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Die Fleischwerdung des Logos im Johannesevangelium (Forsetzung/Continued)

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Die Fleischwerdung des Logos im Johannesevangelium (Forsetzung/Continued) Author(s): Georg Richter Source: Novum Testamentum, Vol. 14, Fasc. 4 (Oct., 1972), pp. 257-276 Published by: BRILL Stable URL: http://www.jstor.org/stable/1559957 . Accessed: 10/06/2014 05:19 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . BRILL is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Novum Testamentum. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.78.108.85 on Tue, 10 Jun 2014 05:19:37 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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Die Fleischwerdung des Logos im Johannesevangelium (Forsetzung/Continued)Author(s): Georg RichterSource: Novum Testamentum, Vol. 14, Fasc. 4 (Oct., 1972), pp. 257-276Published by: BRILLStable URL: http://www.jstor.org/stable/1559957 .

Accessed: 10/06/2014 05:19

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DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS IM JOHANNESEVANGELIUM

(Fortsetzung*)

VON

GEORG RICHTER Amberg

IV

Fur das antidoketistische Verstandnis von Joh i 14 und der anderen unter III 2, 3 genannten sekundaren Stellen des vierten Evangeliums sprechen schlieBlich noch zwei Umstande oder Be- obachtungen, die weder KXSEMANN in seiner doketistischen Aus- legung von Joh i 14 noch BULTMANN und andere in ihrer Bestreitung des antidoketistischen Charakters von Joh i 14 beriicksichtigt haben: das friihe Vorhandensein einer doketistischen Christologie und die doketistische Polemik gegen die Fleischwerdung des Logos und anderer antidoketistischer Aussagen, wie sie uns in den se- kundaren Zusatzen des vierten Evangeliums begegnen.

I.

Es gibt keinen Zweifel, daB zur Zeit, da das vierte Evangelium mit Einschiiben und Zusatzen versehen worden ist, bereits eine doketistische Christologie existiert haben muB. P. WEIGANDT hat das iiberzeugend aufgezeigt 1), so daB eine ausfiihrliche Darlegung

*) Siehe NovTest 13, I97I, 81-126. Der Aufsatz, der schon 1969 von der Redaktion angenommen wurde, bereitete wegen seines groBen Umfanges bei der Unterbringung Schwierigkeiten. Deshalb wurden nachtraglich (Februar 1972) die Abschnitte IV-VI, vor allem Abschnitt IV, bedeutend gekiirzt. Das war mir um so leichter m6glich, als ich fur Abschnitt IV auf die mir inzwischen bekanntgewordene Arbeit von P. WEIGANDT (siehe folgende Anm.) verweisen konnte.

1) Der Doketismus im Urchristentum und in der theologischen Entwicklung des zweiten Jahrhunderts, Diss. Heidelberg I96I (in Maschinenschrift), 2 Bande (im 2. Band nur Anmerkungen und Literaturverzeichnis). Zur Terminologie: Doketisten-doketistisch, nicht Doketen-doketisch (WEIGANDT Anm. 3); doch achten die meisten Autoren nicht auf diese Unterscheidung, auch in den Abschnitten I-III dieses Aufsatzes ist die Terminologie nicht einheitlich. Den Doketismus definiert WEIGANDT (S. 4-26.27 u.O.) als eine bestimmte Form innerhalb der vielgestaltigen gnostischen Christologie. Novum Testamentumr XIV 17

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GEORG RICHTER

nicht mehr n6tig ist. Selbst wenn man SIMON MAGUS nicht als Zeugen eines Doketismus betrachten darf - WEIGANDT ist dagegen, aber andere moderne Forscher wie z.B. R. M. GRANT und R. M. WILSON sind dafiir 1) -, bleibt immer noch das gewichtige Zeugnis des IGNATIUS VON ANTIOCHIEN (t um IIO), der ein Zeitgenosse des Autors der antidoketistischen Einschiibe im vierten Evangelium ist und der unbestreitbar gegen eine ausgeprigte doketistische Christo- logie zu Felde zieht, auch wenn er seine Gegner nicht ausdriicklich nennt 2). Mit Recht sagt WEIGANDT, daB sich die Heftigkeit, mit der IGNATIUS gegen die Doketisten in den Christengemeinden Klein- asiens polemisiert, nur daraus erklart, daB er mit Doketisten nicht das erste Mal zusammentrifft, sondern sie bereits kennt aus seiner

Tatigkeit als Episkopos der Christengemeinde in Antiochien. Da ferner die Konstituierung einer so ausgeprigten Lehre, wie es der in den Ignatiusbriefen uns begegnende Doketismus ist, nicht von heute auf morgen sich vollzieht, muB der Doketismus auf alle Falle alter sein als die Ignatiusbriefe. Tatsachlich ist das, was IGNATIUS,

POLYKARP, JUSTIN und IRENAUS gegen die Doketisten behaupten und verteidigen, das gleiche, was bereits in Joh i 14; vi 5Ib-58 usw. und in i und 2 Joh behauptet und betont wird, namlich: die wahre Leiblichkeit (sarx) und das wirkliche Menschsein Jesu; Tod und Begrabnis Jesu; die Identitat des Auferstehungsleibes Jesu mit dem Fleisch, das gelitten hat und gestorben ist (Joh xx 24 ff); die Eucha- ristie als wirkliches Fleisch und Blut Jesu; die allgemeine eschato- logische Totenerweckung (Joh v 28 f; vi 3gb, 4ob, 44b, 54b). Mit anderen Worten: Was die Doketisten des IGNATIUS, ferner z.B. SATORNIL, KERDON und MARKION bestreiten 3), ist nichts anderes, als was schon in den sekundaren Zusitzen des vierten Evangeliums und in i und 2 Joh verteidigt und als heilsnotwendiges Glaubensgut verkiindigt wird. Nur bleiben die Gegner in den johanneischen Schriften noch anonym.

2.

Der antidoketistische Charakter von Joh i 14 usw. wird in be- sonders eindrucksvoller Weise erwiesen durch die dazu im Wider- spruch stehenden Anschauungen der Doketisten fiber Jesu Leben und Wirken (Eintritt in die Welt, Eucharistie, Passion, Aufer-

1) WEIGANDT 58 ff. 2) WEIGANDT 27 ff, 57 f, IO8 ff. 3) Siehe unten IV 2 und WEIGANDT 27 ff, 64 ff.

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weckung) und durch die Exegese, welche einzelne antidoketistische

Aussagen im vierten Evangelium durch spatere Doketisten - und andere Gnostiker - erfahren haben 1).

a) Die doketistischen Anschauungen iiber den Eintritt Jesu in die Welt und iiber seine irdische Erscheinung

Die Doketisten der Ignatiusbriefe bekennen Jesus nicht als

,,fleischtragend" (oapxo0p6pov Smyrn 2, I); desgleichen wendet sich POLYKARP gegen Leute, die nicht bekennen, ,,daB Jesus Christus im Fleische (v raopxi) gekommen ist" (2 Phil 7, I). Ihnen gegeniiber betont IGNATIUS, daB Jesus wirklich (a&X706) geboren ist aus einer

Jungfrau (Smyrn I, I; Trail 9, I), ,,fleischlich" (aopxLv6q) und ,,im Fleische erschienener Gott" (iv caCpxi yzv6Opvoq O6o) ist (Eph 7, 2) und TsXezou &vv0paTOU ysvotevou (Smyrn 4, 2).

