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Die Geistharfe von Sharu

Date post: 03-Jan-2017
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Star Wars Lando Calrissian und die Geisterharfe von Sharu von Neil Smith gescannt von Brachmirzl K-gelesen: thora
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Star Wars

Lando Calrissian und die Geisterharfe von Sharu von Neil Smith

gescannt von Brachmirzl

K-gelesen: thora

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Lando Calrissian ist das, was man einen intergalaktischen Gauner nennen könnte – Geschäfte, bei denen es seine Partner übers Ohr hauen kann, waren ihm schon immer die liebsten. Die Kunde, dass auf dem Planeten des Rafa-Systems alte, fremdartige Schätze im Überfluss vorhanden seien, lässt ihn sofort die Millenium Falcon besteigen – doch er ahnt nicht, dass auch ein Täuschungskünstler getäuscht werden kann....

Prolog »Sabacc!« Die Hitze war unerträglich. Der junge Spieler warf seine Karten-chips auf den Tisch und sammelte dann gelangweilt ein,was sie ihm gebracht hatten. Es war ein unbedeutender Zuschlag zu einem unbe-deutenden Gewinn. Irgendwas um fünfhundert Credits herum, ein vollkommen uninteressanter Betrag. Vielleicht war es die Hitze. Vielleicht war es aber auch nur Ein-bildung. Dieser verfluchte Asteroid, Oseon 2795, war zwar der Sonne nä-her als alle anderen, aber er war genauso gut lebensfähig und klima-tisiert wie jeder andere besiedelte Brocken in diesem System. Trotz-dem konnte man fast spüren, wie die Sonnenpartikel unermüdlich auf seine spröde, verwitterte Oberfläche trommelten, wie die Strahlung durch die Eisen-Nickel-Masse drang, wie tödliche Energie von den Wänden in jedem Raum widerstrahlte.Und vor allem in diesem.

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Die Einheimischen spürten dies anscheinend auch. Sie hatten sich schon nach der zweiten Runde, vor zwei Stunden, bis auf Shorts und Hemd ausgezogen und sahen so müde und verschwitzt aus, wie sich der junge Spieler jetzt fühlte. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. Diesmal mußte er ausnahmsweise nicht darauf achten, wie viel er trank. Kein kameradschaftliches Besäufnis heute. Die meisten hier tranken Eiswasser, und dies mit Genuß. Kondenswasser überzog die Außenfläche des Containers und tropfte an seinem Handgelenk in den goldbetreßten Ärmel seiner Uniform hinab. Was für ein Leben! Oseon 2795 war das Rattenloch im Tempel des Mammons. Der triste Asteroid, der vor dem Schlund eines gigan-tischen Hochofens herumschwirrte, zog wie ein abgerissener Vaga-bund durch ein System von Erholungszentren und Ferienheimen für die Reichsten der Reichen dieser Galaxie. Im Augenblick wünschte sich der Spieler, er hätte nie von ihm gehört. Das war die Strafe dafür, daß er dem Rat eines Spaceport-Angestellten gefolgt war. Ein kleines Schweißrinnsal tropfte von seinem Nacken in den Stehkragen seiner halboffiziellen Uniform. Wer hatte behauptet, daß Bergarbeiter immer reich wären? Er mischte die viel zu großen Kartenchips einmal, zweimal, drei-mal, dann noch zweimal, lustlos, wie bei einem langweiligen Ritual. Dann schob er sie kurz seinem rechten Nachbarn zu, der mindestens so stark schwitzte wie er selbst und achtlos abhob. Anschließend teilte er zwei Karten für jeden aus und wartete, bis seine Mitspieler sich entschieden hatten. Ob Einbildung oder nicht, die Hitze schien die Gedankenprozesse erheblich zu verlangsamen. Die ersten Einsätze wurden zu dem Grundstock auf dem Tisch geworfen. Es war bestimmt kein großes Vermögen - außer vielleicht für verarmte Glücksritter wie die hier versammelten, die verzweifelt versuchten, sich über die Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung

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hinweg zu setzen. Für sie war der Spieler eine romantische Gestalt, ein professioneller Abenteurer auf einem eigenen Schiff, mit dem er zwischen den Sternen herumgondeln konnte, die Verkörperung nie versiegenden Glücks. Er erkannte erschrocken, daß diese Hinterzimmerhasardeure versuchten, ihn mit ihren Mikrocredit-Einsätzen zu beeindrucken. Und sie hatten Erfolg damit: Im Augen-blick würde er den Strom aus seinem elektrischen Rasierapparat in das Versor-gungssystem seines Schiffes einspeisen müssen, nur um von dieser durchlöcherten Käsekugel abheben zu können. Ein eigenes Schiff war nicht schwer zu bekommen (er hatte es auf dem letzten System, das er besucht hatte, bei einer Runde Sabacc gewonnen), aber dafür war es um so schwerer zu unterhalten. Bis jetzt hatte er dabei nur verloren. Er senkte den Blick und sah, daß er eine Minus Neun in der Hand hielt: Balance, und die Säbel Zwei. Dies war nicht besonders vielver-sprechend, nicht einmal, wenn man viel Glück hatte. Aber Sabacc war das Spiel der dramatischen Wechsel. Manchmal brauchte man nur eine Karte aufzunehmen. Oder nicht einmal das - mit dem glei-chen Kitzel wie immer beobachtete er, wie das Bild der Zwei ver-schwamm und sich wandelte, bis es sich schließlich zu Sieben Stab formte. Damit hatte er Minus Vier - ein unbedeutender Fortschritt, aber immerhin ein Fortschritt. Er schaute auf den Einsatz und schnippte dann einen Dreißig-Credit-Chip in den Topf, aber ohne zu erhöhen. Und es bedeutete, daß sich die ursprüngliche Sieben Stab, ob sie nun in der Hand eines Spielers oder im Resthaufen auf dem Tisch lag, sich in etwas völlig Neues verwandelt hatte. Er betrachtete die erhitzten Gesichter seiner Mitspieler, aber ohne etwas aus ihnen her-auslesen zu können. Jede der achtundsiebzig Plastikkarten verwan-delte sich in unvorhersehbaren Intervallen, solange sie nicht in dem

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schmalen Interferenzfeld auf dem Tisch lag. Das machte Sabacc zu einem schnellen, nervenzerreißenden Spiel. Der junge Spieler fand es entspannend. Normalerweise. »Mir bitte noch eine Karte, Captain Calrissian.« Vett Fori, die links vom Spieler saß, in fadenscheinige und oft geflickte Jeans ge-kleidet, war Chief Supervisor der Asteroiden Minen-Gesellschaft. Sie war ein kleines, zäh wirkendes Individuum von unbestimmbarem Alter, das ein überraschend freundliches Lächeln hinter den tiefen Sorgenfalten verbarg. Sie hatte viel gesetzt - jedenfalls für ihre Ver-hältnisse - und viel verloren, den ganzen Abend schon. Es schien fast, als würde sie mehr als nur die Hitze ablenken. Eine unangezündete Zigarre ruhte neben ihrem rechten Ellbogen auf dem Tisch. »Bitte nennen Sie mich Lando«, erwiderte der junge Spieler, wäh-rend er ihr eine Karte zuschob. »Captain Calrissian klingt, als wäre ich ein einäugiger Commander auf einem abtrünnigen Imperiums-Schlachtschiff. Meine Millennium Falcon ist nur ein kleiner umge-bauter Frachter und außerdem nicht mehr die Jüngste.« Er suchte in ihrem Gesicht nach einer Reaktion auf die Karte, die sie eben genommen hatte. Nichts. Ein nasales Kichern kam von der anderen Seite des Tisches. Arun Feb, der Assistent Foris, wollte auch eine Karte. Sein schmieriges Unterhemd war mitten auf dem Bauch durchgescheuert, und die Achselhöhlen waren von dunklen Rändern gezeichnet. Wie seine Vorgesetzte war auch er von kleiner Statur. Alle Minenarbeiter sahen so aus. Für diesen Job war es wahrscheinlich von Vorteil, möglichst kompakt zu sein. Er trug einen dunklen, dichten, kurzgeschorenen Vollbart und hatte eine blanke rosa Glatze. Er nahm einen Zug von seiner Zigarre und runzelte kurz die Brauen, als er die Karte zu dem Paar in seiner Hand steckte.

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Plötzlich sagte er: »Oh, bei allen Kratern, ich kann mich einfach nicht entscheiden! Können Sie mich später bedienen, Captain Calrissian?« Lando stöhnte innerlich. So ging das schon den ganzen Abend: Ottdefa Osuno Whett war, trotz seiner chronischen Unentschlossen-heit, der einzige große Gewinner am Tisch. Vielleicht verdankte er das seiner Taktik, die Nerven seiner Mitspieler gnadenlos zu bearbei-ten. Er war, wie der Captain, ein Fremder im Oseon-System, aber er schien sich aus der Meinung der Einheimischen über ihn nicht das geringste zu machen. »Tut mir leid, Ottdefa. Sie wissen, daß ich das nicht kann. Möch-ten Sie eine Karte oder nicht?« Whett zauberte den Ausdruck äußerster Konzentration auf sein Gesicht. Bei seinen Universitätsseminaren hatte er bestimmt viel Erfolg damit. Lando vermutete, daß Ottdefa ein akademischer oder wissenschaftlicher Titel war, der im Leuka System verliehen wurde. So etwas Ähnliches wie »Professor«. Der Träger dieses Titels war ein spindeldürres, lächerlich großes Gespenst mit grauem Kopf, mit einer viel zu hohen, weinerlichen Stimme und immer von chronischem Wankelmut geplagt. Er hatte zwanzig Minuten gebraucht, um sich einen Drink zu bestel-len - und dann hatte er seine Bestellung wieder geändert, als der Ober kam. Lando mochte ihn nicht. »Oh, schon gut. Wenn Sie darauf bestehen, nehme ich eine Kar-te.« »Sehr gut.« Lando teilte sie aus. Entweder hatte der Akademiker ein ausgezeichnetes Pokergesicht, oder er war einfach zu zerstreut, um zu bemerken, ob er eine gute oder schlechte Karte gezogen hatte. Lando blickte nach rechts. »Constable Phuna?«

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Der untersetzte, lockige Kraftprotz, den er ansprach, war T. Lund Phuna, der örtliche Vertreter von Recht und Gesetz unter der Ober-herrschaft des Senior Administrators des Oseon. Offensichtlich hatte er nicht den besten Posten erwischt. Die Uniform Tunika, die traurig über der Stuhllehne hing, war fast so abgetragen wie die Arbeitsklei-dung seiner Freunde. Mit seinen schweißigen, nervösen Fingern zün-dete er sich eine Zigarette nach der anderen an und füllte den engen, stickigen Raum mit immer neuem Gift. Er wischte sich mit seinem schweißdurchtränkten Taschentuch über die Wangen. »Danke. Für mich nicht.« »Der Geber nimmt eine Karte.« Es war der Clown, der null Punkte wert war. Unter den gegebenen Umständen war das für Lando die angemessene Karte. Wenn er doch nur zum Dela-System geflogen wäre, wie er es vorgehabt hatte, und nicht ins Oseon. Selbst ein Flüchtlingslager ver-sprach dickere Gewinne. Wieder wurde gesetzt. Vett Fori nahm noch eine Karte, die vierte, wie auch ihr Assistent, Arun Feb. Dieser bat mit einem Zigarren-stummel im Mund darum. Ottdefa Whett nahm nichts. Ein Säbel Lord erhöhte den Wert von Landos Blatt auf Plus Zehn, bevor die letzte Runde begann. Arun Feb und Vett Fori stiegen aus, mit einer Neun beziehungs-weise Minus Neun. Phuna, der Bulle, blieb beim Spiel. Sein breites Gesicht war in Schweiß gebadet. Lando wollte eben auch aufgeben, als Whett aufgeregt kreischte: »Sabacc!« und Stab Dame, die Amphore Vier und Münze Sechs auf den blankgespielten Filzbezug knallte. Der Ottdefa kratzte den mageren Pott zusammen: »Aaah... viel-leicht nicht gerade die imperialen Kronjuwelen, vielleicht auch nicht der sagenhafte Schatz von Rafa, aber -« »Schatz von Rafa?« echote Vett Fori.

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Sie kann ruhig fragen, dachte Lando, vielleicht hat sie beim Schatzsuchen mehr Glück als beim Kartenspielen. »Ich habe vom Rafa-System gehört«, fuhr die Minenangestellte fort, »jeder hat das. Es liegt praktisch neben unserem. Aber das mit dem Schatz ist mir neu.« Der Akademiker räusperte sich. Es war ein lächerliches Geräusch, das sich wie das Schnattern einer Gans anhörte. »Der Schatz von Rafa - oder der Sharu, wie wir ihn zu nennen geneigt sind, weil der Name nicht vom Rafa-System her abgeleitet wird, sondern von der alten Rasse, die dort einst lebte und in der Folge ohne jede Spur ver-schwand - ist von hohem wissenschaftlichen Interesse.« Whett hatte das in seinem überzeugendsten Professorenton vorge-bracht. Vett Foris Gesicht, das bis jetzt völlig ausdruckslos gewesen war, ließ deutlich erkennen, daß ihr diese Art von Belehrung nicht paßte. Sie nahm ihre Zigarre, steckte sie sich zwischen die Zähne und starrte den Professor grimmig an. »Ohne jede Spur?« Arun Feb grunzte ungläubig. »Ich war da, mein Freund, und die Ruinen Ihrer - wie nennen Sie sie? - >Sharu< sind die größten Bauklötze im ganzen bekannten Universum. Und außerdem haben sie damit jeden Fleck im ganzen System, der größer ist als mein Daumennagel, vollgestellt. Sie -« »Sind jedenfalls nicht die Sharu, mein lieber Freund, von denen jede Spur fehlt«, vollendete Whett den Satz, halb besserwisserisch und halb gekränkt. »Ich sollte das eigentlich wissen, denn bis vor kurzem war ich Anthropologieforscher für den neuen Governor im Rafa-System.« »Was macht ein Bürokrat mit einem mittelmäßigen Anthropolo-gen?« fragte Feb ungerührt. Er blies einen letzten Rauchring, zer-stampfte dann seine Zigarre am Rand des Aschenbechers und trank einen großen Schluck Wasser. Es tropfte an seinem Kinn herunter und tränkte seinen speckigen Hemdkragen.

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»Nun, ich vermute«, schniefte Whett, »er will sich mit allen As-pekten seiner neuen Aufgabe vertraut machen. Wie Ihnen ohne jeden Zweifel bekannt ist, lebt eine humanoide Rasse im Rafa-System; ihre religiösen Riten beziehen sich auf die Ruinen, und ihre Legenden ranken sich ausnahmslos um die verschollenen Sharu. Der neue Governor ist ein gewissenhafter Mann, äußerst gewissenhaft, wahr-haftig.« »Ja«, sagte Lando abschließend und fragte sich, ob der Anthropo-loge wohl jemals dazu kommen würde, die Karten auszuteilen. »Aber Sie haben von einem Schatz gesprochen.« Whett blinzelte. »Ach, ja, ja, das habe ich.« Er warf Lando einen scharfen Blick zu. »Interessieren Sie sich für Schätze, Captain?« Mehr als für dieses Spiel jedenfalls, dachte Lando. Ich wünschte, ich hätte das Dela-System angeflogen, auch wenn es einfacher ist, auf einem kleinen Asteroiden zu landen als auf einem ausgewachse-nen Planeten. Und sobald diese Farce hier vorbei ist, werde ich das nachholen, egal was kommt, und wenn ich zwanzig Jahre für die Astrogationsberechnungen brauche. »Tut das nicht jeder?« fragte Lando gleichgültig zurück. Er zog ein Zigarillo aus seiner Uniformtasche und zündete es an. Ein Schatz, wie? Vielleicht würde er hier wenigstens etwas Wissenswertes erfah-ren. »Nicht jeder, wenn ich für mich sprechen darf«, betonte der Wis-senschaftler, während er endlich begann, den dicken Stapel mit den achtundsiebzig Karten zu mischen. »Mein Interesse ist rein wissen-schaftlicher Natur. Was soll ich mit weltlichen Gütern? Eine für Sie, eine für Sie, eine für Sie, eine für Sie und eine für mich. Eine für Sie, eine für Sie, eine für Sie... « »Da sind Sie hier richtig!« lachte Vett Fori und nahm ihre Karten auf. »Weltliche Güter finden Sie hier bestimmt nicht!

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Was wollen Sie eigentlich hier? Wir haben keinen Anthropologen bestellt.« Constable Phuna zündete sich die nächste Zigarette an und sagte bitter: »Er will sehen, wie die andere Hälfte lebt, darum ist er hier. Ich habe einen Blick auf seine Papiere geworfen. Er studiert das Le-ben der Armen mitten unter lauter Reichen - und erhält dafür ein fettes Gehalt, wenn wir schon von weltlichen Gütern sprechen. Wir sind seine Studienobjekte, und er -« »Bitte, bitte, mein lieber Freund, es besteht kein Grund, sich an-gegriffen zu fühlen. Ich versuche lediglich, unser Verständnis des Universums zu vervollkommnen. Und wer weiß, vielleicht erfahre ich hier etwas, das uns in Zukunft helfen kann, nicht nur Ihnen, son-dern uns allen, wie -« Vett Fori, Arun Feb und T. Lund Phuna unterbrachen ihn fast gleichzeitig: »Keine Gefälligkeiten, bitte!« »Aber für mich«, schlug Lando vor, als die daraufhin eintretende Stille peinlich wurde. »Erzählen Sie mir mehr von diesem Schatz. Und geben Sie mir noch eine Karte.« Neue Einsätze wurden gemacht und zusätzliche Karten ausgege-ben. Lando, der das Interesse an den immer kleineren Einsätzen, mit denen das Spiel gespielt wurde, vollkommen verloren hatte, beo-bachtete versonnen, wie die Karten in seiner Hand ihre Zeichen und Werte veränderten. Dem Vortrag des Anthropologen schenkte er wesentlich mehr Aufmerksamkeit. »Die Toka sind primitive Eingeborene des Rafa-Systems. Wie Supervisor-Assistent Feb uns bereits so überzeugend dargelegt hat, leben sie und die kolonialen Siedler in friedlicher Koexistenz zwi-schen den Ruinen der alten Sharu. Dies sind riesige Gebilde, die fast jeden Quadratkilometer der bewohnbaren Planeten bedecken. Ich setze hundert Credits zum Sehen.«

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Arun Feb schüttelte den Kopf. Er nahm aber zwei FünfzigCredit-Chips von seinem schwindenden Haufen und warf sie in die Mitte. Vett Fori legte ihre Karten mit angeekelter Miene ab und ihre immer noch nicht angezündete Zigarre auf den Tisch zurück. Phuna erhöhte um weitere fünfzig. »Ja, aber das Wichtigste am Rafa-System ist, daß sie dort Lebenskristalle züchten.« Er fingerte an dem kleinen Juwel herum, das er in einer Fassung an einer dünnen Kette um seinen schweißigen Hals trug. Whett nickte. »Für Sie vielleicht, mein guter Constable. Es stimmt, die auf den Lebensplantagen geernteten Kristalle sind das Hauptexportprodukt der Kolonie. Aber mein Interesse — und man hat mich für dieses Interesse gut bezahlt - galt ausschließlich den Legenden der Toka, vor allem jenen, deren Thema die Geistharfe ist.« Lando warf einen kurzen Blick auf seine Karten und sah, daß er die Münze Dame, die Stab Drei und die Säbel Vier hatte. Er schob die erforderliche Summe in den Topf, und im selben Augenblick verwandelte sich die Drei in eine Amphore Fünf:zusammen dreiundzwanzig. »Sabacc!« Er sammelte den größten Topf des Abends ein. »Geistharfe?« fragte er. »Was, bei allen Atomen, ist das?« Ottdefa Whett rümpfte die Nase und schob Lando den Rest des Kartenstapels zu. »Ach, nur ein lächerlicher Aberglaube der Einge-borenen. Angeblich soll es ein längst verlorenes magisches Instru-ment geben, womit die Toka die Sharu - mit denen sie sich auf eigen-tümliche Weise identifizieren - rufen können, falls sie ihre Hilfe brauchen. Merkwürdig, denn die Toka können auf keinen Fall eine Verbindung zu einer Zivilisation haben, die vor Millionen Jahren blühte, sowenig wie die Menschen zu Dinosauriern -«

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»Ich habe schon Dinosaurier gesehen«, fiel ihm Arun Feb ins Wort. »Auf Trammis III.« Die gigantischen Reptilien von Trammis III waren in der ganzen Galaxie berühmt, und ein Kichern antwortete ihm. »Ich vermute aber«, sagte Lando, während er die Karten mischte, austeilte und wartete, bis die Einsätze gemacht waren, »daß Sie Ihre eigene Theorie darüber haben.« Irgendwie hatte das Gespräch über solch sagenhafte Schätze die Mitspieler ein bißchen risikofreudiger gemacht, ausgenommen Vett Fori und ihren Assistenten. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, sie mir zu erklären?« Der Anthropologe sah ihn an, so als würde ihm das überhaupt nichts ausmachen, selbst wenn man ihn dabei barfuß auf einen Eis-quader stellen und seine Haare mit einem Flammenwerfer bearbeiten würde. »Nun, Sir, die Ruinen sind, obgleich sie im ganzen System vor-kommen, ohne Ausnahme von allen Seiten hermetisch abgeschlos-sen. Nirgendwo ist auch nur das geringste Anzeichen für einen Ein-gang zu entdecken. Ich wage zu behaupten, daß der erste, der sich Zutritt zu diesen Bauwerken verschafft, die Schätze einer Millionen Jahre alten und uns weit überlegenen Kultur ernten wird. Ich gebe offen zu, daß ich selbst einige Male versucht habe, in so ein Ding hineinzukommen. Aber die Ruinen sind nicht nur hermetisch ver-schlossen, sie bestehen noch dazu aus einem unzerstörbaren Materi-al. Kein uns bekanntes Werkzeug oder Energiefeld kann ihnen auch nur einen Kratzer zufügen. Fünfhundert zum Sehen. Constable?« Widerwillig warf der Polizist fünfhundert Credits in die Mitte. Lando betrachtete mit leisem Staunen den Pott und erhöhte um wei-tere hundert. »Sabacc!« Hmmm. Die Dinge schienen sich langsam zu klären. Er hatte in-zwischen zweitausend Credits gewonnen. Er mischte die Karten zum drittenmal und überlegte sich, welche Möglichkeiten sich für einen

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Spieler im Rafa-System boten. Die Idee war verlockend: Das System war nur ein paar Lichtjahre entfernt, und wenn er sich richtig erinner-te, gab es dort einen großen Spaceport mit guter technischer Ausstat-tung - und das hieß Landehilfe von der Bodenstation. Die Millenni-um Falcon war ihm noch völlig fremd. Wenn er nicht ein so hoff-nungslos unbedarfter Astrogator und Pilot gewesen wäre, würde er in diesem Augenblick im Dela-System Karten spielen. Die lange, kom-plizierte Reise und die bekannte, schwierige Landung auf einer win-zigen Bergspitze hatten ihn abgeschreckt, trotz der wohl fundierten Gerüchte, die einem Spieler dort satte Gewinne in angenehmer At-mosphäre versprachen. Aber das Rafa dagegen... Er gewann auch das dritte und vierte Spiel und lag damit fünftau-sendfünfhundert Credits vorn. Die verlockenden Aussichten machten ihm Mut, und er spürte die Hitze fast nicht mehr. »Ach, Captain Calrissian... « Es war wieder Whett. Er war der einzige, dem trotz der sprunghaft gestiegenen Einsätze nicht die Lust auf ein Gespräch vergangen war. »Ja?« fragte Lando, während er die Karten mischte und austeilte. »Nun, Sir, ich... das heißt, ich befinde mich augenblicklich in ei-ner finanziellen Verlegenheit. Sie verstehen, ich habe den Betrag, den ich mir für diesen Abend zugestanden habe, bereits überschrit-ten, und ich -« Lando sank enttäuscht in seinen Stuhl zurück und zündete sich ein neues Zigarillo an. Er hatte nicht erwarten können, überlegte er sich, ausgerechnet auf Kosten eines ausgezehrten Collegeprofessors reich zu werden. »Ich reise zu viel, um Kredit geben zu können, Ottdefa.« »Dessen bin ich mir durchaus bewußt, Sir, und darum möchte ich... nun, wieviel würden Sie mir für einen Multiphasic Roboter der Klasse Zwei gewähren, wenn ich fragen dürfte?« »Sie dürfen«, antwortete der Spieler ungerührt. »Siebenund dreißig Mikrocredits und eine gebrauchte Raumkarte. Ich bin kein

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Kaufmann, mein lieber Ottdefa.« Aber es gab eine Möglichkeit: Er konnte einen Pilotendroiden mieten, um von hier zum Rafa-System zu gelangen - oder wohin er wollte. Er dachte noch einmal nach. Ein Klasse-Zwei-Roboter war kein schlechter Tausch. Er war vielleicht halb soviel wert wie sein Raumschiff. Unter diesen Umständen... »Gut, wenn Sie darauf bestehen, ein Kilocred - und nicht einen Mikro mehr. Nehmen Sie's oder lassen Sie's.« Der Professor sah ihn mißbilligend an. Er öffnete den Mund, um den Preis hochzuhandeln, bemerkte dann aber den entschlossenen Blick des Spielers und nickte. »Ein Kilo also. Ich habe für das Ding sowieso keine Verwendung mehr. Er sollte mir helfen, in die Sharu-Ruinen einzudringen, und ich —« »Möchten Sie noch eine Karte, Supervisor Fori?« unterbrach ihn Lando. »Ich steige aus; das Spiel ist mir zu teuer geworden, und außer-dem beginnt meine Schicht in fünfzehn Minuten.« Dasselbe galt für Arun Feb. Sie saßen bis zum Ende des Spiels noch am Tisch und beobachteten schadenfroh, wie alle anderen verloren. Osuno Whett dagegen setzte seine ganzen geliehenen tausend, vielleicht, weil er den Spieler zum Aufgeben zwingen wollte. Cons-table Phuna unterstützte ihn dabei. Der Berg in der Mitte wuchs und wuchs, weil der Spieler ihre Wetten akzeptierte und sie sogar noch überbot. Er wollte das Spiel endlich hinter sich bringen, so oder so. Er teilte sich selbst eine Säbel Zwei und die Münze Vier aus, griff dann noch nach einer zusätzlichen Karte, nachdem seine Gegner sie auch genommen hatten. Im nächsten Augenblick verwandelte sich die Vier in eine Stab Drei, und die neue Karte, ursprünglich eine Stab Neun, wurde zum Clown. »Sabacc!« schrie Lando triumphierend auf. Dem Geldhaufen nach zu urteilen, den er einstrich, wie auch dem blanken Filz vor Whett

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und Phuna, war das Spiel gelaufen. »Wo kann ich den Droiden abho-len, Ottdefa? Ich brauche ihn sofort als Naviga-« »Auf Rafa IV, Captain. Ich habe ihn in der Obhut einer Lagerge-sellschaft gelassen, um ihn zu verkaufen oder ihn mir nachschicken zu lassen - aber, aber, werden Sie bitte nicht wütend! Ich habe hier das offizielle Steuerdokument, auf dem sein Wert bestätigt wird. Sie können es mit sich nehmen oder zum Wiederverkauf verwenden.« Lando war aufgestanden und spielte kurz - ganz kurz - mit dem Gedanken an Gewalt. Seine erste Überlegung ging dahin, daß man ihn wie einen blutigen Anfänger aufs Kreuz gelegt hatte. Die zweite, daß er eine kleine, aber wirkungsvolle Waffe unter seiner dekorati-ven Schärpe trug. Daß ihn das das Leben kosten oder daß er den Rest davon im Gefängnis auf diesem brodelnden Schlackehäufchen ver-bringen konnte, war sein dritter Gedanke. Für einen vierten hatte er keine Zeit mehr. »Einen Moment, mein Sohn«, sagte der Constable und packte Landos Arm. »Keine Aufregung. Wir sind alle Freunde.« Er deutete mit seiner freien Hand auf die Papiere, die Whett ihm entgegen-streckte. »Der Ottdefa hier kann bürgen, und zwar bis - hey, was ist das?« Lando spürte, wie etwas Kleines, Rundes und Kühles in seinen Ärmel geschoben wurde. Er blickte genau in demselben Augenblick hinunter, in dem Phuna den Gegenstand wieder herauszog, und stöhnte. Es war eine flache, runde, vielleicht einen Zentimeter dicke Scheibe mit einem Durchmesser von vielleicht vier Zentimetern. Er wußte genau, wozu man sie brauchte, auch wenn er selbst nie eine besessen hatte. »Ein Schummler!« rief der Constable empört auf. »Er hatte die ganze Zeit über einen Schummler im Ärmel! Er konnte die Karten manipulieren, wie es ihm gefiel. Kein Wunder -«

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Mit einem furchterregenden Krächzen hechtete Osuno Whett auf Lando zu. Der geringen Gravitation des Asteroiden war es zu ver-danken, daß er es bis über den Tisch schaffte. Aber als die hagere Gestalt die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, wurde eine specki-ge Jeansjacke über Whetts Kopf gestülpt, gefolgt von vier gichtigen Fingerknöcheln, die zu Febs rechter Hand gehörten. Sie trafen mit einem dumpfen Schlag auf. Ein ersticktes Quieken drang durch den festen Stoff der Jacke. »Raus hier, Junge!« schrie Feb. »Ich habe gesehen, wie Phuna Ihnen den Schummler zugesteckt hat!« Der Gesetzeshüter warf sich mit hoch erhobener Faust auf Feb. Anscheinend vertraute Vett Fori der Urteilskraft ihres Assistenten und wußte, wie man sich die Schwerelosigkeit zunutze machen konnte. Sie schnappte sich das nächste solide Objekt - in diesem Fall den angeschlagenen Kopf des Anthropologen - und schleuderte ihn gegen den Schädel des verdutzten Polizisten. Phuna verdrehte die Augen, sackte zusammen und sank langsam zu Boden. Ohne Whett loszulassen, fummelte Fori das Bündel offizi-eller Papiere aus den Fingern des bewußtlosen Wissenschaftlers. »Nehmen Sie das und bringen Sie Ihr Schiff aus dem Oseon her-aus, Lando. Ich rede mit Phuna, wenn er wieder zu sich kommt. Er ist hinterhältig, aber nicht verrückt. Außerdem arbeitet er für mich - wenigstens theoretisch.« Es war nicht der erste schnelle Abgang, den Lando in seiner kur-zen, aber ereignisreichen Karriere absolvierte. Aber es geschah nicht oft, daß die, deren Geld er fortschleppte, ihm dabei auch noch halfen. Mit einem Gefühl unvermittelter Dankbarkeit - und der Ahnung, daß er es später bereuen würde - legte er seine Einnahmen zurück auf den Tisch, direkt neben den leblosen Ottdefa. »Das wagen Sie nicht!« knurrte Vett Fori. »Wollen Sie, daß wir glauben, Sie hätten es nicht ehrlich gewonnen?« Hinter ihr donnerte

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Arun Feb die Karaffe aus rostfreiem Edelstahl auf Phunas Kopf, bonk! Dann sah er von seiner unterhaltsamen Beschäftigung auf und nickte zustimmend. Lando grinste, winkte ohne ein weiteres Wort zum Abschied und rannte hinaus. Zwanzig Minuten später befand er sich an Bord der Millennium Falcon. Er hatte einen Pilotdroiden an seiner Seite, den er noch schnell gemietet hatte. Und nach weiteren zehn Minuten hat-te er sein Schiff aus der Ekliptik herausmanövriert. Er flog mit voller Kraft aus dem Oseon heraus und auf das Rafa zu. Dort würde Whett ganz bestimmt nicht nach ihm suchen. So hoffte er wenigstens.

Kapitel 1 Die goldbetreßte Flugkappe sorgfältig in einen äußerst verwegenen Winkel in die Stirn geschoben, sprang ein wieder ganz und gar lie-benswürdiger und zuvorkommender Captain Calrissian die Gangway des Überlichtfrachters Millennium Falcon hinunter - und knallte mit der Stirn gegen die Schleusenluke. »Autsch - beim Ewigen!« Er strauchelte und blickte sich mög-lichst unauffällig um, ob ihn auch niemand gesehen hatte, und seufz-te. Also, was bei allen Würfeln im Universum sollte er überprüfen? Die Bodenkontrolle hatte sich nicht besonders höflich ausge-drückt ... »Was ist das für Ungeziefer auf Ihrer verbeulten Motorhaube, Em Falcon, over?« Nun, was es auch war, sie hätten es ihm erklären können, ohne sich darüber auszulassen, wie er auf das Landefeld von Teguta Lusat zugeschlittert war. Daß er auf seinen Eintritt in die Planetenatmo-sphäre nicht stolz zu sein brauchte, wußte er selbst. Vielleicht war er

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ein Spieler, vielleicht sogar ein Draufgänger und, wie er sich selbst gern nannte, ein Kartenkünstler. Ein guter Schiffskommandant war er jedenfalls nicht. Er runzelte die Stirn, als er an den Pilotdroiden dachte, den er für teures Geld im Oseon gemietet hatte. Sie sollten nur versuchen, diese Rechnung einzutreiben! Er trat - diesmal wesentlich vorsichtiger - an die hydraulische Rampe, duckte sich unter dem kleinen Rettungsboot (das ihn immer wieder an einen aufgeblähten Hufeisenmagneten erinnerte) und be-deckte seine Augen mit einer Hand. Motorhaube... Motorhaube... was, im Namen des Chaos, meinten sie - »Iiik!« Das kam von Lando, nicht von dem widerwärtigen, ledrigen We-sen, das sich von außen an das Schiff krallte. Es flatterte nur grotesk mit den Schwingen und glotzte ihn mit bösen gelben Augen an. Dann kratzte es schwach an der Außenhülle des Schiffes. Es war die Gravi-tation eines Planeten nicht gewohnt. Zwei widerwärtige ledrige We-sen! Vier! Lando stürzte über die Rampe zurück, schlug die Notluke zu und lief ins Cockpit. Der Sitz für den Copiloten fehlte. An seiner Stelle hockte der glitzernde und völlig unbrauchbare Klasse V Pilotdroid und blinkte blöde mit seinen Lichtern. »Guten Abend, meine Damen und Herren«, begrüßte ihn der Ro-boter, trotz des hellen Tageslichts, das durch die Sichtscheibe drang. »Willkommen an Bord der Vergnügungsyacht Arleen, die sich im interstellaren Transit von Antipose IX zu -« Der junge Spieler knurrte frustriert, fuhr über den AUS-Schalter des Droiden und ließ sich in den Beschleunigungssitz fallen. Dies war genau in dem gleichen Moment, in dem eines der Wesen über

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die Sichtscheibe zu krabbeln begann und ihm mit seinen rostroten Fängen die Sicht nahm. »Bodenkontrolle? Hallo, Bodenkontrolle! Was, zum Teufel, ist das?« Eine lange, leere Pause. Dann fiel es Lando ein: »Ach ja,...over! »Das sind Mynocks, Sie viertklassiger Raumamateur! Sie hätten Sie im Orbit abschütteln müssen! Jetzt haben Sie die Quarantänebe-stimmungen des Planeten verletzt, und Sie müssen sich allein darum kümmern. Niemand wird sich seine Hände schmutzig machen mit diesen —« Mit einem wütenden Grunzen unterbrach Lando die Verbindung. Wenn sie ihm nicht helfen wollten, mußte er die Sache eben alleine erledigen. Mynocks... ah, ja: Dies waren zähe, allesfressende Kreatu-ren, denen weder Vakuum noch Temperaturen um den absoluten Nullpunkt etwas anhaben konnten. Sie waren die Ratten des Weltalls und hefteten sich an achtlose Schiffe, normalerweise in irgendeinem Asteroidengürtel. Das Oseon-System bestand nur aus Asteroiden! Mynocks reisten auf diese Weise von Sonne zu Sonne, von Pla-net zu Planet, und normalerweise - O Gott! Er sprang auf, schlug sich wieder den Kopf an, diesmal an der Beschleunigungskonsole über seinem Sitz - idiotisch sie aus-gerechnet dort anzubringen! - und arbeitete sich schnell, wenn auch nicht besonders geschickt, zur Antriebssektion vor. Er hatte sich ge-rade an einen weiteren Punkt erinnert: Wenn Mvnocks der Schwer-kraft eines Planeten ausgesetzt waren, starben sie nach kurzer Zeit... Nachdem sie sich vermehrt hatten! In einem Spind fand er einen vakuumtauglichen Anzug, und dann grub er auch noch einen Dampfstrahlschlauch mit variabler Düse aus. Er stieg in den fettigen Plastikanzug - mit Bedauern, denn er würde bestimmt seine malvenfarbene Samtuniform darin ruinieren -,

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schloß den Schlauch an einen Reaktorabfluß an, drückte die obere Ausstiegsluke auf und kletterte, den Schlauch wie einen langen Schwanz hinter sich herziehend, auf die Außenhülle. Ein Mynock, angelockt vom unvermeidlichen Rumpeln der Luke, mit prallen und schweren Sporensäcken und offensichtlich hungrig, wartete dort schon auf ihn. Er war ausgesprochen häßlich, vielleicht einen Meter lang, geflügelt wie eine Fledermaus, tailliert (wenn das das angemessene Wort war) wie eine Wespe, giftzähnig wie - »Iiik!« Diesmal war es der Mynock. Er kam auf ihn zu. Von einem Saugnapf unter seinem Bauch wur-de er auf der Hülle gehalten. Es gab nur eines, was noch häßlicher war als die Mynocks, dachte Lando, und das waren die Larven, die sie auf der Planetenoberfläche ablegten. Er sprang zurück, als eine bekrallte Flügelspitze nach ihm ausholte. Wenn seine Reaktion un-beholfen wirkte, so lag das eher an der ungewohnten Umgebung als an mangelnder Beweglichkeit. Er drehte den Schlauchverschluß auf und besprühte das Monster mit überheißem Dampf aus dem Wärme-tauschsystem der Falcon. Es schrie und wand sich, bis sein Fleisch schmolz und das Knor-pelgerüst freilegte, das ihm als Skelett diente. Aber auch die Knorpel lösten sich bald auf, flossen über die gekrümmte Schiffshaut und tropften auf das Landefeld, wo nichts von ihnen blieb als ein bißchen glitschiger Schleim. Er hörte ein Geräusch hinter sich. Lando konnte durch den Helm nicht zur Seite sehen, und so rammte er erst im letzten Augenblick die Schlauchdüse in den weit aufgesperrten Rachen des zweiten Mynock. Das Vieh schwoll an und zerplatzte. Eilig besprühte Lando sich selbst mit dem heißen Dampf, um die organischen Überreste von seinem Anzug zu waschen, und dann stapfte er grimmig weiter, um nacheinander sieben der ekelhaf-ten Kreaturen zu erledigen.

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»Nicht schlecht, As!« krächzte die Bodenkontrolle in seinem Helmempfänger, als er wieder durch die Luke ins Schiffsinnere klet-terte. »Hat man Ihnen kein Instruktionsheft mitgegeben, als Sie die-sen Schrotthaufen gekauft haben? Over.« Schrotthaufen? Der einzige Schrotthaufen in der Gegend, dachte Lando, während er schweißbedeckt die Luke über sich schloß und den Dampf-schlauch wieder verstaute, war dieser hirnlose Mietroboter da vorne. Das brachte ihn auf eine Idee. »Hallo, Bodenkontrolle«, trällerte er ein wenig später, als er sich aus dem Plastikanzug geschält hatte, von seinem Pilotensitz, »ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß dieses stolze Gefährt schon oft in Bestzeit Ihre lächerliche Schlammkugel angeflogen hat.« Früher mal. Jedenfalls hatte das der Vorbesitzer behauptet, um den Wert des klapprigen Frachters hochzuhandeln, während eines Sabacc-Spiels, bei dem er schwer verloren hatte. Landos gemieteter Droide hatte allerdings nicht annähernd die versprochene Geschwin-digkeit aus dem Schiff heraus geholt. Wahrscheinlich war ein Trick dabei. »Außerdem«, fuhr Lando fort, »weiß ich jetzt, wie ich mit diesem Baby umgehen muß. Ist vielleicht jemand an einem fast neuen Pilotdroiden interessiert?« Damit haben Sie hier kein Glück, Millennium Eff. Die Mietge-sellschaft aus dem Oseon hat hier zwar keine Niederlassungen, hier die Verträge gelten trotzdem. Sie müssen das Ding mit Expreßpost zurückschicken. Teurer Spaß. Over and out.« Es war nicht ganz so schlimm, wie er befürchtet hatte. Lando schickte den Droiden mit normaler Post zurück, nachdem er die zusätzliche Mietzeit gegen die Transportkosten aufgerechnet hatte. Der Abend war schon angebrochen, als er das erledigt hatte,

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dies und den offiziellen Papierkram, den es überall gibt, wo man das Wort »zivilisiert« noch für ein Kompliment hält. Und jetzt würde er sich entspannen. Das hatte er auch nötig, nach dieser Reise mit einem vertrottelten Roboter. Er würde sich mit dem Gelände vertraut machen. Es bedeu-tete für ihn, sein Territorium abzustecken und jene sicheren Geld-quellen ausfindig zu machen, die andere merkwürdigerweise als Glücksspiel betrachteten. Und morgen würde er sich um das Ge-schäft kümmern. Das Rafa-System war für drei Dinge berühmt: Erstens waren da die Lebenskristalle; zweitens gab es die riesigen Plantagen, auf de-nen sie geerntet wurden; und drittens gab es das, was man als »Rui-nen« bezeichnete, obwohl sich die kolossalen Monumente, die die Sharu hinterlassen hatten, in einwandfreiem Zustand befanden. Die Kristalle waren nichts Besonderes - wenn man die Verlänge-rung der menschlichen Lebensspanne um das Vierfache für »nichts Besonderes« hält. Ihre Größe variierte von einem Stecknadelkopf bis zu einer ausgewachsenen Faust, und angeblich sollten sie außerdem die Intelligenz stärken (oder vor Senilität schützen) und wunderschö-ne Träume schenken, wenn sie nahe am Körper getragen wurden. Sie konnten ausschließlich auf den elf Planeten, den dazugehöri-gen Monden und auf jedem anderen Felsbrocken mit ausreichender Atmosphäre im Rafa-System gezüchtet werden. Die Plantagen waren fast ebenso berühmt - ungefähr so berühmt wie Guillotinen, Gaskammern, Nervenfolter und der elektrische Stuhl. Eine Automatisierung der Arbeit war nicht möglich - die Kris-tallernte war eine kräftezehrende und sklavische Beschäftigung. Trotzdem lohnte sich der Anbau, denn es gab eine nie versiegende Quelle für billige Arbeitskräfte. Zwei Quellen, um genau zu sein: die

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subhumanen Eingeborenen des Rafa-Systems und die kriminellen und politischen Straftäter aus Millionen anderer Sonnensysteme. Das Rafa war, ganz nebenbei, eine Strafkolonie, wo ein lebens-längliches Urteil den sicheren Tod bedeutete. Dies wußte jedes Schulkind im zivilisierten Universum - jeden-falls jene kleine Minderheit, die sich für solche Details begeistern konnte, sinnierte Lando, während er die Falcon für die Nacht sicher-te. Dann spazierte er über den noch warmen Asphalt zu dem Schutz-feld, das den Raumhafen umgab. Dort wollte er das öffentliche Ver-kehrsmittel nach Teguta Lusat nehmen, der Hauptsiedlung der sys-temweiten Kolonie. Ein alter, sehr alter Mann lehnte über einem Reisigbesen am Ran-de der Rollbahn, nur mit einem fleckigen Lendenschurz bekleidet. Er sah gelangweilt auf, als Lando an ihm vorbeiging, blickte dann wie-der zu Boden und fuhr fort, ohne jeden ersichtlichen Sinn Laub und losen Schotter auf dem Asphalt hin und her zu schieben. Die untergehende Sonne erzeugte bizarre Schatten auf den viel-farbigen fremden Gebilden, die überall, wohin man gerade schaute, Vordergrund, Hintergrund und Horizont bildeten. Pyramiden, Kuben, Zylinder, Kugeln, Hyperbeln, alles erschien in den brillantesten Far-ben. Das kleinste dieser monumentalen Bauwerke war weit höher als das größte Gebäude, das lebende Wesen irgendwo sonst in der Gala-xie erschaffen hatten. Und das, was man hier als Stadt bezeichnete, lag verschämt in die winzigen Zwischenräume dieser »Ruinen« ge-preßt. Unter einem klaren Sternenhimmel stieg Lando in den offenen Hoverbus. Er war in seine zweitbeste blaue Satin-Uniformhose ge-kleidet, die sich über seinen kniehohen Stiefeln aus Bantha-Leder wölbte, und dazu trug er einen weichen, weißen Umhang hohem Kragen und eine dunkle Samtweste. In seinem verzierten Gürtel steckten genug Credits für ein mittelmäßiges Spiel - und der kleine

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fünfschüssige Strahler, den er als einzige Waffe bei sich trug. Män-ner, die größere Waffen trugen, neigten dazu, mit ihnen statt mit ih-rem Kopf zu denken, das war Landos kurze, aber zutreffende Erfah-rung. Er war allein im Bus und machte es sich auf seiner Bank bequem. Er war sich nicht sicher, ob ihm der Ausblick gefiel oder nicht. Der Verkehr war nur ein spärliches Tröpfeln von Radfahrzeugen, Schwebern und Repulsoren. Die Passanten drängten sich auf den schmalen und schmutzigen Gehsteigen vor den Gebäuden, und Lando entdeckte viele unter ihnen, die wie der alte Mann mit dem Besen auf dem Raumhafen gekleidet waren. Vielleicht waren es ehemalige Gefangene, die ihre Strafe abgeleistet hatten. Der Bus surrte ins Zentrum von Teguta Lusat. Lando bezahlte den Droiden am Steuer, stieg aus und vertrat sich die Beine. Die Kolonie lag zwischen den uralten, künstlichen Bergen wie ein Ameisenhügel, den man aus dem Boden herausgekratzt hatte. Wie-viel man auch für die Verschönerung des Stadtbildes ausgegeben haben mochte (wahrscheinlich nicht viel), es wirkte lächerlich vor den riesigen, bunt schillernden Gipfeln, die den Ort überschatteten. Die Straßen waren schmal und verwinkelt, und die Menschenbehau-sungen, Büros und Läden umsäumten lediglich den Fuß jener titani-schen Mauern. Lando marschierte in die am wenigsten heruntergekommene Bar. Es war die übliche Kundschaft da. »Suchen Sie nach Ladung, Captain?« Der mechanische Barkeeper vom »Spaceman's Rest« polierte ein Glas. Flaschen und Container von über hundert verschiedenen Wel-ten glänzten verlockend im gedämpften Licht. Ein paar Menschen waren da - nicht sehr viele, denn es war Essenszeit, und Rafa IV war zum größten Teil ein Familienplanet – und füllten den Raum mit dem

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immer gleich klingenden, unverständlichen Murmeln. Lando schüt-telte den Kopf. »Schade, Captain. Was kann ich sonst für Sie tun?« »Geben Sie mir etwas, das brennt«, antwortete Lando. Er war beinahe kindisch darüber erfreut, daß man ihn sofort als Raumfahrer erkannte. Aber der Pessimismus des Roboters verwirrte ihn. Das hier war eine gesunde und gedeihende Kolonie mit beharrlich steigenden Exportraten. »Retsa, wenn Sie haben.« In einer Ecke schien derselbe beschürzte Mann über demselben Reisigbesen zu lehnen. »Sofort, Captain.« Gläserklirren folgte. Lando drehte dem Barkeeper den Rücken zu, legte seine Ellbogen auf die Theke und fragte über die Schulter: »Wo könnte ein netter Junge hier ein bißchen Spaß haben?« Er brachte das in seinem besten Kolonie-Akzent vor - wenn du dich in einer Hinterwäldlerstadt auf-hältst, mußt du dich noch hinterwäldlerischer benehmen als die Ein-heimischen. »Ich komm' grad vom Oseon; ich hab' den Abend frei.« »Wie frei?« Die optische Linse musterte Lando abschätzend. »Da hätten wir zum Beispiel Rosie's Joint, die Straße hinunter. Nette Re-vue. Sie brauchen nur bei dem großen roten Neonschild links -« Lando schüttelte den Kopf. »Später vielleicht. Mir wäre eher nach einem Spiel zumute - vielleicht Sabaccl Die Jungs zu Hause sagen, daß ich nicht schlecht spiele.« Zynismus lag in der Stimme, wenn auch nicht in den unbewegli-chen Zügen des Automaten, als er so tat, als würde er nachdenken. »Nun, Sir, ich weiß nicht recht...« Lando bot ihm den doppelten Preis für seinen Retsa. »Ich könnte etwas wissen - mein Speicher ist aber nicht mehr das, was er einmal war, und... « Lando legte den nächsten Chip auf die Theke. »Reicht das, um ihn wieder aufzuladen?« Der Chip schien sich in Luft aufzulösen.

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»Bleiben Sie hier, Captain. Machen Sie es sich bequem. Ich bin gleich wieder zurück. « Der Barkeeper verschwand fast so schnell wie vor einigen Au-genblicken Landos Geld.

