie Anm. 11, S. 177. Die Angabe - wohl für 1930 - be-

zieht sich nur auf die Zahl der Arbeiter und Arbeiterinnen. 58 Lippische Post vom 8.10.1913.59 Zu den Themenkreisen „Arbeitsordnung“ und „Unfälle“ vgl. in Bezug

auf Lippes größten Industriebetrieb Stefan Wiesekopsieker: Hoffmann'sStärkefabriken in Salzuflen. Unternehmer, Belegschaft und betrieblicheSozialpolitik 1850-1914. Lemgo 2005 (Lippische Studien 21), S. 351-365.

60 Bericht der Handelskammer für das Fürstentum Lippe in Detmold fürdas Jahr 1906. Detmold [1907], S. 92.

61 Führend hinsichtlich ganz unterschiedlicher Maßnahmen im Rahmenbetrieblicher Sozialpolitik waren in Lippe Hoffmann's Stärkefabriken inBad Salzuflen. Vgl. Wiesekopsieker, wie Anm. 59. Dort finden sich auchBeispiele aus anderen lippischen Unternehmen.

62 Lippische Post vom 15.3.1901.63 Lippische Post vom 8.10.1913.64 Stadt Lemgo, Bauamt, Bauakte Steinweg 66, Bd. 1.65 Adreßbuch für Stadt Lemgo und Nordlippe mit der Stadt Barntrup und

den Amtsgemeinden Brake, Hohenhausen, Sternberg-Barntrup und Va-renholz. Lemgo o.J., S. 44, bzw. Adreßbuch Lippe, wie Anm. 31, S. 339.

66 Jochen Bode/Hanne Pohlmann (Hrsg.): Die Kabakers. Rekonstruktioneiner Familienbiographie. Detmold 1999 (Panu Derech 17), S. 319-381.Das Kracht'sche Doppelhaus ähnelt durchaus den Häusern der Stiftung.

67 Die jährliche Ausschüttung wurde bis zur Einstellung der Produktion1966 beibehalten. Offiziell wurde die Kracht'sche Stiftung erst im März1976 im Vereinsregister beim Amtsgericht Lemgo gelöscht.

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Abbildungsnachweis Herausgeber und Autoren danken

Familie Möller, Lemgo S. 75, 78

Familie Quentell, Lemgo S. 16, 18, 27, 30, 31, 41, 43, 46, 47, 49, 50, 52 (links), 81

Firmenarchiv Kracht GmbH & Co. KG, LemgoS. 8, 17, 18 (rechts), 20-21, 24, 26, 32, 37, 38, 39, 42, 48, 52(rechts), 54 (rechts), 55, 56, 57, 58, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66,67, 68, 69, 70, 71, 73, 76, 78 (rechts), 79, 80, 82, 83, 84, 85,86

Kracht GmbH & Co. KG, Lemgo S. 88, 89

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe, DetmoldS. 44

Lippische Landesbibliothek, DetmoldS. 14, 56 (rechts)

Lippisches Landesmuseum DetmoldS. 36 (Foto: Annika Drewes)

Stadtarchiv Bad SalzuflenS. 45

Stadtarchiv LemgoS. 35

Stift St. Marien, LemgoS. 28

Dr. Gisela Wilbertz, LemgoS. 19, 54

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Schriften des Städtischen Museums Lemgo

Bd.1: Ute Begemann und Holger Künemund (Hrsg.): Malerschule Lemgo. Private Ausbildungsstätte für Handwerksmeistervon 1920 bis 1984. Lemgo 1995 (vergriffen)

Bd.2: Karl August Ewerbeck, Jürgen Scheffler und Stefan Wiesekopsieker (Hrsg.): Ein Künstler und sein Mäzen: Der MalerAugust Ewerbeck und Hoffmann’s Stärkefabriken. Lemgo 1996

Bd.3: Jürgen Scheffler (Hrsg.): Skulpturen, Scherenschnitte und Polaroids. Alte und neue Arbeiten von Wilhelm Niemöller.Bielefeld 1998

Bd.4: Regina Fritsch und Jürgen Scheffler (Hrsg.): Karl Junker und das Junkerhaus. Kunst und Architektur in Lippe um1900. Beiträge des Symposiums vom 21. März 1998. Bielefeld 2000 (vergriffen)

Bd. 5: Holger Reimers und Jürgen Scheffler (Hrsg.): Das Hexenbürgermeisterhaus Lemgo. Bürgerhaus-Baudenkmal-Muse-um. Bielefeld 2005

Bd. 6: Jutta Prieur (Hrsg.): Wie Engel Gottes. 700 Jahre St. Marien Lemgo. Bielefeld 2006. Bd. 7: Gisela Wilbertz: „… es ist kein Erretter da gewesen…“ Pfarrer Andreas Koch, als Hexenmeister hingerichtet am 2.

Juni 1666. Bielefeld 2008 (2. überarbeitete Auflage)Bd. 8: Hanne Pohlmann, Klaus Pohlmann, Jürgen Scheffler: Lokale Erinnerung im Schatten der Vergangenheit. Die Gedenk-

feier für die lippischen Juden 1948. Bielefeld 2009

Bd. 9: Andreas Biermann und Jürgen Scheffler: Hermann Hamelmann – ein streitbarer Theologe in Lemgo. Bielefeld 2010

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