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Die Falle (Deutscher Kleinbuch-Verlag)

Date post: 03-Jan-2017
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1. Kapitel

EINE HALBE MILLION Doktor McKinley schloß mit einem Aufatmen der Zufrieden-heit das Euch. Trotz der äußerst großen Ausgaben konnte er doch noch mit starken Reserven rechnen, dank der zahlreichen Zusicherungen, die eingegangen waren. Er hatte wirklich Grund, mit dem Lauf der Dinge, den sein großes Experiment nahm, zufrieden zu sein.

Einige der Betten des neuen Hospitals waren bereits belegt. An diesem Morgen hatten die Spezialisten, die dem Doktor ihre Dienste unentgeltlich zur Verfügung stellten, bereits ihre ersten Visiten gemacht. Die Wohnhäuser für die vom Institut aufge-nommenen Arbeitslosen waren fertiggestellt. Die Leute, die da-rin wohnten, hatten mit der Bearbeitung des Landes schon be-gonnen.

Die Gebäude, die als Schulen bestimmt waren, standen fer-tig, und man war jetzt dabei, das notwendige Unterrichtsmate-rial zu beschaffen. In Kürze würden die Lehrer ihre Stellen ein-nehmen, und das Institut von Doktor McKinley konnte dann auf

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vollen Touren laufen. So zufrieden war der Doktor, daß er beinahe seinen Ver-

wandten gegenüber, die ihn damals ins Irrenhaus brachten, et-was wie Dankbarkeit empfand.*) Wenn er auch während seiner Gefangenschaft Schreckliches erlebt hatte, so war er doch dem Schicksal freundlich gesinnt, denn es hatte ihm die Verbindung zu dem Kapuzenmann gebracht, und dadurch wurde die Öffent-lichkeit so an seinem Werk interessiert, daß es nun von allen Seiten Geld geradezu regnete. Auf diese Weise vermochte er vieles zu tun, was sonst nur ein schöner, aber niemals zu ver-wirklichender Traum geblieben wäre.

Der Kapuzenmann! Wer mochte dieses geheimnisvolle We-sen sein, das ihm so selbstlos seine Hilfe angeboten hatte? Ein verfolgter, verleumdeter Mensch, aber in Wahrheit eine Stütze des Gesetzes und der Gerechtigkeit, in deren Namen man gro-teskerweise einen Preis auf seinen Kopf gesetzt hatte. Unwill-kürlich fiel sein Blick auf das Bild, das zur Rechten McKinleys an der Wand hing. Es war das Bildnis seines Vaters, den er so sehr geliebt hatte. Hinter ihm befand sich ein Mikrofon, jenes Mikrofon, das mit dem Apparat verbunden war, den der Kapu-zenmann hiergelassen hatte und mittels dessen er sich jederzeit mit dem Unbekannten in Verbindung setzen konnte, um ihm mitzuteilen, daß er seine Hilfe für diesen oder jenen Fall be-nötigte.

Er hatte das Mikrofon nach reiflichem Überlegen an jener Stelle eingebaut. Es gab auch noch andere an verschiedenen Stellen des Instituts, ja sogar in seinem Schlafzimmer. Der Ap-parat selbst befand sich jedoch in einem Hohlraum zwischen den Schubladen seines Schreibtisches, er vermochte ihn aber von den verschiedenen angegebenen Stellen aus in Gang zu setzen. McKinley war mit einem wahrhaft kindlichen Enthusias-

*) Siehe Rote Schlange Nr. 7: „Händler des Schmerzes“.

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mus an den Einbau des Apparates gegangen, wobei ihn die Lie-be zu dem Geheimnisvollen anzog, die wir alle irgendwo ver-borgen in unserem Herzen haben.

Tatsächlich sah er aber zunächst keinen Zweck in dieser gan-zen komplizierten Anlage.

Er atmete tief auf, öffnete eine Schublade und zog einen Stoß Papiere heraus, die er eifrig zu studieren begann.

Plötzlich bemerkte er aus den Augenwinkeln eine seltsame Bewegung in der Nähe der offenen Tür. Er hob den Kopf und sah zwei Männer eintreten, die ihre Hüte tief in die Stirn gezo-gen hatten und die Hände in den Jackentaschen hielten.

Er blickte die beiden überrascht an und sagte: „Ich verstehe nicht, wie Sie hier hereinkommen konnten, oh-

ne daß mir Ihre Anwesenheit gemeldet wurde. Wollen Sie, bitte Platz nehmen und mir den Zweck Ihres Besuches erklären.“ Und mit einer gewissen Betonung fügte er hinzu: „Eine Hutab-lage finden Sie zu Ihrer Rechten.“

Die beiden Männer überhörten diese Bemerkung. Sie schie-nen nicht gewillt, ihre Hüte abzunehmen und auch nicht, sich niederzusetzen. Sie traten vielmehr dicht an den Tisch heran und blieben dort stehen.

„Was uns hierherbringt“, sagte der eine von ihnen mit einer angenehmeren Stimme, als man nach seinem Aussehen erwar-ten konnte, „ist eine durchaus private, aber sehr dringende An-gelegenheit. Sie haben uns jedenfalls noch nie gesehen und auch noch nie unsere Namen gehört. Deshalb hielten wir es auch nicht für notwendig, Ihnen vorher mitzuteilen, daß wir eine Unterredung mit Ihnen wünschten.“

„Was wollen Sie?“ fragte der Arzt mißtrauisch, da ihm das Benehmen seiner Besucher sehr merkwürdig vorkam.

„Wir sind“, erklärte der zweite, der eine Spur gewöhnlicher sprach als sein Begleiter, „Steuerbeamte und möchten gerne Ihre Bücher prüfen. “

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McKinley runzelte die Stirn. „Sie sind von der Steuerbehörde?“ rief er verwundert aus.

„Können Sie sich wenigstens ausweisen?“ „Unsere Ausweise“, sagte der andere und zog seine Hand aus

der Tasche, „haben wir hier.“ Er zeigte dem Doktor eine Pistole. „Sie werden zugeben, Doktor“, sagte der erste Sprecher,

„daß kein Ausweis an Beweiskraft diesem hier gleichkommt und es deshalb nicht klug ist, mit jemandem über die Berech-tigung zu streiten, mit der dieser so einen Ausweis vorzeigt. Haben Sie also die Güte, der Aufforderung meines Freundes nachzukommen.“

„Ich verstehe Ihre Absichten nicht ...“ begann McKinley. „Das ist nicht notwendig“, unterbrach ihn der andere. „Es

genügt, daß Sie gehorchen ... Wir werden Ihnen schon im gege-benen Augenblick alle notwendigen Erklärungen geben.“

Der Arzt begriff, daß jeder Widerstand zwecklos war. Er schob den beiden bedrohlichen Besuchern den Band zu, den er gerade vor wenigen Augenblicken geschlossen hatte und sagte:

„Hier haben Sie das einzige Buch, das ich führe.“ Gleichzeitig räusperte sich der Arzt kräftig, um das Knacken

des Schalters zu übertönen, mit dem er den geheimnisvollen Apparat in Gang gesetzt hatte.

Während der eine der beiden ihn unausgesetzt beobachtete, öffnete der andere das Buch und sah es schnell durch.

Als er es schloß, stieß er einen leisen Pfiff der Überraschung aus. „Eine hübsche Summe, Doktor“, sagte er anerkennend. „Ich

beglückwünsche Sie. Sie haben es verstanden, tatsächlich ein Geschäft auf die Beine zu stellen, das einiges abwirft.“

McKinley sah ihn verachtungsvoll an. „Das ist kein Geschäft“, entgegnete er, „sondern ein Wohl-

tätigkeitsinstitut. Wenn Sie ...“ Der Mann unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung.

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„Machen Sie keine Propaganda“, sagte er. „Sie brauchen in mir keinen Philanthropen zu sehen, obgleich ich ja bis zu einem gewissen Grade einer bin, wie ich Ihnen gleich beweisen werde.“

Der Doktor zuckte mit den Schultern, ohne zu antworten. Er begriff, daß jedes weitere Reden nur eine unnötige Kraft-anstrengung war.

„Ihre Bilanz“, fuhr der Mann fort, „weist ein Guthaben von mehr als einer Million Dollar auf, wenn man alle bis heute getä-tigten Ausgaben abzieht. Wie ich Ihnen schon vorher sagte, ist das eine sehr hübsche Summe.“

Er machte eine kleine Pause und ergänzte dann: „Offen gesagt, muß ich Ihnen bekennen, daß ich nicht einse-

he, warum Sie so viel gutes Geld einigen Unwürdigen hin-werfen sollen. Es handelt sich doch in der Hauptsache um Leu-te, die bloß zu betteln verstehen, und denen andererseits nichts übrig bleiben würde, als sich ihren Lebensunterhalt zu ver-dienen, wenn sie nicht ein paar Dumme finden, die sie umsonst bewirten und verpflegen. Aber letzten Endes ist mir das ja auch gleichgültig.

Mein Chef scheint bis zu einem gewissen Punkt Ihre Gefühle zu teilen. Er ist der Meinung, daß derjenige, der ein großes Ka-pital hat, denen helfen muß, die nicht so reich mit Gütern ge-segnet sind ... Aber in zwei wichtigen Punkten stimmt er nicht mit Ihnen überein: er hat eine bestimmte Ansicht darüber, wer der Hilfe würdig ist, und er hält niemanden für fähig, wirklich bedeutende Summen richtig zu verteilen.

Aus den Nachrichten, die die Presse veröffentlichte, und aus dem, was man sich erzählt, schloß er, daß Sie im Besitz einer größeren Summe wären, als er für gut hält. Deshalb hat er uns hergeschickt, damit wir das nachprüfen. Er hatte recht. Die Summe ist zu hoch. Ich werde daher seinen Anordnungen nachkommen und mir die Freiheit nehmen, einen Teil Ihres Geldes abzuheben und es meinem Chef zur Verfügung stellen.“

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„Einfach ausgedrückt, wollen Sie also nichts anderes tun, als mich ausplündern“, fragte der Doktor aufgebracht.

„Ich denke gar nicht daran“, antwortete der andere mit einer eleganten Handbewegung. „Ausplündern bedeutet, einem alles zu nehmen, was er besitzt, und daran haben wir nicht im Traum gedacht. Wir wollen Ihnen nicht einmal eine gewisse Summe wegnehmen. Wir sind keine Diebe oder Leute, die jemanden einfach überfallen. Es handelt sich nur darum, einen Teil Ihres Geldes in Hände zu überweisen, die es vorteilhafter verteilen werden. Wir sind tolerant. Wir gestehen Ihnen eine gewisse Fähigkeit zu, allerdings nicht zuviel, doch immerhin genug, um Ihnen mehr als die Hälfte zu lassen ... Wir sind also hier-hergekommen, Doktor McKinley, um Sie um eine unbedeu-tende Summe zu ersuchen. Mit einer halben Million sind wir vollauf zufrieden.“

„Eine halbe Million!“ rief der Doktor entsetzt. „Genau eine halbe Million“, stimmte der andere bei. „Wenn

Ihre Rechnungen stimmen, dann bleiben Ihnen noch sieben-hunderttausend Dollar für Ihr Institut.“

„Sie sind ja verrückt!“ „Wenn sich jede Verrücktheit so äußert, dann lebe der

Wahnsinn!“ antwortete der andere ruhig. „Ich nehme an“, bemerkte der Arzt, „daß Sie sich nicht ein-

bilden werden, daß ich über eine derartige Summe hier im Hau-se verfüge.“

„Wir halten Sie für vernünftig genug, um zu glauben, daß Sie Ihr Geld auf einer Bank haben.“

„Also ...?“ „Sie werden die Güte haben, uns sofort einen Scheck auf die

geforderte Summe auszustellen.“ „Sie können diesen Scheck um diese Zeit nicht mehr einlö-

sen.“ „Wir werden ihn uns morgen früh bei Öffnung der Schalter

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auszahlen lassen.“ „Die Bank wird sich weigern, einen so hohen Scheck einzu-

lösen, ohne mich vorher zu befragen. Sie wird nicht glauben, daß ich plötzlich einen so hohen Barbetrag benötige.“

„Das haben wir vorhergesehen. Sobald Sie den Scheck aus-gestellt haben, werden Sie einen Brief an den Bankdirektor schreiben, in dem Sie ihm mitteilen, daß ein Scheck auf eine halbe Million zur Auszahlung präsentiert werden wird. Sie werden ihm außerdem eine überzeugende Erklärung dafür ge-ben, damit er sich über die Höhe der Summe nicht allzusehr wundert.“

„Und welche Erklärung soll ich ihm geben?“ „Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Ich werde Ihnen den

Brief diktieren. Sie unterschreiben ihn und dann bringen wir ihn zur Post.“

„Fürchten Sie nicht, daß ich, sobald Sie weg sind, an die Bank telefoniere, den Brief für ungültig erkläre und Anwei-sung gebe, den Scheck nicht auszuzahlen?“

„Sie wären dessen gewiß fähig, aber Sie werden keine Gele-genheit dazu haben.“

„Wollen Sie vielleicht solange an meiner Seite bleiben, bis der Scheck bezahlt ist?“

„Wir werden etwas viel Besseres tun und Sie gleich mit uns nehmen. Der Chef hat Ihnen ein bequemes Zimmer hergerich-tet, wo Sie ruhig die Nacht verbringen können. Wenn das Geld ohne Schwierigkeit abgehoben ist, werden Sie zur Essens-stunde wohlbehalten wieder in Ihrem Institut zurück sein.“

„Und wenn Sie das Geld nicht erhalten?“ „Warum wollen wir unbedingt von traurigen Dingen reden,

Doktor? Sie werden alles tun, daß nichts dazwischen kommt, und zwar in Ihrem eigenen Interesse ... Es wäre unangenehm für Sie, wenn der Scheck nicht eingelöst würde ... und noch schlimmer würde es sein, wenn derjenige, der ihn einkassiert,

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verhaftet werden sollte. Wo haben Sie also Ihr Scheckbuch?“ „Nur nicht so eilig“, antwortete McKinley. „Wenn man mich

zwingt, so viel Geld auszugeben, dann darf ich doch wenigstens den Namen dessen erfahren, der es von mir verlangt.“

„Wenn Sie es beruhigen sollte, dann nennen Sie mich Jack. Ich glaube, das ist mein Taufname, wenn ich heute auch eher gewohnt bin, auf den Namen Buck zu hören. Mein Begleiter heißt Jim, aber er antwortet besser auf Gummy. Da ich uns jetzt vorgestellt habe, antworten Sie mir nun auf meine vorher ge-stellte Frage.“

„Ihre beiden Namen interessieren mich nicht. Ich möchte den Ihres Chefs wissen.“

„Ah!“ murmelte Buck. „Sie sind nicht der einzige, der diesen Wunsch hat, aber es wird Ihnen leider genau so ergehen wie allen anderen: Sie werden ihn nämlich nicht erfahren.“

„In diesem Falle weigere ich mich, Ihnen den Scheck auszu-händigen.“

Die Stimme des Mannes wechselte ihre Klangfarbe. Außer-dem richtete er die Pistole mit einer unmißverständlichen Ge-bärde auf den Arzt.

„Ich habe bisher sehr viel Geduld mit Ihnen gehabt, Doktor“, sagte er. „Gewöhnlich bin ich nicht so friedlich. Ich habe Sie gefragt, wo Ihr Scheckbuch ist, und Sie werden mir jetzt sofort antworten. Wir haben schon genug Zeit verloren, und ich habe keine Lust, noch mehr zu riskieren. Damit Sie sich keine Illu-sionen machen, will ich ganz klar mit Ihnen sprechen. Mein Chef wünscht, daß wir mit dem Scheck zurückkommen, den ich von Ihnen verlangt habe. Er ist ein sehr verständiger Mann. Er weiß, daß es im Leben Augenblicke gibt, wo es besser ist, auf das Geld zu verzichten und dafür den Mann zum Schweigen zu bringen, der uns eventuell verraten könnte. Dieser Fall ist jetzt eingetreten. Ich gebe Ihnen also fünf Sekunden Zeit, um sich das zu überlegen. Sie können davon überzeugt sein, daß ich nicht

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zögern werde, die Pistole entsprechend zu verwenden, wenn Sie mich wirklich dazu zwingen. Wo ist das Scheckbuch?“

McKinley begriff, daß weiterer Widerstand lebensgefährlich war.

„Ich habe es in der Schublade“, sagte er, „und werde es Ih-nen herausgeben.“

„Halt!“ befahl Buck, als er sah, daß der Arzt die Hand nach der linken Schublade ausstreckte. „Ich selbst werde es heraus-holen. Ich bin vielleicht etwas einfältig, aber doch nicht so sim-pel, wie Sie glauben. Sollten Sie irgendwo eine Waffe versteckt haben, so möchte ich Ihnen nicht die Möglichkeit geben, sie zu gebrauchen.“

Er kam um den Tisch herum, während sein Begleiter den Arzt beobachtete. Buck machte die Schublade auf, fand das Scheckbuch und warf es auf den Tisch.

„Ist es das hier?“ fragte er. McKinley nickte bejahend mit dem Kopf. „Stellen Sie den Scheck aus!“ Der Arzt nahm die Feder, die vor ihm lag, öffnete das

Scheckbuch und schrieb schweigend. Als er fertig war, riß er das Blatt heraus und reichte es Buck hin.

„Sind Sie sicher, daß das Ihre Unterschrift ist?“ fragte der Mann.

„Was hätte ich davon, wenn ich Sie betrügen würde, da Sie mich ja mit sich nehmen?“ antwortete der Doktor.

„Solange Sie immer daran denken, wird alles gut gehen. Ich sehe, daß Sie hier eine Reiseschreibmaschine haben. Spannen Sie einen Bogen ein und schreiben Sie.“

Er begann einen Brief an den Bankdirektor zu diktieren, in dem er diesem in McKinleys Namen mitteilte, daß am folgen-den Tage ein Bote kommen und einen Scheck auf eine halbe Million zum Inkasso präsentieren werde. Wenn diese Summe auch hoch erscheine, so zweifle er doch nicht daran, daß sie so-

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fort bezahlt werden könne, denn von dieser Bezahlung hinge eine große Ersparnis mit gewissen Ausgaben zusammen, die er für Bauten des Instituts zu erlegen habe. Er fügte noch ein paar Sätze hinzu, die diese Bitte weiter rechtfertigen sollten und bat dann den Arzt, den Brief zu unterschreiben und das Kuvert fer-tigzumachen.

Er steckte den Brief in die Tasche und fragte: „Wann pflegen Sie Ihrem Personal Anordnungen zu geben,

Doktor?“ „Jeden Morgen.“ „Diesmal werden Sie eine Ausnahme machen und die An-

ordnungen für morgen schon heute abend geben. Wenn Sie von hier weggehen, ohne etwas zu sagen und sich morgen früh nicht im Institut befinden, könnte es jemandem einfallen, Ihr Ver-schwinden der Polizei bekanntzugeben. Rufen Sie, wen Sie zu rufen haben, und geben Sie Ihre Anordnungen in unserer Ge-genwart. Vergessen Sie dabei aber nicht, daß wir Sie und sämt-liche anwesenden Leute sofort niederschießen werden, falls Sie auch nur den Versuch einer verdächtigen Andeutung machen sollten. Wenn Sie dabei auch nicht an Ihr eigenes Leben den-ken, so haben Sie wenigstens Mitleid mit den anderen.“

McKinley drückte auf die Klingel, die auf seinem Tisch stand. Die beiden Männer setzten sich, und ein Angestellter trat ein.

„Bitte, sagen Sie Doktor Bellows, daß ich ihn sofort sprechen möchte“, sagte McKinley zu ihm.

Der Mann ging hinaus, und einige Minuten später trat ein äl-terer Herr ein, der einen weißen Kittel trug. Es war der An-staltsarzt.

„Doktor Bellows“, sagte der Leiter des Instituts, „diese Her-ren hier haben mir eine wichtige Botschaft gebracht, die mich leider zwingt, wegzugehen. Ich glaube nicht, daß ich vor mor-gen mittag zurück sein werde. Bis dahin müssen Sie hier die

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Leitung übernehmen. Ich habe Ihnen keine besonderen Anord-nungen zu geben. Sie wissen ja, was zu tun ist.“

„Sie können ruhig fortgehen, Doktor McKinley“, antwortete der Arzt. „Ich werde dafür sorgen, daß alles wie am Schnürchen läuft.“

„Ich danke Ihnen, Doktor.“ Der Arzt ging hinaus. Buck und Gummy erhoben sich wie-

der. „Vorwärts, Doktor“, sagte der erstere. „Setzen Sie Ihren Hut

auf und gehen Sie zur Tür. Unten wartet ein Auto auf uns. Be-nehmen Sie sich ganz natürlich. Sie können auch sprechen, wenn Sie wollen, aber vergessen Sie nicht, daß Ihnen der klein-ste falsche Schritt das Leben kostet. Sind Sie fertig?“

Der Arzt nickte bejahend mit dem Kopf. Sie gingen aus dem Büro, durchschritten einen Gang und

stiegen eine Treppe hinunter, die zu einem Seitenausgang führ-te. Dann stiegen sie durch den Garten bis an den Zaun. Drau-ßen, dicht am Bürgersteig, hielt ein Auto, an dessen Steuer ein Mann saß.

Buck öffnete den Wagen. „Setz dich neben Paddy, Gummy“ sagte er. „Ich bleibe beim

Doktor. Los, steigen Sie ein!“ McKinley zögerte einen Augenblick, als er einen harten

Druck im Rücken verspürte. Er stieß einen Seufzer aus, stieg in den Wagen und ließ sich auf den Sitz fallen. Buck setzte sich neben ihn und zog die Vorhänge herab, damit der Doktor nicht sehen sollte, wohin sie fuhren. Dann rollte der Wagen fort.

* *

*

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2. Kapitel

MILTON BESCHLIESST EINZUGREIFEN Milton Drake sah nach seiner Uhr und erhob sich aus dem Ses-sel. Es war Punkt sieben Uhr und damit die Zeit gekommen, sich umzukleiden, um das Fest zu besuchen, zu dem man einge-laden war. Langsam stieg er zu seinem Zimmer hinauf. Als er eingetreten war und die Tür geschlossen hatte, warf er wie im-mer einen Blick auf seinen Apparat. Dieser Blick war ihm be-reits zur Gewohnheit geworden, seit er Doktor McKinley den anderen Apparat gebracht hatte, damit dieser ihn jederzeit be-nachrichtigen konnte, wenn er ihm etwas Dringendes mitteilen wollte.

Sein Apparat, der auf den des Arztes ständig eingestellt war, befand sich in einer Nische des Geheimganges, der, wie unsere Leser wissen, von dem Zimmer des Multimillionärs zu dessen Garage führte.

Deshalb betrat er den großen Wandschrank, schloß die Tür hinter sich – nur so war es möglich, den Geheimgang zu öff-nen – und verschwand darin. Er glaubte nicht, eine Botschaft zu erhalten. Kaum hatte er aber zwei Schritte getan, begann sein Interesse jählings wach zu werden, denn er sah ein rotes Licht in der Nische aufleuchten. Das war das Zeichen, daß der Ap-parat daran arbeitete, eine Sendung aufzunehmen, denn das Si-gnal erschien nur dann, wenn der Apparat in Tätigkeit gesetzt wurde.

Ein Blick auf einen Zeiger genügte ihm, um zu sehen, daß der Apparat von McKinley seine Botschaft bereits übertrug, und um diese Übertragung nicht zu unterbrechen, nahm er den Kopfhörer auf, um zu lauschen, ohne daß dabei die Nieder-schrift auf dem Magnetband gestört wurde.

Das erste, was er hörte, war eine Stimme, die sagte:

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„Wir halten Sie für vernünftig genug, um zu glauben, daß Sie Ihr Geld auf einer Bank haben.“

Dann ertönte die Stimme des Doktors: „Also ...?“ „Sie werden die Güte haben, uns sofort einen Scheck auf die

geforderte Summe auszustellen.“ Milton hörte die ganze Unterredung bis zu dem Augenblick

an, in dem die unbekannte Stimme den Vorschlag machte, Mc-Kinley mit sich zu nehmen. Hier brach er ab. Er würde später noch genügend Zeit haben, sich anzuhören, was weiter gespro-chen worden war. Jetzt kam es vor allem darauf an, so schnell wie möglich zum Institut zu gelangen, bevor der Arzt noch ent-führt werden konnte.

Die Entfernung, die Milton von seinem Ziele trennte, war nicht sehr groß. Er mußte sich aber trotzdem beeilen, denn er wußte ja nicht, wie lange der Unbekannte brauchen würde, um dem Arzt den Brief an die Bank zu diktieren.

Milton verzichtete darauf, sich umzukleiden, lief die Treppe hinunter, trat aus dem Hause, vor dessen Eingangstür sein Wa-gen stand, sprang hinein und warf den Motor an. Als der Pfört-ner das Summen des Wagens hörte, öffnete er sofort das Gar-tentor.

Sobald Milton die Straße erreicht hatte, drückte er den Gas-hebel tief hinunter. Er hatte noch keinen festen Plan. Er wußte nur, daß Doktor McKinley das Opfer eines Raubes geworden war und man ihn als Geisel mitnehmen wollte, bis der von ihm unterzeichnete Scheck bezahlt worden war. Vielleicht ließ man ihn dann frei, wenn alles gut ging. Wenn aber McKinley in der Zwischenzeit unglücklicherweise etwas sah oder hörte, was seine Entführer verraten konnte, würden sie ihn wahrscheinlich kaltblütig beseitigen.

Etwa hundert Meter vor dem Institut hielt er den Wagen an und parkte ihn in einem nahen Wäldchen unter einigen Bäumen.

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Dann lief er hastig die kurze Strecke zu dem Gebäude hinüber. Vor dem Zaun des Grundstückes, das dem Arzt gehörte,

stand ein Auto. Der Chauffeur, der am Steuer saß, hatte ihn noch nicht gesehen, und obgleich Milton Drake nicht wußte, wer dieser Mann war, zog er es doch vor, kein unnötiges Risiko einzugehen. Deshalb machte er einen Umweg und hielt sich vorläufig im Schatten der Dämmerung, die sich allmählich im-mer stärker ausbreitete. Vorsichtig schlich er am Zaun entlang und suchte eine Stelle, wo er das Hindernis überklettern konnte, ohne von dem haltenden Wagen aus gesehen zu werden. Durch die Tür konnte er das Gebäude jedenfalls nicht unbemerkt be-treten.

Es blieb ihm jedoch keine Zeit, seine Absicht auszuführen, denn in diesem Augenblick sah er drei Leute den Kiesweg ent-langkommen, der zum Institut führte, und in einem von ihnen erkannte er McKinley. Soviel er wahrnehmen konnte, war man dabei, den Arzt wegzuführen, was also bedeuten würde, daß er bereits den Scheck unterzeichnet und den Brief geschrieben hatte.

Der Multimillionär drückte sich tief in den Schatten, wäh-rend er überlegte, was er nun beginnen sollte. Seine erste Ab-sicht war, die Kapuze über den Kopf zu ziehen und die Entfüh-rer mit dem Revolver in der Hand zu stellen. Aber sofort ver-warf er diese Idee wieder. Ein derartiges Unternehmen schien zu gefährlich, denn er setzte damit das Leben des Doktors un-nötig aufs Spiel. Außerdem zweifelte er daran, ob es ihm auf diese Weise gelingen würde, die beiden Leute zu überwältigen und seinen Freund zu retten, denn er mußte ja auch noch mit dem Führer des Wagens rechnen, den er von seinem Standpunkt aus gar nicht sehen konnte. Dieser würde beim ersten Alarm-zeichen sicherlich sofort eingreifen, wobei er alle Vorteile für sich hatte, da er sich hinter dem Auto zu decken vermochte.

Nun kam ihm eine bessere, wenn auch nicht weniger gefähr-

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liche Idee in den Sinn. Er ließ die drei Männer den Wagen besteigen. Als er hörte, daß der Motor lief, kam er aus seinem Versteck hervor. Gebückt, ohne gesehen zu werden, gelangte er dicht hinter den Wagen, und in dem Augenblick, als das Auto anfuhr, klammerte er sich an das rückwärts aufmontierte Reser-verad, und zwar so, daß er auch bei scharfen Kurven nicht her-abgeschleudert werden konnte. Die größte Gefahr bestand für ihn jetzt allerdings darin, daß der Wagen aus irgendeinem Grunde hielt und jemand aussteigen würde. Es war auch mög-lich, daß ihn jemand von der Straße aus sah und seine Anwe-senheit den Leuten im Wagen bekanntgeben mochte. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Gefahren in Kauf zu nehmen. Er hatte jedoch Glück, denn das Auto fuhr nicht stadt-wärts, sondern raste aus der Stadt hinaus. Auch trafen sie auf dem Wege niemanden, weder einen Fußgänger noch ein Ge-fährt. Und dann fuhren sie auch nicht weit. Wenige Kilometer von dem Institut entfernt, bog der Wagen nach rechts in einen schmalen Seitenweg ein. Etwa hundert Meter von der Landstra-ße entfernt erhob sich dort ein kleines Gebäude, das Milton bis-her immer für unbewohnt gehalten hatte.

Als er sicher war, daß hier das Ziel der Entführer sein mußte, sprang er von seinem unbequemen Sitz ab und in den Straßen-graben. Nun bestand vorläufig keine Gefahr mehr, über-raschend entdeckt zu werden. Die Nacht war gekommen, und die lebende Hecke am Wegrand hüllte ihn in ein noch tieferes Dunkel. Wie er angenommen hatte, hielt der Wagen jetzt vor dem Zaun des unbewohnten Gebäudes. Eine Person, die dort wartete, ließ das Auto einfahren.