Kapitel 2 Der frischgebackene Raumschiffpilot und besitzer hatte gerade sei-nen Drink genommen, sich einen dunklen, schweren Tisch aus künst-lichem Holz ausgesucht und sich gesetzt, nicht ohne die Bügelfalten an seiner Hose zu richten, als eine neue Gestalt auftauchte. Es war ein großes, leichenähnliches und fast menschliches Individuum, das in etwas Loses mit bunten Punkten gekleidet war. Die Punkte paßten überhaupt nicht zu seinem orange gesprenkel-ten Gesicht. »Gestatten Sie mir, mich vorzustellen, Sir: Ich bin der Eigentümer dieses Etablissements.« Das Wesen strich über seine Schnurrbarte - es waren zwei in dem breiten Raum zwischen Oberlippe und Nase -, setzte sich auf den Stuhl links neben dem Spieler und zündete sich eine lange, grüne Zigarette an. Der junge Spieler registrierte mit heimlicher Belustigung, daß sich der Bursche überhaupt nicht vorge-stellt hatte. »Mir ist zu Ohren gekommen«, sagte der Fremde, »daß Sie sich für die wissenschaftlichen Theorien in Zusammenhang mit dem Phä-nomen der Wahrscheinlichkeit interessieren.« Lando hatte sich schon gefragt, wie das Thema wohl diesmal um-gangen würde.

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Er lehnte sich mit einem zuversichtlichen Grinsen zurück, wieder ganz der selbstbewußte Hinterwäldler, legte seine Füße auf den Stuhl rechts neben sich und zwinkerte vielsagend. »Rein wissenschaftlich, mein Freund. Ich bin Raumfahrer von Beruf, Astrogator, darum ist es nur natürlich, daß ich mich dafür in-teressiere. Vor allem reizen mich die Verwandlungs- und Kombina-tionsmöglichkeiten der Zahl achtundsiebzig bei zwei Konstanten. Fünf sind unberechenbar. »Aah... Sabacc.« Der Barbesitzer zog lange an seiner Zigarette und stieß dann gemächlich den orangefarbenen Rauch aus. »Ich glaube, wir könnten Sie sofort in... äh... unsere Forschungsgemein-schaft aufnehmen.« Er machte eine Pause, als wäre ihm das, was jetzt kam, peinlich. »Aber zuerst, Captain... nun, eine unbedeutende Formalität: den Namen Ihres Schiffes bitte, nur zur Identifikation, versteht sich. Es gibt hier ein paar diktatorische, wissenschaftsfeind-liche Gegner der freien Forschung -« »Mit Helm und Blaster?« Er lachte. »Millennium Falcon, Stand-platz siebzehn. Ich heiße Calrissian, Lando Calrissian.« Der Barbesitzer befragte ein Datengerät an seinem ungewöhnlich verwachsenen Handgelenk. »Es ist mir eine Ehre, Captain Calrissian. Und Ihr Vermögen ist, wie ich sehe, mehr als ausreichend, um unser - äh - Forschungsvorhaben zu finanzieren. Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Überall in der Galaxie sieht es gleich aus, dachte Lando. Ein klei-nes Hinterzimmer, smaragdgrüner Filzbezug auf den Tischen, eine tiefhängende Lampe, rauchgeschwängerte Luft. Bei einem einiger-maßen ehrlichen Spiel war das Haus mit einem geringen Prozentsatz am Gewinn beteiligt, wie auch die Polizei. Das Gespräch des Barbe-sitzers mit Lando hatte nur dazu gedient, seine Zahlungsfähigkeit zu prüfen. Nur die Zusammensetzung der Rauchschwaden unterschied sich von System zu System, und das auch nicht so sehr, wie man es

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eigentlich erwartet hätte. Mit seinem Raumschiff konnte Lando in-zwischen notdürftig umgehen. Über Asteroidenbergbau oder Le-benskristallzucht dagegen wußte er nichts. Aber hier - wo immer dieses »hier« auch war - war er zu Hause. Er nahm seinen Platz am Tisch ein. Außer ihm saßen dort noch drei andere Spieler, und eine Handvoll Zuschauer füllte den Raum, die sich aber mehr für ihre Drinks als für das Spiel interessiertet. Er legte ein paar Credits auf die grüne Flä-che. Die Karten wurden ausgeteilt. Er erhielt das Säbel As, die Amphore Vier und Endurance - die Minus acht zählte. Das macht elf. Noch eine«, sagte Lando betonungslos. Er zog die Stab Sieben, die sofort erlosch und sich in den Münz König verwandelte. Sabacc! Mein Gott, ist das etwa Anfängerglück?« Er erlaubte es sich sogar, seine Stimme aufgeregt klingen zu lassen, als er den klei-nen Geldhaufen zu sich hinschob und dann die Karten nahm, um sie zu mischen. Er verlor wohlüberlegt die drei nächsten Spiele. Es war nicht leicht. Er mußte zweimal ganze dreiundzwanzig Punkte ablegen. Er hätte es vielleicht ein drittes Mal tun sollen, wenn er nicht schon vierzehn Punkte in der Hand gehalten hätte, betend, daß die Karten ihre Werte nicht mehr veränderten. Seine Gegner dachten, sie hätten den Richtigen erwischt. Das hatten sie auch - aber anders, als sie es sich vorgestellt hatten. Es war einer jener Abende, an denen sich der junge Spieler fühlte, als wäre er durch und durch aus Glück gemacht, bis unter die Kopfhaut vollgestopft mit knisternden Elektronen und subnuklearem Feuer. Er erhöhte die Einsätze langsam, um seine Mitspieler nicht zu verschre-cken, und verlor immer wieder die kleineren Spiele, um dann lang-sam, aber stetig zu gewinnen. Die Drinks gab es umsonst, eine Aufmerksamkeit des Barbesit-zers. Die Bar hieß zwar »Spaceman's Rest«, aber mindestens zwei der Spieler waren Einheimische, die wahrscheinlich die Gewinne, die

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sie den Raumfahrern abnahmen, mit dem Wirt teilten. Dasselbe Glas Retsa, mit dem Lando den Abend begonnen hatte, stand jetzt, mit frischen Eiswürfeln und mit Kondenswasser überzogen neben seinem rechten Ellbogen. »Sabacc«, flüsterte Lando und klatschte die drei Karten auf den Tisch, Gesicht nach oben. Es war ein klassisches Blatt: der Clown, die Hauptkarte mit null Punkten, und eine Stab Zwei und die Säbel Drei - macht automatisch dreiundzwanzig. »Damit sind meine Tanks leer«, grunzte der Spieler ihm gegen-über. Es war ein kleines teigiges Wesen mit zart purpurner Haut Wie der Spieler trug auch er die Uniform eines Raumschiffoffiziers. Trotz der abendlichen Kühle bildete sich eine feine Schweißspur auf seiner Stirn. »Es sei denn, Sie wären an einer kleinen Ladung Lebenskris-talle interessiert.« Lando schüttelte den Kopf und zupfte seinen Ärmel gerade. Zu-erst ein klappriger Frachter, dann ein Roboter, den er noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte, und jetzt eine Ladung Ärger mit den örtlichen Behörden. »Tut mir leid, mein Freund, aber Geld oder nichts. Geschäft ist Geschäft - und Sabacc ist Sabacc.« Diese abrupte Verwandlung eines unbeholfenen (wenn auch mit Glück gesegneten) Amateurs in einen harten Profi überraschte zu-mindest einen seiner Mitspieler. Es handelte sich um ein kakeliges, asymmetrisches Gemüsewesen aus einem System, an dessen Namen sich der junge Spieler nicht mehr erinnerte. Es plazierte drei blatt-förmige Hände auf den Tisch - Lando fand, daß die drei verschiede-nen Grünschattierungen überhaupt nicht zueinander paßten - und gurgelte durch einen elektronischen Synthesizer, der an seinem knorrigen Stamm ange-bracht war.

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»Arrr, Captainschifflichkeit, seien Sie ein Sportsmann!« Es wand-te dem kleinen Techniker sein blütenumrahmtes Gesicht zu. » Verneinigung gibt diesem Menschen schlechte Überlegung. Wertvol-le Ladung, ohne Widersprüchlichkeit.« Die dritte Spielerin, eine scharfgesichtige Blonde mit einem dau-mengroßen Lebenskristall um den Hals, nickte zustimmend. »Sicher, Phyll«, antwortete Lando, ohne die Frau zu beachten. »Sind Sie auf diese Weise auch zu dem ausgezeichneten Übersetzer gekommen, den Sie tragen - bei einer Runde Sabacc}« Das Pflanzenwesen zuckte zusammen. »Wie verstehen Sie je-nes?« »Nur mit Mühe.« Er machte eine Pause und ließ sich das Angebot trotzdem durch den Kopf gehen. Für einen Spieler, vor allem wenn er ehrlich und erfolgreich zugleich war, war guter Wille ein entscheidendes Kapital. »Na gut beim Chaos! Aber nur dieses eine Mal, verstanden?« Der formlose Bursche nickte begeistert; aber er blieb trotzdem nur noch zwei Runden am Tisch. Als er zur Tür hinausgehen wollte, langte er in seine Tasche und reichte Lando einen Ladeschein und ein paar offizielle Dokumente. »Die Ladung liegt unten am Hafen, Captain. Vielen Dank für das Spiel. Sie sind ein wahrer Sportsmann, Captain Calrissian, bei der universalen Entropie, das sind Sie.« Lando lag jetzt ungefähr siebzehntausend Credits vorn und war bereit, sich so höflich wie möglich - und so entschieden wie nötig - aus dem Spiel zurückzuziehen, so daß er das kleine Wesen kaum hörte. Auf dem Filzbezug vor ihm lag beinahe der Wert der Millen-nium Falcon. Pfeif doch auf das interstellare Frachtgeschäft! Sollte sich doch jemand anderes um Landgenehmigungen und Frachtpapie-re kümmern. Er war ein Spieler!

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Und das war ganz bestimmt besser, als Mynocks von einem Schiff abzuschaben. Kurz nach Mitternacht marschierte Lando ein paar Blocks weiter zu dem halb luxuriösen »feinsten Hotel« von Teguta Lusat. Es war eine Empfehlung des Bardroiden. Eine Hand lag fest auf den Credits in seiner Tasche, die andere auf seiner kleinen Waffe. Er glaubte nicht, daß Teguta Lusat so eine Stadt war, aber solche Leute gab es überall. Hinter ihm schlurfte das ungewöhnlichste Wesen der mechani-schen Subspezies, das er jemals gesehen hatte. »Vuffi Raa, Meister, Roboter Klasse Zwei Multiphasic, zu Ihren Diensten!« Die Transportgesellschaft mit ihren Lagerräumen lag direkt auf dem Weg zum Hotel. Der Spieler hatte es für eine gute Idee gehalten, den gewonnenen Droiden gleich abzuholen, damit er am nächsten Morgen mehr Zeit hatte. Jetzt war er nicht mehr über-zeugt, daß die Idee tatsächlich so gut war. Manche Sachen betrachtet man sich lieber bei Tageslicht. Das Ding war vielleicht einen Meter groß und reichte Lando bis an die Hüfttasche - die genaue Größe war schwer auszumachen, da es seine fünf Tentakel auf die verschiedensten Höhen und in den ver-schiedensten Winkeln heben konnte. Es ähnelte einem abgemagerten Seestern mit wellenförmigen Tentakeln - die ihm gleichzeitig als Arme und Beine dienten -, die an einen tablettgroßen fünfseitigen Torso geheftet waren, auf dem ein einzelnes facettiertes rotes Auge glühte. Das Ganze bestand aus vernietetem, glänzendem und blank-poliertem Chrom. Unglaublich geschmacklos, dachte Lando. »Die meisten Menschen«, hatte er bemerkt, als das Ding aus sei-nem Schließfach geklettert war, »haben vergessen, daß>Droide< die Kurzform von >Androide< ist, und das bedeutet >menschen-gleich<!« Es streckte seine langen, metallisch geriffelten Glieder fast wie ein lebendiges Wesen aus und betrachtete sorgfältig die Spitzen

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seiner konisch zulaufenden Tentakel. »Und was ist das überhaupt für ein Name für einen Roboter: >Vuffi Raa<? Hast du keine Nummer?« Es betrachtet ihn von unten herauf, als sie an dem senilen Nacht-wächter vorbei und durch die automatischen Glastüren nach draußen gingen. »Es ist eine Nummer, Meister, in dem System, in dem man mich hergestellt hat - als genaues Ebenbild meiner Schöpfer. Ich wünschte, ich könnte mich noch daran erinnern, wo das war: Sie müssen wis-sen, daß ich vorzeitig in meinem Versandkarton aktiviert wurde, bei einem Angriff von Raumpiraten auf unser Schiff. Das scheint sich auf einige meiner programmierten Erinnerungen ausgewirkt zu ha-ben.« Wunderbar, dachte Lando, während er sein Hotelzimmer auf-sperrte. Ein Schiff, das er nicht fliegen konnte, und ein Roboter mit Gedächtnisschwund. Womit hatte er das verdient - egal, er wollte es gar nicht wissen! Das Hotel Sharu war nichts Besonderes, aber es wurde als das beste Hotel am Ort betrachtet, und Lando mußte sich vor seinen Kunden,wie er sie bezeichnete, repräsentieren. Er dachte nach: In diesem Zeitalter war es gut möglich, daß ein Roboter wie Vuffi Raa so oft verkauft, verloren, wiedergefunden und wiederverkauft wurde, daß er schließlich in einer völlig unbekannten Kultur landete. Oder von dort kam, wie es hier anscheinend der Fall war. Er konnte sich an keine intelligente Rasse erinnern, die auch nur im entferntesten wie Vuffi Raa aussah. Irgendwie hoffte er auch, dass er nie mit diesen Wesen zu tun haben würde. Aber, beruhigte sich das war auch so unwahrscheinlich wie zwei weiße Elefanten zum Früh-stück. Was die Millennium Falcon betraf, so hatte er bereits eine ent-scheidung gefällt.

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Das Gespräch während des Spiels war wie immer sparsam gewe-sen. Aber eines war schon offensichtlich, bevor er noch die Kristalle gegen ein paar Credits eingetauscht hatte. Die Kristallplantagen wur-den von ungelernten Arbeitskräften und den halb debilen Ureinwoh-nern des Rafa bearbeitet - er fragte sich, ob er eines dieser Wesen zu Gesicht bekommen würde, während er hier war, und kam zu demsel-ben Schluß wie bei Vuffi Raas Schöpfern -, die von Gefangenen aus anderen Systemen beaufsichtigt wurden. Das ganze Unternehmen war ein Monopol der Kolonialregierung. Soweit Lando bekannt war, wurden die Kristalle nur über die staatliche Speditionsgesellschaft transportiert (wie immer sie auch hier heißen mochte), und freie Frachtfirmen kamen nicht zum Zug. Es war also besser, nicht mit dieser Ladung herum zu prahlen. Na ja, ihm war das egal. Morgen würde er die Ladung verkaufen. Das Türfeld summte leise, und das Bett senkte sich mit kyberneti-scher Gastfreundschaft. Lando zog sich aus und überwachte auf-merksam, wie der automatische Schrank seine Kleider behandelte. Vuffi Raa bot sich als Kammerdiener an. Die Fähigkeiten dazu wa-ren in seine Klasse Zwei-Speicherung eingeschlossen, die ungefähr dem menschlichen Intelligenzgrad und der menschlichen Gefühlsre-aktion entsprach. Aber Lando lehnte dies ab. »Ich habe seit langer, sehr langer Zeit keinen Diener gehabt mein feiner vielgliedriger Droid, und ich werde auch in Zukunft keinen brauchen. Ich fürchte, daß du noch einmal deinen Besitzer wechseln wirst, und zwar gleich morgen früh. Das ist nicht persönlich gemeint, aber du solltest dich schon an den Gedanken gewöhnen.« Der Roboter verneigte sich ehrerbietig. Er fand eine leere Ecke im Zimmer und verfiel in jene reglose Halbaktivierung, die für einen Automaten Schlaf darstellt. Das rote Licht wurde schwächer, es ging aber nicht ganz aus.

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Lando streckte sich auf dem Bett aus, und Träume von unentdeck-ten Schätzen geisterten durch seinen Kopf. Natürlich, dachte er, wa-ren die Kristalle nicht die einzige mögliche Fracht, die er von diesem Planeten mitnehmen konnte. Die alten Ruinen waren angeblich nicht zu betreten, aber die Rasse, die sie erbaut hatte, hatte nebenbei das ganze System mit kleinen, transportierbaren Kunstgegenständen übersät, und zwar nicht zu knapp. Vielleicht würde sich ein Museum dafür interessieren - wie auch für die primitiven Statuetten und Werkzeuge, die die wilden Einge-borenen herstellten. Hochentwickelte Vergangenheit und primitive Gegenwart - ein faszinierender Kontrast. Aber der Schatz... Und wenn er schon dabei war, es gab auch noch ein paar kolonia-le Sachen, für die er sich interessieren könnte. Aber das bedeutete, daß er durch das ganze System ziehen mußte, nur um eine Handvoll davon einzusammeln - was mit plötzlichen, schnellen und vielleicht sogar gefährlichen Starts und Lan-dungen verbunden war, ermahnte er sich selbst. Natürlich gab es da noch diesen Schatz... Nein. Das Beste war, beim ursprünglichen Plan zu bleiben: Er mußte einen Käufer für die Falcon finden. Für eine kurze Zeit war es ein schöner Spaß gewesen, ein eigenes Schiff zu besitzen. Aber er war kein wirklicher Raumkapitän, und als private Yacht war sie viel zu teuer für ihn. Außerdem brauchte er keine. Und er mußte jeman-den finden, der ihm einen guten Preis für Vuffi Raa zahlte. Vielleicht derselbe Idiot - Kunde. Dann würde er sich ausschiffen, mit zehntau-send Credits in den Taschen, auf dem nächsten Linienschiff. Mit einem kurzen Pfiff schaltete er das Licht aus, doch dann kam ihm noch ein Gedanke. »Vuffi Raa?« Das kaum hörbare Summen wurde wieder lauter. »Ja, Meister?« Das rote Auge glühte in der Dunkelheit.

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»Nenn mich nicht Meister - mir wird schlecht davon! Kannst du zufällig ein Raumschiff fliegen? Sagen wir, einen kleinen umgebau-ten Frachter?« »Wie Ihre Millennium Falcon!« Es entstand eine Pause, während der Droid sein Programm durchging. »Ja, äh... wie soll ich Sie denn ansprechen, Sir?« Lando drehte sich zur Wand, um das Lächeln auf seinem Gesicht vor dem Droiden zu verbergen. »Nicht zu laut, Vuffi Raa, und nicht vor neun Uhr morgen früh. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Meister.« KRAASCH! Das Türfeld überlud sich, bog sich nach innen und spuckte das Paneel in den Raum, während die Scharniere aus dem Türstock sprangen. Lando erwachte augenblicklich. Er setzte einen Fuß auf den Bo-den und tastete mit einer Hand nach dem Strahler auf seinem Nacht-tisch, noch ehe er einen Gedanken gefaßt hatte. Vier uniformierte Gestalten, die Körper mit einem flexiblen Brust- und Rückenpanzer geschützt, stampften über die rau-chenden Überreste der Tür und schalteten mit einem Pfeifen die Beleuchtung ein. Auf ihren Körperpanzern trugen sie die Insignien der Kolonialen Friedenswache. In ihren Händen hielten sie häßliche, viel zu große Militärblaster, deren Mündungen direkt auf Landos Bauch gerichtet waren. Lando zog seine Hand vom Nachttisch zurück, schnell, aber ohne hastige und vielleicht mißverständliche Bewegungen zu machen.

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»Lando Calrissian?« fragte ihn eine der behelmten Figuren. Er schaute auf die Türsplitter, die am Boden lagen. »Wäre es nicht peinlich, wenn ich es nicht - ähm, ich habe es mir überlegt: Ja, verehrte Wesen, ich bin Captain Calrissian, in Fleisch und Blut und mit der Hoffnung, dies auch weiterhin zu bleiben. Ich freue mich immer, wenn ich jemandem behilflich sein kann, vor al-lem, wenn es sich dabei um die Behörden dieses Planeten handelt. Was kann ich für Sie tun?« Ohne daß sich die Mündung seiner Waffe bewegte, trat dasWesen, das die Frage gestellt hatte, an sein Bett. Seine Freunde beeilten sich, die entstandene Lücke sofort zu schließen. »Besitzer des Frachters Millennium Falcon, Stellplatz siebzehn, Teguta Lusat Interstellar -« »Genau der. Ich -« »Mund halten. Sie stehen unter Arrest.« »Sehr angenehm, Officer. Wenn ich nur meine Hosen anziehen dürfte - wenn es Ihnen keine Umstände macht. Ich freue mich auf jede Frage, die mir Euer Ehren zu stellen wünschen. Denn das ist mein Motto: Immer die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Helfen Sie Ihrer Poliz- umpffh!« Der große Bulle stieß Lando den Blaster in den Magen und ließ seine geballte Faust folgen. Eine zweite Gestalt begann die Beine des hilflosen Spielers zu bearbeiten. Die beiden anderen gingen um das Bett herum und machten sich von der Seite her an ihm zu schaffen. »Au! Ich sagte friedlich - aahh! Ich - urgh! Vuffi Raa, hilf mir!« Der Roboter kauerte mit zitternden Tentakeln in seiner Ecke. Plötz-lich rollte er sich zusammen und sank zu Boden. Sein Licht ging aus. Landos auch.

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Kapitel 3 Fett Fett und häßlich und mächtig - jedenfalls in diesem System, er-mahnte sich Lando mit einem leisen Stöhnen, als ihn zwei der be-helmten Gestalten vor Duttes Mer schleppten, den Colonial Governor des Rafa. Lando hatte bis jetzt keine Zeit - und keine Lust - gehabt, X Schmerzen genauer zu lokalisieren, die ihm seine Bekanntschaft mit der Kolonialpolizei eingebracht hatte. Wahrscheinlich war er vom Hals bis zu den Fußgelenken grün und blau. Wenn du es schaffst, in einem System keine Schwierigkeiten zu bekommen dann hast du sie im nächsten, und zwar genau in dem Augenblick, in dem du am we-nigsten damit rechnest. Es tat ziemlich weh. Aber es wurde ihm bewußt, daß es trotzdem keine ernsthaften Verletzungen waren, keine Brüche, nichts, was Spuren hinterlassen würde, wenn sie ihn wieder freiließen. Man hatte ihn gründlich und professionell verprügelt. Obwohl es ihm vorgekommen war, als wür-den die Schläge niemals enden, war es doch nur eine rein erzieheri-sche Maßnahme gewesen, ein paar gut plazierte Argumente, die ihm klarmachen sollten, daß er vollkommen der Gnade der Polizei ausge-liefert war. Er hatte sich mit dem Blut aus seiner Nase bekleckert, weil er gegen den Türrahmen gestoßen war, als sie ihn aus seinem Zimmer hinausbefördert hatten. Weil er jede weitere Auseinandersetzung vermeiden wollte, wünschte er, sie würden ihm eine Plastikfolie un-terlegen, damit er mit seinem Blut nicht den hübschen importierten Teppich des Governors ruinierte. Der Teppich war übrigens das ein-zige Schmuckstück in dem ansonsten kahlen und zweckmäßig einge-richteten Büro.

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Es mußte einen Schlüssel zu dem Vorgehen geben, aber Landos Kopf arbeitete nicht präzise genug, um ihn zu finden. Der Governor blinzelte. »Lando Calrissian?« Wenigstens schienen alle hier seinen Namen zu kennen. Es war eine überraschend hohe, leise Stimme, gemessen an dem gewichtigen Brocken, zu dem sie gehörte - und vielleicht ein bißchen zu nervös, dachte Lando, als es unter den gegebenen Umständen angemessen war. Spieler wenden solchen Details mehr Aufmerksamkeit zu als jeder Psychologe. Das müssen sie auch. Der Governor war mit dicken Muskeln bepackt, unglaublich breit und erinnerte mehr als alles andere an einen verwitterten Baum-stumpf, dessen spärliche Krone aus feinem, fast federartigem Haar bestand. Wahrscheinlich hielt er seine Karten immer dicht vor seine Brust, ging nie ein Risiko ein und war ein gnadenloser, ungefälliger Spieler. Wenn sich das Blatt wendete, würde er wie ein Baby heulen. Lando kannte die Sorte. Aber im Augenblick half ihm dieses Wissen auch nicht weiter. Er warf den uniformierten Visierträgern einen schüchternen Blick zu und sah dann wieder auf den Governor. Es macht überhaupt nichts, wenn ein Kraftprotz im Grunde seines Herzens ein Feigling ist - solange er am längeren Hebel sitzt. Der Governor blinzelte, hob einen klotzigen Arm und wiederholte die Begrüßung - oder war das schon die Anklage? »Lando Calrissian?« »Das erste A ein bißchen flacher«, antwortete Lando beherzter, als ihm eigentlich zumute war. »Und ein bißchen mehr Betonung auf der zweiten Silbe des Nachnamens. Üben Sie weiter, Sie werden es schon schaffen.«

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Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte Blut. Sein Kopf schmerzte wie alles andere auch. Augen, groß wie Eier unter dem strohigen Haar, stierten ihn ausdruckslos über den unmög-lich zerbrechlichen Transparent-Plastiktisch hinweg an. »Lando Calrissian, wir haben hier eine Liste von sehr schwerwie-genden Anklagen, die man gegen Sie vorgebracht hat. Sehr schwer-wiegenden Anklagen. Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung zu sa-gen? Der Governor blinzelte wieder, als er fertig war, diesmal, als ob ihm schon der Anblick von Lando Calrissian körperliche Schmerzen bereiten würde. Der junge Spieler verkniff sich eine zweite bissige Antwort. Er war sich nicht bewußt, in der letzten Zeit etwas Illegales getan zu haben. Nicht, daß er besondere Skrupel hatte, gegen das Gesetz zu verstoßen: Es gab einen Haufen dämlicher kleiner Planeten mit einem Haufen dämlicher kleiner Gesetze. Es war ihm nur lieber - vor allem aus ästhetichen Gründen - wenn er festgenommen wurde, weil er tatsächlich etwas getan hatte. Aus einem unbestimmten Gefühl heraus beschloß er, die zuvor-kommende Höflichkeit, mit der er schon bei den Polizisten so viel Erfolg gehabt hatte, mit etwas Wahrheit zu würzen. Man konnte ja nie wissen, vielleicht wirkte die Mischung bei diesem Fettsack. »Sir - Euer Exzellenz -, ich weiß nichts von irgendwelchen An-klagen. Ich habe mich nach bestem Wissen bemüht, nicht gegen die Gesetze dieses Planeten zu verstoßen.« Er beließ es dabei; eine Beschwerde würde alles nur noch kompliziertermachen. Der Governor blinzelte. Lando öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen. In diesem Augenblick rutschte der Ärmel seines zerrissenen Schlafanzugs von seiner Schulter und baumelte höhnisch an seinem Arm. Lando

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schniefte, schob ihn mit der größtmöglichen Würde wieder zurück an seinen Platz und versuchte, ihn dort festzuhalten. Der Governor blinzelte. Der Raum war nicht groß. Es gab jeweils eine breite Tür - aber es war ja auch ein breiter Governor - an beiden Seiten des Schreibti-sches. Wie die Tür gegenüber, durch die Lando hereingeführt worden war, waren auch diese beiden in glatte unverzierte Alumabronze ge-faßt. Derselbe sparsame Schmuck umrahmte auch die Wandtäfelung, die Füße des Schreibtischs und die beklemmend hohe Zimmerdecke. Die Wände waren in einem galligen Gelb gestrichen, das gut zu den Augen des Governor paßte. An die Stelle von Vorhängen hatte man hinter den Fenstern Bilder von anderen Welten angebracht, wie Lando sofort bemerkte: grüne Kiesstrände, tief orangefarbene Him-mel, violette Vegetation. Ganze Welten des schlechten Geschmacks. Der Governor hatte anscheinend entschieden, daß er Lando jetzt genug durch sein Schweigen bestraft hatte. Er hob einen fetten Arm vom Schreibtisch hoch und betrachtete die Soldaten die den mißhan-delten Captain stützten. »Dann sollten Sie sich bemühen«, quäkte Duttes Mer bedrohlich, »Ihr Wissen erheblich zu erweitern, Sie junger Schuft!« Schuft, dachte Lando, gab es tatsächlich Leute, die Schuft sagten? Der Governor las einen Computerausdruck durch, der vor ihm auf dem Tisch lag und zog dann seine flaumigen Brauen hoch. »Eine beachtliche Leistung! Behinderung des Flugverkehrs bei der Landung, illegale Einfuhr gefährlicher Tiere, Mynocks, Captain, wahrhaftig? Abstellen eines interstellaren Raumschiffs ohne Geneh-migung der -« »Aber Governor!« Lando vergaß sich für einen Augenblick, wand sich aus dem Griff des linken Polizisten, erinnerte sich dann wieder daran, wo er sich befand, und drückte mit einem seltsamen Grinsen die Hand des verblüfften Wächters wieder um seinen Ellbogen.

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Plötzlich und vollkommen überrascht bemerkte er, daß der trans-parente Schreibtisch des Governors ganz aus riesigen, unbezahlbaren Lebenskristallen bestand - genug, um Hunderten von Menschen methusalemisches Alter zu schenken. Macht war also der Schlüssel. Das erklärte auch das kahle Büro. Geld und wertvolle Geschenke würden diesen Berg vergeudeter Kohlehydrate vor ihm nicht beein-drucken; allein die Aussicht, andere Menschen zu kontrollieren und in seiner Macht zu haben, konnte ihn verlocken. »Sir, ich hatte alle nötigen Erlaubnisse und Freigaben. Ich-« Wirklich Captain? Wo? Zeigen Sie sie mir, und ich werde die Anschuldigungen gegen Sie als gegenstandslos betrachten.« Lando sah an sich herunter, betrachtete sein Gerippe - plötzlich kam ihm der Gedanke, daß das vielleicht nicht das richtige Wort war - das ein taschenloser Pyjama verhüllte, der durch seine kurze Be-kanntschaft mit den Gesetzeshütern von Teguta Lusat nicht gerade ansehnlicher geworden war. Er sah wieder zum Governor auf. »Ich nehme nicht an, daß Sie mich zu meinem Hotel zurückgehen lassen... nein, das werden Sie nicht. Gut dann setzen Sie sich mit dem Raum-hafen in Verbindung. Dort sollte man -« »Captain«, seufzte der Governor mit gekünstelter Nachsicht, »auf dem Raumhafen gibt es keinerlei Unterlagen über irgendeine Erlaub-nis, die einem gewissen Lando Calrissian oder einer... « Er blättert wieder in seinen Unterlagen. »... einer Millennium Falcon erteilt wurden. Dessen bin ich mir vollkommen sicher, Sir. Um genau zu sein, ich habe persönlich angefragt.« »Oh«, sagte Lando kleinlaut. Langsam begann er zu verstehen. »Außerdem«, fuhr der Governor zufrieden fort und war jetzt ganz überzeugt davon, daß ihm sein Gegenüber aufmerksam zuhörte, »hat man uns davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie Teil einer Organisation sind, die illegale Ladung außer Landes schmuggeln will. Sie tragen eine verborgene Waffe - mein Gott, Captain, es steht gar nicht gut

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um Sie. Und schließlich: Widerstand gegen einen Polizeibeamten bei der Ausübung seiner Pflicht.« Der Governor bemühte sich, sein Gesicht gedankenschwer ausse-hen zu lassen, blickte dann wieder auf seine Liste, nahm einen Stift und machte sich eine Notiz. »Und Sie haben Ihre Hotelrechnung nicht bezahlt. »Was haben Sie dazu zu sagen?« Der Governor blinzelte und leckte sich voll Vorfreude die Lippen. »Ich habe verstanden«, sagte Lando, ohne sein Grinsen zu verber-gen. Er war wieder wesentlich zuversichtlicher, trotz - oder gerade wegen - der Anschuldigungen, die gegen ihn vorgebracht wurden. Der dicke Governor ließ bestimmt mit sich handeln. Setzen: »Meine Waffe lag auf dem Nachttisch, sie war nicht ver-borgen. Und wenn Sie mit Widerstand meinen, daß ich eine Beamten mit meinem Magen auf seine Faust geschlagen habe dann haben Sie mich drangekriegt. Kurz und schmerzlos. Governor. Sir.« Bieten: »Ausgezeichnet, Captain. Oder sollte ich lieber Mister Calrissian sagen? - Ich glaube nicht, daß Sie in der nächsten Zeit ein Schiff befehligen werden. Was halten Sie davon, Ihr Leben mit stumpfsinniger Arbeit auf den Lebensplantagen zu beenden, unter anderen Kriminellen, Schwerenötern und Unruhestiftern, wie Sie selbst einer sind.« Lando antwortete mit einem Grinsen: »Um die volle Wahrheit zu sagen, Sir, das würde mir nicht gefallen. Mir ist zu Ohren gekom-men, daß das Leben auf den Lebensplantagen diesen Namen nicht verdient.« Der Governor nickte. Dies war eine beachtliche Leistung für ei-nen Mann ohne Hals. »Wenn es dazu kommt, Captain - wenn es dazu kommt.« Aufdecken: »Ich glaube aber auch, daß Sie mir eine weniger un-angenehme Alternative bieten werden. Es sei denn, es ist hier üblich,

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friedliche Raumfahrer mit unsinnigen Anschuldigungen zu belästi-gen. Und wenn das so wäre, dann hätte ich vermutlich schon davon gehört.« Der Governor ähnelte jetzt einem stirnrunzelnden Baumstamm. »Greifen Sie mir nicht vor, Captain, das nimmt solchen Gesprächen den ganzen Reiz.« Lando stellte die Tasse auf die Untertasse, lehnte sich in dem wei-chen Stuhl zurück, den ihm ein Diener gebracht hatte und nahm ei-nen tiefen Zug von der importierten Zigarre, die ihm der Governor angeboten hatte. Manchmal war wirklich das ganze Leben ein einzi-ges Sabacc, und anscheinend begann jetzt eine Gewinnsträhne für ihn. Der Diener ein »Eingeborener« des Rafa - bot ihm neuen Tee an. Das hatte ihn überrascht (der Eingeborene, nicht der Tee.) Er stand mit dem Ausdruck erwartungsvoller Ergebenheit auf seinem bärti-gen, ansonsten leeren grauen Gesicht neben ihm. Lando schüttelte den Kopf. Noch eine Tasse, und er würde hinaus schweben. Noch ein Zug. »Was sagten Sie eben, mein lieber Governor?« Ich sagte eben, mein Freund - übrigens, sind die Kleider bequem? Ihr Gepäck wird gerade aus dem Hotel geholt. Aber wir sollten uns nicht bei unserem Gespräch stören lassen. Ich eben, daß wir von allen in-telligenten Wesen der Galaxie wohl die produktivsten, ermutiertesten und proteischsten sind.« »Allerativ außerdem auch, anscheinend.« Lando schnippte zwei Zentimeter grauer Asche in den Vakuum-Aschenbecher auf dem Schreibtisch des Governors. Mer ignorierte die Anspielung und wies auf den gebeugten und verwitterten Diener, der ohne ein Geräusch durch die Haupttür hinter Lando verschwand. »Betrachten Sie zum Beispiel die Toka - die man hier das >gebrochene Volk< nennt. Ihnen fehlt jeder Intellekt, jede Leidenschaft, jeder Wille. Sie alle haben das Aussehen von Greisen -

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weißes Haar, blasses, faltiges Gesicht, gebeugter kraftloser Gang. Aber das sind nur oberflächliche Merkmale - oder nicht? -, denn sie sind so von Geburt an. Sie sind eigentlich nicht mehr als zahme Haustiere. Man kann sie als Diener anstellen, aber sie sind keinesfalls für verantwortungsvolle Aufgaben zu gebrauchen. Und zum Ernten der Lebenskristalle. An-sonsten sind sie zu nichts nütze.« Lando rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her und ver-suchte, seinen geborgten Bademantel zu richten, um seine Nervosität zu verbergen. Er war aus dunkelrotem Samt hergestellt und mit sportlichen hellgrünen und - gelben Säumen versehen. Lando hoffte, daß er nie die Garderobe des Governors anlegen müsse. Er fragte sich, worauf der Governor eigentlich hinaus wollte. Er hatte schon tausend verschiedene Rechtfertigungen für Sklaverei gehört, in tau-send verschiedenen Systemen und ihm schien es, als besäßen auch die Toka jenen Funken aggressiver Intelligenz, der Menschen zu Menschen macht. »Sie sagten >zum Beispiel": Betrachten Sie zum Beispiel die Toka - meinen Sie nicht >im Gegensatz<?« Der Governor läutete nach einer neuen Tasse Tee. »Keineswegs, mein Freund, keineswegs. Die Toka sind schon zufrieden wenn sie Futter bekommen wie die Tiere, und sie sind bereit sich zu Tode zu arbeiten, wenn man es von ihnen verlangt. Man braucht nur noch ein paar Gefangene von anderen Welten als Aufseher und ein paar Droiden für die mechanischen Arbeiten.« Lando gab ein kurzes, zynisches Grunzen von sich. Er hatte ge-hört, daß die Arbeit auf den Lebensplantagen den Lebenswillen aus den Arbeitern sog. Die meisten menschlichen Gefangenen hatten darum lediglich überwachende Aufgaben, wie es der Governor ange-deutet hatte. So war es auch mit den meisten inhumanen Wesen, die hier ihre Strafe ableisteten. Die paar »speziellen« Gefangenen, die zu

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körperlicher Arbeit verurteilt worden sind, verwandelten sich inner-halb von ein, zwei Jahren in vollkommene Idioten. Den Toka machte die Arbeit anscheinend nichts aus. Sie waren schon Idioten. »Das muß für die Eigentümer der Lebensplantagen sehr ange-nehm sein«, bemerkte er. Mer sah Lando scharf an. »Die Regierung ist der Eigentümer der Plantagen, mein Junge. Ich dachte, das wüßten Sie bereits. Der Punkt ist nur, daß die Toka ebenso menschlich sind wie wir selbst.« Landos Unterkiefer klappte herunter. Er musterte den Diener, der dem Governor neuen Tee einschenkte, und der die Beleidigungen, die über seine Rasse geäußert wurden, überhaupt nicht zu hören schien. Wie konnte dieses ergebene, alte, gebeugte, graugesichtige Wesen mit seinem abgewetzten handgesponnenen Lendenschurz überhaupt menschlich sein? Der Governor blinzelte und schaffte es, trotzdem wie ein Arbeit-geber auszusehen. Er öffnete seinen Mund, um noch etwas zu sagen. Whaamm ! Die Luft wurde von einer Explosion, die das ganze Büro erschütterte zerteilt. Ein blendend heller Blitz; eine blau-Schwarze Rauchsäule stieg direkt neben dem Schreibtisch des Governors vom Boden bis zur Decke auf. O je, dachte Lando, was kommt jetzt?

Kapitel 4 »Genug!« kreischte die blauschwarze Rauchsäule und spuckte einen Schwärm kleiner orangener Funken in die Luft, die kurz aufleuchte-ten und dann erloschen. Ein Hexer von Tund, stöhnte Lando insgeheim, wie reizend. Die Hexer von Lund waren eine uralte, äußerst mysteriöse und ebenso

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langweilige Gesellschaft, und sie liebten solche Blitz-und-Donner-Auftritte. Der Rest der Rauchsäule verdichtete sich zu einer men-schenähnlichen Gestalt von Landos Größe. Der alte Junge hatte wahrscheinlich eine Rauchbombe ins Büro geworfen und war dann in dem dichten Nebel durch eine der Türen herein geschlichen. Niemand wußte genau, was für eine Rasse die Hexer von Tund waren oder ob sie überhaupt zu einer Rasse gehörten. Der Neuan-kömmling trug einen schweren grauen Umhang, der unten den Tep-pich fegte und die Form des Körpers darunter völlig verbarg. Seine turbanähnliche Kopfbedeckung war mit opalgrünen Bändern verziert, die sein Gesicht verdeckten. Nur die Augen waren zu sehen. Zu seiner eigenen Überraschung wünschte sich Lando, daß sie auch verdeckt wären. Der Auftritt des Hexers hatte zwar melodramatisch und lächerlich gewirkt, aber seine Augen sprachen eine andere, eine ernüchternde Sprache. Aus ihrer Tiefe leuchtete etwas - was? Eine Art unstillbarer Hunger, entschied der Spieler schaudernd. Die unergründlichen Höhlen betrachteten ihn einen Augenblick lang wie ein lästiges Insekt, das zertreten werden müßte. Dann wandten sie sich bösartig dem Governor Duttes Mer zu, der erschreckt blinzelte und blinzelte und wieder blinzelte. »Was soll das Gerede?« zischte eine eiskalte Stimme unter dem holzkohlefarbenen Umhang hervor. Lando konnte nicht entscheiden, ob es eine natürliche Stimme oder ein Sprachsynthesizer war. »Sag dieser Kreatur, was sie wissen muß, um uns zu dienen, und schick sie dann fort.« Die Gestalt des Governors verlor jede Form. Sein massiger Leib rutschte in seinem Stuhl umher, und die kurzen Stummelarme hoben sich in einer unbewußten und sinnlos abwehrenden Geste. Seine rie-sigen gelben Augen rollten panisch in ihren Höhlen herum, und die walnußbraune Farbe seiner Haut hatte sich in zartes Ahorn verwan-

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delt. Selbst seine feinen Haare schienen sich nervös auf seinem Kopf zu krümmen. »A - aber Euer Allmacht, ich -« »Erzählen Sie es ihm, Sie Idiot«, zischte der Hexer, »und damit Schluß.« Lando spuckte ein Stück der Deckenverkleidung aus, das sich bei dem Eintritt des Zauberers gelöst hatte. Mit all seiner Kraft wandte sich der Governor Lando zu, ohne allerdings seinen Blick von dem Zauberer zu wenden. »C-Captain Land-do Calrissian, erlauben Sie mir, I-Ihnen Rokur Gepta vorzustellen, meinen... meinen...« »Kollegen«, fauchte der Zauberer ungeduldig. Dieses Geräusch jagte eine Gänsehaut über Landos Rücken. Auch dem Governor schien es nicht gut zu bekommen. Er nickte hilflos, öffnete seinen Mund und sank dann in seinem Stuhl zusammen, ohne noch ein wei-teres Wort herauszubringen. »Ich sehe«, zischte der Zauberer, während er einen Schritt zur Lando zumachte, »daß ich diese Sache zu Ende bringen muß.« Er machte noch einen Schritt. Lando kämpfte gegen das Bedürf-nis, sich hinter seiner Stuhllehne zu verstecken. »Captain Calrissian, unser Freund, der Governor, hat Sie auf seine umständliche Weise über die seltsamen Eigenschaften der Toka unterrichtet. sie sind viel-fältig, das sollte ich ergänzen, und bemerkenswert. Was dieser Affe allerdings nicht erwähnt hat - den Kern der ganzen Angelegenheit -, ist ihre interessanteste und vielversprechendste Eigenschaft. SIE müssen sie kennenlernen. Trotz ihrer niedrigen Art befolgen und praktizieren sie einen alten Glauben, der, wenn man ihn genauer un-tersucht, nicht nur ihre gegenwärtige Hilflosigkeit klärt sondern auch große Schätze für den Tapferen und Wagemutigen bereithält. Sehr große Schätze.«

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Die unmenschliche Stimme erstarb mit einem letzten Zischen, als wartete der Sprecher auf eine Bemerkung oder eine Frage des Spie-lers vor ihm. Stattdessen saß ihm Lando schweigend gegenüber und zwang sich, ruhig in die wahnsinnigen Augen des Zauberers zu bli-cken, trotz der Magenkrämpfe, die ihn plötzlich plagten. Inzwischen hatte sich der Governor weit genug erholt, um auf einen Knopf in seinem Schreibtisch zu drücken und dem Toka-Diener, der kurz darauf erschien, zu befehlen, er solle noch einen Stuhl für seinen »Kollegen« bringen. Aber das alte Wesen ließ sich weder durch gute Worte (von denen der Governor nur wenige hatte) noch durch Drohungen (die er reichlich benutzte) dazu bewegen, auch nur einen Schritt näher an die unheimliche graue Gestalt heran-zutreten. Schließlich, nach einer peinlichen Pause, sah sich Mer dazu ge-zwungen, sich höchstpersönlich aus seinem breiten Bürosessel her-aus zu stemmen, einen Stuhl aus dem Nebenzimmer zu holen und ihn dem verhangenen Magier anzubieten. Lando bemerkte erheitert, daß der fette Beamte fast so viel Scheu vor der Nähe Rokur Geptas hatte wie der Toka. Lando dagegen versuchte sich zu entspannen, lehnte sich zurück und betrachtete seine Zigarre, die schon längst durch mangelnde Aufmerksamkeit ausgegangen war. Wieder tauchte der Toka-Diener auf, anscheinend aus dem Nichts, um sie anzuzünden und dann wie-der, unter dem strafenden Blick des Hexers zu verschwinden. Er wurde von dem leisen Schlurfen nackter Füße auf einem weichen Teppich begleitet. »Was für Schätze?« fragte Lando nach einer langen Pause. Es gelang ihm, uninteressiert zu erscheinen. Mehr als hundert wilde Spekulationen zogen durch sein Gehirn, während er das sagte aber er unterdrückte sie und wartete ab, was der Magier vorzutragen hatte.

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»Unter anderem«, flüsterte der Zauberer, »das Instrument aller Musikinstrumente.« Phantastisch, dachte Lando und schickte seine Spekulationen zum Teufel. Er hatte mit Diamanten, Platin oder Flammensteinen gerech-net; vielleicht auch mit Unsterblichkeit oder absoluter Macht; viel-leicht auch mit einer guten Zigarre. Nur nicht mit Pauken und Trom-peten. »Die Geistharfe der Sharu«, erklärte Gepta, nachdem er sich ge-setzt hatte, »ist seit ungezählten Jahrhunderten ein wichtiges Glau-bensobjekt der Toka. Wie Sie bestimmt wissen, geht die menschliche Besiedlung des Rafa - ohne die vielen anderen Spezies zu berücksichtigen – auf die frühen Tage der ehemaligen unseligen Republik zurück. Was die Historiker dagegen meistens vergessen, ist die Tatsache, daß bereits in der Zeit davor, in jener chaotischen und kaum dokumentierten Spanne des Aufbruchs, viele Expeditionen durchgeführt und einige Kolonien gegründet wurden, wenn auch ohne Ziel und Plan. Als die republikanischen Kolonisten zum erstenmal ins Rafa kamen, mußten sie entdecken, daß es auf dem System bereits menschliches Leben gab. Die Toka. Ich muß dazu erklären, daß ich einige Dekaden lang andere mit der Beobachtung, Erforschung und Analyse der Toka-Rituale beauf-tragt hatte - Anthropologen, Ethnologen und so weiter, die zum größ-ten Teil in der Strafkolonie lebten und darum gerne bereit waren, die Last ihrer Strafe zu erleichtern -, da ich glaubte, daß diese Arbeit auf lange Sicht Früchte tragen. Überall im zivilisierten Raum habe ich Zeit und Geld für solche Forschungen investiert. Die Toka kennen als Wilde, die sie sind, keine oder kaum eine soziale Organisation. Manchmal aber, in unvorhersehbaren Intervallen versammeln sie sich in kleinen Gruppen, um ihre rituellen Gesänge vorzutragen. Dies

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ist allem Anschein nach ein weitergegebenes Erbe, das inzwischen jeden Sinn verloren hat. Ihre Legeenden erzählen, daß sie ursprüng-lich aus einem anderen Teil der Galaxie kamen - Möchtegernpioniere und Forscher, die das Wissen um die Technologie, derer sie sich da-mals bedienten, auf unbegreifliche Weise verloren. Aber auch sie fanden das Rafa bereits besiedelt vor. Ihre Erzählungen berichten von den Sharu, einer übermenschlichen Rasse, die uns in ihrer Ent-wicklung um Milliarden von Jahren voraus ist, die zu furchtbar ist, als daß man ihr gegenübertreten könnte, zu unverständlich, als daß man über sie nachdenken könnte. Die Sharu waren natürlich die Erbauer jener monumentalen Ge-bilde, die dieses System prägten. Sie taten dies in einem Architektur-stil, der uns zu fremd ist, als daß man den Sinn solcher Werke noch erfassen könnte. Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, ob der bloße Kontakt mit den Sharu die Toka zu einem gebrochenen Volk machte oder ob es die spätere überstürzte Flucht der Sharu war. Denn sie flohen. Die Legenden erzählen, daß sie etwas bedrohte, das noch schreck-licher war als sie selbst, etwas, das sie fürchten mußten, vielleicht eine andere Rasse, eine Krankheit oder etwas ganz anderes, über das wir nicht einmal Vermutungen anstellen können. Sie ließen ihre rie-sigen Bauwerke und die Lebensplantagen zurück, deren ursprüngli-che Funktion für uns so rätselhaft ist wie alles andere, was mit den Sharu zusammenhängt. Und schließlich auch die Toka, die durch die Erfahrungen, die sie mit den Sharu gemacht hatten, gebrochen und geschwächt waren«. Lando dachte über Geptas Worte nach, während er sich noch eine Zigarre anbieten ließ. Anscheinend war die Frage, was denn die Toka zu einem gebro-chenen Volk gemacht hatte, viel weniger wichtig als die nach dem

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Grund für die Flucht der Sharu. Der Gedanke, daß so etwas immer noch in der Galaxie herumhängen konnte, gefiel ihm nicht. Das Le-ben eines Raumschiffcaptains (das wußte er eigentlich nur aus zwei-ter Hand, nicht aus eigener Erfahrung) führte durch viele lange, ein-same Parsec in der Dunkelheit. Und es waren schon viele Schiffe verschwunden, ohne auch nur eine Neutrinospur zu hinterlassen. Der Toka-Diener umkreiste Gepta und zündete dann Landos Zi-garre an. Schließlich sagte Lando: »Und was hat das alles mit mir zu tun?« Aus den tiefen Falten seiner aschefarbenen Robe zog Gepta ein Objekt hervor, das ungefähr so groß war wie eine menschliche Hand. Es bestand aus einem leichten, glänzenden und fehlerlosen Metall. Diesmal blinzelte Lando. Wenn man es von der Seite her ansah, ähnelte das Ding einer gro-ßen, dreizinkigen Gabel - bis der Spieler es genauer betrachtete. Zwei Zinken oder vier? Oder vielleicht doch drei? Es war unmöglich, das Ding genau ins Auge zu fassen, und wenn er sich mehr als nur ein paar Sekunden darauf konzentrierte, bekam er Kopfweh. Gepta stellte das Objekt vorsichtig auf Duttes Mers Kristall-schreibtisch ab, wo es weiter pulsierte und zitterte, ohne sich zu be-wegen. Der Governor betrachtete es mit einer uninterpretierbaren Miene - etwas zwischen Mißfallen und Furcht. »Wir haben Grund anzunehmen«, zischte Rokur Gepta, »dass dieses Ding ein Schlüssel ist - vielleicht ist es eine Miniatur der Geistharfe selbst, aber das ist nur eine Hypothese. Es wurde.. <wie soll ich sagen... in einem anderen System erworben, von einem klei-nen schäbigen Museum. Aber ursprünglich kommt es aus dem Rafa-System, und es ist ein Erbe der Sharu. Das steht zweifelfelsfrei fest.« Irgendwie ohne daß man es ihm gesagt hatte, wußte Lando, dass sich hinter der knappen Erklärung, die Gepta ihm gegeben hatte, Bände von Abenteuern, Betrügereien und Täuschungen verbargen.

