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Die Disko zum Grünen Tod

Date post: 04-Jan-2017
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Mac KinseyBand 4

Carter Flynn

Die Disko zum Grünen Tod

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Wenn sich im ›Magic Flower‹ der Plattenteller drehte, dann war er als unsichtbarer Gast zugegen.

Die Disko war sein Hort.Der Platz war gut gewählt, denn Londons Schickeria strömte

allabendlich ins ›Magic Flower‹. Unter diesen Gästen fand er seine ersten Opfer.

Er verbreitete Angst und Schrecken.Seine Taten waren von beispielloser Grausamkeit. Nichts

konnte ihn aufhalten.Er hatte Macht über die Lebenden.Denn er war der Grüne Tod!Ein eigenartiges Gefühl überkam Edgar Conroy, als er sein

Taxi um den Picadilly Circus herumschnurren ließ. Gerade, als würde ihm eine Armee von Spinnen über den Rücken krab-beln.

Er schob es auf seine Fahrgäste. Mit denen stimmte etwas nicht.

Es war ein Pärchen, er um die Dreißig, so ein typischer Auf-reißer, und sie noch längst keine Zwanzig.

Vermutlich hatten ihre Eltern keinen blassen Schimmer, wo sie sich herumtrieb.

So eine Tochter müßte ich haben, dachte Edgar ergrimmt. Der würde ich was husten! Läßt sich einfach von so einer Tee-nager-Spätlese anmachen!

Er fuhr seit zwanzig Jahren Taxi, er kannte sich in dem Ge-schäft aus. Die tollsten Fuhren hatte er schon gemacht und die merkwürdigsten Fahrgäste gehabt.

So leicht brachte ihn nichts mehr aus dem seelischen Gleich-gewicht.

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Diese zwei da hinten beunruhigten ihn jedoch.Er lenkte das Taxi in die Regent Street hinein. Der Mann hat-

te als Fahrtziel eine Adresse in Wembley draußen genannt. Sei-ne Wohnung vermutlich.

So eine Fahrt lohnte sich. Und Edgar war auch nicht als Mo-ralapostel angestellt. Was seine Fahrgäste trieben, ging ihn nichts an, sofern es nicht gerade im Taxi geschah.

Er blickte in den Innenspiegel.Die zwei waren so dicht zusammen wie die Blätter eines Bu-

ches. Sie knutschten. Klar, andere taten's auch.Er hatte das Pärchen vor der Disko ›Magic Flower‹ aufgele-

sen. Der Schuppen war in. Da strömte derzeit alles hin, was et-was zu sehen kriegen oder gesehen werden wollte.

Was an der ›Zauberblume‹ jedoch zauberhaft sein sollte, ging Edgar über das Verständnis. Das war genau so ein Krach-schuppen wie die anderen Läden auch. Vom Hinhören flogen einem schon die Ohren fort, und von den Lichtshows wurde einem ganz dämlich vor den Augen.

Ein unheimliches Knirschen ließ Edgar zusammenfahren.Ein Blick in den Spiegel – die zwei waren immer noch haut-

nah beisammen. Sollte der Kerl –?»He, Mister, wenn Sie das Mädchen ausziehen, schmeiße ich

Sie hochkant raus! Das gibt's bei mir nicht.Keine Antwort. Aber das Knirschen war wieder zu hören.

Und dazu ein Geräusch, als würde Stoff reißen.»He, was gibt das? Sind Sie schwerhörig?«Edgar erhielt wieder keine Antwort, und das Pärchen rührte

sich nicht. .Das kam ihm spanisch vor. Er schaltete die Innenbeleuch-

tung ein und drehte den Kopf nach hinten.Edgar stieß einen markerschütternden Schrei aus.Auf der Rückbank saß nicht das Pärchen, das er vor dem

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›Magic Flower‹ aufgenommen hatte.Dort kauerten zwei grüne Skelette und hielten sich eng um-

schlungen.Und eine unsichtbare Hand hüllte sie mit Spinnweben ein.

*

»Jessica!« brüllte Bill Salish so laut, daß um ein Haar die Bilder an den Wänden wackelten.

Wären sie heruntergefallen und zerbrochen, hätte das keinen Verlust für die Kunst bedeutet.

Denn die Bilder waren geschmacklos und eindeutig. Etliche sogar obszön.

Sie zeigten nackte Mädchen in ungesunden Verrenkungen und lasziven Posen.

Eines konnte man den abgebildeten jungen Damen aller-dings nicht absprechen – sie waren durch die Bank hübsch und unverschämt gut gewachsen.

Sie waren alle mal hier im ›Magic Flower‹ aufgetreten. Mit allen hatte Bill Salish was gehabt.

Diese Strip-Girl-Galerie schmeichelte seiner Eitelkeit und führte ihm immer wieder vor Augen, welcher tolle Hecht er doch war. London war voll mit hübschen jungen Mädchen. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnalzen und hatte schon hundert von ihrer Sorte an der Hand hängen.

Und wenn sie erst die Aussicht hatten, im ›Magic Flower‹ auftreten zu dürfen, taten sie alles.

Das ›Magic Flower‹ war für einige Mädchen das Sprungbrett ins große Geschäft geworden.

Denn zwei oder drei konnten wirklich singen. Inzwischen hatten sie ihren Plattenvertrag. Wenn sie ins ›Magic Flower‹ kamen, dann als Gast. Kostenlose Auftritte waren nicht mehr

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drin.Einige andere Girls hatten ihren Weg als Titelbildmädchen

gemacht.Das Ende vom Lied war, daß viele Mädchen glaubten, sie

brauchten nur im ›Magic Flower‹ aufzutreten, und ihr Glück war gemacht.

Es störte sie nicht, daß sie für ihre Darbietungen keinen Shil-ling gezahlt bekamen.

Und daß sie sich mit Bill Salish einlassen mußten, das gehör-te eben dazu.

Vier Wochen mußten sie mindestens im ›Magic Flower‹ auf-treten. So verlangte es der Vertrag, den jede unterschreiben mußte.

Vorausgesetzt, und das stand im Kleingedruckten, das Publi-kum pfiff sie nicht aus.

Es war auch schon vorgekommen, daß die Gäste auf die Stühle stiegen und von der Geschäftsleitung des ›Magic Flower‹ im Chor verlangten, eine angehende ›Künstlerin‹ raus-zufeuern. Vielleicht, weil ihr Typ nicht ankam.

Oder sie konnte vor lauter Lampenfieber nicht singen und machte überhaupt alles falsch, was nur falschzumachen war.

Wenn sich das an zwei oder drei Abenden wiederholte, flog das Mädchen. In diesem Punkt verstand Bill Salish keinen Spaß.

Als Geschäftsführer, Manager und Mitinhaber des ›Magic Flower‹ mußte er darauf sehen, daß die Kasse stimmte. Schnaps war Schnaps, aber Geschäft war Geschäft. Wer kein Geld brachte, war draußen. Mitleidlos.

So ein Diskobetrieb war schließlich keine Wohltätigkeitsein-richtung.

Den Gästen mußte etwas geboten werden. Fürs Auge. Und fürs Ohr. Dafür zahlten sie ja auch gesalzene Preise.

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Jessica versprach, solchen Erwartungen gerecht zu werden. Als sie sich vorstellte, hatte sie jedenfalls gute Figur gemacht und gut gesungen.

Wie Milch und Honig sah sie aus mit ihrem schwarzen Haar.Bill Salish hatte sie sofort ganz oben auf seine intime

Wunschliste gesetzt. Bisher hatte sich nur keine Gelegenheit geboten, der Kleinen näherzukommen.

Sie hatte erst heute Premiere. Die Show um Mitternacht ge-hörte ihr.

Eigentlich hatte Bill gedacht, daß Jessica diese Chance mit beiden Händen ergriff und etwas daraus machte. Statt dessen hatte sie eben einen entsetzten Blick auf das winzige Kostüm geworfen, mit dem sie vor die gaffende Meute draußen hintre-ten sollte.

Dann war sie knallrot geworden, hatte sich auf dem Absatz umgedreht und die Tür zugeschmettert.

Mit einem dünnen schmierigen Grinsen betrachtete Bill das »Kostüm«.

Es war ein Glitzer-Tanga. Nicht mehr und nicht weniger. Und zwei künstliche Orchideen. Die Plastikblumen machten sich in Jessicas schwarzem Haar bestimmt hervorragend.

Und der Glitzer-Tanga auf ihrem Körper erst recht. Die männlichen Gäste würden auf ihre Kosten kommen. Und be-stimmt auch ein paar weibliche, wie Bill Salish sein Publikum inzwischen kannte.

Daß eines der Mädchen zickig werden könnte, kam in Bills Plänen erst gar nicht vor. Alle, die hier mal aufgetreten waren, hatten getan, was er verlangte. Auf der Bühne oder im Wasser-bassin draußen und auch sonst.

Zum Teufel, was war denn schon groß dabei?An einem heißen Sommernachmittag bekam man im Hyde-

Park und am Themse-Ufer wahrlich mehr zu sehen und

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brauchte noch nicht einmal dafür zu bezahlen.Jessica sollte nichts anderes tun, als in das durchsichtige

Wasserbassin zu steigen, ein paar langsame Runden zu dre-hen, damit man sie von allen Seiten und ausgiebig betrachten konnte, und sie sollte dabei zwei Songs vortragen.

Fürs Playback sorgte der Diskjockey.Zusammen mit der Lichtorgel, der Lager-Show und dem

Fontänenspiel waren diese Badeeinlagen mit Gesang der große Mitternachtsknüller.

Aber was tat die dumme Gans?Weigerte sich, den Fummel anzuziehen! Schmiß den Job ein-

fach hin! Haute ab!Das war Bill Salish noch nicht passiert. Entsprechend groß

war seine Wut.»Jessica?« Seine Stimme klang wie die Posaune zum Jüngsten

Gericht.Das Haus hatte sie nicht verlassen. Er hatte schon mit dem

Eingang telefoniert.Also steckte sie in einem der hinteren Räume. Vielleicht in

der Umkleide. Oder sie hatte sich unter die Gäste gemischt.Mit James und dessen gegenwärtiger Puppe konnte sie nicht

fortgegangen sein. James Gardiner war schon vor einer halben Stunde mit Marjorie aufgebrochen.

Diese Marjorie stammte aus schwerreichem Haus und war ein Luder, wo die Haut sie anrührte. Mit ihren siebzehn Len-zen hatte sie bereits mehr Männer verbraucht als andere Frau-en im ganzen Leben nicht schafften.

Nach Bills Einschätzung zählte sie zum Kundenkreis von Ja-mes und brauchte mindestens einmal am Tag einen Druck.

Sie hatte Jessica mitgebracht und im ›Magic Flower‹ einge-führt. Von ihr stammte die Idee, Jessica sollte hier auftreten. Ziemlich energisch sogar hatte sie davon gesprochen.

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Sie, die um Jahre jüngere, hatte über die Ältere bestimmt. Jes-sica hatte keine Einwände erhoben. Er, Bill, hatte ihr nur den Vertrag hingelegt, und sie hatte ohne zu zögern unterschrie-ben. Fast blind.

Die Proben an den vergangenen drei Tagen hatten reibungs-los geklappt. Da hatte sich Jessica allerdings auch im einteili-gen Badeanzug getummelt.

Ausgeflippt war sie eben erst. Als sie das glitzernde Nichts sah, das sie tragen sollte.

Bill Salish riß wutentbrannt die Tür auf.Der Flur lag in gedämpftem Licht.Schritte waren keine zu hören. Der fingerdicke Teppichbo-

den schluckte jedes Geräusch.Diese blöde Gans konnte etwas erleben! Bills Doppelkinn ge-

riet in Wallung. In spätestens zehn Minuten mußte das Mäd-chen raus, sonst tobte die Meute.

Unzufriedene Gäste konnte sich nicht einmal das ›Magic Flower‹ leisten. Der Konkurrenzkampf war hart. War eine Dis-ko erst mal nicht mehr gefragt, dann war sie schnell aus dem Geschäft.

Wenn man Glück hatte, konnte man die Einrichtung noch zu einem vernünftigen Preis verhökern und jemand finden, der in den Mietvertrag einstieg.

»Jessica?« Die Stränge an Bill Salishs Hals traten dick hervor.Wo hatte sich die Kleine versteckt? In Gardiners Büro?Es sah James ähnlich, wenn er wieder den Schlüssel auf der

Tür gelassen hatte!Bestimmt brachte ihn das eines Tages vor den Richter. Und

dann für zwanzig Jahre hinter Gitter.Es war überhaupt ein Wahnsinn von ihm, seine Kundschaft

hier mit Stoff zu versorgen.Aber er ließ sich nichts sagen und wußte alles besser. Vorläu-

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fig gab ihm der Erfolg auch recht. Er scheffelte ein Schweine-geld mit seinem Drogenhandel.

Bare zwanzigtausend Pfund hatte er ins ›Magic Flower‹ ein-gebracht. Offiziell. Und dreißigtausend Pfund heißes Geld, von dem sein Finanzamt kein Sterbenswort erfahren durfte.

Sein Drogenhandel und die Weiber, dachte Bill Salish, die schaffen ihn eines Tages! Das kann auf Dauer gar nicht gutge-hen!

Außer James Gardiner hatten auch noch Thomas Furlong, Sam Medway und George Wynter Geld in das Unternehmen eingebracht.

Bill selber hatte am wenigsten beigesteuert. Dafür mußte er die Geschäfte führen. Abgesehen davon verstand er etwas von dem Job. Seine Partner konnten sich nicht beklagen. Das ›Ma-gic Flower‹ warf einen satten Profit ab.

Bill bemerkte eine undeutliche Bewegung. Hoffentlich hatte Jessica es sich anders überlegt und machte ihren Auftritt.

Aber da kam niemand.Verblüfft machte Bill ein paar Schritte in den Gang hinein.Teufel, das sah ja fast wie Rauch aus!Etwas kräuselte sich aus der Wandverkleidung und drehte

sich in rasendem Wirbel wie ein kleiner Tornado.Dabei rührte sich im Gang kein Lüftchen.Bill war dies nicht geheuer. Er brachte seinen untersetzten

Körper in Schwung.Woher kam dieser Rauch? Oder war es Nebel?Etwa ein Kurzschluß?Das fehlte noch! Der Laden war voll bis zum letzten Steh-

platz an den drei Mahagonitheken. Und wie üblich drückten sich auch auf den Treppen Pärchen herum. Das Geld rollte.