Milton hastete schnell auf die andere Seite hinüber. Eine nicht sehr hohe Mauer umgab dort das Grundstück. Man sah die Einfriedung aber kaum, so dicht war sie mit Büschen über-wachsen. Es mußte schon viele Jahre her sein, daß diese Sträu-cher beschnitten worden waren, denn die meisten Zweige hin-

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gen bis auf den Weg herab. Er hielt sich an jene Äste, die ihm einigermaßen fest erschie-

nen, um sich an ihnen auf die Mauer hinaufzuziehen. Das Ge-räusch, das dabei notgedrungen entstand, wurde von dem noch immer laufenden Motor des Wagens übertönt.

Auf der anderen Seite der Einfriedung sprang er zwischen den Büschen hinab. Er lief nunmehr Gefahr, eher gehört als gesehen zu werden. Doch mit einiger Vorsicht gelang es ihm, bis an die unbewachte Allee heranzukommen, die durch den Park führte. Von dort sah er, wie die drei Männer vor der Tür des Gebäudes aus dem Auto stiegen. Leider war er zu weit ent-fernt, um hören zu können, was sie dabei sprachen.

Auch der Chauffeur stieg nun aus und betrat gemeinsam mit den anderen das Haus. Diesen Augenblick benutzte der Multi-millionär, um sich näher an sein Ziel heranzupirschen. Er mußte jedoch fast das ganze Gebäude umschreiten, ehe er ein erleuch-tetes Fenster fand, und dieses hatte so dichte Vorhänge, daß man nicht hineinblicken konnte. Und der Spalt, durch den der Lichtschein nach außen drang, war nicht groß genug, um ihn zur Beobachtung der Ereignisse im Innern benützen zu können.

Milton näherte sich deshalb dem nächsten Fenster und holte ein dünnes Metallstück aus seiner Tasche. Es dauerte nur einige Sekunden, bis ihm die lautlose Öffnung des Riegels gelungen war. Nun zog er die Kapuze über seinen Kopf, kletterte hinein und schloß das Fenster vorsichtig hinter sich zu. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Dunkelheit im Raum schien beinahe undurchdringlich. Er drückte sich deshalb ganz eng an die Wand und schlich behutsam an ihr entlang, um nirgends anzustoßen. Doch diese Vorsicht erwies sich als überflüssig, denn das Zimmer war völlig leer. Langsam tastete er sich wei-ter, bis er an die Tür gelangte, die auf den Gang führte. Auch dieser war dunkel, und man hörte nicht das geringste Geräusch. Wenn es irgendwo einen Wächter gab, mochte er sich vermut-

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lich im Vordertrakt des Hauses befinden. Wieder schlich Milton vorsichtig weiter, bis er die nächste

Tür erreichte. Sie war wohl verschlossen, aber trotzdem konnte man ganz deutlich hören, daß drinnen gesprochen wurde. Er preßte das Ohr ans Schlüsselloch. Ein Mann gab gerade Anord-nungen.

„Du, Buck“, sagte die Stimme, „gehst am besten den Scheck einlösen. Sobald du das Geld hast, telefonierst du mich an, und ich werde dir sagen, was weiter zu machen ist. Auf keinen Fall aber näherst du dich meinem Hause und auch nicht mir! Wenn man die Wahrheit entdeckt, wird sich die Polizei an deine Fer-sen heften, und du und jeder, der mit dir zusammen gesehen worden ist, läuft Gefahr, verhaftet zu werden.“

„Ich kann mich verkleiden, Chef“ antwortete die Stimme Bucks.

„Das ist zu gefährlich. Ich glaube nicht recht an deine Ge-schicklichkeit in dieser Hinsicht. Wenn jemand merkt, daß du verkleidet bist, ist alles verloren. Auch würde dir das sehr we-nig nützen, denn der Arzt wird, sobald wir ihn freilassen, eine genaue Beschreibung von dir geben.“

„Halten Sie es denn überhaupt für notwendig, daß der Doktor in sein Institut zurückkehrt?“ fragte eine andere Stimme.

Nun folgte ein längeres Schweigen. Dann sagte der Mann: „Der Augenblick ist noch nicht gekommen, um diese Frage

zu entscheiden. Du holst zunächst das Geld und telefonierst mir das Ergebnis. Dann ... können wir darüber weiterreden.“

„Gut, Chef. Ich werde den Brief in einen Postkasten einwer-fen, und zwar morgen ganz früh.“

„Nein, das ist falsch. Wirf den Brief sofort ein, aber geh’ morgen früh nicht vor zehn Uhr zur Bank. Wir müssen dem Direktor Zeit lassen, den Brief zu lesen und die nötigen Anord-nungen zu geben. Wenn du auch etwas warten mußt, so wirst du doch das Geld vor zwölf Uhr erhalten. Ich werde jedenfalls

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bis ein Uhr auf eine Nachricht warten. Sollte ich bis zu dieser Stunde deinen telefonischen Anruf nicht erhalten haben, so muß ich annehmen, daß die Sache schiefgegangen ist. Ich werde dann alles tun, um dich aus der Zwangslage zu befreien, in die du möglicherweise hineingeraten bist. Ist jetzt alles klar?“

„Jawohl, Chef!“ „Dann verliere keine Zeit mehr und wirf den Brief sofort in

den Kasten beim Postgebäude ein, damit er morgen früh be-stimmt an Ort und Stelle ist.“

„Ich werde es tun.“ Man hörte Schritte im Zimmer, und Milton eilte rasch zu-

rück, um sich hinter der Tür jenes Zimmers zu verbergen, aus dem er in den Gang gekommen war. Buck ging daran vorbei, ohne einen Blick in den Raum zu werfen, und Milton verzich-tete darauf, ihm zu folgen. Buck interessierte ihn vorläufig nicht. Er wußte ja ohnedies, wo er ihn am folgenden Morgen finden konnte.

Sobald die Schritte des Mannes verhallt waren, kehrte er auf den Gang zurück. Ebenso schnell mußte er aber wieder ver-schwinden, denn gerade war der Chef dabei, wegzugehen. Mil-ton zeigte diesmal noch größere Vorsicht und sprang gleich durch das Fenster in den Garten hinaus.

Buck war bereits mit dem Auto weggefahren, das vor dem Hause gewartet hatte. Würde der Chef zu Fuß fortgehen?

Wie als Antwort auf diese Frage hörte Milton plötzlich das Geräusch eines Motors von der Rückseite des Hauses her, und wenig später fuhr ein kleiner Zweisitzer vor der Türe vor. Der Mann am Steuer stieg aus und blieb neben dem Wagen stehen. Seine Gegenwart hinderte Milton daran, wieder rückwärts auf-zusteigen. Da der Mann sich auch weiterhin nicht vom Fleck rührte, beschloß der Millionär, zum Gartentor zu gehen, da er die Hoffnung hegte, daß ihm, wenn dieses geöffnet würde, ge-nug Zeit bleiben würde, um aufzusitzen.

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Doch seine Absichten ließen sich leider nicht verwirklichen. Ein Mann öffnete bereits das Gartentor und blieb dort stehen, bis der Chef der Bande hindurchgefahren war, worauf er es wieder schloß. Natürlich hatte Milton nicht abgewartet, bis es so weit war. Er hatte sich sofort in die Büsche geschlagen, die Mauer erklettert und war auf den Weg hinabgesprungen, wo er sich nun postierte.

Als der Wagen vorbeikam, versuchte er von hinten aufzu–springen, aber es gelang ihm nicht. Der Wagen fuhr zu schnell und ließ Milton mitten auf dem Wege zurück, ohne Hoffnung, ihn noch erreichen zu können und ohne den Trost, wenigstens das Gesicht des geheimnisvollen Chefs gesehen zu haben. Das Auto war in einem sehr schnellen Tempo vorbeigefahren, und die Dunkelheit war außerdem schon zu groß, als daß man von den Insassen des Gefährts auch nur eine ungefähre Vorstellung hätte erhalten können.

Enttäuscht machte Milton sich zu Fuß auf den Rückweg zum Institut. Er wußte jetzt, daß McKinley bis morgen Mittag keine Gefahr lief, und außerdem kannte er ja seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort. Es war besser, nach Hause zurückzukehren, um sich darüber zu unterrichten, was in dem Büro des Doktors wei-ter vor sich gegangen war und um zu sehen, ob er darin einen Hinweis finden konnte, der ihm gestattete, Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des geheimnisvollen Chefs zu ziehen. Schließ-lich galt es ja auch noch einen Plan für den nächsten Tag in al-ler Ruhe fertig zu machen.

Obgleich er sehr rüstig ausschritt, brauchte er doch drei–viertel Stunden, um an die Stelle zu gelangen, wo er sein Auto versteckt hatte. Mit höchster Geschwindigkeit fuhr er nach Hause und stellte kurz darauf das magnetische Band des Appa-rates ein, um sich darüber zu unterrichten, was sich ereignet hatte, bevor er den Kopfhörer aufsetzte und um auch das zu erfahren, was er nicht mehr mitanhören konnte, da er ja zum

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Institut gefahren war. Doch wie wir schon wissen, gab es nichts in der Unterredung, was etwas Licht in das Dunkel der Ge-heimnisse gebracht hätte. Auch Milton mußte dies schließlich kleinlaut zugeben.

Dann nahm er ein Bad und zog sich um, legte aber keinen Gesellschaftsanzug an. Es war schon zu spät, um zum Fest zu gehen, zu dem man ihn geladen hatte. Und auch wenn es nicht zu spät gewesen wäre, würde er auf dieses Vergnügen verzich-tet haben. Er hatte wichtigere Dinge in dieser Nacht zu erledi-gen. Morgen würde er sich dann bei den Gastgebern für dieses Versäumnis entschuldigen.

Tatsächlich hatte Milton Drake schon während des Bades ei-nen Entschluß gefaßt, und zwar den einzigen, der ihm unter diesen Umständen annehmbar erschien.

* *

*

3. Kapitel

RAWLINGS BEKOMMT EINE BOTSCHAFT VOM KAPUZENMANN

Hauptmann Rawlings, Abteilungschef der Polizei von Balti-more, wollte sich gerade nach Hause begeben, da sein Tages-dienst beendet war, als das Telefon läutete, das auf seinem Schreibtisch stand.

„Polizeibüro“, sagte er. „Ich möchte mit Hauptmann Rawlings verbunden werden“,

sagte eine Stimme. „Sie sprechen mit ihm. Wer sind Sie?“ „Das werden Sie zu gegebener Zeit erfahren. Zunächst

möchte ich Ihnen etwas sehr Wichtiges mitteilen ... “

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„Und wer zum Teufel sind Sie, daß Sie mir etwas Wichtiges mitzuteilen haben?“ wollte der Hauptmann wissen.

„Ein Freund, dem Sie dankbar sein müßten ... auch wenn ich sehr wenig von Ihrer Dankbarkeit halte. Hören Sie zu: ich muß Ihnen eine wichtige Nachricht geben. Ich will, daß Sie mich aber bis zum Ende nicht unterbrechen. Wenn Sie dieser Anwei-sung nicht folgen, könnten Sie die ganze Sache verderben. Ha-ben Sie mich verstanden?“

„Ich habe vollkommen verstanden, was aber nicht bedeuten soll, daß ich Ihrem Rate folge. Gestatten Sie mir, daß ich selbst beurteile, was ich zu tun habe.“

„Wenn Sie mir nicht folgen wollen“, ließ sich die Stimme wieder vernehmen, „werden Sie die Schuld am Tode eines Menschen auf Ihr Gewissen laden. Denken Sie daran, bevor Sie eine Unvorsichtigkeit begehen.“

„Wollen Sie endlich Ihre langen Vorreden lassen und auf den Kern der Sache kommen?“ rief der Hauptmann wütend aus.

„Sehr gern. Doktor McKinley ist entführt worden.“ „Wie?“ rief Rawlings. „Was haben Sie gesagt?“ „Ich habe gesagt, daß Doktor McKinley entführt worden ist.“ „Wann?“ „Vor drei oder vier Stunden.“ „Von wem?“ „Ich weiß es nicht.“ „Von wo wurde er entführt?“ „Von seinem Institut.“ „Woher wissen Sie das?“ „Ich habe es gesehen.“ „Und da haben Sie drei Stunden gebraucht, um den Fall an-

zuzeigen?“ „Ja und keine weniger.“ „Ich werde ein paar Agenten nach dem Institut schicken.“ „Todesgefahr!“

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„Eh!“ „Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie vorsichtig sein sollen.

Ihre Leute werden im Institut nichts anderes ausrichten, als das Leben des Doktors in Gefahr bringen.“

„Worum handelt es sich? Wollte man mit der Entführung Lösegeld erpressen? Sind Sie vielleicht der Entführer?“

„Ich bin weder der Entführer, noch handelt es sich um ein Lösegeld. Soll ich Ihnen genau erzählen, was geschehen ist?“

„Sprechen Sie, oder besser, warten Sie einen Augenblick. Ich will mir Tinte und Feder holen, um ihre Mitteilung zu notie-ren.“

„Spielen Sie nicht den Einfältigen, Hauptmann. Sie wollen nichts anderes tun, als Order geben, daß Ihre Leute feststellen, von wo ich jetzt telephoniere, um mir den Rückweg abzu-schneiden, während Sie mich in ein langes Gespräch verwic-keln. Das wird Ihnen nicht gelingen. Ich habe diesen Fall vo-rausgesehen und alles, was Sie in dieser Beziehung unterneh-men, bedeutet nur Zeitverlust.“

Rawlings biß sich auf die Lippen. Der Unbekannte hatte tat-sächlich seine Absicht erraten. Deshalb sagte er:

„Wir verlieren wirklich unnütz unsere Zeit. Daß Sie so viele Umwege machen, erscheint an sich verdächtig. Wer garantiert mir, daß es sich nicht um einen schlechten Scherz handelt? Ich muß mich vorerst mit dem Institut in Verbindung setzen, um festzustellen, ob das zutrifft, was Sie mir sagen.“

„Im Institut weiß man gar nicht, daß der Doktor entführt worden ist. Andererseits müssen Sie zugeben, Hauptmann, daß ich Sie nie belogen habe, wenn ich Ihnen etwas anzeigte.“

„Sie haben mich niemals belogen? Demnach telefonieren wir also nicht das erstemal zusammen? Wollen Sie mir nun nicht bitte endlich den Gefallen tun und mir sagen, wer Sie sind?“

„Regen Sie sich nicht unnötig auf, Hauptmann. Man muß sehr viel Geduld und Gleichmut besitzen, um einen Beruf wie

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den Ihren mit Erfolg meistern zu können. Haben Sie immer noch nicht erraten, wer ich bin?“

„Wenn Sie klarer mit mir sprechen würden ... “ „Ich bin der Kapuzenmann.“ „Der Kapuzenmann!“ „Ja, warum tun Sie plötzlich so erstaunt? Ich habe doch mehr

als einmal bewiesen, daß ich ein Freund der Polizei bin.“ „Und auch ein Verbrecher“, antwortete Rawlings. „Ich zwei-

fle daran, daß Ihre Freundschaft Sie vor dem Zuchthaus rettet, wenn ich eines Tages die Hand auf Ihre Schulter lege.“

„Mir geht es genau so“, gab der Kapuzenmann zu. „Deshalb sorge ich dafür, daß Sie mich nicht erwischen. Aber wollen Sie, daß ich nun weitererzähle oder nicht?“

„Reden Sie weiter! Bis jetzt haben Sie allerdings nichts ande-res getan als viel gesprochen und doch nichts gesagt.“

„Was eine ganz besondere Geschicklichkeit erfordert“, be-merkte der Kapuzenmann. „Aber lassen wir diese philosophi-schen Randbemerkungen. Doktor McKinley bekam heute nachmittag Besuch. Ich glaube in der Lage zu sein, Ihnen fast wörtlich genau die Unterhaltung wiederzugeben, die man mit dem Arzt hatte. Und wenn Sie es gestatten, will ich es tun.“

Nun erzählte der geheimnisvolle Kapuzenmann Rawlings al-le jene Einzelheiten, die wir bereits wissen.

„Wenn Sie an der Sicherheit McKinleys so interessiert sind“, bemerkte der Hauptmann, als der andere geendet hatte, „warum kamen Sie dann nicht aus Ihrem Versteck hervor und halfen ihm gegen jene Männer?“

„Ich befand mich in keinem Versteck.“ „Aber Sie waren doch im Büro des Doktors.“ „Ich erinnere mich nicht daran, etwas Derartiges gesagt zu

haben. Die reine Wahrheit ist die, Hauptmann, daß ich mich weit von dem Ort entfernt befand, an dem gesprochen wurde.“

„Wieso wissen Sie dann, was die Leute sagten?“

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„Ich verfüge über Hilfsmittel, die Sie nicht besitzen.“ „Welche Hilfsmittel sind das?“ „Das tut nichts zur Sache. Das was Sie wissen müssen, haben

Sie ja jetzt erfahren.“ „Das genügt nicht. Ich verstehe vollkommen die Bedeutung

Ihrer ersten Bemerkung. Auch wenn Sie sie nicht gemacht hät-ten, wäre meine Ansicht dieselbe gewesen. Wir kennen die Bank McKinleys und können den Mann festnehmen, wenn er den Scheck „einlösen will. Aber wir werden es nicht tun, denn der Doktor müßte die Folgen tragen. Es bleibt nur eine Mög-lichkeit, wir müssen dem Mann das Geld auszahlen lassen und ihm dann zu seinem Schlupfwinkel folgen.“

„Der Mann wird Sie nicht an den Ort führen, wo man den Doktor gefangenhält.“

„Woher wissen Sie das?“ fragte der Polizist. „Ich habe Ihnen noch nicht den zweiten Teil erzählt. Ob-

gleich ich mich ziemlich weit vom Institut befand, kam ich doch noch zur rechten Zeit, um den Doktor mit seinen beiden Entführern hinausgehen zu sehen.“

„Folgten Sie ihnen?“ „Natürlich.“ „Dann wissen Sie also, wo sich der Doktor befindet?“ „Ja.“ „Wo?“ Der Kapuzenmann gab ihm die Adresse und beschrieb das Haus. „Was gedenken Sie zu tun?“ fragte er dann. „Ich glaube, daß Sie das nicht zu wissen brauchen.“ „Und ich glaube, Hauptmann, daß es besser wäre, wenn Sie

es mir doch sagen würden. Ich habe über die Angelegenheit nachgedacht und das Terrain sondiert. Wenn es irgendeinen schwachen Punkt in Ihrem Plan gäbe, könnte ich Sie darauf aufmerksam machen.“

„Schön, ich werde es Ihnen sagen“, sagte der Polizist übelge-

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launt. „Ich werde das Gelände umstellen und alle, die sich dar-innen befinden, festnehmen lassen.“

„Aber bitte nicht jetzt“, bemerkte der Kapuzenmann sanft. „Warum denn nicht?“ „Weil es sehr leicht möglich ist, daß Buck in Verbindung mit

seinen Komplicen steht und sie rechtzeitig benachrichtigt, damit diese sich retten können. Das Haus darf meines Erachtens nicht vor morgen früh um halb elf Uhr besetzt werden. Um diese Zeit wird Buck bereits in der Bank sein, und man kann ihn dort fest-nehmen. Denken Sie immer daran, daß der Chef sich in Balti-more befindet und aufpassen wird. Wenn man nicht alle Ver-haftungen zu gleicher Zeit vornimmt, wird er Zeit haben, den einen oder andern zu warnen.“

„Sie haben recht, aber eine andere Sache beunruhigt mich: sind Sie gewiß, daß die Leute das Leben McKinleys respek-tieren werden, bis sie Nachricht von Buck haben?“

„Ich glaube, ja.“ „Besteht nicht die Möglichkeit, daß sie den Arzt töten, so-

bald wir das Haus zu besetzen beginnen?“ „Diese Möglichkeit besteht, aber lassen Sie das nur meine

Sorge sein. Im kritischen Augenblick werde ich mich an die Seite des Doktors stellen, um ihn zu beschützen.“

„Wissen Sie auch, welche Gefahr Sie dabei laufen, Kapu-zenmann?“

„Natürlich, Hauptmann.“ „Wenn ich nämlich in das Haus komme und Sie dort finde,

bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu verhaften, trotzdem ich Ihnen die Gefangennahme der Bande verdanke.“

„Ich verstehe das sehr gut und bestätige ergebenst ihre War-nung.“

„Der Chef dieser Leute ...“ begann Rawlings. Er unterbrach sich und unterdrückte einen Fluch, denn der

Kapuzenmann hatte abgehängt.

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Auch Rawlings legte den Hörer auf. Dann blieb er etwa eine halbe Stunde in tiefe Gedanken versunken. Schließlich erhob er sich und verließ, ohne einen Befehl gegeben zu haben, das Kommissariat. Es waren einige Zweifel in ihm aufgestiegen, und er wollte nicht das Risiko laufen, daß ihm die Verbrecher durch die Finger schlüpften. Inspektor Grimm würde ihm dabei sicherlich helfen können. Wenn dieser Fall auch ganz in den örtlichen Bereich fiel und nicht in den des Bezirksinspektors, so gab es doch einen Grund, mit ihm zusammenzuarbeiten: näm-lich die Tatsache, daß der Kapuzenmann in diese Angelegenheit verwickelt war.

Oliver Grimm, der den offiziellen Auftrag hatte, den ge-heimnisvollen Kapuzenmann zu suchen und festzunehmen, würde die neue Gelegenheit, seinem Feinde gegenübertreten zu können, nur begrüßen. Zuerst hatte Rawlings Gewissensbisse gehabt, denn gerade in dem vorliegenden Falle stand der Kapu-zenmann ja auf der Seite der Polizei. Aber schließlich besiegte er seine Skrupel, denn er sagte sich, daß der Kapuzenmann doch wissen mußte, welcher Gefahr er sich aussetzte. Außer-dem war er gewarnt worden, daß er sofort verhaftet werden würde, falls er in dem Hause der Entführer angetroffen werden sollte.

* *

*

4. Kapitel

STURM AUF DAS ENTFÜHRERNEST

Oliver Grimm befand sich in seiner Wohnung, als ihm der Be-such des Hauptmanns gemeldet wurde. Da er Rawlings genü-gend kannte, um zu wissen, daß es diesem niemals einfallen

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würde, ihn zu so später Stunde aufzusuchen, wenn nicht etwas ganz Außergewöhnliches geschehen sein mochte, ließ er ihn sofort ins Eßzimmer bitten.

„Nehmen Sie Platz, Hauptmann“, sagte er, „und gestatten Sie, daß ich weiteresse, während ich Ihnen zuhöre. Was wollen Sie trinken? Kaffee? Likör? Sherry?“

„Sherry, und zwar möglichst trockenen“, antwortete der Hauptmann und ließ sich seinem Gastgeber gegenüber in einen Sessel fallen.

Der Sherry wurde serviert. „Was ist los, Hauptmann?“, fragte Grimm, als der Diener

sich zurückgezogen hatte. „Ich habe eine Botschaft vom Kapuzenmann erhalten.“ Grimm blieb vor Erstaunen der Bissen im Halse stecken,

dann erhob er den Kopf und rief aus: „Es ist schon eine ganze Weile her, seit wir von diesem un-

angenehmen Kerl gehört haben.“ Er aß weiter und wartete, bis der andere in seinen Mitteilun-

gen fortfuhr. „Diesmal“, meinte der Hauptmann, „scheint er sich ganz auf

unsere Seite gestellt zu haben.“ „Wahrscheinlich vertraut er darauf, daß es ihm damit gelingt,

uns seine Verbrechen vergessen zu machen und etwas toleranter mit ihm umzugehen.“

Der Hauptmann antwortete auf diesen Einwurf nicht. Er be-schränkte sich lediglich zu sagen:

„Doktor McKinley ist entführt worden.“ Grimm ließ die Gabel fallen und sah sein Gegenüber entsetzt

an. „Sind Sie dessen sicher?“ wollte er wissen. „Der Kapuzenmann hat es mir gesagt.“ Der Inspektor setzte die unterbrochene Mahlzeit fort und

knurrte:

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„Es wäre besser, wenn Sie mir alles von Anfang an erzählen würden. Auch möchte ich gerne wissen, was Sie von mir erwar-ten und weshalb Sie eigentlich zu mir gekommen sind.“

Der Hauptmann ließ sich nicht lange nötigen. Schnell, und mit so wenig Worten als möglich, berichtete er alles, was ihm der Kapuzenmann am Telefon gesagt hatte.

„Die Entführung an und für sich“, schloß er, „ist ausschließ-lich meine Angelegenheit. Aber ich nahm an, daß Sie gern an der Verhaftung der Bande teilnehmen würden, da die Wahr-scheinlichkeit besteht, daß wir dabei auch den Kapuzenmann fassen können. Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß ich mir beinahe wie ein Judas vorkomme. Nach all der Hilfe, die uns dieser Mann in dieser Angelegenheit zuteil werden ließ, ist es kein sehr faires Spiel.“

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„Aber sagten Sie nicht, daß Sie den Kapuzenmann darauf aufmerksam gemacht haben, daß Sie nicht zögern würden, ihn zu verhaften, wenn sich die Gelegenheit dazu ergäbe?“

„Ja, das sagte ich.“ „In diesem Falle brauchen Sie sieh demnach keine Gewis-

sensbisse machen. Sie haben ihm Ihre Absicht mitgeteilt und konnten also gar nicht fairer handeln. Wenn er trotzdem darauf besteht, sich in diese Gefahr zu begeben, so ist das seine Sache. Ich selbst habe gar keine Skrupel. Ich will den Kapuzenmann verhaften, und um das zu erreichen, werde ich überall dort hin-gehen, wo dies möglich ist ... Haben Sie schon an das Institut telefoniert?“

„Nein, Inspektor. Ich hielt mich dabei an die Instruktionen des Kapuzenmannes. Er meinte ...“

„Sie haben mir seine Meinung schon mitgeteilt“, unterbrach ihn der andere. „Wir müssen uns aber auf alle Fälle vergewis-sern. Es wäre bedauerlich, wenn wir ohne jede Nachfrage ganz einfach auf den Leim gehen würden.“

Er beendete sein Abendessen schneller als gewöhnlich und lud dann den Besucher ein, ihm in sein Büro zu folgen. Dort hob er den Telefonhörer ab und wählte die Nummer des Instituts.

Während er wartete, fragte er: „Welche Freunde hat McKin-ley?“

„Er kennt halb Baltimore“, antwortete Rawlings, „das wissen Sie genau so gut wie ich. Einer seiner besten Freunde ist der Multimillionär Milton Drake. Und ...“

Grimm unterbrach ihn mit einer Handbewegung und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Telefon.

„Hallo! Hören Sie! Ist dort das Institut von McKinley? ... Bitte, verbinden Sie mich mit Doktor McKinley ... Wer ich bin? ... Sagen Sie ihm, daß es sein Freund Milton Drake ist. Wie bit-te? ... Er ist nicht da? Sagen Sie ... Wann wird er zurück sein? ... Morgen Mittag erst? ... Danke ... Gab er an, wohin er gegangen

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ist? ... Ich möchte gern eine wichtige Angelegenheit mit ihm besprechen. Wenn Sie ihn irgendwo erreichen könnten ... Ja, ich verstehe ... Da ist also nichts zu machen ... Ich werde morgen nachmittag wieder anrufen ... Sollte er inzwischen kommen, sagen Sie ihm, bitte, daß ich telefoniert habe. Gute Nacht.“

Er hängte den Hörer auf. „Der Kapuzenmann scheint die Wahrheit gesagt zu haben,

Hauptmann. McKinley ist in Begleitung von zwei Leuten weg-gegangen, ohne zu sagen wohin. Er äußerte, daß er vor morgen Mittag nicht zurück sein werde.“

Grimm dachte einen Augenblick lang nach. „Der Plan, den Sie mir auseinandergesetzt haben, Rawlings“,

sagte er dann, „ist nicht schlecht. Aber wir können ihn noch um einiges verbessern.“

„Wie?“ „Indem wir Buck gestatten, daß er mit dem Geld die Bank

verläßt und an seinen Chef telefoniert, bevor wir ihn festneh-men. In dem Augenblick, wo er sich einer Telefonzelle nähert, benachrichtigen wir die Zentrale, um festzustellen, mit welcher Nummer er spricht. Es wäre doch schade, wenn Sie die Bande erwischen würden und der Chef dabei durch die Lappen ginge.“

„Sie haben recht“, gab Rawlings zu. „Ich finde diese Abän-derung sehr zweckmäßig.“

„Wir werden jetzt gleich alles ganz genau besprechen. Falls Sie nichts dagegen haben, möchte ich Ihnen erklären, wie ich die ganze Sache anfassen würde. Sie können mir dann sagen, ob Sie mit meinem Plan einverstanden sind oder nicht.“

„Bitte sehr.“ „Die Leute, die Sie dazu bestimmen, das Gebäude zu umstel-

len, in dem sich McKinley befindet, müssen ihre Posten kurz vor Morgengrauen beziehen, um nicht bemerkt zu werden.“

„Einverstanden.“ „Das Unangenehme daran ist, daß die armen Kerle viele

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Stunden aushalten müssen, was ihrer Laune nicht gerade zu-träglich sein dürfte.“

„Die privaten Gefühle meiner Leute haben nichts mit der Angelegenheit zu tun. Sie werden das ausführen, was ich ihnen befehle.“

„Also gut. Am besten dürfte es sein, wenn Sie Anweisung geben, daß sich Ihre Leute zu meiner Verfügung halten. Es ist nicht notwendig, daß wir beide hingehen. Einer von uns muß in der Stadt sein, um sich zu vergewissern, daß die Agenten ent-sprechend vorsichtig handeln, Ich glaube, Sie sind geeigneter, die Verhaftung Bucks zu überwachen, sobald er telefoniert hat, während ich aus dem begreiflichen Interesse für den Kapuzen-mann am besten dort tätig bin, wo dieser sich aufhält.“

„Ich bin mit allen Ihren Maßnahmen durchaus einverstanden. Wann wollen Sie das Haus besetzen? “

„Punkt elf Uhr. Noch eines: es wird kaum möglich sein, daß wir uns in letzter Minute in Verbindung setzen, um die Verhaf-tung gleichzeitig vorzunehmen. Wir müssen das dem Zufall überlassen, denn wir wissen ja nicht genau, wenn Buck er-scheint. Auf keinen Fall wird es jedoch vor zehn Uhr sein, da es ihm sein Chef ja so befohlen hat. Er wird also sicher etwas spä-ter kommen. In der Bank wird es immerhin einige Minuten dauern, und dann wird er zum Telefon gehen. Wenn es nicht genau um elf Uhr ist, daß Sie ihn verhaften können, so wird es doch kurz vor oder kurz nach elf sein. In beiden Fällen werden die Leute aber nicht genügend Zeit haben, sich gegenseitig zu verständigen. Meinen Sie nicht auch?“

Rawlings nickte bejahend mit dem Kopf. „Mir fällt nichts Besseres ein“, antwortete er. „Schon, geben Sie Ihren Leuten die entsprechenden Befehle.