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Er zweifelte nicht daran, daß es besser war, diese Geschichten nie zu hören. »Ein Schlüssel«, wiederholte er. »Klar. Und welche Wunder er-schließt er, wenn man fragen darf?« »Man darf«, antwortete der Zauberer mit bedrohlichem Flüstern »Aber mit wesentlich mehr Ehrfurcht und Respekt als Sie das im Augenblick tun.« »Ich bitte tausendmal um Verzeihung!« Lando versuchte seine Stimme möglichst nicht sarkastisch klingen zu lassen, aber nur mit halbem Erfolg. »Sagt mir bitte, welches Schloß zu diesem Schlüssel paßt, ehrwürdiger Magier.« Gepta zögerte einen Moment und überlegte, ob Lando es wohl ernst meinte. Dann zuckte er mit den Achseln, als sei diese Frage ohne Bedeutung. »Wir haben Gründe, die darauf schließen lassen, daß dieses Ding uns Zugang zu der Geistharfe der Sharu verschaffen kann. Die Geistharfe ist Mittelpunkt von über tausend Ritualen der Toka. Diese Idioten glauben, daß man damit Musik produzieren kann, die so süß ist - ist das nicht köstlich -, daß sie selbst die härtes-ten Herzen erweicht, und das über Planeten hinweg.« Das Rafa war ein System, das aus vielen Planeten bestand. Aber wenn man an die vielen Millionen Kilometer absoluter Leere zwi-schen ihnen dachte, war es schwer, dieser Geschichte Glauben zu schenken. Lando hatte schon oft erlebt, wie Legenden aus dem Nichts entstanden waren. Gepta erwähnte auch, daß manche Legenden die Geistharfe als Kommunikationsinstrument zwischen den mächtigen Sharu und ih-ren menschlichen »Haustieren« beschrieben. Wie die Geistharfe ge-nau aussah und wo man sie suchen mußte, diese Fragen blieben un-beantwortet. Und Lando sollte die Antwort darauf finden. Oder so ähnlich.

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Lando, für seinen Teil, fragte sich, welchen Wert ein solch In-strument wohl für einen Zauberer haben mochte. Und fragte sich wieder, welche schreckliche, unbekannte Macht wohl die Sharu dazu getrieben hatte, wie verschreckte Mäuse aus ihre Löchern zu schie-ßen. »Okay«, antwortete er schließlich, »und was springt für mich bei der ganzen Sache heraus?« Der Hexer drehte sich langsam in seinem Stuhl, um Lando in den vollen Genuß seines Blicks kommen zu lassen. »Wie wäre es mit Ihrer Freiheit?« Zum erstenmal, seitdem er dem Zauberer einen Stuhl geholt hatte, fand Duttes Mer die Kraft zu sprechen. »Und Ihr Schiff nicht zu ver-gessen.« »Und Ihr Leben!« endete Gepta mit einem Zischen," das Landos Rückenmark erbeben ließ. Lando versuchte dies so weit wie möglich zu ignorieren und ant-wortete mit gespielter Gelassenheit: »Gut, zwei von den drei Dingen sind auch nicht schlecht. Ich wollte das Schiff sowieso verkaufen. Es bringt mir nicht das -« »Das werden Sie nicht tun, Sie törichter Sterblicher!« Gepta schien sich förmlich aufzublähen. »Das ganze System ist mit Sharu-Ruinen bedeckt. Wir haben immer noch nicht die leiseste Ahnung, wo die Geistharfe auf uns wartet. Sie könnten das Gefährt gut ge-brauchen, um -« »Okay, okay. Ich habe kapiert.« Insgeheim beglückwünschte sich Lando, weil es ihm gelungen war, den Hexer aus dem Konzept zu bringen. Er haßte es, wenn er von jemandem eingeschüchtert wurde und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, das so schnell wie möglich zu ändern. »Ich bekomme ein Schiff, das ich nicht will, und mein Leben und meine Freiheit. Das hatte ich alles auch schon, bevor ich dum-

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merweise in euer Bauernkaff gestolpert bin. Ich möchte wirklich nicht undankbar erscheinen, aber wir sollten doch über einen kleinen Bonus sprechen. Nur um meine Unkosten zu decken.« Mer beugte sich über seinen Schreibtisch. Dies war keine schlech-te Leistung für einen fetten Baumstamm, der von der Natur nicht einmal mit einem Hals gesegnet worden war. Ein bedrohlicher Blick verdüsterte sein Gesicht, als er seinen Mund öffnete um etwas zu sagen. Gepta brachte ihn mit einem kurzen Fauchen zum Schweigen. »Nur ein kleiner Anreiz, mein lieber Governor, nur ein kleiner Anreiz. Man sollte den Droiden, die den Treibstoff destillieren, nie-mals die Zufuhr abschneiden. Wir werden unserem tapferen Captain tatsächlich eine kleine Entschädigung anbieten. Captain Calrissian, wären Sie mit einer Schiffsladung Lebenskristalle zufrieden?« Der Tonfall des Hexer verriet, daß es ganz bestimmt besser war damit einverstanden zu sein. Mer blickte Gepta wütend an. Er fürch-tete sich vielleicht vor der grauen Gestalt, aber schließlich war es sein Geld, mit dem der Hexer hier herumwarf. Er öffnete wieder den Mund, sah dann, daß Gepta es ernst meinte, und schloß ihn dann wieder mit einem leisen Stöhnen. Lando grinste. »Ich schätze, das gibt eine ganze Menge Papier-kram, bis der Schwund erklärt ist.« »Dafür, mein lieber Captain« - der Zauberer wandte sich Mer zu, der unter seinem verachtungsvollen Blick langsam zusammen-schrumpfte - »gibt es schließlich Bürokraten.« »Okay, Gepta, so weit, so gut. Aber was hindert euch daran, mir mein Schiff wieder wegzunehmen und mich der Gnade der Polizei auszuliefern, wenn ich euch erst einmal die Geistharfe beschafft ha-be? Es ist keine große Kunst, gute Angebote zu machen, wenn man -« »Ruhe!« Eine lange, nachdenkliche Pause entstand. Dann antwor-tete Gepta: »Wir werden Ihnen die Fracht übergeben, bevor Sie mit

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der Suche beginnen - Ruhe, Governor! Aber wir werden auch die Techniker auf dem Raumhafen von Teguta Lusat anweisen, ihr Schiff so herzurichten, daß Sie damit unser System nicht mehr ver-lassen können - nur falls Sie die Absicht haben, uns zu hintergehen —, aber immer noch innerhalb des Systems von Planet zu Planet reisen können. Aber sobald Sie uns das gewünschte Objekt überge-ben haben, wird Ihr Gefährt repariert, Sie sind frei und können ge-hen, wohin Sie möchten. Ist das annehmbar? «. Lando überlegte es sich. Es war keine besonders gute Garantie. Um genau zu sein, es war derselbe schäbige Handel wie zuvor nur daß jetzt sein Schiff - oder jedenfalls seine Überlichttriebwerke - die Geisel darstellten anstatt der Lebenskristalle. Aber Sie würden ihm kein besseres Angebot machen, davon war er überzeugt. Und es war verdammt viel mehr als das, was er sich erwartet hat-te, nachdem Mers Büttel ihn bearbeitet hatten. »Gut«, sagte er mit einem Seufzen, das zumindest teilweise von Herzen kam, »immer noch besser, als im Knast zu hocken.« Oder sich in den Lebensplantagen langsam in einen Idioten zu verwandeln, dachte er grimmig.

Kapitel 5 »Ich habe nicht die leiseste Ahnung! Was geht dich das eigent-lich an?« Lando stapfte mißmutig den Bürgersteig entlang zu einer Transit-Haltestelle. Wenigstens hatten sie ihm seinen hüb-schen Anzug wiedergegeben, sogar seinen winzigen Strahler. Diese Geste, überlegte er sich, war allerdings nur eine höhni-sche Mahnung von Rokur Gepta und Duttes Mer an ihn, nicht

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zu vergessen, wie vollkommen hilflos er war. Naja, er würde es ihnen schon zeigen. Nur wie, das wußte Lando noch nicht. Vuffi Raa klapperte neben ihm her. Er war mit dem restli-chen Gepäck beladen, das allerdings durch den Überfall im Hotel ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. »Aber Meister, ich meine Captain -« »Nenn mich Lando!« »Ähem Lando, wie soll ich Ihnen helfen, wenn ich nicht einmal weiss, was man von uns verlangt? Ich weiß nicht, was vor sich geht. Ich habe die ganze Nacht in einem Lager für konfiszierte Gegenstän-de zwischen stinkenden, qualmenden Kohlköpfen und Drahtkörben voll Vibromessern, Mordinstrumenten und ähnlichen auf der Poli-zeiwache verbracht.« Bei diesem Gedanken durchlief den kleinen Droiden ein unwill-kürlicher mechanischer Schauer, der in seinem Torso begann und durch seine fünf Tentakel bis in die feingliedrigen Extremitäten drang. Landos Tasche wurde durchgeschüttelt, bis der Schauer vorbei war. »Wußten Sie schon«, erklärte der Roboter entschuldigend, »daß die meisten Gattenmorde in diesem System mit Titanium-Bratpfannen begangen werden?« Lando blieb abrupt stehen und starrte Vuffi Raa wütend an. »Mit einem Schlag auf den Kopf oder mit angebranntem Essen? Paß auf, mein mechanischer Albatros, das ist nicht persönlich gemeint. Aber ich habe einfach nicht die leiseste Idee, wo ich mit dieser Suche an-fangen soll. Man hat mich dazu erpreßt, und ich glaube, meine Chan-cen stehen wesentlich besser, wenn ich meine Zeit nicht mit einem nutzlosen Metalleimer -« »Meister, ich möchte Ihnen in dieser Sache keineswegs wider-sprechen. Tatsächlich würde das gegen meine grundlegenden Pro-

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gramme verstoßen, bis zur völligen Überlastung meiner Kapazitäten. Aber -« »Es ist mir scheißegal, was mit deinen Kapazitäten passiert!« »- aber bevor Sie mich wieder verkaufen, werde ich Ihnen bewei-sen, daß ich keineswegs nutzlos für Sie bin. Vielleicht müssen Sie sich nur an mich gewöhnen.« Lando hielt wieder mitten auf dem Gehsteig an und sah verächt-lich von oben auf den bepackten Automaten herab. Er atmete tief durch. »Das, mein zaghafter zahnrädriger Zylinder, müßtest du erst be-weisen. An was denkst du?« Vuffi Raa schwieg. Die Stille dehnte sich, und plötzlich konnte man wieder hören, wie die Hovercars und Repulsors auf der schma-len, gewundenen Straße entlangsurrten. Ohne jede Vorwarnung sprach der Droid wieder. »Das ist also das Problem - ich glaube, ich habe verstanden. Das Hotelzimmer. Die Polizei Ihre Hilfeschreie. Ihre Hoffnung, daß ich etwas mehr... äh. physische Gewalt einsetzen würde, sogar wenn das die Anschuldigungen gegen Sie nur noch schwerer gemacht hätte?« Lando drehte sich auf dem Absatz um und ging wortlos weiter. in Bus fuhr an ihm vorbei. Er war mit einem halben Dutzend glotzender Touristen beladen. Der Fahrerdroid erläuterte ihnen sein spärliches Wissen über die Sharu-Ruinen. »Meister!« schrie der Droid hinter ihm, während er versuchte, ihn einzuholen. »Ich konnte nichts tun! Mein Programm verbietet mir ausdrücklich -« »Halt's Maul!« schnauzte ihn Lando an, und der Kasernenhofton bereitete ihm heimliches Vergnügen. Er hatte Vuffi Raa den Rücken zugewandt und verlangsamte nicht einmal seinen Schritt. Plötzlich stolperte der Droid unbeholfen an Lando vorbei, wobei das Gepäck

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auf seinem Rücken gefährlich schwankte. Er stellte sich dem übel-launigen Spieler in den Weg, um ihn aufzuhalten. »Sir, ich bin nicht auf Gewalt programmiert. Ich kann ein den-kendes Wesen, ob organisch oder mechanisch, nicht verletzen. Eben-sowenig, wie Sie Ihre Arme ausbreiten und einfach losfliegen kön-nen.« »Was nur beweist«, bekräftigte Lando, den die plötzliche Ernst-haftigkeit des Droiden verwirrte, »daß ich recht hatte.« Er ging um den Roboter herum und setzte seinen Weg fort. »Du bist nutzlos.« »Heißt das«, hörte er die leiser werdende Stimme des Droiden im Rücken, »daß für Sie Gewalt die einzige Möglichkeit ist, um Prob-leme zu lösen. Ist dies die einzige Eigenschaft, die Sie von einem Freund oder Begleiter erwarten?« Lando erstarrte, einen Fuß in der Luft. Die eisige Kälte in Vuffi Raas Stimme hatte ihn tief getroffen. Langsam setzte er seinen Fuß auf den Boden und drehte sich zu der Maschine herum. Nicht nur, daß er sich mit einem Roboter stritt - er zog auch noch den kürzeren dabei. Natürlich hatte der kleine Droid recht. Warum begnügte Lando selbst sich sonst damit, nur eine kleine und unscheinbare Waffe in seiner Schärpe zu tragen? Geistige Wesen, welcher Rasse oder Bau-art sie auch angehörten, arbeiteten mit ihrem Intellekt, überlebten dank ihres Verstands. Nur ein einfältiger Klotz würde sich auf seine oder die Fäuste eines Freundes verlassen. Lando stutzte zum zweitenmal. Seit wann bezeichnete er Vuffi Raa als seinen Freund? »Nun, Meister«, sann Vuffi Raa, »so wie ich es verstehe, suchen Sie nach dem Schloß, in das dieser Schlüssel paßt. Aber Sie wissen nicht, ob sich dieses Schloß - im metaphorischen oder realen Sinn - überhaupt auf diesem Planeten befindet. Korrekt?«

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Lando nickte resigniert. Drei Linien-Hoverbusse waren zum Raumhafen an ihm vorbeigefahren, während er dem Droiden die Lage erklärt hatte. »Du hast es kapiert. Genauso habe ich es dir erklärt. Bis jetzt, alter Ölsaugstutzen, hast du dich schon als Kofferträger und Diktier-gerät bewährt. Hast du sonst noch irgendwelche Talente vorzuwei-sen?« Er rutschte auf der Wartebank herum und drehte dem kleinen Ro-boter den Rücken zu. Es ärgerte ihn nicht so sehr, daß Vuffi Raa an-scheinend vollkommen nutzlos war. Es machte ihn nur wütend, daß der Automat ihn mit seinen eigenen Fehlern konfrontiert hatte. »Verzeihung, Meister, aber meine internen Öleinheiten sind her-metisch versiegelt, so daß keine weitere Zufuhr -« Lando drehte sich blitzschnell um. »Okay, spar dir dieses Robotergewäsch. Wir wissen beide, daß du zu schlau dafür bist. Ich meine nur, hast du irgendeine Idee? Mir fällt nämlich nichts ein.« Etwas wie ein erheitertes Blinzeln regte sich in Vuffi Raas roter Linse. »Ja, Meister, ich habe eine. Wenn ich etwas Alte«! und Histo-risches und Wertvolles suchen würde, würde ich zuerst Informatio-nen sammeln, und ich wüßte auch, wo. Ich würde-« Lando runzelte die Stirn, lächelte dann strahlend und sprang von seiner Bank auf. »Beim Ewigen, natürlich! Warum hast du mir das nicht früher gesagt? Warum habe ich nicht daran gedacht! Man kann es jedenfalls versuchen. Vielleicht bist du doch nicht ganz so nutz-los.« Lando eilte den Gehsteig ein paar Meter weiter, blieb vor der nächsten Bar stehen und steckte seinen Kopf durch die Schwingtür. »Warte hier auf mich!« rief er und zeigte auf ein Schild im Fens-ter der Trinkhalle: KEIN AUSSCHANK OHNE SCHUHE, HEMD UND HELMFILTER! KEIN EINLASS FÜR DROIDEN

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»Aber Meister!« protestierte der kleine Roboter vor den leeren Schwingtüren. »Ich meinte die öffentliche Bücherei!« Nachdem er seinen ungeliebten Gehilfen abgeschüttelt hatte, trat Lando erleichtert in die kühle Stille der »Poly Pyramid«, einem der zahlreichen Rauschtempel von Teguta Lusat. Das Lokal war nichts Besonderes, weder in seiner Ausstattung noch in irgendeiner anderen Hinsicht; er hatte einfach die erstbeste Äthanoltankstelle auf dem Weg aufgesucht. Er setzte sich an einen Tisch. Was er wirklich brauchte, das hatte er schon gewußt, seitdem er das Büro des Governors verlassen hatte, war eine Toka-Versammlung. Unglücklicherweise schenkt uns das Leben nur selten, was wir wirklich brauchen. Geptas Worten nach zu urteilen, waren die einzigen Wesen, die wußten, was und wer die Sharu waren - viel zu primitiv, um eine Versammlung abzuhalten - oder etwas anderes. Sie kannten keine Dörfer, keine Stämme, nicht einmal die gute alte Keimzellen-Familie. Aber dann und wann, in unvorhersehbaren Intervallen, trafen sich die Toka in kleinen Gruppen, um den Mond wie wilde Hunde anzu-heulen. Rafa IV hatte zwar keinen Mond, aber es war das Prinzip, das wirklich zählte, dachte Lando. Und so hatte sich der junge Spieler überlegt, es gab einen Ort wo man ziemlich sicher Toka antreffen konnte. Das hatte er schon er-kannt, bevor er überhaupt wußte, wer und was sie waren. Sie waren nämlich in den Saloons, wo sie die Boden wischten und Tische po-lierten. In anderen Systemen betraute man damit Droiden niedriger Klassen, aber hier konnten die Wirte ihre und die Vorurteile ihrer Kunden gegen die mechanische Minderheit pflegen; die in Halbskla-verei lebenden Toka waren handlicher und weitaus billiger.

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Lando blickte sich um. Er hatte einen Tisch in der Mitte des Raumes gewählt, der zwischen dem Durchgang zum Hinterzimmer und der Bar auf der linken Seite wie auch der Wand gegenüber stand. Normalerweise bevorzugte er einen Platz, von dem aus er alles über-blicken konnte, und wo er nicht mit dem Rücken zur Tür saß, am liebsten an einer Wand. Aber diesmal war es wichtig, gesehen zu werden. Das »Poly Pyramid« war ein Lokal für arbeitende Wesen. An den Wänden wechselten sich geschmacklose Bilder mit Sportszenen aus einem Dutzend verschiedener Systeme ab. Auf weniger kosmopoliti-schen Planeten dominierten die Bilder unbekleideter weiblicher We-sen. Aber hier, wo der Traum eines Mannes der Alptraum seines Nachbarn war, hatte man sich auf so neutrale Dinge wie unsachge-mäß ausgestopfte Exemplare der galaktischen Fauna verlegt: Eine Pelzforelle von Paulking XIV baumelte von der Decke herunter, und an der Wand hing eine Eselope von Douglas III. Wie Bars im allgemeinen war auch diese grell beleuchtet und laut, wofür vor allem die paar Gäste verantwortlich waren, die schon so früh am Nachmittag kamen. Hinter den traditionellen durchbroche-nen Schwingtüren wurden die inneren, großen Türen von zwei über-dimensionalen Laserbohrköpfen offengehalten, ein Souvenir aus den Minen von Rafa III, deren Arbeiter hier ihre Ferien verbrachten. Im Hintergrund leerte der obligatorische Toka Aschenbecher in einen Abfalleimer. Der Barkeeper, ein knochiges Wesen von unbestimmbarem Alter, näherte sich Lando. Er säuberte seine Hände an seiner dunkelgrünen Schürze. Die paar Haare, die er besaß, hatte er straff aus seiner Den-kerstirn nach hinten gekämmt. Seine Freunde bezeichneten seine Nase wahrscheinlich als markant für einen Fremden dagegen war sie einfach ein Zinken. Darunter stand, wie festgewachsen, ein Lächeln, und eine Mulde, die sein Kinn teilte.

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»Raumfahrerbars sin' alle drei Blocks weiter, Chef«, sagte er ge-dehnt. »Is hier 'n Lokal für die Minenarbeiter.« Lando zog eine Au-genbraue hoch. »Sie könn' ruhig was trinken. Aber wahrscheinlich wollen Sie nich' - wenn erst die Jungs von der Schicht komm'.« Es war wahrscheinlich eine lange Ansprache für den drahtigen kleinen Mann. Er blieb vor Lando stehen, balancierte auf seinen Fußballen, entspannt, aber reaktionsbereit, und sah Lando unter halb geschlossenen Lidern hervor an. Eine faul riechende Zigarre hing in einem Mundwinkel, und unter seiner Schürze zeichnete sich ein ge-fährlich aussehender Klumpen ab. Lando nickte kaum wahrnehmbar. »Vielen Dank für den Hinweis; ich erwarte jemanden. Haben Sie zufällig etwas Koffein zur Hand?« »Ein paar von mein' Freunden trinken das«, antwortete der Bar-keeper. »Eine Tasse für Sie.« Er ging fort, hielt dann inne und drehte sich noch einmal um. »Aber nich' vergessen, Chef. Handschuhe und Bandagen kosten ext-ra.« Lando nickte wieder, zog eine von den Zigarren des Governors aus seiner Brusttasche und lehnte sich zurück. Dann holte er, mög-lichst gelangweilt, den Schlüssel aus einer Innentasche. Das Ding war der Alptraum jedes Optometrikers. Er konnte es einfach nicht fixieren, nicht einmal, wenn er es fest in den Händen hielt. Zuerst hatte es drei Zinken, dann zwei, je nach Blickwinkel. Und wenn er den Blickwinkel nicht veränderte, dann erledigte das das Ding für ihn. Lando schloß die Augen. Er saß fünfundvierzig Minuten auf seinem Stuhl, ohne daß sich irgendeine Reaktion gezeigt hätte. Dann nahm er den letzten Schluck Koffein, stampfte die Zigarre aus, stand auf, legte ein kleines Trink-geld auf den Tisch, nickte dem Barkeeper liebenswürdig zu und trat hinaus auf den Gehsteig.

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»Meister?« »Nenn mich nicht Meister! Suchen wir uns eine andere Bar.«

Kapitel 6 Am Eingang der nächsten Bar prangte ein kleines Bronzeschild, das verkündete: »UNSERE EINRICHTUNGEN SIND FÜR MECHANISCHE WE-SEN LEIDER NICHT GEEIGNET.« Das bedeutete: »Keine Droiden.« Und dies war nicht einmal wahr, jedenfalls nicht in der ursprüng-lichen Bedeutung. Vuffi Raa wurde eine Art Abstellplatz zugewie-sen, nett ausgestattet, ruhig, und mit Aufladesteckern versehen. Hier wurde Bigotterie nur in der nettesten, hochkarätigsten Weise betrie-ben. Lando sah, wie sich der Droid zusammen mit anderen Exempla-ren seiner Gattung eine einheimische 3-D Serie ansah. Drinnen verteilten drei Toka-Wischer schmutziges Wasser gleichmäßig über den Boden. Daß sie und ihre Arbeitgeber das für Hygiene hielten, zeigte lediglich, daß Wunsch und Wirklichkeit kei-neswegs identisch sein müssen. Es war nicht ganz so dunkel hier, und es gab genausowenig Gäste wie in der letzten Bar. Das machte nichts; Lando war sowieso nicht ihretwegen hier. Diesmal schlürfte Lando eine geschla-gene Stunde an seinem heißen Muntermacher und spielte un-auffällig mit seinem Schlüssel. Das Ding war durch Tasten ebensowenig zu erfassen wie durch Sehen, entdeckte er, als er seine Augen schloß und es berührte. »Pervers« wäre vielleicht richtiger, und irgendwie war es auch ekelerregend. Er öffnete seine Augen fast mit Erleichterung.

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Ein paarmal hätte er schwören können, daß der eine oder andere der Eingeborenen ihn anschaute, wenn er in eine andere Richtung blickte. Und genau das hatte er auch erwartet. Er verspürte schon schwache Hoffnung. Nach einer weiteren Stunde und zwei weiteren Restaurants landete er wieder im »Spaceman's Rest«, der ersten Bar, die er am Tag zuvor in Teguta Lusat besucht hatte. Es schien zwei-tausend Jahre her zu sein. Der doppelbärtige Eigentümer war so früh am Abend noch nicht da, aber der Droid hinter der Bar schien seine Speicher tatsächlich aufgeladen zu haben. Er be-grüßte Lando mit einem herzlichen mechanischen Nicken. Inzwischen war der Spieler mit Koffein vollgepumpt. Er lehnte sich an die Theke, bestellte sich einen richtigen Drink, nahm ihn mit zu einem Tisch und setzte sich. Dann stellte er den merkwürdigen, in den Augen schmerzenden Schlüssel un-auffällig auf den Tisch, aber so, daß ihn jeder sehen mußte. Aber in einem unterschied sich diese Bar von den anderen: Die gemischte Kundschaft und der Robartender hinter der Theke ermutigten Lando, Vuffi Raa diesmal mit hinein zu nehmen.Immerhin war der kleine Kerl ein wertvolles Stück (für jemand anderen, irgendwann, hoffte Lando), und es würde ihm wahrscheinlich nicht gefallen, gestohlen zu werden. Die mechanische Kostbarkeit lag augenblicklich bäuchlings - bildlich gesprochen - auf der Bar und tauschte elektronische Signale mit dem Barkeeper aus, der unterdessen Gläser polier-te. Lando hatte sich schon oft gefragt, über was Roboter wohl untereinander sprachen, aber er war nicht neugierig genug, um sie zu belauschen. Trotz der toleranten Atmosphäre im »Spaceman's Rest« fehlte

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auch hier nicht der übliche Toka-Feger. Es war ein alter, armer Kerl, der synthetisches Sägemehl aus einem Korb über den Boden streute. Lando begann wieder zu hoffen, als er bemerkte, dass die Späne um seinen Tisch dreimal so hoch lagen wie im Rest der Bar. Der Toka umkreiste ihn immer weiter, scheu, aber fasziniert, wie ein Insekt das Licht. Er starrte auf den Schlüssel, warf dann einen unsicheren Blick zur Bar hinüber, sah dann wieder auf den Schlüssel, als würde er magnetisch von ihm angezogen. Wenn er sich Sorgen wegen des Barkeepers machte, dann war das unnötig; der Droid schien ihn nicht einmal wahrzunehmen, so versunken war er in seine Beschäftigung und in das Gespräch mit Vuffi Raa. Vielleicht interes-sierte er sich einfach nicht dafür, was die Eingeborenen machten. Plötzlich steckte Lando den Schlüssel wieder in die Tasche, nur um zu sehen, was passieren würde. In demselben Augenblick ließ der Toka seinen Kübel fallen und stürzte durch die Tür ins Hinterzimmer. Nur die schwingende Stofftür und die offenen Münder der Gäste zeigten, daß er überhaupt dagewesen war. Normalerweise gab es nichts, was diese lethargi-schen und von Natur aus senilen Wesen zum Rennen brachte. Lando hielt den Atem an: Konnte seine Glückssträhne schon jetzt beginnen? Er bedeutete dem Barkeeper, daß er noch einen Drink wollte. Vuffi Raa brachte ihn. »Ich glaube immer noch, daß wir in einer Bücherei mehr Erfolg hätten, Meister.« Er setzte das Glas auf der dunklen, blankpolierten Tischplatte ab. Lando trank an diesem Abend Talmog. Es war ein Teil würziger Äthanol auf einen Teil Roses Limettensaft, der in ei-nem einzigartigen sonnenlosen System Hunderte von Lichtjahren entfernt hergestellt wurde. Es brannte. Lando haßte das, darum ließ er sich einen neuen Drink bringen, den er die ganze Nacht lang ver-längern konnte.

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»Paß auf, mein kleiner Freund, überlaß das mir. Und damit du es weißt, ich glaube, es hat schon einer angebissen.« »Gebissen, Meister?« Der Roboter streckte eines seiner Tentakel zum Boden hinunter, hob eine Prise Sägemehl hoch und hielt es dicht vor sein großes rotes Auge. »Ich hätte gedacht daß die hygienischen Bedingungen hier besser wären. Vielleicht sollte man das Gesund-heitsamt -« »Vuffi Raa, wie würde es dir gefallen, wenn man dich zu Sardi-nenbüchsen verarbeitet?« Zum zweitenmal an diesem Nachmittag lag Heiterkeit im Auge des Roboters. »Meister -«- »Nenn mich nicht -« Lando verstummte. Der Sägemehl-Sämann, der Lando so aufmerksam beobachtet hatte, kam zurück. Er kam zu-sammen mit einem echten Ururgroßvater unter den Großvätern, aus denen dieses Volk bestand. Dieser war ein verhutzelter, verschrum-pelter Superalter, der unter der Last seiner vielen Jahre zusammen zu brechen drohte. »Herr«, keuchte der alte Toka kaum vernehmlich, während er sich verbeugte, bis seine Stirn auf der Tischplatte lag. »Es ist, wie es ge-schrieben stehet. Ihr seid der Träger und der Gesandte. Was Ihr ver-berget, ist fürwahr der lang verlorene, sagenumwobene Schlüssel.« Der andere Toka war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Irgendwie war der Bann gebrochen. Der Barkeeper zuckte mit seinen Metallachseln und wandte sich seiner Arbeit zu. »Ich... äh...« Jetzt, nachdem Lando endlich die Verbindung hergestellt hatte, fiel ihm auf, daß er damit gar nichts anzufangen wußte. Der Alte schaute auf Vuffi Raa. Lando schenkte dem kleinen Droiden einen finsteren Blick, aber die Maschine wollte ihn trotzdem in diesem vielleicht delikaten Augenblick nicht alleine lassen. Vuffi Raa blieb

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neben dem Tisch stehen, sein einzelnes Auge fest auf den alten Toka geheftet. Herr« wiederholte der würdige Greis, »ich bin Mohs, Hoher Sän-ger der Toka. Wisset Ihr, was Ihr in Euren Händen haltet?« Der Alte richtete sich auf - wenigstens soweit er dies überhaupt noch konnte -, und Lando bemerkte die Tätowierung auf seiner Stirn. Es war das krakelige Ebenbild des Schlüssels. Jedenfalls ein sehr merkwürdiges Gerät«, antwortete er, während er unbewußt den unre-gelmäßigen Klumpen in seiner Tasche betätschelte. »Eine Art drei-dimensionales Vexierbild. Aber bitte setz dich doch. Möchtest du etwas zu trinken?« Der Alte schaute sich mit einem verstohlenen Ausdruck auf einem faltigen Gesicht um. Die Tätowierung auf seiner Stirn verzerrte sich. »Dies ist uns nicht gestattet, Herr. Ich -« »Meister«, fiel ihm der Droid wieder ins Wort. »Ruhig, Vuffi Raa! Nun, alter Freund«, sagte er, Mohs zuge-wandt. »Wollet - willst du mir etwas dazu sagen?« Er nahm den Schlüssel aus seiner Tasche und hielt ihn in der Hand. Mohs keuchte ein bißchen, bevor er zu sprechen anfing. »Ihr wünschet also, Euren Diener zu prüfen? So soll es geschehen, Herr. Euer Wunsch ist mir Befehl.« Der Toka verfiel in ein langes heulendes Gurgeln. Es handelte sich um eine Sprache, die Lando halb vertraut war. Vielleicht war es ein Dialekt aus einem System, das er schon einmal besucht hatte. Der Effekt, den diese Darbietung auf die anderen Gäste hatte, war nicht gerade wünschenswert: Sie sahen zu und lauschten, aber Lando konnte sich einfach nicht einreden, daß ihre Mienen die begeisterter Kunstliebhaber waren. Plötzlich wünschte er sich, er hätte sich näher an die Tür gesetzt. »Habe ich richtig rezitiert, mein Herr?«

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Lando kratzte sich das glattrasierte Kinn. »Sicher. Perfekt. Und - nur als kleinen Ergänzungstest, wohlgemerkt – könntest du nur eine Kurzfassung davon geben, und zwar in der Landessprache.« Er deu-tete auf ihre Zuhörer. »Vielleicht können wir ein paar von den Hei-den bekehren. Kannst du das?« »Herr?« Der Mann streckte seine Hand vorsichtig nach dem Schlüssel aus, besann sich dann und zog die knotige Hand offensichtlich zögernd zurück. Schließlich begann er: »Dies ist der Schlüssel des Übervolkes, Herr und Träger, die Lösung aller Rätsel, er ist das Licht in der Dun-kelheit, das uns den Weg weist. Es ist das Zeichen des Endes das-« »Genug, Mohs, sag mir einfach, wozu er gut ist.« »Warum, Herr? Ihr wißt sehr gut -« Mohs trat einen Schritt zurück. War das nicht Skepsis, die plötz-lich aus dem Auge des ehrwürdigen Hohen Sängers leuchtete? Er begann wieder, doch sein Tonfall hatte sich um eine winzige Nuance verändert. »Er öffnet uns den Weg zur Geistharfe der Sharu, die uns -« »Ach, Mist! Paß auf, Mohs. Als offizieller Träger des Schlüssels habe ich dich auserwählt, eine Pilgerfahrt anzuführen – in rein zere-monieller Hinsicht natürlich. Wir werden den Schlüssel benutzen. Was hältst du davon?« Die Ahnung, daß das alles viel zu leicht ging, drängte sich Lando wieder auf, aber er unterdrückte sie weise. Er mußte diesen Auftrag erledigen, und er nahm dankbar jede Hilfe an, die sich ihm bot. »Was sonst sollten wir damit tun, Herr? Es muß geschehen, wie es geschrieben stehet, sonst würde nicht geschrieben stehen, wie es geschehen soll.«

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»Ich bin eigentlich sicher, daß irgendwo ein Loch in deiner Ar-gumentation steckt, aber ich habe keine Lust, jetzt danach zu suchen. Wann können wir damit anfangen?« Der alte Mann zog seine schneeweißen Augenbrauen hoch, und das skizzenhafte Bild des Schlüssels auf seiner Stirn schob sich wie eine Ziehharmonika zusammen. »In diesem selben Augenblick, Herr, wenn Ihr es wünschet. Nichts wird IHREN heiligen Plan verändern können.« Er hob seinen frommen Blick wieder zur Decke. Gut, antwortete der Spieler, nachdem der Alte lang genug ver-zückt den Verputz angestarrt hatte. »Aber ich glaube, wir -« Meister!« Der Tonfall des kleinen Droiden war diesmal wirklich - eindringlich. »Was ist, Vuffi Raa?« »Es gibt Ärger, Meister.« Genau das, was wir jetzt brauchen«, stöhnte Lando. Plötzlich trat ein Mann mit einer Waffe in der Hand durch die Tür. »Okay, Spaceboy«, knurrte er und zeigte mit seiner schweren Waffe auf den Spieler, »mach dich bereit zum Sterben!«

Kapitel 7 »Mr. Jandler!« rief der Barkeeper, und seine elektronische Stimme klang panisch. »Es tut mir furchtbar leid, Sir, aber mein Chef hat Ihnen Hausverbot auf Lebenszeit erteilt, weil -« »Schnauze, Maschine! Verdammt, wo war ich stehengeblieben? Ach ja - Sie da! Ja, ich spreche mit Ihnen! Es ist genau, wie Bernie es mir in der >Pyramid< erklärt hat! Und nicht nur zusammen mit ei-

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nem schnüffelnden Droid am Tisch, der uns die Arbeit wegnimmt, sondern auch noch mit einem dreckigen Toka! Sagen Sie mal, Skip-per, sind Sie eigentlich pervers?« Die wenigen Gäste im Raum machten sofort den Weg zwischen Lando und dem Eindringling frei. »Ich weiß nicht«, antwortete Lando gleichgültig. »Ich habe nicht durchs Schlüsselloch geschaut. Aber wer sind Sie?« Der Mann war gut gebaut, vielleicht fünfundachtzig Kilo schwer und knapp zwei Meter groß. Über dem taubenblauen Jumpsuit, der seine feste Gestalt umhüllte, trug er eine dunkle Tunika und ein Hals-tuch. Er war hübsch, sauber, rasiert und für einen Schläger erstaun-lich nüchtern, dachte Lando. Und er besaß einen überraschend guten Geschmack. Der Mann kam näher; die Mündung seines Strahlers vibriert nicht einmal. Der Robotbarkeeper eilte an Landos Tisch und pflanzte sich zwi-schen den beiden Männern auf. »Er ist der frühere Eigentümer des >Spaceman's Rest<, Captain Calrissian, aber das war noch, bevor ich hier anfing. Als das Lokal den Besitzer wechselte versuchte er, eine Klausel in den Vertrag aufzunehmen, daß niemals -« »Was heißt hier >versuchte<, du elender Schrotthaufen? Vertrag ist Vertrag! Man kann jeden Vertrag abschließen, der einem gefällt!« Offensichtlich unentschlossen, ob er zuerst Lando oder den Bar-keeper erschießen sollte, wedelte Jandler so mit seiner Waffe herum, daß Lando übel wurde. Falls es zum Äußersten kommen sollte, wür-de er hoffentlich den Barkeeper wählen, dachte Lando. Das machte weniger Dreck - und immerhin schien der Kerl ein Gespür für Ästhe-tik zu haben. Der Roboter rührte sich nicht. »Nicht wenn es ein systemweites Abkommen gegen Diskriminie-rung gibt, Sir, und vor allem nicht, wenn Sie das Lokal bei einem

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Spiel an ein Wesen verloren haben, welches ein Gegner jeder Dis-kriminierung ist.« Der Mann wirbelte zu der Maschine herum - Lando spielte mit dem Gedanken, sich in diesem Augenblick auf ihn zu stürzen, beließ es aber bei dem Gedanken - und knallte die Waffe mit einem ohren-betäubenden Krachen auf den Plexistahlkopf seines Gegenübers. »Das ist für dein Abkommen!« gröhlte er, »und das-autsch!« »Sie sollten niemals einen Droiden schlagen«, riet Vuffi Raa freundlich, während der Mann laut fluchend auf einem Bein herum hüpfte. Irgendwie schaffte es Jandler aber trotzdem, den Seestern-Roboter drohend anzufunkeln. »Sehr richtig«, bestätigte Lando, um den Mann noch mehr abzu-lenken. »Nicht, wenn ein zweiter Droid in der Nähe ist. Zeigs ihm, Vuffi Raa!« Der Angreifer wirbelte wieder zu Vuffi Raa herum. Der fünfza-ckige Roboter starrte seinen Meister verwundert an, aber der Trick funktionierte. Der Fremde machte einen Schritt auf Vuffi Raa zu. Er hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf den vollkommen harmlosen Droiden gerichtet, und der Barkeeper, trotz seines angeschlagenen Schädels, zog dem Kerl eins mit einem Stuhl über den Kopf, den ihm Lando zugeworfen hatte. Jandler ging wie ein Sack Mynockguano zu Boden. Das knap-pe Dutzend Gäste brach in Jubel aus. Sie versammel sich um Landos Tisch - wobei sie den tapferen und verwundeten Bar-keeper ungerechterweise ignorierten - und stellten sich um dem Spieler die Hand zu schütteln und auf den Rücken zu klopfen. »Ich fühle mich geehrt!« rief Lando, um sich verständlich zu machen. Er war während des ganzen Kampfes nicht einmal von seinem Stuhl aufgestanden und steckte erst jetzt nach dem Kampf die ersten Schläge ein, und zwar von seinen neuen Be-

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wunderern. »Und ich freue mich zu sehen, daß nicht alle Ro-boter gegen Gewalt programmiert sind.« Dann wandte er sich der Menge zu und erklärte: »Danke, vielen Dank, es war nichts, wirklich, danke.« »Er ist nur in der Weise programmiert, nicht mit so etwas anzufangen«, antwortete der Barkeeper. »Ich werfe jetzt die-sen Kerl hinaus, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Und ich möchte mich für den Zwischenfall entschuldigen. Wäre es Ih-nen recht, wenn der nächste Drink auf das Haus geht?« »Vor mir auf den Tisch wäre mir lieber. Und bring noch einen für meinen Freund hier, Mohs. Mohs?« Mohs war verschwunden. Mit dem Schlüssel. Lando sah sich blitzschnell um und erspähte noch einen grauen Gipfel, der durch die Hintertür verschwand. Mit einer Geschwindigkeit, die selbst die Roboter in Staunen versetzte, wand er sich durch die Menschenmenge und lief zur Tür. Er packte - eine Hand und biss zu. Und bekam einen Satz knotiger Fin-ger in die Zähne! Lando spuckte Blut und griff nach dem Handgelenk hinter den Knöcheln, um tief in die weiche Seite der Handfläche zu beißen. Mohs stieß einen Schrei aus und donnerte seinem neuem Herrn den Schlüssel auf den Kopf. Lando ließ den Arm des alten Mannes los. Er war betäubt und überrumpelt und versuchte Mohs' Kehle zwi-schen seine beiden Hände zu bekommen. Das einzige, was er zu fas-sen bekam, war Mohs' Knie, und zwar genau zwischen seinen eige-nen Beinen. Lando grunzte und ging zu Boden. Er kämpfte gegen die ansteigende Übelkeit an. Aber ausgerechnet diese Position verschaffte ihm einen Vorteil. Als der alte Eingeborene - Lando konnte für sich den primitiven

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Wilden nicht anders bezeichnen - zu einem weiteren Schlag mit dem Sharu-Schlüssel ausholte, packte Lando das nächste nackte, schmut-zige Gelenk, das er erreichen konnte. Mohs fiel auf den Rücken und Lando auf ihn. Jetzt begann der Alte auch noch zu kratzen und zu beißen. Inzwischen war Vuffi Raa an der Seite seines Meisters, wo er auf und ab sprang und Lando Ratschläge zurief, die der Spieler nicht hören konnte und auch nicht befolgt hätte. Es war wirklich kein fai-rer Kampf. So gerne er das auch getan hätte, Lando brachte es ein-fach nicht fertig, den Alten kurz und klein zu schlagen. Er versuchte nur, ihn am Boden zu halten, bis der wütende Sturm sich gelegt hatte. Sie rollten durch den Lagerraum, krachten in Kisten und Kartons hinein und landeten einmal sogar auf den unteren Gliedmaßen des Barkeepers, der jetzt neben Vuffi Raa stand und ihm beim Zuschauen und Ratgeben half. In einem winzigen ruhigen Augenblick sah Lando auf. »Ihr seid mir wirklich eine große Hilfe«, sagte er zu den beiden. Der Mixierrobot bewegte sich keinen Zentimeter weg. »Alte Männer zu verprügeln ist nicht meine Art, Captain. Außerdem sehen Sie so aus, als könnten Sie ein bißchen Übung gut gebrauchen.« Im selben Augenblick wurde Lando in den Kampf zurück gezogen. Mohs donnerte ihm wieder den Schlüssel an den Kopf, aber diesmal war der Schlag schon schwächer. Lando packte Schlüssel und arbeitete sich dann hoch, bis er schließ-lich ganz auf dem Alten hockte. Er hatte eine Locke der schüt-teren weissen Mähne in der Hand, mit der er den Kopf des Al-ten sanft, aber deutlich auf den Boden stieß. Mohs wehrte sich noch ein bißchen und lag dann in völliger Passivität unter ihm. »Böser, böser Mohs«, erklärte Lando, um Atem ringend, während er auf den Alten hinuntersah. »Es ist nicht recht, so

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heilige Angelegenheiten ohne die Hilfe des rechtmäßigen Schlüsselträgers anzufangen.« Mohs verbarg sein Gesicht in seinen weißen, ausgemergel-ten Händen. »Ihr möget mich töten, Herr, denn ich habe schwer gesündigt.« »Beim unendlichen Nichts, das ist der erste vernünftige Satz, den ich von dir höre.« Lando stand auf und ließ sich auf einem Stapel von Plas-tikkartons an der Wand nieder. »Aber von jetzt an wirst du nicht mehr vergessen, wer hier der heilige Gesandte ist, oder?« Er hielt den Schlüssel hoch. »Und ich werde diese Augenfolter bis auf weiteres behalten. Vergiß das nicht, dann werden wir ausgezeichnet miteinander auskommen. Vuffi Raa?« Der Roboter trippelte neben ihm und seine Tentakel wedel-ten wild aufgeregt durcheinander. »Ja, Meister? Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen konnte, aber -« »Ich weiß, ich weiß. Wie lang wird deiner Meinung nach Geptas Mannschaft brauchen, um die Falcon zu bearbeiten?« Der Droid überlegte. »Nicht länger als eine Stunde, Meis-ter. Sie brauchen nur die Toroidaldis -« »Erspare mir die technischen Details!« Lando wandte sich wieder dem alten Mann zu, der sich schneller zu erholen schien als er selbst. »Mohs, wir gehen jetzt zum Raumhafen, um unseren kleinen Ausflug zu machen. Bist du bereit, mitzu-kommen und dich anständig zu benehmen?« Der alte Mann verbeugte sich und sagte demütig: »Ja, Herr, ich bin es.« »Dann nichts wie los - und nenn mich nicht Herr.« Mohs warf einen verstohlenen Blick auf Vuffi Raa und nickte wieder. »Ja, Meister.«

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»Mohs?« Lando musterte eingehend die knittrige Gestalt »Versuchst du jetzt, witzig zu sein?« »Was ist >witzig<, Herr?« Lando seufzte resigniert. »Eigentlich ist es diese ganze Ge-schichte. Ich tue mein Bestes, um einen drohenden Konflikt mit diesem Kerl in der Bar zu vermeiden, und im selben Au-genblick haust du ab und versuchst, dich selbst zum Schlüssel-träger zu machen. Und ich verstehe immer noch nicht, warum Gepta und sein Westentaschengovernor mich eigentlich für diese Drecksarbeit brauchen. Sie hatten den Schlüssel, warum haben sie nicht einfach selbst... Komm, Vuffi Raa, wir gehen. Ich brauche ein bißchen Zeit zum Nachdenken. Wir gehen über Nacht an Bord der Falcon, dann sind wir morgen frisch und munter.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Und ich wer-de ein paar Fallen aufstellen, falls jemand versucht, den Schlüssel zu stehlen.« »Meister, ich bin nicht sicher, ob mir das meine Program-mierung erlaubt.« Der Barkeeper stand teilnahmslos neben ihnen und ging dann zurück in die Bar. »Viel Glück, Sir. Ich glaube. Sie kön-nen es brauchen.« Den mißtrauischen Blick immer noch auf Mohs gerichtet, sagte Lando zu Vuffi Raa: »Okay, ob du deine kybernetischen Skrupel überwinden kannst oder nicht, wir verbringen die Nacht auf jeden Fall an Bord der Falcon. Geh schon mal vor und besorge uns ein Beförderungsmittel - einen Bus, einen Gemüsetransporter, irgendwas.« Er zuckte nervös mit den Achseln und versuchte, einen schmerzhaft verzerrten Muskel in seiner Schulter zu entkrampfen. »Glaubst du, es gibt Taxis auf diesem riesigen Roßbollen?«

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Der Roboter konnte eine rhetorische Frage gut von einer echten unterscheiden. Lando sah ihm nach, rieb seine verletzte Schulter, stand auf und streckte sich. Wartet einen Moment, Herr.« Es war der alte Toka. »Es ist für einen Diener nicht gehörig, dasselbe Gefährt wie sein Herr zu benützen.« Lando schnaubte kurz. »Hast du eine andere Idee?« Mohs schüttelte den schneeweißen Kopf. »Sorget Euch nicht, Herr noch kümmert Euch um die unwürdigen Wege Eu-res Dieners, sondern geht frohgemut Euren Weg, wie Euer Diener den seinen geht.« »Hübsch gesagt. Heißt das, wir treffen uns am Raumha-fen?« Der alte Mann schien verwirrt. »Habe ich das nicht eben gesagt?« »Irgendwie schon, schätze ich; aber vielleicht ging das bei der Übersetzung unter. Sehr gut, alter Schüler, geh deinen ei-genen Weg.« Verdammt, da war ein Riß in seiner maßgefertig-ten Uniformhose. Sie war einfach nicht für solche Keilereien gemacht. »Wir lassen ein Licht im Cockpit brennen.« Er ging durch die Vordertür hinaus zu Vuffi Raa. Mohs benutzte wahrscheinlich den Hinterausgang. Fast im gleichen Moment hielt ein Hoverbus vor ihnen, und Lando und der Ro-boter legten die zehn Kilometer zum Raumhafen in ebenso vielen Minuten zurück. Sie wurden schon erwartet. »Was, bei allen Brennstäben, ist das?« fragte Lando den genauso verblüfften Droiden.