SATORNIL 2) hielt den Erliser - nach IRENAUS (Haereses I 24, 2) und HIPPOLYT (Refutatio VII 28, 4) - fiir ungeboren (innatum, ayevvyrTov), leiblos (incorporalem, oaco-aTcov), ohne Gestalt (sine figura, aveiSsov), er sei nur zum Schein (putative, 8oxqzsG 3)) als Mensch erschienen. Nach FILASTRIUS sagen die Anhanger des SATORNIL, daB Christus nur umbraliter erschienen sei, ,,non carnem hominis veram et animam accepisse" (Diversarum haereseon liber 31, 6). Auf der gleichen Linie liegen die Mitteilungen des Ps.- TERTULLIAN (Adv. omnes haereses I, 4) und des EPIPHANIUS

(Panarion XXIII I, Io). Bei KERDON 4) finden wir unter anderem folgende bezeichnende

Aussagen: Christus war nicht in substantia carnis (PS.-TERTULLIAN, Adv. omnes haer. i, 6), er ist nicht im Fleische erschienen (EPIHANIUS, Panarion XLI i, 7; FILASTRIUS, Div. haeres. lib. 44, 2), er ist viel- mehr als Sohn Gottes vom Himmel herabgekommen, habe auf der Welt nur in phantasmate (PS.-TERTULLIAN), aOXoZSL (EPIPHANIUS),

1) Als einwandfreie Vertreter des Doketismus kommen nach WEIGANDT (S. 28 u.6.) nur SATORNIL, KERDON und MARKION in Frage (auBer den anony- meii Doketisten in den joh. Schriften, bei IGNATIUS und POLYKARP); als doketistisches Selbstzeugnis nur die Johannesakten (vgl. WEIGANDT 82-86).

2) Er wirkte in Antiochien, bald nach dem Tode des IGNATIUS. Nach A. HILGENFELD (Die Ketzergeschichte des Urchristentumts, Darmstadt 1963 [= Nachdruk von '1884 Leipzig], 194 f) wird man sein Auftreten nicht vor Trajan (98-117) setzen diirfen, vielleicht erst unter Hadrian (117-138).

3) Zu den Termini aoxqace, putative, quasi, umbra, in phantasmate, imago, figura usw. siehe WEIGANDT 27-39 bzw. bis 56.

4) Ein Zeitgenosse SATORNILS, ging spater nach Rom, dort wahrscheinlich EinfluB auf MARKION.

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GEORG RICHTER

als umbra oder putative (FILASTRIUS) existiert, er ist nicht aus der

Jungfrau geboren, ja iiberhaupt nicht geboren. Aus der reich bezeugten Anschauung des MARKION (etwa 85-I60)

zu diesem Punkte geniigt eine kleine Auswahl 1). Bei seinem Auf- treten in Judaa erschien Jesus direkt vom Himmel her in hominis forma (IRENAUS, Haer. I 27, 2). Das heiBt, wie uns TERTULLIAN

mitteilt, per imaginem substantiae humanae (Adv. Marcionem III IO, 2), genauer: ohne Leib (ebda IV 9, 5; 2I, II), nicht carne constructus (ebda V 5, 9), er war nur phantasma carnis (ebda IV

42, 7), sein Fleisch war nur Schein (ebda V 4, 15); ,,non erat quod videbatur, et quod erat mentiebatur: caro nec caro, homo nec homo" (ebda III 8, 2). Ahnlich HIPPOLYT (Ref. X 19, 3): Markion

behauptete, Christus erschien wie (ds) ein Mensch, ohne Mensch zu sein, und wie ein Fleischgewordener, ohne Fleischgewordener zu sein ((c `vaopxov oux ovtoc vccapxov), er erschien auf dieser Welt nur

8oxqa?L. Desgleichen berichten z.B. auch EPIPHANIUS (Panarion XLII II,I5) und FILASTRIUS (Divers. haeres. lib. 45, 4), daB Markion das Fleisch Jesu leugnete. Aus diesem Grunde hat Markion - wie schon IRENAUS und EPIPHANIUS berichten - auch seinen ,,Kanon" zurechtgeschnitten (keine Kindheitsgeschichte und andere Streich-

ungen) 2).

In den doketistischen Johannesakten wird Jesus durchweg nicht als Mensch, sondern als g6ttlich dargestellt und verkiindigt. ,,Ich sehe ihn . . . ganz und gar nicht als Menschen" sagt der Apostel Johannes (Kap. 90). ,,Er ist Mensch geworden ohne diesen Leib"

(Kap. I03: 'TO &vpOrcou YLVO,UVOU <ZXoplq> TOUrTou TOU CtluaZoq) 3). Auch die Polymorphie, die an sich nicht spezifisch doketistisch ist, dient in den Johannesakten insofern zum Erweis der G6ttlichkeit

Jesu, als sie bereits dem ,,irdischen" Jesus zugeschrieben wird

(Kap. 88 f., 90-93) und somit zwischen der Existenzweise des ,,Irdischen" und des ,,Auferstandenen" kein Unterschied besteht - auch der ,,Auferstandene" ist polymorph (z.B. Kap. 82, 87) 4). In

Kap. I04 sprechen die Johannesakten den Grundgedanken der

1) Siehe besonders TERTULLIANS Schrift Adversus Marcionem; ferner A. VON HARNACK, Marcion, Darmstadt 1960 (= Nachdruck von 2I924 Leipzig); WEIGANDT 67 ff.

2) Siehe HARNACK, Marcion 35 ff, 40*ff, I77*ff; WEIGANDT 68, 71. 3) Siehe dazu WEIGANDT Anm. 221; K. SCHAFERDIEK, in: Hennecke-

Schneemelcher II I59. 4) Zur Polymorphie siehe den Exkurs bei WEIGANDT 40-54.

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doketistischen Christologie aus: Weil Christus Gott ist, Gott aber unwandelbar ist - also auch nicht Mensch werden kann -, kann Christus nicht Mensch geworden sein, sondern nur als der auf Erden erschienene Gott verkiindigt werden 1).

Nach IRENAUS leugnen z.B. auch die Valentinianer, daB der

Logos Fleisch geworden ist (Haer. III II, 3; vgl. auch III I6, I, 6, 8, 9).

b) Das doketistische Verstdndnis der Eucharistie

Hinsichtlich der Eucharistie sind die Doketisten der Ignatius- briefe avrtXeyovrs und au~TOUVTes 2), sie bleiben von der Eucharistie

weg und bekennen nicht, daB sie ,,Fleisch (a&pxa) unseres Erlisers Jesus Christus ist, das fur uns gelitten hat, das der Vater . . . aufer- weckt hat" (Smyrn 7, I). Darum ,,sterben sie", sagt IGNATIUS 3).

Auch MARKION kann mit der Eucharistie nichts anfangen. Die Worte ,,hoc est corpus meum" besagen nur ,,figura corporis mei" (TERTULLIAN, Adv. Marcionem IV 40, 3) 4). Aus diesen doketis- tischen AuBerungen geht klar hervor, daB der doketistische bzw. antidoketistische Abendmahlsstreit im Grunde ein Streit um das wirkliche Menschsein Jesu ist. Von daher allein ist die Terminologie ((0ape) in Joh vi, bei IGNATIUS, JUSTIN und IRENAUS Zu erklaren 5). In den doketistischen Johannesakten hat die Eucharistie ebenfalls keine Heilsbedeutung, sie ist nur Dankgebet und wird nur mit Brot gefeiert (Kap. 46, 77, 84-86, Io9 f), mit Brot und Wasser bei den Markioniten.

Eine zwar nicht doketistische, jedoch spiritualisierte oder gno- stisierende Deutung von Joh vi 5Ib-58 liegt vor im Evangelium des Philippus (entstanden um I50): ,,Sein Fleisch (ackpe) ist das Wort (X6yos)! Und sein Blut ist der Heilige Geist!" (Spruch 23) 6). Eine

iibertragene Deutung von Joh vi 51 ff auch bei KLEMENS VON ALEXANDRIEN (Excerpta ex Theodoto ? 13, 4).

1) Die gleichen Uberlegungen bei MARKION, siehe HARNACK, Marcion 118 ff; WEIGANDT 68 f.

2) Vgl. Joh vi 52: ez0XovTo ... .Xyovwr?. 3) Smyrn 7, I = Joh vi 53: . . . habt ihr das Leben nicht in euch";

vgl. auch Eph 5, 2 f; 20, 2; Rom 7, 3; Philad 4. 4) Vgl. HARNACK, Marcion 124 Anm. i und S. 305*. Zum Eucharistiever-

standnis der Doketisten siehe auch WEIGANDT 127-141. 5) Siehe den Exkurs bei WEIGANDT 127-141. 6) Ubersetzung von H.-M. SCHENKE, in: ThLZ 84, 1959, 8.