Fast hatte Bill das Ende des Ganges erreicht. In der Wand verliefen jede Menge elektrische Leitungen. Wenn da was

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schmorte, dann gute Nacht!Er blieb stehen wie angewurzelt, als der Rauch eine grüne

Färbung annahm. Verblüfft wischte er sich die Augen.Grünen Rauch hatte er sein Lebtag noch nicht gesehen.Wo kam der her? Warum drehte er sich in einem rasenden

Wirbel? Was bedeutete das?Bill schnupperte. Es roch nach Moder. Nach Fäulnis. Es stank

wie aus einem alten Grab.Der Rauch verdichtete sich. Strukturen wurden erkennbar.

Gerade wie allerfeinste Spinnweben. Genauso glitzerten sie auch im Schein der gedämpften Beleuchtung.

Bill hatte den Eindruck, einen kreiselnden festen Körper vor sich zu haben.

Er stieß mit dem Zeigefinger dagegen.Der Rauchkreisel rotierte langsamer und kam zum Stillstand.

Der auf der Spitze stehende Kegel begann sich zu verformen. Die Konturen wurden rund, bauchig. Da und dort erschienen Auswüchse.

Eine Gestalt entstand.Eine grauenhafte Erscheinung.Ein grünes Skelett.Ein Gespinst wie von Spinngewebe umschwebte es.Die Fäden spannten sich auch durch die Hohlräume und den

Brustkorb.Mit einem Schrei prallte Bill Salish zurück und knallte gegen

die Wand in seinem Rücken.»Was – was soll das?« stieß er keuchend und vom Grauen ge-

packt hervor.Der grüne Totenschädel neigte sich vorwärts, bis er fast Bills

kreidebleiches schweißnasses Gesicht berührte.Der Unterkiefer klappte herunter. Ging wieder hoch. Der To-

tenschädel machte Sprechübungen.

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Bill schob sich an der Wand entlang.Fort, nur fort! Dieses Knochengespenst war ja grauenhaft!Plötzlich redete das Skelett. Bill erstarrte.»Ich bin der Grüne Tod, ich verfolge euer Treiben. Es gefällt

mir nicht.«»Was – was?«Bill war zwei Schritte weit gekommen und rechnete sich eine

Chance aus, im Spurt sein Büro zu erreichen.Der Grüne Tod schien es zu ahnen. Er streckte die grünen

Knochenarme aus, packte mit der rechten Skeletthand Bill vor-ne am Herd und drehte den Stoff zusammen.

Eine mörderische Kraft steckte dahinter. Bill wurde die Luft knapp. Röchelnd rang er nach Atem.

»Ihr zwingt die Mädchen, Sachen zu tun, die sie freiwillig nicht tun würden – du, deine Partner. Gardiner habe ich schon dafür bestraft. Du bist der nächste Salish. Das ist eine War-nung. Die einzige. Da ist ein Mädchen, das gleich auftreten soll.«

»Jessica?« röchelte Bill. Er verging fast vor Angst.»Richtig, so ist ihr Name. Laß sie in Ruhe, laß die Finger von

ihr.«Das grüne Skelett schloß den Mund. Es knackte vernehmlich.Dann ließ es Bills zusammengedrehtes Hemd los und ver-

setzte dem Geschäftsführer einen harten Stoß vor die Brust.Für zwei Sekunden klebte Bill an der Wand wie eine viel zu

fett gewordene Fliege. Danach rutschte er zu Boden und stierte auf die grausige Erscheinung.

Der Grüne Tod zog sich zwei Schritte zurück.Er verwandelte sich zurück, nahm wieder die Gestalt des ro-

tierenden Kreisels an und drang als grüner Rauch in die Wand ein.

Ein grünes Wölkchen kräuselte sich dort noch. Dann war

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auch das verschwunden.Zähneklappernd hockte Bill Salish auf dem Boden.Der Grabgeruch, der den Grünen Tod umschwebt hatte,

wehte wie eine tödliche Drohung durch den Gang.Es dauerte Minuten, bis Bill seine Todesfurcht überwand.Endlich rappelte er sich auf und lehnte schwer atmend an

der Wand. Was war das gewesen? Ein Spuk?Oder hatte ihn eine Halluzination genarrt?Was hatte die Erscheinung gesagt? Grüner Tod?Bill atmete langsam aus. Das war doch Spinnerei. Das gab's

einfach nicht. Keine grünen Skelette. Auch keine, die redeten wie ein richtiger Mensch.

Unheimlich war ihm die Sache doch.Was hatte das grausige Gespenst über James Gardiner ge-

sagt? Den hätte es schon bestraft?Quatsch war das! James war schon vor einer Weile mit seiner

Puppe Marjorie abgehauen.Bluff! Alles Bluff!Und er solle gefälligst die Finger von Jessica lassen! Auftre-

ten brauchte sie auch nicht!Bill kam erstaunlich schnell über seinen Schrecken hinweg.

Jemand hatte sich einen verdammten Scherz mit ihm erlaubt. Irgendein Trick! Um ein Haar war er darauf hereingefallen.

Kürzlich hatten sie einen Magier auf der Bühne gehabt. Der Kerl hatte die tollsten Kunststücke gezeigt und drei Leute ver-schwinden lassen.

Natürlich waren die hinterher wieder dagewesen. Im Zu-schauerraum hatten sie gesessen. Mucksmäuschenstill. Angeb-lich hatten sie keine blasse Ahnung, was mit ihnen passiert war.

Je länger er nachdachte, desto überzeugter war Bill, daß ihn jemand zum Narren hielt.

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»Das werden wir ja sehen!« knurrte er und zog seinen Bauch ein. »Dem Kerl breche ich sämtliche Knochen, wenn ich ihn er-wische!«

Ein letzter Rest Unsicherheit blieb.Deshalb tappte er in sein Büro zurück, angelte das Telefon

heran und wählte die Nummer seiner Aufpassertruppe vorne in der Disko.

Eine breite Stimme meldete sich.»Schickt Motley her!« sagte Bill gereizt. »Sofort!«Ein paar Minuten später schob sich ein Kerl wie ein Kleider-

schrank durch die Tür. Wenn je der Ausdruck Gorilla auf einen Menschen zugetroffen hatte, dann auf diesen Mann.

Motley Babington sah aus wie ein übriggebliebener Nean-dertaler, der sich zufällig in einen dunklen Anzug verirrt hat.

»Ja, Boß?«Ein dünnes Lächeln huschte um Bill Salishs Mund und ver-

barg seine listigen Absichten. Falls das grüne Klappergestell doch keine Halluzination war, falls etwas dran war an der Drohung, dann war es besser, wenn es Motley erwischte.

Verschiedene Gäste graulten sich vor ihm und bezeichneten ihn als Resultat von Frankensteins erstem Versuch. Ein schmerzlicher Verlust war er also nicht.

»Diese Jessica ist getürmt. Hält sich irgendwo hier versteckt. Sie will nicht raus, verstehst du?«

Motley grinste wie der Satan selber. »Ich überrede sie, ma-chen Sie sich deswegen nur keine Sorgen, Boß.«

»Ohne Aufsehen, klar? Sie schwimmt. Und zwar in zehn Mi-nuten.«

Motley nickte wie ein Roboter. »Klar schwimmt sie, Boß. Und sie singt auch.« Er stapfte hinaus.

Bill starrte auf die Tür. Motley war zwar etwas lahm im Ge-hirn, aber wenn er etwas begriffen hatte, hielt ihn nichts mehr

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auf.Zufrieden fingerte der Geschäftsführer eine Zigarette aus der

Packung. Dabei fiel sein Blick auf den Glitzer-Tanga und die künstlichen Blumen.

Ein heiserer Schrei quälte sich aus seiner Kehle.Der silberne Tanga war jetzt grün, und die Plastikorchideen

waren zusammengefallen, als seien sie echte Blüten.Er wollte Motley zurückrufen.Außer einem Krächzen kam nichts aus seinem Mund. Der

Hals war ihm wie zugeschnürt.

*

Vom Big Ben zitterten die Glockenschläge heran wie aufge-schreckte Nachtvögel.

Mitternacht!Von der Themse kroch Nebel herauf und zwängte sich in die

Straßen und Gassen. Sogar in die Hauseingänge und in die Wohnungen, wie mir scheinen wollte.

Ein Mistwetter war das wieder! So richtig, um es sich daheim vor dem Kamin gemütlich zu machen.

Fröstelnd klappte ich den Mantelkragen hoch. Aber gegen den feuchten Nebel half auch das nicht viel.

Unser Londoner Nebel ist von besonderer Qualität. Auf der ganzen Welt gibt es keinen feuchteren Nebel. Keinen undurch-dringlicheren. Und keinen, der einem so nachhaltig in die Knochen und ins Gemüt zieht.

Man kann die Schwermut darüber kriegen.Ganz so weit war es bei mir noch nicht. Ich war viel zu ge-

spannt auf die sensationellen Enthüllungen, die mir Zubinassi-an angekündigt hatte.

Der Kerl war ein Doppelagent. Er trug Wasser auf beiden

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Schultern. Für den KGB und für unseren Verein, den Secret Service.

Darum genoß er in England Narrenfreiheit.Sir Horatio, der Chef des Geheimdienstes, hielt unsichtbar

seine schützende Hand über ihn. Das bedeutete, daß man Zu-binassian nichts zustoßen lassen durfte. Jedenfalls nicht von unserer Seite aus.

Bei seinen eigenen Leuten war ich mir da nicht so sicher. Ich habe harmlosere Vögel als Zubinassian gekannt, die nach ei-nem Besuch etlicher russischer Herren schwerste Beschädi-gungen aufwiesen und auch von den besten Chirurgen der Stadt nicht mehr zusammengeflickt werden konnten.

Es kam immer darauf an, wie gerade der Wind aus Moskau wehte.

Mal wurden Doppelagenten nach ihrer Nützlichkeit bewertet und mal nach dem Schaden, den sie anrichten konnten, wenn sie bei der Gegenseite rückhaltlos auspackten.

Derzeit schien in Moskau Windstille zu herrschen.Bei uns hieß Zubinassian nur das »Fettauge«. Denn er

schwamm eigentlich immer oben auf der Suppe.Sein Hausname ließ vermuten, daß er aus Armenien stamm-

te. Aus dem sowjetischen Teil. Er war aber wahrscheinlich so falsch wie sein Lächeln und sein Gebiß.

Er war ein Blender. Ein hochkarätiger allerdings. Und ein Schlitzohr.

Er verstand es, recht glaubwürdig von Dingen zu schwafeln, von denen er nicht den Schimmer einer blassen Ahnung hatte.

Dem Geheimdienst eines Landes, das ich nicht näher be-zeichnen will, verkaufte er für satte zehntausend Pfund detail-lierte Informationen über ein russisches Unterseeboot mit Plas-mareaktorantrieb, das unter dem Eis des Nordpols erfolgrei-che Testfahrten unternommen hätte und demnächst dort seine

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feste Position beziehen würde. Getaucht. Für ein halbes Jahr.Der Plasmareaktorantrieb war ein Bluff. Und der Rest auch.

Es stellte sich heraus, daß im angegebenen Seegebiet das Eis bis in zwei Kilometer Tiefe reicht und ein Unterseeboot, wie er es beschrieb, durch den Wasserdruck zerquetscht würde wie eine Papierschachtel.

Außerdem war's technisch unmöglich, ein halbes Jahr lang mit einem Boot unten zu bleiben.

Das Geld war futsch, der geleimte Geheimdienst spuckte Gift und Galle und trachtete dem ›Fettauge‹ nach der Gesundheit. Die gesamte Branche gewann die Überzeugung, daß Zubinas-sian sich mal wieder bei seinen KGB-Leuten unentbehrlich ge-macht hatte. Der KGB hatte Devisen nötig, wie es aussah. Zu-fällig in der Größenordnung von zehntausend Pfund.

Und Zubinassian hatte dieses erkleckliche Sümmchen dem Klassenfeind aus dem Kreuz geleiert.

Verständlich, daß sich gegen das ›Fettauge‹ etwas zusam-menbraute.

Nun ist aber ein toter Agent immer ein häßlicher Zwischen-fall und eine Belastung für die vielfältigen politischen Bezie-hungen.

Aus diesem Grunde hatte Sir Horatio jenem angeschmierten Geheimdienst zu verstehen gegeben, daß er es als sehr un-freundlichen Akt auffassen müßte, wenn Zubinassian auf eng-lischem Boden Ungemach widerfahre und der Mann beispiels-weise ein paar Löcher in den Anzug gemacht kriegte, wo sie nach den strengen Maßstäben der britischen Herrenschneide-rinnung überhaupt nichts zu suchen hätten.

Das ›Fettauge‹ erfreute sich derzeit also einer relativen Si-cherheit.

Und als Mann vom Fach hielt er sich darüber hinaus in der Versenkung verborgen. London war groß und bot viele Verste-

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cke. Erst recht für Schlitzohren wie er eines war.Daß er sich nun doch aus seinem geheimen Loch heraustrau-

te, hatte eine Vorgeschichte.An der russischen Botschaft arbeiten nicht nur Russen. Auch

ein paar Briten. Linientreue natürlich. Mit dem Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei Großbritanniens in der Tasche.

Das ist kein Grund, um sofort in Ohnmacht zu fallen. Wir kennen die Leute.

Vor drei Tagen war Joy Gilligan spurlos verschwunden. Sie arbeitet beim Ersten Sekretär der Botschaft, bei Wassili Suslow.

Joy Gilligan stammte aus dem Viertel der Westindischen Docks. Früher war es eine reine Arbeitergegend. Dann kamen farbige Einwanderer hinzu, Spekulanten kauften ganze Stra-ßenzüge auf, sanierten aber nicht, sondern hofften darauf, daß die Häuser den Leuten über dem Kopf zusammenkrachten.

Aus diesem Milieu hatte sich Joy aus eigener Kraft gelöst. In der Labour-Partei hätte sie es weit bringen können, sie blieb indes überzeugte Kommunistin.

Das war zu respektieren.Eines Tages heuerte sie bei der russischen Botschaft an. Als

Schreibkraft. Von da an hatten wir ein Auge auf sie.Und jetzt war sie abhanden gekommen.Einfach so. Ihre Geschwister wußten angeblich nichts. Einen

Lebensgefährten hatte Joy nicht. Und über ihre Freunde wuß-ten wir eigentlich verdammt wenig, stellten wir nachträglich fest.

Strenggenommen, hatten wir nicht einmal Anhaltspunkte dafür, mit wem sie befreundet war.

Wassili Suslow hatte sich bereits an die Polizei gewandt. Aus menschlicher Sorge, wie er betont hatte.

Seine Besorgnis war – vermutlich auf höhere Anweisung – in Gereiztheit umgeschlagen. Er bezichtigte unseren Geheim-

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dienst des Kidnapping. Wir würden Joy Gilligan an einem ge-heimen Ort unter Verschluß halten und einer Gehirnwäsche unterziehen.