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Außerhalb der Kettenabsperrung, die eine Lücke in dem Kraft-Spaceport sicherte, hatte sich eine ansehnliche und höchst ungewöhnliche Menge versammelt. Geistesabwesend bezahlte Lando den Fahrerdroiden und drehte sich zu den Hunderten gebückten grauen Gestalten um, die in Lenden-schurze gekleidet in der mondlosen Dunkelheit standen und die kalten, niemals antwortenden Sterne ansangen. Als der Spieler und sein Begleiter sich ihnen näherten, schob sich die Masse einen Schritt zurück und bildete einen breiten freien Gang. Auf einer Seite konnte man den Wachhabenden erkennen, der aufge-regt in seinem Plexiglaswachhaus vor einem Viscom herum gestiku-lierte. Lando und Vuffi Raa traten (der erstere nur zögernd, weil ihm diese unberechenbare Menge Unbehagen bereitete – vor allem nach dem eben erst beendeten Handgemenge mit einem der Eingeborenen) langsam auf die Masse zu, die sich vor ihnen zurückzog, ohne dabei auch nur eine Silbe ihres Gesanges zu vergessen. Am Ende des lebenden Spaliers trafen sie auf Mohs.

Kapitel 8 Es waren ein paar sehr lange Tage ohne Schlaf gewesen. Lando woll-te sich nicht einmal mehr Gedanken darüber machen, wie ein alter Greis zu Fuß zehn Kilometer ruinenübersätes Gelände schneller überbrücken konnte als ein Hoverbus. Sollte sich doch der Roboter darüber den Kopf zerbrechen, dafür waren Klasse-Zwei-Droiden schließlich da. Mohs, Hoher Sänger der Toka, hatte natürlich den hohen, dis-harmonischen Gesang angeführt. Jetzt bedeutete der Alte den ande-

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ren, sich auf leise Hintergrundmusik umzustellen, während er den Spieler ansprach. »Heil Euch, Herr und Schlüsselträger« - er wandte sich an Vuffi Raa - »und Gesandter. Es ist fürwahr so wie es geschrieben steht. Lange haben wir Euch erwartet. Geruhet nun, Euren Sklaven zu un-terbreiten, was als nächstes geschehen soll.« »Wir sollen uns an Bord der Millennium Falcon begeben.« Lando zeigte auf das krabbenartige Schiff hundert Meter vor ihnen und gähnte. »Und ihr legt euch in eure Bettchen und – Moment mal!« Er blieb abrupt stehen. Ein halbes Dutzend Repulsor-Wagen standen auf dem Asphalt rund um das kleine Raum-schiff. Die Scheinwerfer waren so hell wie Supernovas. Min-destens zwei schwerbewaffnete Polizeieinheiten waren um sie herum verteilt. Meine Güte«, sagte der Spieler zu dem Roboter. »Dein eth-nisches Empfinden wird wenigstens heute nacht keine Belas-tungsprobe durchstehen müssen. Jeder scheint schneller zum Space-Port gekommen zu sein als wir. Soviel nur zu den Wun-dern des öffentlichen Nahverkehrs. Was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun?« >»Wir<, Meister?« »Sehr komisch, mein loyaler und zuverlässiger Droid. Dei-ne Unterstützung überwältigt mich.« Als Lando, der Roboter und der Toka Sänger - der sich aus dem Verabschiedungskomitee gelöst hatte - auf die herunter gelassene Rampe zugingen, wurde ihnen der Weg von gepan-zerten, visiergeschützten Polizisten mit schußbereiten Blastem in den Händen versperrt. »Okay, Officer, ich zahle den Strafzettel.« Lando war müde und sauer. Er wollte nicht einmal wissen, wie sie die Siche-

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rung, die er gestern abend eingeschaltet hatte, ausgetrickst hat-ten. Aber seine Stimme war immer noch freundlich. Bei diesen Leuten zahlte sich gutes Benehmen aus. »Guten Abend, Captain«, antwortete eine ebenso freundli-che Stimme, die aus einem Helm mit zwei breiten Streifen an der Seite kam. »Wir sind hier, um auf Ihre Ladung aufzupas-sen, die gerade verladen wird.« »Wirklich?« Lando war verblüfft. Er ließ sich von Polizis-ten nicht gern einen Gefallen tun. Der Uniformierte zeigte mit einem behandschuhten Finger auf die Lastwagen, von denen ein ständiger Strom kleiner Pakete über automatische Lade-rampen in die Laderäume der Falcon transportiert wurde. »Wirklich«, antwortete der Wachhabende und fügte in ei-nem milderen und, so glaubte Lando zumindest, irgendwie ziviler Tonfall hinzu: »Ich hoffe, Sie haben sich schon wieder einigermaßen erholt. Wir waren gestern so vorsichtig wie möglich. Es war nicht persönlich gemeint, Sie verstehen, Sir. Aber ich muß meinen Befeh-len folgen.« Und einen Haufen scheinheiliger Erklärungen erfinden, dachte Lando, während er versuchte, etwas unter dem schwarzen Visier zu erkennen. Er gab es auf. »Machen Sie sich nichts draus, mein lieber Freund, ich verstehe vollkommen. Ich hoffe, ich werde mich eines Tages dafür revanchieren können.« Der Bulle kicherte, salutierte, schlug die Hacken zusammen und schulterte seine schwere Waffe. Lando verkniff sich ein ganz und gar unmilitärisches Lachen, als er dieses Schauspiel sah. Er stieg an Bord der Millennium Falcon, gefolgt von Vuffi Raa und Mohs. Das Innere der Falcon, dachte Lando zum hundertsten Mal, äh-nelte eher den Eingeweiden eines großen Tieres als einer leblosen technischen Konstruktion. Linienschiffe und andere Gefährte, mit denen er schon geflogen war, sahen so aufgeräumt und ordentlich

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wie das Hotel in Teguta Lusat aus, das ihm noch in unangenehmer Erinnerung war. Aber auf diesem Schiff gab es keine abgeteilten Kabinen, nicht einmal eine Abgrenzung zwischen Lade- und Mann-schaftsräumen, sondern lediglich mehrere lieblos ausgestattete Abtei-le, die sich jetzt mit Kisten und Containern voller wertvoller Lebens-kristalle füllten. Lando sah den Laderobotern bei ihrer Arbeit zu. Anscheinend hielt Gepta seinen Teil des Abkommens ein - Lando nahm sich vor, die Kristalle so bald wie möglich zu analysieren. Der Zauberer hatte, wie auch sein offizieller Handlanger, nichts Vertrauenswürdiges an sich, nicht einmal für einen vertrauensseligen Typ wie Lando. Lando parkte Mohs in einem bequemen Bullaugenrahmen und trat dann zusammen mit Vuffi Raa an die Ultralichtgeschwindigkeitssek-tion des Schiffes. Irgendwer hatte hier herumgebastelt. Aber er hatte es nicht getan, um den Antrieb zu verbessern. »O Meister« jammerte der erschrockene Klasse-Zwei-Roboter. Sehen Sie nur, was man ihr angetan hat!« Er eilte zu den Instrumen-ten und blieb davor stehen, die Tentakel ringend und ein Geräusch von sich gebend, das Lando Kopfschmerzen bereitete. An der ganzen Wand waren die Verkleidungen heruntergerissen worden. Abgerisse-ne Kabel und durchtrennte Drähte hingen von der Decke herunter, und Maschinenteile wie Schrauben, Dichtungsscheiben und Teile der Isolation lagen auf dem Deck. Der Gestank verschmortem und ver-sengtem Plastik hing in der Luft, obwohl das Ventilationssystem mit voller Kraft arbeitete. »Es ist ziemlich schlimm, altes Teigrührgerät. Aber erschrick nicht sie ist nur eine Maschine, das darfst du nicht vergessen. Sie haben versprochen, sie wieder zu reparieren, wenn wir erst -« »Nur eine Maschine!« Die Stimme des Roboters klang ungläubig, empört und fast hysterisch. »Meister, ich bin auch »nur eine Maschi-ne!« Das hier ist schrecklich, grausam, böse. Es ist -«

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»Oh, schon gut, Vuffi Raa, du brauchst nicht deinen ganzen Wortspeicher zu plündern. Du bist eine intelligente Maschine. Die Falcon ist groß und elegant, aber sie steht auf der universalen Skala tief unter dir. Sonst hätte ich diesen idiotischen, verdammten Piloten nicht zu mieten brauchen -« »Meister«, unterbrach ihn der Droid, diesmal allerdings schon sanfter, »wie fühlen Sie sich, wenn Sie sehen, daß ein kleines Haus-tier auf der Straße überfahren wird? Ist Ihnen das etwa gleichgültig? Sagen Sie vielleicht, es ist nur ein Tier, das auf der universalen Skala tief, tief unter Ihnen steht? Oder fühlen Sie sich... nun so, wie ich mich im Augenblick fühle?« Lando schüttelte den Kopf. Er war zu müde, um noch weiter zu diskutieren. Der Vergleich stimmte, in groben Zügen wenigstens. Und es gefiel ihm gar nicht, daß der kleine Automat menschlicher war als er selbst. »Ich gehe nach vorn«, sagte er unvermittelt. »Ich wette, jemand wie Mohs findet sofort einen Weg, um in Schwierigkeiten zu kom-men, wenn man ihn mit so vielen Schaltern und bunten Knöpfen al-lein läßt.« »Sehr gut, Meister. Mit Ihrer Erlaubnis bleibe ich noch ein bißchen hier, um sie ein wenig zu trösten und ihre... Wunden zu pflegen.« »Wie du willst.« Lando blieb in der Krümmung des Korri-dors stehen und drehte sich um, um zu sehen, wie der Droid Dichtungsscheiben und Teile der Deckenverkleidung vom Bo-den aufsammelte. »Ahm, äh, tut mir leid, daß ich deine Gefüh-le nicht gleich verstanden habe, alter Kybernet. Ich war nur ein bißchen ... « Seine Stimme versagte. Eine lange Stille folgte und dann: »Schon in Ordnung, Lando Wenigstens hast du mich verstanden, nachdem ich es

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dir erklärt habe. Dazu wären die meisten organischen Wesen nicht in der Lage, glaube ich.« Der Spieler räusperte sich selbstbewußt. »Ja, gut, ähem... wir sehen uns dann später, also - und nenn mich nicht Lando.« In dem röhrenförmigen Cockpit betrachtete Lando mit lai-enhafter Beflissenheit die verschiedenen Kontrollampen und blätterte dann in dem eselsohrigen Fliegerhandbuch der Falcon, um festzustellen, was sie zu bedeuten hatten. Zum größten Teil waren es lediglich Warnsignale, die an-zeigten, daß die Luken, durch die das Schiff beladen wurde, offenstanden. Dumpfes Donnern und gedämpfte Stöhnlaute von unten bestätigten das. Aber überall auf dem Armaturen-brett für den Überlichtantrieb flimmerten unheilvolle gelbe und rote Lämpchen auf. Hinter Lando hing Mohs mit geradezu seniler Passivität in dem hochlehnigen Schleudersitz, in den ihn der Spieler gesetzt hatte. Lando machte ihm keinen Vorwurf daraus; er wünschte sich, er könnte es genauso genießen. Es war für den armen alten Wilden ein anstrengender Tag gewesen. Der Toka saß versunken auf seinem Platz. Die Hände hatte er über dem Len-denschurz gefaltet und die Augen weit aufgerissen auf den vernieteten Boden gerichtet. »Mohs?« fragte Lando freundlich. Der alte Mann zuckte zusammen, so als habe er trotz seiner offe-nen Augen fest geschlafen und Lando noch gar nicht bemerkt. Er blinzelte und fuhr sich langsam und zittrig mit einer Hand über sein stoppliges Kinn. »Ja, Herr?« »Mohs, was für ein Lied hast du und dein Volk dort vor dem Zaun gesungen?«

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Der alte Mann atmete tief ein und setzte sich in dem weich ge-polsterten Stuhl auf. Noch nie hatte er seine knochige Sitzfläche auf so weichen Polstern gelagert. Er tätschelte sich selbst den Arm, so als wollte er sich vergewissern, daß er wirklich wach war. »Es war das Lied des Gesandten, Herr, mit dem wir die Ankunft Eures -« »Schon gut, schon gut.« Ein langes, gedankenversunkenes Schweigen folgte. Der Atem des alten Mannes echote fast in der engen Kontrollkabine. Lando hatte nicht viel über diese Gesandten-Geschichte nachgedacht. Es hatte ihm die Zeit dazu gefehlt. Aber jetzt dämmerte ihm langsam, daß vielleicht mehr hinter dieser Singerei und dem Schlüsseltragen steckte, als Mohs ihm bis jetzt verraten hatte. »Nun, alter Freund«, sagte Lando nicht unfreundlich, »wenn du nach der ganzen Aufregung noch nicht zu erschöpft bist, könntest du mir dann nicht vielleicht noch mehr erzählen?« Mit einem Lärm und einer Unbeholfenheit, die jedes organische Wesen in den Schatten stellte, kehrte Vuffi Raa genau in diesem Au-genblick aus der Triebwerksektion im hinteren Teil des Schiffes zu-rück. Er kletterte in den Pilotensitz, den Lando wieder installiert hat-te, nachdem er den Pilotdroiden zurück ins Oseon geschickt hatte. Der kleine Automat war ungewöhnlich still. »Alles wieder sauber und klar Schiff?« fragte Lando beiläufig. »Gut. Hast du zufällig gehört, was der Captain da draußen gesagt hat? Er hat fast offen zugegeben, daß er dieser verdammte Sohn ei-ner-« »Ja, Meister«, antwortete der Roboter abwesend. »Ich muss schon sagen, das kam ziemlich überraschend.« Lando überlegte. »Ich weiß nicht. Ich glaube eigentlich nicht daß es ein Zufall ist. Erstens gibt es vielleicht nicht genug uniformierte Ganoven auf Teguta Lusat, die sich zu solchen Sache hergeben. Und

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außerdem paßt es ausgezeichnet zu Duttes Mer Art von Humor, aus-gerechnet diesen in unser Abschiedskomite aufzunehmen. Um die Wahrheit zu sagen, ich fand es eigentlich sehr höflich von dem Kna-ben, sich zu entschuldigen und nach meiner Gesundheit zu fragen und so weiter.« Wieder einmal reagierte Vuffi Raa fast menschlich. Er machte einen Schritt zur Seite und wandte sein »Gesicht« Lando zu »Und vor allem, wenn man bedenkt, wie Sie es ihm später heimgezahlt haben, Meister.« Diesmal war es an Lando, überrascht zu blinzeln. »Heimgezahlt? Was, beim galaktischen Zeitwind, meinst du damit?« »Meister, ich dachte, wir sprechen über denselben sogenannten Zufall. Sind Sie sich nicht bewußt, daß dieser -« »Sicher, daß dieser Kerl uns letzte Nacht einen kleinen Besuch in unserem Hotel abgestattet hat.« »Und daß er danach als Zivilist namens >Mr. Jandler< im >Spaceman's Rest< wieder auftauchte. Ich dachte, Sie hätten seine Stimme erkannt, so wie ich - und die Genickschmerzen, die ihn of-fensichtlich quälten.« »Was du nicht sagst!« Vielleicht gibt es doch noch Gerechtigkeit im Universum, dachte Lando zufrieden. Dann verzog er bitter das Gesicht. Schon wieder so ein mysteriöser Zufall! Was hatte dann diese ganze Scharade im Sa-loon zu bedeuten? Er hatte es für eine ganz normale bigotte Dumm-heit auf einem ganz normalen bigotten, dummen Planeten gehalten. Und hatte der Robot-Bartender (oder sein Besitzer) etwas damit zu tun, der doch allem Anschein nach -. Und plötzlich erinnerte sich Lando an seinen vorherigen Gedanken: »Erzähl uns etwas von dem Gesandten, und - nein - nicht singen! Mach es so kurz und verständ-lich, wie du nur kannst.«

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Der Ur-Toka zuckte zusammen. »Die Legende spricht von einem dunklen Abenteurer, einem waghalsigen Sternensegler mit kaum faßbarem Glück im Spiel, der zu uns kommen soll, begleitet von ei-nem Menschen, der nicht Mensch ist und in eine silberne Rüstung gekleidet ist. Sie werden den Schlüssel besitzen, mit dem wir die Geistharfe befreien können, die uns -« Lando schlug mit der flachen Hand auf die Stuhllehne. »Mein Gott, sie haben mich ausgesucht und zubereitet wie einen Festtags-braten! Sie haben uns aufgelauert, Vuffi Raa! Gepta muß seine Spio-ne monatelang auf dem Raumhafen stationiert haben - vielleicht jah-relang -, damit sie jemand ausfindig machen, auf den die Beschrei-bung paßt: Spieler, Schiffscaptain, mit einem Droiden als Begleitung und nicht allzu intelligent. Darum kann auch weder dieser senile Ma-gier von Tund noch sein specknackiger Governor die Rolle über-nehmen: sie passen nicht zu der Legende!« »Aber wir, Meister?« »Frag Mohs; er hütet den heiligen Gral.« »Meister?« »Schon gut, das ist nur so eine Redensart. Laß uns nach hinten gehen und ein Nickerchen machen. Wir müssen morgen ein paar Heldentaten absolvieren - und vergiß nicht, deine Rüstung zu polie-ren, alter Dosenöffner!«

Kapitel 9 Als die Dämmerung anbrach, nach einer Nacht voll Schlaf in seiner eleganten, wenn auch etwas zerknitterten Uniform, war Landos Lau-ne schlechter denn je. Er haßte den Gedanken, daß man ihn übers

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Ohr gehauen hatte. Er hatte den unangenehmen Verdacht, daß er noch gar nicht erfaßt hatte, welches Spiel Rokur Gepta mit ihm trieb. Der Start der Millennium Falcon kurz nach Sonnenaufgang war mit der Präzision eines Uhrwerks abgelaufen, perfekt wie aus dem Lehrbuch. Sogar der Kontrollturm von Teguta Lus machte Lando Komplimente. Aber nicht einmal das besserte seine Laune. Er gab die Komplimente an Vuffi Raa weiter der die Steuerung bedient hatte. Die Lademannschaft und die Wachtruppen waren irgend-wann in der mondlosen Nacht verschwunden, aber nicht ohne die Ladeluken der Falcon sorgfältig zu verschließen, so daß am nächsten Morgen alle Kontrollampen in einem satten Grün leuchteten. Mohs hatte sich auf einer Liege zusammengerollt und wie eine uralte, primitive Verbrennungsmaschine ge-schnarcht. Vuffi Raa hatte während der ganzen Nacht das Schiff auf-geräumt und in der beschädigten Sektion herum gearbeitet. Intelligente Roboter brauchen Schlaf - je intelligenter, des-to mehr-, aber Lando hatte nie ihre nächtlichen Gewohnheiten begriffen. Er selbst hatte sich in dem eleganten und teuren Schlafsack aus Synseide, den er unter dem Spieltisch des Ge-meinschaftsraums ausgebreitet hatte, hin- und hergewälzt, bis er schließlich in einen unruhigen Halbschlaf versank, aus dem ihn der Roboter aufweckte. Er hatte sich steif und übermüdet gefühlt, und mehrere Container mit heißem schwarzem Koffe-in hatten seine grauenhafte Laune nur noch verschlechtert. »Ruhe«, fuhr er den alten Toka-Schamanen unvermittelt an. Sie waren wieder im Cockpit versammelt. Mohs saß auf dem Schleudersitz, Vuffi Raa auf dem Copilotensitz. Dies war eine höfliche Geste dem menschlichen Captain gegenüber, denn in Wirklichkeit kontrollierte der Roboter das Schiff. Ir-

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gendwann, dachte Lando, wenn er alles überstanden hatte, würde er beide Maschinen verscheuern, Vuffi Raa und die Mil-lennium. Vielleicht an jemanden, der wirklich etwas mit ihnen anzufangen wußte. »Wohin sollen wir fliegen?« Sie lagen jetzt im Orbit um Rafa IV. Von hier aus konnten sie in Minutenschnelle jeden Punkt auf der Oberfläche des Planeten erreichen oder einen anderen Planeten im System anflie-gen. Mohs schloß die Augen, murmelte die unverständlichen Worte eines uralten Rituals vor sich hin und deutete dann mit einem gichtigen Finger durch das Sichtfenster. Herr, die Geistharfe liegt in dieser Richtung.« Ausgezeichnet, dachte Lando bei sich. Ich habe ein Blechspiel-zeug als Piloten und einen greisen Hexendoktor als Navigator! Eine sadistische, leise Stimme in seinem Inneren bestand auf der Ergänzung, daß der Captain dieser phantastischen Crew ein hirnloser Sabacc-Spieler war. Kein Grund zur Beunruhigung also. Er gab es auf und starrte durch die facettierte Transparentscheibe. Wie, zum Teufel, sollte er einem halbnackten Wilden die Feinhei-ten der Astronavigation erklären? »Meinst du das helle Licht dort am Himmel, Mohs?« »Sicher, Herr: den fünften Planeten im Rafa-System; umgeben von zwei natürlichen Satelliten, mit einer atembaren Atmosphäre und etwa 0.9 der Standardgravitation; nicht unähnlich dem Planeten unter uns, den wir verließen - bis auf die Existenz der Monde. Wenn es Euch nicht beliebt -« »Vergiß es!« Der Spieler warf dem alten Mann einen mißtraui-schen Blick zu. »Woher weißt du plötzlich so verdammt viel über Astronomie?« Und wer ist hier eigentlich der Wilde, fragte er sich selbst insgeheim; er hätte den nächsten Planeten niemals aus dem

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Sternenlabyrinth über ihnen herausfinden können - nicht ohne den Bordcomputer zu benützen. Der ehrwürdige Sänger zuckte mit den Achseln und schenkte Lando ein müdes, zahnloses Lächeln. »Es steht alles im Gesang des Reflektivteleskops, Herr, in dem die Sterne dieses Systems beschrie-ben werden. Soll es nicht so sein?« Dann herrschte eine lange, lange Stille, bis Vuffi Raa schließlich bestätigte, daß das »helle Licht am Himmel« tatsächlich Rata V war. »Wie viele dieser seltsamen Gesänge kennst du eigentlich?« Der Wilde überlegte. »Mehr als ich zählen kann, Herr. Mehr als meine Ahnen und Kinder Finger und Zehen haben. Ungefähr sieben Komma sechs zwei mal zehn hoch vier: Befriedigt das Eure Neugier, Herr?« Für einen ehrwürdigen Priester war der Junge ganz schön sarkas-tisch, dachte Lando. »Das hast du wahrscheinlich aus dem Gesang der wissenschaftlichen Ausdrucksweise.« Er schüttelt den Kopf. Er verstand jetzt nur zu gut, warum Gepta und Mer diese wilde Jagd nicht selbst mitmachen wollten. Es hatte nichts mit alten Toka- Le-genden zu tun, die erfüllt werden mußten. Sie hatten einfach keine Lust, verrückt zu werden. Er fragte sich nur, wozu ihn Vuffi Raa und Mohs eigentlich brauchten. »Was nun, Meister? Wollen Sie auf Rafa V landen?« »NENN MICH NICHT MEISTER!« Der kurze Hopser von ein paar Millionen Kilometern verlief an-genehm ereignislos für den Captain und die »Crew« der Millennium Falcon. Der Flug hatte sich noch ein wenig hinaus gezögert. Vuffi Raa und Lando hatten den alten Mohs ausgequetscht, hatten ihn die ent-sprechenden Verse des entsprechenden Gesangs wiederholen lassen,

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bis auch sie davon überzeugt waren, wenn dies unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich war, daß die Geistharfe auf Rafa V versteckt war. Das heißt, wenn man von einem anscheinend senilen Schamanen, der gereimte und in Verse gepreßte Legenden von unbestimmbarem Alter von sich gibt, überhaupt überzeugt sein kann. Lando verbrachte ein paar Stunden damit, sich erst einmal auszu-schlafen, während Mohs und Vuffi Raa ein bißchen miteinander plauschten. Die Beschleunigungscouch für den Piloten war unver-gleichlich angenehmer als der Schlafsack. Als ihn Vuffi Raa weckte, fühlte Lando sich schon wieder halbwegs als Mensch. Geradezu fröhlich. Oder jedenfalls so fröhlich, wie er - . PENG! Irgendwas schlug auf das Dach des Cockpits auf, und zwar hart. Was bei allen schwarzen Löchern, war das?« rief Lando. Hinter ihm kauerte sich der alte Mann zusammen und begann, mit hoher weinerlicher Stimme Verse zu murmeln. Irgendwas über den Zorn -. PANG! Diesmal kam es von weiter hinten, von der Antriebssektion. Eine gelbe Lampe begann auf der Kontrolltafel zu blinken. Vuffi Raa drückte so schnell die Knöpfe auf dem Instrumentenbrett, daß seine Tentakel kaum mehr sichtbar waren. »Einen Augenblick, Meister, ich versuche gerade -« PING! PONG! Jetzt begannen rote Lichter zu blinken. Das leise, aber unmißver-ständliche Zischen entweichender Luft war zu hören. Lando schluck-te mühsam. Es knackte in seinen Ohren, als er dadurch den Druck ausglich, obwohl er nicht deswegen geschluckt hatte.

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Irgendwas traf die Millennium Falcon, und zwar mit großer Kraft. Aus unverständlichen Gründen tauchte in Landos Gedanken plötzlich das Bild von Constable Jandler (wenn das wirklich sein Name war) auf. Sie befanden sich jetzt im Orbit über Rafa V und wollten mit Hilfe der alten Toka-Gesänge einen geeigneten Landeplatz ausma-chen. Vuffi Raa kippte die Falcon zur Seite, so daß sie die Treffer auf der besser geschützten Unterseite abfangen konnte. Aber Schaden hatte sie auf jeden Fall schon genommen. PUNG! »Was, beim galaktischen Herzen, ist das?« gröhlte Lando. Ein merkwürdiges Objekt schwebte jetzt zwischen dem Cockpit-fenster und der Außenantenne herum. Es sah aus wie ein gläserner Rohrsauger, mit Handgriff und Saugnapf, war aber verpackt in eine kristalline Masse, die an ein übergroßes Lebenskristall erinnerte. »Ich weiß es nicht, Meister!« Klang die Stimme des Roboters tatsächlich hysterisch? Wunder-bar, dachte Lando. Das Schiff rollte weiter ab, stabilisierte sich dann, und sie flogen seitlich zum Orbit weiter. Das Bombardement schien beendet. Der Droid wandte sich Lando zu. »Es muß sich um ein künstliches Objekt handeln, Meister. Archäastronomen glauben, daß Rafa V die Heimat der Shan war, der Planet, auf dem sie sich entwickelten. Mohs Lied scheint das zu be-stätigen. Ich vermute, daß das, was wir hier sehen - und was uns be-droht -, die Überreste ihrer ersten Raumflugversuche sind, Objekte, die von primitiven Raketen in den Raum geschossen wurden oder von kleinen Raumschiffen abgestoßen wurden, bevor sie wieder in die Atmosphäre eintraten.« Das klang durchaus sinnvoll. Planetenorbits waren meist die er-giebigsten Fundorte für Überreste primitiver Technologien. Da drau-

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ßen flogen wahrscheinlich Kameras herum, gebrauchte Raumanzüge und die Überreste fader Raumfahrermahlzeiten alles praktisch so frisch wie am ersten Tag - von ein paar Mikrometeoriten und ein bißchen kosmischer Strahlung abgesehen. Dann kam Lando ein Gedanke. »Vuffi Raa, warum hast du die Schutzschilder nicht eingeschaltet, als wir die ersten Treffer eingesteckt haben? Unsere Reflektoren wä-ren ohne Schwierigkeiten mit dem ganzen Abfall fertig geworden, vor allem bei unserer Geschwindigkeit.« Es schien doch etwas Gutes zu haben, daß er in den letzten Wo-chen so oft im Handbuch geblättert hatte, dachte Lando. Vielleicht brauchte er den Roboter nur lang genug zu beobachten, bis er ihm die wichtigsten Handgriffe abgeschaut hatte. Aber andererseits hätte er in diesem Augenblick auch auf einem komfortablen Passagierschiff sitzen, einen kühlen Drink in der Hand halten und zweibeinige Schafe scheren können. »Ich weiß nicht, Meister«, kam die Antwort. »Ich habe so schnell reagiert, wie ich konnte. Festhalten, wir treten in die Atmosphäre ein!« Der Droid begann wieder, auf den verschiedenen Knöpfen her-um zu trommeln. Rafa V - auch wenn dies vielleicht der Heimatplanet der legendä-ren Sharu gewesen war - war bestimmt nicht der ideale Ort für eine menschliche Kolonie. Er besaß zwar eine Atmosphäre, auch die allgegenwärtige Ruinensammlung und, was am wichtigsten war, eine beträchtliche Anzahl von Kristallplantagen. Aber es war hier viel zu kalt und viel zu trocken, während es auf Rafa IV, dem Planeten, von dem sie gerade kamen, eher feucht und angenehm warm war. Die Karten, die sie in Teguta Lusat in den Bordcomputer eingespeichert und während ihres Fluges im Orbit vervollstän-digt hatten, zeigten, daß es hier und da kleine Siedlungen gab,

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vor allem Plantagenfarmen, auf denen ein paar Toka (die auf allen bewohnbaren Planeten im System heimisch waren) unter der Aufsicht von Gefangenen und Regierungsangestellten Le-benskristalle ernteten, wenn auch bei weitem nicht so viele wie auf Rafa IV. Ohne Zweifel würde es hier in ein paar hundert Jahren Dör-fer geben, vielleicht sogar Städte, die aber niemals den Städten gleichen würden, die die Sharu verlassen hatten. Bislang aller-dings lebten höchstens ein paar hundert Individuen auf dem gesamten Planeten. Die kolossale Pyramide, auf die Mohs deutete, war mindes-tens tausend Kilometer von jeder Zivilisation entfernt. Vuffi Raa ließ die Falcon sanft wie eine Feder auf den Lan-deplatz zwischen mehreren archaischen Gebäuden sinken, die vor der riesigen Pyramide zwergenhaft wirkten. Es gab einfach keine Worte, um das Gebilde zu beschreiben, das vor ihnen aufragte. Es mußte mindestens sieben Kilometer hoch sein, und es war so tief im Boden verankert, daß ihre Instrumente nicht mehr messen konnten, in welcher Tiefe sich die Basis der Pyramide befand. Es war ein Berg aus glattem unvergäng-lichen Plastik, der keinem erkennbaren Zweck diente. Die Pyramide hatte fünf Seiten (den Boden nicht mitgezählt - wo immer er sich befand). Die Winkel zwischen den einzel-nen Seiten waren unregelmäßig. Sie wirkte bedrohlich, gefähr-lich, so, als drohte sie jeden Augenblick zu kippen. Jede Seite war anders gefärbt: Magenta, Apricot, Senf, Aquamarin, Türkis und Lavendel. Vollkommen geschmacklos, dachte Lando. Kein Wunder, daß sie ausgestorben sind.

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Die Spitze war unverziert. Die verschiedenen Seiten stießen ein-fach an einem Punkt zusammen, der spitz genug schien, um jeden, der sich draufsetzen wollte, schmerzhafte Wunden zuzufügen. Nicht zum ersten mal fragte sich Lando, wer oder was wohl diese Wesen verängstigt hatte, die zu solch einem Werk fähig waren. Er durchwühlte die Räume des Schiffes und seinen eigenen Kleider-schrank nach einem geeigneten Anzug. Dann entschloß er sich schließlich zu einem leichten, elektrisch beheizten Parka, schweren Hosen, mikroisolierten Handschuhen und abgetragenen Stiefeln mit einer festen Synthetiksohle. Er fühlte sich so unwohl auf diesem Pla-neten, daß er mit einer festen Gewohnheit brach und einen kurzläufi-gen, schweren Zweihandblaster über seine Schulter hängte und seine Tasche mit zusätzlichen Energiemodulen füllte. Die Waffe hing vor seinem Bauch und schwang bei jeder kleinen Bewegung auffällig hin und her. Mohs lehnte sein Angebot, noch etwas anzuziehen, kurz ent-schlossen ab und ging zusammen mit dem Spieler und Vuffi Raa die Einstiegrampe hinunter. Lando fragte sich, ob sich der alte Mann zu seinen verschiedenen Wunden und Schwielen noch ein paar Frost-beulen hinzu ziehen wollte. Jedenfalls bildeten sie sicher ein ein-drucksvolles Gespann. »Bist du dir wirklich sicher, daß das hier der richtige Ort ist?« Mohs nickte heftig, während sich die Rampe langsam senkte und sie auf dem Planetenboden absetzte. Ein eiskalter Luftzug drang ins Schiffsinnere, aber ihm schien die Kälte nichts auszumachen. Die Schiffsluft wehte in deutlich sichtbaren Dampfwolken aus der Luke. Dann traten sie auf den hartgefrorenen Boden hinaus. »Meister«, warnte Vuffi Raa, »ich verlasse mich darauf, daß Sie Wasser bei sich haben. Die Luftfeuchtigkeit beträgt kaum zwei Pro-zent.«

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Lando tätschelte die gluckernden Plastikflaschen, die in den Ta-schen seines Parkas steckten. »Sicher. Und ich habe ein Kartenspiel bei mir.« Er ließ seinen Blick über die öde Oberfläche des Planeten schweifen. Feiner rötlicher Sand wellte sich wie ein gefrorenes Meer um die Grundmauern der verlassenen Gebäude. »Ich schätze, wir sterben vor Langeweile, bevor wir verdursten.« Mohs wandte sich um, und ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, während er Lando beobachtete. Dieser öffnete gerade eine kleine Platte in Augenhöhe an einem der Beine der falcon. Der Spie-ler drückte eine Reihe von Knöpfen, und die Rampe hob sich wieder, bis sie im Schiffsbauch verschwunden war. »Tragt Ihr auch den Schlüssel, Herr, den Schlüssel, der -« »Was soll das eigentlich? Ich komme mir wie ein kleiner Junge vor, der zum erstenmal zum Campen fährt.« Er stapfte wütend unter dem Schiffsrumpf hervor, nahm einen entschlossenen Atemzug - und die Luft fror sofort seine Nasenhär-chen ein. »Ich kann mir jedenfalls vorstellen, warum niemand ver-sucht hat, sich auf diesem gottverlassenen Fleck -« »Meister!« Vuffi Raa trippelte neben ihn und zupfte ihn mit ei-nem Tentakel am Saum seines Parkas. »Meister, das gefällt mir nicht, hier ist etwas -« »Ich weiß, altes Wrack, ich spüre es auch.« Der hellgrüne Himmel war wolkenlos. Trotzdem wirkte er, als sei er grau, trübe und bedeckt. Und es war kalt. Das Säuseln von Vuffi Raas Servos war deutlich zu hören. Es war vielleicht ein Zeichen dafür, daß sich seine Schmierung verdickte. Lando zog den Hand-schuh wieder über die Hand, mit der er die Rampe eingefahren hatte und steckte ihn dann tief in die Tasche, in der auch der Blaster ruhte. »Meister!« Etwas machte Zing!, und ein kurzer, fester und gemein aussehen-der Pfeil steckte zwischen dem Rumpf und dem Bein des Roboters.

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Im nächsten Augenblick regnete es Pfeile. Sie prallte an der Hülle der Falcon ab und gruben sich in den Sand zu ihren Fü-ßen. Vuffi Raa ging zu Boden, gespickt wie ein fünfbeiniges Nadelkissen. Er gab keinen Laut mehr von sich. Seltsamerweise traf kein einziger Pfeil Lando oder Mohs. Der erstere schwang seine Waffe vor seiner Brust und zielte damit auf die niedrigen Dünen ein paar Meter vor ihnen. Dann fühlte er einen dumpfen Schlag und drehte den Blaster um, um ungläubig in die Mündung zu starren. Ein Pfeil hatte sich genau in den Lauf gebohrt und die Waf-fe in eine mörderische Bombe verwandelt, die losgehen würde sobald Lando den Anzug berührte. Er schleuderte das gefährli-che Ding von sich weg und begann, in seiner Jacke nach dem kleinen Strahler zu suchen. Er würde ihm wahrscheinlich nur wenig helfen, aber immerhin - »Keine Bewegung, Herr!« rief Mohs. »Wenn Ihr Wider-stand zu leisten versucht, seid Ihr des Todes, bevor Ihr noch einmal geatmet habt!« Der alte Toka hob eine Hand. Hinter den Sanddünen tauch-ten ein halbes Hundert Toka auf. Alle waren, wie er, in einen einfachen Lendenschurz gekleidet. Und jeder von ihnen hielt einen stabilen Bogen in seiner Hand, und jeder dieser Bogen war auf Lando gerichtet.

Kapitel 10 Das also war eine richtige Lebensplantage. Die Bäume waren ein bißchen ungewöhnlich, aber eigent-lich nichts Besonderes. In dem Hain standen vielleicht fünf-

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hundert Bäume, ohne besondere Anordnung, aber völlig iden-tisch, und immer in einem Abstand von ein paar Metern. Auch der Stamm wirkte zuerst gewöhnlich - bis man ihn genauer betrachtete und entdeckte, daß das, was zuerst wie rindenbe-decktes Holz ausgesehen hatte, in Wirklichkeit ein mit Fiberglas überzogener Stamm mit einem halben Meter Durchmesser und einer Höhe von ein Metern war. Darüber breiteten sich die Äste des Bau-mes aus. Aber die erste Merkwürdigkeit, die ins Auge fiel, war das Wur-zelsystem. Jeder Baum schien auf einer Basis zu ruhen, einer unre-gelmäßigen Scheibe mit einem Durchmesser von zwei Metern. Es sah aus wie ein Spielzeugbaum auf einer Modelleisenbahnanlage. Diese Scheibe bestand aus derselben Substanz wie der Stamm, bilde-te den Fuß des Baumes und eine breite Plattform, deren äußere Kante abrupt abfiel und sich in den Boden grub. Die Unterseite dieser Platt-form war über und über mit haarfeinen Glaswurzeln bedeckt, die sich bis zu einem Kilometer tief in den Boden graben konnten. Seitwärts breiteten sie sich allerdings nicht weiter als die Äste des Baumes aus. Die Äste erinnerten in gewisser Weise an einen Kaktus. Ungefähr in Kopfhöhe begannen sie aus dem Stamm zu sprießen, und zwar genau horizontal, bis sie an einem bestimmten Punkt abknickten (je niedriger der Ast, desto weiter war dieser Punkt vom Stamm entfernt, aber keiner der Äste ragte über das Wurzelsystem hinaus) und dann senkrecht in die Höhe wuchsen. Bei den äußeren - das heißt niedrige-ren Ästen war die vertikale Komponente weniger ausgeprägt. Je wei-ter innen der Ast war, desto höher war er, so daß der gesamte Baum eine konische Form hatte. An der schlanken, vibrierenden Spitze eines jeden Astes thronte ein einzelner, facettierter, klarer Kristall, dessen Größe von einem winzigen Stecknadelkopf bis zu einer geballten Faust variieren konn-te. Jeder Baum trug insgesamt vielleicht tausend Kristalle. In der

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Mitte, genau über dem Stamm, wuchs ein sehr hoher, schlanker Ast wie eine Funkantenne. Dieser Ast war der einzige, der keinen Kris-tall trug. Die Bäume waren ein bißchen kleiner, ein bißchen gedrungener, als Lando es gedacht hätte. Vielleicht hatte das mildere Klima von Rafa IV etwas damit zu tun. Es war sowieso kaum zu begreifen, wie auf Rafa V überhaupt etwas wachsen konnte. Denn diese Bäume wuchsen tatsächlich - obwohl sie im Grunde eine Kreuzung zwischen organischem Leben und leb-losen Kristallen waren. Aus noch unbekannten Samen wuchsen ganze Plantagen, jeder Baum tat es mit genau der gleichen Ge-schwindigkeit. Wenn man einen Kristall von der Spitze eines Astes abbrach - was man nur mit einem Laser fertig brachte - wuchs innerhalb eines Jahres ein neuer. Lando wußte, daß in manchen Teilen des Rafa-Systems die Bäume nicht höher als eine Handbreit waren, während sie in anderen Gegenden bis zu zehn oder zwölf Metern erreichten. Die Größe der Kristalle verhielt sich proportional zur Größe der Bäume. Manche der Kristalle hatten mikroskopische Ausmaße und waren für kom-merzielle Zwecke nicht zu gebrauchen. Andere überragten so-gar Vuffi Raas Körper. Der Gedanke an Vuffi Raa unterbrach Landos Betrachtun-gen über die Bäume und ließen ihn statt dessen darüber nach-denken, wie er in diese vertrackte Situation gekommen war. Vor dem Schiff hatte er sich voll Trauer umgewandt und den kleinen Roboter betrachtet. Sein rot leuchtendes Auge war er-loschen; aus allen Teilen seines Körpers ragten Pfeilschäfte hervor. Eine klare Flüssigkeit rann aus seinen Wunden und tönte den rötlichen Sand um ihn herum dunkel.

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Mohs trat zu ihm. Er war aber nicht länger gebeugt und unterwürfig. Er streckte eine offene Hand aus. »Reicht mir den Schlüssel, Hochstapler!« Landos Kinnlade klappte herunter. Er hatte nicht mehr viel zu verlieren, und er war wütend - am meisten auf sich selbst. Er verschränkte die Arme vor der Brust, pflanzte sich vor Mohs auf und grunzte. »Den Schlüssel! Er ist nicht Euer, er gehört uns! Übergebt ihn mir.« »Erzähl keinen Unsinn, alter Knabe!« Aus völlig unerklärlichen Gründen zeigte sich auf Mohs Gesicht plötzlich Bestürzung. Er ließ die ausgestreckte Hand sinken, drehte sich zu den anderen Eingeborenen um, die ihn wie ein undurchdringbarer Ring umgaben, und zuckte mit den Achseln. Dann wandte er sich wieder an Lando. »Ich sage es Euch nur noch einmal, Ihr Betrüger, Roßtäuscher, Gauner, Ihr, Ihr... « »Wenn du mich beleidigst«, erklärte Lando, der zwar keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging, aber schon wieder Hoff-nung schöpfte, »dann beleidige ich dich auch. Ja, genau das werde ich tun: Du klingst wie ein rostiger Schlüsselbund!« Er nickte bekräftigend. Mohs machte völlig fassungslos einen Schritt zurück, ob-wohl Lando nicht sagen konnte, ob ihn nun diese unglaubliche Beleidigung oder die generelle Wendung der Ereignisse so schockiert hatte. Mohs blickte jetzt wieder zu seinem Volk - und das war das nächste Rätsel, dachte Lando müßig: Mohs stammte von einem anderen Planeten. Wie kam es, daß die Einheimischen ihn trotzdem zu kennen und ihn als Führer anzuerkennen schie-nen?

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Dies brachte eine weitere Frage mit sich: Wie hatten sie überhaupt diesen Hinterhalt legen können? Die Wilden berieten sich eine Weile in ihrer eigenen Spra-che. Dann schienen sie eine Entscheidung getroffen zu haben. »Ihr werdet mit uns kommen, Hochstapler!« befahl Mohs. Er stapfte parallel zur Seite der Riesenpyramide davon. Lando rührte sich nicht. »Ich gehe nicht, und wenn eure Sonne verglüht! Autsch!« Das letzte klang eher überrascht als schmerzvoll. Ein Pfeil war an Landos Kopf vorbeigezischt, hatte sein durch die Kälte empfindliches Ohrläppchen gestreift, war dann von der Hülle der Falcon abgeprallt und hatte sich auf dem Rückflug in Landos isolierten Hosenboden gebohrt. Langsam begann er ihr Verhalten zu begreifen: Sie wollten ihn nicht töten; sie konn-ten ihm den Schlüssel nicht ohne sein Einverständnis abneh-men (obwohl Mohs das auf Rafa IV versucht hatte, erinnerte sich Lando), aber sie konnten ihn bedrohen und auf andere Weise gefügig machen. Und das machten sie gar nicht schlecht. Er tastete nach dem Strahler, den er hatte herunterfallen lassen, während er so tat, als wollte er sich den Pfeil aus seiner Hose ziehen. Er wollte wenigstens ein kleines Gemetzel veran-stalten ehe sie ihn niederschossen. Er war noch keinen Meter weit gekommen, als ein neuer Pfeilregen seine Waffe im wahrsten Sinn des Wortes unter sich begrub, ihn durch den Abzug, die Trageschlinge und andere Öffnungen in seinem Lauf am Boden festnagelte. Soweit also dieser geniale Plan. Wie ein Mann richteten fünfzig Toka wieder ihre Waffen auf Lando. »Okay, okay, ich komme! Würde mir vielleicht jemand ein Taxi rufen?«

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Zwei Stunden später wünschte sich Lando, er hätte das nicht nur im Scherz gesagt. Sie eskortierten ihn Meile um end-lose Meile durch die Wüste, kletterten über kleinere, unregel-mäßige Ruinen, schleppten ihn durch knietiefen Treibsand und ließen ihn durch stachliges Unterholz kriechen. Seine Füße waren wund und seine Beine schmerzten, und er konnte die Heizung seines Anzugs so hoch stellen, wie er wollte, er fror trotzdem. Schließlich blieb er stehen. »Okay, es reicht. Bis jetzt war ich nett und anständig zu euch, aber jetzt ist es genug. Ich gehe keinen Schritt mehr wei-ter. Wenn ihr den Schlüssel wollt, dann müßt ihr ihn euch von mir holen. Ich gehe keinen Meter mehr weiter.« Die schweigenden Eingeborenen, die ihn umringten, sahen auf Mohs. Der alte Mann nickte. Sofort flogen unzählige Pfei-le auf ihn zu, zerrten an seinen Kleidern, schlugen zu seinen Füßen in den Boden, so daß der Sand in sein Gesicht spritzte, oder sie flogen nur Mikrometer über seine Kopfhaut hinweg. Diese Kerle waren ganz bestimmt eindrucksvolle Schützen, dachte Lando; hoffentlich bekam keiner von ihnen plötzlich Schluckauf. Er rührte sich nicht vom Fleck, bis sie begannen, zwischen seine Beine zu schießen. Das war es nun wieder nicht wert. Er wartete, bis sie eine kurze Pause einlegten und marschierte dann weiter. Er hatte schließlich auch herausgefunden, daß das, was er anfangs für einfache Bogen gehalten hatte, etwas ganz anderes war. Es war eine komplizierte Waffe mit einklappbaren Flügeln - wie das Holz eines Bogens geformt -, die bei jedem Schuß nach vorne schnellten und das Projektil aus der Mitte hervor schleuderten. Anscheinend brauchten die Waffen nicht nach jedem Schuß neu geladen zu wer-den. Er schätzte, daß irgendwo in dieser Waffe ein Magazin mit ei-nem Vorrat von vielleicht zwölf Schuß verborgen war. Die Geschos-

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se waren nicht sehr weitreichend wie Projektilwaffen sonst im allge-meinen. Aber die Geschwindigkeit und Treffsicherheit, mit der die Toka sie bedienten, machten ihm bewußt, daß er ebensogut durch tausend Pfeile wie durch einen einzigen Blasterschuß sterben konnte. Noch dazu viel schmerzhafter. Sie marschierten immer noch. Und wieder vergingen Stunden. Lando kam es jedenfalls so vor. Er wollte nicht auf seine Uhr sehen, weil er die Eingeborenen nicht darauf aufmerksam machen wollte, daß er vor ihnen verschiedene Gegenstände an seinem Körper versteckte, wie zum Beispiel den fünfschüssigen Strahler. Wahrscheinlich würde er ihn nicht brauchen können, aber er war trotzdem eine moralische Stütze für ihn, der Strohhalm, an den er sich noch klammern konnte. Schritt auf Schritt, und jeder war mühsamer als der vorangegan-gene. Das Land veränderte sich kaum: zwischen Wüste und Tundra, vollgestellt mit riesigen Sharu-Ruinen. Sand, Sand und wieder Sand. Ab und zu ein paar einsame Gräser. Der klare, aber irgendwie be-drohliche Himmel. Er dachte wieder an Vuffi Raa und hoffte, daß Roboter schnell und schmerzlos sterben. Und während des ganzen, quälend langen Wegs sangen die Toka um ihn herum, manchmal langsam, manchmal schnell, aber nie im Rhythmus zu ihrem Marsch. Es war zum Verzweifeln. Hin und wie-der stolperte er deswegen sogar. Er wußte nicht, wie der Verstand der Toka funktionierte, aber er wußte, daß ihm nicht gefiel. Sie sangen mit tiefer Stimme, dann wieder ganz hoch. Sie san-gen harmonisch, sie sangen disharmonisch, sie sagen kontra-punktisch. Man hätte sie als Unterhaltungstrupp engagieren sollen - ihr Repertoire war endlos. Und dann endete der Marsch in einem Wäldchen von Le-bens kristallbäumen. Mohs näherte sich ihm.