Ich werde rechtzeitig dort sein, um den Sturm auf das Entfüh-rernest zu leiten. Wir sehen uns dann auf der Polizei, sobald die Verhaftungen durchgeführt sind.“

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* *

* Milton Drake kannte Hauptmann Rawlings sehr gut, beinahe so gut wie Inspektor Oliver Grimm. Daher war es gewiß, daß Rawlings nichts unternehmen würde, ohne sich vorerst mit Grimm in Verbindung zu setzen, der sofort an der Sache teil-nehmen würde, sobald er erführe, daß der Kapuzenmann darin verwickelt war. Grimm würde alsdann den Oberbefehl über-nehmen ... und der Inspektor war viel gefährlicher als der Hauptmann.

Grimm war klug genug, um sehr rasch zu erkennen, daß die beste Möglichkeit, die Polizeiagenten zu postieren, darin lag, daß er sie vor Morgengrauen das Haus umstellen ließ. Nicht viel früher, aber jedenfalls noch während der Dunkelheit, damit sie nicht bemerkt würden. Das war eine Schwierigkeit mehr für Milton, aber er hatte sie vom ersten Augenblick an in seinem Plan einkalkuliert.

Wenn er sich erst in letzter Minute zu dem unbewohnten Haus begab, lief er nunmehr große Gefahr, nicht hinein-zukommen. Deshalb mußte er die Nacht etwas unbequemer verbringen, als es sonst notwendig gewesen wäre.

Er aß ohne Eile und zog sich dann auf sein Zimmer zurück, in dem er aber nur so lange blieb, bis er sich umgekleidet hatte. Als er damit fertig war, verschloß und verriegelte er die Tür von innen und betrat durch den Kleiderschrank den Geheimgang, der zu seiner Garage führte. Wenige Minuten später verließ ein kleiner Zweisitzer das Grundstück. Dank der tief in die Stirn gezogenen Mütze hätte niemand, der ihm zufällig begegnet wä-re, Milton erkannt.

Er fuhr nach dem Institut hinaus und schnell daran vorbei. Er hielt nirgends und verlangsamte die Fahrt auch nicht, bis er an

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den Weg kam, der sich in der Nähe des Gebäudes befand, in dem McKinley gefangengehalten wurde. Er fuhr ein Stück auf diesem Weg weiter und etwa hundert Meter abseits der Land-straße stieg er aus und verbarg den Wagen zwischen einigen Gebüschen.

Dann ging er zu Fuß zur Landstraße zurück, folgte ihr bis zum nächsten Weg und pirschte sich bis zu der Stelle hin, wo er am Abend schon einmal über die Mauer geklettert war. Wieder stieg er hinüber, ohne daß irgendein Alarmzeichen ertönte.

Er näherte sich dem Hause. Kein Mensch war zu sehen. Aber deswegen fühlte sich Milton noch lange nicht sicher. Er war davon überzeugt, daß man eine Wache aufgestellt habe, und wenn er im Park blieb, lief er Gefahr, noch vor dem Morgen-grauen entdeckt zu werden. Außerdem war es unbedingt not-wendig, daß er sich ins Haus begab, wenn er seinen Freund be-schützen wollte. Und zwar mußte er das noch im Laufe der Nacht tun, denn am Tage würde es so gut wie unmöglich sein. Diese Notwendigkeit erschreckte ihn nicht. Die Entführer wür-den vermutlich nur ein paar Zimmer besetzt halten. Er konnte sich also in einem der leeren Räume verbergen, und es war ziemlich unwahrscheinlich, daß er zu dieser Stunde dort über-rascht werden würde.

Das Fenster, das er zu seinem ersten Einstieg benutzt hatte, war nur angelehnt. Niemand hatte in der Zwischenzeit nachge-sehen, ob es tatsächlich gut verschlossen war. Er öffnete es und kletterte lautlos hinein. Horchend blieb er an der Tür zum Gang stehen. Nach ungefähr einer Minute hörte er das Geräusch eines knarrenden Stuhles und schloß daraus, daß offenbar eine Wache in der Vorhalle in der Nähe der Eingangstür postiert war.

Er trat auf den Gang hinaus und ging vorsichtig nach dem Hintertrakt des Hauses weiter. Jedesmal, wenn er an einer Tür vorbeikam, blieb er stehen und lauschte. Da er nichts Verdäch-tiges hörte, mußten alle Entführer bei ihrem Gefangenen im

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Vordertrakt des Hauses sein oder sich gegenwärtig im Ober-stock aufhalten.

Milton ging langsam wieder zurück. Fünf Schritte von dem Raum entfernt, durch dessen Fenster er eingestiegen war, mach-te der Gang eine kleine Biegung. Bisher war ihm diese Tatsache in der tiefen Dunkelheit entgangen, aber nun merkte er es, denn er sah einen fahlen Lichtschimmer, der von einer Petroleum-lampe herrührte, die nach drei Seiten abgedeckt war, so daß das Licht sich nicht ausbreiten konnte. Sie hing an der Wand der Vorhalle und ließ die Beine eines Mannes sehen, der nicht weit davon auf einem Stuhl saß. Die Gestalt und das Gesicht des einsamen Wächters aber vermochte er nicht zu erkennen.

Milton vergewisserte sich, daß die Kapuze gut paßte und schlich, dicht an die Wand gedrückt, mit angehaltenem Atem weiter. In der Hand hielt er eine kleine Spritze, die er immer in solchen Fällen benutzte. Soweit dies, ohne Aufsehen zu erre-gen, möglich war, näherte er sich der Vorhalle. Dann streckte er die rechte Hand aus, drückte auf den Kolben der Spritze und schützte gleichzeitig mit der linken Hand Nase und Mund.

So beharrte er einige Augenblicke lang. Dann ließ er die Hand von seinem Gesicht sinken und steckte die kleine Kri-stallspritze, die er eben benutzt hatte, wieder in die Tasche. Er hatte ein geruchloses Gas verwendet, das jeden, der es einatme-te, in einen tiefen Dämmerzustand versetzte, der aber nur relativ kurze Zeit anhielt. Den Wächter schien er ohnedies im Schlaf überrascht zu haben, denn er hatte bisher keine Bewegung sei-ner Beine wahrgenommen.

Milton wartete einige Augenblicke und wagte es dann, weiter vorzugehen. Dabei hielt er für alle Fälle die Pistole schußbereit in der Hand. Aber er benötigte sie gar nicht. Das Gas hatte seine Wirkung bereits getan. Der Wachposten saß auf seinem Stuhl, atmete schwer und schien in tiefer Betäubung zu liegen. Mögli-cherweise würde dieser Zustand ungefähr eine halbe Stunde

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andauern. Wenn der Mann dann erwachte, würde er keine Nachwirkung spüren, die ihn vermuten ließ, daß man ihn künst-lich eingeschläfert hatte. Er würde bestenfalls glauben, außer-gewöhnlich tief geschlummert zu haben.

Die Durchsuchung der vorderen Räume dauerte nur wenige Minuten. Beide waren leer. Milton stieg nun vorsichtig die Treppe zum Oberstock hinauf. Als er zum Treppenabsatz ge-langte, gewahrte er eine brennende Petroleumlaterne wie im unteren Stockwerk. Auf den Gang mündeten verschiedene Tü-ren, und es war unschwer zu erraten, hinter welcher McKinley gefangen war, da diese von einem Mann bewacht wurde. Dieser Posten schlief gegenwärtig im Vertrauen auf den Wächter im unteren Stockwerk sehr friedlich. Allerdings hatte er vor-sichtigerweise seinen Stuhl so an die Tür gestellt, daß er bei ihrem Öffnen sofort erwachen mußte.

Der Multimillionär blieb vor der ersten Tür des Korridors stehen und lauschte. Er hörte deutlich ein regelmäßiges Atmen. In diesem Raum befand sich also irgend jemand. Er horchte an der zweiten Tür. Kein Geräusch drang aus dem Raum. Also öff-nete er sie leise und horchte wieder. Nichts war zu vernehmen.

Milton wagte es deshalb, seine Taschenlampe zu entzünden, deren Linse er jedoch mit der Hand bedeckte, so daß der Licht-kegel nur auf den Boden fiel. Der Raum war leer und unmö-bliert. Er trat ein und schloß die Tür hinter sich.

Niemandem würde es einfallen, zu vermuten, daß sich hier eine fremde Person befand. Aber um ganz sicherzugehen, schob er leise den Riegel vor und nahm dann auf dem Fußboden Platz. Hier wollte er warten, bis der Morgen graute.

Langsam schlichen die Stunden dahin. Milton wechselte mehrmals seine unbequeme Stellung, er stand auf, setzte sich wieder nieder und wiederholte dieses Gehaben einige Male. Es sollte ihm helfen, die Schläfrigkeit zu überwinden.

Um sich irgendwie zu zerstreuen, begann er nachzudenken.

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Und seine Gedanken folgten wieder den gleichen Pfaden, die sie stets nahmen, wenn er sich auf einer seiner gefährlichen Un-ternehmungen befand. Immer wieder mußte er an jenes Wesen denken, von dessen Einfluß er sich nie ganz frei machen konn-te. Es war die Rote Schlange, jene geheimnisvolle Frau, die stets in Rot gekleidet auftrat und für die er so gerne jedes nur erdenkliche Opfer gebracht hätte. Einmal war ihm diese Gele-genheit geboten worden, ihre wahre Persönlichkeit beinahe zu enthüllen, aber seine Ritterlichkeit hatte es ihm verwehrt, diese Chance auszunützen. Vielleicht würde sich eine solche Gele-genheit nie wieder finden. Es konnte ja sein, daß die Rote Schlange eines Tages so unvermittelt aus seinem Leben schwand, wie sie darin erschienen war.

Eine Zeitlang beschäftigten Milton diese Gedanken unauf-hörlich. Er ließ sich von seiner Phantasie in die kühnsten Träu-me entführen. Das Schweigen und die Dunkelheit hüllten ihn ein, und, seinen süßen Visionen hingegeben, merkte er gar nicht, daß aus ihnen allmählich ein tiefer Schlaf wurde.

Plötzlich erwachte er und sah sich benommen um. Es dauerte geraume Zeit, bis er erkannte, wo er sich eigentlich befand. Draußen graute es schon. Dämmeriges Tageslicht fiel durch die halbblinden Fenster. Der Raum, bar jeder Möbel, war mit einer dicken Staubschicht überzogen, die sich auch den Kleidern des Kapuzenmanns mitgeteilt hatte.

Langsam stand er auf und näherte sich der Tür. Der Stuhl, der vor der Tür des Nebenzimmers stand, hatte sich bewegt, und deshalb war Milton aus seinem Schlafe aufgeschreckt. Er hörte Stimmen, aber er konnte die einzelnen gesprochenen Worte nicht unterscheiden. Dann entfernten sich eilige Schritte. Die Tür zum Nebenzimmer wurde geöffnet. Man hörte das Klappern von Töpfen, das Schließen einer Tür und das Quiet-schen eines Schlüssels. Wahrscheinlich hatte man dem Gefan-genen das Frühstück gebracht.

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Der Kapuzenmann ging möglichst geräuschlos im Zimmer auf und ab, um den Schlaf aus seinen Beinen zu vertreiben. Es war acht Uhr morgens. Er rechnete bestimmt damit, daß die Polizei das Haus nicht vor halb elf besetzen würde.

Während der folgenden zweieinhalb Stunden hörte er ab und zu den Mann, der den Gefangenen bewachte, auf und ab pa-trouillieren. Einmal öffnete sich eine andere Tür, und man hörte die Schritte mehrerer Personen. Aus der Art, wie sie den Wäch-ter begrüßten, schloß Milton, daß es Leute waren, die von drau-ßen kamen.

Wenn man annahm, daß die Nachtwache bereits abgelöst war und jetzt schlafen würde, dann müßten sich etwa sechs Männer im Hause befinden: zwei, die schliefen, zwei, die Wache hiel-ten, und die beiden, deren Stimme und Schritte er gerade gehört hatte. Glücklicherweise schienen die Männer, die jetzt als Wachposten eingeteilt waren, das Erdgeschoß zu bevorzugen, so daß Milton sich im entscheidenden Augenblick nur einem Gegner und schlimmstenfalls noch den beiden gegenwärtig Schlafenden gegenübersehen würde, falls letztere durch das Geräusch eines Kampfes geweckt werden sollten. Er konnte allerdings mit dem Moment der Überraschung als einem guten Verbündeten rechnen. Und dieser Vorteil würde um so wirksa-mer sein, je unvermittelter er den Wächter zu überrumpeln ver-mochte, was aber wiederum davon abhing, ob ihm dieser den Rücken zudrehte oder nicht, wenn er aus seinem Versteck her-vorkam.

Um zehn Uhr fünfundzwanzig postierte sich der Kapuzen-mann mit der Pistole in der Hand an der Tür. Buck würde nun bereits in der Bank eingetroffen sein. Auch die Polizei, die das Haus umstellen sollte, konnte jeden Augenblick mit dem An-griff beginnen.

Es schlug jedoch halb elf Uhr, ohne daß sich irgend etwas ereignete. War also irgendein Hindernis dazwischengekom-

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men? Nein, das konnte nicht sein. Wenn Grimm die Angele-genheit in die Hand nahm – und Milton war sicher, daß er es getan hatte – dann würden sich die Dinge so entwickeln, wie sie geplant waren. Was aber bedeutete diese Verzögerung? Sie konnte nur erklärt werden, daß Grimm die Stunde des Angriffs verschoben hatte. Der Inspektor wollte wahrscheinlich sicher-gehen, um Buck genügend Zeit zu lassen, den Scheck einzulö-sen. Es war daher möglich, daß er mit Rawlings übereingekom-men war, erst um dreiviertel oder elf Uhr das Unternehmen zu beginnen. Doch wie dem auch immer sein mochte, Milton wür-de eben bis um elf Uhr warten, ohne noch selbst in Aktion zu treten. Sollte aber auch um diese Zeit nichts geschehen, dann mußte er annehmen, daß tatsächlich etwas Unvorhergesehenes dazwischengekommen war und auf eigene Faust handeln.

Dreiviertelelf. Der Wächter hatte sich wieder von seinem Stuhl erhoben und ging im Korridor auf und ab. Die Sekunden und Minuten verstrichen in lähmender Langsamkeit. Vom Erd-geschoß war bis jetzt niemand mehr heraufgekommen.

Sieben Minuten vor elf. Der Wächter passierte auf seinem Rundgang die Tür des Raumes, in dem sich Milton befand und machte dann wieder kehrt. Wenn es Milton im entscheidenden Augenblick gelang, den Mann in der Nähe der Tür von rück-wärts zu erreichen, so konnte alles glatt vonstatten gehen. Es war aber sehr unwahrscheinlich, daß so günstige Möglichkeiten sich gleichzeitig ergeben würden.

Milton war jedenfalls fest entschlossen, um elf Uhr zu han-deln. Warum sollte er noch länger warten? Weshalb war es nicht besser, einen günstigen Augenblick sofort auszunützen? Er entschloß sich deshalb, in dem Moment zu handeln, wenn der Mann wieder an seiner Türe vorbeikam.

Einige Sekunden verstrichen. Die Schritte des Mannes näher-ten sich. Vor der Tür blieb er stehen und wandte sich wieder um.

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Milton öffnete die Tür, sah den Rücken des Mannes vor sich und tat einen Schritt auf ihn zu.

Der Instinkt mußte aber den Wachposten vor einer Gefahr gewarnt haben, denn in diesem Augenblick drehte er sich blitz-schnell zurück. Vor sich sah er die Pistole des Maskierten. Er öffnete den Mund, um einen Schrei auszustoßen und versuchte dabei gleichzeitig dem Schlag zu entgehen, der ihm zugedacht schien, aber es war schon zu spät. Der Lauf der Waffe traf ihn an der Schläfe. Seine Beine knickten ein. Milton konnte den torkelnden Mann gerade noch auffangen, ehe dieser schwer zu Boden stürzte.

Er zerrte den Bewußtlosen in den Baum, den er gerade ver-lassen hatte und näherte sich dann schnell der Tür des Neben-zimmers. Der Schlüssel steckte im Schloß. Er drehte ihn um und steckte Ihn auf der Innenseite wieder in das

Schlüsselloch. Hinter sich hörte er einen halblauten Ausruf, wandte sich aber nicht eher um, als bis er das Zimmer ab-geschlossen hatte.

Auf einem Strohhaufen in der Ecke des Raumes lag mit ge-fesselten Händen und Füßen Doktor McKinley.

„Der Kapuzenmann!“ rief der Arzt erstaunt. „Ich fürchtete schon, daß Sie nicht rechtzeitig gehört hätten, was in meinem Büro geschehen ist.“

Milton gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. Draußen hörte man nämlich plötzlich das Geräusch eines

Motors und ein Auto hielt vor der Tür des Gebäudes. Was be-deutete das? Wie konnte der Wagen bis hierher gelangen, wenn das Haus umstellt war?

Als ob dieser Gedanke ein Signal gewesen wäre, ertönte plötzlich ein Schuß vom Garten her. Ihm folgte ein Schrei. Mil-ton hatte indessen den Doktor losgebunden und riß nun beide Fensterflügel auf.

„Polizei! Polizei!“ ertönten mehrere Rufe.

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Milton gewahrte in der Nähe des Zaunes einige Uniformier-te.

Auch im Hause ertönten Schreie. Eine der Gangtüren öffnete sich.

„Wo zum Teufel mag Clindon stecken?“ brüllte eine Stim-me. „Wie konnte er den Doktor unbewacht lassen?“

Eine tiefe Stimme, die von der anderen Seite des Korridors kam, unterbrach ihn.

„Die Polizei stürmt das Haus. Es muß auf jeden Fall vermie-den werden, daß man den Doktor hier findet. Wenn man keinen Gefangenen antrifft, können wir dem Überfall ruhig entgegen-sehen. Wird aber McKinley entdeckt, sind wir verloren.“

„Was sollen wir tun?“ fragte eine Stimme, die bis jetzt noch nicht zu hören gewesen war.

„Bringt McKinley herunter. Therrar ist gerade angekommen. Sein Auto steht vor der Tür und der Motor läuft. Wir müssen ihn in den Wagen schaffen und die Polizei solange aufhalten, bis Therrar mit ihm fort ist.“

Nachdem der Mann das gesagt hatte, lief er eilig wieder die Treppe hinunter. Von allen Seiten ertönten nun Schüsse. Wenn es den Entführern auch gelingen sollte, den Doktor wegzubrin-gen, so würden sie sich dennoch vor der Polizei zu rechtfertigen haben, weil sie das Feuer auf die Uniformierten eröffnet hatten.

Aber die Idee war gut. Die Banditen konnten immer noch vorschützen, bis zum letzten Augenblick nicht gewußt zu ha-ben, wer die Angreifer seien und mit einem guten Anwalt konn-ten sie in einem späteren Prozeß möglicherweise sogar frei aus-gehen oder nur eine kleine Strafe erhalten.

Mittlerweile hatten zwei Männer sich der Tür genähert. „Der Schlüssel steckt nicht im Schloß“, sagte der eine von

ihnen. „Clindon muß ihn mitgenommen haben, aber wo mag dieser Idiot stecken?“

„Er wird sicher den anderen helfen, die Polizei in Schach zu

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halten. Wir wollen keine Zeit verlieren, indem wir lange nach dem Schlüssel suchen, sondern einfach die Tür einschlagen.“

Ein starker Schlag donnerte gegen die erzitternde Tür, aber sie gab nicht nach.

„Schieß das Schloß kaputt!“ schrie der andere. Milton sprang zur Seite. Wenn die Leute in den Raum ein-

brachen, würde er sie überraschen und unschädlich machen. Aber es kam nicht dazu. Auf der Treppe wurden wieder

Schritte laut und eine mächtige Stimme brüllte: „Die Polizei ist durch den Hintereingang in das Haus ge-

kommen! Rette sich, wer kann!“ Man hörte Flüche im Korridor und eiliges Laufen. Dann war

es plötzlich still. Der Kapuzenmann wandte sich an den Arzt. „Nehmen Sie“, sagte er und gab ihm eine Pistole, „ich glau-

be, ich brauche sie nicht mehr, aber ich lasse sie Ihnen für alle Fälle. Die Polizei wird Sie bald finden. Ich muß weg, ehe sie hier ist.“

Er trat ans Fenster. Therrar hatte es nicht für klug gehalten, auf seine Komplizen zu warten und machte nun eine verzwei-felte Anstrengung, sich zu retten. Sein Auto bog soeben mit einer rasenden Geschwindigkeit auf zwei Rädern balancierend um die Hausecke.

„Haltet den Wagen!“ schrie eine Stimme, in der Milton den Inspektor Grimm erkannte.

Und gleich darauf ein anderer Schrei: „Der Kapuzenmann!“ Eine Kugel schlug wenige Zentimeter neben seinem Kopf in

die Wand. Das Automobil Therrars mußte in diesem Augenblick unter

dem Fenster vorbeikommen. Nun war es schon ganz nahe. Mil-ton überlegte nicht lange.

„Viel Glück, Doktor!“ rief er und sprang aus dem Fenster. Er

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fiel mitten auf das Verdeck des Wagens und konnte sich gerade noch so festhalten, daß er nicht auf den Boden schlug. Kugeln pfiffen um ihn herum, ohne daß ihn eine einzige traf. Auch die Reifen des Autos schienen noch unverletzt zu sein und der dicht über das Steuerrad gebeugte Chauffeur bot nur ein geringes Ziel.

Der Wagen raste auf das Gartentor zu. Zwei Polizisten, die dort standen, sprangen erschreckt zur Seite. Dann schossen bei-de gleichzeitig. Auch die Stimme Grimms war wieder zu hören.

„Schließt doch das Tor!“ schrie er. Aber niemand befand sich so nahe, um dem Befehl rechtzei-

tig nachkommen zu können. Das Auto raste auf den Weg, be-schrieb eine brüske Wendung, die Milton nur deshalb nicht her-abschleuderte, weil sie so dicht an der Mauer entlang fuhren, daß der Anprall ihn sehr unsanft wieder in den Wagen zu-rückwarf.

Aus den Stimmen, die er nun hörte, schloß der Kapuzen-mann, daß die Polizei einen ihrer Wagen benutzen würde, um das flüchtende Auto zu verfolgen. Auch der Entführer am Steu-er schien dieser Ansicht zu sein, denn er versuchte aus seinem Wagen jetzt die höchste Geschwindigkeit herauszuholen. Er wußte natürlich, daß er sich nicht allein im Wagen befand und auch über die Person seines blinden Passagiers hegte er offen-bar keinen Zweifel. Als er sich daher auf der freien Landstraße befand, traf er alle Anstalten, um den lästigen Fahrgast so schnell als möglich loszuwerden.

Er raste im Zickzack hin und her, ohne den Kapuzenmann abschütteln zu können. Als dies nichts half, zog er mit einem Ruck die Bremsen an, so daß der Wagen sich beinahe über-schlagen hätte Der Stoß war jedoch so gewaltig, daß Milton ihm nicht standhalten konnte. Wie von einem Katapult ge-schleudert, flog er herunter und landete bäuchlings im Straßen-graben.

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Der Entführer hielt gar nicht an, um nachzusehen, ob der auf diese Weise ausgebootete Mann tot war oder nicht. Er trat auf den Gashebel und setzte seine rasende Flucht fort.

Milton blieb einen Augenblick halb betäubt im Straßengra-ben liegen. Er hatte zum Glück nur ein paar blaue Flecke abbe-kommen und wollte gerade wieder, etwas benommen, auf die Straße kriechen, als er das Donnern eines Motors hörte. Der Polizeiwagen näherte sich und wenn es diesem gelang, das Tempo durchzuhalten, würde er den Flüchtling einholen, bevor dieser nach Baltimore gelangen konnte.

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Als der Lärm des Autos verhallt war, stand Milton auf und holte tief Atem. Letzten Endes war es ein großes Glück für ihn gewesen, daß er aus dem Auto geschleudert wurde. Die Polizi-sten hatten diesen Vorfall nicht gesehen und wähnten ihn nach wie vor im Auto. Außerdem befand sich die Stelle, wo er jetzt stand, ganz in der Nähe des Ortes, an dem er in der vergange-nen Nacht seinen Wagen gelassen hatte.

Er nahm die Kapuze ab und steckte sie in die Tasche. Weni-ge. Minuten später holte er seinen Zweisitzer aus dem Versteck. Nach eineinhalbstündiger Fahrt, kehrte er in seine Garage zu-rück, da er einen großen Umweg gemacht hatte, um keinem Polizisten zu begegnen.

* *

*

5. Kapitel

EINE GENIALE IDEE GRIMMS Hauptmann Rawlings kam erst um halb zwei Uhr in das Poli-zeibüro, wo Ihn Grimm schon eine geraume Weile erwartete.

„Wie ist es gegangen?“ fragte der Inspektor, als er ihn eintre-ten sah.

„Pech gehabt, wie immer“, antwortete der Hauptmann sehr schlecht gelaunt.

„Haben Sie im Augenblick genügend Zeit, um die Angele-genheit mit mir zu besprechen?“

„Ich muß vorerst etwas essen.“ „Essen Sie bei mir, dann können Sie mir alles in Ruhe erzäh-

len. Ich kann Ihnen jedenfalls mitteilen, daß ich sechs Leute in jenem Hause verhaftet habe. Zwei von ihnen sind so schwer verwundet, daß sie nach dem Hospital gebracht werden mußten,

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wo sie unter Bewachung bleiben. Von den anderen ist auch kei-ner ohne Wunden, wenn es sich auch nur um leichtere Kratzer handelt. Man hat die Kerle bereits verbunden und eingesperrt.“

„Und Doktor McKinley?“ fragte der Hauptmann, als sie bei-de zur Tür gingen,

„Er ist in sein Institut zurückgekehrt. Wir fanden ihn, dank des Kapuzenmannes, der ihn bis zu unserer Ankunft beschützte, wohlbehalten auf. Er sagte mir, daß er herkommen würde, falls Sie ihn benötigen.“

„Haben Sie denn den Kapuzenmann nicht festnehmen kön-nen?“

Der Inspektor setzte sich an das Steuer seines Wagens, war-tete, bis der Hauptmann neben ihm Platz genommen hatte und antwortete dann:

„Er ist mir vor der Nase durchgegangen.“ Der Wagen fuhr an. „Wie ist das möglich“, fragte der Hauptmann, „trotz der vie-

len Polizisten, die Sie begleiteten?“ Grimm nickte bejahend mit dem Kopf. „Dieser Bursche“, sagte er, „scheint mit dem Teufel im Bun-

de zu sein. Vor unser aller Augen sprang er aus dem Fenster auf ein fahrendes Auto. Gott weiß, wieviele Schüsse auf ihn abge-geben wurden, aber keiner hat ihn getroffen.“

„Haben Sie ihn nicht verfolgen lassen?“ „Ich selbst bin ihm mit zwei Leuten nachgejagt, während die

anderen den letzten Widerstand im Gebäude niederkämpften. Der Wagen, in dem sich der Kapuzenmann befand, wurde von einem der Entführer gesteuert. Kurz vor der Stadtgrenze er-reichten wir ihn, Er weigerte sich anzuhalten. Wir zerschossen ihm einen Reifen. Das Auto kam ins schleudern und fuhr gegen einen Baum.“

„Gehört dieser Mann zu den beiden, die sich gegenwärtig im Hospital befinden?“

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„Nein. Das ist Nummer sieben. Es war einer, der im letzten Augenblick in den Schlupfwinkel der Entführer kam. Wir lie-ßen ihn durch, um ihn dann gleichzeitig mit den anderen fest-zunehmen. Im übrigen hatten wir es nicht notwendig, ihn ins Hospital zu schaffen. Wenn jemand mit einer solchen Schnel-ligkeit gegen einen Baum fährt, dann ist ihm das Leichenschau-haus sicher. Von dem Kerl war jedenfalls nicht mehr viel üb-rig.“

„Und der Kapuzenmann?“ „Ist verschwunden. Er muß unterwegs aus dem Wagen ge-

sprungen sein, jedenfalls haben wir ihn nirgends finden kön-nen.“

Das Auto hielt vor dem Hause des Inspektors. Sie traten ein. „Der Hauptmann“, sagte Grimm zu seinem Diener, „wird

heute mit mir essen. Inzwischen servieren Sie uns einen Cock-tail in meinem Zimmer.“

„Sehr wohl, Herr.“ Der Cocktail wurde gebracht und Grimm fragte: „Nun, wie ging es Ihnen? Haben Sie Buck verhaftet?“ Rawlings nickte bestätigend. „Mit dem Handkoffer, in dem das Geld war“, antwortete er,

„und kurz nachdem er telefoniert hatte.“ „Konnte Ihnen die Zentrale die Nummer geben?“ „Ja.“ „Großartig!“ „Nicht ganz so großartig.“ „Warum?“ „Weil es uns nicht viel genützt hat.“ „Ich verstehe nicht. Wenn man doch die Adresse gab ...“ „Das nützte uns gar nichts! Wissen Sie, wohin Buck tele–

fonierte?“ „Wohin denn?“ „Nach dem Pescoe–Building.“

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„Nach der Zentrale, nicht wahr?“ „Ganz richtig.“ Grimm stieß einen Überraschungspfiff aus. „Das kompliziert die Sache allerdings“, gab er zu. „Haben

Sie mit der diensthabenden Telefonistin gesprochen?“ „Ja.“ „Und sie konnte Ihnen nicht sagen, welche Personen um die-

se Stunde angerufen wurden?“ „Es gibt mehr als tausend Büros in diesem Gebäude“, ant-

wortete Rawlings. „Die Zentrale hat vier Linien, die den ganzen Tag über in Betrieb sind. Die Telefonistinnen haben zu viel Ar-beit, um wissen zu können, wer mit wem um eine bestimmte Stunde gesprochen hat.“

„Viele dieser Büros haben auch eigene Telefonnummern“, bemerkte Grimm.