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c) Die doketistische Bestreitung von Jesu Leiden, Tod und Begribnis Die ,,Unglaubigen" (= Doketisten) der Ignatiusbriefe sagen,

Jesus habe nur ,,zum Schein" (ro' oxeiv) gelitten (Trall Io; Smyrn 2; 4, 2). Nach POLYKARP bekennen sie nicht ,,das Zeugnis des Kreuzes" (2 Phil 7, I). Daher betont IGNATIUS, daB Jesus Christus

,,leidensfahig" (=ao06Tos Eph 7, 2) war, ,,wirklich gekreuzigt wurde und starb" (Trall 9, I; Smyrn 2), ,,wirklich . . . angenagelt wurde fur uns im Fleische" (Smyrn I, 2), und daB das Leiden Jesu zum

Heilsplan Gottes gehort (Eph 20, I) und Heilstat ist (Smyrn I, 2; 2; Trail 2, I; II, 2; Rom 6, I).

Auch nach SATORNIL hat Jesus nur zum Schein (zco 8oxsiv) ge- litten (EPIPHANIUS, Panarion XXIII I, Io), ,,in phantasmate tantum quasi passum fuisse" (PS.-TERTULLIAN, Adv. omnes haer. I, 4), weil er nicht in substantia corporis existiert habe (Ps.- TERTULLIAN) und alles in seinem irdischen Leben nur Trugbild gewesen sei (EPIPHANIUS).

Ebenso sagt KERDON, daB Christus durchaus nicht gelitten hat, sondern nur ,,quasi" (PS.-TERTULLIAN, Adv. omnes haer. 6, I). Zwar

glaubten manche - aufgrund seines putativen Erscheinens -, daB er gelitten habe, ,,non tamen vere patiebatur" (FILASTRIUS, Divers. haer. lib. 44, 2), sondern nur umbraliter, wie er ja auch in dieser Welt nur ,,putative apparuisse, id est quasi per umbram"

(FILASTRIUS 45, 4). Mit der gleichen Begriindung wie Satornil und Kerdon bestreitet

auch MARKION die Wirklichkeit der Passion Jesu. Weil der Erl6ser kein wirklicher Mensch war und keinen wirklichen Leib hatte, haben auch Kreuzigung, Tod und Begrabnis nicht wirklich stattgefunden (TERTULLIAN, De carne Christi 5, 2 f, 9), nur putative habe er gelit- ten (TERTULLIAN, Adv. Marcionem III 8, 4 u.n.), nur aoxCtO habe er gelitten und nur aox'CTe sei er begraben worden (EPIPHANIUS, Panarion XLII 12,3 u.6.); vgl. auch HIPPOLYT: nur 3T 8oxczv

gelitten (Ref. X 19, 3). In den doketistischen Johannesakten hat die Passion Jesu (Kap.

97-102) nur symbolische Bedeutung, sie ist nur Hinweis auf ein kos- misches Geschehen, in dem sich die eigentliche Erlisung des Men- schen vollzieht 1). Im Hinblick auf die Passion sagt der leidens-

unfahige Logos zu Johannes: ,,Was ich nicht bin, (dafiir) bin ich

1) Vgl. K. SCHAFERDIEK, in: Hennecke-Schneemelcher II I42; WEIGANDT

84 f.

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gehalten worden, nicht seiend, was ich war den anderen vielen"

(Kap. 99, vgl. auch 96). In antithetischen Aussagen klart der Logos den Apostel Johannes auf, daB er nicht - wie man sagt - gelitten hat, nicht (in die Seite) gestochen worden ist und daB kein Blut aus ihm geflossen ist (Kap. IOI). Aus diesem doketistischen ,,Kom- mentar" zu Joh xix 34 f geht klar hervor, daB die Stelle ausge- sprochen antidoketistisch ist 1).

Auch andere Gnostiker bestreiten, daB der Erliser wirklich ge- litten hat 2).

d) Doketistische Au/eerungen zur Auferzweckung Jesu und zur allge- meinen eschatologischen Totenerzeckung

oc) Die Bestreitung der leiblichen Auferweckung Jesu (= der

Auferweckung im gleichen Fleische, in dem er gelitten hat) ergibt sich fur die Doketisten mit Notwendigkeit aus der Bestreitung der Leiblichkeit und des Menschseins Jesu. Die Ignatiusbriefe bezeugen die doketistische Leugnung der Auferstehung Jesu an vielen Stellen, z.B. Magn II; Trail 9, 2; Smyrn I, 2; 2; 3, I-3 (auferstanden cv

'crpxi, als ocpxLvo6); 7, I, 2. VON MARKION sagen z.B. TERTULLIAN

und EPIPHANIUS wiederholt, daB er die Auferstehung Jesu und die

Erscheinungen des Auferstandenen im Fleische verneinte, weil Jesus keinen Leib hatte 3). MARKION hat ja in seinem Schriftkanon alle Stellen, die fur die Leiblichkeit des Auferstandenen sprechen, ge- strichen oder geandert 4).

p) Der gnostische Dualismus, aufgrund dessen die Doketisten die Leiblichkeit und die leibliche Auferweckung Jesu bestreiten, zwingt sie auch zur Leugnung der allgemeinen eschatologischen Auferweckung des Leibes. Denn der Leib des Menschen ist - wie die ganze Welt - eine nichtg6ttliche oder gar widerg6ttliche Sch6pfung5), er gehort nicht zum ,,Selbst" des Menschen, hat

1) Siehe dazu G. RICHTER, ,,Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu (Joh 19, 34b)", in: Miinchener Theol. Zeitschrift 2I, I970, i6 ff.

2) Siehe z.B. IRENAUS, Haereses I 24, 4; III II, 3; IV 35, 3; KLEMENS VON

ALEXANDRIEN, Excerpta ex Theodoto ? 6i, 3 (Blut und Wasser aus der Seite Jesu sind nur Symbol); ferner A. B6HLIG, ,,Christentum und Gnosis im Agypterevangelium von Nag Hammadi", in: Christentum und Gnosis/ Aufsdtze hg. von W. Eltester (BZNW 37), Berlin 1969, Io-I2, besonders S. I Anm. 63.

3) TERTULLIAN z.B. De carne Christi 5, 2 f. 9; EPIPHANIUS z.B. Panarion XLII II, 15: siehe WEIGANDT 71 mit Anm. I75.

4) Siehe HARNACK, Marcion 58, 239*, 295*, 305* u.6. 5) Siehe z.B. die mit 36, I6 beginnende Schilderung im Apokryphon des

Johannes.

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nichts zu tun mit dem ,,Funken" (des Lichtes oder des Lebens) im Menschen oder mit dem Pneuma im Menschen oder mit der Seele des Menschen. Erlosung heift Ausscheiden aus dem Leib und Riickkehr in die Lichtwelt 1). Die doketistische Leugnung der leiblichen Auferweckung des Menschen wird indirekt bezeugt von IGNATIUS Smyrn 2; 7, I 2) (vgl. auch Trail 9, 2; Smyrn I2, 2), direkt von POLYKARP 2 Phil 7, I (Leute, die sagen, es gebe ,,weder Auferstehung noch Gericht"). Ebenso verwerfen SATORNIL 3), KERDON 4) und MARKION5) die Auferstehung des Fleisches;

Auferstehung und Erlisung gibt es nur fur die Seele, der Leib, der von der Erde genommen ist, vergeht. Fiir die doketistischen Johannesakten ist der Mensch hinsichtlich seiner Leiblichkeit ein Toter, ,,totes Bild eines Toten" (Kap. 29), von Auferweckung und Teilhabe des Leibes an der himmlischen Vollendung kann keine Rede sein.

Auch bei den anderen Gnostikern wird die Auferstehung des Leibes entweder bestritten 6) oder spiritualisiert 7). Nach IRENAUS

(Haereses V 31, I, 2) haben selbst einige von denen, ,,die da fur

rechtglaubig gelten", die leibliche Auferstehung des Menschen verworfen und aufgehoben.

Aufgrund der in diesem Abschnitt aufgezeigten Parallelen und

1) Vgl. z.B. IRENAUS, Haereses I 24, I; W. C. TILL, Die gnostischen Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502 (TU 60), Berlin I955, 51; E. HAEN- CHEN, Das Buch Baruch, in: Gott und Mensch / Gesammelte A ufsdtze, Tiibingen 1965, 332 f, 327 ff.