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»Hochstapler, vernehmt mich: Es ist uns nicht gestattet, dem Träger des Heiligen Schlüssels seinen Schlüssel zu ent-reißen auch wenn der Träger falsch ist. Ihr habt das irgendwie erahnt. Auch dürfen wir den, der den Schlüssel trägt, nicht töten, auch wenn wir den falschen Botschafter töteten, was uns mit großem Glück erfüllen würde.« Das war es also! Irgendwie hatte Lando immer gedacht, daß der Träger des Schlüssels und der Gesandte ein und die-selbe Person waren, das heißt, er selbst. Hatte Mohs das ir-gendwie gespürt und deshalb den ganzen Zirkus veranstaltet? Er versuchte sich zu erinnern, was er darüber zu Mohs ge-sagt hatte. Er merkte aber dann, daß das jetzt sowieso keinen Unterschied mehr machte - außerdem redete der alte Mann immer noch. »... sollen sie es selbst tun. Folgt mir!« Lando folgte ihm an einen Baum. Ein paar der Toka gaben ihren Kameraden ihre Waffen, stellten sich zu Mohs und Lando und zauberten einen Lendenschurz hervor. Als Lando sich endlich entschloß, Widerstand zu leisten, war es längst zu spät. Sie hatten ihn auf den Boden gesetzt, ihn mit dem Rücken an den Baum gebunden und seine Hände auf seinem Rücken gefesselt. Dann zogen sie ihm seine Kappe vom Kopf, rissen seine Jacke auf und zogen sie ihm aus. »Halt! Einen Moment! Wißt ihr eigentlich, was mein Schneider mir dafür berechnet hat - nein, das geht zu weit!« Mohs hatte Lando einen der Schuhe ausgezogen und beugte sich jetzt über den anderen. Als das vollbracht war und die Schuhe neben Landos zerrissenem Parka lagen, zerrten sie ihm noch die Tunika vom Körper und auch sein Unterhemd. Dann zog Mohs ein Messer aus seinem Lendenschurz. »jetzt warte doch mal einen Moment! Das geht doch nicht!«

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Er stieß mit den Füßen nach dem alten Mann, bis zwei Toka seine Beine festhielten. Er hatte nie an todesverachtende, schweigende Helden geglaubt, und nachdem er jetzt nur noch schreien konnte, schrie er. Er schrie die ganze Zeit über, während Mohs seine Hosenbeine aufschlitzte und seine nackte Haut der eiskalten Luft preisgab. »Nun«, sagte der alte Sänger, nachdem er mit seiner Arbeit fertig und zufrieden war, »jeder von euch kann sehen, daß der Träger des Schlüssels ihn immer noch bei sich trägt.« Das war nicht zu leugnen. Sie hatten ihm seine Tunika wegge-nommen und sie in den schmutziggrauen Lendenschurz gesteckt, den sie ihm umgebunden hatten. Das war ein kitzliger Augenblick gewe-sen. Er hatte sich so still wie möglich verhalten, damit sie den klei-nen Strahler nicht berührten, der sich unter dem Lendenschurz und seiner Schärpe befand. »Nun werden wir warten. In Ihrer Zeit werden Sie sein Leben zu sich nehmen, und Ihr Weg wird die Kälte oder der Baum sein. Erst dann werden wir wiederkehren und den Schlüssel nehmen, der unser rechtmäßiges Erbe ist. Wir gehen.« Sie gingen wirklich. Als die Sonne hinter dem monströsen Horizont versank, krochen die Schatten der Ruinen unerbittlich auf den hilflosen Spieler zu, und sein Mut sank noch schneller als die Sonne. Er beobachtete, wie sich Pflanzen zu kleinen Bällchen zusammenrollten, um sich vor der Nachtkälte zu schützen. Er bemerkte, wie seine Zehen langsam ab-starben. Er sah, wie sich die Feuchtigkeit am Boden in kleine Eiskris-talle verwandelte. Aber die meiste Zeit beobachtete er seinen schönen warmen Par-ka, die Tunika, Schuhe und Socken, auf denen sich inzwischen auch Eiskristalle bildeten, nicht einmal drei Meter von seinen hilflosen, unbeweglichen Händen entfernt.

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Er begann zu fluchen, zuerst vor Wut auf sich selbst und auf Gepta und Mer und Mohs, dann nur noch, um sich warm zu halten. Er fluchte in seiner Muttersprache und in dem guten Dutzend an-derer Sprachen, die er in seiner langen und lebhaften Laufbahn ge-lernt hatte. Er fluchte in drei Computersprachen und in dem trällern-den Tschirpen einer musikalischen Vogelrasse, mit der er einmal Karten gespielt hatte - bis ihn das Geträller an die Toka erinnerte. Er verfluchte die Toka wieder und wieder. Und wieder! Und wie-der! Er wachte auf! Und begann wieder zu fluchen, bloß um nicht mehr einzuschla-fen. Wenn er einschlief, würde er sterben.

Kapitel 11 Tödliche Stille. Unter einer drohenden, monströsen, krebsartigen Gestalt auf stel-zendünnen Beinen zeichneten die zwei blassen Monde von Rafa V metallische Reflexe in den nachtschwarzen Sand. Die Schatten über-lagerten sich in verschiedenen Winkeln und Färbungen: der riesige Doppelschatten der Millennium Falcon und Hunderte winziger Dop-pelschatten, die die kurzen Schäfte hölzerner Pfeile auf einem zer-brechlichen Metallkörper erzeugten. Tödliche Stille und tödliche Kälte. Überall um die Falcon herum hatten sich kleine Pflanzen zu kom-pakten, olivfarbenen Bällen zusammengerollt, um der Kälte besser Widerstand leisten zu können. Die Luft war trocken, noch trockener als tagsüber. Hier und da zeigte sich das stille Glitzern winziger Eis-kristalle auf den halbgefrorenen Pflanzen, auf den kleinen Dünen, auf

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den Rändern der tausend Fußspuren, die das Schiff umgaben, sogar auf den gemarterten, verknäulten Chromschläuchen, die in einem unordentlichen Haufen genau eben dem mächtigen Schatten der Fal-con lagen. Immer noch färbte die Flüssigkeit den Sand rund um diesen er-bärmlichen Haufen, träge und dickflüssig und zäh jetzt, in der kalten Stille. Aber ein paar Zentimeter unter der sandüberzuckerten Ober-fläche gab es noch Leben. Staubgroße, metallisch glänzende Pseudo-organismen, die mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen waren, bewegten sich in der verdickten Flüssigkeit, wanderten Millimeter um Millimeter zurück zu dem großen Pseudoorganismus, aus dem sie lange vor Einbruch der Dunkelheit geflossen waren. Mikroskopische Flagella arbeiteten unermüdlich. Millionen dieser winzigen Objekte legten Zentimeter um Zentimeter zurück, riesige Strecken für ihre Verhältnisse, um dahin zu gelangen, wo sie hinge-hörten. Die Flüssigkeit hinter ihnen war dünner, leichtflüssiger, so daß mikroskopische Mengen von Kristallen und Mineralien in ihrem Sog zu dem großen Organismus gelangten. Dieselben zwei Monde warfen auch einige Kilometer weiter entfernt ihre Doppelschatten. Unter einer glasartigen Halbkugel aus dünnem Geäst saß zusammengekauert eine Gestalt, die verzweifelt versuchte, am Leben zu bleiben. Lando Calrissian starb. So wie Vuffi Raas Le-ben im Sand zerflossen war, so spürte er seinen eigenen Lebensgeist durch seine Haut in die klirrende Luft und in die hungrige Pflanze entweichen, an die man ihn gefesselt hatte. Überall um ihn herum hätte er die gleichen Pflanzen sehen kön-nen, die sich zu kleinen Bällchen zusammengerollt hatten, wenn es ihn interessiert hätte. Vielleicht hätte er sich gewünscht, er könnte es genauso machen. Aber all das kümmerte ihn nicht mehr. Von Zeit zu Zeit lief ein Schauer durch seinen Körper. Es waren unbewußte Zu-

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ckungen, die das Band um seinen Körper nur noch mehr zu straffen schienen, wie die Bänder um seine Handgelenke, die die Blutzirkula-tion unterbanden. Das Denken fiel ihm immer schwerer, und Lando wußte nicht ob er der Kälte oder dem Baum die Schuld daran geben sollte. Irgendwie war es für ihn wichtig, das herauszufinden. Was hatte er über diese Bäume gehört? Daß es im Universum nichts umsonst gab, daß die Kristalle das, was sie einem Men-schen schenkten, zuerst einem anderen nehmen mußten? Raub-ten sie es ihm jetzt? Vor allem schmerzte es. Seine nackten Füße fühlten sich an als stünden sie in Flammen. Selbst in der trockenen Luft bilde-te sich Reif auf ihren Spitzen und auf den Nägeln. Wie kalt muß Gewebe eigentlich sein, damit sich Frost darauf bilden kann? Kalt genug für Frostbrand? Nun, so leicht würde er es ihnen nicht machen! Er nickte bekräftigend und bemerkte erst jetzt die Tränen, die über seine Wangen gelaufen und dort festgefroren waren. Wenn er seine Füße noch spürte - er wünschte, er würde sie nicht mehr spü-ren, denn der Schmerz war mindestens so schlimm wie die Kälte dann mußte er auch seine Finger noch fühlen. Sie waren auch eiskalt, aber durch seinen Körper, den Lendenschurz, den sie ihm gelassen hatten, und den Baum abgeschirmt. Der Baum. Der Glasfiberstamm fühlte sich wie ein Eisblock auf sei-nem Rücken an. Die Äste über seinem Kopf waren fast trans-parent - oder transluzent? -, wo sie vor dem Mond standen. Er schüttelte den Kopf, um Klarheit in seine Gedanken zu bringen. Trotz des Nebels in seinem Kopf versuchte er heraus- zu finden, was ihn störte. Daß sein Herz aufgehört hatte zu schlagen? Nein, das war es nicht. Er atmete noch - aber jetzt,

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nachdem er sich dessen bewußt geworden war, wurde ihm auch das Atmen zu einer Last, einer Willensanstrengung, die er aufbringen mußte, wenn er nicht plötzlich damit aufhören wollte. Er wünschte, er hätte diesen Gedanken nicht gehabt und könnte wieder automatisch atmen. Das war es! Ganz unbewußt hatte er etwas mit seinen Hän-den, mit seinen Fingern getan. Warum schmerzten seine Fin-gerspitzen so? Waren sie auch wie seine Zehen erfroren? Das sollte eigentlich nicht sein - aber »sollte« war ein seltsames Wort: Er sollte eigentlich überhaupt nicht hier sein, an einen Baum gefesselt, der langsam sein Leben aus ihm heraussog. Er sollte... er sollte, wo sollte er eigentlich sein? Irgendwo, wo es warme Räume und schöne Frauen und... und... Spielkarten gab! Was würde er mit Spielkarten machen? Er versuchte verzweifelt, das herauszufinden und bemerkte nicht einmal, daß seine Finger wieder an dem mürben Stoff zu arbeiten begannen und langsam Faser um Faser zerpflückten. Man stelle sich ein metallisches Fünfeck vor, mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern, die Kanten etwa sieben oder acht Zentimeter dick, in der Mitte vielleicht doppelt so stark. Im Zentrum dieses Fünfecks sitzt eine Linse, tiefrot, groß wie die Handfläche eines ausgewachsenen Mannes. Und sie ist dunkel, obwohl sie eigentlich warm und angenehm glühen sollte. Dunkel wie der Tod. Wieder zurück zu den Kanten. Dort gibt es Schweißnähte. Diese Schweißnähte verbinden röhrenförmige Tentakel mit dem Hauptkörper. Diese Tentakel sind in anfangs einen Zen-timeter breite Glieder unterteilt, die sich nach außen hin ver-jüngen, so daß jedes Glied ein bißchen schmaler, ein bißchen kleiner ist als das vorangegangene. Sie sind gekrümmt,

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schlangenförmig, und sehr, sehr blank poliert, so daß sich die kalten Monde und die grausamen Sterne in einem unheimli-chen Zerrbild darauf spiegeln. Die Tentakel liegen ineinander verschlungen, verknäuelt und absolut reglos. Und in fast jedem Gelenk, in fast jeder Naht steckt ein primitiver brauner Stift, der ungehobelt und rissig ist. Es gibt Hunderte davon, die in den unmöglichsten Winkeln aus dem Torso herausragen. Wo ein Pfeil das dünne, empfindliche Metall durchstoßen hat, hat sich ein kleiner Quell dicker, klarer Flüssigkeit gebildet. Und ab und zu fällt ein klarer Tropfen dieser Flüssigkeit in den Sand darunter. Wenn man die graziösen, verschlungenen Kurven der Ten-takel verfolgt, die sich langsam, ganz langsam verjüngen, ge-langt man nach etwa einem Meter an eine Stelle, wo sich die Tentakel in fünf elegante schmale Finger verzweigen. Norma-lerweise stehen diese Finger eng zusammen, so daß es aus-sieht, als ende das Tentakel in einer einzigen, vollkommen regelmäßigen Spitze. Sie verbergen so das kleine rote Auge, das sich in jeder »Hand« verbirgt, kleine Kopien des großen Auges im Rumpf. Jetzt aber sind die Finger gespreizt, ob durch Zufall oder in tödlicher Agonie, weiß nur der schwei-gende Mechanismus des Wesens Und dieser Mechanismus ver-rät nie etwas, nicht einmal, was der Tod für eine Maschine bedeutet. Vielleicht weiß es die Maschine eben so wenig wie ihre Schöpfer, vielleicht kann sie es nicht wissen, bis sie stirbt, und dann kann sie ihre Weisheit nicht weitergeben. Vielleicht ist der Tod für eine Maschine ein ebenso großes Rätsel wie für jedes natürliche Wesen. Vielleicht. Jeder der zarten, dünnen Finger besteht aus vielen einzel-nen Gliedern, genau wie die Tentakel - kleinen, unfaßbar zar-

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ten Gliedern, wie sie ein Uhrmacher fabrizieren würde, wenn er durch seine Lupe blickt und versucht, das mikroskopische Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Aber nach ein paar Zen-timetern teilen sich auch diese Finger - in etwas, das noch nie-mand gesehen hat. Glied reiht sich an Glied, immer kleiner, immer feiner, bis man sie mit bloßem Auge nicht mehr sehen kann - und so weiter. Diese Unterfinger sind am Ende dünner als ein Haar, fester als Draht... und unglaublich stark. Ihr Innenleben ist genauso ausgefeilt, so kompliziert wie jeder andere Teil des Körpers, zu dem sie gehören. Aber im Gegensatz zu dem pentagonalen Metalltorso, zu den schlangenförmigen, gliedrigen Tentakeln, sogar zu den schlanken festen Fingern sind sie zu klein, um gesehen zu werden, zu fein, als daß sie ein Pfeil treffen könn-te. Eines dieser winzigen Tentakel bewegt sich. Es tastet hin und her, ein paar Augenblicke lang, als lebte es sein eigenes Leben. Es rollt sich zusammen und entrollt sich wieder, als wollte es seine Beweglichkeit testen. Es streckt sich minutenlang, dann zieht es sich wieder zusammen. Es tastet wieder und schlingt sich dann um die Basis eines Holzstocks, der sich in seiner Nähe in den Körper gebohrt hat. Es zieht. Man hört ein leises, sanftes Schmatzen. Langsam gibt der Pfeil nach, gleitet zurück, schabt an dem durchstoßenen Metall. Der haar-dünne Unterfinger zieht ihn heraus und läßt ihn dann fallen. An an-deren Stellen machen andere Unterfinger dasselbe. Und innen, wo das durchstoßene, zerfetzte Metall in scharfen Spitzen, Kanten, rissi-gen Zähnen ins Innere ragt, beginnen mikroskopisch kleine Metall-organismen damit, es wieder an seine Stelle zu setzen, es zurück zu drängen, zu hämmern, fast Molekül für Molekül.

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»Der Bantha war ein struppiges Tier, hätt' er nur das Haar dafür... Sein Federkleid war' wunderschön, könnt' man nur die Federn sehn... Hee, he, he, he!« Lando bekam einen Hustenanfall, wodurch sein geniales Gedicht vorzeitig beendet wurde. Er war enttäuscht. Niemand würde jemals von seiner Begabung als Poet erfahren - obwohl er nicht genau wuß-te, warum. Aber trotzdem machte es ihn traurig, und er begann zu weinen, noch bevor er mit dem Lachen aufgehört hatte. Seine hochsensiblen Finger, die lange an Spielkarten, Münzen und in den Taschen fremder Leute trainiert worden waren, arbeiteten ohne sein Zutun. Sie zupften immer noch an dem rauhen Tuch, mit dem man seine Hände zusammengebunden hatte und das langsam alle Adern abschnürte. Sie mußten ihre Aufgabe erfüllt haben, ehe die Blutversorgung zusammenbrach. »Der Governor von Rafa Vier ist fett wie eine Kuh... mit Stummel-bein und Stoppelhaar sieht er grad' aus wie... ein Schuh? Ruh? Du? Du! Sieht er grad' aus wie du, mein Freund, sieht er grad' aus wie du!« Hinter Lando, zwischen seinem Körper und der Pseudopflanze, riß die letzte Faser. Fast erschrocken kam Lando für einen Augen-blick in die Wirklichkeit zurück. Er war überrascht daß er seine Hand bewegen konnte, und beinahe verärgert darüber, daß das Blut wieder zu fließen begann und ihn mit Nadelstichen und Krämpfen marterte. Vuffi Raas Probleme hatten nichts mehr mit Nadelstichen zu tun. Seine Finger waren inzwischen frei. Die Pfeile, die sie an den Boden genagelt hatten, waren alle entfernt. Seine Glieder würden eine Zeit-

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lang unbeweglich und steif bleiben – wenn jemand herausfinden möchte, warum, dann kann er sich ja bei Gelegenheit einmal eine Kugel durch die Hand jagen -, aber er befreite inzwischen schon sei-ne Tentakel von den Pfeilen. Die Flüssigkeit in den Wunden hatte sich verhärtet. Diesmal war dies nicht durch die Kälte geschehen, sondern weil seine Konstruk-teure das so geplant hatten, um sein empfindliches Innenleben zu schützen. Er nahm nicht länger Flüssigkeit aus dem Sand auf. Die Spuren von Metallen und Mineralien, die er auf diese Weise aufge-nommen hatte, würden ihm nicht lange helfen: Er würde tanken - das war etwas, das er erst einmal in seinem langen, langen Leben ge-macht hatte - und vielleicht sogar eine Schmierung vornehmen müs-sen; eine ganz neue Erfahrung. Aber er lebte. Noch mehr, er war bei Bewußtsein und hatte genug Energie, um sein Gehirn zu versorgen. Er hatte die Kontrolle über die einfachen Selbstreparaturmechanismen übernommen, und die Arbeit ging mit vierfacher Geschwindigkeit voran. Er begann sich langsam wieder gut zu fühlen. Er wußte, daß er das, was er für andere tun konnte, also auch für sich selbst vermochte. Die Wüste wurde mit dem ersten tiefroten Glimmen seiner Linse verschönert, auch wenn das Licht unvergleichlich schwächer als der Schein der beiden Monde am Himmel war – seine erste bewußte Wahrnehmung. Sein Körper bewegte sich im Sand, während er die Pfeile entfern-te, und seine Wunden verheilten. Lando Calrissian erwägte ein tiefes philosophisches Problem. Eines der tiefsten aller Zeiten. Sein rechter Arm war jetzt voll kom-men frei, aber er wußte nicht mehr, warum das wichtig für ihn war. Was hatte er mit diesem Arm tun wollen? Irgendetwas gegen die Kälte.

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Nein, das war idiotisch: Es war überhaupt nicht kalt. Es war an-genehm warm. Die Wärme breitete sich von seinen glühend heißen Füßen her aus, drang in seinen Körper bis hinauf zu den Schultern. Am wärmsten waren seine Ohren. Sie standen in Flammen. Feuer! Er sah sich um. Rauchig genug für ein Feuer war es hier. Der Hain, in dem er es sich so bequem gemacht hatte, war voller Qualm. Irgendwer hatte den Abzug vom Kamin nicht geöffnet. In ein paar Minuten würde er aufstehen und das selbst erledigen müssen. Man konnte keinem Menschen mehr trauen, nicht einmal, wenn es um etwas so Einfaches ging wie - Feuer! Es hatte etwas mit einer Waffe zu tun! Aber was, beim galakti-schen Nullpunkt, sollte er mit einer Waffe anfangen, selbst wenn er eine hätte? Auf was sollte er schießen? Es gab hier nichts, mit dem er kämpfen mußte oder das er jagen konnte, selbst wenn er der Typ dazu wäre. Außerdem hatten sie seinen Blaster mit einem Pfeil am Boden festgenagelt. Unheimlich gute Schützen, diese... diese... "Wer war ein so guter Schütze? Wer hatte geschossen? Geschossen? Was sollte das denn damit zu tun haben? Er hatte doch nur auf das Feuer aufpassen sollen, oder nicht? Na ja, dachte er, es wird langsam Zeit - er versuchte auf zu stehen. Bei allen Spiralnebeln, er war von der Hüfte an gelähmt! Nein - er war einfach unvorsichtig gewesen, weil er seine Hosen angezogen hatte, und darüber diesen... diesen... In einem Moment völliger Klarheit faßte er in seine Schär-pe, zog seinen kleinen Strahler hervor, entsicherte ihn und schoß. Der Lendenschurz fiel zu Boden. In panischer Angst rollte Lando sich von dem Lebensbaum fort. Er mußte sich fast zwingen, die restlichen vier Schüsse nicht auf dieses Ding abzugeben, das ihm sein Gehirn ausgesogen hatte

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Es kostete ihn Überwindung. Jeder Knochen, jeder einzelne Muskel, jeder Quadratzentimeter seines Körpers war in völliger Agonie. Bei jeder Bewegung glaubte er, er müßte zusammen bre-chen. Tränen flossen über seine Wangen. Alles, was er wollte war schlafen. Nur ein bißchen ausruhen. Das war es: Er wußte daß er noch etwas tun mußte, aber er wollte sich vorher ausruhen. Wieder warm werden - nicht richtig schlafen, nur die Augen für einen Au-genblick schließen und -. Er schrie seine Wut fast heraus - auf was er wütend war konnte er nicht erklären - und rollte, krabbelte, kroch über den Boden. Jeden Zentimeter erkaufte er sich mit immer neuen Schmerzen. Dann er-reichte er den Haufen mit seinen Kleidern, die ihm Mohs und seine Jungs ausgezogen hatten. Er tauchte in seinen Parka und drehte die Heizung auf volle Kraft. Und dann kamen die Schmerzen wirklich. Mit seinen Hosen war nicht mehr viel anzufangen. Sie waren an beiden Seiten bis zur Hüfte aufgeschlitzt - Lando erinnerte sich an das Messer, wahrscheinlich aus Lebenskristall. Der Lendenschurz hing immer noch lose vor seinem Bauch. Mit steifen Fingern breitete er ihn aus, zerriß ihn in schmale Streifen, band die Streifen um seine Beine und knotete sie an strategischen Punkten über seiner Hose zu-sammen. Er kauerte sich in seinem Parka zusammen und versuchte, sich die Handschuhe über zu ziehen. Der Strahler war klein genug, daß er ihn im rechten Handschuh verstecken konnte. So konnte er sofort schießen, wenn es nötig wurde. Die kleine Waffe war noch von dem letzten Schuß angenehm warm. Und jetzt kam das Aufstehen. Sollte er den Parka noch einmal ausziehen, um sich noch mit Unterhemd und Tunika zu bekleiden? Es wäre sicher hygienischer, aber irgendwie schien das im Moment nicht so wichtig zu sein. Ah ja! Er hätte fast die Strümpfe und Schu-he vergessen.

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Als er sich seine Füße genauer betrachtete, wünschte er, er hätte das tatsächlich vergessen. Diese Zehen würden ihm feh-len, und eine Regeneration war so viel er wußte lästig und ziemlich schmerzhaft. Wahrscheinlich gab es nichts Schlimmeres im Universum, als seine Füße regenerieren zu müssen. Sehr, sehr vorsichtig zog er sich seine Socken an - nachdem er den Sand so gründ-lich wie möglich hinaus geschüttelt hatte -, und darüber stülpte er seine Schuhe. Wie sollte er eigentlich aufstehen? Er wagte es nicht, sich einem dieser todbringenden Bäume so weit zu nähern, daß er sich daran abstützen konnte. Er rollte auf die Seite, zog seine Knie an die Brust, und rollte wieder zurück. Es fühlte sich an, als hätte jemand seine Füße in einen Schraubstock geklemmt und würde jetzt ganz langsam zudre-hen. Er versuchte sich damit zu trösten, daß er zumindest noch lebendig genug war, um die Schmerzen zu spüren. Aber ir-gendwie munterte ihn das nicht besonders auf. Er ermutigte sich, daß er jetzt wenigstens wieder einen Kopf zwischen sei-nen Schultern hatte und keinen lallenden Blumenkohl. Er rappelte sich auf die Füße und zwang sich, ein paar Schritte zu machen. Das also war eine richtige Lebensplanta-ge. Es wäre um ein Haar eine Todesplantage geworden, dachte er. Mohs würde ganz schön verdutzt sein, wenn er morgen kommen würde und sein Opfer verschwunden war, und mit ihm —. Der Schlüssel! Er betastete seine Schärpe. Sogar durch seine Handschuhe und den dicken Parka spürte er den unförmigen, seltsamen Klumpen. Das würde den armen Alten auf die Palme bringen. Lando kicherte leise in sich hinein.

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Dann kam ihm der Gedanke, daß er vielleicht beobachtet wurde. Ach was, sollten sie ihn doch beobachten! Der Strahler hatte keine richtige Mündung wie ein Blaster, sondern nur ein kleines Loch. Er sah eigentlich wie eine dicke, runde und kur-ze Antenne aus. Er lebte, konnte denken, stand auf seinen ei-genen Füßen - und er würde jetzt zurück zur Falcon gehen, um sich eine Tasse schönen heißen - Vuffi Raa! Es war wirklich ein schlechter Tag gewesen! Er war beinahe getö-tet worden, man hatte ihn entführt, und sein bester Freund war von ihm gegangen. Nein, er schämte sich nicht, es zu sagen -. Der Droid war der beste und loyalste Freund gewesen, den er jemals gehabt hatte. Er würde den kleinen Kerl vermissen. Und wie kam er überhaupt zur Falcon? Das war nicht schwer: Er mußte einfach den Spuren folgen, die in dem hellen Mondlicht im-mer noch deutlich zu erkennen waren. Er machte einen Schritt vorwärts. LANDO CALRISSIAN! Bevor er sich dessen überhaupt bewußt war, hatte er den rechten Handschuh ausgezogen und hielt den Strahler schußbereit in der Hand. Über ihm schwebte ein hell erleuchtetes Raumschiff, und ein Suchscheinwerfer strahlte ihm genau ins Gesicht. Der ganze Le-benswald war erleuchtet. Das Raumschiff landete. »Lassen Sie die Waffe fallen«, sagte eine vertraute Stimme über den Lautsprecher, »und nehmen Sie die Hände über den Kopf!« Lando rührte sich nicht. Er bewegte sich nicht einmal, als vier Uniformierte mit im Mondlicht glänzender Rüstung auf ihn zugelau-fen kamen, ihm die Waffe aus der Hand nahmen und ihre Blaster auf seine Brust richteten.

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Captain Jandlers - wenn das sein Name war - Visier war diesmal transparent. Er stieg aus der Landefähre. »Nun, Captain Calrissian, so trifft man sich wieder. Sobald wir uns um Sie gekümmert haben, werden wir Ihr Raumschiff sichern und die Ladung den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben. Wenn Sie geglaubt haben, Sie wären bis jetzt in Schwierigkeiten gewesen... Übrigens, Sie haben noch etwas, was wir brauchen. Wo ist es?« »Wo ist was?« stieß Lando zwischen zusammengebissenen Zäh-nen hervor. »Das Sharu-Gerät. Der Schlüssel, den Ihnen der Governor gegeben hat. Wo ist er?« »Hol's dir doch, du Schwein!« »In Ordnung, Männer, dann müssen wir es eben auf die harte Tour machen! Zieht ihn aus und durchsucht ihn!«

Kapitel 12

Donner rollte über ihnen! In die klare Morgendämmerung getaucht, die den Planeten-boden noch gar nicht erreicht hatte, kam die Millennium Falcon angeflogen und blieb über einem vollkommen fassungslosen Polizeitrupp stehen, der überrascht und verwirrt in den Him-mel starrte. Lando packte Captain Jandlers Waffe, schwang sie zur Sei-te und verpaßte dem vollkommen erstarrten Polizisten einen Tritt. Jandler sank mit einem Stöhnen auf die Knie. Seine Au-gen verdrehten sich hinter dem Visier, und dann fiel er mit einem theatralischen Gurgeln auf sein Gesicht. Lando wider-

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stand der Versuchung, ihn noch einmal zu treten, und zwar so, daß er ihm dadurch etwas brechen würde. Dann geschahen zwei Dinge zur gleichen Zeit: Einer der Polizisten zielte mit seiner Waffe auf Lando, und sein Finger spannte sich um den Abzug. Und im gleichen Moment schlu-gen ihm aufspritzender Dreck und Flammen ins Gesicht, die der Energiestrahl der Falcon erzeugte. Er ließ seine Waffe fal-len und hob ohne ein weiteres Wort beide Hände hoch. Zwei seiner Kameraden folgten seinem Beispiel. Sie waren aus dem Spiel. Der vierte gab nicht so schnell auf. Er nutzte die Gelegen-heit, um zu ihrer Fähre zu sprinten, auf der ein schwerer Strah-ler montiert war. Aber noch ehe er drei Schritte gemacht hatte, drehte sich das Geschütz der Falcon um. Ein zweiter Energie-blitz ging zu Boden und hob das Polizeigefährt einen Meter in die Höhe, von wo es als brennendes Wrack wieder hinunterfiel. Rauch stieg von den Trümmern auf. Ohne seinen Blick von Jandler zu nehmen, setzte sich Lando er-schöpft auf den Boden. Er fragte sich, woher er eigentlich so plötz-lich die ganze Energie und Entschlußkraft genommen hatte und wa-rum beides sofort wieder verschwunden war. Die Falcon landete, mit immer noch auf die Polizisten gerichtetem Geschütz. Lando bemerk-te den schweren Blaster, den der Captain der Kolonialen Friedens-wache hatte fallen lassen, und der immer noch im Sand lag, nur ein paar Zentimeter von seinem lumpenverhüllten Knie entfernt. Er hob ihn auf und legte ihn in seinen Schoß. Die lange, breite Einstiegsrampe der Falcon senkte sich langsam zu Boden. Nach einer Weile sah man an ihrem oberen, dunklen Ende etwas glänzen und leuchten. Vuffi Raa glitt langsam die lange Ram-pe hinunter. Seine Haltung und seine Bewegungen ließen irgendwie

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erkennen, daß er zufrieden mit sich selbst war - obwohl er längst nicht mehr so elegant wie noch am Abend zuvor aussah. »Meister! Ich freue mich, daß Sie noch am Leben sind. Ich hatte schon befürchtet, Sie nicht mehr rechtzeitig zu finden. Aber ich sehe jetzt, daß Sie auch ohne mich zurecht gekommen sind.« Der Spieler lächelte erschöpft und schüttelte das ausgestreckte Tentakel. »Danke. Ich freue mich selbst darüber, vor allem, wenn ich an die Alternative denke. Aber du siehst aus, als wärst du in einen Meteor-schauer geraten! Oder ist das die neueste Robotermode?« Von der Linse bis zu den feinsten Tentakelspitzen war der kleine Droide mit kleinen, runden Beulen übersät. Die Gelenke, auf denen solche Beulen zu sehen waren - und das waren praktisch alle - be-wegten sich ein bißchen steif und unsicher. Auch seine Stimme klang nicht besonders selbstbewußt, als er antwortete. »Ja, nun, diese Pfeilwunden heilen noch, Meister. Aber ich hoffe, daß ich mich in ein paar Tagen wieder vollkommen da-von erholt haben werde. Sie dagegen haben Schaden genom-men, der sich nicht so leicht wieder reparieren lassen wird. Wir müssen Sie sofort ins Schiff bringen, damit ich Ihre Wun-den versorgen kann -« »Warte!« Mit einem mühsamen Stöhnen packte Lando Vuffi Raas Tentakel fester, zog sich daran hoch auf die Knie, legte dann eine Hand mitten auf die Linse des kleinen Robo-ters und stützte sich damit auf, während er sich endgültig auf seine Füße stellte. Er schwankte ein bißchen, aber er befand sich wieder in der Senkrechten - und hatte immer noch den Blaster auf die Wachmannschaft gerichtet. Inzwischen begann Captain Jandler auch zu stöhnen. Er rollte sich auf die Seite, und Tränen tropften von innen auf

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sein Visier. Dann schüttelte er vorsichtig den Kopf und blieb reglos, immer noch zusammengekrümmt, liegen. »Damit können wir uns auch später noch beschäftigen, alter Bleistiftspitzer. Zuerst müssen wir unseren uniformierten Freund hier >versorgen<. Wenigstens scheint er wieder unter den Lebenden zu weilen, obwohl ich mich frage, warum...« Lando bot dem Droiden seinen Blaster an und nickte in Richtung der vier unverwundeten Soldaten. »Während ich Jandler versorge, könntest du eigentlich... « »Sie in Schach halten? Ich fürchte, das kann ich nicht, Meister. Ich kann kein lebendes Wesen physisch bedrohen. Tut mir leid.« »Na gut, ich beklage mich gar nicht mehr. Ich werde sie selbst im Auge behalten. Aber eines wundert mich: Vor zehn Minuten konntest du noch -« »Die Waffen der Millennium Falcon dazu verwenden, sie von einem Angriff abzuhalten?« »Und um einen Polizeikreuzer damit in Flammen zu setzen. Gute Arbeit, aber eigentlich kein Teil deiner Programmierung, oder?« Lando ging auf den halb bewußtlosen Wachcaptain zu und stupste ihn mit dem Fuß in die Rippen. »Okay, höchste Zeit zum Aufstehen, mein Freund! Es gibt eine Menge, worü-ber wir uns unterhalten sollten!« Vuffi Raa schlurfte an seine Seite. »Meister, ich könnte die anderen vier bewachen. Sie brauchen ja nicht zu wissen, daß ich ihnen nichts tun könnte.« Dann räusperte er sich mecha-nisch und redete laut weiter, damit alle ihn hörten: »Wenn ei-ner von ihnen auch nur mit dem Ohrläppchen wackelt, ver-brenne ich ihn bis zu den Knien!« Lando kicherte. »Ja, von den Haarwurzeln angefangen! Paß nur auf«, flüsterte er dann Vuffi Raa zu, »daß du keinen Total-

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ausfall riskierst.« Dann sprach er wieder lauter. »Und Sie ste-hen jetzt auf!« Jandler zuckte zusammen, stöhnte wieder, rollte sich auf die andere Seite und setzte sich schließlich mit schmerzver-zerrtem Gesicht auf. Immer noch stöhnend zog er sich den Helm vom Kopf und wischte sich den Schweiß von seiner Stirn. »Calrissian, von fairem Kampf haben Sie auch noch nichts gehört, oder?« Lando senkte seinen frisch erworbenen Blaster, bis die Mündung direkt auf die Nase seines früheren Besitzers zeigte. »Ich kämpfe normalerweise überhaupt nicht. Und wenn ich es muß, dann möchte ich es so schnell und schmerzlos wie mög-lich hinter mich bringen. Okay, WAS, ZUM TEUFEL, SOLL DAS EIGENTLICH?« Jandler, die Soldaten und sogar Vuffi Raa erstarrten für einen Augenblick bei diesem Ausbruch. Jandler blinzelte ner-vös, dachte nach, schüttelte schließlich den Kopf und seufzte. »Okay, Calrissian - ich will in alle Ewigkeit verdammt sein, wenn ich es weiß! Die Aufträge, die man mir in den letz-ten Tagen erteilt hat, waren seltsamer als alles, was ich bis heute in meiner Laufbahn erlebt habe: Ihr Hotelzimmer, die Sache im >Spaceman's Rest<, der Raumhafen und jetzt das. Ich spiele langsam mit dem Gedanken, in den Ruhestand zu gehen, mit Pension oder ohne. Was wissen Sie denn über die Sache?« Lando hockte sich hin und zielte mit dem Blaster auf Jandlers Brust. »Ich hasse es, wenn ich Sie zitieren muß, Captain, aber Ich stelle hier die Fragen. Erklären Sie mir, woher - das heißt von wem - Sie Ihre Befehle erhalten haben.«

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Tandler warf einen kurzen Blick auf seine Männer, schaute dann wieder auf Lando und leckte sich über die Lippen. »Was glauben Sie denn? Von diesem fetten Sohn einer -« »Captain!« fiel ihm einer seiner Untergebenen ins Wort. »Sie können doch nicht -« »Bei der universalen Entropie, natürlich kann ich! Glauben Sie denn, dieser vollgefressene Polsterwärmer schert sich auch nur einen Dreck darum, was mit uns passiert? Der denkt doch nur an sein ver-dammtes Sharu-Spielzeug. Und wenn wir ohne das Ding zurück-kommen, brauchen wir uns gar nicht mehr bei ihm blicken zu lassen! Ich jedenfalls -« »Meinen Sie das hier?« Lando zog den Schlüssel aus seiner Schärpe. Er leuchtete in der Morgendämmerung und wirkte noch unfaßbarer als je zuvor. Lando sah, wie der Wachcaptain überlegte, ob sich ein kurz ent-schlossener Sprung wohl lohnen würde. Er schaute von dem Schlüs-sel auf die Blastermündung, dann auf Lando, auf Vuffi Raa und schließlich wieder auf den Schlüssel. Dann zuckte er mit den Ach-seln. »Soll er ihn sich doch selbst holen!« schloß er seine Überlegun-gen ab. »Gibt es noch eine Chance, daß ich und meine Männer le-bendig hier heraus kommen, Captain Calrissian? Ich weiß, daß ich Ihnen nicht mehr mit der Tour von >Befehlen folgen< zu kommen brauche - es ist einfach so, daß ich im Augenblick überhaupt keine Lust zum Sterben habe. Vor allem nachdem ich mich endlich ent-schlossen habe, ab jetzt die Früchte eines ruhigen Zivilistenlebens zu genießen.« Lando drehte sich um, zwinkerte Vuffi Raa zu und wandte sich dann wieder an Jandler. »Nun, mein lieber Constable, Sie stellen uns da vor ein großes Problem. Ihr geistiger Umschwung beeindruckt mich zwar außeror-

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dentlich, aber nicht so sehr, daß ich Sie in meiner Nähe haben möchte, während ich auf diesem Planeten bin. Eine kurze Sal-ve wäre ganz bestimmt die einfachste Lösung -« Er hob be-sänftigend eine Hand. »- aber der Gedanke daran gefällt mir gar nicht, glauben Sie mir. Wie Sie wissen, bin ich ein Spieler, kein Killer. Ich verlasse mich lieber auf meinen Verstand als auf eine Waffe, auch wenn so ein Ding manchmal ganz nützlich sein kann. Wenn Sie eine Idee haben, wie wir die Sache zu unser aller Zufriedenheit gestalten können, dann werde ich mich gerne überzeugen lassen.« Jandler grinste und kratzte sich am Kopf. Seine Männer, die ein paar Meter hinter ihm standen, schienen sich gleich-falls ein bißchen zu entspannen. »Passen Sie auf, Captain Jandler«, sagte Lando, »ich glau-be, ich habe schon eine Idee... « Die Idee war sogar besser, als Lando erwartet hatte. An Bord der Millennium Falcon gab es mehrere kleine Ret-tungskapseln, mit denen man ein paar Tage im Weltall überle-ben konnte, wenn auch nicht besonders komfortabel. Im inter-stellaren Raum waren sie keine große Hilfe. Aber in der Nähe eines Sonnensystems - und da geschahen die meisten Unfälle - konnte man es darin aushalten, bis Hilfe kam, die über einen automatischen Notrufsender gerufen wurde. Landos ursprünglicher Plan war es gewesen, das Polizei-kontingent ein paar astronomische Einheiten weit in den freien Raum zu transportieren und sie dort ihrem Schicksal zu über-lassen. Sie wären ihm und Vuffi Raa für ein paar Tage aus dem Weg, und sie könnten trotzdem weiterleben und ihren En-

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kelkindern von dem spannenden Abenteuer erzählen. Happy-End allerseits. Der kleine Droide verschönerte das Happy-End noch. »Meister, ich habe das schon erledigt. Ich glaube, die Gent-lemen können jetzt an Bord gehen.« Er stand in der Luke des großen, dunklen und rostigen interplanetarischen Frachters, mit dem die Truppe die Distanz zwischen Rafa IV und V überbrückt hatte. Das altersschwache Ding hatte es überhaupt erst ermöglicht, daß Vuffi Raa Lando so schnell gefunden hatte. Lando wechselte den Blaster in seine linke Hand und streckte seine rechte dem Captain entgegen. »Ich hoffe, das ist unser letzter Abschied, altes Blauhemd. Ich wünsche Ihnen und Ihren Kameraden eine angenehme Reise.« Jandler grinste. »Jedenfalls ist dies besser als ein Laserstrahl ins Auge, Captain Calrissian -« »Nennen Sie mich Lando. Niemand sonst scheint das übers Herz zu bringen.« »Gut, Lando. Und wenn wir ankommen, werden wir uns bestimmt Zeit lassen, bevor wir Bericht erstatten, oder, Jungs?« Das klang drohend. Die vier Polizisten sahen ihn vollkommen verständnislos an, so als wollten sie sagen: Was? Wer, ich? Und Lando verließ sich darauf, daß Jandler sie unter Kontrolle halten würde. Nicht, daß es einen Unterschied gemacht hätte, denn der Plan war perfekt. Die Einsatzbeamten stapften an Bord. Lando winkte ihnen nach und beobachtete dann, wie Vuffi Raa die Luke hinter ihnen ver-schloß. »Noch dreißig Sekunden, Meister.« »Okay, dann sollten wir uns verziehen.« Langsam, sanft und mit völlig unpassender Eleganz hob sich das badewannenförmige Raumschiff aus dem Sand. Es wurde geleitet von einem Programm, das Vuffi Raa in sein winziges Elektronenge-

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hirn eingespeist hatte. Lando erblickte das abgebrochene und ver-schweißte Ende einer Funkantenne, einer von dreien, die der kleine Droide unbrauchbar gemacht hatte. Während des ganzen Fluges würde die Barke mit dem Rest des Rafa-Systems keinen Kontakt aufnehmen können. Es würde mindestens eine Woche dauern, bis das schwerfällige Gefährt Rafa XI, den äußersten und langweiligsten Planeten des Systems erreicht hatte. Es handelte sich um eine nur spärlich besiedelte Steinkugel, die in fast absoluter Dunkelheit lag. Die einzigen Einrichtungen, die es dort gab, waren eine kleine Forschungsstation und eine riesige Heliumraffinerie. »Du hast doch die Scheinwerfer nicht vergessen, oder?« »Bitte, Meister, es war schwer genug, meine Programmie-rung zu umgehen. Ich möchte nicht mehr daran erinnert wer-den.« »Schon gut. Aber es war deine Idee, das Schiff zu sabotie-ren vergiß das nicht. Die Bullen können den eingegebenen Kurs nicht ändern, und sie können mit niemandem kommuni-zieren bis sie nah genug heran sind, um mit Taschenlampen Blinksignale durch die Sichtscheiben abzugeben. Du hast ih-nen doch den Brandy aus dem Oseon mitgegeben?« »Ja, Meister, und auch diese... diese...« »Holokassetten? Das ist auch absolut notwendig, mein kleiner Kaugummiautomat. Der Planet, den sie anfliegen, ist unglaublich langweilig.« Er winkte dem Schiff ein letztes Mal nach, als es sich durch die hohen Zirruswolken pflügte und verschwand. Vuffi Raa sagte nichts. In Wahrheit machte es ihn sehr stolz, daß sein Meister die Männer verschont hatte, und vor allem, daß er sie so herzlich verabschiedet hatte. Vielleicht waren die Menschen - dieser eine wenigstens - doch nicht so schlecht.

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»So«, unterbrach Lando die Träume des kleinen Roboters, »und jetzt nichts wie los. Wir müssen die Toka finden. Ich werde diesen miesen kleinen Mohs mit bloßen Händen erwür-gen, und wenn es das letzte ist, was ich in meinem Leben tue.« Als erstes versorgten sie Landos Wunden, nachdem sie ihre Verfolger zurückgeschickt hatten. Erfrierungen - von denen er sich in der letzten Nacht mehr als genug geholt hatte - sind keine Kleinigkeit. Unter Umständen können sie so gefährlich wie Blastertreffer sein, und auch bei modernster medizinischer Versorgung können sie innerhalb weniger Stunden zu Wund-brand führen. Die Millennium Falcon war keineswegs mit den modernsten medizinischen Einrichtungen versehen. In einem Spind ent-deckte Vuffi Raa ein tragbares Gel-Bad. Es war eine Miniatur-ausgabe der Standardgeräte, mit denen schwere Verletzungen geheilt werden konnten. Aber Landos Füße paßten immerhin hinein. Er schleppte die Wanne in den Gemeinschaftsraum und schob sie unter den Spieltisch, wo Lando an einem Moebius-Schach-Problem her-umknobelte. Oder wenigstens tat er so. »Verflucht noch mal, Vuffi Raa, wo würdest du dich verstek- ken, wenn du ein alter Eingeborener wärst, der von einem wildgeworde-nen Fremden verfolgt wird?« »Das kann ich nicht sagen, Meister. Die Unwägbarkeiten eines organischen Gehirns machen es unmöglich -« »Unsinn, alter Androide. Dein Verstand ist mindestens so orga-nisch wie -« »Bitte, Meister, es besteht kein Grund, mich zu beleidigen. Wenn Sie es wirklich wünschen, werde ich das Problem, das Sie eben dar-gelegt haben, natürlich überdenken.« Er schwieg. Dann erklärte er:

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»Meister, glauben Sie, daß er die Falcon aus einem bestimmten Grund in der Nähe der alten Pyramide landen ließ?« Lando gab das Spiel auf, drückte auf den AUS-Schalter und beo-bachtete, wie das serpentinenförmige Spielfeld verblaßte und vom Tisch verschwand. »Das habe ich mich auch schon gefragt. Sie ist wahrscheinlich das größte Bauwerk auf dem ganzen Planeten - vielleicht sogar im gan-zen System, wenn nicht in der ganzen Galaxie. Aber andererseits könnten die Sharu - die haben ganz bestimmt einen unwägbaren Ver-stand -, könnten die Sharu das Ding auch nur gebaut haben, um Kar-toffeln darin zu lagern.« »Oder die Geistharfe.« »Möglich; obwohl sie wahrscheinlich nicht so einen Aufwand dafür betreiben würden, wenn die Geistharfe tatsächlich nur eine Art Pfeife wäre, mit der man die Toka ruft, damit sie ihren Herren die Zeitung oder die Pantoffeln holen. Aber eines steht jedenfalls fest: Dieser Schlingel Mohs hat seinen Kumpanen befohlen, dort auf uns zu warten. Und deshalb -« »Und deshalb«, ergänzte Vuffi Raa, »ist es eine ausgezeichnete Stelle, um in einen Hinterhalt zu stolpern - noch einmal. Be-wegen Sie sich bitte nicht, Meister, ich will Ihre Ohren ver-binden.« »Laß meine Ohren aus dem Spiel, du mechanisches Mons-ter sie sind völlig in Ordnung.« »Meister, bitte. Ich bin darauf programmiert -« »Schon gut, schon gut! Mach damit, was du willst. Jeden-falls fliegen wir zurück zu dieser Pyramide. Und diesmal neh-me ich zwei Blaster mit - und einen Schirm, damit uns die Pfeile nicht treffen.«

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Mohs war nicht schwer zu finden. Als die Millennium Falcon landete, saß er auf einer Sanddüne im Schatten der großen Py-ramide und räucherte eine Eidechse.