„Was nicht daran hindert, daß sie das Telefon der Zentrale benutzen, besonders wenn sie von außerhalb angerufen werden. Wenn jemand die Linie des Privattelefons besetzt findet, dreht er die Nummer der Zentrale, um schneller verbunden zu wer-den. Sie können verstehen, daß ich nicht alle Büros besuchen kann, um jeden einzelnen zu verhören. Man würde mich vorher pensionieren, ehe ich damit fertig bin und der Chef der Bande wäre inzwischen an Altersschwäche gestorben.“

Es klopfte an der Tür. Der Diener trat ein. „Das Essen ist serviert“, meldete er. Die beiden Männer gingen in das Speisezimmer hinüber und

aßen völlig schweigsam. Sie sprachen erst wieder über die An-gelegenheit, als sie sich allein in dem kleinen Salon befanden, wo sie Kaffee tranken und eine Havannazigarre rauchten.

„Es besteht kein Zweifel“, begann der Inspektor und nahm einen Schluck aus seiner Tasse, „daß wir es mit einem außeror-dentlich intelligenten Menschen zu tun haben. Das Unterneh-men, das er durchführte, war gewiß mehr als gefährlich, aber er

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wußte es so einzurichten, daß ihm auf keinen Fall etwas zu-stoßen konnte.“

„Ich glaube, das ist ein bißchen zuviel gesagt“, brummte der Hauptmann. „Wir haben sieben Leute festgenommen, Buck mitgerechnet. Einer oder der andere wird schon sprechen, um seine Haut zu retten.“

„Ich zweifle daran, denn ich habe bereits mein Glück ver-sucht. Alle haben um Anwälte gebeten und sich geweigert, ir-gendeine Erklärung abzugeben. Sie scheinen unbedingtes Ver-trauen zu ihrem Chef zu haben und ich glaube nicht, daß sie ihn verraten werden.“

Wieder trat der Diener ein. „Hauptmann Rawlings wird am Telefon verlangt, vom

Kommissariat“, meldete er. „Ich komme sofort“, antwortete der Hauptmann. „Sie gestat-

ten, Inspektor?“ Nach wenigen Augenblicken war er mit einem süßsauren

Gesicht wieder zurück. „Gibt es etwas Neues?“ fragte Grimm. „Der Chef“, sagte Rawlings, „hat von der Verhaftung seiner

Leute erfahren.“ „Woher wissen Sie das?“ „Ein Anwalt ist erschienen und hat verlangt, mit den Leuten

zu sprechen, obgleich es den Häftlingen noch gar nicht möglich war, einen Anwalt zu rufen. Dieser Mann kann also nur von dem Chef geschickt worden sein. Man fragte mich vom Kom-missariat aus, ob der Advokat die Leute sehen dürfe oder nicht.“

„Und was haben Sie geantwortet?“ „Was soll ich schon antworten? Das Gesetz gibt jedem das

Recht, sich in Schweigen zu hüllen, bis er mit seinem Anwalt gesprochen hat und außerdem bestimmt das Gesetz, daß man den Leuten das Recht auf Verteidigung nicht verweigern darf.

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Wenn ich die Erlaubnis nun nicht gegeben hätte, würde ich da-mit nichts anderes erreicht haben, als diese Zusammenkunft zwecklos zu verzögern und mich selbst unliebsamen Verwick-lungen auszusetzen. Sie scheinen recht zu haben, Inspektor, aus diesen Leuten werden wir nicht viel herausbekommen.“

„Ich dachte mir, daß etwas derartiges eintreten würde“, meinte Grimm.

„Außerdem sagte ich Ihnen ja schon, daß der Mann sehr schlau ist.“

„Was soviel bedeutet, als daß wir ihn vorläufig in Freiheit lassen müssen, obgleich wir seine Leute festgenommen haben. Wir wissen nicht im geringsten, um wen es sich handelt. Wir haben auch keine Spur, auf der wir unsere Nachforschungen fortsetzen könnten.“

Der Inspektor schwieg einen Augenblick und dachte nach. „Wir sind allerdings an einem toten Punkt angelangt“, sagte

er endlich, „und ich sehe nur eine Möglichkeit um weiterzu-kommen.“

„Welche?“ „Haben Sie noch nicht mit den Reportern gesprochen?“ „Nein?“ „Glauben Sie, daß irgend jemand etwas den Zeitungsleuten

über diese Männer gesagt hat?“ „Den Journalisten? Ausgeschlossen! Niemand würde wagen,

dies ohne meinen ausdrücklichen Befehl zu tun. Den Zeitungen wird nur das mitgeteilt, was ich für richtig halte und meistens besorge ich diese Informationen selbst.“

„Ausgezeichnet!“ „Haben Sie einen diesbezüglichen Plan?“ „Ich glaube“, sagte Grimm mit einem trockenen Lächeln,

„ich glaube, wir werden zwei Fliegen mit einem Schlage töten können.“

„Wie?“

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„Indem wir den Kapuzenmann als Köder benutzen, um den Chef der Bande anzulocken und dann beide verhaften, sobald der Chef in die Falle gegangen ist.“

„Und wie, zum Teufel, wollen Sie das fertigbringen?“ „Er ist doch eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß der

Chef durch das Eingreifen des Kapuzenmannes sieben seiner Leute verloren hat.“

„Das ist wohl richtig.“ „Man kann deshalb annehmen, daß der Chef auf unseren

Freund nicht gerade sehr gut zu sprechen sein wird.“ „Entschuldigen Sie, Inspektor, daß ich da etwas anderer

Meinung bin. Der Chef, von dem Sie sprechen, wird kaum ir-gendwelche feindliche Gefühle dem Kapuzenmanne gegenüber hegen, da er ja gar nicht weiß, daß er das Fehlschlagen seines Planes ihm zu verdanken hat.“

„Nun“, antwortete Grimm seelenruhig, „dann werden wir ihn eben darüber entsprechend aufklären.“

„Wie wollen Sie das machen?“ „Das besprechen wir später. Sicher ist jedenfalls, daß der

Chef der Bande jede nur mögliche Gelegenheit benutzen wird, sich an dem Kapuzenmann zu rächen, sobald er die nötige Auf-klärung erhalten hat.“

„Jede Gelegenheit, die sich ihm bietet“, stimmte der Haupt-mann bei, „aber glauben Sie denn, daß sich überhaupt eine bie-ten wird?“

„Wir werden dafür sorgen, daß es dazu kommt.“ „Wie?“ „Wir werden den Chef als Köder für den Kapuzenmann be-

nützen.“ „Allmählich verstehe ich immer weniger von der ganzen Ge-

schichte. Um einen Mann als Köder für einen anderen benützen zu können, muß man ihn doch vorerst bei der Hand haben. Wir aber wissen doch gar nicht, wer diese Männer sind und wo sie

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sich befinden.“ „Eben deshalb ist es notwendig“, sagte der Inspektor, „daß

jeder von ihnen dem anderen als Köder dient und sie einander gegenseitig anlocken.“

Der Hauptmann machte eine Geste der Verwunderung. „Die Geschichte“, meinte er, „mag für Sie ganz klar und ein-

fach sein, Inspektor, aber mir müssen Sie sie doch etwas genau-er erklären, damit ich daraus klug werde.“

„Ich will mich bemühen, Ihnen die Sache so klar als möglich zu machen, Rawlings ... Wir sind doch beide derselben Mei-nung, daß der Chef ein sehr intelligenter Mann sein muß, nicht wahr?“

„Diese Theorie ist mehr die Ihre als die meine, aber nehmen wir sie als gegeben an, damit wir uns endlich verstehen.“

„Er ist intelligent ... jedenfalls bis zu einem gewissen Grade. Der Chef wird erfahren, daß der Kapuzenmann der Hauptschul-dige an all seinem Pech in dieser Angelegenheit ist. Vergessen Sie nicht, daß die Verhafteten sich in diesem Augenblicke mit ihrem Anwalt beraten. Was sie ihm sagen werden, wird der An-walt sofort dem Auftraggeber berichten, der ihn hingeschickt hat. Aber natürlich kennen die Verhafteten nicht die Einzel-heiten, die uns bekannt sind, deshalb müssen Sie dafür sorgen, daß der Chef diese sozusagen noch als abschließende Ergän-zung erfährt.“

„Wie?“ fragte der Hauptmann erstaunt. Es schien beinahe, als ob das Wörtchen ,Wie’ plötzlich zu seiner Lieblingsfrage geworden wäre.

„Durch die Zeitung, mein lieber Freund. Durch die Zeitung. Sobald Sie Ihre normale Pressekonferenz mit den Reportern halten, geben Sie ihnen einen ausführlichen Bericht. In diesem wird anzugeben sein, welch’ große Hilfe uns der Kapuzenmann in diesem Falle geleistet hat. Wir beide werden diesen Bericht später zusammen aufsetzen. Es ist dabei notwendig, das ganze

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Verdienst des Erfolges ausschließlich dem Kapuzenmann zuzu–erkennen. Aber das muß so abgefaßt sein, als ob wir es nur zäh-neknirschend zugeben würden. Und um ihn nicht allzusehr zu begünstigen, werden wir gleichzeitig seiner vielfachen Verbre-chen Erwähnung tun, die es trotzdem als wünschenswert er-scheinen lassen, ihn baldmöglichst festzunehmen. Haben Sie verstanden?“

„Diesen Teil ja, aber ...“ „Haben Sie Geduld und Sie werden das andere auch verste-

hen. Der Chef liest natürlich diese Notiz in der Zeitung und da er intelligent genug ist, wird er sich dieselbe Frage vorlegen wie wir ... Ich nehme an, Hauptmann Rawlings, daß Sie sich diese Frage bereits vorgelegt haben.“

„Welche Frage meinen Sie?“ „Wie ist es möglich, daß der Kapuzenmann so schnell erfah-

ren hat, was in dem Büro von Doktor McKinley vorgegangen ist?“

„Das hat mich wirklich auch erstaunt“, stimmte der Haupt-mann bei.

„Und welche Antwort haben Sie auf diese Frage?“ wollte Grimm wissen.

„Daß der Kapuzenmann irgendeinen Freund oder Komplicen in dem Institut besitzen muß oder daß ihm vielleicht irgendein anderes Mittel zur Verfügung steht, um zu erfahren, was dort vor sich geht.“

„Nehmen wir an, daß der Chef zu den gleichen Schlüssen kommt wie Sie, was würde er dann tun, um dem Kapuzenmann gegenüberzutreten?“

„Ich verstehe Sie jetzt“, rief der Hauptmann aus und beugte sich weit vor, woraus man sein großes Interesse ersah. „Sie glauben, daß der Kapuzenmann sofort erneut zu Hilfe eilen würde, wenn sich Doktor McKinley wieder in Gefahr befände.“

„Sehr richtig“, bestätigte der Inspektor, „und der Chef wird

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genau so denken. Sobald er die Zeitung liest, wird er dem Ka-puzenmann eine Falle stellen.“

Rawlings machte eine Bewegung des Zweifels und sagte: „Ich glaube aber, daß er es sich alles sehr genau überlegen

wird, ehe er aus einem bloßen Rachegefühl heraus ein so großes Risiko eingeht. Wenn er tatsächlich so intelligent ist, wie Sie meinen, wird er einem einfachen Wunsch nach Rache nicht so ohne weiteres nachgeben.“

Grimm unterbrach ihn: „Es handelt sich dabei doch gar nicht um einen bloßen

Wunsch nach Rache, Sie müssen vielmehr bedenken, daß alle Verbrecher eine sehr große Eigenliebe besitzen. Der Chef woll-te dem Doktor Geld herauslocken und erlitt dabei elenden Schiffbruch. Außerdem verlor er sieben seiner Leute. Wenn er diese Niederlage nun gelassen hinnimmt, verliert er sein Presti-ge. Er muß es auf jeden Fall wiedergewinnen, wenn er jemals wieder Leute finden will, die ihm bedingungslos folgen.“

„Und?“ „Er wird deshalb von neuem versuchen, die halbe Million

von dem Doktor zu bekommen, aber gleichzeitig auch die Ge-legenheit benutzen, um sich an dem Kapuzenmann zu rächen. Er wird also genau wie wir, zwei Fliegen mit einem Schlage töten wollen.“

„Nach dem, was vorgefallen ist, wird die Bank sich weigern, einen Scheck von derartiger Höhe auszuzahlen, ohne sich vor-her mit McKinley in Verbindung gesetzt zu haben.“

„Ich habe ja nicht behauptet, daß der Chef nun genau so wie das erstemal vorgehen wird. Erstens würde er damit ja nur Zeit verlieren und zweitens wäre es sehr dumm zu glauben, daß der Kapuzenmann nicht mißtrauisch werden sollte, wenn der zweite Fall nur eine simple Wiederholung des ersten wäre.“

„Was wird der Chef also Ihrer Meinung nach tun?“ „Das kann ich nicht genau sagen. Es kann ihm etwas einfal-

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len, was uns bisher noch nicht eingefallen ist. Vielleicht be-schränkt er sich darauf, McKinley ganz einfach zu entführen und eine halbe Million Lösegeld zu verlangen. Aber das interes-siert uns nicht. Die Hauptsache ist, daß er versucht, dem Kapu-zenmann eine Falle zu stellen.“

„Und Ihre Idee dabei ist natürlich, daß wir das Institut diskret bewachen ...“

„ ... und dem Chef gleichzeitig gestatten, daß alles nach sei-nem Wunsch geht“, fiel der Inspektor ein. „Wir werden ihn den Doktor entführen und den Kapuzenmann fangen oder ihn an einen Ort locken lassen, wo er ihn fassen kann. Wir werden die Männer, die er schickt, verfolgen und sobald wir wissen, daß er zu ihnen gestoßen ist, über sie herfallen.“

„Es ist aber doch möglich, daß nicht alles so vor sich geht, wie Sie annehmen“, gab Rawlings zu bedenken.

„Ja, natürlich“, gab Grimm zu. „Aber Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß es viele Möglichkeiten gibt, die ei-nen solchen Versuch rechtfertigen. Ich glaube, das beste ist, wenn wir jetzt die Benachrichtigung für die Presse gemeinsam aufsetzen.“

Sofort gingen die beiden ans Werk.

* * *

6. Kapitel

WAS DER PLAN ERGAB

Die Morgenzeitungen wiederholten die Nachricht, die schon die Abendblätter gebracht hatten Milton Drake las sie mit einer gewissen Überraschung, die jedoch bald in Mißtrauen um-schlug. Warum zeigte sich die Polizei für seine Dienste so er-

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kenntlich, daß sie sogar so weit ging, öffentlich bekanntzuma-chen, daß man ihm allein die Festnahme der Entführer McKin-leys und dessen Rettung verdankte?

Gewiß war das alles in der Notiz nicht so klar gesagt. Man hatte dafür gesorgt, die gute Wirkung abzuschwächen, indem man am Schlusse des Artikels auch von den belastenden Verbrechen des Kapuzenmannes sprach. Aber die Tatsache, daß die Polizei öffentlich anerkannte, dem Kapuzenmann Dank schuldig zu sein, blieb bestehen.

Die Sache wäre sicherlich nicht so wichtig gewesen, wenn die Behörden im allgemeinen die Gewohnheit gehabt hätten, die Hilfe anzuerkennen, die ihnen von außen her zuteil wurde. Milton aber wußte genau, daß man seiner Hilfe nie Erwähnung getan hatte, sooft er auch schon für das Gesetz eingetreten war. Man hatte immer nur seine angeblichen Verbrechen erwähnt, nie aber seine wirklichen guten Taten.

Außerdem erwähnten die Zeitungen, daß Inspektor Grimm selbst an der Aktion teilgenommen hatte.

Das erstaunte Milton nicht, denn, wie wir wissen, hatte er ja selbst die nötigen Wahrnehmungen gemacht. Wenn man aber die ganze Art betrachtete, in der der Bericht aufgemacht war, gab diese Tatsache zu denken. Rawlings würde der Presse nie-mals einen solchen Bericht gegeben haben, ohne ihn vorher Grimm zu zeigen und unter normalen Umständen wäre Grimm nie einverstanden gewesen, daß man gut vom Kapuzenmann spräche. Schon der Hinweis, daß dieser dadurch vergöttert und volkstümlich gemacht würde und man ihn mit einer Gloriole umgäbe, die ihn nur zum Vorteil und der Polizei lediglich zum Nachteil gereichen könne, hätte Grimms Ablehnung entspre-chend begründet.

Je mehr Milton darüber nachdachte, desto gewisser wurde er, daß dieser Bericht eine Falle verbarg. Er las die Notiz immer wieder und versuchte aus dieser Lektüre zu schließen, auf wel-

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che Weise man ihm eigentlich schaden wollte. Er verlor jedoch dabei nur Zeit und gab es schließlich auf. Wenn das Ganze nichts weiter als eine Vorbereitung war, der eine direkt gegen ihn gerichtete Aktion folgen sollte, die ihn den Behörden aus-liefern sollte, wie er vermutete, dann war die einzige Möglich-keit für ihn, genau aufzupassen, um sofort alle Gegenmaßregeln ergreifen zu können, sobald irgend etwas geschah.

Gegen elf Uhr erhielt er einen Besuch, der seinen Verdacht noch wesentlich bestärkte ... Inspektor Grimm, den er schon seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen hatte, erschien plötzlich ohne Angabe eines besonderen Grundes in seinem Hause.

„Wie ich mich freue, Oliver!“ rief Milton gutgespielt aus, als er des andern ansichtig wurde. „Sie haben sich ja länger als eine Woche hier nicht mehr blicken lassen. Was haben Sie denn während dieser ganzen Zeit getan?“

„Das, was ich immer tue, Milton“, erwiderte der Inspektor und ließ sich in einen Sessel fallen. „Sie wissen ja, daß es mir niemals an Arbeit fehlt. In der letzten Zeit habe ich mich ganz besonders mit dem Kapuzenmann beschäftigt, dessen Verhaf-tung ich sehr bald durchzuführen hoffe.“

Milton fühlte sich versucht, zu antworten: „Und das Ergebnis dieser Beschäftigung ist der heutige Arti-

kel in den Zeitungen?“ Er hielt sich aber zurück und sagte statt dessen: „Ich habe geglaubt, daß die Polizei es längst aufgegeben hat,

diesen Mann zu fangen. Jeden Tag sind ja die Kommentare in den Zeitungen über den Kapuzenmann günstiger. Heute morgen hat die, Polizei sogar die Liebenswürdigkeit gehabt anzuerken-nen, daß sie ohne seine Hilfe weder die Entführer unseres Freundes McKinley fassen noch ihn selbst hätte retten können.“

„Es hat sich zwar wirklich so zugetragen“, gab der Inspektor zu, „aber Sie dürfen dem Geschreibsel nicht so viel Wichtigkeit beimessen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich alles,

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was drin über den Kapuzenmann steht, unterdrückt. Nicht viel-leicht deshalb, weil ich seine Hilfe nicht anerkennen will, son-dern weil das Publikum solche Mitteilungen zumeist falsch auf-faßt. Wenn die Leute in dem Kapuzenmann plötzlich eine ro-mantische Figur sehen, die sogar der Justiz Beistand leistet, ist seine Festnahme natürlich viel schwieriger, da er dann jedes Mal beim Publikum Hilfe findet, wenn er in eine schwierige Situation gerät.“

Diese Worte des Inspektors machten Milton erst recht stut-zig. Er war sicher, daß man den Artikel nur mit Zustimmung Grimms in die Zeitungen gebracht hatte. Und die Tatsache, daß er ihm nun mit allen Mitteln glauben machen wollte, der Artikel wäre gegen seinen Willen erschienen, war äußerst verdächtig.

„Wenn Sie diese Meinung haben, Oliver, warum rieten Sie dann Rawlings nicht entsprechend?“ fragte er.

„Ich tat es, aber ich konnte ihn nicht überzeugen. Er meinte, daß die Leute es doch erfahren würden. McKinley würde es seinen Freunden erzählen, der eine oder andere Reporter es auf diese Weise erfahren und einer Zeitung übergeben. So würde die Wahrheit auch so an den Tag kommen, ohne daß wir es verhindern könnten. Daher war es in diesem Falle sicherlich besser, daß wir selbst den Bericht brachten.“

„Glauben Sie nicht, daß Rawlings mit der Fassung des Arti-kels irgendwie recht hatte?“ wollte der Multimillionär wissen.

„Nein, es gibt einen Unterschied zwischen dem, was ein Pri-vatmann sagt und dem, was eine Polizeibehörde bekanntgibt. Nun gibt es wenigstens keinen Zweifel über diesen Punkt. Die Polizei hat es offiziell bestätigt und sicherlich hat es ihr mehr geschadet als genützt. Hätte es ein Privatmann gesagt, dann blieb immer noch Raum für Zweifel.“

„Es ist etwas Wahres daran. Aber in diesem Falle würde es McKinley bestätigen, der selbst das Opfer der Entführung war und ein großes Prestige genießt.“

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„Bah! Es scheint unglaublich, daß Sie so etwas sagen. Wir sind heute daran gewohnt, daß man aus ein paar unbedeutenden Worten überraschende Schlüsse zieht. Man weiß, daß man ge-wissen Worten hunderttausend Wendungen gibt, so daß sie gar nicht mehr das besagen, was in der Absicht des Befragten lag. Wenn ein Reporter kein Material für einen Artikel hat, so gräbt er es aus der Erde heraus. Wir beide wissen das und der Zei-tungsleser auch. Deshalb mißt er solchen Artikeln keine beson-dere Bedeutung bei.“

Der Inspektor sprach noch eine Zeitlang mit seinem Freunde und ging dann unter dem Vorwand dringender Arbeiten fort. Milton blieb verwirrt zurück,

Der Zeitungsartikel war der erste Schritt eines Feldzuges ge-gen ihn, der Besuch Grimms der zweite. Er begriff aber nicht, worin der Plan bestand und welche Wirkung diese beiden Schritte möglicherweise auslösen konnten. Vielleicht, sagte er sich, würde der dritte Schritt die Sache klären. Aber der Tag ging vorüber, ohne daß etwas passierte, was man auch nur im geringsten mit Grimm, Rawlings oder einer möglichen Falle in Verbindung bringen konnte.

Am Spätnachmittag ging Milton aus, um einen Besuch zu machen. Er hatte eigentlich die Absicht gehabt, McKinley auf-zusuchen, aber auf Grund der undurchsichtigen Geschehnisse hielt er es für klüger, die Sache aufzuschieben, bis er klarer se-hen würde.

In der Nacht kehrte er mit der Absicht nach Hause zurück, wieder einmal einen Blick auf sein Empfangsgerät zu werfen. Dabei war er höchst erstaunt, die rote Lampe brennend zu fin-den, was soviel bedeutete, daß der Apparat gerade eine Bot-schaft aufnahm. Sofort legte er den Kopfhörer an und genau wie vor zwei Tagen kam er gerade zurecht, um eine Unterhal-tung mitanzuhören, die im Büro des Instituts stattfand.

Es schienen wieder zwei Männer bei McKinley anwesend zu

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sein und was noch merkwürdiger war, sie sprachen neuerlich von der gleichen Angelegenheit. Ohne Zweifel waren es Abge-sandte des Chefs der Bande, nur forderten sie diesmal von dem Arzt keinen Scheck, sondern erklärten ihm, daß sie ihn ent-führen und Lösegeld von ihm haben wollten. Sollte dieses nicht bezahlt werden, dann müßte McKinley unweigerlich sterben.

Milton hörte nur ein paar Sekunden lang zu, dann legte er den Kopfhörer beiseite Etwas war ihm sofort aufgefallen: die angeblichen Entführer redeten zu viel, sie wiederholten sich immer wieder und verloren damit wertvolle Zeit, die sie besser angewandt hätten, wenn sie den Arzt einfach fortschleppten. Es schien beinahe so, als ob sie auf etwas warteten, bevor sie ans Werk gingen.

Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, da wußte Milton auch schon, wen sie erwarteten: ihn selbst. Und das war eine Falle, so plump und groß wie ein Haus! Der dritte Schritt, den er erwartet hatte. Der dritte Schritt ...? Das war nicht möglich! Er glaubte nicht, daß die Polizei zu solchen Mitteln greifen würde, um ihn zu fangen. Wie konnte übrigens die Polizei oder sonst irgend jemand glauben, daß er davon Kenntnis erhielt, was in dem Institut vorging und daß er zur rechten Zeit eingrei-fen würde.

Er hätte sich am liebsten selbst eine Ohrfeige gegeben, als er merkte, welchem Irrtum er anheimgefallen war. Die Polizei wußte es nicht, aber sie nahm es an. Und das war einzig und allein seine Schuld. Vor zwei Tagen hatte er die Unterhaltung des Arztes beinahe wörtlich wiedergegeben, worüber ihm ja Rawlings selbst sein Erstaunen ausgesprochen hatte. Wie war es auch möglich, daß er wußte, was dort gesprochen wurde, wenn er sich weit davon entfernt befand?

Natürlich hatte Rawlings das Telefongespräch Grimm ge-nauestens mitgeteilt und der Inspektor war intelligent genug, um die entsprechenden Folgerungen daraus zu ziehen. Es war

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nicht anzunehmen, daß er daraufkommen würde, welchen ge-heimen Übertragungsmitteln sich Milton dabei bediente, das war ja auch gänzlich unwichtig. Wesentlich war, daß der Kapu-zenmann auf weite Entfernung hin erfahren konnte, was in dem Institut vor sich ging. Wenn er es das erste Mal erfuhr, würde er es auf die gleiche Weise auch ein zweites Mal erfahren. Es kam nur darauf an, einen Versuch zu machen. Trotz dieser Ver-nunftsgründe glaubte Milton aber nicht, daß die Polizei etwas mit dem zu tun haben mochte, was er soeben gehört hatte. Wenn sie aber im Spiele war, wer konnte es dann sein, der ihm diese Falle stellte?

Die Antwort auf diese Frage fiel ihm sofort ein. Nachdem der geheimnisvolle Chef der Entführerbande den Zeitungs-bericht gelesen hatte, konnte er dieselben Schlußfolgerungen wie Grimm ziehen und ihm diese Falle stellen, um sich für den Verlust seiner Leute an dem Kapuzenmann zu rächen. Gleich-zeitig konnte er diese Gelegenheit aber auch benützen, um das Geld auf eine neue Art aus McKinley herauszulocken.

Wie dem auch immer sein mochte, eines stand jedenfalls fest: es handelte sich um eine Falle.

Während er diese Überlegungen anstellte, war Milton nicht müßig. Denn als er zur letzten Schlußfolgerung gekommen war, befand er sich bereits in seiner Garage und bestieg den Wagen. ,Falle oder nicht Falle’ dachte er, ,ich muß nach dem Institut’. Wenn derjenige, der ihm diese Falle gestellt hatte, der geheim-nisvolle Chef der Bande war, dann würde dieser McKinley wegschleppen lassen, ob der Kapuzenmann nun hinkam oder nicht. Ein solches Risiko aber konnte Milton nicht eingehen. Er mußte hineilen, um seinen Freund zu beschützen, für den dies-mal mehr als die Freiheit auf dem Spiele stand. Er selbst war schon aus anderen Zwangslagen herausgekommen und würde auch hier wieder entwischen. Nur eine Vorsichtsmaßregel wandte er an: er veränderte sein Gesicht derart, daß niemand,

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der ihn sah, in ihm den bekannten und populären Multimillionär Milton Drake erkennen konnte.

Diesmal hatte er nicht die geringste Absicht, sich wieder an einen Wagen anzuhängen. Das würde ihn unter den gegenwär-tigen Umstanden nur in eine noch unvorteilhaftere Lage brin-gen. Er wollte in seinem Wagen sitzen bleiben und in einer ge-wissen Entfernung vom Institut halten. Blieb ihm Zeit, dann würde er sie benutzen, um das Terrain zu sondieren. In Wirk-lichkeit konnte er sich überhaupt keinen genauen Plan zurecht-legen, da er nicht wußte, was geschehen würde.

Als er sich dem Institut näherte, sah er schon von weitem ein rotes Licht in der Nähe des Randsteines. Ein Auto stand vor dem Zaun, genau so wie vor zwei Tagen. Er löschte seine Scheinwerfer und fuhr so nahe als möglich heran. Der Motor seines Wagens lief fast lautlos und Milton rechnete damit, daß er auf diese Entfernung nicht gehört werden konnte.

Nun öffnete er den Schlag und sprang auf die Straße hinaus. Er war kaum fünf Meter gelaufen, als er sich eingestehen muß-te, daß er den Irrtum begangen hatte, die Intelligenz des Mannes zu unterschätzen, der ihm diese Schlinge legte. Dort im Dunkel, vor ihm, bewegte sich etwas. Vielleicht hätte er es gar nicht be-merkt, wenn das rote Licht nicht plötzlich verschwunden wäre, als sich ein Körper davorschob.