2) Die Doketisten werden zur Strafe selber nicht auferstehen und "leiblos und damonisch" sein.

3) Siehe z.B. IRENAUS, Haereses I 24, I; PS.-TERTULLIAN, Adv. omnes haer. i, 4.

4) Siehe z.B. PS.-TERTULLIAN, Adv. omnes haer. 6, I; EPIPHANIUS, Panarion XLI I, 7.

5) Siehe z.B. IRENXUS, Haereses I 27, 3; TERTULLIAN, Adv. Marcionem III 8, 6 f; V 7, 4; V 9, 2 usw.; HIPPOLYT, Ref. X 19, 4; EPIPHANIUS, Panarion XLII 3, 5; XLII 4, 6.

6) Siehe z.B. IRENAUS, Haereses I 24, 5; II 31, 2; HIPPOLYT, Ref. V 8, 22 ff; 2 Tim 2, 17 f; Ascensio Jesajae 9, I; Evangelium nach Philippus, Spruch 23a, vgl. auch Spruch 63 (nach H.-M. SCHENKE, ThLZ 84, I959, 8, 13 f); ferner z.B. E. HAENCHEN, Neutestamentliche und gnostische Evangelien, in: Christentum und Gnosis / Aufstze hg. von W. Eltester (BZNW 37), Berlin 1969, 21 f, 25 ff.

7) So bemiiht sich z.B. der Verfasser des Briefes an Reginus in thematischer Form um eine gnostische Verarbeitung des an sich ungnostischen Begriffes der Auferstehung: siehe dazu H.-M. SCHENKE, ,,Auferstehungsglaube und Gnosis", in: ZNW 59, 1968, 123-126; J.-E. MENARD, in: Christentum und Gnosis usw., Berlin 1969, 49, 50 f.

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doketistischen Antithesen zu Joh i I4 usw. kann die antidoketistische Tendenz der in Frage kommenden Stellen im vierten Evangelium nicht mehr als bloBe Vermutung bezeichnet werden oder als gut begriindete Annahme, sie ist vielmehr Tatsache. Die antidoketisti- schen Stellen im JohEv m6gen zwar ein erst friihes Stadium der Auseinandersetzung mit den Doketisten darstellen, doch kann man nicht daran zweifeln, daB die doketistische Christologie, gegen die sie gerichtet sind, schon einige Zeit bestanden haben muB und ihre Anhanger auch eine gewisse Aktivitat entfaltet haben miissen, als deren Folge dann die Gegenbewegung auf den Plan trat, wie sie in den antidoketistischen Zusatzen des vierten Evan- geliums und in I und 2 Joh, ferner auch bei IGNATIUS und wohl auch in 2 Tim in Erscheinung tritt. Ein weiteres Resultat aus IV ist, daB KASEMANNS Verstandnis von Joh i I4a - Fleischwerdung im iibertragenen Sinn - unmoglich ist. Die Formulierung in Joh i I4a ist derart undoketistisch und antidoketistisch, daB sie von den Doketisten nur abgelehnt und ihre Richtigkeit bestritten wird.

V

Bis jetzt war- mit Ausnahme von Abschnitt II und teilweise I 2b--immer nur vom sekundaren Charakter des V. I4a die Rede. Es soil nun noch kurz gezeigt werden, daB der Restteil der VV. I4-I8 - der ja ebenso wie V. I4a nicht zum urspriinglichen Logoshymnus geh6rt - ebenfalls nicht vom Evangelisten stammt.

I.

Gegen die Behauptung der sekundaren Herkunft der VV. I4-I8 scheint zwar auf den ersten Blick V. I4C zu sprechen: ,,Und wir haben gesehen seine doxa, doxa wie des Einziggezeugten vom Vater...", d. h. wie sie entspricht dem Einziggezeugten des Vaters. Der Vers scheint - auf den ersten Blick und fur sich allein betrachtet - so sehr dem Tenor des urspriinglichen Evan- geliums zu entsprechen, daB KXSEMANN und andere sich verfiihren lieBen, hier die Hauptaussage des Prologs und die Thema-Angabe fiir das ganze Evangelium zu sehen 1). Aber die Sache verhalt sich anders.

Kein einziger fruhchristlicher Schriftsteller, der gegen die

1) Prolog I68 bzw. I64-I80; Jesu Letzter Wille I8, 23 u.O.

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GEORG RICHTER

Doketisten schreibt, begniigt sich damit, bloB einseitig das Mensch- sein Jesu zu betonen, sondern alle sagen auch - und zwar meistens in unmittelbarem AnschluB an die Aussage fiber das Menschsein Jesu -, daB Jesus auch Gott oder Sohn Gottes oder himmlischer Herkunft war 1). Genauso nun stehen auch beim Autor der anti- doketistischen Zusatze im JohEv neben den Aussagen fiber das wirkliche Menschsein Jesu Aussagen fiber dessen G6ttlichkeit (vgl. auBer i 14 auch xx 282); ferner I Joh i Iff; iv 2 [Menschsein Jesu] 9 [Gottlichkeit Jesu]; 2 Joh 3 [Menschsein Jesu] 7 [G6ttlichkeit Jesu]). Die Aussage fiber die G6ttlichkeit des Fleischgewordenen in V. I4c-e ist also als Korrelat zur Aussage fiber das Menschsein des Logos in V. I4a-b zu verstehen und spricht keineswegs gegen die antidoketistische Tendenz und sekundare Herkunft des V. 14. Die Betonung der Gottlichkeit Jesu in Verbindung mit der Be- hauptung seines wirklichen Menschseins ist vielmehr ein charak- teristisches Kennzeichen der antidoketistischen Christologie des Friihchristentums 3). Dariiber hinaus ist zu beachten, daB die

Vorstellung von der doxa Jesu in i 14 nicht die des Evangelisten ist. Nach dem Evangelisten liegt fiir den irdischen Jesus die doxa hinter ihm (in der Praexistenz) und vor ihm (Riickkehr in die doxa des Vaters) 4).

Die Aussage des V. 14, daB Jesus wirklich Mensch, aber auch der Sohn Gottes ist, wird in V. 15 durch das Zeugnis des Taufers be- kraftigt. So verstehen V. I5 z.B. auch W. ELTESTER und CHR. DEMKE 5). Warum ffigt der antidoketistische Autor eigentlich das

1) Vgl. etwa IGNATIUS, z.B. Eph 7, 2; 18, 2; I9, 3; 20, 2; Trail 9, I; Ro6n

7, 3; Smyrn I, I; IRENAUS, Haereses III 9-12; i6; I9-2I u.o.

2) Siehe oben III 3c. Freilich konnten die Dinge in der Tholmasgeschichte gegeniiber meiner Darstellung (oben III 3c: NovTest 13, I97I, 123) insofern etwas anders liegen, als die Worte ,,mein Herr und mein Gott" nur als Bekenntnis zur G6ttlichkeit Jesu zu verstehen sind, wahrend die Aussage iiber das Menschlich-Leibliche an Jesus in den vorangehenden VV. 25-27 zu sehen ist.

3) Es liegt hier die gleiche Erscheinung in der Lehrentwicklung vor, wie sie uns analog auch spater - vor allem in den christologischen Streitigkeiten ab dem 4. Jh.- begegnet: Man muB gegen die Bestreitung des wahren Menschseins Jesu Stellung nehmen, will es aber nicht so einseitig tun, daB diejenigen, welche die Gottlichkeit Jesu aufgrund seines Menschseins leugnen, daraus Kapital schlagen konnen. Offensichtlich hat man aus der einseitigen Darstellung der Gottlichkeit Jesu durch den Evangelisten - eine Darstellung, die den Doketisten wahrscheinlich sehr willkommen war (siehe unten VI 4.)- die entsprechenden Lehren gezogen.