Kapitel 13 »Zweimal zweifelte ich an Euch, Herr, und doch habt Ihr mir zweimal mein Irren vor Augen geführt! Tötet nun Euren un-würdigen Diener, auf daß er Euer Bild nicht länger besudele!« Das Feuer, das in einer kleinen Mulde im rötlichen Sand von Rafa V brannte und von dürren Zweigen und Blättern ge-nährt wurde, hätte in eine Teetasse gepaßt. Seine Wärme er-reichte Lando nicht, obwohl er nicht mehr als einen halben Meter davon entfernt mit gekreuzten Beinen im Sand saß. Im-mer wieder mußte er dem beißenden Rauch ausweichen, der von einem Ast aufstieg, an dem ein kleines, widerwärtiges und von einem Ende bis zum anderen aufgeschlitztes Reptil hing. Keine schöne Art zu sterben, dachte der Spieler, nicht ein-mal für eine Eidechse. Und es war auch kein besonders lecke-res Mittagessen. »Paß auf, Mohs, das erledigen wir später. Im Augenblick bin ich zu müde dazu. Vielleicht überrasche ich dich sogar und nehme später dein Angebot an. Aber bis dahin könntest du mir sagen, ob du immer noch daran interessiert bist, den Schlüssel zu benützen.« »Gewißlich, Herr! Zu lange schon leidet mein Volk, die gemarter-ten Toka, unter der tyrannischen Herrschaft der -« »Spare dir das für die nächste Gewerkschaftsversammlung auf, Sänger. Ich will nur wissen, in welches Schloß ich dieses Ding ste-

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cken muß. Wenn irgendjemand - zum Beispiel dein Volk - davon profitiert, oder wenn es jemandem - außer mir - schadet, dann wird mich das ganz bestimmt nicht kratzen. Das kannst du schriftlich ha-ben.« Insgeheim freute sich der Amateur-Raumkapitän fast kindisch darüber, daß er endlich jemanden gefunden hatte, den er mit seinem besten Raumfahrerslang beeindrucken konnte. Inzwischen hatte er ein warmes Essen und ein paar Container Koffein im Magen, trug frische, unbeschädigte Wäsche und fühlte sich ausgesprochen unter-nehmungslustig, trotz der anstrengenden Nacht, die er in der Lebens-plantage verbracht hatte. »Es kümmert mich weniger als ein Glas Luft, selbst wenn Gepta davon provitiert. Ich will nur mit einer anständigen Ladung und hei-ler Haut aus diesem verwünschten System herauskommen - und nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.« Mohs hatte ihn mißtrauisch angeblickt, als er den Namen des He-xers erwähnt hatte. Jetzt wand er sich tatsächlich und schaffte es auch noch, zur gleichen Zeit die Hände zu ringen. »O Herr, Euer Diener weiß, daß Ihr diese zynische Sprache nur sprecht, um mich, meinen Glauben, meine Treue und all die anderen Tugenden zu prü-fen -« »Die aber nur in mikroskopischen Mengen vorhanden sind.« »- die aber nur in mikroskopischen Mengen vorhanden sind, wie Ihr sagt, Herr. Trotzdem flehe ich Euch an, unterlaßt solche gemei-nen, blasphemischen und söldnerhaften Worte, zumindest in der Anwesenheit Eures unwürdigen Dieners! Sie bereiten mir Unbeha-gen.« »Ach, wirklich?« Lando warf einen Blick über seine Schulter. Er war sich ziemlich sicher, daß es die imposante Silhouette der Millennium Falcon fünf-zig Meter hinter ihm war, die dem alten Mann »Unbehagen« bereite-

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te, und nicht seine Worte. Die Geschützbatterien der Falcon waren schußbereit und konnten im Notfall das ganze Gelände unter Feuer nehmen. In der Innentasche seines Parkas trug der Captain einen Transponder, der verhinderte, daß die Geschütze auch in seine Rich-tung feuerten. Das war eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, denn der Captain mußte das Feuer selbst auslösen. Vuffi Raa war nicht am Geschützstand. Seine Programmierung ließ das nicht zu. Irgendwann hatte Lando es aufgegeben, gegen den ausgeprägten Pazifismus des kleinen Roboters anzukämpfen, und er hatte seine Planung darauf eingerichtet. In der rechten Außentasche des Parkas trug er ein zweites Gerät, mit dem er jede Waffe an Bord seines Schiffes auslösen konnte. Vuffi Raa konnte immerhin die Einstiegs-luke öffnen, falls Lando schnell ins Schiff kommen mußte. Es wider-sprach nicht seiner eingebauten Moral, ein Leben zu retten. Das hatte der Droide sogar schon unter Beweis gestellt. Aber zurück zum eigentlichen Problem. »Okay, alter Theologe, sprechen wir über etwas anderes: Woher hast du gewußt, daß wir heute morgen noch am Leben waren, und warum hast du hier auf uns gewartet? Du hast doch gewußt, wie böse ich auf dich sein mußte.« Lando wollte von dem Feuer fort, am liebsten mindestens tausend Meter. Das Reptil, das inzwischen aufgeplatzt war und langsam ver-kohlte, roch genau wie... wie... Nein, die Dinger, die er mit einem Dampfstrahl von seinem Schiff gewaschen hatte, hatten im Vergleich dazu noch angenehm geduftet. Aber trotzdem wärmte ihn schon die Existenz eines Feuers; er hatte sich nicht mehr richtig wohl gefühlt, seitdem er in diesem riesigen Sandkasten gelandet war, nicht einmal an Bord seines Schiffes. Der alte Sänger öffnete seinen Mund. »Herr -«

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»MEISTER, MENSCHLICHE LEBEWESEN NÄHERN SICH HINTER DEN DÜNEN!« Mohs sprang fast einen Meter hoch. Die Stimme des kleinen Droiden war über die Außenlautsprecher des Schiffes gekommen. »Danke, altes Zahnrad.« Lando antwortete in normaler Lautstär-ke. Die Außenmikrofone der Millennium Falcon hörten ausgezeich-net, wie auch Vuffi Raa. Er kicherte leise, während der alte Schama-ne versuchte, wieder möglichst würdevoll auszusehen. »SIE HABEN DIESE BOGENWAFFEN BEI SICH, MEISTER.« »Mohs«, sagte der Spieler gleichmütig, »ich gebe dir genau drei-ßig Sekunden, um deine Leute zurückzurufen. Wenn sie bis dahin nicht verschwunden sind, wirst du mit dieser armen Kreatur, die du gerade brätst, den Platz tauschen. Ich sollte dich eigentlich der ISPCA übergeben - oder dem Epikureer-Club.« Der Sänger stellte sich mühsam auf seine zitternden Beine und ratterte ein paar unharmonische Verse herunter - wahrscheinlich den Gesang des strategischen Rückzugs, dachte Lando -, dann setzte er sich wieder, drehte die Eidechse um und wandte sich an Lando. »Ich habe ihnen befohlen, sich zurückzuziehen, Herr. Sie kamen nur, um Euch zu schützen. Ich bitte Euch, gönnt Eurem Diener etwas Zeit, auf daß er sich stärke und seinem Körper zolle, was ihm ge-bührt. Dann können wir zu einem Ort gehen, den ich kenne... wo Ihr den Schlüssel gebrauchen könnt.« Er packte die Eidechse am Kopf, schälte sie mit einer einzigen Bewegung und zog sie von ihrem Stock herunter. »Guter Gott!« schrie Lando auf und schluckte, um seinen Magen unter Kontrolle zu halten. »Willst du dieses Ding etwa essen}« Fünfzehn Minuten später standen sie am Fuße der großen Pyramide. Obwohl die Wand nicht einmal senkrecht in die Höhe ging, hatten sie das unangenehme Gefühl, als würde sie wie eine riesige Welle

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über ihnen stehen, um im nächsten Moment über sie herein zu bre-chen und sie unter sich zu begraben. Vuffi Raa gesellte sich zu ihnen, nachdem er das Raumschiff sorgfältig abgeschlossen hatte. Der Toka-Sänger ließ seinen Blick über die anscheinend völlig makellose Magenta-Wand schweifen. Plötzlich hielt er inne und deutete auf eine Stelle, die sich nicht im geringsten von dem Rest der Wand unterschied. »Dort«, sagte er entschlossen, »ungefähr einen Meter tief Herr.« Er faltete die Arme vor seiner Brust. Lando rollte verzweifelt seine Augen. »Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen. Ich bin der Träger des Schlüssels. Du bist der Diener. Möchtest du eine Schaufel, oder willst du die Zeremonie mit der Hand ausführen?« Der alte Toka starrte ihn entgeistert an. »Ich, Herr? Ich bin der Hohe Sänger der -« »Einen Augenblick, verehrte Wesen«, unterbrach ihn der Roboter. »Ich kann das erledigen, bevor Sie Ihren Streit ausgetragen haben.« Und dann entfalteten seine Tentakel eine ungeahnte Aktivität, die es unmöglich machte, die einzelnen Bewegungen zu unterscheiden. Er sah wie eine glänzende Kreissäge mit einem roten Punkt in der Mitte aus. Der Sand spritzte hinter ihm wie eine absurde Trockenfon-täne in die Luft, und er war, wie versprochen, in wenigen Augenbli-cken fertig. »Elfenbein und Entropie!« fluchte Lando, als er sah, was Vuffi Raa ans Tageslicht gefördert hatte. Mohs schwieg ehrfürchtig, fiel auf die Knie und begann schließlich ein leises, klagendes Lied zu singen. Eigentlich konnte es so etwas gar nicht geben. Man kann den Um-riß einer Hand nachzeichnen und dann das Material, das sich inner-halb dieses Umrisses befindet, einen Zentimeter tief ausheben. Kein Problem.

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Und jetzt versuchen wir das Ganze mit einem Schneebesen. Die menschliche Hand hat, grob vereinfacht, eine zweidimensionale Form. Etwas mit drei Dimensionen kann man nicht auf die gleiche Weise darstellen, jedenfalls nicht, wenn man das wesentliche Ele-ment, nämlich die Dreidimensionalität, berücksichtigen will. Das heißt, solange man kein Sharu ist. Irgendwie wirkte es, als wäre die Wand transparent - was sie aber nicht war - und als wäre das Abbild des Schlüssels darin eingebettet. Aber das stimmte nicht. Andererseits schien es, als wäre der Schlüs-sel auf die Außenwand der Pyramide modelliert worden - nur daß das »Bild« (wenn man es so nennen will) weder aus der Oberfläche her-aus ragte noch in sie hinein. Das Ganze wirkte genau so widersinnig und absurd wie der Schlüssel selbst, wenn nicht noch mehr. Und man bekam genauso höllisches Kopfweh davon. Lando trat einen Schritt zurück, blinzelte und schüttelte den Kopf, um dann mit seinen Augen wieder geradeaus zu schauen. »Gut, Mohs, ich glaube, es ist das Beste, wenn du uns erzählst, was du weißt - oder was deine Lieder darüber erzählen. Ich möchte gern wissen, was wir sehen oder was passiert, wenn wir den Schlüs-sel da hinein stecken.« Der alte Mann summte ein bißchen vor sich hin, erst um die rich-tige Tonlage zu finden, dann als würde er ein Band abspielen müs-sen, um den Anfang des richtigen Liedes zu finden. »Dies ist das Große Schloß, Herr. Ungezählte Generationen lang hat kein Toka - und kein Reisender von den Sternen - auch nur den Geringsten unter den vielen Schreinen, die SIE uns hinterlassen ha-ben, betreten.« »Großartig. Das wissen wir bereits.« »Ach so, Herr. Aber hört nun, was uns die Lieder sagen: Wir werden eintreten, ohne eingetreten zu sein. Wir werden Hallen durchqueren, und kein Laut soll uns antworten. Wir werden in die

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entferntesten Winkel eindringen, ohne uns zu bewegen. Wir werden träumen, ohne zu schlafen, und wissen, ohne zu lernen. Und in gege-bener Zeit werden wir die Harfe des Geistes entdecken; und wir wer-den die Harfe erlösen, und erlösen damit die -« »Schon gut. Der Rest ist wahrscheinlich Politik. Laß mich eine Minute nachdenken.« Er trat probeweise gegen den Fuß der Pyrami-de. Es gab kein Geräusch, und er fühlte nicht, wie sein Schuh auftraf. Es war, wie gegen Wasser oder feinen Staub zu treten. »Vuffi Raa?« »Ja, Meister?« »Nenn mich nicht Meister. Was hältst du von der ganzen Sache?« Er nahm den Schlüssel aus seiner Tasche, drehte ihn entschlossen in seiner Hand und steckte ihn dann zurück. »Ich glaube, ich habe dringend eine neue Schmierung nötig, Meister, und möchte darum so bald wie möglich nach Hause wo -« »Ich dachte, du wärst absolut dicht versiegelt.« War es nur seine Einbildung, oder war der kleine Droide tatsäch-lich verlegen? »Ja, Meister, aber ich wurde schwer verwundet und habe dadurch eine beträchtliche Menge von... gut, ich sehe keine Alternative zu Mohs' Vorschlag, den Schlüssel zu benutzen, Meister. Auch wenn mir alles andere lieber wäre.« Lando lachte. »Glaubst du, mir gefällt dieses Eintreten-ohne- Ein-treten - Schlafen-ohne-Träume-Zeug? Paß auf, Mohs, hast du uns irgendetwas anderes zu bieten — aber bitte nicht singen.« Zum erstenmal, seitdem sie auf Rafa V gelandet waren, schien sich der alte Mann unwohl zu fühlen. Er war überall von Gänsehaut überzogen und zitterte vor Kälte - oder aus einem anderen Grund. »Dies ist alles, was den Toka überliefert ist, o Herr. Dies ist alles, was uns die Lieder sagen. Euer ergebener und unwürdiger Diener bekennt jedoch, obwohl er dessen nicht würdig ist, daß er, wenn er Ihr wäre, mit dem Gedanken spielen würde, diesen Ort zu verlassen,

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ohne den Schlüssel zu benützen. All die zahllosen Generationen, die warten, warten... Warum ich, Herr? Warum zu meiner Zeit?« »Herzlichen Glückwunsch, Mohs, du hast dich soeben in die Gar-de großer historischer Persönlichkeiten eingereiht. Das wollten die auch schon immer wissen, und meistens haben sie dabei genauso unglücklich ausgesehen wie du.« Wieder zog Lando den Schlüssel aus der Tasche und betrachtete ihn mit fast wütendem Gesicht. »Na gut, man lebt nur einmal. Halt die Augen offen, Vuffi Raa. Mohs, wie sollen wir dieses Ding denn benutzen?« Er unterdrückte ein Schaudern. Der alte Mann antwortete mit einem höchst beredtem Achselzu-cken. »So was habe ich gern«, sagte Lando. »Wenn ich wirklich Hilfe brauche, ist keine da. Na ja, es wird schon nichts passieren.« Es geschah tatsächlich nichts. Lando preßte den Schlüssel auf das Abbild in der Wand, in einem Winkel, der ihm am überzeugendsten erschien. Es war wie ein Schiff in eine Flasche zu bringen - jeden-falls kam es ihm zuerst so vor. Dann steckte der Schlüssel im Schloß, und zwar auf eine Weise, die einem den Magen umdrehen konnte. Die Sonne schien. Der Wind wehte. Der Sand lag auf dem Boden. Lando sah Mohs an, der eine Schulter immer noch hochgezogen hatte. Er zog die andere nach. Der Spieler sah zu Vuffi Raa. Vuffi Raa schaute zurück. Der Roboter und der Schamane tauschten einen Blick aus. Dann schauten sie beide auf Lando. »Na ja, Mohs, du hast ja dein Frühstück schon gehabt, aber ich könnte einen Happen vertragen. Das war wohl ein Reinfall. Am bes-ten, wir reparieren unser Schiff und - Vuffi Raa?« Er hatte bis jetzt mit dem alten Mann gesprochen und wandte sich nun dem kleinen Roboter zu. Vuffi Raa war nicht mehr da. »Mohs, hast du das gesehen - Mohs?«

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Im selben Augenblick, in dem Mohs aus Landos Blickfeld ver-schwunden war, war er tatsächlich verschwunden, genau wie der Droide, ohne einen Ton, ohne eine Bewegung. Die Sonne schien. Der Wind wehte. Der Sand lag auf dem Boden.

Kapitel 14 Lando hielt normalerweise nicht viel von physischer Gewalt Sein Wohlergehen und sein Leben hingen von seiner Finger-fertigkeit und Selbstbeherrschung ab, von der heimlichen, sub-tilen Manipulation kleiner Gegenstände und von schnellen und richtigen Entscheidungen. Er donnerte mit der Faust auf die Pyramidenwand. Und zog sie dann erstaunt wieder zurück. Wo der Kontakt mit dem Bauwerk ihm zuvor das Gefühl vermittelt hatte, sei-nen Kopf in eine steife Brise zu strecken - eine seltsame, aber unzweifelhaft reale Sinneswahrnehmung -, glaubte er jetzt, einer Sinnestäuschung zu erliegen. Seine Hand tauchte in die Wand und verschwand, als wäre das ganze Gebäude ein riesenhaftes Hologramm. Er zog die Hand wieder zurück, betrachtete sie aufmerksam und bewegte sie vorsichtig. Dann inspizierte er die Wand, ohne sie noch einmal zu berühren: Das Material war vollkommen unbeschä-digt, beständig gegen die Zeit, das Wetter und die lächerlichen Anstrengungen des Menschen am Fuß der Pyramide. Eine fei-ne Staubpatina bedeckte die Wand. Es war ein dünner, ölig-fettiger Film, der alles auf diesem Planeten zu überziehen schien. Lando konnte deutlich ein einzelnes Haar erkennen, das aber weder von ihm noch von Mohs stammte - vielleicht

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gehörte es einem Tier, das an der Pyramide entlang gestreift war, oder der Wind hatte es von weit her getragen. Wieder steckte er seine Hand in die solide wirkende Wand hinein. Wieder verschwand sie bis zum Gelenk. Er machte einen Schritt vorwärts, und sein Unterarm verschwand bis zum El-lenbogen. Dann erschauderte er und trat erschrocken zurück. Seine Hand und sein Arm waren intakt. Lando Calrissian war vorsichtig. Ein anderer Mensch wäre vielleicht sofort ganz in die Wand hineinspaziert, um Vuffi Raa und Mohs zu suchen, denn es war offensichtlich, daß sie irgendwo in der Pyramide steckten. Aber was würde ihn dort erwarten? Wenn dein bester Freund durch eine Falltür im Bo-den fällt würdest du dann hinterher springen, nur um wie er von ein paar Lanzen darunter aufgespießt zu werden? Lando streckte wieder seine Hand in die Pyramide. Er spür-te immer noch keinen Widerstand. Es war, als wäre die Wand gar nicht da - nur daß man sie sehen konnte. Er schloß die Au-gen und tastete mit der ausgestreckten Hand in der Wand her-um. Es wehte kein Wind draußen, darum konnte er auch nicht feststellen, wie sich die Pyramide auf Luftströmungen hin ver-hielt. Die Temperatur war dieselbe wie außerhalb der Wand. Er konnte seine Finger frei bewegen, eine Faust ballen und sie wieder öffnen. Er schnippte mit den Fingern, und er spürte das Schnippen - aber er hörte es nicht. Als er die andere Hand auch in die Pyramide streckte, konnte er damit die erste ertasten. Beide fühlten sich ganz normal an. Er klatschte in die Hände, spürte das Zusammen-treffen, aber ohne das dazugehörige Geräusch zu hören. Merkwürdig. Er legte seine rechte Hand um sein linkes Hand-gelenk und ließ sie langsam den Unterarm hinauf gleiten, bis sie wieder erschien, wie eine Hand und ein Arm, die aus trü-

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bem Wasser auftauchen - nur daß das Wasser hier senkrecht vor ihm stand. Er bückte sich, nahm eine Handvoll Sand, steckte die Arme wieder hinein und ließ den Sand von einer Hand in die andere laufen. Er zog die Arme wieder heraus, warf den Sand weg... ... und trat durch die Wand. Manchmal muß man eben ein Risiko eingehen. Daran hatte er nicht gedacht. Der alte Mohs, ehrwürdiger und verehrter Hoher Sänger der Toka, hatte an der Pyramidenwand gelehnt, als der Träger des Schlüssels diesen ins Schloß steckte. Plötzlich hatte sich die Wand hinter ihm scheinbar in nichts aufgelöst, und bei dem folgenden Sturz hatte er beinahe seinen Lendenschurz verlo-ren. Während seines langen, langen Lebens hatte sich Mohs an den kühlen Zug gewöhnt, der unter dem Lendenschurz zwi-schen seinen Beinen wehte. Jetzt, in der vollkommenen Dunkelheit trotz seines Schreckens, war ihm der Gedanke gekommen, daß er ein langes Ende des Schurzes zwischen seine Beine hindurchstecken und so den kühlen Luftzug unterbrechen konnte. Warum hatte er daran nicht schon früher gedacht? Warum war das niemandem aus seinem Volk eingefallen? Plötzlich spielte er mit dem zynischen Gedanken, daß diese eine Idee vielleicht mehr wert war als hundert dämliche Lieder über - nein! Das war Blasphemie! Er krümmte sich zusammen und versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Er fürchtete sich vor... vor... vor was? Er dachte darüber nach. Er hatte in den letzten Minuten überhaupt schon eine Menge nachgedacht.

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Schließlich entschloß er sich - und das war vielleicht der erste wahre Entschluß seines Lebens - zu warten, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er saß auf einer glatten, festen Ober-fläche und freute sich über die neuentdeckte Wärme zwischen seinen Beinen. Und über seinen neuentdeckten Verstand. Es waren schon Stunden vergangen! Vier Stunden, dreiundzwanzig Minuten und fünfundfünfzig Se-kunden, um präzise zu sein, jedenfalls nach Vuffi Raas eingebauter Uhr. Er mußte nie nach der Zeit fragen, er wußte sie immer. Das Problem mit den programmierten Fähigkeiten, dachte er, wie zum Beispiel der Befähigung, ein Raumschiff zu steuern, lag darin, daß dadurch der Drang, sich neue Talente zu erwerben, gebremst oder sogar erstickt wurde. Menschliche Wesen hatten es da besser, über-legte er, da diese kein eingegebenes Programm besaßen und darum den Wunsch und das Bedürfnis entwickelten, immer neue - Mensch-liche Wesen? Was dachte er da? Er war ungefähr - nein, exakt - siebzehn Zentimeter von dem Ding entfernt gewesen, als Lando den Schlüssel aktiviert hatte. Aber trotzdem war er, Vuffi Raa, hier (wo immer das war), auf der anderen Seite. Fünf Stunden, neunundzwanzig Minuten, einunddreißig Sekunden. Und was das hier war, dachte Vuffi Raa ziemlich ungrammatikalisch, war auch noch die Frage. Er fühlte sich seltsam allein, fast einsam, und merkwürdigerweise hatte ihn dieses Gefühl davon abgelenkt, sich seine Umgebung genauer anzusehen. Und das Gefühl war nicht verschwunden, es war sogar schlimmer geworden, viel schlimmer. Es war unbedingt

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nötig, sich jetzt genauer umzuschauen, und wenn es nur dazu diente, seine Gedanken von seinem Innenleben abzulenken. Von der (wahrscheinlich existierenden) Wand der Pyramide konnte er nirgends etwas entdecken. Er stand in einem hell erleuchteten Korridor, dessen Decke kilometerweit über ihm zu sein schien. Sein Radar, ohnehin nicht sein stärkstes Sin-nesorgan, konnte das Dach nicht orten, auch wenn er das pro-grammzermürbende Echo vernahm, das von dort zurückgewor-fen wurde. Das Areal, in dem er sich befand, war ein längliches Recht-eck, das fünf Meter breit und vielleicht fünfzig lang war. Hin-ter ihm befand sich eine halbtransparente Wand, hinter der er eine Art runde Trommel erkennen konnte, die mehrere Stock-werke hoch war und an einen Öltank erinnerte. Sie war aber aus demselben plastikähnlichen Material wie alles um ihn her-um gemacht. Vor ihm versperrte ein ähnlich runder Tank den Gang von einer Wand bis zur anderen. Dank seiner ausge-zeichneten Sinnesorgane konnte er aber durch ihn hindurch sehen und wußte deshalb, daß er den Raum in zwei genau glei-che Hälften teilte. Links und rechts von ihm befanden sich ähnliche, parallel verlaufende Korridore, die er durch halbdurchsichtige Wände wie diejenige hinter ihm erkennen konnte. Im Grunde waren sie mit »seinem« Gang sogar identisch, nur daß es in ihnen keinen Tank gab. Er wandte sich nach links. Er hielt sich immer an einer Wand, aber ohne irgendwo einen Ausgang zu entdecken. Der verfügbare Raum wurde immer knapper, je mehr er sich dem run-den Gebilde näherte. Schließlich stoppte er, ging wieder zurück und versuchte es auf der rechten Seite. Diesmal fand er zwischen der Wand und dem Tank eine schmale durchlässige Stelle. Er trat in den

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nächsten Korridor. Das Licht war blau, wie in dem Gang, den er eben verlassen hatte, aber ein bißchen heller. Er ging den Korridor hinun-ter fand eine neue »durchlässige« Stelle in der Wand und stand in einer dritten Kammer, die mit der zweiten identisch war. Die fünfte Kammer war anders geformt - sie hatte fünf unregel-mäßig breite Seiten. Die einzige durchlässige Stelle befand sich in der Wand rechts von ihm. Dies war eine sehr schmale Wand, so daß er sich nach rechts wenden mußte. Die nächste Kammer war mit der letzten identisch, dann folgte wieder eine Serie von rechteckigen Gängen. Er wanderte einsam weiter, und er war zum erstenmal in seinem Leben wirklich ängstlich. Sieben Stunden, sechzehn Minuten, vierundvierzig Sekunden. Von innen war die Pyramide transparent. Dies war das erste, was Lando feststellte. Draußen konnte er die Sonne sehen, die rötliche Farbe des Sands, ein paar struppige Büsche und, angenehm nah (aber weiter entfernt, als ihm eigentlich lieb war) die Millennium Falcon, die geduldig auf seine Rückkehr wartete. Er hoffte, sie würde nicht allzulange warten müssen. Es war schwer zu schätzen, wie dick die Mauer eigentlich war. Sie war nicht vollkommen durchsichtig, sondern in einem hellen Blau getönt. Hinter ihm war ein leerer Raum - und dann wurde ihm klar, daß das wahrscheinlich eine Sinnestäuschung war. Nicht einmal hundert Meter von ihm entfernt konnte er eine der anderen Wände der fünfseitigen Pyramide erkennen, und dahinter sah er sandige Wüste. Die Spitze der Pyramide befand sich vielleicht zweihundert Meter über ihm. Der Haken an der ganzen Sache war, daß das Bauwerk von außen in jeder beliebigen Richtung mehrere Kilometer maß.

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Die Wände waren also ausgeklügelte optische Mechanis-men, die einem die Illusion verschafften, daß das Gebäude viel kleiner als in Wirklichkeit war. Er rief aus: Vuffi Raa! Wo bist du? Mohs? Antwortet mir!« Er hörte nicht einmal ein Echo. Er - Was war das? Eingebettet in die Wand, durch die er ge-kommen war lag, wie eine Fliege in Bernstein, der Schlüssel. Er wollte ihn an sich nehmen - und verstauchte sich fast die Finger dabei. Die Wand fühlte sich wie Panzerglas an, und der Schlüssel war mindestens einen Meter tief in ihr vergraben. Und trotzdem war das der Eingang, durch den er - wie wahr-scheinlich auch Vuffi Raa und Mohs - in die Pyramide ge-kommen war. Er sah sich in dem gestaltlosen Raum um, in dem er sich befand. Von einer Wand zur anderen erstreckte sich ein glat-ter, glänzender Boden. Nirgendwo waren Möbel oder andere Gegenstände zu sehen. Eigentlich wirkte das Ding von innen wie ein riesiges, verlassenes Lagerhaus. Der Himmel hinter den Wänden war ein bißchen dunkler als draußen. Die Wüste ebenso: Rot und Blau ergeben Purpur. Der selt-same Schliff der Mauern hatte noch einen anderen Effekt. Alle Gegenstände draußen waren anscheinend geschrumpft. Viel-leicht waren die Wände leicht gekrümmt. Die Falcon sah aus wie ein Modell, ein Kinderspielzeug. Vielleicht sollte er sich lieber einen anderen Weg nach draußen suchen. Es mußte einen anderen Weg geben. Vuffi Raa setzte sich auf den Boden. Er war der Verzweiflung nahe. Er wurde von einem winzigen Fusionsreaktor in seinem Inneren angetrieben, der unermüdlich Energie produzierte und

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nur mikroskopische Mengen von Brennstoff brauchte, um sich (und damit Vuffi Raa) in Betrieb zu halten. Aber der kleine Droide war müde. Während seines ganzen Lebens, das die Lebensspanne, die sich sein gegenwärtiger Meister erwünschte, bei weitem über-traf, hatte sich der Roboter noch nie so einsam und allein ge-fühlt. Die endlosen, immer gleichen Kammern gaben ihm das Gefühl wie ein Spielstein von gelangweilten, desinteressierten Fingern auf einem riesigen Spielfeld hin und her geschoben zu werden. Der kleine Droide hatte Angst. Er hatte schon einen langen Weg hinter sich. Sechs recht-eckige, leere Räume, nach dem ersten, in dem er sich wieder-gefunden hatte. Dann wieder ein Raum mit einem Tank in der Mitte. Wieder vier leere. Im letzten Raum dieser Serie hatte er scharf nach links abbiegen müssen. Im nächsten Raum stand wieder ein Tank, aber er konnte sich daran vorbeiquetschen. Wieder ein leerer Raum, wieder eine scharfe Linkskurve, drei blaue Kammern und schließlich wieder ein Tank. Das wiederholte sich immer wieder, und mit jedem neuen Raum und jeder neuen Kurve wurde der Roboter mutloser. Es kam ihm vor, als befinde er sich nicht einmal mehr auf dem-selben Planeten - in derselben Realität -, geschweige denn in demselben Gebäude, in das er zufällig geraten war. Er wanderte weiter. Dreizehn Stunden, fünfundvierzig Minuten, achtundzwan-zig Sekunden waren verstrichen. Dann eine Rechtskurve (die erste seit der ersten Kammer), zweimal nach links und wieder nach rechts. Zweimal nach links. Und immer wieder waren es dieselben kahlen, leeren, blaugetönten Räume, manchmal mit Tanks in der Mitte, die-

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selben Linkswendungen und weniger Rechtswendungen. Wie lange würde das noch so weitergehen? Neunzehn Stunden, elf Minuten, vier Sekunden. Mohs war zu sehr in Gedanken versunken, um zu bemerken, daß er nicht sehen konnte. Es kümmerte ihn auch nicht. Er wußte sowieso nicht, wohin er gehen sollte. Er hatte es nicht eilig. Er war erst seit einer oder zwei Minuten hier, und es würde nur noch kurze Zeit dauern, bis der Träger und der Ge-sandte kommen und ihn holen würden. Oder auch nicht. In Wahrheit machte das keinen Unterschied. Er hatte so-eben eine Entdeckung gemacht: Wenn er einen rechteckigen Stoffstreifen nahm und ihn ein halbes Mal drehte, bevor er die beiden Enden zusammenfügte, passierte etwas sehr Unver-ständliches. Er hatte ein Objekt, das nur eine Seite und eine Kante besaß. Wie das möglich war, wenn jedes Ding mindes-tens zwei Seiten hatte, war ihm unbegreiflich. Dahinter mußte ein wichtiges Geheimnis stecken, glaubte er, etwas, das Auf-schluß über die Natur des Universums geben konnte. Irgend-wie entzog sich ihm aber die Lösung immer wieder, wenn er sie in greifbarer Nähe glaubte, und verschwand dann im Dun-keln. Es war wirklich ärgerlich. Er wägte die Frage ab, zupfte an ihr, entwirrte sie wie das handgesponnene Gewebe, aus dem sein Lendenschurz bestand. Es war anstrengend, aber je länger er darüber nachdachte, desto einfacher schien ihm alles zu werden. Im Augenblick war eigentlich alles ganz einfach. Mohs lachte.

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Lando hörte jemanden lachen. Er drehte sich um, und da saß Mohs - wo er vor einer Se-kunde noch nicht gesessen hatte - auf seinen Hacken, einen Arm quer über seinen Schoß gelegt, den anderen auf das Knie gestützt, damit er sein Kinn in seine Hand nehmen konnte. Vor ihm auf dem Boden lagen ungefähr drei Meter Stoff, altes, graues Leinen. Es war zu einem Kreis ausgelegt, so daß es ei-nen großen, unregelmäßigen Moebius-Zylinder bildete. Der alte Mann hatte Lando den Rücken zugewandt. »Mohs!« rief Lando. »Wohin bist du verschwunden?« Der alte Mann kicherte, ohne sich umzudrehen. »Dahin, wo Sie anscheinend auch hingegangen sind, Captain. Wie spät ist es?« Eine komische Frage für einen nackten Wilden, dachte Lando. Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Seitdem du durch die Wand verschwunden bist, sind vielleicht zwanzig Minuten vergangen, was hast du die ganze Zeit über getan? Bist du nur dagesessen?« »Was für Alternativen hätten Sie denn für mich, Captain?« Der alte Mann stand auf, drehte sich auf einem Absatz herum so daß Lando ihm ins Gesicht blicken konnte. »Ich dachte mir das ist immer noch besser, als sich zu verirren. Man kann hier nicht die Hand vor Augen sehen.« »Gütiger Himmel! Was ist mit deinen Augen passiert?« Der alte Mann blinzelte, und seine Lider glitten über Aug-äpfel, die aus weißem Glas zu bestehen schienen. »Was soll mit meinen Augen sein? Es ist alles in Ordnung damit, Captain.« Der alte Sänger lächelte. »Was ist mit Ihnen passiert? Können Sie die Dunkelheit nicht mehr sehen?«

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Vuffi Raa hatte sich nicht verirrt, er wußte nur nicht, wo er war. Seitdem er durch die Wand der Pyramide gekommen war, irrte er durch dieses unbegreifbare, blau beleuchtete Labyrinth und wanderte einen Weg entlang, zu dem es keine Alternative gab. Die einzige Wahl, die er hatte, war, zu bleiben, wo er sich gerade aufhielt, oder diesen Weg zu gehen. Er hatte es schon immer vorgezogen, in einem solchen Fall die Initiative zu er-greifen. Er war zweimal rechts abgebogen (wobei er jedesmal in einen dieser unregelmäßigen Räume gelangt war) und sechs-mal nach links gegangen, allerdings nicht in dieser Reihenfol-ge. Es würde wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, und er würde wieder an seinem Ausgangspunkt landen. Er war keinen Schritt weitergekommen, hatte immer noch nicht die leiseste Ahnung, wozu dieses Labyrinth eigentlich gut sein sollte, und immer noch keine Hoffnung, seine Freunde wieder zu finden. Er sei nur eine Maschine, hatte Lando einmal gesagt. Vuffi Raa fragte sich, ob sein Meister wußte, wie einsam sich eine Maschine fühlen konnte. Vuffi Raa hatte es bis vor vierund-zwanzig Stunden nicht einmal selbst gewußt. Siebenundzwan-zig, um genau zu sein, und sechsunddreißig Minuten und elf Sekunden. Er hatte drei Räume nach der letzten Tankkammer durchquert. Das bedeutete, daß er jetzt in eine vierte kommen würde, wo er links abbiegen mußte. Danach wieder links, noch einmal vier Räume, und er war wieder ganz am Anfang. Nur wesentlich mutloser. Er fand den durchlässigen Punkt in der Wand und glitt hindurch. Er war vollkommen überzeugt, daß ihn keine der anderen Wände - eingeschlossen die Wand, durch die er eben gekommen war - passieren lassen würde. Darum nahm er die Wand zu seiner Linken. Das Licht wurde

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schwächer, wie jedesmal in den Kammern mit einem runden Tank, und er durchquerte den Raum der Länge nach, an dem Tank vorbei, bis zur hinteren Wand. Und stieß sich dabei seine rote Lampe an. Sie ließ ihn nicht durch. Das war neu. Aber seltsamerweise ermutigte ihn das auch nicht. Es löste nicht einmal die Spannung, die sein einziger Begleiter auf diesem langen Marsch war. Wenn er ein Säuge-tier gewesen wäre, hätte er sich jetzt am Kopf gekratzt, die Arme vor der Brust verschränkt und geflucht. Er blieb stehen, hob ein Tentakel, um sich an seiner Chromfassung zu kratzen, und faltete geistesabwesend zwei weitere Tentakel vor seinem zentralen Fünfeck. »Glitsch!« sagte er, und er meinte es auch. Er begann die Kammer zu erforschen, in der er sich befand. Er tastete die linke Wand ab und drückte sich wieder durch den kleinen Spalt zwischen Tank und Wand. Die schmale Sei-te, durch die er herein gekommen war, war absolut undurch-dringbar. Er tastete sich an der anderen Wand wieder vorwärts, bis er zu dem runden Tank gelangte - und hier eine neue Ent-deckung machte. Bis jetzt war die gekrümmte Oberfläche der Gebilde, die er als Tanks bezeichnete, immer so undurchlässig gewesen wie die Wände. Aber diesmal war es anders. Er konnte ein Tenta-kel in den Tank stecken. Weil er sowieso keine andere Wahl hatte, folgte er dem Tentakel in das runde Ding hinein, wo an einer Stelle der gekrümmten Innenseite ein roter Fleck glühte. Wie nicht anders zu erwarten, ließ ihn der Tank nicht wieder hinaus. Er begann, den roten Fleck zu betasten. Ja, er war durchlässig.

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Er trat durch ihn hindurch und stand in einem rechteckigen Raum, der so wie die tanklosen blauen Räume aussah, durch die er in den letzten Stunden gewandert war. Nur daß dieser hier scharlachrot war. Eins, zwei, drei, vier. Er hätte sich jetzt eigentlich zwi-schen zwei blauen Tankräumen befinden müssen, aber nir-gendwo war ein Tank zu erblicken. Fünf, sechs, sieben - dann geschah etwas Merkwürdiges. Die entgegengesetzte Wand schien ihn anzuziehen, und der rote Fleck darauf leuchtete nicht so intensiv wie vorher. Er richtete sich auf und dachte nach. Zweiunddreißig Stunden, fünfzehn Minuten, zweiundvier-zig Sekunden waren verstrichen, seitdem er in diesem Schla-massel steckte. Im Grunde war es ihm inzwischen völlig egal, wie er hier wieder herauskam. Er ließ sich von der Wand anziehen und trat hindurch... Lando lehnte an der durchsichtigen Pyramidenwand und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Die letzte halbe Stunde war nicht gerade angenehm für ihn gewesen, aber das hier war das Schlimmste von allem. Wo sich früher die Augen des alten Sängers befunden hatten, bluteten jetzt zwei häßliche Wunden - die zwar schnell verheilten, das stimmte, und auch nicht infi-ziert waren. Überhaupt schien der alte Mann keine Schmerzen zu haben. Aber er war blind, entsetzlich, vollkommen blind. Und er freute sich darüber. »Captain«, sagte Mohs, »bitte regen sie sich nicht auf. In diesem Leben wird uns nichts geschenkt. Ich scheine mein Augenlicht gegen eine Art von Verstehen eingetauscht zu ha-ben. Ich weiß jetzt, was ich vorher war: ein stumpfsinniger Wilder, der sehen konnte, aber der nicht wußte, was er sah.

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Jetzt bin ich ein intelligenter, zivilisierter Mann, der zufällig sein Augenlicht verloren hat. Halten Sie das nicht für einen gerechten Handel?« Lando brummte und stocherte mit einem Finger in dem winzigen Staubhaufen herum, der sich zwischen der Wand und dem Boden angesammelt hatte. Etwas glänzte dort, ein kleiner Metallsplitter oder eine mikroskopische Spiegelscherbe. Neugierig legte Lando es aus dem Staub frei. Es war immer noch besser, als Mohs ehrlich oder verlogen zu antworten. Nichts war so schlimm wie Blindheit. »Und das ist nicht alles, Captain. Meine neu erworbene Intelli-genz scheint mir über den Verlust meiner Sehfähigkeit hinweg zu helfen. Ich weiß, daß Sie links von mir sitzen, der Wand halb zuge-wandt, und mit einem Finger in einer Ecke herumstochern. Ich glau-be, ich kann das aus den Geräuschen schließen, die Sie von sich ge-ben, und aus dem, was ich über Ihre Persönlichkeit und Ihre Ge-wohnheiten weiß - es ist, als ob ich Sie sehen könnte.« »Wie schön für dich, Mohs«, murmelte Lando irritiert. Plötzlich wurde der glänzende Fleck größer, und Lando zog erschrocken seine Hand zurück. »Beim - sieh dir das an!« Ohne daran zu denken, daß er mit einem blinden Mann sprach, beugte sich Lando in die Ecke. Eine kleine Spinne saß da. Es war ein winziges, glänzendes und blitzschnelles Insekt. Es rannte panisch herum und versuchte, Lando zu entkommen. Es hatte einen Durch-messer von höchstens drei Millimetern. Lando beugte sich furchtlos tiefer hinunter, ließ die Spinne auf seinen Daumen klettern, drehte den Daumen über seiner offenen lin-ken Hand ... Und er sah, wie ein mikroskopisch kleiner Vuffi Raa, sechzig mal so schnell wie normal, über seine Lebenslinie stolperte und hinfiel.

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Kapitel 15 Niemand konnte Vuffi Raa als schwer von Begriff bezeichnen. Natürlich hatte er den hundert Meter großen Giganten, der be-drohlich über ihm schwebte, in dem Moment erkannt, in dem er durch die letzte rote Wand in das Innere der Pyramide getreten war. Es war sein Meister, und überraschenderweise hatte er plötzlich das Gefühl, er sei daheim, trotz seiner unangenehmen Lage. Anscheinend begriff auch Lando die verrückte Situation. Er senkte seinen Daumen auf den Boden vor Vuffi Raa und hielt ihn vollkommen still, während der kleine - sehr kleine - Droide auf ihm entlanglief. Auch Vuffi Raa war sehr vorsichtig: Der Daumennagel war für seine Verhältnisse bequem zu erklettern und bot eine Men-ge Scharten und Risse, an denen er sich festhalten konnte, aber das Fleisch war weich und schwammig. Er bewegte sich mit äußerster Vorsicht und verteilte sein Gewicht gleichmäßig auf alle fünf Tentakel. Eine falsche Bewegung, und eines seiner Tentakel würde die Haut seines Meisters wie eine spitze Nadel durchstoßen. Und das würde die Situation des kleinen Robo-ters erheblich verschlechtern. Nicht, daß sie nicht schon schlecht genug war. Mit unglaublicher Ruhe und Gleichmäßigkeit hatte Lando den Roboter bis auf Augenhöhe hochgehoben, ihn dann an sei-nem massiven Brustkorb vorbeigeführt bis zu seiner anderen Hand. Vuffi Raa sprang in die wartende Handfläche, richtete sich auf und sah zu dem gigantischen Auge hoch, das ihn neu-gierig musterte. »Meister! Was für ein Unglück! Was sollen wir jetzt tun?« »AAAVWUUUFFFIII EEERRRAAAHHH«, antwortete Lando mit tiefer und donnernder Stimme. Er brauchte fast

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zwanzig Sekunden für die beiden Worte. Ein menschliches Wesen in Vuffi Raas Lage hätte wahrscheinlich nicht verstan-den, was Lando sagte - der Hörbereich des kleinen Droiden war eindrucksvoll -, aber er hätte es ganz bestimmt gespürt. Jetzt verstand er die unnatürliche Ruhe und steinerne Ge-lassenheit seines Meisters. Ihr Zeitgefühl unterschied sich ebenso wie ihre Größe. Lando lebte erheblich langsamer als Vuffi Raa. Er erwägte das Problem über einen Zeitraum, der für seinen Meister etwa eine Millisekunde gewesen wäre und gab dann eine Serie von lauten Tschirp-Geräuschen im Ab-stand von einer Mi von sich. Er artikulierte sie sorgfältig und ließ sie ineinander übergehen. Er hoffte, daß ihn der Riese verstehen würde: »Kann Sie nicht verstehen, Meister«, hörte Lando eine winzige Stimme sagen. »Können Sie mich hören?« Lando war auch nicht auf den Kopf gefallen. Er konnte se-hen, wie hastig und überstürzt sich Vuffi Raa in seiner Hand bewegte, und er schloß daraus, daß sich die Zeit - oder ihr Stoffwechsel _ in verschiedenen Dimensionen bewegte. Er konnte sich sogar vorstellen, wie Vuffi Raa es trotzdem schaffte, mit ihm zu kommunizieren, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er ihm das klarmachen sollte. Er beschloß, sich kurz zu fassen: »Ja.« Vuffi Raa hörte das als »AAAHHJJJAAAHHH!«. Sein ein-gebauter Computer faßte das schnell zu einem »Ja« zusammen (das hatte er schon gelernt, als Lando ihn zum erstenmal ange-sprochen hatte) und hatte sogar schon eine Antwort parat. Er brauchte allerdings ziemlich viel Zeit, um sie so zu formulie-ren, daß der Riese sie verstehen konnte. »Frag Mohs, was passiert ist.«

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»HHHOOOGGGEEEYYYHHH!« Riese zu Riese: »Mohs, alter Freund, hat deine neuentdeck-te intellektuelle Kapazität vielleicht eine Erklärung für diese unerwartete Wendung der Ereignisse? Ich schätze, ich besitze jetzt den kleinsten Droiden der ganzen Galaxie, aber ich glau-be nicht, daß er darauf sehr stolz ist.« Der alte Schamane tastete nach seinem Lendenschurz, schlang ihn sich wieder um die Hüften, tappte zu Lando hin-über, beugte ein Ohr über den zerbrechlichen Roboter und dachte einen Augenblick nach, bevor er antwortete. »Ich kenne kein Lied, das uns darüber Aufschluß geben könnte. Er kann uns hören, oder nicht?« »Ja«, kam die leise, blitzschnelle Antwort, fast noch wäh-rend Mohs die Frage stellte, und lange bevor Lando darauf reagieren konnte. Für die organischen Giganten war diese Art von Kommunikation kein Problem, überlegte Lando, aber für den schnelllebigen Droiden mußte sie unerträglich sein. Jedes Wort brauchte Minuten, um überhaupt formuliert zu werden, und die Menschen standen Ewigkeiten wie sture Esel herum, ehe sie sich zu einer Antwort entschlossen. »Captain«, sagte der alte Mann, dem es sichtlich unange-nehm war, sich mit einer spinnengroßen Maschine zu unterhal-ten, »ich sehe - bildlich gesprochen - eigentlich keine andere Möglichkeit als weiter nach der Harfe zu suchen. Wir können für unseren Freund hier nichts mehr tun. Vielleicht ergibt sich während unserer Suche eine Lösung.« »Gut«, antwortete Vuffi Raa, ehe Lando überhaupt darüber nachdenken konnte. Dann begann er fasziniert die gigantische Hand seines Meisters zu untersuchen. Die Epidermis war durchscheinend wie eine gallertige Masse, und die feinen Li-nien wirkten wie Pflugscharen darin. Landos Puls war ein re-

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gelmäßiges, dumpfes Erdbeben, das alle paar Minuten auftrat. Offene Poren lagen wie Golflöcher über die Fleischhügel ver-streut. Endlich, lange nachdem Vuffi Raa seine Untersuchungen abgeschlossen hatte, hörte er die Antwort: »HHHDDDUUUHHH HHHAAASSSDDD RRREEECCCHHHTTTHHH!« Irgendwie gelang es Vuffi Raa noch, nach einer Transport-möglichkeit zu fragen. Er hätte das Gebäude zwar auch gern zu Fuß erforscht, aber trotz seiner Schnelligkeit hätte ihn seine Winzigkeit und die (für seine Verhältnisse beträchtlichen) Unebenheiten des Terrains zu sehr dabei behindert. Darum schlug er vor, daß er reiten würde, und fragte zuver-sichtlich wo und wie. »Ich wollte schon immer einen Ohrring«, antwortete Lando dem überraschten Roboter. »Glaubst du, daß du dich in mei-nem Ohr halten könntest, ohne mir das Ohrläppchen abzurei-ßen?« Das würde erstens die Verständigung vereinfachen, und zweitens bestand dort die geringste Gefahr, daß Vuffi Raa ver-letzt würde. Lando war sehr darauf bedacht, daß sein Kopf nicht beschädigt wurde. Captain«, fragte Mohs, nachdem das erledigt war, »es soll einen Weg aus dieser Kammer heraus geben, der sich irgend-wo im Zentrum der Pyramide befinden muß. Können Sie ihn sehen?« Während der relativ kurzen Zeit, die er hier verbracht hatte, hatte sich Lando fast nur für die Umgebung außerhalb der Py-ramide interessiert, für das, was sich hinter den transparenten Wänden befand. Dann hatten ihn Mohs' Augen von allem ab-gelenkt, und zuletzt Vuffi Raa. Jetzt schaute er sich zum ers-tenmal aufmerksam um. Das war nicht ganz einfach: Der Bo-

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den war glänzend, als bestünde er aus durchsichtigem Glas, das man über einen dunklen Untergrund gelegt hatte. Er führte den alten Sänger in die Mitte des Raumes, ungefähr fünfzig Meter weit. Der kleine Droide klammerte sich mit allen fünf Tentakeln an seinem Ohr fest. Vor ihnen lag eine Rampe, die übergangslos in den Boden eingelassen war und schräg nach unten führte. Nirgendwo wa-ren Geländer oder andere Verzierungen zu sehen. Lando glaubte, daß er sie darum bis jetzt nicht bemerkt hatte. Außer-dem war sie in dem spiegelnden Boden leicht zu übersehen. In der Mitte der Pyramide war das Licht merkwürdig dämmrig. Die helle Sonne draußen bildete dazu einen unange-nehmen Kontrast, der Lando langsam nervös machte. »Nun, Freunde, sollen wir?« fragte Lando, ohne sich an jemand Bestimmten zu wenden. Keine Antwort. Er zuckte mit den Achseln, machte einen Schritt vorwärts - und erinnerte sich in diesem Augenblick, eine Sekunde zu spät, daß er genau auf diese Weise in diese... na ja, jedenfalls hier herein geraten war. Sobald sein Fuß auf der sanft geneig-ten Ebene stand, glitt dieser ohne Landos Zutun vorwärts. Er zog seinen anderen Fuß nach, und plötzlich bewegte er sich, ohne zu gehen - genau wie in Mohs' prophetischem Lied be-schrieben - auf einer Art glasigem, gestaltlosem Laufband. Er drehte sich um. Mohs war hinter ihm. Er hatte einen be-unruhigten Ausdruck auf dem Gesicht - anscheinend gefiel es ihm nicht besonders, daß sich sein Traum erfüllt hatte. Aber, dachte Lando, geht uns das nicht allen so? Der Gang, in dem sie sich jetzt befanden, war vielleicht zehn Meter breit. Als sie durch den Boden verschwanden, er-kannten sie, daß der Tunnel auch zehn Meter hoch war. Die

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Wände gingen senkrecht nach oben, wo sie dann in einem Bo-gen zusammentrafen. Zuerst waren die Wände glatt und ohne jede Unebenheit und erweckten denselben Eindruck wie der Boden in der Py-ramide: Glas über dunklem Untergrund. Nirgendwo im Boden waren mechanische Teile zu sehen, die das »Fließband«, auf dem sie standen, antrieben; ein Objekt, das auf dem Boden abgestellt wurde, bewegte sich mit der gleichen Geschwindig-keit wie Lando, Mohs und Vuffi Raa fort. Ob sie über den Un-tergrund glitten oder sich der Boden mit ihnen bewegte, konn-ten sie nicht feststellen. »HHHAAALLLEEESSSOOOGGGAAAYYYHHH, WVUUUFFFIII HHHRRRAAAHHH?« Vuffi Raa hing in Landos Ohr, beobachtete, maß und ver-suchte, sich nützlich zu machen - nachdem er schon getragen wurde. Aber immer wieder beschäftigte ihn seine Größe. Wenn man annahm, daß er sich verkleinert hatte - und die verschie-denen physikalischen Gesetze außer acht ließ, die das eigent-lich unmöglich machten -, dann wollte er jedenfalls nicht für den Rest seines Lebens so klein bleiben. Droiden haben ein langes, sehr langes Leben. Aber wenn andererseits Lando und sein eingeborener Be-gleiter gewachsen waren und dabei einen Haufen Naturgesetze außer Kraft gesetzt hatten, dann brauchte Vuffi Raa sie gar nicht erst zu fragen, wie ihnen das gefiel. Seine Gedanken wurden durch eine wichtige Beobachtung unterbrochen. Er seufzte innerlich und mechanisch und unter- nahm dann wieder einen nervenzermürbenden Versuch, sich seinem Meister verständlich zu machen: »Meister, der Korridor krümmt sich.«

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»Nicht so laut, Vuffi Raa! Er krümmt sich?« Lando sah sich um. Er konnte nichts erkennen; die Kurve mußte also sehr langgestreckt sein. Dann kam ihm ein Gedanke: »Um wieviel Grad? Irgendwann müßte sie zu Ende sein, sonst landen wir wieder da, wo wir angefangen haben - und dann weiß ich nicht mehr weiter.« »Das glaube ich nicht... wir bewegen uns abwärts... befinden uns auf einer Spirale.« »So? Wieviel Grad abwärts?« wiederholte Lando. Der alte Toka-Sänger lauschte ihrem Gespräch. Er hatte eine unsichere Miene aufgesetzt. »Welchen Durchmesser hat die Spirale?« »Was für eine Skala?« Lando kicherte. »Gute Frage. Nimm meine, wenn's dir nicht allzuviel ausmacht. Ich muß schließlich alles entschei-den, oder nicht?« Vuffi Raa verkniff sich die Bemerkung, daß Landos Ent-scheidungen sie bisher nur in Schwierigkeiten gebracht hatten - und dies nicht nur, weil die Verständigung so schwierig war. Stattdessen teilte er alles, was ihm seine Sensoren meldeten, einfach durch sechzig. »Zehn Grad im Augenblick. Fällt alle dreißig Kilometer um hun-dert Meter.« »Weißt du zufällig, wie schnell wir uns vorwärts bewe-gen?« »Ungefähr zwanzig km/h. Wir schaffen eine volle Umdrehung in einer dreiundzwanzigstel Planetenumdrehung.« Immer weiter ging die Reise. Stunden vergingen. Vuffi Raa bemerkte zuerst die Veränderungen in den Wän-den. »Meister. Man kann etwas sehen!«

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»Ich sehe es.« Lando versuchte, durch das transparente Glas etwas zu erkennen. Wo zuvor nur Schwärze geherrscht hatte, konnte man jetzt eine Form und Struktur sehen, wie auf einer Straße, die durch einen Bergpaß führt. »Wir sind aus der Pyramide heraus! Wir sind unter ihr!«

Kapitel 16 Sie reisten durch das Herz des Planeten. Das stimmte zwar nicht ganz, wie Vuffi Raa schon bemerkt hatte, aber Lando gefiel die Formulierung trotzdem. Die geologische Schicht, durch die sie sich bewegten, datierte, wie der kleine Droide erklärte, aus den Anfängen des Lebens auf Rafa V. Im Stein eingebettet lagen winzige mikroskopische Kreatu-ren, die in Meeren gelebt hatten, die es längst nicht mehr auf dem alten, ausgetrockneten Planeten gab. Zwischen ihnen befanden sich Brocken getrockneter Lava, die aus längst erloschenen Vulkanen stammten. Vuffi Raas genaue Sensoren - und vielleicht die Tatsache, daß er so klein war - ermöglichten es ihm, auch die kleinsten Details durch das Glas hindurch zu sehen und sie seinen Gefährten zu be-schreiben. »Und hier sehen wir... Meister... die ersten Zellkolonien... die Vorgänger vielzelliger Lebewesen.« »Nenn mich nicht Meister, und schon gar nicht, wenn du mir Vor-träge hältst. Möchtest du auch einen Bissen, Mohs?« Lando hatte die Taschen seines Parkas nach Wasser- und Tro-ckennahrung durchsucht. Vuffi Raa brauchte das sowieso nicht, aber der alte Mann überraschte Lando, indem er nur einen winzigen Bis-sen von dem synthetischen Essen nahm.