Das war schwachsinnig, aber das konnte Sir Horatio dem Ersten Sekretär der Botschaft ja nicht ins Gesicht sagen.

Und überhaupt – wozu hätten wir eine Schreibkraft ausquet-schen sollen? Da gibt's viel elegantere Methoden, um etwas in Erfahrung zu bringen.

Wir hatten jedenfalls auch keinen blassen Dunst vom Aufent-haltsort der Frau. Um guten Willen zu dokumentieren, betei-ligten wir uns an der Suche.

Wir überschlugen uns nicht vor Eifer, das will ich gestehen.Ermitteln ließ sich, daß ein russischer Sicherheitsbeamter

und einer von unseren Polizisten, die an der Botschaft statio-niert sind, Joy Gilligan am Abend vor drei Tagen zuletzt sahen. Da verließ sie eine Stunde früher als üblich die Botschafterresi-denz.

Danach verlor sich ihre Spur in der Riesenstadt.Als hätte es sie nie gegeben.Und da kam plötzlich ein Anruf vom »Fettauge«. Heute am

späten Nachmittag.Zubinassian wollte wissen, wo man Joy Gilligan gesehen hat-

te.Völlig abwegig war es gar nicht. Ein Mann wie er lebte

schließlich davon, zu wissen was vorging.Er hatte auch gar nicht den Versuch unternommen, diese In-

formation Sir Horatio zu verkaufen. Da hätte er auf Granit ge-bissen.

Nach seiner Gaunerei mit dem ausländischen Geheimdienst wollte niemand mit ihm Geschäfte machen.

Das war es aber nicht allein, weswegen ich jetzt im feuchten Londoner Nebel stand und wünschte, das ›Fettauge‹ möge

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endlich kommen.Es gehörte auch nicht zu meinem Aufgabengebiet, entlaufene

Schreibkräfte der russischen Botschaft aufzuspüren.Nein, Zubinassian hatte noch eine geheimnisvolle Informati-

on mitgeliefert. Man hätte nicht nur Joy Gilligan gesehen, son-dern auch einen Mann, der offensichtlich auf sie angesetzt war. Jedenfalls hätte er sie grob am Arm gepackt und in Richtung auf eine schwarze Limousine gebogen.

Auch das leuchtete ein. Suslow hatte mit Sicherheit seine Spezialisten in die Stadt gehetzt.

Bestimmt nicht aus Anhänglichkeit, weil er seine Schreibkraft wiederhaben wollte. Joy Gilligan sollte am Reden gehindert werden. So sind nun mal die Spielregeln.

Es lag auf der Hand, daß die Frau die Fahrt in der Limousine nicht lebend beendet hätte.

Dazu war es aber aus anderen Gründen nicht gekommen.Denn plötzlich sei ein grünes Skelett aufgetaucht. Wie aus

dem Boden gewachsen.Der grüne Knochenmann habe den Unbekannten gepackt

und Joy Gilligan aus seinem Griff befreit. Das Skelett habe dann den Mann zweimal auf den Boden geworfen.

Dabei sei geschossen worden. Der Mann am Boden habe auf das Skelett gefeuert. Sechsmal insgesamt. Mit einer schallge-dämpften Waffe.

Die Kugeln hätten dem grünen Gespenst aber gar nichts an-haben können. Und dann hätte sich der Mann wie durch Zau-berei selber in ein Skelett verwandelt.

In Sekundenschnelle, Nicht einmal einen Schrei hätte er noch ausstoßen können.

Starr und steif hätte sein Gerippe auf dem Boden gelegen. Es hätte grün geleuchtet.

Joy Gilligan sei wie von Furien gehetzt in die Nacht gelaufen.

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Der grüne Knochenmann aber hätte das Gerippe seines Op-fers in die Limousine gepackt, hätte sich hinter das Lenkrad geschwungen und sei die paar hundert Schritte bis zum Them-seufer gefahren. Dort sei er ausgestiegen und hätte den Wagen ins Wasser rollen lassen.

Und es hätte verdammt keine Zeugen dafür gegeben.Sir Horatio hatte diesen Anruf auf Band aufgenommen und

spielte ihn mir mehrmals vor.Das ›Fettauge‹ hatte verblüffend genaue Kenntnis von den

Vorgängen, so daß sich Sir Horatio und mir der Verdacht auf-drängte, daß Zubinassian nicht flunkerte, sondern die reine Wahrheit sagte. Daß er mit eigenen Augen gesehen hatte, was passiert war.

Von wegen keine Zeugen!Ich konnte mir den Fettkloß richtig vorstellen, wie er schwit-

zend hinter der Limousine hertrabte und sie in der Themse versinken sah. Samt dem unbekannten Opfer, von dem nur noch ein grünes Skelett vorhanden war.

Passiert war das vor vierundzwanzig Stunden.Zubinassian hatte einen vollen Tag überlegt, ob er seine Be-

obachtung an uns melden sollte.Aus alter Freundschaft hätte er's schließlich doch getan, ver-

sicherte er in seinem Anruf Sir Horatio. Und es sei ja bekannt, daß der Secret Service eine Spezialabteilung hätte, die sich um Phänomene und gruselige Dinge kümmere, bitteschön. Und gruselig sei ja wohl, was man gesehen habe. Unheimlich gera-dezu.

Ich hatte ›Fettauges‹ Stimme im Ohr. Sie klang immer noch gehetzt und ängstlich, obwohl ein Tag zwischen der Beobach-tung und dem Anruf lag.

Zubinassian mußte es ganz schön an die Nerven gegangen sein.

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Das wäre mir es auch, zugegeben.›Fettauge‹ hatte dann einen Treffpunkt vorgeschlagen. Hier

unten an der Themse. Sir Horatio möge einen mutigen Mann schicken. Dem wolle er zeigen, wo der Wagen in den Fluß ge-rollt worden sei und wo das grüne Skelett Joy Gilligan aus der Gewalt des unbekannten Mannes befreit habe.

So um Mitternacht herum solle der Mann sich an der be-zeichneten Stelle einfinden.

Sir Horatio hatte es dem Burschen zugesagt.Es war klar, daß Zubinassian weiteres Wohlwollen meines

Chefs erringen wollte. Er wußte ja, wer die Hand über ihn hielt. Das war auch eine Form der Dankbarkeit.

Der Mann beim Service, der sich um haarsträubende Ereig-nisse und Zwischenfälle kümmerte, die sich jeder kriminalisti-schen Aufklärung widersetzten, der sich bemühte, Phänomene zu enträtseln, der eingesetzt wurde, wenn übersinnliche Kräfte im Spiel waren, der Mann war ich.

Nachdem Sir Horatio mir fünfmal das Tonband vorgespielt hatte, sagte er: »Klingt ja alles recht verworren, aber zu viele Details für eine Spinnerei. Und dann diese Stimme – er hat Angst! Mac, gehen Sie um Mitternacht zum Treffpunkt. Zubi-nassian wird Ihnen mehr sagen können. Er deutet es ja an.«

Darum stand ich jetzt hier im Nebel.Einigermaßen gespannt war ich ja. Von einem grünen Skelett

hatte ich noch nie gehört.Logischerweise auch nicht davon, daß dieses Skelett auf

Menschen losging, mit ihnen nächtliche Ringkämpfe aufführte und sie in Sekundenschnelle ebenfalls in Skelette verwandelte. In solche allerdings, die sich nicht mehr rührten und die man samt einer Limousine in der Themse versenkte.

Von Pünktlichkeit hielt das ›Fettauge‹ nicht sehr viel.Es war bereits zehn Minuten nach Mitternacht.

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Andererseits mußte ich einem Mann, der um seine Haut fürchtete, eine gewisse Verspätung zubilligen.

Ich nahm an, daß er den Treffpunkt an der Themse deshalb gewählt hatte, weil ganz in der Nähe die Stelle war, an der die Limousine ins Wasser gekippt war.

Von ausgedehnten nächtlichen Fußmärschen schien Zubinas-sian nichts zu halten.

Ich stampfte auf. Der feuchte Nebel hatte Wasserperlen auf meinem Mantel entstehen lassen.

Keine zwanzig Schritte entfernt brannte eine Straßenlampe. Ich sah sie aber nur als fahle blasse Scheibe hoch im Nebel schwimmen. Der Asphalt glänzte dunkel und feucht.

In der Nähe tastete sich ein Auto durch die dicke Suppe. Das Scheinwerferlicht reichte nicht einmal bis zu mir her. Ich hörte nur das gedämpfte Motorengeräusch. Der Wagen kam vom Westminster-Pier herauf und tastete sich die Auffahrt zur Westminster-Brücke hoch.

Dann umgab mich wieder die erdrückende Stille der Nebel-nacht. Ich fühlte mich wie der einsamste Mensch auf der Welt.

Vom Big Ben schlug die Viertelstunde.Vielleicht war das ›Fettauge‹ aufgehalten worden. Aber Ver-

mutungen halfen mir nicht weiter. Ich mußte warten. Ich woll-te auch warten.

Denn ich hatte den Eindruck, daß Zubinassian in jedem Punkt die Wahrheit gesagt hatte.

Nach einer Weile fingerte ich eine Zigarette aus der Tasche und rauchte. Papier Und Tabak wurden Feucht und schmeck-ten wie Kamelmist mit Assam-Tee.

Angewidert schleuderte ich die halbgerauchte Zigarette zu Boden. Funken stoben auf, die Glut verlöschte zischend auf dem feuchten Asphalt.

Ich versuchte, mit meiner ›Gabe‹ die Nähe eines Menschen

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zu sondieren. Zubinassian wollte etwas mitteilen, seine Ge-danken waren darauf fixiert. Ich hoffte, daß ich seine Ströme anpeilen konnte.

Möglicherweise stand er ganz in meiner Nähe im Nebel, be-obachtete mich und wollte erst einmal sehen, ob man ihn nicht in eine Falle tappen ließ.

Leute wie er waren in erster Linie mißtrauisch und erst in zweiter mitteilsam.

Ich zuckte zusammen. Da war etwas!Gehofft hatte ich ja, daß ich einen medialen Kontakt fand.

Aber damit gerechnet hatte ich nicht.Ob's Zubinassian war, konnte ich nicht sagen. Ich spürte

hauptsächlich Angst. Eine höllische, abgrundtiefe Angst.Die Richtung konnte ich nicht feststellen.»Zubinassian, sind Sie da?« rief ich. Ich erlegte mir keinen

Zwang auf. Weiter als fünfzig Schritte war ich garantiert nicht zu hören. Der Nebel verschluckte dann meine Stimme.

Nichts!Ich hörte nicht einmal die Verkehrsgeräusche von der West-

minster-Brücke. Dabei stand ich keine dreihundert Schritte von ihr entfernt.

Gerade wollte ich wieder rufen, als ich eine Wagentür zufal-len hörte.

Jemand konnte in sein Auto gestiegen sein und fuhr gleich los. Der Anlasser surrte aber nicht.

Da kam nur die zweite Möglichkeit in Betracht. Jemand hatte geduldig in seinem Wagen ausgeharrt und war jetzt ausgestie-gen.

Ich spürte die Ströme der angstvollen Gedanken gleich viel stärker.

Langsam ging ich in die Richtung, aus der das Geräusch der zufallenden Wagentür gekommen war.

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Ein grauenvoller Schrei ließ mir fast das Mark in den Kno-chen gefrieren.

So schrie jemand, der an der Schwelle zur Ewigkeit steht!Ich stürzte vorwärts. Durch den Nebel. In Richtung der ein-

samen Straßenlaterne.Von dort hörte ich ein Keuchen wie von Kämpfenden.Mir war, als würde jemand heftig auf den Boden geschleu-

dert.Ein eigenartiges grünes Leuchten drang durch den Nebel.

Sofort dachte ich an ›Fettauges‹ Beobachtung.Lieber Himmel, schlug das grüne Skelett hier zu? Vor mei-

nen Augen?Ich schnellte vorwärts und angelte instinktiv nach der Auto-

matic.Als meine Hand das körperwarme Metall spürte, ließ ich die

Waffe, wo sie war.Auf das Skelett waren gestern schon sechs Schüsse abgege-

ben worden. Erfolglos. Warum sollten dann gerade meine Ku-geln Wirkung zeigen?

Das unheimliche Leuchten wurde intensiver. Eine Gestalt schälte sich aus dem Nebel.

Ich blieb stehen, als sei ich in vollem Lauf gegen eine Schau-fensterscheibe gerannt. Mir richtete sich jedes Nackenhaar auf.

Der Anblick war grauenhaft.Ein grünes Gerippe stand dort auf dem feuchten Asphalt. Es

war wie von feinstem Gespinst umflossen. Als würde es Fet-zen eines riesigen Seidentuches um sich herumflattern lassen.

Mir richtete es nicht nur die Haare auf, mir quollen auch die Augen vor.

Was wie Seide glänzte und schwebte und flatterte, waren Spinnweben.

Die ganze schaurige Erscheinung war darin eingehüllt. Der

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Kopf auch. Sogar die leeren Augenhöhlen und der Brustkorb.Ich zweifelte an meiner Beobachtungsfähigkeit und an mei-

nem Verstand, als ich sah, wie das grüne Skelett den Kopf lau-schend in meine Richtung drehte.

Die Erscheinung besaß keine Sinnesorgane. Sie reagierte aber, als hätte sie welche.

Mir war sofort klar, daß ich es mit einem übersinnlichen We-sen zu tun hatte. Mit einem höchst gefährlichen.

Denn auf dem schwarzglänzenden Straßenbelag sah ich jetzt einen Menschen liegen.

Einen ungemein dicken Mann. Zubinassian!Im Hintergrund sah ich verschwommen den dunklen Schat-

ten eines Autos. ›Fettauge‹ mußte darin gesessen und erst ein-mal eine Weile die Gegend beobachtet haben. Die Scheinwer-fer waren jedenfalls ausgeschaltet, mitgekommen schien nie-mand zu sein.

Das grüne Skelett hatte Zubinassian angegriffen, nachdem er das Auto verließ.

Warum rappelte er sich nicht auf?Der Sturz konnte ihn doch nicht so betäubt haben, daß er wie

tot dalag!Aus Angst?Ich empfing keine Ströme. Dafür spürte ich etwas anderes –

es war wie der Anprall einer kalten, fernen, unwirklichen Welt. Und es ging von dem grünen Skelett aus.

Ich überlegte, ob ich mich auf einen Kampf einlassen sollte. Ich bin ganz gut durchtrainiert, und mit geisterhaften Erschei-nungen hatte ich einige Erfahrung.

Daß ein grünes Skelett einen unbekannten Mann im Handumdrehen in ein ebenfalls grünes Gerippe verwandelt haben sollte, hielt mich davon ab, den Knochenmann anzu-greifen.