Er blieb sofort stehen und versuchte mit den Augen ange-strengt die Dunkelheit zu durchdringen, aber er gewahrte nichts. Das rote Licht erschien wieder, um nach einem Augenblick neuerlich zu verschwinden. Als es zum dritten Mal erschien, ertönte zur selben Zeit die elektrische Hupe des Wagens. Milton wußte sofort, daß es sich dabei nur um ein Signal handeln konn-te. Seine Ankunft war offenbar bemerkt worden. Die Männer, die zur Zeit im Büro McKinleys weilten, hatten damit die Nach-richt erhalten, daß sie sich nicht länger aufzuhalten brauchten.

Der Multimillionär näherte sich dem Zaun. Er wollte auf je-

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den Fall sehen, wer aus dem Hause kam, allerdings hätte er sich gar nicht so zu bemühen brauchen, denn man machte es ihm leicht. Die Lampen des parkenden Wagens flammten auf. Dabei gewahrte er, daß das Auto etwas vor der Zauntür hielt, so daß er zwangsläufig sehen mußte, wer aus dem Garten herauskam. Es dauerte auch nicht lange, da erschienen drei Männer. Er sah sie ganz deutlich.

Der Mann in der Mitte war Dr. McKinley. Milton kehrte schnell zu seinem Wagen zurück und als der

andere anfuhr, nahm er sofort die Verfolgung auf, hielt sich dabei aber immer in einer gewissen Entfernung. Nicht einen Augenblick dachte er daran, sich umzusehen. Selbst wenn er dies aber auch getan hätte, würde es ihm kaum aufgefallen sein, daß ihm ein kleiner Wagen folgte. In ihm saßen nur zwei Leute, einer am Steuer und einer neben dem Lenker. Beide trugen tief über die Augen gezogene Mützen, so daß niemand sie erkannt hätte, selbst wenn die Dunkelheit nicht so vollkommen gewesen wäre. Trotzdem waren es sehr bekannte Leute, besonders für den Mann, den sie verfolgten.

Einer davon war nämlich Inspektor Grimm von der Bezirks-polizei. Und der andere war Hauptmann Rawlings.

* *

*

7. Kapitel

IN DER FALLE Der Wagen, In dem McKinley mit seinen Entführern saß, folgte der Landstraße in der Richtung nach Baltimore, ohne seine Ge-schwindigkeit zu erhöhen. Milton sorgte dafür, daß der Zwi-schenraum immer derselbe blieb, obgleich er genau wußte, daß

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die anderen informiert waren, daß er ihnen folgte. Wenn er et-was weiter zurückblieb, so tat er dies nur, um sie glauben zu machen, er wäre ihnen auf den Leim gegangen. Solange die Leute der Meinung waren, er wäre blind in die Falle gelaufen, bestand für ihn jedenfalls mehr Möglichkeit, ein Mittel zu fin-den, aus ihr herauszukommen und doch zu gleicher Zeit den Doktor zu befreien.

Kurz bevor sie nach Baltimore kamen, bog der Wagen in ei-ne Seitengasse ein und nach Verlauf einer Viertelstunde in ei-nen anderen kürzeren Weg, der ganz mit Unkraut überwuchert war, ein untrüglicher Beweis dafür, daß er schon lange nicht benutzt wurde. Dieser Weg führte auf ein halb verfallenes Ge-bäude zu, das inmitten eines Parkes lag. Einer der Männer stieg ab, öffnete mit ziemlichen Schwierigkeiten das Tor und stieg wieder in den Wagen, der nunmehr seine Fahrt fortsetzte.

Milton fuhr den Weg ein Stück weiter, stellte dort sein Auto ab und kehrte zu Fuß zurück. Vorsichtig ging er den Weg ent-lang und spitzte dabei aufmerksam die Ohren. Er kam jedoch bis an den Zaun, ohne etwas gehört zu haben. Das Tor stand noch immer offen, aber Milton Drake ließ sich nicht in Versu-chung führen. Er zog es vor, eine Stelle zu finden, wo er über die Mauer steigen konnte, ohne diesen Eingang zu benützen, der für ihn so liebenswürdig offengelassen worden war.

Zwischen dichten Sträuchern hindurch pirschte er sich an ein Gebäude heran, von dem nur einige Räume des Erdgeschosses noch standen. Das Auto der Entführer hielt vor verfallenen Mauerresten. Die Männer waren schon ausgestiegen und hin- eingegangen.

Vorsichtig schlich er weiter, um kein Geräusch zu machen. Das war in der Dunkelheit ziemlich schwierig, da sehr viele Steine umherlagen. Die Haupttür des Hauses war intakt und geschlossen. Er dachte auch gar nicht daran, sich ihr zu nähern. Ein bißchen weiter rückwärts, in dem noch erhaltenen Gebäude,

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befand sich jedoch ein schmutziges, halbblindes Fenster, hinter dem man kein Licht gewahrte. Milton setzte die Kapuze auf, zog sein stählernes Instrument aus der Tasche und sprengte den Riegel. Einen Augenblick später befand er sich im Inneren Er tastete sich an der Wand entlang, ohne zu wagen, seine Ta-schenlampe in Betrieb zu setzen. Andere besaßen aber offenbar nicht so viel Besorgnis, wie er, denn plötzlich strahlte helles Licht in seinem Rücken auf und eine Stimme sagte:

„Bewegen Sie sich nicht, mein Freund!“ Gleichzeitig öffnete sich eine Tür vor ihm und ein Mann, der

mit einer Pistole bewaffnet war, erschien auf der Schwelle. „Treten Sie näher, Kapuzenmann“, sagte er in höflichem

Spott, „wir erwarten Sie schon lange.“ Das Licht, das hinter ihm aufgeleuchtet war, erlosch wieder,

aber das Innenzimmer erstrahlte hell. Er hörte eine Bewegung hinter sich und wußte sofort, daß der Mann, der ihn überrascht hatte, ebenfalls durch das Fenster gekommen war. Vermutlich hatte man ihn schon im Park verfolgt. Man wollte ganz sicher sein, daß er nicht entkam.

Im Augenblick konnte Milton jedoch nichts anderes tun und er unternahm auch keinen Versuch dazu. Er gehorchte dem Be-fehl, hob die Arme hoch und trat in den anderen Raum. Der Mann, der sich hinter ihm befand, folgte ihm und schloß die Tür. Das Zimmer war sehr groß. Es mochte früher der Saal des Herrenhauses gewesen sein. McKinley stand an der Wand und wurde von den beiden Männern bewacht, die ihn aus dem In-stitut entführt hatten. Am anderen Ende des Raumes befanden sich zwei große Kisten, eine diente als Tisch, auf der anderen, die etwas niedriger war, saß ein Mann und schrieb.

„Bringt ihn hierher“, befahl dieser, ohne den Kopf zu heben. „Habt Ihr ihm die Waffen abgenommen?“

„Er hat keine, Chef“, sagte der Mann, der Milton mit seiner Pistole bedrohte und ihn durchs Zimmer schob.

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Der Multimillionär hatte Glück gehabt. Die Männer waren nicht auf den Gedanken gekommen, in seinen Ärmel zu sehen, in dessen Spezialtasche ein Revolver steckte, der ihm bei der geringsten Bewegung in die Hand sprang.

Als er vor der großen Kiste stand, hob der Chef den Kopf. Zwei schwarze Augen sahen ihn scharf durch die Öffnung einer Maske an, von der ein Stück Stoff bis zum Kinn des Mannes herabhing.

„Also ist der Kapuzenmann doch in meine Hände gefallen!“ sagte er. „Sie sind doch nicht so schlau, wie ich glaubte. Ich legte Ihnen eine Schlinge, ohne die Hoffnung zu haben, daß Sie hineingehen würden. Aber Sie sind mir doch wie ein Hammel gefolgt.“

Milton sagte nichts. Der Mann lachte trocken. „Sie haben sich einmal in meine Angelegenheit einge-

mischt“, fuhr er fort, „und durch Sie habe ich sieben meiner besten Leute verloren. Sie werden doch wohl nicht glauben, daß ich Ihnen das so ohne weiteres verzeihen kann ...“

Der Kapuzenmann schwieg noch immer. Da sagte der ande-re:

„Sie retteten Doktor McKinley, aber diesmal wird das nicht mehr möglich sein, sofern er nicht die Summe bezahlt, die ich von ihm verlange. Und was Sie betrifft ...“

Er stand auf und trat einen Schritt auf den Millionär zu. „Die Maskerade ist zu Ende!“ rief er aus. „Bevor ich Sie Ihr

Wagnis, meinen Weg zu kreuzen, teuer bezahlen lasse, möchte ich Ihr Gesicht sehen.“

Er hob die Hand. Milton war schneller als er. Jäh nahm er seine Hand herunter,

riß dem Chef die Maske ab und versetzte ihm einen Stoß. Seine Absicht war dabei gewesen, die Überraschung zu benutzen, seine Pistole zu ziehen und die Lage zu seinen Gunsten zu ent-scheiden. Aber der Überraschte war er selbst, denn als er das

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Gesicht des Chefs sah, rief er aus: „Pursdew! Sie?“ Durch sein Erstaunen gingen ihm kostbare Sekunden verlo-

ren. Pursdew, einer der angesehendsten Männer von Baltimore, war ein Entführer! Das konnte ja nicht sein. Und trotzdem er-klärten sich ihm jetzt viele Dinge, die er bisher nicht verstanden hatte. Pursdew lebte stets im Überfluß, obgleich man allgemein wußte, daß seine Einnahmen nur gering waren, Milton hatte auch gehört, daß Pursdew namhafte Summen bei seinen letzten Geschäften verlor, Summen, von denen Milton nie angenom-men hatte, daß sie ein Mann wie Pursdew besaß.

Milton war nicht der einzige Erstaunte. Der Ausruf, der Mc-Kinley entfahren war, zeigte ihm, daß auch der Arzt den Mann kannte.

Wie wir schon erwähnten, hatte das Erstaunen Miltons ihn seinen augenblicklichen Vorteil verlieren lassen. Der Chef überwand den unerwarteten Angriff schnell und zwei seiner Untergebenen hatten dem Kapuzenmann die Arme herunterge-rissen, bevor er noch einer Gegenwehr fähig war.

Pursdew ging nicht mehr daran, sich die Maske aufzusetzen. Er sah den Kapuzenmann bloß mit gefährlich leuchtenden Au-gen an.

„Es ist traurig, sehr traurig“, sagte er, „daß Sie mein Inkogni-to gelüftet haben. Nicht für Sie, denn Sie waren von vornherein zum Tode verurteilt, aber für Doktor McKinley ... Meine Ab-sicht war, ihn in Freiheit zu setzen, sobald ich das Lösegeld er-hielt. Jetzt werde ich es natürlich auch bekommen, das ist klar, aber McKinley darf nicht weiterleben. Sie werden sich den Vorwurf machen müssen, daß dieser berühmte Arzt, der so viel getan hat, um Menschen zu retten, sterben muß. Nehmt ihm die Kapuze ab!“

Diesmal gab er den Befehl einem seiner Komplicen, anstatt es selbst zu tun.

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Einer der Leute ließ den Arm los, ergriff die Kapuze Miltons und riß sie herab.

Als das Antlitz des Kapuzenmannes zu sehen war, blickte ihn Pursdew verwirrt an. Er glaubte, ein bekanntes Gesicht zu erblicken, aber er erinnerte sich nicht, es jemals gesehen zu ha-ben.

„Das ist nicht möglich!“ sagte er. „Das ist nicht möglich! Wenn er mich gekannt hat, dann muß ich ihn doch auch ken-nen.“

Plötzlich ahnte er die Wahrheit und rief: „Er hat sich unkenntlich gemacht! Das ist nicht sein wahres

Gesicht! Wascht es ihm ab und wir werden sofort sehen, wen wir in Wirklichkeit vor uns haben.“

Milton wehrte sich wie ein Verzweifelter und es gelang ihm, sich aus den Händen der ihn Haltenden zu befreien. Jäh schlug er die Arme herunter, so daß ihm die Pistole in die Hand sprang. Dann packte er den Chef der Entführer am Arm und hielt ihm den Lauf an die Schläfe. So schnell hatte er gehandelt, daß die Männer sich noch gar nicht von ihrem Erstaunen erholt hatten.

„Zurück!“ schrie Milton. „Befiehl deinen Leuten, daß sie zu-rückgehen, Pursdew, oder ich zerschmettere dir den Schädel.“

Man hörte McKinley aufatmen. „Halt!“ befahl vom anderen Ende des Raumes her eine zarte,

aber drohende Stimme, die Milton erschauern machte. „Laßt die Pistolen fallen!“

Der Kapuzenmann wagte nicht den Kopf zu wenden. Er wußte sofort, was geschehen war. Die Rote Schlange kam ihm zu Hilfe. Wie ihr dies gelungen war, das mochte Gott wissen, aber es geschah jedenfalls zur rechten Zeit, um zu verhindern, daß die Leute, die McKinley bewachten, den Spieß wieder um-drehten.

Er hörte, wie zwei Pistolen zur Erde fielen. Weder Pursdew

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noch die beiden Männer in seiner Nähe hatten sich bewegt oder gesprochen. Die drei waren unentschlossen und sahen Milton an wie die Katze die Maus. Sie beobachteten jede Bewegung seiner Augen, um sich bei der ersten Gelegenheit auf ihn zu stürzen.

Wieder hörte man die Stimme der Roten Schlange. „Nehmen Sie eine der Pistolen vom Boden auf, Doktor, und

helfen Sie mir.“ McKinley gehorchte.

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„Gestatten Sie niemandem, auch nur mit den Augen zu zwin-kern. Bei der geringsten Bewegung schießen Sie“, hörte er sie sagen.

Nun erschien sie im Gesichtsfeld des Kapuzenmannes. Wie immer war sie rot gekleidet und trug eine Gesichtsmaske von derselben Farbe. In der Hand hielt sie eine kleine Pistole, die sie jetzt an das Genick des nächststehenden Mannes setzte.

„Lassen Sie die Pistole fallen!“ befahl sie. Der Mann brauchte keine Wiederholung dieser Aufforde-

rung. Auch der zweite war sehr folgsam. Milton durchsuchte indessen die Taschen des Chefs und nahm ihm seine Pistole ab. Dann zwang er ihn, sich mit den anderen an die Wand zu stel-len, wo McKinley sie in Schach hielt.

„Wir haben wenig Zeit zu verlieren, Kapuzenmann“, sagte die Rote Schlange jetzt. „Wir müssen alle diese Leute fesseln. Nimm das hier, für einen genügt es.“

Sie übergab ihm ein Paar Handschellen, die sie aus den Fal-ten ihres Kleides zog.

Milton zwang den Chef, sich mit dem Gesicht zur Wand zu stellen. Er schloß ihm die Hände mit den Handschellen auf dem Rücken zusammen und benutzte seine eigenen Hosenträger, um ihm die Füße zu fesseln. Darauf band er, so schnell er konnte, die anderen Verbrecher, indem er ihre Hosenträger, Gürtel und Hemdstreifen benutzte.

„Die Polizei wird jeden Augenblick das Haus besetzen“, sag-te die Frau in Rot. „Wir müssen fort sein, ehe es so weit ist. Sie können hier bleiben, Doktor, und die Leute bewachen. Dulden Sie aber nicht, daß sich einer bewegt. Da die Kerle gebunden sind und Sie über alle Waffen verfügen, können Sie in Ruhe die wenigen Minuten abwarten, bis die Polizei hier ist. Viel Glück! Los, Kapuzenmann!“

Sie faßte ihn bei der Hand und zog ihn schnell nach der an-deren Tür hin, die Milton nicht bemerkt hatte und durch die sie

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offenbar hereingekommen war. Sie kamen auf einen Gang, der kein Dach mehr hatte und ge-

langten an die Hinterseite des Gebäudes. „Ich glaube nicht, daß sie hier schon Posten aufgestellt ha-

ben“, sagte die Rote Schlange leise, „aber sei so leise als mög-lich und bleibe dicht bei mir. Ich weiß schon, wohin ich dich führe.“

Das Dickicht reichte auf dieser Seite bis an das Gebäude. Sie zwängten sich durch die Sträucher und traten vorsichtig auf, damit sie sich nicht durch das Knacken morscher Zweige ver-rieten. Nach kurzer Zeit kamen sie an die Mauer, die das Grundstück umgab. Die Rote Schlange ging einige Meter weit daran entlang.

„Hier ist ein Loch“, sagte sie, „aber nimm dich in acht vor den Brennesseln.“

Sie bückte sich und verschwand in einem Gesträuch an der Mauer.

Der Kapuzenmann folgte ihr. Nun befanden sie sich ganz in der Nähe der Stelle, wo Milton seinen Wagen gelassen hatte. Sie suchten ihn auf und stiegen ein.

„Laß den Motor noch nicht an“, sagte die Frau und wandte den Kopf zur Seite, um zu lauschen.

Kurz darauf hörte man von weitem ein Auto näher kommen. „Warte, bis es möglichst nahe ist“, befahl sie, damit das Ge-

räusch seines Motors unseren übertönt.“ „Ich glaube nicht“, entgegnete Milton, „daß man uns vom

Gebäude aus hören kann. Mein Motor ist fast lautlos, aber trotzdem will ich warten.“

Ein paar Minuten später setzte er den Wagen in Gang. „Ich kenne die Gegend hier ganz genau“, sagte er, „es ist

nicht notwendig, daß wir auf der Landstraße nach Baltimore zurückkehren.“

Er trat auf den Gashebel.

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Einige Minuten fuhren sie schweigend dahin, dann fragte er: „Woher wußtest du, wo ich mich befand, Rote Schlange? Du

kamst gerade zur rechten Zeit.“ „Ich las den Artikel in der Zeitung und begriff sofort, daß

Grimm ihn niemals gebilligt hätte, wenn er damit nicht etwas gegen dich bezwecken wollte. Da ich aber nicht wußte, was er vorhatte, jedoch annahm, daß der Plan, des Inspektors etwas mit deiner Festnahme zu tun hätte, ließ ich Grimm nicht mehr aus den Augen.“

„Weißt du, daß er mich heute morgen besuchte?“ „Ja, und damit wuchs mein Verdacht noch mehr. Als er dich

besucht hatte, fuhr er nach Hause und rührte sich den ganzen Tag nicht mehr weg. Bevor es dunkel wurde, kam Hauptmann Rawlings zu ihm, der auch nicht mehr fortging, ein Grund mehr, der ganzen Sache zu mißtrauen. Als die Nacht kam, ver-ließen beide das Haus, bestiegen den Wagen, in dem Rawlings gekommen war und fuhren auf Umwegen nach dem Institut. In der Nähe verbargen sie das Auto und sprachen mit einem Agen-ten, der dort postiert war und sie vermutlich hingerufen hatte.

Ich kam nicht rechtzeitig genug, um ihre ganze Unterhaltung mit anhören zu können, aber ich schnappte die letzten Worte auf. Rawlings sagte zu dem Agenten, daß dieser, wenn sie weg-gefahren seien, an dem verabredeten Ort warten sollte, um den Anruf nicht zu verfehlen. Dann sollte er sofort mit den anderen Leuten dorthin eilen, wohin sie ihn beorderten. Sie sprachen noch ein paar Augenblicke miteinander, dann gingen Grimm und der Hauptmann zu ihrem Wagen zurück. Dort befanden sie sich, als du ankamst.

Als ich dich sah, begriff ich sofort den ganzen Plan. Grimm hatte den Bericht nur veröffentlichen lassen, um bei dem ge-heimnisvollen Chef den Wunsch nach Rache an dir zu erregen und damit dir eine Falle zu stellen. Tat er das, so konnte Grimm zwei Fliegen mit einer Klappe töten: nämlich ihn und dich fest-

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nehmen. Auf der anderen Seite verstand ich, daß du begriffen haben mochtest, daß es sich um eine Falle handle, du aber trotzdem alles versuchen würdest, um deinen Freund zu reiten.“

„Und – wollte der Kapuzenmann wissen, „wie bist du ihnen zuvorgekommen?“

„In Wirklichkeit kam ich ihnen nicht zuvor, wenigstens nicht dorthin, wo du warst. Aber ich wußte, daß ich Zeit hafte, dir zu Hilfe zu eilen. Rawlings und Grimm trugen sich nicht mit der Absicht, allein in das Haus einzudringen. Sie fürchteten, es könnte ihnen jemand entkommen. Ebensowenig aber hatten sie sich von jemandem begleiten lassen, aus Furcht, zu viel Auf-merksamkeit zu erregen.

Der Wagen, in dem sie fuhren, enthielt ein kleines Sendege-rät. Sobald sie wußten, wo sich der Schlupfwinkel der Entführer befand, sandten sie entsprechende Nachricht an ihre Leute, da-mit diese herbeieilten. Sie begingen damit einen großen Fehler. Wenn sie, statt bis zum letzten Moment zu warten, ihre Agenten laufend per Radio über ihren Weg unterrichtet hätten und diese ihnen in einem zweiten Wagen in einer größeren Entfernung gefolgt wären, würde uns keine Zeit mehr geblieben sein.

Solange Grimm und der Hauptmann vor dem Hause auf die Ankunft ihrer Leute warteten, um das ganze Gebäude zu um-zingeln, konnte ich also dir zu Hilfe kommen. Damit weißt du alles.“

Der Kapuzenmann schwieg einen Augenblick. „Wenn die Entführer nicht so sicher gewesen waren, daß ich

ihnen folgte und ich nicht so viel Aufmerksamkeit auf den Wa-gen vor mir verwandt hätte, ohne daran zu denken, daß man mich verfolgen könnte und wenn Grimm und der Hauptmann nicht so darauf aus gewesen wären, mich nicht aus den Augen zu verlieren ... hätte auf dem Weg leicht etwas passieren kön-nen. Eine schöne Prozession, die wir da aufführten: vorne die Entführer, als zweiter ich, das Auto der Polizei hinter mir, und

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du machtest den Schluß. Das muß doch jedem auffallen. Und jetzt fällt mir etwas ein. Du hast deinen Wagen verlassen. Glaubst du, daß nicht die Gefahr besteht, daß die Polizei durch ihn deine Persönlichkeit feststellen kann?“

„Sie werden den Wagen nicht finden“, entgegnete die Rote Schlange ruhig.

„Man wird die ganze Umgebung nach dem Kapuzenmann absuchen und bei dieser Gelegenheit ...“

„Dann müßten sie sehr weit herumsuchen, um meinen Wa-gen zu finden, denn ich ließ ihn zwei Kilometer vom Institut entfernt stehen.“

Milton sah überrascht auf. „Aber wie konntest du dann hierhergelangen?“ fragte er. „Ich schloß genau wie du, daß zu viele Autos hintereinander

herfuhren und wollte kein Risiko laufen. Deshalb machte ich mir die Reise einfacher.“

„Wie?“ „In demselben Wagen wie unser Freund, der Inspektor. Ich

benutzte den letzten Augenblick, um mich so bequem als mög-lich im Fond des Autos zu verbergen. Ich wußte genau, daß es keinem der beiden einfallen würde, sich umzusehen. Sie hatten genug damit zu tun, nach vorne zu blicken und konnten nicht vermuten, daß jemand, am wenigsten aber die Rote Schlange, seelenruhig hinter ihnen saß.“

Sie lachte belustigt auf. „Ich würde gerne das Gesicht des armen Inspektors sehen“,

sagte sie, „wenn er erführe, welchen Fahrgast er gehabt hat.“ „Er wird es niemals wissen, daß du es warst.“ „Du irrst dich; er wird es wissen, sobald er einmal ins Innere

seines Wagens sieht. Ich habe ihm eine Visitenkarte dortgelas-sen, auf der ich ihm meinen Dank dafür niederschrieb, daß er mich dorthin brachte, wo du mich erwartetest.“

Nun lachte der Kapuzenmann auf, aber plötzlich wurde er

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wieder ernst, als ihm ein Gedanke einfiel. Die Tatsache, daß Grimm ihm jene Falle gestellt hatte, ließ darauf schließen, daß er tatsächlich wußte, daß eine Verbindung zwischen dem Kapu-zenmann und dem Institut bestand. Für ihn war es nicht so wichtig; er brauchte einfach nur irgendeine andere Verbindung mit McKinley herzustellen. Aber für den Arzt lag der Fall an-ders. Wenn der Inspektor eine Haussuchung machte und das Sendegerät fand, lief der Doktor Gefahr, als Komplice des Ka-puzenmannes verhaftet zu werden. Niemals aber würde man seinen Worten Glauben schenken, daß er den Kapuzenmann nicht kannte und auch nicht wußte, wer dieser war. Er teilte sei-ne Befürchtungen der Roten Schlange mit, die ihn sofort beru-higte.

„Grimm sprach fast den ganzen Weg über mit dem Haupt-mann“, sagte sie, „und beide diskutierten eifrig, welcher Mittel du dich wohl bedient hättest, um zu erfahren, was in dem Insti-tut geschah. Sie vermuten die Wahrheit nicht. Sie glauben vielmehr, daß du in diesem Institut einen Helfershelfer hast, dessen einzige Aufgabe darin besteht, dich anzurufen, wenn dem Doktor eine Gefahr droht. Was du jetzt tun mußt, ist ein-fach. Gehe sobald als möglich zu Doktor McKinley. Er soll dir sagen, welchen Angestellten er am leichtesten entbehren kann. Diesem Angestellten läßt du in einem entfernten Teil des Konti-nents eine Stellung anbieten. Es muß sich um einen gutbezahl-ten, schnell zu besetzenden Posten handeln. Wenn es ihn inter-essiert, wäre es erforderlich, daß er sofort abreist.

McKinley läßt dann ein paar Tage verstreichen und meldet darauf der Polizei, daß der Mann verschwunden ist. Er wird angeben, daß er seit derselben Nacht abgängig ist, in der er selbst entführt wurde. Niemand hat ihn seither gesehen und weiß, wo er sich befindet. Als nächstes kannst du Grimm eine Nachricht schicken, daß er sich nicht bemühen solle, den Ver-schwundenen zu suchen. Sage ihm, er wäre dein Agent gewe-

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sen, und du hättest ihn nach Europa geschickt, damit ihn die Polizei nicht fände, da du deren Vermutungen durchschaut hät-test. Damit wirst du den Glauben Grimms bestärken und dir die Wirksamkeit deines Apparates erhalten. Paß’ jedoch in Zukunft darauf auf, nicht wieder den Irrtum zu begehen, der Polizei mehr zu sagen, als sie zu wissen braucht.“

Und ehe der Kapuzenmann antworten konnte, fügte sie hin-zu:

„Halte, bitte, und lasse mich ans Steuer.“ „Warum?“ „Weil du nicht weißt, wo mein Wagen steht, und ich will ihn

doch holen.“ „Willst du mich so schnell verlassen?“ Die Rote Schlange lachte. „Was erwartest du denn?“ fragte sie. „Eine Gelegenheit, um mit dir zu sprechen.“ „Du hast sie ja jetzt.“ „Das ist nicht das, was ich möchte. Ich sehne es herbei, mit

dir an einem Ort zu sprechen, wo wir nicht ständig in Gefahr sind. Ach, es ist ja dumm ... du weißt schon sehr gut, was ich meine. Warum spielst du die Verständnislose?“

„Und warum willst du über Dinge sprechen, die gegenwärtig nicht möglich sind. Ich kann und darf dich nicht anhören. Du glaubst verliebt zu sein, was ich dir ja schon öfters gesagt habe. Aber glaubst du, daß deine Liebe auch so groß ist, um den An-blick meines unmaskierten Gesichtes zu ertragen? Du hast dir bestimmt ein falsches Bild von mir gemacht. Sei klug und träume weiter. Träume können sehr schön sein, zumeist viel schöner als die Wirklichkeit.“

„Du täuschst dich, Rote Schlange, aber ich kann mich nicht täuschen. Ich kenne dich nicht und weiß deinen Namen nicht. Ich habe dein Gesicht nie gesehen und weiß nicht, wer du bist. Ich habe mich nicht in ein Gesicht verliebt, sondern in deine

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Seele, deren Schönheit mir aufging. Und dann glaubst du, daß der Anblick eines Gesichtes eine Liebe auslöschen könnte, die so tiefe Wurzeln geschlagen hat? Dein Gesicht könnte noch so häßlich sein, ich würde dich weiterlieben, denn in ihm würde ich nichts sehen als eine zweite Maske ... hinter der eine wun-derbare Seele sich verbirgt. Eine gute Seele ... denn die Seele ist das einzige, was ich an dir bewundere. Meine Liebe steht über allem, weil es die wahre Liebe ist, die einzige, die nie vergeht.“

Der Wagen hielt. Die Augen Miltons leuchteten. Die Rote Schlange legte leicht ihre Hand auf den Arm des jungen Man-nes, den es von den Schultern bis in die Fingerspitzen wie ein elektrischer Schlag durchzuckte. Ganz sanft klang die Stimme der Frau, als sie sagte:

„Milton, ich bitte dich ... sprich jetzt nicht davon. Ich habe eine Mission zu erfüllen, und deine Worte könnten mich schwach machen. Habe Geduld und glaube an mich ... und wenn es notwendig ist, füge dich in das Unvermeidliche. Viel-leicht ändert sich alles, der Himmel lichtet sich, die Mauer, die mich zu meinem Leidwesen umgibt, bricht vielleicht einmal zusammen ... Wenn dieser Tag kommt ...“

„Und wenn er nicht kommt, Rote Schlange?“ „Wenn er nicht kommt“, antwortete die Frau langsam und

mit unendlicher Traurigkeit, „dann würde ich sicherlich mehr verlieren als du, Milton. Laß mich ans Steuer.“

Milton gehorchte wortlos. Er öffnete den Schlag und trat mit einem Fuß auf das Trittbrett, in dem er sich zur Seite beugte. Die Rote Schlange glitt auf den Sitz hinüber, um ihren Platz einzunehmen. Einen Augenblick waren die Gesichter in unmit-telbarer Nähe. Milton fühlte die Berührung der blonden Haare und atmete deren berauschenden Duft ein ... Etwas mochte der Frau seine Sehnsucht kundtun. Überrascht hob sie den Kopf und fühlte den Kuß, den Milton mit bebenden Lippen auf ihren Mund preßte.