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Außerdem war der alte Hohe Sänger schon seit Stunden erstaun-lich schweigsam. Er stierte nur voraus in die Düsternis, die keine richtige Dunkelheit war, und lauschte Vuffi Raas Erklärungen. Wie-viel der alte Mann von den paläontologischen Abhandlungen des Droiden verstand, das wollte Lando sich nicht einmal vorstellen. »Aber wenn wir sehen, wie sich das mikroskopische Leben lang-sam weiter entwickelt«, fragte Lando Vuffi Raa, »heißt das dann nicht, daß wir uns wieder aufwärts bewegen?« »Ganz im Gegenteil... Meister... der Korridor verläuft schon seit einiger Zeit parallel zur Planetenoberfläche... aber diese geologische Formation ist schräg geschichtet.« Aus irgendeinem Grund beunruhigte das Lando. Er wünschte sich der Roboter hätte ihn laufend über ihre Reise-richtung und die Geschwindigkeit informiert. Es war fast, als ob... als ob… »Sie haben absichtlich diese Route gewählt, oder nicht? Damit wir das hier alles sehen können?« »Sie, Captain?« antwortete Mohs zu Landos Überraschung. Der alte Mann hatte schon vor längerer Zeit entdeckt, daß er ebenso gut im Sitzen wie im Stehen reisen konnte. Lando hatte es ihm nachgemacht, und so saßen sie jetzt einen Meter vonei-nander entfernt. Lando hatte mit dem Gedanken gespielt, ein kleines Nickerchen zu machen, bevor die Wände transparent geworden waren und der Nachhilfeunterricht in Geologie be-gonnen hatte. Er spielte immer noch damit. »Du weißt ganz genau, wen ich meine. Das hier ist kein Zufall, oder?« »Wenn es so ist, Captain, dann verraten uns die Lieder nichts -«

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»Natürlich nicht! Mohs, diese ganzen Lieder sollten nur bewirken, daß irgendwann irgendwer genau dahin kommt, wo wir jetzt sind.« »Das habe ich auch schon vermutet.« Lando durchsuchte seine Taschen und fand eine Zigarette. Er rauchte nur selten, und wenn, dann lieber Zigarren. Wer immer diesen Parka gepackt hatte - ein Imperial Luxusmodell -, er hatte an alles gedacht. Lando zündete sich die strohtrocke-ne Zigarette mit einem in den Kragen eingebauten Feuerzeug an. »Die Frage ist also, warum. Warum sollen wir uns diese ganzen Felsen und so weiter ansehen?« Der alte Mann hob sein blindes Gesicht. »Es muß ein bes-seres Wort als >sehen< geben, Captain.« »Großer Gott, ich hätte fast -« Er hatte fast vergessen, daß Mohs blind war. Aber wenigstens waren die schrecklichen Wunden fast verheilt. Und trotzdem hatte sich Mohs nicht wie ein eben erst Er-blindeter bewegt. Er war nicht gestolpert, hatte nicht um Hilfe gebeten, er hatte die Wände und das Tunnelloch angestarrt und Vuffi Raa zugehört, als könnte er -. »Was meinst du mit einem besseren Wort, Mohs ? Gibt es einen Sinn, der besser ist als Sehen?« Der alte Toka drehte sich auf dem Boden herum, so daß Lando ihm ins Gesicht blickte. Er atmete tief ein und blies die Luft dann langsam aus. »Es scheint so, Captain. Sie tragen den Gesandten in Ihrem rechten Ohr. Sie haben einen Wassercontainer in Ihrer linken Hand und die Reste eines Trockennahrungsriegels in Ihrer rechten. Ihr Mantel ist offen; dem Hemd darunter fehlt ein Knopf, und zwar der zweite von oben. Sie halten neben dem

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Wassercontainer noch einen brennenden Krautstab in Ihrer Hand. Er ist ungefähr zu zwei Dritteln abgebrannt.« Lando war so beeindruckt wie nie zuvor. »Was für eine Farbe haben meine Augen?« »Die Farbe der Täuschung, der Habsucht, die Farbe der -« »Genug, genug! Kein Grund, gleich poetisch zu werden. Irgendwie siehst du das alles. Hast du eine Idee, wie? Hellsich-tigkeit, Telepathie, Psychometrie... « »Ich kenne diese Worte nicht, Captain. Ich höre, wie das Wasser plätschert, der Rauchstab knistert, den Ton Ihrer und die Stimme des Gesandten. Ich rieche und spüre die Vibratio-nen des Bodens. Hier ist es warm, dort ist es kalt. Bilder zei-gen sich in meinem Kopf. Meine noch verbliebenen Sinne ver-raten mir alles, was mir früher meine Augen zeigen mußten.« »Toller Trick. Wie viele Finger halte ich jetzt - Aua! Vor-sicht, Vuffi Raa, du zerfetzt mein Ohrläppchen!« »Verzeihung, Meister... die Wände... die ersten Tiere in dieser Welt.« Vuffi Raas Methode, mit ihm zu kommunizieren, war kei-neswegs perfekt, aber Lando spürte trotzdem seine Aufregung. Er fragte sich, was so phantastisch an den Fossilien sein sollte. Sie sahen wie ganz normale Seeigel, Seesterne und so weiter aus. Vielleicht hatte sich der kleine Roboter deswegen so aufge-regt. Die Anatomie dieser Tiere ähnelte seinem eigenen Auf-bau: fünfseitig, fünfgliedrig. Aber für Mohs galt das nicht: »Haltet ein! Betrachtet Euch die Ahnen Derer, Deren Name hier nicht ausgesprochen wer-den soll!«

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»Meinst du die Sharu?« fragte Lando zurück. Er haßte Heimlichtuerei, selbst wenn sie notwendig war, und hier war sie vollkommen fehl am Platz. »Ta, Captain«, seufzte der alte Mann resigniert, »ich meine die Sharu.« Für Lando blieben es trotzdem ganz normale, wahrschein-lich schleimige Seesterne, ganz egal, wessen Ahnen sie gewe-sen waren. Die Stunden verrannen, und Vuffi Raa und Mohs begeisterten sich abwechselnd für das, was sie gerade sahen. Lando gähnte, legte sich auf den gleitenden Boden, richtete sich seinen Parka zurecht und glitt selbst ein bißchen, und zwar in den Schlaf. Der Boden war fest, aber elastisch, und er war warm. Aber nicht einmal im Schlaf fand er Ruhe vor den wissen-schaftlichen Lektionen. Er rekapitulierte den langsamen, gleichmäßigen Fortschritt - jeder Schritt davon war langweili-ge Quälerei - der kleinen, ekligen Einzeller, die in den trüben Urgewässern des Planeten zu Hause gewesen waren, durch die ersten Zellkolonien, und von dort aus bis zu den Tieren mit Wirbelsäule und Beinen, die irgendwann aus dem Meer ans Land krochen. Das Merkwürdige war nur, je höher er auf den Stufen der Evolution kletterte, desto vager und nebelhafter wurden die imaginären Lebewesen in Landos Träumen. Unfaßbare, schat-tenhafte Wesen verprügelten sich gegenseitig mit abgebroche-nen Asten. Noch verschwommenere Gestalten nahmen die Zweige, kratzten mit ihnen den Boden auf und säten das erste Getreide. Als die Ahnen der Sharu Städte zu bauen begannen, kleine, hilflos wirkende Ansiedlungen, erschien es ihm, als würden

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sich die Städte selbst erschaffen und von unsichtbaren Bewohnern gefüllt. Kontinente wurden entdeckt und Völker wanderten in neue Ge-biete. Kriege wurden gewonnen oder verloren und immer neue Waf-fen entwickelt. Neue Entdeckungen wurden gemacht und neue Krie-ge geführt. Die Ur-Sharu verließen zum erstenmal den festen Plane-tenboden in kleinen, explosionsbetriebenen Maschinen und hinterlie-ßen den ersten Müll im All, durch den sich die Millennium Falcon sehr viel später auf ihrem Flug zu Rafa V kämpfen sollte. Das Unbehagen, das Lando verspürte, wurde immer intensiver. Es war eine Art unbestimmter Schmerz, der seinen Schlaf eher zu einer Qual als zu einer Erholung werden ließ. Er hatte immer noch keine Ahnung, wohin sie sich bewegten. Aber er hatte ohnehin keine Wahl: Er mußte die Geistharfe finden und dann einen Weg aus dem Tunnel entdecken. Danach würde er zusehen, daß er von diesen Ruinen, von diesem stinkenden Planeten und aus dem ganzen verdammten Rafa-System weg kam, ein für allemal. Ihn würde niemand mehr dabei erwischen, wie er Mynocks in das Rafa System einschleppte! Oder irgendetwas anderes. Sein Unbehagen steigerte sich immer mehr und verwandelte sich allmählich in richtigen Schmerz. Lando drehte und wendete sich im Schlaf, aber ohne aufzuwachen. Die Vorfahren der Sharu hatten Straßen und Gebäude errichtet, die jedem zivilisierten Bewohner der Galaxie vertraut vorgekommen wären. Sie reisten in motorgetriebenen Vehikeln herum und verbrei-teten sich allmählich über alle Planeten in dem System. Zuerst waren die Lebensbedingungen auf den neu entdeckten Planeten nur schwer zu ertragen, und so hausten sie in unterirdischen Städten. Dann be-gannen sie, sie in genaue Kopien ihres Heimatplaneten zu verwan-deln.

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Der Planet hier war nicht immer eine Wüste gewesen. Es hatte hier Ozeane und Bäume und Seen und schneebedeckte Berge gegeben. Die Luft war feucht gewesen, und das Wetter hatte sich immer wieder verändert. Wie lange das alles her war, das konnte der träumende Lando nicht einmal vermuten. Wie lange dauert es denn, bis ein Meer verschwindet? Aber dann entwickelte sich ihre Technologie weiter als die, die Lando kannte, und die Formen der Gebäude veränderten sich und die Straßen verschwanden. Die unsichtbaren Wesen, die zu Sharu geworden waren, führten keine Kriege mehr und kämpften stattdessen mit ihrer Umwelt. Jeder Felsbrocken, der um die Rafa-Sonne schwebte und groß genug war, um besie-delt zu werden, wurde in einen Garten verwandelt. Aus wel-chem Grund dies geschah, blieb unklar. Die Städte hatten sich längst so weit verwandelt, daß man keine Funktion mehr er-kennen konnte. Die ersten der riesigen Gebilde tauchten auf - auf Rafa V. Bald überzogen sie auch alle anderen Planeten des Systems. Es waren Dinge, die einem Alpträume bereiten konnten. Lando wälzte sich im Schlaf herum, fuchtelte mit seinen Ar-men und schwitzte. Die Oberflächen und Winkel stimmten ir-gendwie nicht mehr. Dinge traten auf, die offensichtlich keine Funktion hatten. Durchgänge verwandelten sich in winzige Pipelines, haarfeine Risse wurden zu riesigen Spalten, ohne jeden Zusammenhang. Die Meere begannen zu verschwinden, und überall tauchte roter Sand auf. Hatten die Sharu etwas falsch gemacht, oder beabsichtigten sie diese Veränderung? Lando sank tiefer in einen traumlosen, schmerzgeplagten Schlaf. Sein letzter Gedanke war eine Frage: Würden sie im-mer weiter auf diesem seltsamen Gang entlanggleiten, bis sie

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irgendwann von einer gigantischen Mühle zermahlen werden würden? Lando erwachte. Irgendwie hatte er für den Bruchteil einer Sekunde das be-ruhigende Gefühl, das alles einen Sinn ergab. Das Gefühl ver-schwand aber bald wieder und hinterließ dröhnende Kopf- schmerzen. »Vuffi Raa, bist du wach? Du mußt dir für eine Weile einen ande-ren Unterschlupf suchen, mein Kopf kann jeden Augenblick zer-springen!« Er rollte sich auf den Rücken. »Meister sind Sie wach wie fühlen Sie sich?« Er setzte sich auf - und eine Supernova explodierte in seinem Kopf. Er legte sich wieder hin. »Ein bißchen langsamer bitte.« Er hob eine Hand an sein Ohr. »Geh eine Minute lang da raus, bis ich dieses Kopfweh losgeworden bin.« Er fühlte, wie eine Feder in seiner Handfläche landete. Der Schmerz verschwand. Vorsichtig senkte er den Kopf und blickte auf Vuffi Raa. Irgendwas stimmte nicht, aber er war noch zu betäubt, um festzustellen, was es war. Die Wände zogen an ihnen vorbei, verziert von weg geworfenen Metall- und Plastikcontainern, Maschinenteilen und elektronischen Bausteinen, die in das Sediment eingegraben waren. Wie lange dau-ert es in einer Zivilisation, bis Radios und Fernseher dort überflüssig werden? »Was hast du eben gesagt, mein kleiner Freund?« »Ich... habe... Sie... nur... gegrüßt... Fragte... wie... es... Ihnen... geht.« »Lausig, aber danke der Nachfrage. Ist etwas Interessantes pas-siert, während ich geschlafen habe?« Er tastete nach einer Zigarette

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und begann dann abzuwägen, welchen Trockenriegel er zum Früh-stück essen sollte. »Es... ist... jetzt... Nacht... draußen... Meister... Sie... haben... den... Tag... verschlafen.« »Ich glaube, das macht keinen Unterschied hier unten. Wo ist Mohs?« Lando hatte sich umgeblickt, den Tunnel hinauf und hinun-ter, aber ohne den alten Mann zu sehen. Vielleicht war er- »Wie... bitte... Meister?« »Wir scheinen uns heute - äh, nachmittag nur schwer zu verste-hen. Ich fragte, wo ist Mohs? Ist er fortgegangen?« »Meister... ich muß Ihnen etwas sagen.« Lando hatte das vage Gefühl, daß jetzt etwas Unangenehmes folg-te. »Was denn, altes Uhrwerk?« »Ich glaube... daß Sie... schrumpfen.« »Was?« »Alles schrumpft... Der Tunnel wird mit jedem Kilometer schmaler... Sie sind geschrumpft, darum hat Ihnen mein Ge- wicht Schmerzen bereitet... Darum habe ich auch anfangs zu schnell gesprochen... Unsere Zeit- und Raumdimensionen nä-hern sich einander an.« »Das bedeutet nur, daß du wächst. Hast du schon einmal versucht, die Sache von dieser Seite zu betrachten?« Lando schaute den kleinen Roboter in seiner Hand genauer an. Vor-hin hatte er die Größe des Roboters auf etwa drei Millimeter geschätzt. Keine Frage, jetzt war er mindestens doppelt so groß, und Lando konnte sein Gewicht schon in seiner Hand spüren. »Ja... ich habe es versucht... ich glaube aber, daß Sie schrumpfen.« »Und ich glaube, du wächst.« »Was ist mit Mohs?«

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»Wer... Meister... Wer ist Mohs?« »Vuffi Raa, tu mir das nicht an! Mohs - der Hohe Sänger der Toka - der alte Junge, der uns hierhergeführt hat! Mohs!« Eine lange, lange Pause entstand. Für den hochtourigen Droiden mußte es eine wahre Ewigkeit gewesen sein. Und schließlich antwortete er: »Meister... ich kann mich an keinen Mohs erinnern... Füh-len Sie sich nicht gut?«

Kapitel 17 Der Tunnel trug sie weiter, während sie sich stritten. »Wen haben wir in der Bar getroffen, und wer hat uns die Lieder vorgesungen, die uns den Weg nach Rafa V gezeigt haben?« »Meister, Rokur Gepta muß etwas gesagt haben, was Ihnen weiterhalf, und Sie haben Ihre Schlüsse daraus gezogen. Sehr intelli-gent, Meister, sehr eindrucksvoll.« »Na gut. Und was war mit der Menge am Raumhafen? Wer hat den Gesang angeführt?« »Niemand, Meister. Es war ein gemeinschaftlicher Gesang. Die Toka haben sich ganz spontan dazu entschlossen.« »Aarrgh! Okay. Warum sind wir neben der Pyramide gelandet - vergiß es, ich weiß es schon: Es war das größte Bauwerk auf dem Planeten. Aber sag mir noch eins: Wenn es keinen Mohs gegeben hat, wer hat uns dann in einen Hinterhalt gelockt, wer hat dich durch-löchert und mich in die Lebensplantage verschleppt?«

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»Die Eingeborenen natürlich, Meister. Aber sie hatten keinen An-führer oder Medizinmann oder so etwas. Das soziale Leben der Toka ist dafür zu wenig ausgeprägt.« »Und woher haben sie dann diese Bogenwaffen? Paß auf, Vuffi Raa, ich könnte mir diese Geschichte mit der Eidechse einfach nicht ausdenken, das könnte ich nicht.« »Was erwarten Sie von mir, Meister?« »Ich erwarte, daß du zugibst, daß das alles nur ein schlechter Spaß ist und daß du von jetzt an ein guter kleiner Droide sein wirst.« Lando schüttelte die Plastikschachtel. Es war keine einzige Zigarette mehr übrig. »Manchmal kann das Leben eine einzige Plage sein.« Vuffi Raa stand neben Landos Knie auf dem Boden. Er war in-zwischen fünf oder sechs Zentimeter groß und sah wie eine dieser tropischen Spinnen aus, die kleine Vögel fressen. »Ich wünschte, das könnte ich«, quietschte er. Er sprach inzwi-schen ohne Unterbrechung, aber es war immer noch anstrengend genug für ihn, langsam zu sprechen, damit ihn sein Meister verstehen konnte. »Aber warum sollte ich lügen, Meister?« Lando knüllte das Päckchen zusammen. Er wollte es wegwerfen, schaute dann aber einen Moment lang den sauberen, staublosen Tun-nel hinunter, überlegte es sich und steckte das leere Päckchen wieder in seine Tasche. »Ich sage nicht, daß du lügst, Vuffi Raa. Aber einer von uns beiden irrt sich. Beim galaktischen Zentrum, ich könnte dir den alten Mann bis ins kleinste Detail beschreiben, von der Tätowie-rung auf seiner runzligen Stirn bis zu dem Dreck auf seinen runzligen Füßen.« Vuffi Raa antwortete nicht. Er saß einfach da und wuchs - oder beobachtete, wie sein Meister schrumpfte. Das war noch ein Punkt, über den sie sich nicht einigen konnten. Aber sie hatten beide keine Lust mehr, sich darüber zu streiten.

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Sie hatten auch keine Lust mehr, sich gegenseitig zu fragen, wann denn die Reise endlich zu Ende war. Lando zog die Sabacc Karten, die er immer bei sich trug, aus seinem Parka und mischte sie. Vuffi Raa sah ihm interessiert zu. »Hast du eigentlich schon gewußt, alter Fünffüßer, daß man frü-her mit diesen Dingern die Zukunft vorhergesagt hat?« Er mischte die Karten noch einmal, hob ab und legte sie vor sich auf den Boden. »Eine höchst irrationale und unwissenschaftliche Methode, Meis-ter.« »Nenn mich nicht Meister. Ich weiß, was du meinst, trotzdem - manchmal helfen sie, ein Problem zu lösen, einfach indem sie einen neuen Weg zeigen, um an eine Sache heranzugehen.« »Das habe ich auch schon gehört, Meister. Aber wenn es nur um zufällige Stimulationen geht, dann kann man dasselbe durch einen kräftigen Schlag auf den Kopf erreichen.« Er hat's erfaßt, dachte Lando. Ich brauchte sowieso langsam eine neue Maschine, mit der ich mich herumärgern kann. Die erste Karte, die er aufdeckte, war der Stab Commander. Dies war eine Karte, die Lando meistens mit sich selbst identifizierte. Es war ganz eindeutig ein Zufall, daß sie gerade im richtigen Moment auftauchte - wie so oft -, aber gerade diese Zufälligkeit machte ihn stutzig. War »wissen-schaftliche Analyse« wirklich die einzige Methode, mit der man an die Dinge herangehen konnte? »Das bin ich«, erklärte er dem Roboter. »Ein Bote, dem man ei-nen unmöglichen Auftrag gegeben hat.« Er zog eine zweite Karte und legte sie quer über die erste. »Großer Gadfry!« rief er aus. »Was ist es, Meister?« »Nicht was, sondern wer. Es ist Er selbst - der Leibhaftige. Ich schätze, das soll Rokur Gepta sein. Warte, das Bild ändert sich.«

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Wie es bei Sabacc-Karten von Zeit zu Zeit geschah, verwandelte sich die zweite Karte in den Münz Fürsten - aber das Bild stand auf dem Kopf. »Duttes Mer!« lachte Lando. »Wenn ich jemals einen korrup- ten und selbstgefälligen Politiker gesehen habe, dann ihn! Na, das ergibt immerhin einen Sinn, auch wenn wir bisher nicht schlauer dadurch geworden sind. Mal sehen, was jetzt kommt.« Er legte die dritte Karte über die beiden anderen. Die Säbel Fünf, erläuterte Lando, stand für seine bewußten Motive, für den Wunsch, die Beladenen und Unterdrückten von ihrer Last zu erlösen. Er ki-cherte und legte eine Karte unter die beiden ersten. Sie sollte seine tieferen, vielleicht unbewußten Antriebskräfte zeigen. Er stöhnte. »Der Stab Fürst. Erkläre mir bloß nicht, im Grunde meines Her-zens wäre ich ein edler Mensch.« »Meister, dies ist lediglich eine zufällige Anordnung. Sie sollten das nicht zu ernst nehmen.« Lando betrachtete vorsichtig den kleinen Roboter. »Ich glaube, ich bin gerade beleidigt worden. Aber die nächste Karte sollte uns endlich Aufschluß geben. Es ist die Karte der Vergangenheit, der Dinge, die zu einem Ende kommen.« Es war die Säbel Sechs. Lando legte sie nach links. »Oho! Das bedeutet, daß wir eine Reise machen. Aber die Positi-on der Karte verrät, daß die Reise bald zu Ende ist. Was hältst du davon?« »Meister, eine Reise kann auf verschiedene Weise enden, und nicht immer ist das Ende angenehm und zufriedenstellend.« »Darum brauche ich dich. Du ernüchterst mich immer, wenn ich mich einmal zu gut fühle. Du zeigst mir, daß jeder silberne Rand eine Wolke hat. Weißt du eigentlich, daß du immer noch wächst? Du bist jetzt mindestens acht, vielleicht schon neun Zentimeter groß. Und deine Stimme verändert sich auch.« Der kleine Roboter antwortete

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nicht, sondern beobachtete nur wie Lando die nächste Karte ablegte, diesmal rechts neben das Mittelpaar. »Flammenmeer und Hungersnot! Du hast irgendwas kaputt ge-macht, Vuffi Raa - das ist das Zeichen für das zerstörte Raum- schiff!« »Bedeutet das, daß die Falcon beschädigt wird, Meister?« »Nenn mich nicht Meister! Ich dachte, du glaubst nicht an diesen Hokuspokus?« »Das tue ich auch nicht. Aber was hat sie zu bedeuten?« »Kataklystische Veränderungen in der nächsten Zukunft, Tod und Zerstörung. Das ist wahrscheinlich die schlechteste Karte im ganzen Stapel. Vielleicht. Denn eins habe ich inzwischen gelernt: Es gibt immer noch eine schlechtere Karte. Die nächste wird uns verraten, was passieren wird und wie wir reagieren werden.« »Wir, Meister?« »Jetzt fängst du schon wieder an - großartig: der Satellit. Das be-deutet ziemlich eklige Sachen wie Täuschung, Verrat, Betrug.« Er sah den kleinen Roboter aufmerksam an. »Willst du mich hinterge-hen, mein gnomenhafter Günstling?« »Meister, hier liegt die größte Gefahr solcher mystischer Spiele-reien. Sie haben mir vertraut, bevor sie angefangen haben, die Zu-kunft aus Ihren Karten zu lesen, oder nicht?« »Das tue ich immer noch, Vuffi Raa. Die nächste Karte, über dem Satellit, wird uns verraten, wo wir uns bald befinden werden. Hmmm. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat.« Das Rad stand leuchtend auf der Karte. Es war ein Bild, das Glück wie auch Unglück versprach, den Anfang und das Ende, Zu-fälle, Ergebnisse - Lando wurde daraus nicht schlau. Die dritte Karte in dieser Reihe, direkt über dem Rad und dem Satelliten, stand für Hindernisse, die zu überwinden waren. Lando verzog das Gesicht, als er sah, was für eine Karte er gezogen hatte.

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»Schon wieder Gepta! Na, das ist eigentlich nur logisch. Möchtest du auch das Ende sehen, altes Uhrwerk? Ist auch egal, ich zeige es dir sowieso. Und los geht's. Na ja, das ist gar nicht so schlecht. Es ist das Universum. Das bedeutet, daß wir danach machen können, was wir wollen. Komm zur menschlichen Rasse, dann siehst du was von der Welt. So in der Art.« »Meister.« »Ja, Vuffi Raa, was ist?« »Meister, diese Stab Sechs: Sie bedeutet, daß eine Reise zu Ende geht?« »Genau, obwohl es auch etwas anderes heißen kann, vor allem - »Meister, unsere Reise ist zu Ende.« Und so war es. Der Gleitboden hielt vor einem Tor an, das in eine riesige Halle führte, in der man ohne Schwierigkeiten eine ganze Flotte von Raumschiffen hätte unterbringen können. Und weit, weit von ihnen entfernt stand ein riesiger Altar, auf den sich alles Licht richtete, das in die gigantische Grotte drang. Obwohl sie noch mehrere hundert Meter davon entfernt waren, wußte Lando, daß auf dem Altar die Geistharfe der Sharu stand. Er bekam Kopfschmerzen.

Kapitel 18 Ganz so einfach war es doch nicht. In dem Raum befanden sich noch andere Dinge. Vor allem lag neben dem Podium oder Altar, auf dem die Geistharfe thronte, eine gigantische Replik des Schlüssels, den Lando getragen hatte, bis ihn die Wand der Pyramide verschluckt hatte. »Was hältst du davon, Vuffi Raa?«

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Der Roboter, der inzwischen Lando bis zum Knie reichte, starrte in dieselbe seltsam erhellte Dämmerung, die auch in dem Tunnel hinter ihnen geherrscht hatte. Es war wie ein helles Bernstein, das aus dem Boden zu dringen schien. Die Halle, größer als alles, was der Spieler bisher gesehen hatte, war an den Wänden mit Skulpturen - oder waren es Malereien - verziert, einer Szenerie, die ihn an die Träume der vergangenen Nacht erinnerte. Hier, am Eingang, schlurften struppige Gestalten halb aufrecht an der Wand entlang, richteten sich dann auf, begannen, Dinge in ihren Händen zu tragen, verloren ihr Fell und trugen schließlich sogar Kleidung. Lando und Vuffi Raa folgten der rechten Wand, die sie tiefer in die runde Kammer der Geistharfe hinein führte. Sie waren gerade erst zehn Meter weit gekommen, als die Figuren an den Wänden schon mit Verbrennungsmaschinen und Raketen spielten. Ungezählte Jahrtausende lagen noch vor ihnen. Der Roboter hatte nichts mehr gesprochen. Lando sah auf ihn hinunter. Sein Auge leuchtete irgendwie intensiver - aber vielleicht war das auch nur auf das diffuse Licht in der Kammer zurück zu füh-ren. »Vuffi Raa, hörst du mich?« »Natürlich, Lando«, antwortete der Droide, als hätte man ihn eben aus einem Traum gerissen. »Was ich davon halte? Dasselbe wie Sie - daß dies hier irgendwie das Zentrum der Sharu-Kultur ist oder was davon noch übrig geblieben ist. Und daß die Harfe wahrscheinlich noch wichtiger ist, als wir zuerst angenommen haben.« Daran hatte Lando überhaupt nicht gedacht. Er hatte geglaubt, daß diese Kammer eine Art Tempel war, daß die Figuren an der Wand Menschen waren - Toka - und daß ihnen das Relief die Geschichte derer erzählen würde, die von irgendeinem fremden Planeten kamen

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und hier auf die Sharu stoßen würden. Irgendwo aut der Wand gab es bestimmt eine Szene, in der sie ihren neuen Herren begegneten. Er wollte nicht länger warten. »Ich gehe jetzt einfach durch den Raum - ich habe die Nase voll von diesem historischen Gewäsch. Kommst du mit?« Vuffi Raa drehte sich zu ihm um und folgte ihm ohne ein weiteres Wort. Es war ein langer, langer Weg. Die Sharu hatten dasselbe Geheimnis wie die Menschen entdeckt: Wenn man den Boden in einem öffentlichen Gebäude möglichst glatt herstellt, ihn immer gut poliert und bohnert, dann müssen die Menschen, die in das Gebäude wollen, winzige Schritte machen und sich ganz langsam bewegen, bis sie sich ganz klein und unwürdig vor-kommen. Dasselbe läßt sich übrigens auch durch hohe Decken erreichen. Lando hatte keine Zeit. Er nahm ein paar Schritte Anlauf und schlitterte über den Boden. »Wow! Das macht Spaß! Los, komm, altes Zinnhorn, ver-such es auch mal!« »Meister!« ermahnte ihn der Roboter tief betroffen. »Haben Sie denn gar keinen Respekt?« Lando hielt an und sah zu seinem Droiden zurück. »Keine Spur - jedenfalls nicht, wenn man ihn mir einjagen will.« Er lief wieder ein paar Schritte und schlitterte weiter. Der Roboter mußte sich beeilen, um ihn einzuholen. Als er es schließlich geschafft hatte, hatte er fast seine ursprüngliche Größe erreicht. »Lando«, sagte er, »da wir gerade von Architektur spre-chen, diese Halle ist irgendwie merkwürdig.« Lando mußte eine Pause einlegen, um wieder Luft zu be-kommen. Er setzte sich auf den Boden.

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»Das paßt zu allem anderen. Was ist es diesmal?« »Nun, vom Eingang aus wirkte der Raum rund, überkuppelt und mit einem Durchmesser von vielleicht tausend Metern.« Lando blickte sich um. »Mir kommt das immer noch so vor.« »Meinem optischen Sinn erscheint das auch so. Aber wenn ich den Raum mit Radar und meinen Extraorganen ausmesse, stelle ich fest, daß er in Wirklichkeit oval ist - wie ein Ei, mit einem dicken und einem dünnen Ende. Das dicke Ende war der Eingang. Und jetzt ist das Dach schon viel niedriger.« Blitzartig stand Lando eine andere Szene aus seinem Traum vor Augen. Die erste Erinnerung daran hatte Vuffi Raa vorhin ausgelöst, als er behauptet hatte, daß nicht er, der Roboter wuchs, sondern daß Lando schrumpfte. Aber wenn das wahr war - der Tunnel hatte seine Dimensionen die ganzen zwei Tage über die sie sich in ihm befunden hatten, nicht verändert -, dann war auch der Gleitweg geschrumpft. Lando war Vuffi Raa am Anfang der Reise als hundertzwanzig Me-ter hoher Riese erschienen. Jetzt war er gerade noch doppelt so groß wie er. Die Korridore mußten also im gleichen Verhältnis ge-schrumpft sein. Wenn das stimmte, dann würde Vuffi Raa zehnmal so hoch sein wie Lando, wenn sie die Geistharfe erreicht hatten, und sie würden beide auf Händen und Knien herumrutschen müssen, um an das Hei-ligtum heranzukommen. »HALT!« sagte eine Stimme. »Was?« schrien Vuffi Raa und Lando gleichzeitig. »ES IST NICHT GESTATTET, DIE HALLE ZU DURCH- QUEREN.« »Was passiert, wenn wir es trotzdem tun?« fragte Lando. Die Stimme schwieg, als wäre sie verwirrt. »DAS WEISS ICH LEIDER

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NICHT! DAS HAT MICH NOCH NIEMAND GEFRAGT. JEDEN-FALLS IST ES NICHT GESTATTET.« Lando öffnete den Mund - »Wer in dieser Halle sind Sie überhaupt?« fragte Vuffi Raa. Lando warf ihm einen scharfen Blick zu. Er haßte es, wenn man ihm die Show stahl. Genau das hatte er selbst fragen wollen. »ICH BIN DIE HALLE, SELBSTVERSTÄNDLICH. SIE WER-DEN GEBETEN, SICH DIE AUSSTELLUNGSSTÜCKE ZU BE-TRACHTEN, BEVOR SIE SICH DEM HEILIGEN OBJEKT NÄ-HERN.« »Und deine Aufgabe ist es«, vermutete Lando, »aufzupassen, daß wir das auch wirklich tun? Okay, reden wir Klartext, Halle: Bis jetzt bin ich in dieser Pyramide immer nur herumgezogen worden. Ich lasse mir nicht von einem leeren Zimmer vorschreiben, was ich zu tun habe. Und jetzt antworte mir ehrlich: Wird mir ir-gendetwas Furchtbares oder Schreckliches zustoßen, wenn ich nicht an den Wänden wie eine Kellerassel entlang schleiche?« »NEIN, ICH GLAUBE NICHT.« »Dann werde ich weitergehen. Du hast nicht zufällig eine Zigaret-te für mich, Halle?« »ICH FÜRCHTE, ICH VERSTEHE NICHT, WAS SIE MEINEN.« »Das habe ich mir schon gedacht. Komm, Vuffi Raa.« Sie setzten ihren Weg durch die weite Halle fort. Lando schlitterte wieder über den Boden, nur um der Halle zu zeigen, wie wenig er sich um Vorschriften scherte, und Vuffi Raas Beine glänzten in dem sanften Licht. Dann kam Lando ein neuer Gedanke: »Hey, Halle?« »JA? HABEN SIE SICH ENTSCHLOSSEN, ZUR WAND ZU-RÜCK ZU KEHREN?« »Nein. Ich habe mich nur gerade etwas gefragt: Wieviel weißt du eigentlich über diesen Ort?«

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»ÜBER MICH SELBST?« »Nein, über die Pyramide und den beweglichen Tunnel, durch den wir hindurch mußten, bevor wir hierher kamen.« Die Halle überlegte. »EINIGES. WAS GENAU WÜRDEN SIE GERNE ERFAHREN?« »Zuerst einmal, wie groß ich bin.« Eine sehr lange Pause entstand. »IN WELCHEN MASSEINHEI-TEN?« »Ach, vergiß es. Ich wollte eigentlich nur eines wissen: War ich vor ein paar Kilometern noch riesig groß, oder war mein Freund hier winzig klein?« »MACHT DAS DENN EINEN UNTERSCHIED?« »Natürlich. Würde ich sonst fragen?« »Organische Wesen scheinen Gefallen an solch nutzlosen Überle-gungen zu finden«, bemerkte Vuffi Raa. »Aber in diesem speziellen Fall, Halle, interessiert es mich auch.« Sehr gut«, flüsterte ihm Lando zu. »Mach dich nur über die Emfindlichkeit der menschlichen Rasse lustig. Wenn du deine Karten richtig ausspielst, Vuffi Raa, und es schaffst, dich bei dieser Halle einzuschmeicheln, dann verwandelt sie dich vielleicht zur Belohnung in eine Telefonzelle oder etwas anderes Nützliches.« »GUT! DIE DIMENSIONSVERSCHIEBUNGEN BETREFFEN NUR DIE ORGANISCHEN LEBENSFORMEN. DAS IST EIN UNABDINGBARER BESTANDTEIL DES PROZESSES, DER SCHLIESSLICH IN DER BETRACHTUNG DER AUSSTELLUNG AN DEN WÄNDEN DIESER HALLE GIPFELT, WO -« »Keine Werbung, Halle!« unterbrach sie Lando. »Erklär mir das genauer!« »GUT. ES BESTEHT ALLERDINGS GLEICHERMASSEN DIE MÖGLICHKEIT, UNBELEBTE MATERIE DIESEM PROZESS ZU UNTERZIEHEN. ALLERDINGS MUSS SIE SICH DAZU IN

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DER NÄHE ORGANISCHEN LEBENS BEFINDEN. ANDERN-FALLS WIRD SIE VON DEN INSTANDHALTUNGSSYSTEMEN ABSORBIERT.« Vuffi Raa beschrieb seine Reise durch das rotblaue Labyrinth. »Kannst du mir erklären, wozu das notwendig war?« »SELBSTVERSTÄNDLICH. DIE WAND HIELT SIE IRR-TÜMLICHERWEISE FÜR EIN KLEINES HAUSHALTSGERÄT UND SCHICKTE SIE DESHALB DURCH DAS REPROGRAMMIERUNGSSYSTEM. SIND SIE REPARIERT WORDEN?« »Nicht, daß ich wüßte.« Lando lachte. »Hast du nicht das heimliche Bedürfnis, hier einmal richtig sauber zu machen?« »Lando, das hier ist eine ernste Angelegenheit. Ich möchte erfah-ren, was passiert ist.« »Heikel! Okay, ich gebe es zu. Ich bin gewachsen, ich bin ge-schrumpft - aber da wäre noch was: Mohs. Die Halle sagte Lebens-formen, Plural.« »KORREKT, SIR. IHRE INNERE FLORA, ANDERE SYMBI-OTISCHE ORGANISMEN WURDEN GLEICHFALLS DEM PROZESS UNTERWORFEN UND DANN WIEDER AUF IHRE NORMALE GRÖSSE GEBRACHT, ALS TEIL DES -« »Was ist mit Mohs? War da noch ein anderes menschliches We-sen, als wir die Pyramide betraten, und wenn ja, was ist mit ihm pas-siert?« Schweigen antwortete ihm. Lando hatte noch nie ein so schuld-bewußtes Schweigen gehört. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß sich die Beziehungen mechanischer Intelligenzen zueinander nicht so sehr von denen der Menschen unterschieden. »Nun?« Noch mehr Schweigen.

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Lando sah Vuffi Raa an. »Das Ding hat dich für einen Staubsau-ger gehalten, und als es versuchte, dich zu >reparieren<, hat es ver-sehentlich einen Teil deines Speichers gelöscht. Darum kannst du dich nicht an Mohs erinnern. Und jetzt schämt es sich.« Vuffi Raa blickte Lando an. »Das hoffe ich, Meister. Das hoffe ich stark. Was werden wir tun, wenn wir die Harfe erreicht haben?« »Psst! Die Wände haben hier Ohren. Wir werden es dazu benut-zen, wozu es gedacht ist - das heißt, wir bringen es jemandem, der etwas damit anzufangen weiß.« »Meinen Sie den Governor?« »Diesen fetten Affen? Nein, ich meine Gepta. Er ist derjenige, der wirklich bestimmt, wann wir dieses lausige System wieder hinter uns lassen dürfen.« Sie schlurften weiter und versuchten ab und zu, die Aufmerksam-keit der Halle auf sich zu ziehen. Nachdem sie ganz offensichtlich nicht weggegangen war, mußte sie sie jetzt ignorieren. Endlich hatten sie die Basis der Plattform erreicht, auf der die Geistharfe stand. Es war nicht so schlimm, wie Lando befürchtet hatte: Die Decke war jetzt viel niedriger - Vuffi Raa hatte seine aIte Größe wiedererlangt - und der Raum wirkte kleiner, aber er war immer noch atemberau-bend und ehrfurchtgebietend. Wie der Altar. Dieser war ungefähr zwölf Meter hoch, und aus einem einzigen transparenten Block geschnitten, vielleicht aus einem Lebenskristall. Er hatte sechs Seiten, und die Kanten waren so scharf, daß man sich daran schneiden konnte. Ansonsten war die Oberfläche glatt und absolut fehlerlos. Es sah nach einer schwierigen Kletterpartie aus. Lando setzte sich, um das Problem zu überdenken. In seinem Überlebenspack befand sich kein Seil, kein Saugnapf, kein Antigrav. Die Leute, die das Päckchen zusammengestellt hatten, hatten voraus-gesetzt, daß er sich unter anderen - Soldaten - befand, und so besaß

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er nur einen geringen Teil der gesamten Ausrüstung. Sie hatten wahrscheinlich nicht damit gerechnet, daß es einmal lebensnotwen-dig sein könnte, auf einem Eisblock herum zu klettern. »Hast du eine Idee, Vuffi Raa?« »Nein, Meister. Wenn ich wieder klein wäre... « »Du warst nie klein, hast du das schon vergessen? Wir haben uns deswegen gestritten, und du hast gewonnen.« »Ah, stimmt. Sie haben so ausgezeichnet argumentiert, daß ich das tatsächlich für einen Moment vergaß.« »Vuffi Raa, ich glaube, das ist das erste nette Wort, das ich von dir höre.« »Gern geschehen, Meister.« »Nenn mich nicht Meister.« Er dachte noch ein bißchen nach und fragte dann: »Hey, Halle?« »KANN ICH IHNEN BEHILFLICH SEIN?« »Das hoffe ich. Warum hast du uns vorhin nicht geantwortet?« »VERZEIHUNG. ICH HABE ÜBER ETWAS NACHGE-DACHT. KANN ICH ETWAS FÜR SIE TUN?« »Sicher. Läßt sich dieser Altar vielleicht im Boden versenken?« »ICH FÜRCHTE NEIN.« »Du hast nicht zufällig eine Leiter zur Hand oder etwas Ähnli-ches?« »NEIN, SIR, DAS GEHÖRT LEIDER NICHT ZU MEINER AUSRÜSTUNG.« Lando grübelte einige Zeit nach. Obwohl er lange geschlafen hat-te, fühlte er sich müde und hungrig - Trockennahrung macht nicht halb so satt, wie dies in der Werbung behauptet wird. Um genau zu sein, sie hält überhaupt nichts von dem, was in der Werbung verspro-chen wird, sie hält einen nur am Leben. »Sag mal, könntest du mich wieder groß machen?«

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»WIR GRATULIEREN, SIR. SIE HABEN DEN TEST BE-STANDEN. JA, ICH KANN IHREN KÖRPER VERGRÖSSERN. WÜNSCHEN SIE, DASS ICH SOFORT MIT DEM PROZESS BE-GINNE?« »Kannst du mich hinterher auch wieder normal machen? So groß, wie ich jetzt bin - wenn das meine Größe war, bevor ich in die Pyra-mide gestiegen bin.« »JEDERZEIT, WENN SIE DAS WÜNSCHEN.« Er schaute Vuffi Raa an. »Sollen wir's versuchen?« »>Wir<, Meister?« »Fang nicht schon wieder damit an! Okay, Halle, ich bin bereit.« Diesmal konnte man es sogar sehen. Lando beobachtete, wie der Raum und alles um ihn herum kleiner wurde, wie Vuffi Raa schrumpfte und der Altar langsam in seine Reichweite gelangte. Es dauerte nur ein paar Augenblicke. »Wie, zum Teufel, geht das ei-gentlich, Halle? Ich dachte, das wäre unmöglich - Quadratfunktionen und weil meine Knochen mein Gewicht nicht über eine bestimmte Größe hinaus tragen könnten und so weiter. Darum habe ich auch gedacht, daß Vuffi Raa geschrumpft wäre - das macht zwar auch noch Probleme, aber nicht so viele, glaube ich.« »OH, ES GIBT DABEI ÜBERHAUPT KEINE PROBLEME, SIR«, begann die Halle. Lando bemerkte, daß sich ihre Stimme trotz seiner Größe nicht verändert hatte. Gute Ingenieure, diese Sharu. »SIR, ICH MÖCHTE SIE NICHT BELEIDIGEN, ABER IM GRUNDE SIND SIE NUR ORGANISIERTE INFORMATION. WAS FÜR EINEN UNTERSCHIED MACHT ES, OB DIE IN-FORMATION NUN DICHT ZUSAMMENGEPRESST IST ODER LOCKER STRUKTURIERT? EIN ALTES BUCH WURDE AUF DICKES PAPIER GEDRUCKT, MIT VIEL ABSTAND ZWI- SCHEN DEN ZEILEN. ABER DADURCH VERÄNDERT SICH DOCH NICHT DIE INFORMATION, DIE ES ENTHÄLT.«

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»Heißt das, daß meine Moleküle einfach ein bißchen weiter im Raum verstreut sind? Ich weiß nicht, ob mir der Gedanke daran ge-fällt. So, das hätten wir. Vuffi Raa? Schon gut, du brauchst mir nicht zu antworten. Hilf mir nur, wenn ich dieses Ding zu dir runter ge-bracht habe - ich glaube, das wird ziemlich schwer.« Im Augenblick ruhte die Geistharfe immer noch auf der oberen Fläche des Pfeilers. Es war eine genaue Kopie des Schlüssels, nur größer, und das bedeutete für Lando, daß sie sich auch genauso an-fühlte. Er beugte sich hinunter, um sie sich zu nehmen, und sie löste sich ohne jeden Widerstand von dem Altar. Er steckte sie in seine Tasche - »Meister... nicht!« »Stimmt! Ich glaube, sie würde meine Jacke ein bißchen verbeu-len, wenn ich wieder schrumpfe. Okay, Halle, bring mich wieder auf den Boden zurück.« Stille. »Halle? Hey, du sollst mich wieder kleiner machen! Mach schon!« Keine Antwort. »Paß auf, Halle, wenn du nicht hörst, dann nehme ich dieses obs-zöne Objekt und schmeiße es dir -« »OH, ES TUT MIR AUSSERORDENTLICH LEID, SIR. ICH WAR MIT MEINEN GEDANKEN WOANDERS. ICH BE-OBACHTE SEIT EINIGEN JAHRTAUSENDEN EINE ZUNEH-MENDE NEIGUNG DAZU BEI MIR. ICH VERMUTE, SIE MÖCHTEN WIEDER REDUZIERT WERDEN.« »Du vermutest ganz richtig.« Und dann begann Lando wieder zu schrumpfen. Die Geistharfe wuchs in seinen Händen, während er dem Boden wieder näherkam. Er bückte sich vorsichtig, stellte sie neben Vuffi Raa ab, richtete sich auf und faltete seine Hände vor der Brust.