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Ich wußte gar nichts über ihn. Das konnte böse für mich en-den.

Nur ein Narr stürzt sich bedenkenlos ins Ungewisse.Ich tauchte gedankenschnell in den Nebel zurück. Meine Ab-

sicht war, an anderer Stelle wieder zu erscheinen. Da lag ja Zu-binassian. Ich durfte ihn in seinem hilflosen Zustand nicht im Stich lassen.

Ein ärgerliches Fauchen verfolgte mich in den Nebel.Mein Herz tat ein paar schnelle Schläge. Der grüne Knochen-

mann hatte das Geräusch produziert!Ich kam aus Richtung der Straßenlampe, duckte mich und

hoffte, daß mich die Erscheinung nicht zu früh sah.Aber sie stand wohl mit dem Teufel im Bunde. Sie kam mir

schon entgegen.Ich war vor Entsetzen wie gelähmt. Zubinassian verwandelte

sich!Er zerfiel innerhalb weniger Augenblicke. Seine Kleidung

löste sich auf.Nur ein blankes Gerippe blieb von ihm übrig. Es begann

ebenfalls grün zu leuchten wie der schreckliche Knochen-mann, der sich mit mir anlegen wollte.

Für Zubinassian kam jede Hilfe zu spät.Der unheimliche Knochenmann schnellte sich mit einem un-

glaublichen Sprung vorwärts, schleuderte die Arme nach mir und bekam mich am Mantel zu packen.

Eisern hielt er fest.Ich wollte schwören, daß sich sein Totenschädelgesicht zu ei-

nem triumphierenden Grinsen verzerrte.

*

Edgar Conroy steuerte den Wagen links heran und hielt.

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Seine Knie waren weich wie Pudding.Er schielte über die Achsel. Das Grauen schüttelte ihn. Aus

dem Pärchen waren zwei grüne Skelette geworden.Sie waren in eine Art Spinnweben eingehüllt, die einfach aus

dem Nichts entstanden waren.Edgar stieß die Tür auf. Er bewahrte genug Geistesgegen-

wart, um das Mikrofon seiner Funksprechanlage mit hinaus-zunehmen.

»Hallo, Zentrale!« rief er keuchend. »Conroy spricht. Stehe auf der Regent Street, Einmündung Maddox…«

»Ja, und?«»Ich – ich habe einen Zwischenfall!« Edgars Stimme krachte.

»Zwei Fahrgäste. Schickt die Polizei. Sofort.«»Machen sie Ärger? Brauchen Sie Unterstützung, Conroy?«»Die Polizei! Schnell! Die Fahrgäste sind tot. Es sind Skelet-

te.«»Was?«»Skelette. Zum Teufel, beeilt euch!«»Ist Ihnen nicht gut, Conroy? Sie sagen so seltsame Sachen!«»Was mir passiert ist, ist nicht seltsam, sondern unheimlich.

Macht doch voran, ich warte hier.«Es folgte längere Stille. Dann: »Bleiben Sie, wo Sie sind, Con-

roy. Wir veranlassen alles.«»Hoffentlich.« Edgar hatte nasse Handflächen. Er warf das

Mikrofon auf den Sitz. Um keinen Preis wäre er jetzt eingestie-gen.

Nervös ging er neben dem Taxi auf und ab. Es roch nach Ne-bel. In einer halben Stunde würde London zu sein. Er kannte das.

Auf der Regent Street waren späte Passanten unterwegs.Edgar zog es den Magen zusammen, als er einen älteren

Mann auf das Taxi zukommen sah. Der Passant wollte eine

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Fahrt.Geistesgegenwärtig stellte sich Edgar so, daß der Mann die

beiden grünen Skelette auf dem Rücksitz nicht sah.»Besetzt, Sir, leider!«Der Mann war damit nicht einverstanden. Er zeigte auf das

eingeschaltete Taxizeichen. Es war angegangen, als Edgar aus-gestiegen war.

Dafür tickte der Taxameter.Der Passant begriff endlich, daß er sich um ein anderes Taxi

bemühen mußte. Er brummte unfreundlich und ging weiter.Edgar drehte den Taxameter ab. Er zeigte ein Pfund an. Das

bezahlte ihm niemand.Er wischte die feuchten Hände an der Hose ab und schielte

ins Wageninnere. Er begriff nicht, was vorgegangen war. Er sah nur, daß etwas Grauenvolles passiert war.

Er hatte doch überhaupt nichts gehört. Keinen Schrei, keine Stimme!

Minuten später kurvte einer von den alten Polizeiwagen her-an und stoppte hinter dem Taxi.

Zwei Polizisten stiegen aus.»Sie sind Conroy?«»Ja. Hier – sehen Sie, da sitzen sie!« Edgar wies auf die Sei-

tenscheiben.Die Polizisten schauten in den Wagen. Es verschlug ihnen die

Sprache.Beim einen kam Mißtrauen hoch. »Wenn das ein dummer

Scherz ist, sind Sie ihre Lizenz los, klar?«»Scherz? Mann, mir zittern jetzt noch die Knie! Als die bei-

den einstiegen, waren sie quicklebendig.«»Wer ist das?«»Ein Mann, dreißig, vielleicht etwas mehr. Und ein junges

Mädchen. Ein sehr junges Mädchen.« Edgar wischte sich die

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Stirn ab.»Hatten Sie sie schon mal als Fahrgäste?«»Daran würde ich mich erinnern. Nein, Sergeant.«»Wo sind sie eingestiegen?«»Vor dem ›Magic Flower‹. Das Ziel sollte Wembley sein.«»Wie war da die Anschrift?«Edgar nannte sie, und der Sergeant notierte, während der

zweite Polizist hastig eine Zigarette rauchte. Er spürte das Grauen, und er versuchte, sich darüber hinwegzumogeln.

Der Sergeant steckte das Notizbuch ein. »Das Taxi stellen wir sicher, Conroy. Es darf nichts verändert werden. Und Sie be-gleiten uns. Das ist der verrückteste Fall, der mir je begegnet ist. Sie werden doch aussagen, oder?«

»Sicher, aber was kann ich schon sagen? Ich habe bloß ein unheimliches Knirschen gehört, dann ein Reißen, als ginge Stoff entzwei. – Ja, und mir war, als würden mir tausend Spin-nen auf dem Rücken herumkriechen.«

»Spinnen?«Der Sergeant schaute Edgar Conroy an, als hätte der den Ver-

stand nicht richtig beisammen.Edgar aber griff sich unwillkürlich in den Nacken. Dieses

grausige Kribbeln spürte er immer noch.

*

Motley ging systematisch vor.Der Boß hatte gesagt, daß die Neue zu schwimmen hatte.

Also schwamm sie, das war ein klarer Fall.Außerdem steckte sie hier irgendwo. Den Ausgang passiert

hatte sie nicht.Motley kämmte geduldig, aber gründlich, die Disko durch.Seine Schreckensgestalt jagte so manchem Gast einen kalten

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Schauder über den Rücken.Die zehn Minuten waren natürlich längst um.Eines von den Girls sprang ein. Es drehte allerdings nicht

singend seine Runden in dem gläsernen Bassin, sondern tanzte auf einer winzigen Plattform inmitten der Wasserfläche und schwang die himmellangen nackten Beine bis unter die Decke.

Die Gäste waren unzufrieden. Sie murrten. Ein Mitternachts-knüller war das Gehopse nicht.

Cecil Bigelow war der Diskjockey. Er hatte ein unheimlich feines Gespür für umschlagende Stimmung. Wenn sich Miese-petrigkeit bemerkbar machte, klopfte er sofort saloppe Sprü-che und legte einen Ohrwurm auf den Teller. Dazu fuhr er die Lichtorgel auf Hochtouren.

So etwas peitschte die Stimmung hoch und brachte die Gäste auf andere Gedanken.

Auch jetzt schaltete er geistesgegenwärtig.Mit einer Handbewegung beorderte er das Tanzgirl von der

Plattform, manipulierte die Lichtorgel, setzte die Lasershow in Gang und legte einen einschmeichelnden Oldie von den Bea-tles auf.

Die ganz jungen Leute unter den Gästen waren in der Min-derzahl. Denen sagten die Beatles nicht mehr viel.

Hauptsächlich bildeten aber reifere Semester das Publikum. Die waren mit den Pilzköpfen, wie man die Beatles wegen ih-rer Frisur genannt hatte, groß geworden. Die hörten die Musik gern. Da wurden Erinnerungen wach, die durch die verstriche-nen Jahre eine Verklärung erfahren hatten.

Gar so rosarot, wie es die Leute heute glaubten, waren die Zeiten damals auch nicht gewesen.

Cecil Bigelow schaltete auch noch die Videoanlage ein. Für die Gäste, die zum Tanzen zu faul waren.

Ein Surfer schoß vor einer haushohen blauen Welle über die

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Bildwand.Motley steuerte auf den Diskjockey los. »Ist die Neue hier

vorbeigekommen – Jessica?« Seine Stimme kam tief aus dem Brustkasten.

»Die habe ich den ganzen Abend noch nicht gesehen. Ist was los?«

»Sie kneift. Der Boß will aber, daß sie schwimmt. Halt sie fest, wenn sie hier vorbeitanzt, klar?«

»Ich bin nur für die Platten und die Unterhaltung da«, wehr-te der Diskjockey ab. »Das andere ist nicht meine Sache.«

»Der Boß bezahlt auch dich, Cil, verstehst du?« Motley legte die gewaltigen Pranken auf das Steuerpult. Er schloß und öff-nete sie.

Cil, wie sie ihn nannten, schluckte. Er hatte von Motleys mörderischer Kraft gehört. Wo diese Pranken hinpackten, bra-chen Knochen.

Es wurde auch gemunkelt, der Gorilla hätte mal mit einem Faustschlag einen Gegner getötet.

»Sie wird gerade hier vorbeikommen«, sagte Cil. »Bestimmt ist sie schon auf dem Heimweg – wenn sie nicht will.«

Motley grinste dreckig. »Rausgegangen ist sie nicht. Also sperr fein die Augen auf, du Rillenritter!« Er versetzte Cil einen leichten Stoß gegen die Schulter.

Der Diskjockey aber fürchtete, es würde ihm den Kopf abrei-ßen, so hart wurde sein Oberkörper nach hinten geschleudert.

Motley stapfte den rückwärtigen Räumen zu.Cil starrte auf den mächtigen Rücken des Gorillas. Dann

schloß er die Augen. Ganz fest. Die Musik der Beatles rückte in die Ferne, erreichte ihn kaum noch.

Cil spürte, wie seine Gedanken fortgetragen wurden.Derweil durchsuchte Motley die hinten gelegenen Räume.

Und langsam wuchs sein Grimm. Was bildete sich diese blöde

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Ganz eigentlich ein? Glaubte sie, ihn und den Boß an der Nase herumführen zu können?

Da kannte sie ihn aber schlecht. Er hatte schon ganz andere Leute zur Vernunft gebracht.

An der Tür von Bill Salish lauschte er. Der Boß telefonierte.Motley tappte weiter.In den Umkleideräumen war die Kleine nicht.Unbekümmert schaute sich der Gorilla in den Waschräumen

um. Da war auch niemand.Er stöberte in der Küche, in der Getränkeausgabe und in den

Vorratsräumen.Die Angestellten erschraken bis ins Mark, wenn sie ihn er-

blickten. Sofort arbeiteten sie zwei Schläge schneller.Selbst die Werkstatt sparte Motley nicht aus. In so einem La-

den ging jede Nacht etwas zu Bruch, und das mußte sofort re-pariert werden. Auch Schäden an den elektrischen Anlagen.

Der Elektriker lötete etwas zusammen. Er blinzelte durch den Rauchfaden auf Motley. »Is was?«

Der Gorilla hatte schon gesehen, daß sich Jessica hier nicht versteckt hielt.

»Halt's Maul, mach weiter!« Motley riß die Tür hinter sich zu.

Eigentlich hatte er jetzt alles durchsucht. Bis auf das Büro von Mr. Gardiner.

Hatte sich die Kleine vielleicht dort hinein verkrochen? Mr. Gardiner schloß nur selten ab. Eigentlich konnte jeder hinein-latschen. Was ja auch oft genug geschah, wenn jemand aus der illustren Gästeschar unbedingt seinen Stoff brauchte.

Deswegen glaubte Motley aber noch lange nicht, daß Gardi-ner sein spezielles Warensortiment auch über Nacht im Büro ließ.

Der Gorilla glitt mit einer erstaunlichen Lautlosigkeit auf die

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Tür zu. Langsam streckte er den Arm aus, die Hand ergriff den Drehknopf.

Natürlich war nicht abgeschlossen.Drinnen war es dunkel. Darauf gab Motley aber nichts. Wer

sich verbarg, knipste nicht gerade Festbeleuchtung an.Er glaubte ein Atmen zu hören, in jedem Fall aber ein Ra-

scheln.Motley stieß die Tür auf und schob sich in den dunklen

Raum. »Du kommst besser raus und läßt die Zicken bleiben, Puppe! Ich bin als gutmütiger Mensch bekannt, aber so all-mählich komme ich auf Touren. – He, wo steckst du?«

Er strengte die Augen an. Das gedämpfte Licht vom Flur kam hier noch viel schwächer an.

Ein Atemgeräusch hörte er nicht mehr.Das Rascheln aber war jetzt viel deutlicher. Es kam aus der

hintersten Ecke.Motley grinste. Die Kleine machte ihm Spaß. Duckte sich

hinter Gardiners kostbare Leopardenfell-Sitzgruppe und woll-te ihn an der Nase herumführen!

Der mußte er die richtigen Flötentöne beibringen, damit sie für die Zukunft wußte, wie hier der Hase lief.

Bei der Gelegenheit konnte er ihr auch die Figur begrap-schen.

Mit den Frauen war das nämlich so eine Sache bei ihm. Alle hatten sie Angst vor ihm. Er wußte, daß er nicht hinreißend aussah.

Keine ließ sich mit ihm ein. Sie hatten hunderttausend Aus-flüchte.

Die Kleine hier entkam ihm nicht.Die Gier ließ Motley unvorsichtig werden.Er pirschte sich an die Sitzgruppe heran, bückte sich und

packte mit beiden Händen in die Dunkelheit hinter dem zwei-

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sitzigen Sofa. »Habe ich dich doch…« Der Rest blieb ihm im Halse stecken.

Er hatte etwas gefaßt, es fühlte sich aber nicht nach den wei-chen Rundungen einer Frau an.

Im Gegenteil.Es war hart, knochig – und es brannte wie Höllenfeuer!Erschrocken riß er die Hände zurück.Und dann blieb ihm fast das Herz stehen vor Entsetzen.Eine grauenhafte Gestalt richtete sich vor ihm auf. Ein Gerip-

pe!Die Knochen waren wie mit grüner Leuchtfarbe übergossen.