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Nur wenige Sekunden blieben sie so vereint, dann schoben die Hände der Roten Schlange den Ungestümen sanft beiseite und zwangen ihn, den Schlag von außen zu schließen.

Milton stieg von der anderen Seite wieder ein, und die Fahrt ging schweigend weiter. Beide waren zu aufgewühlt, um zu sprechen.

Endlich hielt das Auto ganz in der Nähe eines anderen Wa-gens, der in einem Gebüsch verborgen stand. Die Rote Schlan-ge stieg aus, und Milton folgte ihr.

„Rote Schlange“, sagte er, und in seiner Stimme schwang Reue: „Verzeihe mir, meine Gefühle waren stärker als ich.“

Das Mädchen antwortete nicht. Es stand hochaufgerichtet, unbeweglich, wie eine rote Fackel in der Dunkelheit.

„Willst du mir nicht antworten, Rote Schlange?“ rief der Mann verwirrt aus.

Die Rote Schlange bewegte sich plötzlich. Ihre Lippen streif-ten das Antlitz Miltons. Eine Stimme flüsterte an seinem Ohr:

„Gehe, Milton, bitte – und quäle mich nicht mehr.“ Dann stieg das Mädchen in den Wagen. Der Motor sprang

an, das Auto beschrieb eine Kurve und fuhr auf die Landstraße. Seine Lichter durchstießen das Dunkel.

Milton Drake bewegte sich nicht. Der Boden unter ihm schien zu wanken. Das Herz schlug ihm bis zum Halse.

Er fuhr sich mit der Hand ganz langsam über das Gesicht, um die Stelle zu berühren, wo ihn die Lippen des Mädchens flüchtig gestreift hatten.

Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück. In seinem Herzen schwang eine stumme, zitternde Freude.

Bevor er wegfuhr, warf er noch einen Blick auf das Gebüsch, wo der Wagen gestanden hatte. Er würde die Stelle stets wie-dererkennen.

Denn hier war es gewesen, wo ihn die Rote Schlange zum ersten Male freiwillig geküßt hatte ...

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* *

*

8. Kapitel

GRIMM VERHAFTET DEN – KAPUZENMANN Milton Drake fuhr, so rasch er konnte, nach Hause. Er benützte den Geheimgang, um in sein Zimmer zu gelangen und war ge-rade mit dem Abschminken und der Wiederherstellung seines Normalzustandes beschäftigt, als ein Klopfen an seiner Tür er-kennen ließ, daß der Mayordomo ihn zu sprechen wünschte.

„Was gibt’s?“ fragte Milton etwas ungehalten, obgleich er ahnte, welche Bewandtnis diese Störung haben würde.

„Inspektor Grimm erwartet Sie im Rauchsalon“, sagte der Mayordomo.

„Es ist gut“, erwiderte Milton. „Haben Sie ihm gesagt, daß ich zu Hause bin?“

„Jawohl, Herr. Ich sagte ihm, daß Sie auf Ihrem Zimmer wä-ren. Er fragte mich noch, ob Sie vielleicht die Absicht geäußert hätten, heute abend fortzugehen. Wahrheitsgemäß konnte ich ihm nur sagen, daß mir davon nichts bekannt sei.“

„In Ordnung“, sagte der Multimillionär und mußte leise lä-cheln. Sein Freund Grimm wandte sehr plumpe Methoden an, um ein wenig Licht in die für ihn offenbar reichlich dunkle An-gelegenheit zu bringen. „Ich komme sofort hinunter. Bringen Sie indessen Whisky. Inspektor Grimm wird eine kleine Stär-kung sehr nötig haben.“

Der Mayordomo entfernte sich. Milton zog seinen Schlafrock an und kam kurze Zeit später

in den Rauchsalon, wo es sich Grimm bereits in einem der tie-fen Sessel bequem gemacht hatte.

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„Nun, Oliver“, sagte der Multimillionär nach der Begrüßung, „was verschafft mir das zweitemal an diesem denkwürdigen Tage das Vergnügen Ihres Besuches? Noch dazu zu so später Nachtstunde? Ich wollte mich gerade zu Bett begeben.“

„Hm“, knurrte der Inspektor, „Sie werden ja auch verdammt müde sein, schätze ich.“

„Weshalb sollte ich müde sein?“ fragte Milton mit gutge-spieltem Erstaunen. „Meine Tätigkeit ist doch lange nicht so anstrengend wie Ihre.“

„Es ist jetzt fast drei Uhr früh“, sagte Grimm und holte hörbar tief Atem, „ich habe nicht die geringste Lust, Ihren lächerlichen Redensarten Glauben zu schenken. Im Gegenteil: die Tatsache, daß Sie noch gar nicht geschlafen haben, beweist mir vielmehr, daß Sie erst vor kurzer Zeit nach Hause gekommen sind.“

Milton Drake, der bisher gestanden hatte, nahm nun Platz und goß sich ein Glas Whisky ein. Er lehnte sich zurück und lächelte. „Hören Sie, Oliver“, sagte er sehr langsam und be-dächtig. „ich schätze Ihre kriminalistischen Fähigkeiten außer-ordentlich. Trotzdem erscheint es mir etwas merkwürdig, daß Sie ausgerechnet immer an mir Ihr Talent erproben wollen. Ich bin dazu nicht das geeignete Objekt; ich glaube, daß ich Ihnen das schon mehrmals – allerdings bisher ohne Erfolg – zu ver-stehen gegeben habe.“

„Lassen Sie dieses Geschwätz“, sagte Grimm ärgerlich. „Ich habe einen sehr anstrengenden Tag hinter mir, von der Nacht ganz zu schweigen. Außerdem bin ich nicht hierhergekommen, um mich mit Ihnen über den Wert oder Unwert kriminalisti-scher Methoden zu unterhalten. Meine Methoden sind jeden-falls die richtigen; davon werden Sie vermutlich sehr bald Ge-legenheit haben, sich überzeugen zu können. Was mich aber momentan interessiert, ist folgendes: Weshalb leugnen Sie, die-ses Haus erst vor ganz kurzer Zeit betreten zu haben?“

Milton überlegte sekundenlang. Es war durchaus möglich,

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daß Grimm am Gartentor postiert gewesen war und gesehen hatte, wie Miltons Auto zurückkam. Gegen diese Annahme sprach allerdings, daß bis zum Erscheinen des Inspektors dann noch mindestens zwanzig Minuten vergangen waren. Wäre Grimm wirklich in unmittelbarer Nähe gewesen, dann hätte er sofort gehandelt und mit dem Besuche hier im Hause nicht so lange gewartet. Irgendwelche Verdachtsmomente mußte der Inspektor aber haben, sonst würde er nicht eine so sichere Spra-che führen. Es galt also, vorsichtig zu sein.

„Ich habe gerade überlegt“, erwiderte Milton langsam, „ob Sie diskret sein können. “

Der Inspektor kniff die Augen zusammen. „Sie geben also zu, erst vor ganz kurzer Zeit zurückgekommen zu sein. Die Wagenspuren auf dem Kiesweg sind nämlich noch ganz frisch.“

Das war es also. Milton atmete erleichtert auf. Gleichzeitig schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. „Nun, Oliver“, sagte er, „ich baue auf Ihre Diskretion. Mein Sekretär Garth ist vor etwa zwanzig Minuten nach Hause gekommen. Er hat meinen Wagen benützt, allerdings mit meinem Einverständnis. Garth kennt eine junge Dame in der Stadt, und er besucht sie manch-mal um diese Zeit. Es ...“

Grimm hatte sich erhoben und war zur Tür gegangen. Dort drückte er auf den Klingelknopf. Wenige Sekunden später betrat der Mayordomo das Zimmer. „Sie haben geläutet, Herr?“, einen Blick auf Milton werfend.

„Ich habe geläutet“, unterbrach der Inspektor knurrend, „und zwar deshalb, weil Sie mir vorhin eine falsche Auskunft gege-ben haben. Herr Milton Drake ist doch vor etwa zwanzig Minu-ten mit dem Auto zurückgekommen. Stimmt das?“

„Bedaure“, erwiderte der Mayodomo leicht gekränkt. „Ich habe überhaupt nichts gehört, da ich um diese Zeit schon zu schlafen pflege. Erst durch Ihr ungestümes Erscheinen, Herr Inspektor, wurde meine Nachtruhe unterbrochen.“

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„Ist es üblich, daß Herr Garth mit dem Wagen Ihres Herrn manchmal ausfährt?“ examinierte Grimm unbeirrt weiter.

„Es ist durchaus üblich“, bemerkte der Mayordomo. „Herr Garth genießt eine Vertrauensstellung.“

„Wie scheinbar alle hier im Hause“, ergänzte Grimm sarka-stisch. „So, und jetzt schicken Sie mir den Pförtner her.“

„Der Pförtner darf seinen Posten beim Tor nicht verlassen“, erklärte der Mayordomo strafend. „Aber wenn Sie ihn etwas fragen wollen, so stelle ich gerne die gewünschte telefonische Verbindung her.“ Er machte sich an dem Wandapparat zu schaffen und hielt Grimm dann den Hörer hin. „Bitte sehr, wenn Sie nun mit dem Pförtner sprechen wollen. Er hat sich bereits gemeldet.“

Der Inspektor nahm den Hörer und rief in die Muschel: „Hal-lo, hier spricht Inspektor Grimm vom FBI. Ich habe eine Frage an Sie: Wann ist Herr Milton Drake mit dem Wagen heute nacht zurückgekommen ...? Ich meine nicht das Auto, sondern Herrn Milton Drake ... Ach so, Sie haben ihn nicht gesehen. Sie wissen auch nicht, wer in dem Wagen gesessen hat ... Hm ... Hallo, noch etwas: Fährt Herr Garth manchmal um diese Stunde mit dem Wagen spazieren ...? Möglich, was heißt möglich, Mann ...? Haben Sie ihn schon um diese Zeit einmal gesehen oder nicht? Danke, das genügt.“ Grimm hängte den Hörer auf und zog die Stirn in krause Falten. „Noch eines“, sagte er und wandte sich an den Diener: „Haben Sie gesehen oder gehört, daß vor etwa zwanzig Minuten Herr Garth auf sein Zimmer gegangen ist?“

„Wenn ich Sie daran erinnern darf, Herr Inspektor“, erwider-te der Mayordomo, „so pflege ich um diese Zeit zu schlafen. Ich habe überhaupt nichts gehört.“

„Na schön“, sagte Grimm achselzuckend. „Dann seien Sie wenigstens so freundlich und schicken Sie mir Herrn Garth her-unter.“

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„Sehr wohl“, bemerkte der Mayordomo und entfernte sich kopfschüttelnd.

Milton mußte lächeln. Der gute Inspektor hatte keine Ahnung, was ihm nun bevorstehen würde. Er schien seiner Sache so si-cher zu sein.

Als Garth das Zimmer betrat, war selbst Milton erstaunt. Der kleine, sonst so adrett gekleidete Mann sah aus, als ob er be-trunken wäre. Sein Hemdkragen stand weit offen, die Krawatte pendelte unordentlich über dem nur nachlässig zugeknöpften Anzug, und er hatte seltsam verglaste Augen. „‘n Abend, die Herren“, sagte der Sekretär und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, die der Mayordomo hinter ihm wieder ge-schlossen hatte.

„Sagen Sie“, begann Grimm das Verhör, „stimmt es, daß Sie erst vor ganz kurzer Zeit nach Hause gekommen sind?“

Garth riß erstaunt die Augen auf. Dann wanderten seine Blicke ein wenig mißbilligend zu Milton Drake hinüber. „Tut mir leid, Herr“, sagte er stockend. „aber ich finde es nicht schön, daß Sie meine kleinen Geheimnisse hier so – so preis-geben. Weiß gar nicht, was mein – mein Mädel mit der ganzen – ganzen Geschichte zu tun haben soll.“

„Halten Sie keine Volksreden“. sagte Grimm ärgerlich. „Wo waren Sie und um wieviel Uhr kamen Sie in dieses Haus zu-rück? – Beantworten Sie endlich meine Fragen!“

„Wo – wo ich war?“ wiederholte Garth erstaunt. „Ich – ich war bei einer – einer jungen Dame, die – die meine Braut ist.“

„Name?“ fragte Grimm hastig. Garth lächelte. Es war das ty-pische, beinahe selige Lächeln eines Betrunkenen. „Der – der Kavalier genießt und – und schweigt“, sagte er sehr langsam und bedächtig.

„Ich kann Sie zwingen, den Namen und die Adresse der Da-me zu nennen“, schrie der Inspektor unbeherrscht.

„N – nein“, bemerkte Garth freundlich, „n – nein, Inspek –

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Inspektor, das – das können Sie nicht. Kein Gericht und keine Polizeistation auf der ganzen Welt wird – wird von mir erfah-ren, wie – wie das entzück – entzückende junge Mädchen heißt und wo es wohnt. Ich – ich bin nämlich schreck – schrecklich eifersüchtig.“

Grimm sah ein, daß er so nicht weiterkam. „Wo haben Sie das Taxi aufgenommen, das Sie hierherbrachte?“ fragte er hin-terhältig.

Der Sekretär mußte rülpsen. Er tat dies so echt, daß selbst Mil-ton die Verstellungskunst des kleinen Mannes uneingeschränkt bewundern mußte. „Ich – ich habe gar kein – kein Taxi ge-braucht – , sagte Garth, „ich – ich bin zu Fuß gegangen.“

„Aha!“ rief Grimm triumphierend aus und sah zu Milton hinüber. Dieser saß, ohne einen Muskel seines Gesichtes zu bewegen, in dem Stuhl und beobachtete die beiden. Daß sein Herz nach der letzten Äußerung Garths hörbar zu schlagen be-gonnen hatte, konnte der Inspektor glücklicherweise nicht wahrnehmen.

„Ja“, bestätigte der Sekretär, „ich bin zu Fuß gegangen. All – allerdings nur höchstens dreißig Schritte.“

„Was soll denn das wieder heißen?“ rief Grimm erbittert aus. „Nun ja“, sagte Garth lächelnd. „vom Wagen bis zu meinem

Zimmer werden es wohl nicht mehr als höchstens dreißig Schritte sein.“

Grimm zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen. „Von welchem Wagen?“ fragte er zornbebend.

„Vom – vom Wagen meines Herrn“, erwiderte der Sekretär. „Er – er ist nämlich so freundlich und – borgt mir ihn manchmal. Ich – ich bin ihm sehr dankbar dafür. Noch dazu heu – heute, wo es so lustig war.“

„Das merkt man Ihnen an“, sagte Grimm wütend. Er sah, daß er diese Partie verloren hatte. Trotzdem wagte er noch einen letzten Versuch. „Wissen Sie, daß ein gewisser Mr. Pursdew

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heute nacht den Kapuzenmann von Angesicht zu Angesicht gesehen hat?“

„Hoch – hochinteressant“, erwiderte Garth sichtlich gelang-weilt und gähnte herzhaft. „Ich – ich gratuliere.“ Er streckte dem Inspektor die Hand hin, wobei er merklich schwankte.

Dieser offenbare Hohn brachte Grimm beinahe zur Weißglut. „Sie werden mich nicht zum Narren halten, Garth“, rief er ent-rüstet aus. Er griff nach dem Hörer des Telefonapparates und sagte:

„Welche Nummer hat der Pförtner?“ „Sechs“, sagte Milton freundlich. Er war gespannt, was nun

kommen würde. Grimm hatte seine Offensive scheinbar noch immer nicht aufgegeben,

Der Inspektor wählte die Nummer und sagte dann in die Mu-schel hinein:

„Hören Sie, hier ist nochmals Inspektor Grimm. Verständi-gen Sie Hauptmann Rawlings, der in meinem Wagen vor dem Tor wartet, daß er mit dem Mann heraufkommen soll ... Nein, er soll den Mann mitbringen. Ja, den Mann, der bei ihm im Wagen sitzt. Danke.“ Er hängte auf und ging zum Tisch zurück. Noch stehend, stürzte er ein Glas Whisky hinunter.

„Anstrengende Nacht“, sagte Milton lächelnd. „Übrigens, brauchen Sie Garth noch? Er sieht nämlich so aus, als ob er ein wenig Schlaf ziemlich nötig hätte.“

„Natürlich brauche ich ihn noch“, polterte Grimm. „Und jetzt werden euch beiden die Augen übergehen, das kann ich garan-tieren.“

„Dann nehmen Sie wenigstens Platz, Garth“, sagte Milton, den die Drohung des Inspektors offenbar gar nicht ein-geschüchtert hatte. „Wollen Sie auch ein Gläschen zum Abge-wöhnen?“

„Dan – danke, Chef“, sagte Garth, ließ sich in einen Sessel fallen und nippte an dem dargebotenen Glase.

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„Ein – ein herrlicher Stoff“, ergänzte er, „ein ganz wun – wunderbares Getränk. Ich – ich habe heute schon viel – viel-leicht etwas über den Durst getrunken, aber – es war so lustig, also wenn ich – wenn ich Ihnen erzählen soll, wie ...“

„Schweigen Sie“, knurrte der Inspektor, „wir sind nicht neu-gierig, wie Sie Ihre Freizeit zubringen. Außerdem wird sich ja jetzt sofort herausstellen, wo Sie tatsächlich waren.“

„Da – da bin ich aber – aber neugierig“, sagte Garth und genehmigte sich noch einen Schluck.

Am Gang wurden jetzt Schritte hörbar. Wenig später trat Hauptmann Rawlings ein. „Zur Stelle, Inspektor“, sagte er und, einen Blick auf Milton Drake werfend, grüßte er sehr förmlich. „Ich habe den Mann einstweilen draußen gelassen. Er wartet auf dem Korridor.“

„Lassen Sie ihn hereinkommen“, sagte Grimm. Rawlings öffnete die Tür und ließ den Mann, von dem bisher

so geheimnisvoll die Rede war, eintreten. Milton konnte sich einer leisen Überraschung kaum erwehren. Es war Pursdew. Er sah sehr mitgenommen aus, außerdem waren seine Hände noch immer gefesselt, diesmal allerdings nicht mehr mit Hosenträ-gern, sondern nur mit einem Paar sehr solider Polizei–Hand-schellen.

„Herr Pursdew“, rief Milton aus, „Sie – im Gewahrsam der Polizei? Das kann doch nur ein höchst bedauerlicher Irrtum sein.“

Der Angeredete schwieg und halte die Augen gesenkt. Man sah ihm deutlich an, daß er sich seiner Lage entsetzlich schäm-te. Schließlich hatte er bisher immer als angesehener Mann ge-golten, und nun wurde er nächtlich erweise, mit Handschellen geschmückt, in der Stadt bei vornehmen Leuten zur Besichti-gung freigeboten. Anders vermochte er sich nämlich diesen merkwürdigen Auftritt nicht zu erklären.

„Pursdew“, sagte Grimm kurz, jede höflichere Anrede ab-

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sichtlich vermeidend, „ich habe Sie hierhergebracht, um Ihnen Gelegenheit zu geben, der Polizei einen unschätzbaren Dienst zu erweisen. Es würde Ihre Situation erheblich verbessern, wenn Sie diese einmalige Chance nicht ungenützt vorübergehen lassen würden.“

Pursdew war aufmerksam geworden. Was wollte man von ihm? Doch bevor er darauf noch eine Antwort finden konnte, erklang aufs neue die Stimme des Inspektors.

„Pursdew“, sagte dieser, „Sie haben heute nacht den Kapu-zenmann gesehen. Sie haben ihm Auge in Auge gegenüberge-standen. Und nun betrachten Sie einmal die beiden Männer, die sich hier im Zimmer befinden. Fällt Ihnen gar nichts auf?“

Der Gefesselte starrte auf Milton Drake, dann glitt sein Blick von diesem ab und verweilte auf der Gestalt des Sekretärs Garth, den er wohl zum erstenmal in seinem Leben sah. Wieder kehrte sein forschender Blick zu Milton Drake zurück, um dann zu Garth hinüber zu schwenken.

„Nun reden Sie schon“, forderte Grimm den Zögernden ha-stig auf. „Sie brauchen keine Bedenken zu haben.“

„Dieser hier ist es“, sagte Pursdew und zeigte mit den gefes-selten Händen auf den Sekretär, der gerade einen Schluck Whisky zu sich nahm und dem vor Schreck ob dieser uner-warteten Bezichtigung beinahe das Glas aus der Hand fiel.

„Aha“, sagte Inspektor Grimm, obgleich er etwas enttäuscht war, denn er hatte eigentlich damit gerechnet, daß Pursdew auf Milton Drake zeigen würde. „Und Sie erkennen in diesem Indi-viduum den Kapuzenmann ganz deutlich?“

„Ich – ich pro – protestiere“, sagte Garth feierlich, „ich bin weder der Kapu – Kapuzenmann, noch ein Indivi – Indivi-duum. Das geht zu weit.“

„Das meine ich auch“, ergänzte Milton in diesem Augenblick und erhob sich. „Herr Pursdew, ich möchte Ihnen anraten, sich weniger auf die Versprechungen Oliver Grimms als vielmehr

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auf Ihr eigenes Gedächtnis zu verlassen. Ich weiß zwar nicht, was Sie in diese unangenehme Situation gebracht hat, glaube es aber erraten zu können, da mich mein Freund Grimm über die Affäre rund um die Entführung des hochgeschätzten Doktor McKinley einigermaßen auf dem laufenden gehalten hat. Trotz-dem möchte ich Sie bitten, bei der Wahrheit zu bleiben.“

„Es ist die Wahrheit“, schrie Pursdew mit rotem Gesicht. „Dieser Bursche hier“, er zeigte neuerlich auf Garth, „hat sich als Kapuzenmann ausgegeben. Ich erkenne sein Gesicht ganz deutlich.“

„Stehen Sie einmal auf “, befahl Milton seinem Sekretär. Dieser erhob sich ein wenig schwankend. „Bleiben Sie noch immer bei Ihrer unerhörten Anschuldi-

gung?“ fragte Milton. „War der Kapuzenmann, mit dem Sie es zu tun hatten, tatsächlich von so kleiner Statur?“

„Ja“, sagte Pursdew verbissen. Offenbar hatte er die Chance, die ihm Grimm angekündigt hatte, ergriffen und hielt nun ver-zweifelt daran fest.

„In Ordnung“, sagte der Inspektor. „Hauptmann Rawlings, ich möchte Sie bitten, die beiden zum Wagen hinunter zu be-gleiten. Ich komme dann gleich nach.“

„Die beiden?“ fragte Milton betont. „Sie wollen doch damit nicht etwa sagen, daß Sie Garth verhaften und mitnehmen wollen?“

„Allerdings“, erwiderte Grimm seelenruhig. „Mir ist die Ge-schichte mit dem angeblichen Besuch des holden Bräutchens gleich nicht geheuer vorgekommen. Herr Garth hat kein nach-weisbares Alibi für die fragliche Zeit. Außerdem hat ihn Purs-dew einwandfrei erkannt und ... “

„Einwandfrei“, höhnte Milton. „Sicherlich“, gab der Inspektor kalt zurück. „Sie werden

selbst zugeben, daß meine Theorie über den Kapuzenmann mich stets in dieses Haus geführt hat. Hier in diesem Nest ist der Kapuzenmann zu suchen. Und jetzt haben wir ihn.“

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„Groß – großartig“, sagte Garth etwas mühsam. „Ich – ich habe mir gleich gedacht, daß dieser so lustig begonnene Abend gar – gar nicht traurig enden kann. Aber daß es noch so lu – lustig wird, hätte ich eigentlich nicht gedacht.“

„Schweigen Sie!“ donnerte Inspektor Grimm. Er gab Raw-lings einen Wink, und dieser ließ um Garths Handgelenke ein paar Stahlklammern zuschnappen.

Wenig später verließ der Hauptmann mit Pursdew und Garth das Zimmer.

„So“, sagte der Inspektor, „und nun zu Ihnen, mein lieber Milton. Ich komme hinter Ihr Geheimnis, verlassen Sie sich darauf. Vorläufig bleibt Ihr sauberer Komplice so lange hinter Schloß und Riegel, bis Sie sich eines Besseren besonnen und endlich die Wahrheit eingestanden haben.“

„Damit geben Sie also zu, daß Sie selbst fest davon über-zeugt sind, daß Pursdew gelogen hat und Garth an dem lächer-lichen Getue um den Kapuzenmann völlig unschuldig ist?“ fragte Milton empört.

„Ich gebe gar nichts zu“, erwiderte Grimm. Dann schritt er, hocherhobenen Hauptes und seines zukünfti-

gen Erfolges gewiß, aus dem Zimmer.

* * *

9. Kapitel

KNAPP AM ENDE VORBEI

Milton blieb in Gedanken versunken zurück. Zunächst machte er sich Vorwürfe, daß er Garth in diese unerfreuliche Ge-schichte hineingezogen hatte. Aber es war kein anderer Ausweg geblieben, nachdem der ewig schnüffelnde Inspektor die fri-

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schen Reifenspuren im Kiesweg gesehen hatte. Zum Glück war wenigstens die Verständigung mit Garth, der die ganze Zeit zu Hause gewesen war, glatt gegangen. Milton besaß im Rauchsa-lon einige gut versteckt montierte Taster, die eine Mikrofonan-lage in Funktion setzten, die es einem Außenstehenden gestatte-te, jedes in diesem Zimmer stattfindende Gespräch mitanzu-hören. In Garths Schlafraum war ein kleiner Lautsprecher an-gebracht, der die Übermittlung dieser Gespräche besorgte. Und Milton hatte in dem Augenblick, da er begonnen hatte, dem Inspektor die Geschichte von den heimlichen nächtlichen Aus-fahrten des Sekretärs zu erzählen, auf den Taster gedrückt, der unterhalb der Lehne seines Armsessels verborgen war, und auf diese Weise war Garth alarmiert worden und hatte dann seine ihm zugewiesene Rolle – sogar noch mit der szenischen Draufgabe eines Betrunkenen – sehr brav gespielt. Unvorher-gesehen war bloß die läppische Bezichtigung Pursdews gewe-sen, denn sie hatte Grimm ermöglicht, den armen Garth sozusa-gen als Geisel wegzuführen. Daß Pursdew nicht Milton ange-geben hatte, kam lediglich daher, weil der Bandenchef in der Person des Kapuzenmannes einen zur Unkenntlichkeit verän-derten Milton Drake zu Gesicht bekommen hatte und also prak-tisch bei der Konfrontation einem wildfremden Manne, nämlich Garth, und einem stadtbekannten Multimillionär gegenüber-stand. Letzteren grundlos zu bezichtigen, verbot ihm aber die Klugheit, also hatte er sich als wehrloses Opfer den Sekretär Garth ausgesucht, in der Hoffnung, durch diesen „Hilfsdienst“ bei der Polizei für sich selbst etwas herausschlagen zu können.

„Skrupelloser Kerl“, murmelte Milton und zerbrach sich den Kopf, wie er Garth aus seiner unangenehmen Lage befreien könnte. Wenig später hatte er jedoch eine Eingebung, die sich bei näherer Betrachtung als durchaus günstig erwies. Ja, so muß es gehen. Und Grimm sollte Augen machen, wie rasch ihm der Köder samt der Beute vom Haken schlüpfen würde.

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Milton begab sich in sein Schlafzimmer, wechselte rasch die Kleidung und verließ durch den Geheimgang das Haus. Er be-nützte den Wagen, der noch vor der Garage stand, fuhr beim Pförtner vorüber, der das Tor vom Innern des Wärterhäuschens aus automatisch öffnete und gewann unerkannt die freie Straße. Es war knapp nach vier Uhr früh.

Er fuhr in sehr schnellem Tempo zum Institut Dr. McKin-leys. Um diese Zeit lag es noch in völligem Dunkel, aber das störte Milton keineswegs. Wieder stellte er den Wagen in eini-ger Entfernung ab, dann kletterte er über die Einfriedung und war wenige Minuten später im Innern des Gebäudes.

Er wußte, daß sich die Privatgemächer des Doktors im zwei-ten Stockwerk befanden. Bevor er an der Türe zu der Wohnung des Arztes läutete, stülpte er die Kapuze über den Kopf.

Es dauerte einige Zeit, bis sich schlürfende Schritte von drinnen näherten. „Wer ist denn da?“ fragte eine verschlafene Stimme. Es war Doktor McKinley.

„Der Kapuzenmann“, sagte Milton Drake. Ein unterdrückter Ausruf des Erstaunens war zu hören. Dann

wurde der Schlüssel im Schlosse gedreht und der Maskierte konnte eintreten.

„Entschuldigen Sie die Störung“, sagte der Kapuzenmann. „Aber es ist äußerst dringend. Ich konnte leider nicht bis mor-gen früh warten.“

Der Arzt führte den Maskierten in das Schlafgemach. „Sie brauchen sich keinesfalls zu entschuldigen“, sagte er. „Ich habe Ihnen meine dreifache Errettung zu verdanken. Zuerst aus den Klauen der Irrenärzte und dann zweimal aus den Fängen der Entführer.“

„Lassen wir das“, bemerkte Milton hastig. „Ich bin gekom-men, um Sie zu bitten, daß Sie einen Unschuldigen aus den Händen der Polizei befreien. Es handelt sich um einen Mann, namens Garth, der Sekretär bei dem reichen Milton Drake ist.