4) Siehe unten V 2 zu i 14. 5) W. ELTESTER, ,,Der Logos und sein Prophet", in: Apophoreta / Fest-

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DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS IM JOHANNESEVANGELIUM 267

Zeugnis des Taufers ein? Der Grund dafiir liegt darin, daB er seine Einschiibe in weitgehendem Parallelismus zu den Stiicken des urspriinglichen Evangeliums aufbaut, die er durch seine Zusatze

erganzen, vor MiBdeutungen bewahren oder korrigieren will 1). Das Tauferzeugnis V. 15 ist also als Parallele zu verstehen zum

Tauferzeugnis in den VV. 6-8. Beim Evangelisten bezeugt der Taufer - entsprechend der Tendenz des urspriinglichen Evan-

geliums -, daB Jesus das Licht, der Heilbringer ist; beim anti- doketistischen Redaktor bezugt der Taufer, daB Jesus Mensch und Gott ist. In der Formulierung ist V. 15 fast ganz parallel mit V.

30, der Sache oder dem Inhalte nach liegt jedoch gegeniiber V. 30 eine fur die Arbeitsweise des Redaktors charakteristische Variierung vor 2): Es geht ihm nicht - wie dem Evangelisten und der Vor-

lage - um die Unterordnung des Taufers unter Jesus, sondern nur um die Bezeugung des Menschseins und der G6ttlichkeit

Jesu 3). Ein anderes fur die antidoketistische Christologie typisches

Kennzeichen, das in i 14 erscheint, ist die Berufung auf die Augen- zeugenschaft (vgl. besonders xix 35; xx 25, 27; vielleicht auch xx 5. 8) 4). Die Augenzeugen kommen zu Worte in V. I4b (der fleischgewordene Logos ,,hat unter uns gewohnt" = er weilte unter uns als Mensch 5)) und in V. 14C (,,wir haben gesehen seine

schrift fir E. Haenchen (BZNW 30), Berlin 1964, 132; CHR. DEMKE, ,,Der sog. Logoshymnus usw.", in: ZNW 58, I967, 65: Der Fleischgewordene (= 6 0o;:rn, ou [O ?pX6[zvo) ist der Praexistente.

1) So ist z.B. die sekundare Stelle Joh v 28 f weitgehend parallel zu v 25-27; ebenso die sekundare Rede vi 5Ib-58 zu vi 3I-5Ia; allgemein bekannt ist schlieflich, in welchem Ausmal3e die zweite (= sekundare) Abschiedsrede Themen der ersten Abschiedsrede aufgreift. Zum Paral- lelismus zwischen den sekundaren Stiicken und den urspriinglichen Texten im vierten Evangelium siehe auch oben III i.

2) Zu dieser Arbeitsweise des Redaktors vgl. oben III i und G. RICHTER, ,,Die Deutung des Kreuzestodes Jesu usw.", in: Bibel und Leben 9, I968, 30 ff.

3) Das den Zusammenhang zwischen V. 14 und V. I6 unterbrechende Tauferzeugnis spricht nicht nur dafiir, da3 der Redaktor den V. I5 in ein bereits geformtes Traditionsstiick eingefiigt hat, sondern meines Erachtens auch dafiir, daB der Redaktor den urspriinglichen Logoshymnus (also ohne die Bearbeitung durch den Evangelisten) noch gekannt hat. Nach dem Vorbild des Evangelisten hat auch der Redaktor in ein bereits geformtes Traditionsstiick -das moglicherweise ein Monogenes-Hymnus war - ein seine antidoketistische Verkiindigung bestatigendes Tauferzeugnis einge- fiigt.

4) Siehe dazu oben III 3. 5) Siehe dazu oben I 2b.

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GEORG RICHTER

doxa"). Denn Oziad;t,zx0a (V. I4c) bezeichnet unbestreitbar - auch die Vergangenheitsform spricht dafiir - das Sehen mit leiblichen

Augen, das Sehen der Augenzeugen 1). Ein geistiges Sehen, eine Schau im Glauben oder - wie BULTMANN 2) und andere meinen - die christliche Glaubenserfahrung kommen hier nicht in Frage, denn an einem derartigen Sehen ist der antidoketistische Redaktor -und sicher auch seine Vorlage -nicht interessiert 3). Gegen- iiber der doketistischen Bestreitung der Fleischlichkeit Jesu hat nur ein leibliches, sinnenfalliges Sehen der doxa des Fleischgewordenen Gewicht und Zeugniswert 4). Darum ist auch die haufig begegnende Auskunft, daB in dem ,,wir" (V. I4c) nicht notwendig ein Augen- zeuge spricht, sondern die Kirche 5), unzutreffend. Das soil freilich nicht heiBen, daB der Autor der VV. 14-18 Augenzeuge sein muB: er - bzw. schon die von ihm verwendete Tradition -legt die Worte Augenzeugen in den Mund, wie es ja auch die von ihm

bekampften Doketisten getan haben. Wie sehr die Berufung auf Augenzeugen in Joh i 14 fur den sekundaren Charakter des Verses spricht, geht auch daraus hervor, daB es fur den Evangelisten nur zwei Augenzeugen von christologischer Bedeutung gibt - namlich

1) So z.B. auch F. TILLMANN, Das Johannesevangelium, Bonn 4193I, 6I f; J. BERNARD I 21; R. SCHNACKENBURG, JohEv I 245 f; J. A. T. ROBINSON, "The Relation of the Prologue to the Gospel of St. John", in: NTS 9, 1962/63, I24; H. N. RIDDERBOS, "The structure and scope of the prologue to the Gospel of John", in: NovTest 8, I966, I95. W. ELTESTER hdtte sich beinahe auch fir dieses Verstandnis entschieden (Der Logos 132 f).

2) JohEv 44-46. 3) Die Vorlage des Redaktors ist hier offensichtlich von der gleichen

Tendenz und Theologie bestimmt wie die Vorlage des Evangelisten: Die sichtbaren Wunder, in denen die doxa Jesu in Erscheinung tritt und die durch die Augenzeugenschaft der Jiinger bestatigt werden (ii II; xx 30: ,,vor seinen Jiingern"; I 4), sind Grundlage und Voraussetzung des Glaubens der Gemeinde. Das spricht dafiir. daB das in i 14-18 verwendete Traditions- material aus dem gleichen Milieu stammt wie die Vorlage des Evangelisten.

4) Manche Exegeten, die ,,sehen" in V. I4c von der Augenzeugenschaft verstehen, meinen, daB das Verbum hier und im ganzen Evangelium auch noch einen tieferen Sinn habe, es sei auch ein Sehen im Glauben; so z.B. H. STRATHMANN, Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), G6ttingen 8I965, 38; F. MUSSNER, Die johanneische Sehweise (Quaest. disp. 28), Frei- burg I965, I9 ff. 67 u.o.; J. JEREMIAS, Prolog 23; C. TRAITS, Voir Jesus et le pere en lui selon l'evangile de saint Jean (Analecta Greg. I59), Rom I967, 55 ff. IoI ff. u.o. Fur das prateritale Sehen der Augenzeugen in den antidoketistischen Stellen des Evangeliums und in I Joh trifft das sicher nicht zu. Bedarf es der tieferen Schau des Glaubens, um einen Menschen als wirklichen Menschen und nicht als Menschen m.it einem Scheinleib zu erkennen ?

5) So z.B. C. K. BARRETT ZU i I4C S. I38.

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DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS IM JOHANNESEVANGELIUM 269

den Taufer und Jesus selber - und daB diese beiden ausschlieBlich nur Jesu Praexistenz, himmlische Herkunft und G6ttlichkeit bezeugen 1).

2.

Gegen die Herkunft der VV. I4-I8 aus der Hand des Evangelisten spricht nicht nur die antidoketistische, vom Zweck des Evange- liums abweichende Tendenz, sondern auch - worauf besonders M.-E. BOISMARD hingewiesen hat 2) - der Umstand, daB sowohl die Terminologie als auch die Theologie dieser Verse weithin unjohanneisch ist und vom iibrigen Evangelium abweicht.