Ein glitzerndes Gespinst schwebte um das Skelett und füllte auch den Raum hinter den Rippen aus.

Motley kannte keine Schrecksekunde, auch wenn sein Ver-stand nicht ganz so fix war wie der anderer Leute. Er warf sich zurück.

Aber zu spät.Er hatte damit gerechnet, diese Jessica zwischen die Finger

zu kriegen. Nicht damit, auf ein Schreckgespenst zu stoßen. Denn dafür hielt er die Erscheinung.

Er sprang nicht weit genug zurück.Die vorschnellenden Arme des Gerippes krallten sich in sei-

ne dunkle Jacke. So hart, daß die messerscharfen Fingernägel spielend durch den Stoff drangen und sich tief in sein Fleisch gruben.

Motley brüllte gequält und zornig zugleich auf.Mit einem Befreiungsschlag drosch er die Knochenarme bei-

seite und setzte sofort mit einer Geraden auf die Rippen des Gespenstes nach.

Seine Faust landete wie auf einer Betonmauer.Brüllend krümmte sich Motley. Die Knöchel waren gebro-

chen.

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Das Gerippe ließ ein schauriges Lachen hören. Ein fürchterli-cher Grabgestank wehte den Gorilla an. Dann packte die grü-ne Erscheinung erneut zu.

Motley machte eine mißglückte Abwehrbewegung, verlor das Gleichgewicht und stürzte seitlich über einen Sessel.

Sofort war das grüne Skelett über ihm, legte ihm die Kno-chenfinger um den Hals und drückte zu.

Nicht einmal besonders kräftig. Motley bekam noch Luft.Er glaubte an seine Chance.Er packte die Knochenfinger und versuchte den Griff zu bre-

chen. Er verfügte über Bärenkräfte.Aber diesmal nützten sie ihm gar nichts.Er konnte die Finger nicht aufbiegen. Sie saßen wie Stahl-

klammern um seinen Hals.Jetzt spürte er seltsame Stiche in der Brust. Und dann emp-

fand er ein Gefühl, als würde ihn von innen heraus etwas auf-füllen. Etwas Kaltes, Grausames, unsagbar Fremdes.

Er stieß mit den Fäusten nach dem grinsenden grünen Toten-schädel über seinem Gesicht.

Der Treffer beeindruckte das Gerippe gar nicht. Dafür ver-spürte er wieder höllische Schmerzen.

Und dann stieß er einen gurgelnden Schrei aus.Jetzt spürte er in den Fäusten dasselbe fremde Gefühl wie in

der Brust.Und seine Fäuste leuchteten jetzt ebenfalls grün!In Sekundenschnelle lösten sich Haut und Fleisch auf.Motley stierte auf seine Knochenfäuste.Er hatte noch Gefühl darin. Es war, als würden sie in Watte

gepackt.Und nun sah er, daß aus dem Unsichtbaren Spinnweben ent-

standen. Ganz dicht und glitzernd. Sie hüllten seine knöcher-nen Fäuste ein.

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Er wollte sie öffnen. Sie waren zur Bewegungslosigkeit er-starrt. Sein ganzer Körper wurde steif.

Das Wattegefühl kroch die Arme entlang, erreichte seine Achseln, den Hals, den Kopf, und abwärts vereinigte es sich mit dem Völlegefühl in der Brust.

Sein ganzer Körper schien in Watte zu liegen.Von innen heraus entstand ein Druck, daß Motley meinte,

jetzt müßte er zerplatzen.Das war sein letzter Gedanke.Sein Körper zerfiel vollends zum Gerippe und leuchtete grün

und geisterhaft.Der Grüne Tod richtete sich auf und lachte dunkel.»So ergeht es euch allen«, klang es aus seiner leeren Mund-

höhle. »So rechne ich mit euch ab.«Er wandte sich um und tastete über die Mahagoniholzvertä-

felung der Wand. Eine verborgene Tür sprang auf. Sie gab einen tiefen und mannshohen Hohlraum frei.

An der Rückwand war ein Stahlregal befestigt. Auf den Zwi-schenbrettern lagen kleine Pakete, Kartons mit Ampullen und Einmalspritzen und etliche Stahlkassetten.

Das war James Gardiners Drogenversteck, raffiniert getarnt. Aber nicht für den Grünen Tod.

Der beugte sich nieder, ergriff Motleys Skelett, als sei es nichts, und stellte es unter diabolischem Gelächter in das Ge-heimversteck.

Sorgsam drückte er die Geheimtür zu.Dann stand er still.Die ihn umgebenden Gespinste kamen in heftige Bewegung,

seine Form begann zu verblassen und ging in einen anderen Zustand über.

Wie Rauch kräuselte es sich jetzt, verdichtete sich und be-gann zu kreiseln. Immer schneller.

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Im nächsten Moment sauste dieses erschreckende Gebilde lautlos in die Wandvertäfelung hinein.

*

Die grinsende grüne Totenfratze war keine Armlänge von mei-nem Gesicht entfernt.

Mein Mageninhalt spielte Fahrstuhl – rauf, runter, rauf, run-ter.

Der Totenschädel war hohl und leer – bis auf diese eigenarti-gen glänzenden Fäden. Aber da war dennoch etwas, das spür-te ich.

Leben war da, unsichtbares Leben.Eine dämonische Existenz hauste in dem grünen Gerippe.Ich hatte gesehen, wie es Zubinassian ergangen war. Also hü-

tete ich mich, dieses grüne Schreckgespenst anzurühren.Das war leichter gesagt als getan. Denn es hielt mich gepackt.

Es hatte meinen Mantel fest im Griff.Sollte er zum Teufel gehen! Zwar hatte ich ihn bei Fortnum

und Mason gekauft und dreihundert Pfund dafür hingeblät-tert; mein Leben war mir aber mehr wert.

Fortnum und Mason hatte noch mehr Mäntel, die verkauft werden wollten.

Ich ließ mich gegen das Skelett fallen, als hätte ich keine Kon-trolle über meinen Körper.

Das Knochengespenst reagierte augenblicklich. Es fing den Druck auf.

Ich tauchte in Gedankenschnelle nach unten weg.Es knirschte häßlich.Mein Mantel war dahin. Das grüne Gerippe hielt zwei Stoff-

reste zwischen den Fingern. Aber ich war frei.Ich schnellte mich rückwärts aus der Gefahrenzone.

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Mir kam es vor, als wollte das grüne Gespenst mir folgen. Es blieb dann aber doch zurück. Verschwommen sah ich das grü-ne Leuchten durch den suppigen Nebel.

Mir stand der Schweiß auf der Stirn, mein Atem ging keu-chend. Das war gerade verzweifelt knapp hergegangen!

Zum Henker, was war das für ein grünes Skelett? Wo kam es her?

Es brachte Menschen um.Aber es war kein Sinn dahinter zu erkennen, kein System.Halt, sagte ich mir, bei Zubinassian vielleicht schon! Er hatte

etwas beobachtet, und er wollte heute nacht auspacken! Er war ein gefährlicher Zeuge! Möglich, daß er deswegen sterben mußte!

Wenn es sich so verhielt, dann handelte das dämonische grü-ne Skelett nach einer grausamen Konsequenz! Dann legte es unverkennbar menschliche Verhaltensweisen an den Tag. Be-ziehungsweise an die Nacht.

In dieser Sekunde schwor ich mir, diesen Fall zu einer Presti-gefrage für mich zu machen.

Ich wollte nicht eher ruhen, als bis ich die Umstände und Hintergründe aufgehellt hatte, die dieses grüne Skelett umga-ben.

Und ich hoffte, ihm das Handwerk zu legen.Zu dem Treffen hatte ich lediglich meine Automatic mitge-

nommen. Zubinassian war immerhin ein Doppelagent gewe-sen, und ich war nicht lebensmüde.

Außerdem schleppte ich noch eine gänseeigroße Tageslicht-bombe mit mir herum. Ich hatte gelobt, sie immer bei mir zu tragen, solange ich nicht den Fürsten aller Blutsauger erledigt hatte, den Grafen Dracula.

Es war noch keine zwei Wochen her, daß ich Draculas Ge-heimversteck hier mitten in London aufgespürt hatte. Eine

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ganze Armee von Vampiren, Untoten und Ghouls hatte er be-reits um sich gesammelt gehabt, um London zu erobern und sein Schreckensreich zu errichten.

Es war mir gelungen, zwei Tageslichtbomben zu zünden. Ich war überzeugt, daß ich Draculas grausige Gefolgschaft ganz erheblich dezimiert hatte.

Der Fürst aller Blutsauger war mir jedoch entwischt. Eine warnende innere Stimme sagte mir ständig, daß auch andere seiner Vasallen davongekommen waren.

Jene, für die Tageslicht keine tödliche Gefahr mehr darstellte. Allen voran Peter Woods, der Inspektor von Scotland Yard. Den hatte Dracula zu sich in sein Reich hinübergeholt.

Woods war am hellen Tag mitten in London herumgegangen und hatte meine Freundin Kathleen Burke und ihre Verkäufe-rin Joan Masters entführt. Und es war ihm nichts passiert.

Kathleen und Joan hatte ich buchstäblich in letzter Sekunde den Untoten und Blutsaugern um Dracula entreißen können. Dabei hatte ich die zwei Bomben geworfen.

Die dritte verwahrte ich für den Augenblick, in dem ich wie-der Dracula gegenüberstand.

Ich hielt es für überaus fraglich, ob ich mit der Bombe gegen das grausige grüne Skelett etwas ausrichten konnte.

Weitere Waffen oder Hilfsmittel hatte ich nicht eingesteckt.Ich hatte ja nicht ahnen können, daß ich zu einem Rendez-

vous mit dem grünen Gerippe ging.Ein intensives grünes Leuchten im Nebel fesselte meine Auf-

merksamkeit.Ich sah das grüne Skelett richtig strahlen. Dann veränderte es

seine Form. Es waberte wie ein fliegender Pfannkuchen im di-cken Dunst herum.

Vom einen zum anderen Augenblick war das Gebilde ver-schwunden.

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Dem Braten traute ich nicht. Ich wartete erst einmal.Aber das Leuchten zeigte sich nicht mehr.Ich pirschte um den Ort herum und kam aus einer anderen

Richtung.Der grausige Spuk war fort.Auf dem feuchtglänzenden Asphalt lag jedoch das Gerippe

von Zubinassian. Ich hatte ihn nie gemocht, jetzt tat er mir leid.

Ein solches Ende zu finden war fürchterlich.Am Themseufer bei den Anlegeplätzen der Ausflugsschiffe

wußte ich eine Telefonzelle. Höchstens hundert Schritte ent-fernt. Ich trabte los.

Die Polizei und auch den Yard wollte ich heraushalten. Ein paar meiner Kollegen sollten sich um ›Fettauges‹ Überreste kümmern, bis Sir Horatio entschied, was mit ihnen geschah.

Die Sache durfte jedenfalls nicht an die große Glocke ge-hängt werden.

Mehr konnte ich für Zubinassian nicht tun.Der verfluchte Nebel war sogar in die rote Telefonzelle ge-

drungen. Die klägliche Lampe an der Decke gab gerade so viel Licht, daß ich die Wählscheibe sah.

Ich steckte Münzen in den Schlitz und schaute zufällig nach draußen.

Mir stockte der Atem.Aus dem Nebel schoß ein Scheinwerferpaar. Genau auf die

Telefonzelle zu.Ein Auto! War der Kerl am Steuer denn verrückt geworden?

Sah er denn nicht, wohin er den Wagen lenkte?Dabei hatte er ein Tempo drauf, als wollte er dem Teufel ein

Bein abfahren.Ich schnappte nach Luft, als ich ein grünes Leuchten aus-

machte. Ein Stück über dem rechten Scheinwerfer.

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Und dann sah ich das grüne Skelett. Es bediente das Steuer.Es lenkte den Wagen in rasender Fahrt auf die Telefonzelle

zu.Ich saß in einer tödlichen Falle.

*

Sie quetschten Edgar Conroy aus wie eine Zitrone.Dann wurde er an die Mordkommission, von Scotland Yard

weitergegeben.Der Tod des Pärchens wurde zunächst einmal als Doppel-

mord behandelt. Obgleich nichts auf einen Täter hindeutete und ein möglicher Täter gar nicht in der Nähe gewesen war.

Der Fall war jedenfalls erschreckend und bestürzend und mehr als geheimnisvoll. Ein vergleichbarer war noch nie vor-gekommen.

Aber mit der Beschreibung des Mannes ließ sich etwas an-fangen. Und mit Conroys Aussage, daß er das Pärchen vor dem ›Magic Flower‹ aufgenommen hatte.

Aus einer Vielzahl von Bildeinzelteilen steckten Spezialisten ein Porträt zusammen, bis Edgar Conroy zufrieden war und erklärte, haargenau so habe der Mann ausgesehen.

Bei dem blutjungen Mädchen bewies er ein weniger glückli-ches Gedächtnis.

Die Kriminalbeamten trösteten ihn und meinten, mit dem Bild des Mannes kämen sie schon ein ganzes Stück weiter. Im ›Magic Flower‹ ließe sich ja wohl feststellen, wer der Mann war und wer das Mädchen.

Nach dieser Prozedur konnte Edgar gehen.»Und wer bezahlt jetzt das Taxigeld?« fragte er in der Tür.»Vielleicht der Mörder«, schlug ein Inspektor vor.Edgar fand soviel schwarzen Humor fehl am Platze. Er

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knurrte grimmig.»Kann ich das Taxi mitnehmen? Ich muß ja schließlich mein

Brot verdienen.«»Das Fahrzeug bleibt beschlagnahmt. Ihre Zentrale ist ver-

ständigt.« Der Inspektor maß Edgar von Kopf bis Fuß. »Sie können jetzt gehen.«

Mit wenig freundlichen Gedanken gegen die Männer der Mordkommission ging Edgar. Die Burschen waren früher zu-vorkommender gewesen.

Fünf Minuten nach ihm verließen zwei Beamte Scotland Yard. Ihr Ziel war das ›Magic Flower‹. Sie hatten ein Foto nach der zusammengestoppelten Vorlage in der Tasche.

Vor der Disko waren die vornehmsten Karossen geparkt.Gerade fuhr ein Rolls Royce vor. Mit Chauffeur. Der Mann

riß den hinteren Schlag auf.Eine Frau stieg in supermoderner Diskokleidung aus.Das war aber auch das einzig Neuzeitliche an ihr. Sie sah

schon ziemlich verbraucht aus, und selbst kosmetische Kniffe vermochten nicht mehr, ihre Gesichtsfalten zu verdecken.

Der Schmuck an ihren Handgelenken und am Hals glitzerte wie ein Kristalleuchter.