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Sein Name ist Ihnen sicherlich geläufig. Nun hat Herr Pursdew angegeben, daß dieser Garth mit dem Kapuzenmann identisch ist. Bekanntlich hat ja Pursdew mein Gesicht für einige Augen-blicke lang sehen können. Ich nehme an, daß auch Sie mein Gesicht bei dieser Gelegenheit sehen konnten.“

„Ach, ich verstehe“, sagte der Arzt. „Es ist Ihnen also darum zu tun, daß ich vor der Polizei bestätige, daß Garth und der Ka-puzenmann auf keinen Fall ein und dieselbe Persönlichkeit sind.“

„Sehr richtig“, bestätigte Milton. „Das will ich gerne tun“, sagte der Arzt eifrig. „Ich kenne

doch Garth noch aus jener Zeit, da er mir bei der Flucht aus der Heilanstalt behilflich war. Jedenfalls hat er mit dem Gesicht, das ich heute nacht von Ihnen zu sehen bekam, keinerlei Ähn-lichkeit. Außerdem sind Sie ja viel größer.“

„Das genügt“, sagte Milton hastig, „und nun gestatten Sie, daß ich möglichst rasch wieder verschwinde. Ich habe nämlich das Gefühl, daß ...“

Ehe er seine Befürchtung noch aussprechen konnte, hämmer-ten bereits wuchtige Schläge an der Wohnungstür.

„Aufmachen“, schrie eine Stimme, in der Milton zu seinem Entsetzen die des Inspektors Grimm erkannte. „Aufmachen, Polizei! Ich schlage sonst die Tür ein.“

Der Kapuzenmann war mit einem Sprung beim Fenster. Er wollte sich schon auf die Brüstung schwingen, als ein Blick in den Garten hinunter ihn überzeugte, daß er es nicht wagen durf-te, hier herunterzuspringen. Es wäre sein sicherer Tod gewesen. Und hinunterklettern konnte er auch nicht, die Mauer war ganz glatt, außerdem hätte es zu viel Zeit erfordert, und Grimm konnte ihn währenddessen von oben her wie eine lahme Taube abknallen.

Es blieb kein anderer Ausweg mehr übrig, denn das Gepolter an der Tür verstärkte sich, er mußte sich hier in der Wohnung

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irgendwo verstecken. Ohne eine Sekunde länger zu zögern, schlüpfte er unter das Bett Doktor McKinleys.

„So, und jetzt öffnen Sie diesen alten Schnüffler“, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

Kaum fünf Sekunden später betrat Inspektor Grimm, gefolgt von dem sichtlich aufgeregten Arzt, das Schlafzimmer. „Es ist sonst nicht meine Art, Doktor“, sagte er, „aber ich hatte keine andere Wahl. Es handelt sich um die Verbindung, die von die-sem Kapuzenmann zu Ihnen führt. Der Bursche weigert sich zwar bis jetzt beharrlich, etwas zuzugeben, aber ich bin über-zeugt, daß er in diesem Hause einen Helfershelfer hat.“

„Wie“, fragte der Arzt, „Sie haben den Kapuzenmann erwischt?“ „Ja“, sagte Grimm, „er heißt Garth und ist Sekretär bei Mil-

ton Drake.“ Doktor McKinley lachte aus vollem Halse. Es klang zwar

etwas gezwungen, verfehlte aber seine Wirkung auf den Inspek-tor trotzdem nicht. „Wieso, was haben Sie denn?“ fragte Grimm gereizt.

„Ich habe doch den Kapuzenmann selbst gesehen“, erwiderte der Arzt hastig, „und zwar habe ich sein Gesicht ganz deutlich gesehen, als die Entführer ihm die Maske herunterrissen. Aber das war niemals das Gesicht von Garth, den ich doch ganz ge-nau kenne.“

Grimm nahm etwas konsterniert auf dem Bett Platz. Diese Mitteilung hatte ihn sichtlich erschüttert. „Nein, so etwas“, sag-te er nachdenklich, „und Sie sind dessen ganz sicher?“

„Natürlich“, erwiderte Doktor McKinley, „ich werde diese Tatsache morgen früh zu Protokoll geben. Garth muß sofort freigelassen werden.“

„Himmel, Donner und Hölle“, fluchte Grimm, „da hat mich zuerst dieser Pursdew angeschwindelt, und nun machen Sie mir noch mit Ihrer Zeugenaussage einen Strich durch die Rech-nung.“ Er griff in die Tasche seines Mantels, und dabei geriet

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ihm der Zettel in die Hände, den die Rote Schlange im Wagen zurückgelassen hatte. Er zog das Papier heraus und warf einen grimmigen Blick darauf. „Alles geht schief “, sagte er düster. Er knüllte den Zettel zusammen und wollte ihn wieder einstecken, als er ihm entglitt und auf den Boden fiel. Das Papierkügelchen rollte unter das Bett. Der Inspektor bückte sich und begann zu suchen. In diesem Augenblick sah er die Gestalt des Maskier-ten, die unter der Liegestatt lag. Er prallte zurück und hatte schon im Aufspringen den Revolver aus der Tasche gerissen.

„Kommen Sie heraus, Kapuzenmann“, schrie er mit trium-phierender Stimme, „jetzt ist das Spiel zu Ende.“

Milton Drake war der Verzweiflung nahe. Diesmal war er in der Hand seines gefürchtetsten Gegners, und er sah keine Mög-lichkeit mehr, um aus dieser wenig beneidenswerten Lage zu entkommen. Langsam schob er sich hinter dem Bett hervor.

Der Arzt riskierte einen gutgespielten Aufschrei. „Um Him-melswillen“, rief er, „wie kommt dieser Mann hier herein?“

„Das werden wir gleich von ihm selbst hören können“, sagte der Inspektor grimmig und faßte den Revolver fester.

„Hände hoch!“ rief in diesem Augenblick eine bekannte Stimme von der Tür her. Der Kapuzenmann war mit einem kat-zengleichen Sprung auf den Beinen und schlug dem völlig ver-dutzten Inspektor den Revolver aus der Hand. Er nahm die Waffe an sich, während er sich langsam zur Tür zurückzog, dorthin, wo die Rote Schlange mit schußbereitem Revolver stand und die beiden Männer, die mittlerweile die Hände in die Höhe genommen hatten, bewachte. Als er die Frau erreicht hat-te eilten beide in fliegender Hast zur Wohnung des Arztes hin-aus, nicht ohne vorher noch den Schlüssel rasch abzuziehen und von außen zuzusperren.

Sie jagten gemeinsam über den Korridor und die Treppen hinunter, gerade als die Trillerpfeife Grimms von der rückwärti-gen Front des Hauses her ertönte. Der Inspektor hatte vermut-

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lich oben das Fenster geöffnet und versuchte auf diese Weise, seine Begleiter zu alarmieren.

Sie kamen ins Erdgeschoß, und von dort wies die Rote Schlange in einen Kellergang hinein. Sie hasteten an summen-den Heißwasserröhren vorüber, dann kamen wieder ein paar Stufen, ein schmaler Korridor, und von dort gelangten sie durch einen Kanalausstieg ins Freie. Sie waren nur fünf Meter von der Umzäunung des Grundstückes entfernt,

In diesem Augenblick hatten die Polizisten sie vom Ein-gangstor aus bemerkt. Als die beiden die Einfriedung überklet-terten, fielen die ersten Schüsse. Sie sprangen auf die Straße hinab und rannten zu dem kleinen Wäldchen hinüber, in dem Miltons Wagen stand. Dicht daneben parkte der Zweisitzer der Roten Schlange.

„Los“, sagte die Frau. „Du fährst voraus. Ich decke deine Flucht, so lange es nötig ist. Und noch eines: immer kann ich nicht auf Oliver Grimm aufpassen, also sei in Zukunft etwas vorsichtiger.“

Milton wollte etwas erwidern, aber die Rote Schlange war schon in ihrem Wagen verschwunden. Er eilte zu seinem Ge-fährt hinüber, beschrieb noch im Anfahren eine ganz enge Rechtskurve und sauste dann in mörderischem Tempo die Stra-ße in der Richtung nach der Stadt hinab. Im Rückspiegel sah er, daß die Rote Schlange das Feuer der Verfolger erwiderte, und mit Genugtuung konnte er wahrnehmen, wie das Polizeiauto, von einem Schuß in einen Reifen getroffen, im Straßengraben landete.

Er fuhr, ohne sich noch einmal umzuwenden, nach Hause. Als er den Wagen verließ, sah er auf seinem Sitz einen Zettel liegen. Er nahm ihn an sich, kam durch den Geheimgang in sei-ne Gemächer, riß sich die Kleider vom Leibe und legte sich im Schlafanzug ins Bett. Erst dann las er die Zeilen, die auf dem Papier standen:

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„Vielleicht liebe ich dich doch ... Aber du mußt warten kön-nen. Wird das möglich sein?“

Und darunter ringelte sich in roter Schrift eine kleine ge-schmeidige Schlange.

Sekunden später klopfte der Mayordomo an der Tür. „In-spektor Grimm ist da“, sagte er. „Ich soll Ihnen mitteilen, daß Garth unschuldig ist. Der Befehl zur Enthaftung wird sofort nach der Rückkehr des Inspektors in das Polizeipräsidium un-terzeichnet.“

„In Ordnung“, sagte Milton. „Sonst noch etwas?“ „Ja“, sagte der Mayordomo. „Inspektor Grimm meinte, der

Motor Ihres Wagens vor der Garage sei noch warm. Ob Sie vielleicht noch einen Sekretär hätten, der die Erlaubnis besäße, in der Nacht zu seiner Braut zu fahren.“

„Mir ist davon nichts bekannt. Aber schließlich muß mich ja nicht jeder, der meinen Wagen benützt, ausgerechnet fragen.“

„Das war auch meine Meinung“, sagte der Mayordomo, „und ich habe sie Inspektor Grimm nicht vorenthalten.“

„Sehr gut – , lobte Milton. „Und was sagte er dann?“ „Ich soll Ihnen eine gute Nacht wünschen, meinte er. Und

morgen sei auch noch ein Tag.“ „Das heißt also heute“, bemerkte Milton, auf die Uhr spä-

hend, die wenige Minuten nach fünf Uhr früh zeigte. „Und jetzt ist er fortgegangen?“

„Ja, Herr“, sagte der Mayordomo. Er wartete einige Sekunden lang, ob noch eine Antwort kä-

me, da er aber nichts vernahm, mußte er sich sagen, daß sein Herr offenbar bereits eingeschlafen war.

Und so war es auch. Milton schlummerte mit ruhigem Ge-wissen, und die Rote Schlange erschien schillernd und schön in seinen Träumen ...

ENDE.

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Der Tod nimmt Maß

betitelt sich der nächste Band dieser einzigartigen Kri-minalserie.

In ihm löst der KAPUZENMANN in Zusammenarbeit mit seiner Freundin, der ROTEN SCHLANGE, einen verwickelten Spionagefall, der den Leser von der ersten bis zur letzten Zeile in Spannung hält. Wer ist die traumschöne Ivonne, deren Reize alle Män-ner fesseln ? Wer ist der Mann mit der Narbe, den die Polizei aller Erdteile tot glaubt? Bestellen Sie noch heute bei Ihrem Buchhändler den nächsten Band

Der Tod nimmt Maß

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Von New York im Osten bis nach San Franzisko und Los An-geles im fernen Westen Nordamerikas zeigt Mark Brennan ei-nen Reigen seltsamer, ungewöhnlicher und manchmal auch komischer Schicksale. Wie in keinem anderen Land der Erde, finden sich in den Schluchten der Großstädte und der Weite des Kontinents Menschen, deren Existenz am Rande der bürgerli-chen Sicherheit ihre Vollendung erreicht.

New York ist wie eine schöne Frau, sagen manche. Andere behaupten, es sei ein Ungeheuer, das Menschen frißt und uner-sättlich ist. Vom Riverside–Drive, wo man nur leben kann, wenn man ein Bankkonto mit einer sechsstelligen Zahl auf-weist, bis zur Eastside, wo 25 Cent ein Vermögen darstellen, ist ein weiter Weg. Nicht weit in der Entfernung, aber sternenfern in bezug auf die Lebensauffassung.

Wenn eine Straße wie überall in den Vereinigten Staaten eine Nummer hat, so kann man sie wenigstens nach dieser Nummer benennen. Die Straße, in der Mabel Penton wohnte, konnte sich nicht einmal dieses Vorzuges rühmen. Jedenfalls war die Nummer am Eingang der Straße von Jungen mit Steinen be-schossen worden, und die Emaille des Schildes war fast voll-ständig abgesprungen. Die Einwohner störte das wenig; bei ih-

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nen hieß die Straße immer nur „The hole“, das Loch. Und sie war ein Loch, eine Sackgasse, die am Ende von hohen, alten Backsteinspeichern abgeschlossen wurde. Zu den Häusern führ-ten einige Stufen zum Eingang hinauf, und diese Stufen waren allabendlich der Versammlungsplatz, auf dem sich das nach-barliche Leben abspielte.

Mabel Penton hatte bei Mistreß Colhoun ein winziges Zim-mer, in dem sie eigentlich nur schlief, einmal in der Woche ih-ren freien Nachmittag und zweimal im Monat ihren freien Sonntag verbrachte. Mabel war Kellnerin in einem Schnellre-staurant, eine Tätigkeit, die ihr wenig Zeit zum Nachdenken und noch weniger zu ausgeprägtem Privatleben ließ. Niemand, der die Maschine des unabänderlichen Tagesablaufs in New York nicht kennt, kann ermessen, wie grau, eintönig und leer das Leben sein kann. Es war ein Glück, daß Mabel Penton kaum zum Nachdenken kam. Meistens war sie zu müde, und wenn sie wirklich einmal beim Blick in den Spiegel über die rasch fliegenden Monate und Jahre grübelte, dann vergaß sie es gleich wieder und lächelte sich selbst in ihr hübsches, junges Gesicht. Sie war allein, ohne Eltern und Verwandte, aber bisher hatte sie immer noch das Gefühl gehabt, inmitten der Millionen Menschen der Stadt unmöglich einsam sein zu können. Obwohl die Arbeit in dem Schnellrestaurant anstrengend war, unentwegt Freundlichkeit verlangte, auf die der Besitzer größten Wert leg-te, machte ihr der Dienst Spaß. Mabel war intelligent und hatte sich eine Technik zurechtgelegt, das Einerlei zu beleben. Sie versuchte, in den Gesichtern der Gäste des Restaurants zu lesen und sich dann eine Geschichte über solch eine, ein wenig ein-drucksvollere Persönlichkeit auszudenken.

Am meisten interessierte sie die alte Frau, die täglich zum Mittagessen kam und die Mabel „die Dame in Grau“ genannt hatte. Die alte Frau mußte wenigstens siebzig sein, war immer im gleichen, abgetragenen Kostüm gekleidet, trug dazu einen

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ganz unmodernen Hut mit zwei Vogelflügeln, die reichlich zer-zaust aussahen, und hatte stets eine unergründliche, große Handtasche bei sich. Sie ließ sich immer von Mabel bedienen. Wenn bei Mabel alles besetzt war, wartete sie sogar und schien überhaupt keine Eile zu haben.

„Mein Kind“, sagte sie zu Mabel, wenn sie ihre Bestellung machte, „Sie sehen heute wieder reizend aus“, und diese Rede-wendung wiederholte sie jeden Tag. Im Laufe der Zeit ergab es sich ganz von selbst, daß sie sich gegenseitig und bruchstück-weise voneinander erzählten. Das heißt, eigentlich erfuhr nur die alte Frau vom Dasein Mabels. Über sich selbst sprach sie nur ganz allgemein, und Mabel hatte durch ihre kaum verhehlte Ärmlichkeit und sparsamen Mahlzeiten auch nicht den Ein-druck, daß es viel über dieses stille, alte Leben zu erzählen gab.

Samstags war der Andrang im Restaurant am schwächsten, weil viele der Gäste über das Wochenende fortfuhren. Das war der Tag, an dem Mabel mehr Gelegenheit hatte, mit der Dame in Grau zu plaudern, und nachgerade hatte es sich eingebürgert, daß sie samstags in der Küche eine extra große Portion Nach-tisch von Robby, dem irischen Koch, erbat für ihre alte Freun-din. Abgesehen davon, hätte Mabel von Robby ohnehin alles erbitten können, denn ohne daß sie es bisher gemerkt hatte, war Robby vom ersten Tag ihres Dienstes an in sie verliebt gewe-sen. Robby hatte zwar nicht die beinahe unvermeidlichen roten Haare der Iren, aber die fröhlich lachenden Augen und eine Einstellung zum Leben, die sich am besten damit schildern läßt, indem man seinen Wahlspruch „Alles kommt zurecht“ zitiert. Deshalb war er auch überzeugt, daß er eines Tages in nähere Beziehungen zu Mabel treten würde.

Die Dame in Grau hatte Robby natürlich auch gesehen. In der Querwand vom Restaurant zur Küche war eine große Glas-scheibe, durch die man zusehen konnte, mit welcher Sauberkeit und geschickten Bewegungen Robby die bestellten Gerichte

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vorbereitete und servierte. Sozusagen von heute auf morgen trat eine Veränderung in

Mabels Dasein, eine Wandlung, die durch einen Gast hervor-gerufen wurde, der sofort und deutlich sein Interesse an Mabel zu erkennen gab. Selbst für das gutbürgerliche, von kleinen Ge-schäftsleuten besuchte Lokal war er besonders gut angezogen, trug einen Brillantring am kleinen Finger und sah außerdem noch sehr gut aus. Geld schien er genügend zu haben, und sein Auto war das letzte Modell einer soliden, nicht übertrieben auf-fälligen Bauart. Schon bei seinem dritten Besuch bat er Mabel, an ihrem freien Nachmittag mit ihm eine Ausfahrt zu machen. Sie lehnte ab, aber immerhin so freundlich, daß er sich nicht entmutigen ließ.

Robby machte zuerst erstaunte, dann melancholische Bern-hardineraugen, und die Dame in Grau beobachtete still-schweigend, aber äußerst aufmerksam.

„Mein Kind, ich habe etwas vor“, sagte sie nach einigen Ta-gen mittags zu Mabel, „Sie haben doch Donnerstagnachmittag frei. Ich möchte Sie ins Kino einladen!“

Mabel sah in das von zierlichen Falten durchzogene, gütige alte Antlitz. Sie hatte Mister Teroni halb und halb zugesagt, an dem kommenden Donnerstag zum ersten Male mit ihm auszu-fahren. Dann überlegte sie sich, daß die alte Frau vermutlich wochenlang gespart hatte, um ihr eine Freude zu machen. Si-cher war so ein Kinobesuch auch für die Dame in Grau gerade-zu eine festliche Ausnahme in ihrem ärmlichen Alltag.

„Oder haben Sie schon etwas vor?“ fragte die alte Frau noch mit einem ängstlichen Unterton.

„Und wenn ich hundertmal etwas vorhätte“, lachte Mabel, „das ist so nett von Ihnen, Madam; dafür sage ich alle Abma-chungen ab!“

Ein ganz merkwürdiges Lächeln kam in das Gesicht, in das Mabel blickte.

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„Ich wußte es“, sagte die Dame in Grau wie befriedigt über ihre Menschenkenntnis, „Sie haben außer Ihrem hübschen Ge-sicht auch noch ein gutes Herz! Gut, also Donnerstag, um drei Uhr am Eingang vom Roxy!“

Mabel starrte verblüfft herab. „Ins Roxy, Madam?“ fragte sie; „da gibt es aber keinen Platz

unter einem Dollar fünfzig!“ „Das weiß ich“, antwortete die alte Frau, unterbrach sich

aber schnell, „ich meine, das habe ich schon gesehen, als ich einmal am Eingang vorüberging. Aber ich bin seit Monaten nicht im Kino gewesen, und mit Ihnen zusammen möchte ich es besonders nett haben. Also abgemacht?“

„Ja, gern“, sagte Mabel, beugte sich dann herab und flüsterte: „Gern, liebe kleine Mama!“

Die Dame in Grau sah überrascht auf. Zugleich kam in ihre Augen ein beinahe strahlender Ausdruck, und mit rascher Be-wegung tätschelte sie Mabels Hand auf dem Tischrand.

Am Abend, um neun, als das Restaurant Schichtwechsel hat-te und Mabel nach Hause gehen wollte, stand der Wagen von Mister Teroni vor der Tür. Er lehnte sich aus dem Fenster und nahm grüßend den Hut ab.

„Zufällig kam ich vorbei“, sagte er abbittend, „kann ich Sie nicht nach Hause fahren?“

Mabel dachte an die Straße, an das Loch. Mistreß Colhoun würde keineswegs erbaut davon sein, daß ihre Mieterin Herren-bekanntschaften machte. Mistreß Colhoun war der Welt im all-gemeinen und Männern im besonderen gegenüber ungemein mißtrauisch geworden, seitdem Colhoun ohne Abschied vor drei Jahren auf– und davongegangen war. Aber Mabel dachte auch an ihr kleines, dunkles Zimmer und an die öden Stunden des Abends. Teroni trug eine Nelke im Knopfloch, seine Kra-watte war eine jener neuen handgemalten Binder, die minde-stens zehn Dollar kosteten und sein gebräuntes, männlich mar-

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kantes Gesicht mit den leise lächelnden Lippen gefiel Mabel auf eine ihr bisher fremde, erregende Weise.

„Lieber noch würde ich Sie natürlich Irgendwo hinfahren“, fuhr er schmeichelnd fort, „wo wir auf das Meer blicken kön-nen und zusehen, wie der Mond aufgeht!“

Mabel faßte einen Entschluß. Das Meer und den Mond se-hen? Wann hatte sie zuletzt den Mond gesehen, oder vielmehr, auf ihn geachtet? Sie öffnete den Wagenschlag, setzte sich ne-ben Teroni und sagte mit einem fröhlichen Lachen:

„Also zum Mond, bitte!“ Als sie nach elf Uhr nach Hause kam und ihre Straße betrat,

war ihr das Loch noch nie so abscheulich und dunkel vor-gekommen. Zufällig blickte sie an der Ecke zum Nummern-schild empor.

„Genau so geht es mit mir“, dachte sie, „ich bin auch etwas ohne Bezeichnung. Ob ich lebe oder nicht, ist der Welt genau so gleichgültig wie diese Straße. Warum soll ich nicht versu-chen, mir endlich meinem Leben eine Bezeichnung zu geben?“

Teroni hatte ihr gesagt, daß er sie liebe. Er hatte sie einmal geküßt und Mabel wußte, daß sie sich auch verliebt hatte. Trotzdem wußte sie aber auch, daß sie während der Fahrt und dann am Meer keinen Augenblick das Gefühl einer sonderbaren Unruhe verloren hatte. Ein Gefühl, das nichts mit Angst zu tun hatte, Furcht vor Teroni, vielmehr ein instinktives Wissen, mit ihm sei nicht alles in Ordnung. Er hatte ihr einen Ring schenken wollen, einen etwas altmodischen, goldenen Ring mit einer Per-le. Sie hatte ihn abgelehnt.

Bevor sie schlafen ging, wollte sie noch eine Zigarette rau-chen. Beim Suchen nach Zündhölzern in ihrer Handtasche ent-deckte sie in einer Ecke diesen Ring. Unsicher, was sie denken sollte, betrachtete sie beim Licht der Nachttischlampe das Schmuckstück. Innen war eine Gravierung angebracht. Die Buchstaben A. L. und K. L. mit der Jahreszahl 1908.

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Ob es sich um ein Familienschmuckstück handelte? Aber demnach fing der Nachname mit L. an. Vielleicht von Teronis Familie mütterlicherseits? Mit einem Seufzer steckte Mabel den Ring an ihren Finger. Sie hatte noch nie einen goldenen Ring besessen, geschweige denn einen mit einer Perle. Warum sollte sie ihn nicht tragen?

An den nächsten Tagen zeigte sich Mister Teroni nicht. Aber die Dame in Grau bemerkte sofort den Ring. Ohne nach dem Woher zu fragen, bewunderte sie ihn mit nachdenklichem Ge-sicht.

„Das ist aber reizend von dem Koch“, sagte sie, „Sie haben sich also mit ihm verlobt?“

„Mit welchem Koch“, fragte Mabel und folgte der Blickrich-tung der alten Frau durch die Glasscheibe in die Küche,

„Ach, Sie meinen Robby? Der Ring ist gar nicht von ihm!“ „Schade, mein Kind“, die Dame in Grau gab ihrer Stimme

bedeutsame Betonung, „ich hatte gehofft, daß es dieser Robby wäre! Er liebt Sie!“

Jedenfalls hatte sie ihren Zweck erreicht. Mabel war auf Robby aufmerksam gemacht worden und begann, ihn nicht mehr wie einen selbstverständlichen Einrichtungsgegenstand des Restaurants anzusehen.

Der Donnerstag wurde in vieler Hinsicht ein denkwürdiger Tag. Um ein Uhr, als Mabel das Restaurant verließ, wartete Te-roni im Auto auf sie. Eine gewisse Zerfahrenheit fiel ihr an ihm sofort auf.

„Hallo, Mabel“, rief er ihr entgegen, „bist Du nett und wid-mest mir eine halbe Stunde? Ich muß heute nachmittag ein wichtiges Geschäft erledigen, von dem sehr viel abhängt, und da täte es mir gut, wenn ich mit Dir zusammen und wenn es nur eine halbe Stunde ist, mich ganz ablenken könnte, um klaren Kopf zu bekommen!“

Wieder überkam Mabel das eigenartig beklemmende Gefühl.

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Er entdeckte an ihrer Hand auf dem Wagenschlag den Ring und lachte bei dem Anblick gezwungen auf.

„So gehst Du mit meinen Geschenken um“, meinte er scherzhaft tadelnd, „trägst Du den Ring bei der Arbeit? Hat ihn jemand gesehen?“

„Willst Du ihn wiederhaben“, fragte Mabel empfindlich, „ich habe ihn nur aufgesteckt, um ihn nicht zu vergessen, wenn ich Dich wiedersehe. Hier“, damit zog sie ihn ab und hielt ihn Te-roni hin.

„Unsinn, Darling“, wehrte er ab, „geschenkt ist geschenkt. Aber nun steige ein. Ich fahre dich zum Centralpark und dann setzen wir uns da auf eine Bank!“

Widerstrebend setzte sich Mabel neben ihn. Im Abfahren warf sie noch einen Blick zum Restaurant und sah, daß Robby im Seiteneingang stand und ihnen nachblickte. Sein Ge-sichtsausdruck war ausgesprochen unglücklich.

Um drei Uhr stand Mabel pünktlich am Eingang des Roxyki-nos im Wolkenkratzer der Radiocity und einige Minuten später kam auch die Dame in Grau. Sie sahen einen Revuefilm, dessen Schlagermelodien bereits an allen Straßenecken gepfiffen wur-den und Mabel vergaß alles, was mit Teroni oder Robby zu-sammenhing. Entzückt bemerkte sie, daß ihre alte Freundin ei-nige der Schlager vergnügt mitsummte und anscheinend ihre anfänglich geäußerte Mattigkeit, die sie einer Erkältung zu-schrieb, überwunden hatte. Nach dem Kino lud Mabel die Da-me in Grau zu einer Tasse Kaffee ein, sie plauderten noch eine Weile miteinander und dann zeigte es sich, daß der Nachmittag doch wohl sehr anstrengend für die alte Frau gewesen war. Sie hatte einen Schwächeanfall, nichts Bestürzendes, aber immer-hin entschloß sie sich, mit einem Taxi nach Hause zu fahren. Mabel wollte sie begleiten, doch die fast schroffe Ablehnung ließ sie davon absehen.

Erst als das Auto davonfuhr, wurde Mabel sich darüber klar,

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daß sie keine Ahnung hatte, wo die alte Frau wohnte. Sie konn-te in dem Augenblick nicht ahnen, daß diese Erkenntnis für sie in einigen Stunden von lebenswichtiger Bedeutung werden sollte.

Sie hatte ihrer Vertretung im Restaurant versprochen, von 7 bis 9 Uhr für sie einzuspringen, um ihr zu ermöglichen, sich in einem anderen Restaurant vorzustellen. Jetzt war es kaum sechs, so konnte sie noch gemächlich die Fifths Avenue herun-terschlendern und ihre Augenweide an den prunkvollen Schau-fenstern haben.

Genau um sieben Uhr betrat sie den Seiteneingang zum Re-staurant. Im Hinterzimmer, das als Garderobe und Aufenthalts-raum diente, erwarteten sie zwei Herren, die trotz ihrer unauf-fälligen Kleidung ohne weiteres als Kriminalbeamte zu erken-nen waren.

„Sie sind die Freundin von Tony Teroni“, wurde sie von dem älteren der beiden Männer gefragt?

„Freundin ist zuviel gesagt“, antwortete sie arglos, „er ist ein Restaurantgast und hat mich einmal eingeladen, mit ihm eine Autofahrt zu machen. Heute mittag sind wir zusammen zum Zentralpark gefahren und haben da eine halbe Stunde in der Sonne gesessen. Das ist alles!“

Die Kriminalbeamten von New York haben ihre schwerwie-genden Erfahrungen. Sie wissen, daß in der Welt und besonders in der Unterwelt alles möglich ist. Das unschuldigste Gesicht macht sie höchstens noch mißtrauischer, die Wahrheit betrach-ten sie so lange als Lüge, bis sie unumstößlich von ihr über-zeugt worden sind. Aus dieser Einstellung ergibt sich ihr rück-sichtsloses, oft brutal erscheinendes Vorgehen.