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Die Geistharfe war etwa so groß wie Landos Arm, als er seine natürliche Größe wieder erreicht hatte. Sie maß vielleicht einen Me-ter und bereitete ihm noch mehr Kopfschmerzen als das kleine Mo-dell, mit dem er anfangs gespielt hatte. »Vuffi Raa, nimm du sie an einem Ende. Halle, wie kommen wir hier heraus?« »HINTER DEM PFEILER, SIR, UND VIEL GLÜCK.« »Dir auch viel Glück. Vielleicht veranstaltet hier mal jemand ein Konzert.« »DAS HOFFE ICH NICHT, SIR. ICH LIEBE DIE RUHE UND DEN FRIEDEN HIER.« Hinter dem Pfeiler war eine solide Wand. In die Wand eingebettet war ein Schlüssel. Vielleicht war es derselbe Schlüssel, dachte Lando - diese Pyra-mide schien an solchen Scherzen Gefallen zu finden. Die Frage war nur, wie sollte er ihn benützen? Irgendwie ragte er aus der Wand heraus. Er löste eine Hand von der Geistharfe und berührte damit ihr kleineres Gegenstück. Ein Blitz zuckte, dann öffnete sich ein Spalt in der Wand, wie die Blende einer alten Kamera. Vuffi Raa und Lando traten hindurch. Und dann standen sie auf der geschäftigen Hauptstraße von Teguta Lusat.

Kapitel 19 Officer«, rief Vuffi Raa den ersten Polizeibeamten, den er auf der Straße entdeckte. Der Roboter richtete ein Tentakel auf Lando. »Verhaften Sie augenblicklich diesen Mann. Befehl des Governors.«

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Lando starrte ihn verdattert an. Sie waren erst drei Schritte gegangen, seit sie aus der alten Sharu-Ruine gestiegen waren. Er sah zurück - die Öffnung, durch die sie gekommen waren, hatte sich wieder geschlossen. Er drückte die Geistharfe an seine Brust, machte einen Schritt zurück, dann noch einen, und lehnte schließlich mit dem Rücken an der Wand. »Was soll das, du kleiner -« »Das reicht«, unterbrach ihn der Bulle. »Ich kann nieman-den verhaften, nur weil es eine Maschine so will. Ich muß das erst mit dem Hauptquartier absprechen.« Er berührte eine Seite seines Helms, verhandelte ein paar Augenblicke lang über die eingebaute Funkvorrichtung und winkte gleichzeitig mit einer Hand die Passanten weiter, die sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollten. Lando machte einen leisen, vorsichtigen Schritt zur Seite. Niemand schien es zu bemerken. Er machte noch einen, dann noch einen. Es waren nur wenige Meter bis zur nächsten Ecke, und dann — »Officer!« rief Vuffi Raa. »Er versucht zu fliehen!« »Herzlichen Dank, du atomgetriebener Spitzel!« Der Polizist zog seinen Blaster und richtete ihn auf Landos Brustkorb. »Das ist das erste Mal, daß ich einen Droiden sehe, der solche Befugnisse hat, aber - bleiben Sie stehen! In einer Minute ist ein Wagen da, und dann werden wir eine nette klei-ne Spazierfahrt machen.« Das Büro des Governors sah immer noch so aus wie bei Landos letztem Besuch, auch wenn diesmal Rokur Gepta, der Hexer von Tund, nicht mit von der Partie war. Als die Geist-harfe auf dem Kristallschreibtisch lag, fragte sich Lando, warum der

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Zauberer eigentlich nicht hier war, um das Instrument, das er mit so viel Tücke in seinen Besitz gebracht hatte, an sich zu nehmen. Er fragte sich das allerdings nicht lange. »Einen wunderschönen Nachmittag«, wünschte ihm Duttes Mer, der von rechts eintrat und in seinen Sessel plumpste. »Ich sehe, daß Sie das Objekt haben. Sehr gut. Sie könnten mir noch eines verraten, wenn Sie so freundlich wären.« Lando stand zwischen zwei der kräftigsten jungen Männer von Teguta Lusat. Diesmal war auch Vuffi Raa dabei. Er wartete neben dem Schreibtisch des Governors. »Alles, was Sie wissen möchten«, antwortete Lando. Er versuch-te, freundlich und zuvorkommend zu klingen, aber er war sich nicht sicher, ob es ihm gelang. »WO HABEN SIE SICH IN DEN LETZTEN VIER MONATEN HERUM GETRIEBEN?« Der Governor beruhigte sich wieder, richtete sein Halstuch und blinzelte. »Vier Monate?« fragte Lando verblüfft. Das war eine astronomi-sche Zeitspanne, und er wußte nicht, wie - das war es also! Die Zeit-verschiebung. Was ihm wie ein paar Tage vorgekommen war, hatte in Wirklichkeit sechzigmal so lange gedauert. »Gover- nor, Sie wür-den mir nicht glauben, wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen würde. Fragen Sie Ihren verräterischen Freund hier. Er wird es Ihnen erklä-ren - es sei denn, er ist wirklich ein genialer Lügner.« »Seien Sie nicht ungerecht gegen den Droiden, Captain. Er hat genau das getan, was ihm programmiert worden war: die Rolle des Gesandten zu spielen, so daß die Eingeborenen Ihnen helfen würden, die Harfe zu finden, und mich sofort zu benachrichtigen, wenn Sie die Harfe in Ihrer Gewalt hatten. Anscheinend habe ich Glück ge-habt. Wie kommt es eigentlich, daß Sie auf Rafa V geflogen sind und trotzdem wieder hier stehen, ohne daß unsere planetarischen Vertei-

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digungssensoren Sie erfaßt haben? Dabei ist das das neueste System auf dem Markt.« »Das erklärst du ihm, Vuffi Raa. Du bist sowieso so ein Plapper-maul.« »Sir«> sagte der Roboter, »die Sharu scheinen eine Methode ge-kannt zu haben, mit der sich Materie blitzschnell transportieren läßt. Ich weiß nicht, wo der Transport stattgefunden hat, und man hat mir erklärt, daß Sie meine Spur verloren haben, als ich die Pyramide be-treten habe. Die Raumverschiebung kann zu jedem beliebigen Zeit-punkt danach stattgefunden haben, beim Passieren der Innenwand der Pyramide bis zu der Öffnung, durch die wir auf die Straße tra-ten.« Der Governor patschte seine Stummelfinger zusammen. »Gut, gut. Ein technologisches Wunderwerk, wenn wir das Geheimnis auf-decken können. In der Zwischenzeit bedeutet das für mich sehr viel Glück. Sie müssen wissen, Captain, daß mein Kollege sich in diesem Augenblick im Orbit um Rafa V befindet, wo er auf Ihr Erscheinen wartet. Ha, ha. Und ich bin hier. Und ich habe die Geistharfe. Irgendwie scheine ich doch ein guter Spieler zu sein, oder nicht?« Lando zuckte mit den Achseln. Es war ganz egal, wie er sich jetzt verhielt, die Sache würde für ihn kein gutes Ende nehmen. Er hatte also keinen Grund, dem Fettsack seinen Triumph zu verschönern. »Aber, Captain, denken Sie doch einmal nach: Rokur Gepta heu-erte einen Anthropologen an - einen richtigen Anthropologen, mit Zeugnissen -, der das System untersuchen sollte. Der arme Kerl dachte, er würde für mich arbeiten, darum konnten wir ihn auch mit Steuergeldern bezahlen. Außerdem hat Gepta einen ausgeprägten Sinn für solche Spiele. In der Zwischenzeit stellten wir eine kleine Falle auf. Wir boten dem Anthropologen einen neuen Forschungsauftrag an, als er seine

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Untersuchungen abgeschlossen hatte. Aber vorher mußte er uns noch einen kleinen Gefallen tun: Er sollte ins Oseon 2795, wo er ein, sa-gen wir, genügend leichtgläubiges Individuum ausmachen sollte, das uns die Dreckarbeit abnehmen würde.« Plötzlich begann sich Lando für die Erzählungen des Governors zu interessieren. Außerdem war es immerhin möglich, daß sich doch noch ein Ausweg fand, und so fragte er: »Warum haben Sie nicht einfach noch so einen Trottel angeheuert - oder haben Ihren hand-zahmen Wissenschaftler die Geistharfe suchen lassen? Warum aus-gerechnet ich, und warum mußte ich erst extra hergelockt werden, wo doch -« Der Governor lachte. »Sie kennen doch die Legenden. Es mußte ein umherziehender Abenteurer von den Sternen sein, ein Fremder für die Toka. Sie hätten Unheil gewittert, wenn sie ihn schon vorher beobachtet hätten, wie er ihre Gesänge aufzeichnet und alles studiert hätte und so weiter. Und die Wahrheit. Wissen Sie, Captain, wenn Sie die Wahrheit über die Geistharfe gewußt hätten, dann würden Sie jetzt die Macht über alle Wesen in diesem System haben, nicht ich. Das ist ein Fehler, den auch mein geschätzter Kollege gemacht hat. Darum haben wir nach einem Captain gesucht, der auf eine neue Glückssträhne wartet - und im Oseon 2795 wartet jeder auf eine neue Glückssträhne -, und zwar in einem System, wo wir auf die - nun, Unterstützung der örtlichen Polizei rechnen durften. Wir ließen Sie in dem Glauben, Sie hätten den Roboter gewonnen, und schafften eine Situation, in der Sie fliehen mußten -« »Oh?« fragte der Spieler mit hochgezogenen Augenbrauen. »Aber wenn ich ins Dela-System geflohen wäre, wie ich das eigentlich vor-gehabt habe, oder wenn ich einfach -« »Da gab es erstens den >Schatz< als Köder und zweitens den Droiden, der Ihnen ja auch gehörte. Und wenn Sie trotzdem nicht gekommen wären, hätte sich unser Ottdefa Osuno Whett einfach ein

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neues Opfer gesucht. Sie waren der erste - ich bin fast stolz auf den Ottdefa.« Lando schüttelte resigniert den Kopf. »Ich habe kapiert. Darum mußte auch Vuffi Raa hier zurückbleiben: Wenn Sie mit mir kein Glück gehabt hätten, und wenn ich den Roboter schon im Oseon be-kommen hätte, dann hätte Sie das eine ganze Stange Geld gekostet, während so jeder arme Tropf, der auf diese Geschichte hereinfiel -« »Exakt. Es freut mich, daß Sie auch die subtilen Feinheiten unse-res Vorgehens erfassen. Das wäre dann alles. Officers, bringen Sie ihn fort.« Lando hatte nicht einmal Zeit, um zu protestieren. Die Polizisten schleppten ihn aus dem Büro, zogen ihn den Korridor hinunter und zerrten ihn dann über ein paar Treppen bis zu einem wartenden Hoverbus. Sie surrten durch die Straßen, bis sie den Stadtrand er-reicht hatten, wo sie an ein Gelände kamen, das mit einem Kraftzaun eingefriedet und mit ein paar schäbigen Baracken bebaut war. »Die übliche Prozedur«, sagte einer der anonymen, visierbedeck-ten Officers zu einem fetten Mann in einer schmutzigen Tunika. »Die Papiere kommen morgen früh.« »Sehr gut«, strahlte der fette Mann. Er war ein kleiner, schmieri-ger Typ, aber die Neuronenpeitsche in seiner linken und der Militärblaster in seiner rechten Hand verliehen ihm fast so etwas wie Persönlichkeit. Der Hoverbus surrte davon. »Willkommen in der Strafkolonie von Rafa IV.« Der fette Mann grinste. Mitternacht. Lando lag auf der Stahlpritsche in seiner vergitterten Zelle und lauschte dem Gesang der Toka. Die Gefangenen aus anderen Syste-men lagen alle auf einer Seite des Ganges; die Toka hausten in einem unverschlossenen Verschlag auf der anderen. Lando hatte das Glück,

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daß die drei anderen Pritschen in seiner Zelle zur Zeit nicht belegt waren. Er vermutete, daß der Governor nicht wollte, daß er mit einem der anderen Gefangenen sprach, bevor er seinen Verstand endgültig ver-loren hatte. Zu sagen, daß er den Gesang der Eingeborenen lästig fand, wäre schamlos untertrieben. Der endlose Chor war an sich schon unange-nehm genug, aber außerdem erinnerte er ihn an Mohs - den kleinen Mann, der nicht mehr da war. Wenn es ihn überhaupt je gegeben hatte. Diese Frage beschäftigte den Spieler fast so sehr wie seine augenblickliche Lage. Vielleicht noch mehr, denn er war schon öfter im Gefängnis ge-wesen. Vielleicht auch weniger, denn man hatte ihn noch nie zu lebens-länglicher Zwangsarbeit in einer Lebensplantage verurteilt. Und im Gegensatz zu den anderen frisch eingetroffenen Sträflin-gen wußte er, was das bedeutete. Er hatte schon einmal einen kleinen Vorgeschmack auf das bekommen, was passierte, wenn die Bäume einem den Verstand aus dem Kopf sogen, während man die Kristalle erntete. Und er erinnerte sich ganz deutlich an Mohs; der Gesang von ge-genüber intensivierte seine Erinnerungen nur noch. Die Sprache war ihm unangenehm vertraut. Er konnte sie fast verstehen. Und er über-legte sich nicht zum erstenmal, ob es vielleicht ein verfremdeter Dia-lekt einer Sprache war, die er kannte. Wenn er sich nur erinnern könnte... »OKAY, ZEIT ZUM AUFSTEHEN!« Der fette Mann hatte seine Freunde mitgebracht. Sie waren zu fünft, und alle trugen Blaster und Peitschen. Sie marschierten vor den vergitterten Zellen auf und ab und brüllten, um die Gefangenen da-

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hinter aufzuwecken. Die Toka waren schon verschwunden. Sie muß-ten mitten in der Nacht aufgestanden sein. Lando stöhnte und wälzte sich auf die andere Seite. Bevor sie ihn in diese Zelle gesteckt hatten, hatten sie ihm seine Kleider wegge-nommen und ihn dafür mit einem grob gewebten Pyjama aus unge-bleichtem Leinen ausgestattet. Und jetzt befahlen sie ihm, auch das noch auszuziehen. Er wußte bald, warum. Zwei der Wachen stellten ihre Waffen ab, schleppten einen riesigen Schlauch vor die Zellen und drehten das Wasser auf. Lando wurde an die hintere Zellenwand gespritzt, knallte an den groben Putz und glitt zu Boden. Mit beiden Händen schirmte er seine Augen gegen den brutalen Strahl ab. Dann gingen die Wa-chen weiter zur nächsten Zelle. Er erhob sich steifgliedrig, zog sich sein Hemd wieder an - er hat-te nicht genügend Zeit gehabt, um sich ganz auszuziehen —, und fragte sich, was wohl als nächstes kommen würde. Er mußte nicht lange warten. »Okay, Gefangene«, brüllte der fette Mann, »wir werden jetzt die Zellen öffnen, und ihr werdet hinaustreten und Habachtstellung ein-nehmen, bis euch etwas anderes befohlen wird. Dann werdet ihr euch nach links drehen, euch hintereinander aufstellen und einzeln in den Bus steigen. Wer einen Schritt zur Seite macht oder auch nur ein Wort spricht, ist ein toter Mann.« Zum Glück lag Lando keine schlagfertige Antwort auf der Zunge. Die Tür öffnete sich mit einem metallischen Schlag. Er trat nach draußen und stand steif und zitternd in der kalten Morgenbrise. Zum erstenmal sah er das ganze Gelände, und er wünschte sich, es wäre auch das letzte Mal. Das Lager lag eingequetscht zwischen zwei rie-sigen Sharu-Ruinen, die mehr als hundert Meter hoch und unbe-zwingbar waren. Die beiden offenen Seiten waren mit einem Kraft-

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feld gesichert. Dazwischen lagen eine Handvoll einstöckiger Zellen-blöcke und ein Verwaltungsgebäude. Kein einziger Grashalm wuchs auf dem plattgetrampelten Erdbo-den zwischen ihnen. Trautes Heim, Glück allein. Und das für den Rest seines Lebens. Niemals, schwor sich Lando. Er mußte fliehen. Er hatte noch ein paar offene Rechnungen zu begleichen. Das Kommando wurde gegeben. Er machte eine schneidige Linksdrehung, marschierte hinter einem halben Dutzend anderer Ge-fangener zum Bus. Es war ein Uraltmodell, das von einem alten Ge-fangenen gefahren wurde. Sein Hemd war fleckig und zerrissen. Es würde eine unangenehme Fahrt werden. Es - Der Erdboden bebte. Auf der anderen Seite des Lagers hob sich die Erde wie Wellen auf einem Ozean, stürzte auf die Zellenblöcke, zerschmetterte sie, riß das Verwaltungsgebäude aus seinen Grundmauern und brachte den Hoverbus zum Kippen. Der Fahrer begann panisch zu krei-schen. Ein paar Gefangene liefen los, um ihm zu helfen. Die Wa-chen riefen sie zurück. Einer der Uniformierten eröffnete das Feuer, und dann stand einer der Gefangenen in Flammen, die wie ein Spiegelbild der Flammen wirkten, die plötzlich aus einem der Gebäude auf der anderen Seite des Geländes schlu-gen. Lando stand immer noch auf demselben Fleck. Schließlich entschloß er sich, zu Boden zu fallen. Erstens würde ihn das Beben sowieso irgendwann umwerfen, und zweitens verringer-te das die Gefahr, getroffen zu werden. Plötzlich kam eine Ge-stalt in der Uniform der Stadtpolizei, mit verspiegeltem Visier, angestolpert. Sie pflanzte sich vor dem Häftling, oder was

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immer er jetzt war, auf. Lando konnte die Stimme durch das Donnern, Krachen und Schreien kaum verstehen. »Dieser Mann muß noch einmal verhört werden!« Der be-handschuhte Finger deutete auf Lando. Der Wächter und der Bulle stützten sich jetzt gegenseitig, um nicht umzufallen. »Ich kann ihn Ihnen nicht übergeben! Ich habe keine Ge-nehmigung! Kann das nicht warten?« »Der Governor will ihn sofort sehen!« Die Stimme des Po-lizisten klang drohend. »Es geht um ein paar Kollegen, die er vor ein paar Monaten auf Rafa XI ausgesetzt hat.« »In Gottes Namen nehmen Sie ihn. Ich -« Mehr brachte der fette Mann nicht mehr heraus. Er schwankte und fiel dann um. Der Bulle fing sich wieder und kam zu Lando. »Gehen wir!« Er packte Lando am Pyjamaärmel und zerrte ihn zu einem wartenden Kreuzer, der neben den Zellenblöcken stand. »Da hinein!« Dann donnerten sie hinaus durch das Tor, das nur noch in einer Angel hing. Es hätte auch nichts gemacht, wenn das Tor geschlossen gewesen wäre: Das Kraftfeld des Zaunes war zu-sammengebrochen. Anscheinend war sogar das Notstromag-gregat bei dem Beben zerstört worden. Der Wagen hüpfte und schleuderte, drehte dann nach rechts und raste die Straße hin-unter. »Einen Moment, alter Plattfuß, das ist nicht der Weg nach Teguta Lusat!« rief Lando. Er wurde zur Seite geschleudert, als sie um eine Ecke bogen und tiefer ins Land hineinfuhren. »Macht das für Sie noch einen Unterschied? Halten Sie den Mund, und kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram!« »Macht es das hier zu meinem Kram?«

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Der Bulle blickte hinunter, um nachzusehen, was ihn an der Seite drückte. Es war sein eigener Blaster. Er hob sein visierbedecktes Gesicht und sah wieder den Spieler an. »Ausgezeichnet. Anscheinend hätte ich Sie gar nicht zu retten brauchen. Wollen Sie zurückgehen und die Sache noch mal alleine durchziehen?« »Wovon sprechen Sie eigentlich?« wollte Lando wissen. »Hal- ten Sie den Wagen an, und nehmen Sie den Helm ab. Ich will endlich wissen, mit wem ich es zu tun habe!« Der Kreuzer wurde langsamer. Sie hielten mitten auf der Straße an und warteten, bis ein kleines Nachbeben vorbei war. Lando hob den Blaster, bis er direkt vor dem Gesicht des Polizeibeamten war. »Okay, nehmen Sie ihn ab.« Die behandschuhten Hände hoben sich, nahmen den Helm und hoben ihn an. An der Stelle, an der sich eigentlich ein Kopf befinden sollte, tanzte eine Schlange! Eine Chromschlange. »Kann ich die Uniform ablegen, Meister? Sie ist sehr unbequem.« »Vuffi Raa! Du kleiner - aber was soll das? Warum rettest du mich?« Vuffi Raa schüttelte den Rest der Uniform ab - er hatte zwei Ten-takel als Beine, zwei als Arme und das fünfte als Ersatzkopf benützt - und setzte sich in seine normale Position hinter das Steuer. »Meister, ich war darauf programmiert, Sie zu betrügen und Ihnen das nicht zu verraten. Aber Sie sind mein Meister, Lando, und sobald das Programm ausgelaufen war, habe ich mich aus dem Staub ge-macht. Und jetzt bin ich hier. Wir müssen von diesem Planeten und aus dem System verschwinden, und zwar schnell.« »Ich weiß.« »Sie wissen das? Woher?« »Die Träume und die Gesänge, die ich letzte Nacht gehört habe. Es ist Alttrammisch - die Toka-Sprache. Ich war vor ein paar Jahren

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auf Trammis III. Ich kann die Sprache zwar immer noch nicht ver-stehen, aber mein Unterbewußtsein hat scheinbar etwas herausgehört. Als ich heute morgen aufwachte, wußte ich die Wahrheit über die Geistharfe, und ich weiß, daß wir sofort von hier weg müssen.« »Warum, Meister?« »Nenn mich nicht Meister! Weil sich in dem Augenblick, in dem jemand auf der Geistharfe spielt, das System verändern wird, und zwar total.« »Dann müssen wir gehen, Meister. Duttes Mer spielt auf der Har-fe. Das hat auch das Erdbeben ausgelöst.«

Kapitel 20 Im Gegensatz zu einem Roman-Bösewicht hatte Duttes Mer nicht vor dem geschlagenen Lando Calrissian mit seinen Plänen herumgeprahlt. Er war ihn so schnell und sauber wie möglich losge-worden. Aber sein Fehler - der erste jedenfalls - war sein Verhältnis zu seinen Untergebenen. Seine Toka-Diener waren einfach unsicht-bar für ihn - die Drinks und Zigarren tauchten einfach aus dem Nichts neben seinem linken Ellbogen auf, und genauso, dachte er sich, sollte es auch sein. Immerhin war er der Governor. Droiden waren noch unsichtbarer für ihn. Und darum war Vuffi Raa direkt neben ihm gestanden, als Rokur Gepta ihn angerufen hatte. »Ah, Sie sind es, mein geschätzter Zauberer. Ich habe interessante Neuigkeiten.« »Was für Neuigkeiten, Mer? Ich hoffe für Sie, daß es gute Nach-richten sind.«

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»Macht es Ihnen Spaß, monatelang um einen vertrockneten Plane-ten zu kreisen?« »Mein Schiff ist wesentlich komfortabler als dieser Trümmerhau-fen, den Sie als Stadt bezeichnen. Erzählen Sie, Governor, Sie fangen an, mich zu verärgern!« Der Governor nahm das Aufnahmegerät seines Kommunikators, zog es an einem Verlängerungskabel aus seinem Schreibtisch und richtete es auf die Schreibtischplatte. »Kennen Sie das hier, Gepta?« Im Bildschirm füllten sich die Augen des Hexers abwechselnd mit Staunen, Neid und Zorn. »Die Geistharfe! Wie haben Sie -« Der Governor kicherte. »Jedenfalls habe ich sie, Gepta, und Sie sind Millionen Kilometer von mir entfernt. Wissen Sie, die Ge-schichte, die Sie Calrissian erzählt haben - daß die Harfe das Instru-ment aller Instrumente sei - war vielleicht gut genug für ihn. Aber den Bären, den Sie mir aufbinden wollten, habe ich Ihnen nie ge-glaubt. Sie wissen schon, diese Geschichte mit der >Macht über alle Toka<. Vielleicht wäre so ein Ding ganz nützlich, aber dies hier«, er deutete auf die Harfe, »kann viel, viel mehr.« »Was meinen Sie damit, Mer?« »Auch ich kann Detektive anheuern, mein werter Expartner, und ich wußte auch sofort, welche ich nehmen würde. - Ihre. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich die Macht habe, Strafen zu verhängen oder zu erlassen. Ich kenne die Wahrheit: daß man mit der Geistharfe je-des Gehirn innerhalb dieses Systems kontrollieren kann - und viel-leicht auch außerhalb. Und das Instrument gehört mir!« »Tun Sie es nicht, Mer, Sie wissen nicht, was Sie damit auslö-sen!« Sogar Mer konnte die Panik aus Geptas Stimme heraushören. »Ganz im Gegenteil, mein lieber -« »Nein! Sie verstehen mich nicht. Die Geistharfe wird —«

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Der Governor lächelte nachsichtig. »Mir absolute Macht verleihen, sogar über Sie. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie können Ihr Schiff noch wenden und das System verlassen. Das verlängert Ihr Leben um mindestens ein paar Jahre.« »Mer, ich warne Sie noch einmal: Sie haben nicht die nötigen Kenntnisse, um -« Klick. Als er die Gelegenheit dazu hatte - und das war erst nach Mitternacht -, schlich sich Vuffi Raa aus dem Büro des Governors, stahl eine Polizeiuniform aus der Wäscherei, schloß einen Polizeikreuzer im Hof des Gebäudes kurz und machte sich daran, Lando zu retten. »Ich weiß es zu schätzen, Vuffi Raa, alter Gauner, aber ich hoffe, du verstehst, daß ich mir im Grunde meines Herzens noch einen Funken Mißtrauen gegen dich bewahre.« Sie zischten mit mäßiger und möglichst unauffälliger Geschwin-digkeit zurück zur Stadt. Es hatte noch mehrere kleine Nachbeben gegeben, aber keines davon war so schwer wie das erste. »Ich verstehe«, antwortete Vuffi Raa, »und ich muß zugeben, daß eine solche Programmierung etwa dasselbe ist, wie wenn ein Mensch sagt, er könnte nicht anders. Ich habe Sie gerettet, um das wenigstens teilweise wieder gut zu machen.« Lando dachte darüber nach. »Schon gut. Um dir zu zeigen, wie sehr ich dir immer noch vertraue, werde ich dir auch verraten, daß sich Rokur Gepta und Duttes Mer beide irren, was die Geistharfe betrifft.« Vuffi Raa bremste abrupt. Sie befanden sich kurz vor Teguta Lusat. »Was?«

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»So ist es. Und wir müssen so schnell wie möglich zum Raumha-fen, um uns etwas zu stehlen, mit dem wir aus dem System fliehen können.« »Meister, da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Sie möchten nicht, daß Ihr Gehirn kontrolliert wird, vor allem nicht durch jemanden wie den Governor - glauben Sie mir, ich weiß das. Aber wenn Sie sich irren... « »Dann ist das noch schlimmer, Vuffi Raa. Ich bedauere nur, daß wir die Falcon auf Rafa V zurücklassen mußten.« »Meister, inzwischen sind vier Monate vergangen. Mer hat die Falcon zurück transportieren lassen. Sie ist nicht einmal entladen worden, denn Gepta und Mer wußten nicht, ob sie nicht noch einmal mit Ihnen verhandeln müßten.« »Was? Warum hast du mir das nicht gleich erzählt? Aber er hat nicht zufällig den Antrieb reparieren lassen, oder?« Nach einer langen Pause antwortete der Droid: »Nein, Meister, das habe ich erledigt, auf der Reise nach Rafa V.« Lando sagte nichts mehr. Wenn er gewußt hätte, wieviel der Droide damals saubergemacht hatte, dann hätte er es sich wahr-scheinlich anders überlegt und auf die vier Monate in der Pyramide verzichtet. »Na gut«, sagte er irritiert. »Dann nichts wie zum Hafen!« »Ja, Meister.« An Bord des ausgemusterten Kreuzers Wennis war eine Entschei-dung gefällt worden. Als das Schiff den Orbit um Rafa V verließ, lag Rokur Gepta in einem speziellen Beschleunigungssessel. Er war be-reit zur Reise, die vor ihm lag. Das Schiff in dem Hangar für das Rettungsboot war kein Rettungsboot, sondern ein alter Imperiumsaufklärer, den man zum Patrouillenboot umgebaut hatte. Es konnte den Weg zwischen Rafa V und Rafa IV dreimal so schnell zurücklegen wie sein Mutterschiff. Wenn der Pilot die Beschleunigungsphase überlebte.

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Die Sicherheitsmaßnahmen dienten eigentlich nur der Crew, über-legte Gepta. Er benötigte sie nicht, aber es war gefährlich, wenn sie das erfahren sollten. Als der letzte Gurt und der Helm angelegt wa-ren, entspannte er sich. Die Schleuse schloß sich, und er wartete nur noch auf den Start. Er zuckte nicht einmal mit den Wimpern, als ein Stoß, der jedes menschliche Wesen gefährlich verletzt hätte, durch seinen Körper ging. In einer Stunde würde er in Teguta Lusat sein. Duttes Mer blickte auf die Geistharfe auf seinem Schreibtisch. Er war noch zu erschrocken, um einen neuen Versuch zu wagen aber dennoch war er verzweifelt entschlossen, das Ding in den Griff zu bekommen, bevor Rokur Gepta auftauchen und es ihm wieder weg-nehmen konnte. Wenn er diesen Verstand nicht kontrollieren konnte, dann war alles aus. Er legte seine kurze, fette Hand wieder auf den Schaft der Harfe, unterdrückte seine Angst so gut es ging, und ver-suchte es noch einmal. »Meister!« Vuffi Raa klammerte sich ans Steuer, als die Straße versuchte, sie abzuschütteln wie ein nasser Hund das Wasser. Lando packte das Ende eines Sicherheitsgurts und versuchte, ihn anzulegen, während der Polizeiwagen auf der Straße herumhüpfte und -schaukelte. »Das hat keinen Sinn!« rief er schließlich, als er eingesehen hatte, wie nutzlos seine Bemühungen waren. »Wir müssen es zu Fuß ver-suchen!« Die Tore des Raumhafens waren nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Aber wie sie auf der Straße hin und her schaukelten, würden sie dafür noch eine Stunde brauchen. Lando riß die Tür auf, rollte hinaus, kam auf die Füße und rannte auf das Tor zu. Vuffi Raa holte hinter ihm auf.

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Ein Wachposten, der sein bedrohlich schwankendes Wachhäus-chen verlassen hatte, stand vor dem Tor. Er zielte mit seinem Blaster auf Lando. »Halt! Plünderer werden erschossen!« »Ich will nichts plündern«, gröhlte Lando, während er sich der Wache näherte. Beide waren die meiste Zeit damit beschäftigt, sich auf den Beinen zu halten. »Ich bin der Captain des Schiffes da drü-ben, der Millennium Falcon, und ich muß sie in Sicherheit bringen, bevor hier alles zusammenbricht!« Die Blastermündung zeigte genau auf Landos Auge. »Dieses Schiff steht unter der Obhut des Governors. Sie können nicht -« Lando machte einen Schritt vorwärts. Der Wachposten feuerte, aber er schwankte zu sehr, so daß er nur einen rauchenden Riß in den Straßenbelag brannte. Inzwischen war Lando nahe genug herange-kommen, um die Waffe zu packen, sie nach oben zu drehen und dem Mann einen Faustschlag in seinen Solarplexus zu verpassen. Schutzwesten helfen gegen Kugeln und Strahlen. Sie schützen aber nicht gegen den Angriff eines unbewaffneten Mannes. Die Wa-che sank in sich zusammen. Lando riß ihm die Waffe aus der Hand und steckte sie zu dem Blaster, den er im Arbeitslager an sich ge-nommen hatte. »Los!« Sie rannten auf die Falcon zu, und als sie sich ihr näherten, senkte sich die Rampe vor ihnen wie zur Begrüßung. Vorsichtig stiegen Lando und Vuffi Raa zum Schiff hinauf, in dem sich offensichtlich schon jemand befand. Oben erwartete sie, immer noch alt und runzlig, aber in einem teuren Geschäftsanzug und mit modischem Haarschnitt, Mohs, der Hohe Sänger der Toka. Wo sich früher seine erblindeten Augen be-

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funden hatten, glitzerten jetzt zwei vielfarbige facettierte Linsen, die wie die Augen einer riesigen psychedelischen Spinne wirkten. Duttes Mer schaute angewidert auf das merkwürdige Objekt auf sei-nem Schreibtisch. Zweimal schon hatte er versucht, die Kontrolle über die Geistharfe zu erlangen. Er war genau der Anleitung gefolgt, die ihm die gefangenen Wissenschaftler gegeben hatten, aber trotz-dem - Er schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, so daß das Objekt einen kleinen Luftsprung machte. Er wollte es nicht noch einmal versuchen; anscheinend löste er damit nur Erdbeben aus, die sein Verwaltungsgebäude zu zerreißen drohten. Warum das so war, wußte er nicht, aber eines wußte er mit Sicherheit: daß Rokur Gepta kam. Der Kontrollturm des Raumhafens hatte das bestätigt, kurz bevor die Verbindung abgerissen war. Ein kleines, extrem schnelles Schiff befand sich im Anflug und würde in etwa zwanzig Minuten den Pla-neten erreicht haben. Mer hatte den unangenehmen Verdacht, daß Gepta den Raumhafen gar nicht in Anspruch nehmen würde; auf dem Verwaltungsgebäude gab es eine geeignete Landefläche. Es war viel einfacher - Er drückte auf den Knopf für die Sprechverbindung. »Geben Sie mir den Captain der Wachmannschaft!« Zuerst erhielt er keine Antwort. Dann erklärte ihm ein verschreck-ter Sekretär: »Sir, die Wachmannschaft hat das Gebäude wegen des Erdbebens verlassen. Ich wollte selbst gerade gehen. Ich -« »Wenn Sie das Gebäude verlassen, werde ich Sie erschießen las-sen. Rufen Sie die vier Männer, die man von Rafa XI geholt hat. Sie stehen unter Arrest. Sagen Sie ihnen, sie sollen aufs Dach gehen und - vergessen Sie's, ich werde es ihnen selbst erklären.« Er sah noch einmal auf die Geistharfe. Diesmal mußte es klappen.

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Rokur Gepta kam. »Ich hoffe, Sie verzeihen mir meinen dramatischen Auftritt, Captain Calrissian«, erklärte Mohs, während er sie durch die gewun-denen Gänge zum Cockpit der Falcon führte. »Aber die Ereignisse überschlagen sich, und ich habe zu wenig Zeit, um nicht dramatisch zu wirken.« »Ich weiß«, antwortete Lando, während er sich in den linken Sitz fallen ließ. Er drückte auf ein paar Schalter und half Vuffi Raa, die Checkliste durchzugehen. Es war eine lange Liste, viel zu lang für ihre augenblickliche Situation. »Ich weiß alles - aber ich habe es lei-der selbst ziemlich eilig.« Mohs sah ihn erstaunt an, entspannte sich dann und lächelte. »Ah, ja. Sie haben die einzelnen Teile schon selbst zusammengefügt. Mein ganzes Leben war ich nur ein Instrument meiner Vorfahren. Sie ga-ben mir Befehle - die Stimmen der Götter -, und ich beugte mich ihnen und tat, was sie von mir verlangten. Für den Wilden, der ich war, war es schrecklich, in der Nähe einer Ruinenmauer zu fegen, wie in jener Nacht in Teguta Lusat, und einen Augenblick später Meilen entfernt mitten in einer Versammlung meines Volkes zu ste-hen. Es tut mir auch leid, daß ich aus dem Tunnel verschwunden bin; aber für das, was man mich dort lehrte, war ich schon zu reif. Ich beschäftigte mich dann mit anderen Dingen.« Er fuhr sich nachdenk-lich über seine Augenprothese. »Die Entscheidung wurde mir eigent-lich abgenommen, darum -« »Konntest du nicht anders?« fragte Lando. Er warf Vuffi Raa ei-nen kurzen Blick zu. »Das scheint vielen Leuten so zu gehen. Was, zum Teufel, bedeutet das rote Licht auf der Lebenserhaltungsskala? Hier, wir müssen -«

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»Sie sind nicht in Gefahr«, lächelte Mohs. »Sie haben mir beide geholfen, und dafür werde ich mich jetzt revanchieren. Wir wollen Ihnen nichts tun.« »Gut. Könnt ihr den Governor und seinen Freund, den Hexen-meister, ablenken?« »Ich kann Ihnen verraten, daß der Governor im Augenblick allein in seinem Büro sitzt und versucht, die Geistharfe unter Kontrolle zu bekommen, während Gepta sich auf dem Weg von Rafa V hierher befindet. Er muß jede Minute landen, aber er wird das nicht auf dem Raumhafen tun.« Lando drehte sich um, um sich den alten Mann genauer anzuse-hen. Er wirkte nicht länger gebeugt und ergraut. Er war immer noch alt, aber sein Alter verlieh ihm jetzt Würde und Autorität. Die Tätowierung des Schlüssels - der Geistharfe, wie Lando in-zwischen erfahren hatte - war dunkler geworden und stand scharf gezeichnet auf der Stirn des Alten. Sie schien fast zu glühen. »Gibt es noch mehr von deiner Sorte?« fragte Lando. »Nein, Captain, ich bin der einzige. Ich bin der einzige meiner Generation, heißt es. Die Last sollte nächstes Jahr auf einen anderen übertragen werden, aber das hat sich wahrscheinlich schon erledigt.« »Meister, wovon sprechen Sie?« »Ruhe, Vuffi Raa. Paß auf die Temperatur in diesem Reaktor auf!« »Ich versichere Ihnen, Captain, alles ist unter Kontrolle. Sie wüß-ten das auch, wenn Sie alle unsere Geheimnisse kennen würden.« »Ich kenne eure Geheimnisse, Mohs, glaub mir. Es gab diese prärepublikanischen Kolonisten nie hier, oder?« »Korrekt, Captain.« »Aber was sagen Sie da, Meister? Wenn -« »Und es gab auch nie richtige Toka. Oder stimmt das nicht?« »Meister -«

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»Ruhe! Ihr seid die Sharu. Das steht an allen Wänden eurer Py-ramide geschrieben. Ihr seid humanoid und sehr, sehr weit fortge-schritten. Ich weiß nicht, was euch zu dieser Maskerade getrieben hat - und ich wette, du weißt es auch nicht.« »Meister, könnten Sie mir vielleicht erklären -« »Schon gut, schon gut. Mohs kann mich korrigieren, wenn ich etwas Falsches erzähle. Ich verstehe kaum modernes Trammisch, von dem uralten - und durch und durch synthetischen - Dialekt ganz zu schweigen. Aber ungefähr lief die Geschichte so ab: Irgendwas Schreckliches hat den Sharu höllische Angst eingejagt. Wahrschein-lich war es etwas, das am liebsten hochentwickelte Gesellschaften zum Frühstück vernaschte, dem unzivilisierte Wilde aber nicht schmeckten. Darum erschufen sie ein unglaublich kompliziertes Computersys-tem. Vor dieser Bedrohung lebten die Sharu in Städten, die unseren nicht unähnlich sind. Wahrscheinlich haben sie diese Städte in ihren Ruinen versteckt - wie ihre Intelligenz. Gib mir doch bitte für einen Augenblick die Checkliste.« »Sehr gut, Captain, sehr gut.« »Darauf kannst du deinen Kopf verwetten. Die Lebensplantagen wurden nicht angelegt, um die Intelligenz zu fördern oder das Leben zu verlängern. Sie wurden geschaffen, um die Intelligenz aus dem Volk heraus zu saugen. Ich wette, daß mindestens drei Viertel der Intelligenz, die die Menschen auf diesem System besitzen, in dieser Pyramide oder in ähnlichen Gebäuden gespeichert sind. Auf diese Weise lebten auch die nachfolgenden Generationen als unbedarfte Wilde. Aber als die Kolonisten begannen, die Kristalle von den Bäumen zu pflücken, befand sich in ihnen immer ein Bruchteil jener Intelligenz und Lebenskraft, die zuvor aus der Umgebung der Plan-tagen gesogen worden war. Diese Kraft wurde dem gegeben, der

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diese Kristalle trug - ein zufälliger und unbeabsichtigter Nebenef-fekt.« Der alte Mann nickte. »Die Ausbeutung der Plantagen hat keinen großen Schaden angerichtet. Alles, was wirklich wertvoll war, wurde in den Pyramiden gelagert.« »Diese Bauwerke«, fuhr Lando fort, »sind vielleicht das größte Computersystem, das jemals erschaffen worden ist. Als diese Kolo-nie gegründet wurde, durchforstete der Computer unsere Akten, fand ein vermißtes prärepublikanisches Schiff und beschloß, dieses als Tarnung zu benutzen. Die Sharu, die zu primitiven Toka degradiert worden waren, waren arme einfache Wilde, die durch ihre Erfahrung mit den mächtigen Sharu >gebro- chen< waren. Ich konnte es nicht glauben. Wovor fürchteten sich die Sharu? Was konnte so mächtig und so gefährlich sein -« »Ich weiß immer noch keine Antwort auf diese Frage, Captain. Sie wurde aus den Akten gelöscht, aus reiner Furcht heraus, glaube ich. Es macht mir Sorgen.« »Das glaube ich gern. Fertig, Vuffi Raa?« »Ich glaube ja, Meister. Ja, wir sind fertig.« Das Schiff erzitterte. »Mer versucht wieder, die Harfe zu benutzen. Junge, Junge, ich glaube, er wird ganz schön enttäuscht sein. Es ist eine Falle, oder nicht, Mohs?« »Ich fürchte«, gab der alte Mann mit leiser Stimme zu. »Die Le-genden wurden unter mein Volk gestreut, damit irgendwann ein Mit-glied einer anderen Spezies die Harfe sucht und benutzt. Auf diese Weise wußten wir, daß der Zeitpunkt gekommen war, unser Ver-steckspiel zu beenden.« »Euer riesiges Computersystem wird euch eure ganze Intelligenz zurück geben, die es Tausende von Jahren über gespeichert hat. Die

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Städte werden wieder auferstehen - die Sache wird ziemlich viel Staub aufwirbeln, nicht wahr?« »Überall im System.« »Und wenn sich die Schwaden verziehen, werden die Sharu wie-der auferstanden sein. Na ja, wenn ich an den Governor und die gan-ze Kolonie hier denke, dann kann mir das nicht schnell genug gehen. Wir verschwinden. Du springst jetzt besser ab, Mohs. War nett, dich kennengelernt zu haben, aber ich mag es nicht, wenn ich von Governors, Hexenmeistern oder den Repräsentanten einer halb verlo-renen Zivilisation ausgenutzt werde.« Rokur Gepta landete auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes. Wie er erwartet hatte, waren überall um das kleine Landefeld herum Wa-chen postiert. Er schwemmte sie mit einem Schuß aus den Blastem seines Ge-fährts fort und landete elegant zwischen ihren rauchenden Überres-ten. Der Boden erzitterte wieder, und diesmal hörte das Beben nicht mehr auf. Gepta eilte hinunter zu dem Penthouse- Büro. Er riß die Tür auf und trat in gleißend helles Licht. Gepta wurde durch den Gang geschleudert, als ihn die Explosionswelle erreichte. Er kniff die Augen zusammen, schützte sich auf verschiedene andere Weisen und warf einen kurzen Blick auf den Schreibtisch des Governors. Die Geistharfe der Sharu leuchtete zu hell, als daß man sie anse-hen konnte. Hinter ihr, die fetten Hände um ihre Basis geklammert, stand der Governor, Mund und Augen weit geöffnet, erstarrt, paraly-siert. Und verloren. Während ihn Gepta betrachtete, verschmolzen die Harfe und der Governor zu einer einzigen Masse, die den Raum mit tödlicher Ener-

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gie bestrahlte. Gepta stellte sich wieder auf die Füße und rannte nach oben. Das Beben wurde immer stärker. Es war wie ein Bild der Hölle. Überall, bis zum Horizont, beweg-ten, zerfielen, schmolzen die riesigen Strukturen, die die Sharu hin-terlassen hatten. Manche explodierten sogar. Irgendetwas Neues er-hob sich zwischen dem Geröll, aber Gepta wollte gar nicht sehen, was es war. Er sprang in sein Kampfschiff und startete, kurz bevor ihn ein starker Stoß vom Dach fegen konnte. Vor ihm, auf dem Raumhafen, erhob sich ein häßliches, krebsartiges Gefährt vom Boden. Gepta fluchte. Er zog sein Schiff herum und hielt auf die Millennium Falcon zu. Er kam langsam näher, näher, legte einen Daumen auf den Feuer-knopf und nahm den unachtsamen Frachter ins Visier. Zwei Dinge geschahen gleichzeitig. An Bord der Falcon drückte ein anderer Daumen auf einen ande-ren Feuerknopf. Energie schoß auf das Kampfschiff zu, das Vuffi Raa schon längst bemerkt hatte. Das Radarsystem der Falcon war gut, und beide Piloten achteten auf herumfliegenden Unrat. Vielleicht bin ich noch kein begnadeter Pilot, dachte Lando, aber wenigstens kann ich schießen. Im selben Augenblick explodierte direkt unter Geptas Gefährt ein kleiner Obelisk, dessen Fragmente das Schiff trafen. Die Explosion brachte den Jäger vom Kurs ab und ließ Landos Schuß ins Leere ge-hen. Sekunden später kletterte Rokur Gepta aus den Trümmern, wäh-rend die Millennium Falcon davon schwebte, unberührt und mit einer wertvollen Ladung an Bord: den letzten Lebenskristallen, die jemals im Rafa-System geerntet werden würden. Lando war sehr, sehr reich. Gepta schüttelte dem verschwindenden Schiff eine Faust nach. Eines Tages...

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ENDE


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