Nach ihr stieg ein junger Mann aus, folgsam wie ein Schoß-hündchen. Er war herausgeputzt wie ein Dressman.

»Komm schon, Darling!« flötete die angejahrte Dame.Der Jüngling mußte ihr galant den Arm reichen und sie in

den Diskotempel geleiten.Der eine Beamte grinste anzüglich. Die Situation war eindeu-

tig. Die runzlige Lady hielt sich einen Liebhaber wie andere Leute sich einen Hund hielten.

Sein Kollege hatte andere Sorgen. Er schaute an sich hinab. Sein Blick wurde kritisch und dann bekümmert.

»Ich komme mir vor wie der arme Onkel vom Lande«, be-

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hauptete er. »Ob die uns reinlassen, so stinknormal, wie wir gebaut sind?«

Seine Bedenken waren begründet, denn sie hatten den Fuß noch nicht ins ›Magic Flower‹ gesetzt, als ihnen ein Mann im dunklen Anzug in den Weg trat.

»Das nächste Pub ist gleich um die Ecke«, ließ er sie wissen, und mit einem vernichtenden Blick auf ihre schlichte Kleidung fügte er hinzu: »Da ist das Bier außerdem wesentlich billiger.«

»Nett, daß Sie heute Ihren Tag der christlichen Nächstenliebe haben«, sagte einer der Inspektoren. »Aber ein Pub-Besuch ist mir gerade heute verboten. Pappi hat's nicht gern, wenn Junior sich einen ansäuft. So, mein Freund, und jetzt räumen Sie mal Ihre Figur beiseite, wir wollen da hinein.«

»Wegen Überfüllung geschlossen«, meinte der Türsteher grinsend und wich keinen Zoll aus dem Weg. »Versuchen Sie's im nächsten Jahr wieder.«

Der Inspektor lächelte engelsgleich. »Wetten, daß Sie zwei Vorzugsplätzchen für uns haben?«

Und damit der Türsteher beim Nachdenken über diese Wor-te sich nicht das Gehirn verrenkte, zeigte der Inspektor seinen Ausweis.

Der Türsteher war offensichtlich mit plötzlichen Situations-änderungen vertraut. Er zuckte nur einmal mit den Mundwin-keln und hatte die Lage sofort wieder im Griff.

»Zwei Vorzugsplätze – das läßt sich einrichten. Wir freuen uns immer, wenn der Yard zu Besuch kommt.«

Der Inspektor schaute ihn mißtrauisch an. Aber der Mann machte ein unschuldiges Gesicht, so daß ihm eine andere Mei-nung nicht nachzuweisen war.

Plötzlich war der Weg frei.Der Inspektor wollte aber noch gar nicht eintreten. Er zog

das Schnellfoto aus der Tasche und hielt es dem Türsteher vors

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Gesicht. Dabei beobachtete er den Mann scharf.»Schon mal gesehen?«Der Türsteher schraubte ausdrucksvoll die Brauen hoch. Der

Inspektor glaubte zu hören, wie es hinter seiner Stirn klickte.»Kein sehr schmeichelhaftes Bild.« Der Mann räusperte sich.

»Eine gewisse Ähnlichkeit mit Mister Gardiner ist nicht abzu-streiten.«

»Gardiner? Wer ist das?«»Einer der Mitinhaber. Wenden Sie sich an Mister Salish, der

ist der Geschäftsführer. – Was ist mit Mister Gardiner?«»Was soll mit ihm sein?«»Sie ziehen doch mit seinem Bild herum. Wenn die Polizei

anfängt, Fragen zu stellen, dann hat das immer etwas zu be-deuten. Und nie was Gutes.«

Der Inspektor lächelte dünn. »Sie scheinen ja Experte zu sein. Also, wo finden wir Mister Salish?«

»Wenden Sie sich ans Personal, das reicht Sie schon weiter.«Der Inspektor musterte den Türsteher noch einmal von Kopf

bis Fuß. Dann wandte er den Kopf leicht zur Seite. Neben der Eingangstür befand sich eine Art Kabine. Viel Glas, viel Tech-nik war darin zu sehen. Und auch ein Stuhl.

Ein Platz für den Wächter offensichtlich. Für die ruhigeren Stunden.

Die Blicke des Inspektors wurden von einem Schaltpult ma-gisch angezogen. Etliche Knöpfe leuchteten dort, eine Schalt-taste flackerte in regelmäßigen Abständen grün auf.

»Übrigens wäre es mächtig unklug von Ihnen, wenn Sie Mis-ter Salish oder sonst jemand von unserem Kommen verständi-gen«, sagte der Inspektor ungefähr mit der Freundlichkeit ei-nes Totengräbers, der Überstunden machen muß.

Der Türsteher folgte der Blickrichtung und verstand.Mit Leuten von Scotland Yard wollte er keinen Streit haben.

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Er nickte und wandte sich demonstrativ neuen Gästen zu.Es waren zwei todschick gekleidete Männer in hautengen sil-

berfarbenen Latzhosenanzügen. Händchenhaltend strebten sie auf den Eingang zu. Einer befleißigte sich eines etwas anrüchi-gen Ganges. Mit viel Wellenschlag und so.

Der Inspektor und sein Kollege ließen die beiden vorbei.»Scheint ein ganz schön schwüles Klima hier zu herrschen«,

sagte der Mann von Yard.»Das hat auch seine Vorteile«, meinte sein Kollege, »da brau-

chen sie im Winter nicht zu heizen.«In gemessenem Abstand folgten sie dem Latzhosenpaar. Die

Beleuchtung wurde gedämpfter, die Aufmachung gediegener. An den Wänden klebten Langflortapeten und edle Hölzer.

Aber den eigentlichen Diskotempel erreichten sie immer noch nicht.

Davor hatten der gesunde Erwerbssinn der Inhaber und ein Innenarchitekt eine zweite Tür gesetzt. Dort mußte Eintritt entrichtet werden. Ein Pfund pro Nase.

Das war nicht viel, gemessen an dem, was man sich in der Stadt über das ›Magic Flower‹ erzählte.

Die beiden Inspektoren schätzten, daß die dicken Überra-schungen erst hinter der Tür begannen.

Sie rückten aber auch nicht die zwei Pfund heraus. Schließ-lich waren sie dienstlich hier. Der Ausweis sorgte für Klarheit und widerlegte den Kartenverkäufer, der argwöhnte, zwei Nassauer würden sich auf die laue Tour Zugang verschaffen.

»Ja, wenn das so ist«, meinte er seufzend und ließ die Män-ner vom Yard passieren.

Ein paar Augenblicke später hielten die Beamten den Atem an. Schlagartig begriffen sie, warum das ›Magic Flower‹ in war und warum alles, was in London zum schillernden Jet-set zählte, hierher gepilgert kam.

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Die Disko war in Form einer irrsinnigen Landschaft einge-richtet.

An den Wänden erstreckten sich belaubte Nischen, Wandel-gänge und Säulenhallen. Dazwischen waren raffiniert Spiegel angebracht und reflektierten zuckende Laserstrahlen, die wie kosmisches Geschützfeuer durch die gesamte Disko zuckten.

Mehr zur Mitte hin existierten drei gläserne Tanzflächen mit indirekter Beleuchtung. Eine Menge Leute vergnügten sich darauf, indem sie zu einer Musik zuckende Bewegungen voll-führten oder in eigenartige Verrenkungen verfielen.

Die Musik kam von allen Seiten. Buchstäblich. Sogar aus dem Boden.

Die Tänzer vergnügten sich allein oder zu zweit oder in gan-zen Gruppen. Für Disko-Tänze schien es keine verbindliche Regelung zu geben.

Die beiden Inspektoren machten rasch den Mund wieder zu, damit niemand auf den Gedanken kam, sie wären wirklich zwei arme Onkels vom Lande.

Zwischen die Tanzflächen gestreut waren die Sitzgruben mit schwülstigen Polstern. Jede Grube hatte mindestens die Ab-messungen eines Tennisfeldes.

Obschon die erleuchteten Tanzflächen überfüllt waren, quol-len auch die Sitzgruben vor Gästen über.

Wenn sich alle Besucher der Disko niederließen, mußten sie wohl mehrstöckig übereinander sitzen.

Bedienungspersonal wieselte geschäftig dazwischen herum.An die Sitzgruben schlossen sich Theken an, die ebenfalls

dicht umlagert waren.An der Decke drehten sich Glitzerkugeln und schleuderten

Lichtreflexe in die Gästeschar und das Lasergewitter.Was in London gut und schön und reich und bekannt war,

schien anwesend zu sein. Oder wenn auch nur eine dieser Vor-

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aussetzungen erfüllt war.Der Clou des ›Magic Flower‹ war ein gewaltiges gläsernes

Wasserbassin. Eine schwimmende Tanzplattform zog gerade langsam über die Oberfläche. Ein raffinierter Mechanismus be-wegte das Ding.

Und dann glitten aus dem Hintergrund, wo rotes Licht do-minierte, zwei wesentlich kleinere Plattformen heran. Auf je-der stand ein Mädchen.

Die Musik endete, ein neuer Hit dröhnte los. Und im Takt be-gannen die beiden Girls die Beine zu schwingen. Was gar nicht einmal schlecht aussah, wie die beiden Inspektoren fanden.

Wasserfontänen schossen im Rhythmus der Musik hoch, die Laserblitze zuckten mit, verborgene Projektoren schleuderten Farbspiele gegen die Nischen, Wandelgänge und Säulen.

Und dazwischen flimmerte wahrhaftig ein Videofilm über eine Wand.

Gesteuert wurde das Spektakel von einer Kanzel aus, die wie ein Kommandoraum einer Raketenabschußbasis eingerichtet war.

Die Inspektoren hätten geschätzt, daß wenigstens fünf Mann erforderlich waren, um diesen Betrieb in Schwung zu halten.

Sie entdeckten aber nur einen jungen Mann in diesem Kom-mandostand. Und den fanden sie auch nur, weil sie im Ge-dränge und bei der wechselnden Beleuchtung förmlich dage-genrannten.

Der Bursche hinter seinen flackernden Knöpfen und Schalt-pulten war unverkennbar der Diskjockey. Er hatte ein Piloten-mikrofon aufgestülpt und hatte ein ganzes Archiv von Platten und Bandkassetten hinter sich.

In einem Extraschrank standen glänzende Metallscheiben, halb so groß wie eine herkömmliche Single-Schallplatte.

So ein Ding hatte der Jockey auf eine Abspielmaschine ge-

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legt.Von dieser neuen Entwicklung hatten die beiden Inspektoren

schon gehört. Das sollte der absolute technische Knüller sein. Da gab's keine Rillen mehr. Die Metallscheibe wurde elektro-nisch abgetastet.

»Hey, wie kommen wir zu Mister Salish?« fragte der Inspek-tor den Diskjockey. Er mußte eine Menge Stimme aufwenden, um sich gegen den Lärm durchzusetzen.

Der Jockey reagierte nicht. Er hielt die Augen geschlossen.»Mann, das halte ich im Kopf nicht aus!« knurrte der Inspek-

tor seinem Kollegen zu. »Der schläft! Und das bei dem Krach. – He, Mann!«

Noch immer reagierte der Diskjockey nicht. Er saß steif und starr, wie ausgestopft. Wenn ein Lichtreflex über ihn hinweg-zuckte, wirkte sein Gesicht fahl und angespannt. Fast verknif-fen.

Der Inspektor streckte die Hand aus und berührte den jun-gen Mann an der Schulter.

Verblüfft zog er die Hand zurück.Dann beguckte er seine Finger. Der Jockey hatte sich ange-

fühlt, als sei er aus Eis.»Was ist los? Stimmt was nicht?« fragte sein Kollege.»Ich weiß auch nicht – der ist ja eiskalt! Mann, ob der tot ist,

und kein Mensch hat bisher was davon gemerkt?«»Mach keine Witze!«Sie peilten dem Diskjockey scharf ins Gesicht. Darin rührte

sich nichts. Und wie es aussah, atmete er auch nicht mehr. Bei geschlossenem Mund mußten sich doch wenigstens die Na-senflügel ab und zu weiten.

Oder der Brustkorb mußte sich heben und senken.»Das fehlt mir noch!« knurrte der eine. »Wir tappen mit dem

grausigen Knochenpärchen im dunkeln, und jetzt haben wir

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noch einen Fall am Hals.«Der andere beugte sich in den Kommandostand hinein und

faßte das Handgelenk des Diskjockeys.Er suchte den Puls.Nichts –!Oder doch?Unter den Fingerkuppen spürte er eine Pulswelle, nachdem

bald eine halbe Minute überhaupt nichts gekommen war. Dann jagte die nächste heran.

Der Diskjockey schlug die Augen auf und grinste die beiden Inspektoren an, als seien sie seine dicksten Freunde.

Er war sofort voll da. Ohne Filmriß, ohne Schrecksekunde.»Können Sie einem aber einen Schrecken einjagen!« tadelte

der Inspektor. »Was ist mit Ihnen? Sind Sie krank?«»Krank«? Der Diskjockey lachte, und seine Zähne blitzten.

»Ich fühle mich putzmunter. Wie kommen Sie auf die Idee?«Die beiden Beamten tauschten Blicke. Entweder waren sie

verrückt. Oder der Jockey.Aber das mußte man wohl sein, um es in diesem Laden aus-

halten zu können. Oder man wurde nach einiger Zeit so.Die Musik endete. Der Diskjockey nahm die kleine Metall-

scheibe aus der Abspielmaschine, schob sie in ein Kunststoff-gehäuse und warf mit der anderen Hand ein Gerät an. Sofort dröhnte wieder aus allen Himmelsrichtungen Musik.

Der Jockey schien wirklich völlig in Ordnung zu sein.Die Inspektoren schoben es auf die Musik, daß der junge

Mann gerade so intensiv weggetreten war. Manche Leute gin-gen mit Haut und Haaren darin auf.

Das kriegten sie jeden Tag in der City zu sehen. Wenn Leute mit dem Walkman im Ohr die Straßen entlanggingen und ver-zückt lächelten und sich den Teufel dafür interessierten, was um sie herum geschah.

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Sogar Autofahrer und Motorradlenker tauchten schon mit dem Ding auf.

Und alle zeigten sie diesen leicht bescheuerten seligen Aus-druck.

»Mister Salish – wo ist der?« rief ein Inspektor durch den Krach.

Der Jockey nickte. »Richtig, den haben wir, das ist der Ge-schäftsführer.«

»Wo?«»Hinten!« Der junge Mann zeigte über das Gewühl und das

Wasserbassin hinweg, auf dem wieder die schwimmende Tanzfläche herumglitt.

Die beiden Beamten kämpften sich nach hinten und bemüh-ten sich, nicht die Richtung zu verlieren.