„Okay“, fuhr der Inspektor Mabel an, „jetzt fehlt nur noch, daß Sie uns etwa erzählen, Sie waren heute nachmittag im Ki-no, allein natürlich und haben keine Ahnung, was Teroni inzwi-schen machte?“

„Aber ich war tatsächlich im Kino“, erwiderte Mabel. „im

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Roxy, mit einer alten Dame, die immer im Restaurant ißt und die mich eingeladen hafte. Was ist denn mit Mister Teroni pas-siert? “

„Nichts Spezielles“, sagte der Beamte hart und scharf, „er hat nur einen Juwelier erschossen, als er ihn ausrauben wollte!“

Mühsam unterdrückte Mabel einen Aufschrei und hielt die Hand vor den Mund. Die beiden Kriminalisten beobachteten sie eindringlichst und dabei entging ihnen auch nicht der Ring an Mabels Finger. Beide sahen sich mit einem aufschlußreichen Blick an.

„Wie kommen Sie zu dem Ring?“ wollte der Inspektor wis-sen.

„Der Ring“, fragte Mabel erschrocken, „ja, den hat mir Mi-ster Teroni geschenkt, aber – ich wollte ihn gar nicht – ich wollte ihn heute zurückgeben, er hatte ihn mir in die Handta-sche gesteckt.“

Der Inspektor lächelte verächtlich. „Schön, wenn Sie es nicht anders wollen, Miß Penton“, sagte

er abschließend, „dann kommen Sie mit. Sie sagten ja, daß Sie mit einer alten Dame im Roxy waren. Wir werden feststellen, ob es stimmt. Wie ist die Adresse?“

Mabel sah hilflos, verstört von einem zum andern. „Ich weiß sie nicht“, flüsterte sie. „Das habe ich mir gedacht“, der Beamte setzte seinen Hut auf,

„kommen Sie, Sie sind unter Arrest als Komplicin Teronis!“ Robby wartete vor der Zimmertür. „Bitte, Inspektor“, wandte er sich an den älteren Beamten,

„Miß Penton ist unschuldig!“ „Robby“, mit angstvoll aufgeschlagenen Augen stand Mabel

vor ihm, „wenn morgen die alte Dame, Du weißt doch, meine Freundin, zum Essen kommt, muß sie gleich zur Polizei und bestätigen, daß ich heute nachmittag mit ihr im Kino war!“

„Natürlich, Mabel“, antwortete Robby, „und ich komme

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nachher auch hin, ich kann bezeugen, daß Du nichts getan hast!“

Ein Grill ist ein Bratenrost, auf dem Fleisch bei scharfem Feuer geschmort wird. Dieser Vorgang dient im Ameri-kanischen als Vergleich für die Methode, mit der die Polizei Aussagen aus Verdächtigen herausholt. Mabel wurde stunden-lang „gegrillt“. Dann führte man sie in eine Zelle und gab ihr den Rat, sich die Sache zu überlegen.

Ein, zwei, drei Tage vergingen und Robby mußte schon Verweise seines Chefs einstecken, weil er mehr durch die Glas-scheibe von der Küche ins Restaurant sah, als seiner Aufmerk-samkeit den Bestellungen zu widmen. Aber die alte Dame kam nicht, blieb auch am vierten Tag fort und Robby war am Ende seiner Nervenkräfte. Er durfte Mabel einmal in der Untersu-chungshaft gehen, aber sie konnten nur durch ein Gitter in Ge-genwart eines Auf Sichtsbeamten sprechen.

„Robby, es hat ja alles keinen Zweck“, sagte sie bedrückt, „solange Teroni nicht gefaßt ist oder die alte Dame bezeugen kann, daß ich mit ihr im Roxy war, glaubt mir niemand ein Wort.“

„Sie haben keine Beweise, Mabel“, sagte Robby, „die ande-ren Kellnerinnen, unser Chef, ich, wir alle haben erklärt, daß du Teroni erst ganz kurz kennst. Sie sind auch bei deiner Zimmer-wirtin gewesen und sie hat gesagt, daß du immer das ordent-lichste Leben von der Welt geführt hast!“

„Ach Robby, Teroni soll ja bei dem Überfall auf den Juwe-lier eine Frau am Steuer seines Autos gehabt haben und diese soll ich gewesen sein!“

Robby konnte nichts mehr sagen. Er blickte Mabel mit sei-nen treuen Augen an und wisperte durch das Gitter:

„Darling, Mabel, ich halte zu dir – ich – nämlich, ich liebe dich!“

Durch die aufquellenden Tränen lächelte Mabel ihn an.

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Es war am fünften Tag, gegen 10 Uhr vormittags, als im Re-staurant noch fast kein Betrieb war, daß ein ungemein alt-väterlich aussehender würdiger alter Herr hereinkam, mit Re-genschirm und schwarzer Aktentasche und nach Miß Mabel fragte.

„Ja, also, den Nachnamen kenne ich nicht“, sagte er zu der Kellnerin, an die er sich gewandt hatte; „die Angelegenheit ist ein wenig ungewöhnlich, aber nichtsdestoweniger erfreulich – für besagte Miß Mabel!“

Die Kellnerin rief Robby als Beistand. Dessen Erklärung, daß Mabel im Augenblick nicht erreichbar sei, stimmte den al-ten Herrn offensichtlich betrübt.

„Meine Mandantin“, sagte er gravitätisch, „Miß Alma Bur-ring, die vor einigen Tagen noch mit besagter Miß Mabel im Kino war – ?“

„Was sagen Sie da“, fuhr ihm Robby ins Wort, „ist das viel-leicht so eine alte Dame, immer in Grau, mit einem komischen Hut mit Hühnerfedern drauf? “

„Junger Mann“, verwies ihn der alte Herr, „Miß Alma Bur-ring legte vielleicht keinen besonderen Wert auf ihr Äußeres, aber das berechtigt Sie nicht, respektlos von ihr zu sprechen, zumal Miß Burring vor vier Tagen gestorben ist!“

„Gestorben – , rief Robby fassungslos aus, „dann kann sie ja nicht aussagen, daß sie mit Mabel im Kino war?“

„Allerdings nicht“, entgegnete der Herr, „aber das hindert nicht, daß ich es weiß. Übrigens heiße ich Williams und bin Miß Burrings Notar. Darüber hinaus durfte ich mich ihrer Freundschaft rühmen und bin auch ganz genau über Miß Ma-bels Verhältnisse orientiert. Die Gründe dazu kann ich nur Miß Mabel selbst eröffnen. Wo kann ich sie demnach erreichen?“

„Im Untersuchungsgefängnis“, schoß es Robby heraus, „da sitzt sie doch, weil die alte Dame nicht wieder zum Essen kam und nicht bezeugen konnte, daß sie mit Mabel im Kino war.

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Haben Sie nichts von dem Juweliermord und dem Banditen Te-roni gehört? Der kam hier seit einiger Zeit zum Essen, natürlich ohne daß wir wußten, wer er ist, und hatte Mabel ein- oder zweimal zu Autofahrten eingeladen. Jetzt soll sie an dem Tag, an dem sie mit Ihrer Miß Burring im Kino war, bei dem Über-fall auf den Juwelier dabeigewesen sein!“

Notar Williams sah über seine goldgeränderte Brille Robby mit dem Blick eines Mannes an, den nichts erschüttern kann.

„Die Sache ist leicht aufzuklären“, sagte er gleichmütig, „Miß Burring war etwas – ja, wir wollen es eigenartig nennen. Sie führte über alles Tagebuch, sogar die täglichen Rechnungen hier aus dem Restaurant klebte sie jeden Tag in ihr Buch und schrieb dazu immer kleine Erläuterungen ihrer nicht gerade auf-regenden Erlebnisse. Die beiden Eintrittskarten des Roxykinos hat sie auch eingeklebt und dabei eine ausführlichere Schilde-rung des Zusammenseins mit Miß Mabel aufgeschrieben. Miß Burring hatte eine große Zuneigung zu Miß Mabel gefaßt, müs-sen Sie wissen. Miß Burring stand ganz allein auf der Welt und deshalb auch muß ich nun Miß Mabel sehen. Im Untersu-chungsgefängnis, sagten Sie – hm – kein Aufenthaltsort einer Person, die erwiesenermaßen ein außerordentlich guter und wertvoller Mensch sein muß!“

„Worauf warten Sie?“ Robby war außer sich, „nehmen Sie ein Taxi, Herr Williams, ich bezahle es, lassen Sie Mabel kei-nen Augenblick länger in den Klauen der Polizisten!“

Der Schatten eines Lächelns kroch um den schmalen Mund des Notars.

„Auch von Ihnen, junger Mann sofern Sie Robby heißen, ist in dem Tagebuch Miß Burrings die Rede. Sie machen auf mich eher einen stürmischen Eindruck, während Miß Burrings in ei-nigen Anmerkungen mehr von Ihrer Zaghaftigkeit schreibt! Nun gut, würden Sie mir ein Taxi besorgen?“

Stunden vergingen, in denen Robby mehrfach Beefsteaks

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anbrennen und Kartoffelsalat mit Himbeersoße herausgehen ließ. Der Chef, ein verständnisvoller Mann, war gerade im Be-griff, Robby frei zu geben, damit er sich sammeln konnte, als der Anruf kam.

„Für Sie, Robby“, sagte der Chef und komischerweise hatte er dabei ein Schlucken in der Stimme, das man beinahe mit Schluchzen bezeichnen konnte.

„Hallo“, rief Robby stotternd in die Muschel am Hörer. „Robby“, tönte eine Stimme und da mußte er sich auf den

Stuhl neben dem Telefon setzen, „ich bin im Büro von Mister Williams. Du mußt gleich kommen, oh Robby, wenn du wüß-test!“

„Die Adresse, Mabel?“ „45. Straße, Robby, Nummer 317. Nimm ein Taxi!“ Das Büro war wie Mister Williams selbst. Unmodern, solide

und staubig. Mabel saß in einem lederbezogenen Sessel, dessen Federn stöhnten, als sie aufsprang und Robby entgegeneilte.

„Du mußt den Brief lesen, Robby“, lachte und weinte sie zu-gleich, als sie ihren Mund wieder frei hatte, „er ist auch für dich bestimmt!“

Der Brief war von Miß Burrings an Mabel. Er lautete: „Mein liebes Kind! Wenn ein junger Mensch, ohne Grund zu

haben, lieb und gut zu einer alten Person, wie ich es bin, ist, dann hat er ein gütiges Herz. Ich wußte das gleich von Ihnen. Aber dann haben Sie mich vor kurzem einmal – liebe kleine Mama – genannt und in dem Augenblick machten Sie mir das größte Geschenk meines Lebens. Das Schicksal wollte es, daß ich niemals eine liebe kleine Mama wurde und daß ich dieses ersehnte Wort doch noch einmal im Leben hören durfte, danke ich Ihnen. Sie wußten nicht, wer ich bin, wo ich lebe und doch haben Sie mir immer eine Herzlichkeit gegeben, die mir die letzte Zeit unbeschreiblich verschönt hat. Sie werden von Mi-ster Williams hören, daß ich Ihnen meinen Rest Geld vermacht

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habe. Was Sie damit tun, ist Ihre Sache. Aber ich glaube, Sie könnten ausgezeichnet ein eigenes Restaurant führen, zumal wenn Ihnen ein geschickter Koch zur Seite steht. Ich empfehle Ihnen, falls Sie tatsächlich an so etwas denken, Robby anzustel-len. Da Sie dies erst lesen werden, wenn ich mich auf die große Reise begeben habe, wäre es mir ein beruhigender Gedanke, zu wissen, daß Sie Robby auf Lebenszeit angestellt hätten. Am besten, Sie treffen mit ihm eine Vereinbarung, deren gegensei-tiges Einverständnis, sagen wir, vor dem Standesbeamten fest-gelegt wurde. Grüßen Sie Robby sehr herzlich von mir, seine Omelette mit Hühnerleber und sein Lächeln durch die Glas-scheibe werden mir immer unvergeßlich bleiben. Ihnen aber, mein liebes Kind, einen Kuß von Ihrer – Kleinen Mama!“

Mabel und Robby waren auf der Hochzeitsreise in Florida, als Teroni gefaßt wurde. Nach anfänglichem Leugnen brach er schließlich zusammen und legte ein umfassendes Geständnis ab. Bei dem Überfall auf den Juwelier war seine Frau am Steuer des Wagens gewesen. Teroni hatte immer schon in den Unter-weltskreisen den Spitznamen – Tony Casanova – , geführt und in den verschiedensten Städten dauernd neue Liebschaften angeknüpft. Er war so anständig, auch den letzten Schatten ei-nes Verdachtes von Mabel mit seiner ausführlichen Darstellung zu nehmen. Lächelnd betrat er die berühmte berüchtigte Todes-kammer im Zuchthaus Sing–Sing.

Als Mabel und Robby nach New York zurückkehrten, holten sie gemeinsam ihre Sachen aus der Wohnung von Mistreß Col-houn. Sie hatten sich eine kleine Wohnung im Greenwich–Viertel gemietet. An der Straßenecke blieb Mabel stehen und sah zu dem zersprungenen Nummernschild ohne Nummer hinauf.

„Jetzt hat meine Straße einen Namen“, sagte sie leise und hielt sich eng an Robby, „genau so wie ich auch einen Namen habe!“

„Verstehe ich nicht“, antwortete er und blickte hoffnungslos

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verliebt in ihre Augen, „wie heißt die Straße denn?“ „Robby“, sagte sie und begann strahlend zu lächeln.

Ende der 1.Folge

Die zweite Folge:

Der fast perfekte Fälscher im nächsten Band!

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Auch die Kartenlegerin hat sich modernisiert! Keine Katze, kein Papagei mehr auf der Schulter, keinen Plüsch und keine Troddeln mehr an den Möbeln. Genau so will man heute keine gefühlstriefenden Kitschgeschichten mehr lesen, sondern verlangt nach Erzählungen, die aus dem Leben unserer Tage gegriffen sind. In den gefährlichen Abenteuern und Erlebnissen der „Roten Schlan-ge“ finden Sie in jeder Nummer das Leben, wie es wirklich ist. Ob im Rahmen der großen Gesellschaftswelt oder in den Abgründen der Großstädte, immer werden Sie bis zur letzten Seite gefesselt sein!

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Walter Dreesen:

Don Antonios Versuchung Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, Entgegenkom-men oder gar Hilfe von Don Antonio zu erwarten. Seine kleine mina de oro, seine Goldmine nannte er den langgestreckten ebenerdigen Häuserkomplex in der Alamedastraße, und er holte aus seinen Mietern alles heraus, was herauszuholen war. Viel war es nicht, die Alamedastraße lag im ärmsten Vorortsviertel von Havanna, die Mieter fristeten ihr Leben vom Kleinhandel mit Früchten und Zuckerrohr oder warteten auf Gelegenheitsar-beit.

Die Behausungen waren dementsprechend. Ein Raum für je-de Familie, einerlei, wie umfangreich sie war. Das genügte auch, denn er wurde fast ausschließlich zum Schlafen benutzt. Tagsüber spielte sich das ganze Leben auf dem Hofe oder in der Alamedastraße ab.

Das tägliche Erscheinen Don Antonios gehörte ebenso zu den unabwendbaren Ereignissen wie die Hitze oder die Kaker-laken oder die Fliegen. Er machte seinen Rundgang mit der Miene eines Mannes, der erwartet, daß seine Mieter im Begriff stehen, eine Mauer, eine Tür oder ein Stück Dach zu stehlen. Sauberkeit interessierte ihn weniger als die Feststellung, ob die Einrichtungsgegenstände pfleglich behandelt würden. In gewis-sen Abständen ließ er sich nämlich wegen rückständiger Miete das Eigentumsrecht an den eisernen Bettstellen und sonstigen kümmerlichen Möbeln übertragen. Solange die Schuld nicht abgegolten war, sprach Don Antonio dann von seinen Betten, Stühlen und Tischen und erhob eine zusätzliche kleine Gebühr für ihre Benutzung. Auf diese Weise kamen manche Mieter niemals ganz von einer rückständigen Forderung Don Antonios

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herunter. Besonders im Falle der Witwe Gutuirrez war die Fra-ge, wann sie Abnutzungsgebühren zu zahlen hatte oder wann sie davon befreit war, kaum noch zu beantworten. Einzig ihre ererbte Nähmaschine nahm Don Antonio von der Beschlag-nahme aus. Sie war der Stolz der Witwe, stammte von ihrem verstorbenen Bruder, der ein Americano geworden war und in Florida begraben lag. Nebst einigen anderen Möbeln war die Maschine eines Tages per Schiff angekommen und bei Ana Gu-tuirrez abgeliefert worden. Daß die Maschine nicht mehr zu benutzen war, tat ihrem Wert keinen Abbruch. Dem ideellen Wert natürlich, als Vermächtnis des Bruders. Don Antonios Geringschätzung konnte deshalb auch nicht ins Gewicht fallen.

Die Prüfungen des Schicksals jedoch folgen einander oft häufiger als die Zufälle des Glücks. Mit diesem und jenem Fehlschlag ergab es sich, daß Ana Gutuirrez mit zwei Monats-mieten im Rückstand war und nun in der heißen Zeit des Jahres auch keine Möglichkeit fand, für den dritten Monat die nötigen Peseten herstellig zu machen. Don Antonio hatte bereits ver-schiedentlich zur Schonung „seines“ Bettes und „seiner“ Korb-sessel ermahnt sowie eine Erhöhung der Abnutzungsgebühr in Aussicht gestellt, falls die Schuld nicht bald beglichen würde. Wenn die Witwe auch nicht verzweifelt war, so machte sie sich doch Sorgen. Sie bat Don Antonio um Geduld, aber sie hätte ebensogut fragen können, ob er ihr nicht seine Häuser schenken wollte. Auch bemerkte sie, daß er bei seinen Besuchen wieder-holt auf die Nähmaschine blickte, und sie fürchtete, daß er auch dieses teure Andenken an den Bruder als Pfand ausersehen hatte.

Don Antonio war ein kühler, man konnte schon sagen, nüch-terner Rechner. Er hatte keine Verwendung für eine Nähma-schine, die nicht funktionierte. Andererseits konnte Ana Guitu-irrez auf der reparierten Nähmaschine mit Heimarbeit vermut-lich mehr Geld verdienen, als ihm der Verkauf einbringen wür-de. Zudem war er ja in seinen jungen Jahren Mechaniker gewe-

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sen, und es reizte ihn, seine frühere Geschicklichkeit zu versu-chen.

Jedermann in der Alamedastraße war überzeugt, daß Don Antonio alt und rührselig wurde, als man von seinem Vorschlag hörte, für Ana Gutuirrez die Nähmaschine wieder in Gang zu bringen. Die Witwe selbst sah darin eine Fügung des Himmels. Sie würde Zuckersäcke nähen können, für die es drei Centavos das Stück gab.

Don Antonio erschien also eines Morgens mit seinem Hand-werkszeug und setzte sich in einem „seiner“ Korbsessel vor die Nähmaschine. Er löste den Riemen von dem unteren Tretrad und klappte die Maschine hoch. Alles war innen sehr verstaubt, und der Fehler, der im gußeisernen Arm liegen mußte, schien nicht leicht festzustellen. Die Witwe stand in achtungsvoller Entfernung an der Tür und wehrte die Neugierigen ab. Es war immerhin die erste Nähmaschine, die Don Antonio in seinem Leben untersuchte, deshalb ging er natürlich bedachtsam ans Werk. Dieser gebogene, gußeiserne Arm bot allerhand Schwie-rigkeiten, das in ihm untergebrachte Getriebe war nicht leicht zu erreichen. Don Antonio entdeckte aber dann die kleine runde Scheibe an seiner Rückseite, die man wegschieben konnte, um Einblick in den waagerechten Teil des Armes zu erhalten, auf dem die Garnrollen angebracht werden. Weshalb da Papier hin-eingesteckt worden war, schien unbegreiflich. Don Antonio schüttelte den Kopf, wodurch er bei der Witwe und den vor der Tür Versammelten ein ehrfurchtsvolles Verstummen bewirkte. Er nahm eine Zange und versuchte, das Papier herauszuziehen. Mit einiger Mühe gelang es ihm, ein schmales, längliches Päck-chen aus der Höhlung zu befreien. Es hatte durchaus nicht den Anschein, gedankenlos und ohne Grund in dem Versteck auf-bewahrt worden zu sein. Säuberlich verschnürt und verknotet, zeigte es deutlich die Absicht, etwas Besonderes zu verbergen.

Don Antonio stand mit dem Rücken zur Tür und konnte so

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ungesehen das Paket öffnen. Seine Hände begannen zu zittern, als er das Papier entfaltete. Es enthielt Dollarnoten, gute grüne Dollarnoten zu fünf, zehn und zwanzig Dollar. Im ganzen waren es, wie Don Antonio rasch zählte, über vierhundert Dollar.

Die Versuchung war groß, ein Blick über die Schulter über-zeugte Don Antonio, daß es ein Leichtes wäre, das Päckchen ungesehen verschwinden zu lassen.

Er sah auf und blickte durch das Fenster in den Hof. Genau gegenüber, hinter den zerzausten Bananenstauden, saß auf dem Dach eines alten, halbzerfallenen Schuppens einer der kleinen schwarzen Geier. Er starrte trübe vor sich hin, den kahlen Hals eingezogen, den nackten Kopf verdrießlich zur Seite geneigt. Don Antonio wußte, daß sie ihn den Geier der Alamedastraße nannten.

Er hustete verlegen und drehte sich herum. „Senora Gutuirrez“, sagte er zögernd. „ich glaube, ich habe

den Fehler gefunden!“ Mit einem säuerlichen, bisher in der Alamedastraße noch nie

gesehenen Lächeln, hielt er ihr das Päckchen mit den Dollarno-ten entgegen.

Die Witwe wurde blaß. Und errötete. „Mein Bruder“ konnte sie nur sagen. Irgend jemand kam, als die Aufregung sich etwas gelegt hat-

te, auf die Idee, die Nähmaschine zu versuchen. Sie funktionierte jetzt tadellos.

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Wenn Herr Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe schlafen ging, dann hatte er viel zu denken und hätte sich manchmal gern abgelenkt. Aber zu seiner Zeit gab es noch nicht solche spannende Lektüre, wie es die Abenteuer und Erlebnisse des „Schwarzen Piraten“ in jeder neuen Nummer bieten. Heute kann man bei jedem Zeitungshändler die nötige Ablenkung von den Verdrießlichkeiten des Alltags kaufen, wenn man rechtzeitig nach dem neuen „Schwarzen Piraten“ fragt!

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Gedanken–Übertragung: Lottchen: „Hoffentlich bringt Freddy die neue Nummer des ,Coyote’ mit?“ Freddy: „Natürlich denkt Lottchen, ich hätte die neue Nummer des ,Coyote’ vergessen – aber eher vergesse ich meinen Kopf!“ Einmal im Monat denken beide, Lottchen und Freddy dasselbe: Die neue Nummer des „Coyote“ ist da! Tatsächlich warten gleich ihnen Millionen Leser in aller Welt auf den Tag. Der „Coyote“ erscheint in Europa und in Amerika und seine Anhänger sind kaum noch zu zäh-len. Einmal gelesen und Sie gehören auch dazu!

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Woldemar Reendes

Der Duft, der eine schöne Frau be-gleitet Von dem Eingeborenen, der zwischen den Fingern einige wohl-riechende Kräuter zerreibt, bis zu den großen Parfümfabriken ist ein weiter Weg. Was heute duftet hat mit den altherkömm-lichen Pflanzenwohlgerüchen nicht mehr viel zu tun. Die Che-miker haben sich der Sache bemächtigt. Natürliche Düfte, wie Rosen, Flieder, Veilchen, sind nicht mehr begehrt. Und das Er-finden neuer Parfüme ist nicht nur zu einer Kunst, sondern auch zu einem internationalen Wettstreit geworden, den man schon beinah einen Duftkrieg nennen könnte.

So ist es der Parfüm–Industrie in aller Welt nicht gelungen, hinter das Geheimnis des echten Kölnisch Wassers zu kommen. Man kennt seine Hauptbestandteile; aber es ist ein „Etwas“ in diesem Duftwasser aus Köln, das bisher von den Alchimisten anderer Werke nicht aufgespürt werden konnte.

In Frankreich und den Vereinigten Staaten wurden in einigen Fällen sogar Werkspione ausgeschickt. Angestellte bestochen und Panzerschränke geknackt, um der Konkurrenz die Formel einer neuen Zusammensetzung zu entreißen.

Die spezialisierten Duftriecher der Parfüm–Laboratorien ha-ben es nicht leicht. Als das künstliche Verfahren noch in den Kinderschuhen steckte, passierte einmal eine fatale Geschichte. Cleo de Merode, die Freundin des Königs Leopold I. von Bel-gien, ließ sich zu Ehren der Erwerbung des Kongogebietes von ihrem Leibparfumeur eine Zusammensetzung machen, die sie stolz „Kongo“ nannte. Zu einem Fest mit dem König begoß sie sich reichlich damit. Leider hatte aber Kongo eine unange-

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nehme Eigenschaft; verdunstet riecht es nicht mehr nach den magischen Blumen des Urwaldes, sondern nach – Katzen.

Seither muß ein neuer Duft erst die verschiedensten Prüfun-gen bestehen, bevor er auf die Menschheit losgelassen wird. Trotzdem geschah es, daß in einer großen Pariser Firma alle, vom Direktor über den Chemiker bis zur Sekretärin von einer neuen Schöpfung begeistert waren, während die Frau des Che-mikers – die eine unbefangene Nase hatte, feststellte, daß sie mit dem besten Willen nichts anderes rieche als – Teer!

Neben den allgemein bekannten Parfümen werden auch ganz besonders teure Wohlgerüche hergestellt. Denn manche Kun-dinnen wollen das Alleinrecht auf ein besonderes Parfüm ha-ben. Barbara Hutton, die amerikanische Millionenerbin, be-nutzt ein Parfüm Immer nur ein halbes Jahr. Ein Liter kostet allemal 4000 Dollar. Weil sie fast nie zu Hause ist, vereinbarte sie mit ihrer Parfümfabrik, ihr auf telegrafische Anweisung eine neue Sendung überallhin auf der Welt per Flugzeug nachzu-schicken. Nur einmal klappte es nicht. Barbara war in Siam, und das Flugzeug hatte Panne, wobei die Flasche in Scherben ging. Da mußte sich die Ärmste mit – Kölnisch Wasser be-gnügen.

Pflanzliche Öle sind für verschiedene Parfüms immer nur der Grundstoff. Rosenöl aus Bulgarien und aus der Türkei bleibt auch weiter ein sehr begehrter Artikel. Der Preis ist entspre-chend: Ein Liter Rosenöl wird mit 2000 DM bewertet. Dazu sind nämlich 6000 vollerblühte Rosen nötig. Poppäa, die Ge-mahlin des Kaisers Nero, verbrauchte im Jahr mehrere hundert Liter davon. Kein Wunder, daß Nero sich von ihr scheiden las-sen wollte.

Überall an der französischen und italienischen Küste haben die bekannten Parfümfirmen Pflanzungen angelegt, auf denen außer den üblichen Blumen, wie Rosen, Nelken. Flieder und Veilchen auch viele andere, oft ganz unscheinbare Blüten in

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Massen gezogen werden. Eine ganze Wissenschaft arbeitet da–ran, festzustellen, wann die beste Stunde der Ernte gekommen ist. Oft genügt ein kurzes Versäumnis, um den Duft der Blumen soweit zu verändern, daß sie für die Fabrikation von Parfüm un-brauchbar geworden sind.

In den Parfümbezeichnungen spiegelt sich die Kulturge-schichte. Unsere Mütter begnügten sich noch treu und brav mit einfachen Blumennamen. Erst nach dem ersten Weltkrieg ka-men Namen wie „Unwiderstehlich“, „Baustil einer Nacht“, „Fanal“ oder „Traumgesicht“ auf. Heute genügt auch das nicht mehr. „Bandit“, „Ekstase“. „Pirat“ heißt es jetzt, und es fehlt nur noch, daß „Atom“ dazukommt.

Dieser Tage feierte das berühmteste Nachtlokal der Welt „Chez Maxim“ in Paris den 50. Geburtstag. Als Geschenk wur-de ein kleines Fläschchen eigens für diesen Tag hergestellten Parfüms verteilt. Die Leitung des Lokals wußte nichts von der Sache, und das hatte seinen guten Grund. Irgend ein witziger Parfümfabrikant hatte sich den Scherz erlaubt, einen Duft her-zustellen, der genau wie muffige alte Plüschmöbel riecht. Weil aber unter den Gästen manch alter Lebemann war, der hier schon um 1900 sein Vergnügen gesucht hatte, kam es zu einer kleinen Sensation. Die alten Herren erbaten sich das Fläschchen und saßen dann gedanken- und duftversunken in ihren Sesseln. Sie schwelgten in Erinnerungen – und das ist es wohl, worin ein Hauptreiz des Parfüms liegt: man erinnert sich! In Verbin-dung mit dem Duft natürlich an eine schöne Frau ...

Aber die Männer wissen den Wert eines guten Parfüms nicht nur bei einer schönen Frau zu schätzen – sie setzen auch sich selber gern in einen guten Geruch. Vor kurzem hat in London ein Franzose, Dr. Desir Piette, einen „Schönheitssalon für den Gentleman“ ins Leben gerufen. Der Salon befindet sich nicht weit von Piccadilly in einem ehemaligen Luftschutzkeller. Er besteht aus mehr als zwei Dutzend kleinen Räumen, in denen

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Massage – Apparate, Duftfläschchen und alle möglichen Salben auf ihre Opfer warten. Die Angestellten, höfliche, junge Herren, schauen in ihren sorgfältig geschlossenen Kitteln wie Ärzte aus. Sie empfangen den Kunden und führen ihn in eine Kabine, wo das Verschönerungswerk beginnt. Die Männer sind noch etwas schüchtern, sie lassen sich zwar gern pflegen, möchten sich dabei aber nicht erwischen lassen. So käme der Salon nicht auf seine Kosten, wenn er nicht auch Frauen zu sei-nen Kunden zählte.

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