Die unjohanneischen Termini in den VV. 14-18 sind allgemein bekannt und brauchen hier nicht naher besprochen zu werden. Da diese Begriffe auch in den sekundaren Stellen des vierten Evan- geliums und auch in den Johannesbriefen keine Rolle spielen, hingegen, wie BOISMARD zeigt, in den lukanischen Schriften haufiger begegnen, wird man annehmen diirfen, daB in den VV. I4-I8 mehr oder weniger geformtes Traditionsgut verwendet ist 3). Der Terminus ,,Logos" in V. 14 muB hingegen als Wiederaufnahme aus V. i durch den antidoketistischen Redaktor verstanden werden. Die gleiche Methode - Wiederaufnahme des Hauptbegriffes bzw. von Hauptbegriffen des urspriinglichen Evangeliums - erscheint auch in anderen sekundaren Stiicken 4).

In V. 14 ist die Aussage unjohanneisch, daB der Logos voll Gnade und Wahrheit ist. Nach dem Evangelisten ist Jesus nicht voll Wahrheit, sondern er ist die Wahrheit (xiv 6). AuBerdem hat

1) Der rTauter: Joh i 29-34; vgl. auch i 7-8; Jesus, der seine himmlische Herkunft verteidigt mit Berufung auf das, was er im Himmel (bzw. beim Vater) gesehen hat: z.B. iii 22 ff; vi 46; vgl. auch i I8; iii ii. - In der Vorlage des Evangelisten bezeugt der Taufer die Messianitat Jesu, z.B. i 19 ff; iii 27-30.

2) Saint Luc usw., in: RB 69, 1962, 206-2IO, die Aufzahlung der unjoh. Termini S. 207.208 f. BOISMARD mochte die VV. 14-18 und andere sekun- dare Stiicke im vierten Evangelium aufgrund der Terminologie dem Evan- gelisten Lukas zuweisen. Das ist sicher ein Irrtum. Die Gemeinsamkeiten in der Terminologie erklaren sich dadurch, daB der Redaktor des vierten Evangeliums und Lk aus dem gleichen Traditionsstrom sch6pften. Ferner achtet BOISMARD nicht auf die Unterschiede zwischen Lk und den sekun- daren Stiicken des vierten Evangeliums. Vgl. dazu auch oben II 2b.

3) Vgl. DEMKE oben II 2a. 4) Vgl. z.B. die sekundare Stelle v 28 f mit v 25-27: die Toten, leben,

Gericht; vi 5Ib-58 (sekundar) mit vi 3I-5ia: Brot, Leben usw.; die zweite (= sekundare) Abschiedsrede mit der ersten.

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GEORG RICHTER

,,Wahrheit" in V. I4e nicht den spezifisch johanneischen Inhalt 1). Auch die Aussage iiber die doxa Jesu in V. I4C ist nicht spezifisch johanneisch. Fiir den Evangelisten ist doxa der Zustand des Praexistenten (xii 41; xvii 5) und des nach Vollendung seines Sendungsauftrages zum Vater Zuriickgekehrten (xvii 5; vgl. auch xvii 24). Nach BOISMARD 2) erinnert V. I4C terminologisch an Lk ix 32 (Verklarung), so daB er- zusammen mit V. I4d-e- Tra- ditionsgut sein diirfte. Als Traditionsgut erweist sich V. I4c jedoch auch dann, wenn man das Sehen der doxa lieber im Sinne von Joh ii ii (Offenbarwerden der doxa Jesu in den Wundern) ver- stehen mochte, wo ebenfalls nicht der Evangelist zu Worte kommt3), sondern die von ihm verwendete Tradition mit ihrer Doxa-Vor- stellung 4). V. I4c hat also in der Darstellung und in der Theologie des Evangelisten keine Entsprechung 5).

In V. I6 ist wiederum nicht nur die Terminologie unjohanneisch, sondern auch die Beschreibung des Heilsempfanges als eines Geschehens der Vergangenheit- das gilt auch fur die iibrigen Praterita in den VV. I4-I8. Der Evangelist spricht von dem durch Jesus gebrachten Heil im Prasens 6).

1) ,,Gnade und Wahrheit" ist atl: so mit vielen anderen z.B. auch SCHNA- CKENBURG I 248, nach dessen Meinung der Satz noch zum Logoshynnus gehort.

2) S. 209; vgl. auch P. PARKER, Luke and the Fourth Evangelist, in: NTS 9, I962/63, 324; R. E. BROWN, Gospel I 34.

3) DaB die Doxa-Aussage in Joh ii i zur Vorlage des Evangelisten ge- h6rt, sagen z.B. auch E. HAENCHEN (,,Der Vater, der nich gesandt hat", in: Gott und Mensch /Gesammelte Aufsdtze, Tiibingen 1965, 68. 88) und J. BECKER (Wunder und Christologie, in: NTS i6, i969/70, 135 Anm. 3; vgl. auch S. 137, I39).

4) Eine Doxa-Vorstellung, die der Evangelist bezeichnenderweise in ii 4 korrigiert! Die ,,Stunde Jesu" ist beim Evangelisten durchweg mit dem Tod und der Verherrlichung Jesu verbunden! Naheres zu ii 4 in meinem Joh- Kommentar, der - so Gott will - in den nachsten Jahren erscheinen wird.

5) Joh xi 40 (die doxa Gottes schauen) gehort ebenfalls zur Vorlage des Evangelisten und gibt deren Doxa-Anschauung wieder. Innerhalb des vierten Evangeliumns gibt es also liber die doxa Jesu verschiedene Vorstel- lungen, die man nicht harmonisieren darf, wie es z.B. auch W. THUSING versucht (Die Erhohung und IVerherrlichung Jesu im Johannes-evangelium (Ntl Abh. XXI 1.2), Mdinster i.W. 2I97o, 1I960).

6) Genaugenommen sprechen die Praterita in den VV. I4-I8 nur gegen die Meinung, daB diese Verse eine Schopfung des Evangelisten sind. Wo der Evangelist Traditionsgut wiedergibt, kann (wie z.B. im Logoshymnus) der Heilsempfang und das Heilswirken Jesu im Prateritum stehen. In den friihchristlichen Hymnen wird das Heilsgeschehen fast durchgehend im Prateritum beschrieben. Das spricht wiederum dafiir, daB in den VV. 14-I8 Traditionsgut verwendet ist.

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DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS IM JOHANNESEVANGELIUM 271

Der in V. 17 ausgesprochene Gegensatz zwischen Moses bzw. Gesetz des Moses einerseits und Jesus Christus bzw. der durch Jesus Christus gewordenen Gnade und Wahrheit anderseits ist - wie z.B. auch BOISMARD und HAENCHEN feststellen 1) - dem vierten Evangelium sonst fremd, der Begriff Gnade (Xdcptq) kommt ja auBer den VV. 14, i6, 17 im ganzen Evangelium nicht mehr vor. E. GRXSSER macht zwar den beachtlichen Versuch, V. 17 nicht nach dem paulinischen Verstandnis von Gesetz und Gnade zu erklaren, sondern aus dem Kontext des Evangeliums, aus dem Verhaltnis Judentum-Christentum, wie es im vierten Evangelium dargestellt wird 2). Aber GRASSERS Erklarung erweckt den Eindruck, einer jener vielen Harmonisierungsversuche zu sein, gegen die KASEMANN mit Recht protestiert 3). Denn-gegen GRASSER- in Joh vi 32 (,,nicht Moses hat euch das Brot vom Himmel gege- ben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel") ist die Antithese nicht Moses-Christus, sondern Moses-Vater, die Entsprechung zu Jesus ist das Manna! In Joh ix 28f aber wird der Gegensatz Moses-Christus von den Juden herausgestellt. Fur den Evangelisten jedoch steht Moses nicht im Gegensatz zu Jesus, sondern er ist ein Zeuge fur Jesus (v 46 f; vgl. auch vii I9-23; viii 17; x 34). GRASSER hat zwar recht 4), da13 man in der Redeweise ,,euer Gesetz" eine Distanzierung vom jiidischen Gesetz sehen muB (viii 17; x 34), aber in der in i 17 ausgesprochenen Form ist die Antithese Gesetz einerseits -Gnade und Wahrheit anderseits nicht johanneisch 5).