Einer blieb stehen, schüttelte den Kopf und schaute zurück. »Und ich hätte schwören mögen, daß er tot ist.«

»Ist er aber nicht«, widersprach sein Kollege und fügte hin-zu: »Vielleicht war er scheintot.«

Der andere fand es gar nicht witzig.Sie stießen auf einen Gang mit gedämpfter Beleuchtung und

wunderten sich milde, daß ihnen niemand entgegentrat. Am Eingang hatte sich das Personal ja ziemlich kiebig angestellt.

»He, ist hier niemand?«Sie starrten auf die Türen. Aber die trugen keine Beschrif-

tung.Irgendwo knarrte ein Sessel. Hinter einer der Türen.Ein Stück weiter wurde eine aufgerissen. Helles Licht fiel in

den Gang.»Motley, hast du das verdammte Luder endlich gef…?«»Es ist doch jemand zu Hause«, sagte ein Inspektor. »Dabei

dachte ich, der Laden sei ausgestorben.«Bill Salish schob sich auf den Gang. Er war an die Beleuch-

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tungsverhältnisse gewöhnt, er sah die zwei Männer und ta-xierte sie.

Er kannte sie nicht. Sie waren noch nie dagewesen. Oder wa-ren es welche aus Gardiners seltsamer Kundschaft?

So sahen sie eigentlich auch nicht aus. Aber wer konnte ei-nem Menschen schon hinter die Stirn gucken?

»Sie haben sich verlaufen!« bestimmte Salish. »Der Zauber läuft vorne.«

»Haben wir schon gesehen, und wir sind mächtig angetan.« Der Inspektor näherte sich Salish, sein Kollege folgte. »Wir hätten ein paar Fragen an Sie.«

»Fragen? Wozu?« Bill Salish nahm eine Abwehrhaltung ein wie ein Igel.

Wenn mitten in der Nacht wildfremde Leute daherkamen und Fragen stellten, bedeutete das selten etwas Gutes.

Der Inspektor lächelte. »Ich habe die richtige Brille nicht da-bei, Mann. Ich kann nicht sehen, was an den Türen steht.«

»Nichts steht da.«»Dachte ich mir. Also, wir suchen Mister Salish.«»Wozu?«»Wir kommen von Scotland Yard.«Bill Salish klappte den Mund auf. Nach einer Weile meinte

er: »Yard? Ich bin Salish, ich führe hier die Geschäfte.« Er über-legte, ob ihm diese verdammte Jessica die Suppe eingebrockt hatte.

Dann war die Kleine doch entwischt, und niemand hatte es bemerkt. Und Motley, dieser geistige Neandertaler, latschte noch immer im Haus herum und fand natürlich nichts. Der Teufel sollte ihn holen!

Hätte Salish geahnt, was Motley inzwischen zugestoßen war, hätte er niemals solche Gedanken gehegt und solche stillen Wünsche geäußert.

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»So, vom Yard?« Salish machte, ein Gesicht, als sei Scotland Yard so was Ähnliches wie die Heilsarmee. »Und was treibt Sie her?«

»Können wir nicht irgendwo hingehen, wo es heller ist?« schlug der Inspektor vor.

»Wenn es unbedingt sein muß – meinetwegen.« Bill Salish gab die Tür zu seinem Büro frei.

Den beiden Inspektoren fiel sofort der grüne Glitzer-Tanga auf dem Schreibtisch auf.

»Sie treten auch auf?« spottete der eine.Salish schluckte. »Komiker beschäftigen wir nicht. Aber

wenn Sie sonst was Nützliches können – Talente stellen sich bei uns montags vor. Von vier bis sechs nachmittags. Sonst noch was?«

Die beiden Besucher zückten ihre Ausweise. Dann folgte das Bild.

»Das ist doch Mister Gardiner, nicht wahr? Einer der Mitin-haber.«

Bill Salish prüfte die Ausweise kurz und das Foto lang und eingehend.

»Könnte Gardiner sein. Wenn Sie ihn aber sprechen wollen, müssen Sie morgen herkommen. Er ist schon fort.«

»Mit einer jungen Dame, das wissen wir. Wie heißt Mister Gardiner sonst noch?«

»Ist was passiert?« Die Hartnäckigkeit gefiel Salish nicht. War Gardiner doch wegen seines verfluchten Drogenhandels aufgeflogen?

»Die Fragen stellen zunächst wir. Also?«»James. James Gardiner. Ist Mitinhaber des Ladens hier. Hö-

ren Sie, vielleicht sollte ich meinen Anwalt verständigen.«Um diese Zeit? Der wird eine Freude haben! Wozu wollen

Sie Ihren Anwalt? Haben Sie ein schlechtes Gewissen?«

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Bill Salish hüllte sich in Schweigen. Er griff aber auch nicht zum Telefon. Er grapschte nur den Glitzer-Tanga vom Schreib-tisch und die zwei zusammengefallenen Plastikorchideen und fegte sie in die Schublade.

Und dabei überwältigte ihn wieder das Grauen.Wenn jetzt der komische grüne Wirbel auftauchte und sich

daraus das grüne Skelett formte, dann flippten die zwei Yard-Inspektoren doch aus!

»Ist Ihnen nicht gut?«Salish schreckte hoch. »Alles in Ordnung. – Sie haben nach

James Gardiner gefragt, und ich habe geantwortet. Liegt sonst noch etwas an? Ich bin hier der Geschäftsführer, der Laden läuft nicht dadurch, daß ich hinter dem Schreibtisch sitze und die Daumen drehe.«

»Nicht so hastig, Mann, Sie können sich da gleich um die Mehrung des Reichtums kümmern. Wann ging Mister Gardi-ner weg?«

Der andere Inspektor notierte in sein kleines Buch.»Na, es wird zwei Stunden her sein«, entsann sich Salish. Er

hauchte den dicken roten Stein im Ring an seinem linken Mit-telfinger an und polierte ihn auf dem Ärmel.

»Wenn der echt ist, tragen Sie ein Vermögen mit sich rum, meinte der befragende Inspektor und zeigte auf den protzigen Ring. »Na ja, jeder, wie er kann! Wer begleitete Mister Gardi-ner? Eine junge Dame, das wissen wir schon, aber wie heißt sie?«

»Marjorie. Und Swift, glaube ich.« Salish schaltete schnell. Die Männer vom Yard wußten mehr, als sie zu erkennen ga-ben. Und sie schleppten ein Foto von James herum. Das stank. Möglich, daß James schon eine Weile unter Beobachtung stand.

Da war es besser, sich nicht mit reinziehen zu lassen.

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Der andere Inspektor notierte. »Wo Marjorie Swift wohnt, wissen Sie nicht zufällig?«

»Ich kann nicht die Adressen von allen Puppen im Kopf ha-ben, die zu uns kommen. Zudem ist James – also Mister Gardi-ner – mit ihr befreundet und nicht ich. Was soll das? Wollen Sie was gegen James zusammenzimmern?« Der befragende In-spektor machte eine dämpfende Handbewegung. »Mister Gar-diner und seine Begleiterin sind heute im Taxi fortgefahren. Hat er kein eigenes Fahrzeug.«

»Wenn er was gezischt hat, bleibt der Schlitten stehen. Das ist doch vorbildlich, oder nicht? Meistens fährt er mit dem Taxi.«

»Meistens hat er was gezischt«, faßte der Inspektor folgerich-tig zusammen. Er machte eine Handbewegung, die das Büro einschloß. »Das alles hat doch ein Sündengeld gekostet. Die Disko läuft.«

»Ich will nicht klagen«, räumte Salish ein.»Das erregt natürlich den Neid der Konkurrenz, deren Dis-

kos nicht so überlaufen sind.«»Das Gute setzt sich immer durch.« Salish brachte dazu noch

einen treuen Augenaufschlag an.»Wir verstehen uns«, lobte der Inspektor. »Also haben Sie

Neider. Sind Drohungen ausgestoßen worden? Wo viel Geld ist, finden sich immer ein paar Aasgeier ein.«

Bill Salish legte beteuernd die Hand aufs Herz. »Ich schwöre Ihnen, Inspektor…«

»Sie stehen nicht vor Gericht, also brauchen Sie nicht zu schwören. Ist Ihnen im Zusammenhang mit Mister Gardiner etwas aufgefallen? In letzter Zeit? Oder speziell heute abend? Wurde er bedroht? Gab es einen Zwischenfall?«

Die Alarmglocken läuteten bei Salish schon eine ganze Weile. Jetzt war die Katze aus dem Sacke, und jetzt schrillten die Glo-cken in den höchsten Tönen.

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James war aufgeflogen, klar! Deshalb waren die Burschen da und stellten dämliche Fragen.

Ich hab's gewußt, dachte Bill, die Weiber und seine Drogen-geschäfte bringen ihn eines Tages zu Fall! Jetzt ist's passiert!

»Hören Sie, warum hacken Sie auf James herum! Fragen Sie ihn doch selber. Er kann Ihnen die Fragen viel besser beant-worten.«

Der Inspektor räusperte sich. »Das würden wir gerne, nur fürchte ich, ist er dazu nicht mehr in der Lage.«

»Was heißt das?«»Er ist tot. Das Mädchen auch, diese Marjorie Swift.«»Tot?« Bill griff sich an den Hals. Der Kragen wurde ihm zu

eng. Der kalte Schweiß brach ihm aus.»Als er ins Taxi stieg und dieses Mädchen mit ihm, da waren

die zwei noch ganz munter. Und droben auf der Regent Street waren sie schon tot. So ein plötzliches Ableben interessiert uns natürlich. Vor allem, wenn nur noch zwei grüne Skelette üb-rigbleiben.«

»Grüne Skelette?« Bills Stimme wurde hell und kreischend. Seine Augen quollen fast aus den Höhlen, seine Blicke netzten von einer Ecke des Raumes in die andere.

Der eine Inspektor hegte einen sanften Verdacht. »Kommt mir vor, als wüßten Sie darüber etwas.«

Bill Salish schüttelte in höchster Verzweiflung den Kopf.»Nichts«, keuchte er, »gar nichts weiß ich. Überhaupt nichts.

Grüne Skelette – Allmächtiger!«Er angelte eine gut gefüllte Flasche aus dem Schreibtisch und

setzte sie der Einfachheit halber gleich an den Mund.Danach ging es ihm etwas besser.Er wischte mit dem Ärmel die Stirn ab. »Ich habe James nur

eine halbe Stunde gesehen. Die meiste Zeit war er vorne. Ob da was gelaufen ist, weiß ich natürlich nicht. Fragen Sie das

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Personal.«»Das werden wir, Mister Salish!« versprach der Inspektor.

»Bis zur Klärung der mysteriösen Angelegenheit werden Sie die Stadt nicht verlassen. Immerhin handelt es sich um einen Doppelmord.«

*

Cetil Bigelow, der Diskjockey, schloß wieder die Augen und ließ sich von der Musik weit forttragen. In ein fernes Land, in dem es kalt und fremd war.

Anfangs hatte er seine Gedanken selber auf die Reise ge-schickt und hatte Freude und Spaß daran gehabt. Er hatte herrliche Abenteuer erlebt, phantastische Farben geschaut und den Nervenkitzel genossen.

Zwar hatten solche Trips immer nur wenige Sekunden ge-dauert, manchmal auch eine Minute. Ihm war es aber vorge-kommen, als sei er Stunden und Tage fort gewesen.

Später hatten sich seine Gedanken ohne sein Zutun auf Rei-sen begeben. Etwas war da, sobald er Musik hörte, stahl sich in seine Gedanken und führte sie fort. Weit weg in jenes kalte fremde Land.

Im Gegensatz zu früher konnte er sich nachträglich nicht erin-nern, was er dort erlebte.

Manchmal aber hatte er den Verdacht, daß es keine schönen Dinge waren, sondern furchtbare Abenteuer. Daß böse Dinge geschahen.

Warum sonst wurde sein Gedächtnis blockiert?Er blockierte es nicht selber.Dieses Fremde, Andere bewirkte es, das sich in seine Gedan-

ken schlich.War es der Haß auf Salish oder Gardiner und die anderen

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Besitzer der Disko?Cil haßte diese Männer, seit er wußte, wie sie mit den Mäd-

chen umsprangen, die sich hier produzierten. Seit er gesehen hatte, wie Gardiner ganz ungeniert seine Drogengeschäfte ab-wickelte. Seit er erfuhr, wieviel Geld die Burschen jeden Abend aus dem ›Magic Flower‹ zogen und wie mies sie das Personal bezahlten und behandelten.

Ihn auch.Hundert Pfund bekam er die Woche.Ein Vielfaches davon steckten Salish und Gardiner jeden Tag

als Gewinn ein.Ja, es war mit Sicherheit der Haß.Nicht allein des Geldes wegen. Diese Männer waren so reich

und so mächtig, daß sie sich rücksichtslos nahmen, was ihnen gefiel.

Jenes Mädchen vor ein paar Wochen. An die träumerisch bli-ckenden blauen Augen erinnerte sich Cil deutlich.

Er hatte das Girl angesehen und das Girl ihn – Liebe auf den ersten Blick war's gewesen.

Aber dann war James Gardiner gekommen. Dem gefiel das Girl auch.

Er hatte es mit seinen verdammten Drogen versaut, hatte es auf die schiefe Bahn gelockt und immer tiefer ins Elend ge-zerrt.

Und Salish hatte das arme Geschöpf noch ausgenutzt. Er hät-te es tanzen und singen lassen, und er hatte es gutzahlenden Gästen zur Verfügung gestellt, wenn die Kleine im Drogen-rausch schon fast hinüber war.

Es gab Leute, die standen auf so etwas.Wie es kam, wußte genau eigentlich kein Mensch. Gab Gar-

diner dem Girl eine zu harte Dosis? Oder wollte das Mädchen nicht mehr? Oder war es ein Unfall?

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Eines Abends war sie nicht zum Auftritt herausgekommen. Als sie nachschauten, lag sie tot in der Umkleide.

An jenem Abend hätte Cil am liebsten Gardiner den Hals umgedreht. Und ihm davor sämtliche Knochen gebrochen.

Aber an die Bosse kam man ja nicht heran.Motley war dazu angestellt, das zu verhindern.Dann hatte Cil herausgefunden, daß Gardiner in ein neues

Geschäft einzusteigen suchte. Das ›Magic Flower‹ reichte ihm offensichtlich nicht mehr, und sein Drogenhandel florierte wie ein Supermarkt in der City.

Cil war die Galle ins Blut geschossen, als er erfuhr, daß Gar-diner hinter seiner Schwester her war. Sein neues Geschäft hieß Spionage, und von seiner Schwester hoffte er wertvolle Informationen zu bekommen.