Auch die Aussage des V. I8, daB der Sohn den Vater offenbart, ist - und zwar gegen eine verbreitete Annahme - kein Thema des Evangelisten, ganz abgesehen vom unjohanneischen Ausdruck

i[Y2'aT,o. Ffir den Evangelisten ist nicht typisch, daB Jesus den Vater offenbart, sondern daB Jesus sich selber offenbart als Sohn und als Gesandten des Vaters 6). Soweit Jesus vom Vater spricht, geschieht es nur zum Erweis seines Sendungsanspruches und zur

1) BOISMARD 209; HAENCHEN, Prolog 120. 132 f. 2) ,,Die antijiidische Polemik imn Johannesevangelium", in: NTS ii,

1964/65, 74-90, besonders S. 78 ff. 3) Jesu Letzter lWille 21. 27 u.O. 4) S. 80. 5) R. E. BROWN (Gospel I I6) halt es fur das beste, V. 17 als Erklarung

des Herausgebers des Evangeliums zu verstehen. Nach DEMKE 63 hat V. 17 ,,den Charakter eines Nachtrages".

6) Daher erscheint im vierten Evangelium auch 122 x eyco und 22 X eyco CLV., die typischen Formulierungen der Selbstoffenbarung.

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GEORG RICHTER

Begriindung seines Sendungsauftrages. Nur in sekundaren Stellen des vierten Evangeliums (wie z.B. xv 15; xvii 6, 8, 14, 26; auch i Joh v 20) heiBt es, daB Jesus den Vater kundgemacht oder offenbart hat. Auch im Sondergut des Lukasevangeliums - in den Gleichnissen innerhalb des sogenannten Reiseberichtes- und in anderen synoptischen Stiicken verkiindet Jesus, wie Gott ist und was Gott von uns verlangt. Die unjohanneische Terminolo- gie spricht wieder dafiir, daB hier Traditionsgut verwendet ist. SCHNACKENBURG m6chte V. I8 dem Evangelisten zuschreiben 1). Er begriindet es damit, daB die Aussage des V. I8a (,,niemand hat Gott je gesehen") dem Evangelisten wichtig sei und auch v 37 und vi 46 erscheine. Ob das bloB zweimalige Vorkommen dieser Aussage im iibrigen Evangelium ihre Wichtigkeit fur den Evangelisten beweist, mag dahingestellt sein. Sie erscheint jedenfalls auch in I Joh (iv 12, 20), dessen Verfasser mit dem Autor der antidoketis- tischen Zusatze im Evangelium wohl identisch ist, und dariiber hinaus steht das Sehen Gottes in i I8 in einem anderen Zusammen- hang als in v 37 und vi 46. In i I8 ist die Unmoglichkeit, daB Gott gesehen werden kann, der Grund dafiir, warum nur der Sohn, o6 q TOv x6X7ov 'O 7roCarp6, ,,Exeget" des Vaters sein kann. SchlieBlich ist zu beachten, daB weder das iibrige Evangelium noch der erste Teil des Prologs den praexistenten Zustand Jesu als Sein sLs r6v x6oXrov roi xrocp6S beschreiben.

Die in Abschnitt V sowie in den anderen Abschnitten dargelegten Beobachtungen lassen meines Erachtens keinen anderen SchluB zu, als daB Joh i 14-18 und die anderen antidoketistischen Stellen nicht vom Evangelisten stammen, sondern sekundarer Herkunft sind. Rein theoretisch ware es zwar nicht ausgeschlossen, daB der Evangelist selber nach einer Anzahl von Jahren seine Schrift durch Einschiibe und Zusatze erganzt und so einer veranderten Situation Rechnung getragen haben k6nnte. Aber ffir diese Annahme spricht von dem aus dem Evangelium sich ergebenden Tatbestand her so gut wie nichts, nicht einmal die Wortstatistik, die man immer wieder fiir die literarische Einheit des vierten Evangeliums bemiiht. Denn wenn auch in den Einschiiben weithin die gleiche Terminolo- gie verwendet ist wie im iibrigen Evangelium, darf man doch nicht iibersehen, daB - ganz abgesehen davon, daB in den Einschiiben auch ausgesprochen unjohanneische Termini erscheinen - die

1) JohEv 1 253; auch BULTMANN (z. St.) und andere.

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DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS IM JOHANNESEVANGELIUM 273

johanneischen Begriffe und Wendungen in den sekundaren Stiicken weithin einen anderen Inhalt haben als im iibrigen Evangelium 1). Dariiber hinaus bestehen theologische Gegensatze, fiber die kein Harmonisierungsversuch hinweghelfen kann. So ist z.B. die pra- sentische Eschatologie des Evangelisten bedingt durch seine Christologie, die futurische Eschatologie des antidoketistischen Bearbeiters ist die Antwort auf die doketistische Bestreitung der zukfinftigen allgemeinen Totenerweckung und des zukiinftigen allgemeinen Gerichtes 2). Der Evangelist und der Autor der sekun- daren Zusatze fahren also offensichtlich auf zwei ganz verschiedenen Geleisen. SchlieBlich spricht wohl auch der xx 31 ausgesprochene Zweck des Evangeliums dagegen, daB der Evangelist selber sein Evangelium zu einem spateren Zeitpunkt erganzt hat. Die Verse xx 30 f geh6ren zwar zur Vorlage des Evangelisten, aber in V. 31 hat der Evangelist durch Einfiigung der Worter ,,der Sohn Gottes" die von der Vorlage verkiindete Messianitat Jesu naher bestimmt bzw. fiberboten durch die Gottessohnschaft Jesu und so zum Ausdruck gebracht, welchen Zweck er mit der Bearbeitung seiner Vorlage verfolgte: Erweis bzw. Verteidigung der Gottlichkeit Jesu 3). In den antidoketistischen Zusatzen aber geht es darum, daB Jesus Fleisch war, wirklicher Mensch. Wenn man bedenkt, wie wichtig dem Autor der antidoketistischen Einschiibe die Aussagen fiber das wahre Menschsein Jesu sind und wie aktuell

1) Eine kleine Sammlung von diesbeziiglichen Beispielen findet man bei G. RICHTER, ,,Die Deutung des Kreuzestodes Jesu usw.", in: Bibel und Leben 9, I968, 30-33.

2) Die Behauptung des Evangelisten, daB sich die eschatologische Toten- erweckung und das Gericht (mit dem Urteil iiber ewiges Leben oder ewigen Tod) in der Gegenwart - durch die Entscheidung fur oder gegen Jesus - vollzieht, hat ihren Grund im Glauben, daB Jesus der vom Himmel her- abgekommene Sohn Gottes und eschatologische Heilbringer ist; die doke- tistische Bestreitung der zukiinftigen allgemeinen Totenerweckung hat - ebenso wie die Bestreitung der Auferweckung Jesu- ihren Grund in der gnostischen Anthropologie und Soteriologie (siehe oben IV 2d), durch die ja auch die doketistische Christologie bestimmt ist.

3) DaB ,,der Sohn Gottes" in xx 31 vom Evangelisten stammt, sagt jetzt auch R. T. FORTNA (JBL 89, I97I, I66), wahrend er in seinem Buch The Gospel of Signs (Cambridge 1970, I98 u.6.) diesen Terminus noch der Vor- lage zuschrieb. Auch J. BECKER meint, daB ,,der Sohn Gottes" in xx 31 zur Vorlage gehort (NTS I6, I969/70, 133 f. I39). Meines Erachtens ist jedoch nicht daran zu zweifeln, daB die Vorlage Jesus nirgends als ,,den Sohn Gottes" bezeichnet, sondern daB der Ausdruck vom Evangelisten stammt, wie ja auch der Erweis der Gottessohnschaft Jesu das Thema des Evangeli- sten ist. Novurn Testamentum XIV 18

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GEORG RICHTER

diese Aussagen zu jener Zeit in seinen Gemeinden gewesen sein miissen, erwartet man, daB der Glaube an das wirkliche Menschsein

Jesu ebenso in xx 31 genannt wird wie der Glaube an die G6tt- lichkeit Jesu, falls wirklich der Evangelist selber der Autor dieser Einschiibe ist. Man sollte darauf nicht antworten, der ,,alte Mann" habe eben darauf vergessen. Ein Autor, der fiber ein so gutes kompositorisches Orientierungsverm6gen verfiigt, daB er z.B. in der Lebensbrotrede vi 26-5Ia bereits in V. 27c sein eucharistisch- antidoketistisches Verstandnis der Rede vorbereitet und an anderen drei markanten Stellen (VV. 39, 40, 44) seine futurisch-antidoke- tistische Eschatologie einfiigt, hat kein schlechtes Gedachtnis. Warum aber hat es dann der antidoketistische Redaktor unter- lassen, in xx 31 den Glauben an das Fleischsein Jesu mit als Zweck des Evangeliums einzufiigen? Er hat das bereits unmittelbar vorher--in der antidoketistischen Thomasgeschichte xx 24-29, besonders V. 29b - getan 1).

VI

Am Anfang dieser Untersuchung standen folgende Fragen, auf die nun zum AbschluB eine kurze Antwort gegeben werden kann:

I. Ist die Inkarnation in Joh i 14 real zu verstehen, wie die meisten Exegeten meinen, oder bloB im uneigentlichen Sinn, wie KASEMANN meint ? Antwort: Sie ist nur real zu verstehen, im Sinne des vollen Menschseins Jesu; denn sie ist ja Antwort auf die doke- tistische Behauptung, da13 Jesus keinen wirklichen menschlichen Leib hatte, nicht in Wahrheit Mensch war.

2. Ist - wie die meisten Exegeten meinen - die Inkarnation ein

Hauptthema oder gar das Hauptthema des vierten Evangeliums, oder ist sie - wie KASEMANN und andere meinen - fir den

Evangelisten ohne Bedeutung? Antwort: Fur den Evangelisten ist die Inkarnation weder ein Hauptthema noch das Hauptthema und auch kein Nebenthema. Sie ist iiberhaupt kein Thema des Evan-

gelisten, sondern von einer sekundaren Hand interpoliert. Fur den antidokestistischen Interpolator ist die Inkarnation zwar nicht das einzige, wohl aber das wichtigste Thema. So ist die Inkarnation also zwar ein Thema im vierten Evangelium, aber kein Thema des

Evangelisten. 3. Handelt es sich in Joh i 14 um Niedrigkeits- oder Erniedri-

1) Siehe dazu oben III 3c.

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DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS IM JOHANNESEVANGELIUM 275

gungschristologie oder nicht? Antwort: Fur eine Erniedrigungs- theologie des Evangelisten kann i 14 nicht in Anspruch genommen werden, weil die Stelle nicht von ihm stammt 1); dem antidoketis- tischen Redaktor aber geht es bei der Betonung des wirklichen Menschseins Jesu nicht um Niedrigkeitschristologie, nicht um eine Erklarung, wieso der Mensch Jesus von Nazareth zugleich der Sohn Gottes ist, sondern um die Zuriickweisung der doketistischen Behauptung, daB Jesus kein Mensch war.

4. Eine vierte Frage, die heute zwar weithin noch auBerhalb des allgemeinen Blickfeldes liegt, die sich jedoch aus der antidoketis- tischen Erginzung des vierten Evangeliums von selbst ergibt, nam- lich die Frage nach der Bedeutung des urspriinglichen Evangeliums und der johanneischen Gemeinden bei der Entstehung der doke- tistischen Christologie, kann hier nicht mehr er6rtert, sondern bloB aufgeworfen werden. Sie hangt eng zusammen mit den eben- falls noch nicht endgiiltig geklarten Fragen nach der konkreten Situation, in welcher der Evangelist schreibt, nach dem konkreten zeit- und religionsgeschichtlichen Hintergrund, von dem der Evangelist und seine Gemeinden mitgepragt sind, und nach den konkreten Gegnern, mit denen der Evangelist es zu tun hat.

Der vierte Evangelist war mit Sicherheit kein Doketist. Es geht ihm nicht um die Bestreitung des Menschseins Jesu, sondern nur um den Erweis der Gottlichkeit Jesu (vgl. oben I I, 2c; III 2a). Freilich gelangt er dabei gelegentlich zu Aussagen und Formu- lierungen, die den Doketisten ohne Zweifel sehr gelegen waren 2) und die - losgelost von der konkreten Situation, in der das Evan- gelium geschrieben worden war - doketistisch verstanden werden konnten und sicher auch so verstanden worden sind. Das war ja auch der Grund, warum man sich dann genotigt sah, das Evange-

1) Man wird den Ausdruck ,,Erniedrigungschristologie" fur den Evangeli- sten wohl iiberhaupt nicht verwenden konnen. Am ehesten scheint noch die Begrenzung der doxa Jesu auf die Praexistenz und auf die Zeit nach der Riickkehr zum Vater fur eine solche Theologie zu sprechen, aber auch hier geht es dem Evangelisten nur um den Erweis der himmlischen Herkunft und G6ttlichkeit Jesu.

2) Zum Beispiel die prasentische Eschatologie mit der Verlegung von Totenerweckung und Garicht in die Gegenwart, die Stellung zur sarx (siehe oben III 2a), die Pradestination (auch Satornil unterscheidet zwei Menschen- klassen: IRENXUS, Haereses I 24, 2), die Betonung von Glauben und Er- kennen; ferner z.B. die Aussage Joh iv 34 imi Kontext von iv 31 ff, das Fehlen einer Geburtsgeschichte Jesu in Verbindung mit der Redeweise, daB Jesus vom Himmel herabgekommen ist usw.

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RICHTER, DIE FLEISCHWERDUNG DES LOGOS

lium antidoketistisch zu redigieren 1). Aber das alles reicht meines Erachtens nicht aus, um den Evangelisten auch nur einen naiven oder unbewuBten Doketisten nennen zu diirfen.

Hingegen wird man damit rechnen miissen, daB innerhalb der

johanneischen Gemeinden eine, wenn nicht gar die Entstehungsstat- te der doketistischen Christologie zu sehen ist. Joh vi 5Ib-58 scheinen die Doketisten noch zur Gemeinde zu geh6ren, vielleicht auch noch in den Ignatiusbriefen, aber in 2 Joh 7-II wird mit Entschiedenheit Distanzierung von den ,,Verfiihrern" gefordert (vgl. auch I Joh ii I9). Zwar sind die Grundlagen der doketistischen Christologie nicht in der johanneischen Theologie zu suchen, sondern im gnostischen Dualismus und der dadurch bedingten Anthropologie und Soteriologie, und von diesen Grundlagen her konnte die doketistische Christologie polygen entstanden sein, also mehr oder weniger gleichzeitig in verschiedenen, voneinander

unabhangigen christlich-gnostischen Gemeinden. Anderseits aber bezeugt 2 Joh 7 klar eine rege missionarische Tatigkeit der Doke- tisten (,,viele Verfiihrer sind in die Welt hinausgezogen, die nicht bekennen, daB Jesus Christus im Fleische gekommen ist"), und auch die Ignatiusbriefe scheinen in Eph 7, I und 9, I doketistische Wanderprediger im Auge zu haben. Man wird - wie bereits gesagt - diese Frage noch naher untersuchen miissen.

1) Das Evangelium miiBte demnach in den johanneischen Gemeinden eine Zeitlang ohne die antidoketistischen Nachtrage existiert haben. Doch wird man leider kaum hoffen konnen, daB dieses unredigierte vierte Evan- gelium noch irgendwo -unter dem Sande oder sonstwo - verborgen liegt und eines Tages zum Vorschein kommen konnte. Die negativen Fak- toren sind in diesem Falle wohl zu groB: praktisch keine Verbreitungs- moglichkeit infolge der zahlenmaB3igen Minderheit und territorialen Ab- geschiedenheit - wahrscheinlich im syrischen Raum- der johanneischen Gemeinde oder Gemeindegruppe, fur die das urspriingliche Evangelium bestinmmt war, und infolge der verhaltnismiaig fruhen (zwischen 90 und Ioo) antidoketistischen Bearbeitung; die heftige Kampagne gegen die Doketisten und das vcrhaltnismiaBig friihe Verschwinden des Doketismus (vgl. WEIGANDT 72 f), auler den Johannesakten ist kein doketistisches Schrifttum erhalten geblieben.

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