Dabei hatte er keine Ahnung, daß sie die Schwester von Cil war. Sie hatte nach der Scheidung den Namen ihres Mannes behalten.

Gardiner hatte sie in sich verliebt gemacht. Vielleicht auch mit Drogen an sich gefesselt. Er verstand sich darauf, Frauen herumzukriegen.

Als Cil seine Schwester zuletzt sah, begriff er, daß sie Gardi-ner hörig war. Sie hatte ihm nicht einmal zugehört, als er sie vor dem abgekochten Kerl warnen wollte.

Sie hatte ihn einfach stehenlassen.Danach war sie ihm aus dem Weg gegangen.Oh, wie Cil dafür Gardiner haßte!Bis in den tiefsten Abgrund der Hölle wünschte er ihn. Und

daß er dort schmorte bis in alle Ewigkeit.Und jetzt war der Lump hinter Jessica her.Cil hatte es die Sprache verschlagen, als er sie plötzlich hier

mit Marjorie Swift auftauchen und mit Gardiner und Salish re-den sah.

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Die unschuldige Jessica! Hier in diesem Laden!Natürlich, Marjorie hatte das eingefädelt, die hemmungslos

in den Tag hinein lebte.Cil hatte sofort verstanden, daß Jessica im ›Magic Flower‹

auftreten sollte, als Salish mit ihr herumging und ihr den Be-trieb erklärte.

Wie der dicke kleine Widerling sie dabei angeschaut hatte! Er hatte sie mit seinen beleidigenden Blicken förmlich ausgezo-gen. Und auch Gardiner hatte sie so unverschämt gemustert.

Und Marjorie, das Luder, hatte bloß dazu gelacht und sich köstlich amüsiert.

Nicht mit Jessica, schwor sich Cil. Mit der nicht! Laßt die Fin-ger von ihr!

An einem Probeabend war bei ihm der Funke übergesprun-gen.

Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, hatten sich später aber aus den Augen verloren. Bis vor einem Jahr. Bei einem Konzert in der Royal Albert Hall waren sie wieder aufeinander getrof-fen, und seitdem sahen sie sich gelegentlich. Sie verabredeten sich von einem Treff zum anderen. Wie gute Freunde eben.

Jetzt war es anders.Jetzt liebte er sie.Von ganzem Herzen hatte Cil gewünscht, daß Jessica den Job

im ›Magic Flower‹ nicht annehmen würde.Und aus ganzem Herzen haßte er Salish und vor allem Gar-

diner und Marjorie.Cil hätte hüpfen mögen vor Freude, als Motley kam und

nach Jessica fragte. Also hatte sie es sich anders überlegt. Sie trat hier nicht auf und ließ sich von den Männern und Frauen begaffen.

Die Zeit, wo sie hätte auftreten sollen, verstrich, und sie tauchte wahrhaftig nicht auf.

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Cil hatte sie nämlich aus den hinteren Räumen herausstür-zen sehen. Er hatte etwas geahnt, als er ihr entsetztes Gesicht sah.

Versteck dich, Mädchen, hatte er gefleht. Tauch unter in die-sem Gewimmel! Da finden sie dich am wenigsten!

Und als hätte sie seine Botschaft vernommen, war sie im Ge-wimmel untergetaucht.

Motley hatte beharrlich seine Runden in der Disko gezogen, immer auf der Suche nach Jessica.

Cil hatte ihn absichtlich belogen.Sein Haß hatte auch Motley verfolgt, als der endlich wieder

in den hinteren Räumen verschwand.Jetzt wäre die Gelegenheit günstig, Mädchen, jetzt könntest

du dich aus dem Staub machen! dachte Cil Bigelow.In diesem Moment war wieder das Fremde da und entführte

seine Gedanken.Bis ihn etwas berührte.Eine unbekannte Macht stieß ihn aus der fernen fremden

Welt zurück. Verwirrt blinzelte er. Er saß hinter seinen Schalt-pulten in der Disko, und eine ungewohnte Stille umgab ihn. Hunderte Augenpaare waren auf ihn gerichtet.

Musik!Er hatte den Anschluß verpennt. Das Lasergewitter war erlo-

schen. Und einer der Aufpasser stand vor ihm und schaute ihn stirnrunzelnd an.«

»He, was ist los mit dir? Mach voran, die Leute wollen unter-halten sein!«

»Sofort!« keuchte Cil. Er schaltete das Mikrofon am Hals ein. »Und nach diesem Augenblick der Besinnung geht's wieder rund wie am Picadilly Circus – laut und hautnah. Es darf ge-hupt werden.«

Er schaltete eine Bandkassette ein.

Page 62: Die Disko zum Grünen Tod

Er erntete ein paar Lacher. Dann lief der Betrieb weiter, und der Zwischenfall wurde vergessen.

Cils Gedanken aber drehten sich um Jessica.Sie war hier. Irgendwo. Er kannte den Laden. Salish hätte sie

nie gehen lassen.Ein Gefühl sagte ihm, daß sie drüben in einer der belaubten

Nischen steckte.Er programmierte die Lichtorgel vor, die Wasserfontänen,

das Spiel der Laserblitze.Dann glitt er aus seiner Jockeykanzel. Zehn Minuten hatte er

Zeit. Das war verdammt knapp. Denn noch einmal auffallen durfte er nicht.

Das eben hatte schon gereicht. Zwei Pannen an einem Abend reichten zum Hinauswurf. Da war Salish nicht zimperlich.

Cil Bigelow drängte sich durch die Menge, mußte hier eine Hand schütteln und dort ein freundliches Wort sagen.

Die Stammgäste, und das waren eine Menge, kannten ihn.Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er die Nischen neben

der Videowand erreichte.Ein Instinkt schien ihn zu leiten.Cil wollte systematisch suchen und ganz links beginnen. Der

Instinkt sagte ihm, auf die dritte Nische loszustäpfen.Er gehorchte der inneren Stimme.Eine Clique hatte sich in der Nische eingerichtet, zu bequem

oder schon zu besäuselt zum Tanzen.Jessica saß mitten drin.Cil riß die Augen auf. Hatte sie so schnell Anschluß gefun-

den? Oder waren das Bekannte von ihr? Freunde gar?Einem jungen Mann, etwa in Cils Alter, hatte sie sich hinge-

bungsvoll in den Arm geschmiegt, und der Kerl schaute sie ganz verliebt an.

Cil rasten tausend Stiche durch die Brust.

Page 63: Die Disko zum Grünen Tod

Was fiel Jessica ein? Er liebte sie doch – er! Nicht dieser Kerl dort mit dem Schnurrbart!

Nagende Eifersucht überwältigte ihn. Rote Schleier tanzten für Sekunden vor seinen Augen.

Eine Stimme riß ihn in die Wirklichkeit zurück. »Cil?«Jessica hatte ihn im Eingang zur Nische erkannt.Der Diskjockey riß sich zusammen. »Du solltest gehen«, sag-

te er heiser. »Sie suchen dich, sie sind sauer, weil du nicht auf-getreten bist.«

»Ich werde auch nicht auftreten«, erwiderte Jessica und löste sich aus dem Arm des Mannes. »Ich habe es mir anders über-legt. Das habe ich Mister Salish gesagt.«

»Dein Vertrag…«»Hör mal, was will der Bursche von dir?« erkundigte sich

der junge Mann mit dem Schnurrbart bei Jessica. »Arbeitet der mit den Bossen zusammen?«

Er hatte getrunken, seine Stimme klang nach Streit und Kra-wall.

Jessica legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm. »Schon gut, Julian, das regle ich selber. – Cil, ich pfeife auf den Vertrag. Ich weiß heute noch nicht, wie ich so dumm sein konnte, ihn zu unterschreiben. Wenn Mister Salish deswegen Ärger machen will, gehe ich zu einem Anwalt. Dann bekommt er den Ärger. Sag ihm das.«

»Motley kurvt herum. Er sucht dich.«Jessica erschauerte. Aber sie blieb standhaft. »Auch dann

nicht. Ich ziehe mich nicht für all diese Leute aus. Ich hab's vorher nicht gewußt, was Mister Salish von mir verlangt.«

»Geh jetzt lieber«, mahnte Cil. »Er ist gefährlich.«»Ich habe keine Angst.« Jessica machte eine Handbewegung

auf die Runde in der Nische. »Das sind alles gute Freunde von mir. Sie beschützen mich.«

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Dieser Julian stemmte sich hoch. »Jawohl, wir beschützen sie«, sagte er trunken. »Das können Sie dem Oberboß bestel-len. Und wenn er damit nicht zufrieden ist, verbiegen wir ihm ein wenig die Figur.«

Jessica faßte ihn an der Schulter und zog ihn neben sich auf das Polster. »Unsinn, das führt doch zu nichts. – Cil, es ist lieb, daß du mich gewarnt hast, dafür danke ich dir. Aber du siehst, ich bin hier gut aufgehoben.«

»Ja, das sehe ich«, sagte Cil knapp. Grußlos trat er zurück und kehrte zu seiner Kanzel zurück.

Lieb von mir ist es, hämmerte es in seinem Kopf. Lieb von mir! Aber sie liebt mich nicht! Sie liebt diesen Julian! Ich hab's gespürt!

Er sah die beiden Männer aus Richtung der hinteren Räume kommen, die ihm vor einer Weile aufgefallen waren, weil sie sich vom sonstigen Publikum beträchtlich unterschieden.

Salish hat sie engagiert, schloß er haarscharf. Privatdetektive! Er will Jessica haben! Sie soll schwimmen!

Sein ganzer Haß konzentrierte sich auf Bill Salish.

*

Der Wagen schoß wie eine Rakete heran.Das grüne Skelett wollte mich umbringen!Bei dem Tempo des Autos blieb von der Telefonzelle und mir

nicht viel übrig.Ich überlegte gar nicht, ich handelte nach dem Gefühl. Und

das sagte, daß ich raus mußte. Egal, wie!Ich stieß die Tür auf, schnellte mich ab und flog im Hecht-

sprung seitlich in den Nebel.Ich war noch in der Luft, als ich schon den mörderischen

Krach hörte, mit dem der Wagen mit dem grünen Skelett am

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Steuer die rote Telefonzelle abrasierte.Glas platzte und schwirrte herum wie ein Sack voll Erbsen,

Blech und Eisen rissen kreischend.Ich prallte auf und versuchte eine Rolle, um größere Schäden

zu vermeiden. Es gelang mir so leidlich, während Glassplitter zu mir herüberspritzen.

Der Mantel bekam noch einiges ab. An der linken Achsel rutschte ich ein Loch hinein.

Etwas benommen blieb ich am Boden liegen.Dieses grüne Gerippe war ja von allen guten Geistern verlas-

sen!Es war fast ein Wunder, daß ich dem Mordanschlag entgan-

gen war.Das Auto stieß die umgerissene Telefonzelle vor sich her. Das

erzeugte einen höllischen Lärm.Ein zweites Wunder war, daß der Wagen nach dem Aufprall

noch fahrbereit war und sich nicht in seine Einzelteile auflöste.Das nervenzerfetzende Kreischen, Scheppern und Klirren

entfernte sich im Nebel. Ich atmete auf und betastete meine Gliedmaßen.

Gebrochen hatte ich nichts. Aber ein paar solide blaue Fle-cken würde ich von diesem nächtlichen Treffen heimbringen, das stand fest. Ich spürte ein halbes Dutzend geprellte Stellen.

Das grüne Skelett kurvte mit dem Auto im Nebel herum.Es hörte sich gerade so an, als bekäme es Kontakt mit einem

irgendwo abgestellten Fahrzeug. Jedenfalls klang es nach ei-nem Auffahrunfall.

Es war auch möglich, daß es die Telefonzelle, die es vor der Stoßstange herschob, auf ein fremdes Fahrzeug gedrückt hatte.

Ich spitzte die Ohren, als der Motor plötzlich röhrte. Er starb aber nicht ab. Das Geräusch klang lauter – und näher.

Dieses Alptraumskelett kam zurück!

Page 66: Die Disko zum Grünen Tod

Ich sprang auf und suchte verzweifelt nach einem sicheren Platz.

Bis zu meinem MG schaffte ich es nicht. Der stand in der nächsten Straße.

Auf die Brücke kam ich auch nicht hoch.Eine hauchdünne Chance bot sich mir, wenn ich es schaffte,

bis runter zu den Bootsanlegeplätzen zu gelangen.Ich stand nicht lange rum und führte Rechenkunststücke auf,

ich sprintete los.Da unten waren jetzt Ausflugsschiffe. Bestimmt waren auch

Menschen da. In jedem Falle aber genug Hindernisse, die das Auto samt Gerippe aufhielten.

Ich lief um mein Leben. Die Zunge klebte mir am Gaumen.Hinter mir röhrte und dröhnte der Motor. Weit entfernt

konnte das Auto nicht mehr sein. Der Nebel schluckte den Mo-torenkrach kaum noch. Das bedeutete, daß nicht mehr viel Ne-bel zwischen dem Wagen und mir war.

Ich flitzte durch den Bereich der einsam brennenden Straßen-laterne.

Erst als ich vorbei war, vermißte ich etwas.Zubinassians Gerippe hätte doch dort eigentlich auf dem As-

phalt liegen müssen. Da lag aber nichts.Kein Mensch, keine Knochen. Ich entdeckte nicht einmal ein

grünes Leuchten.Fortgeschafft, zuckte es mir durch den Kopf. Dieses dämoni-

sche Wesen in Skelettgestalt, das hinter dir im Wagen daher-rast und dich umbringen will, hat die Reste von Zubinassian eingepackt oder sonstwie beseitigt! Du hast keine Beweise in der Hand. Dein Chef wird dich für verrückt halten!

Ich kam mit dem rechten Fuß ungeschickt auf. Ein heißer bö-ser Schmerz zuckte durch den Knöchel.

Ich biß die Zähne zusammen und betete darum, nicht das

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Gleichgewicht zu verlieren.Genauso schlimm war, wenn ich gegen ein plötzliches Hin-

dernis prallte oder den Bordstein übersah.Das Schicksal meinte es gnädig mit mir in dieser Nacht.Ich sah voraus einen dunklen Streifen, der immer mehr Kon-

tur annahm.Das war das Rohrgeländer am Westminster-Pier. Darunter

ragten die dunklen Blöcke der Pfeiler auf, die das Geländer trugen.

Dahinter braute und waberte die Nebelküche, und durch die milchige Suppe drang schwach das Glucksen und Platschen des Themsewassers.

Die Piers hatte ich erreicht.Der Wagen hatte mich aber fast eingeholt.Ich riß den Kopf herum und riskierte einen Blick über die

Achsel.Zu spät dachte ich an die Automatic. Mit einem gezielten

Schuß in einen Reifen konnte ich den Wagen wahrscheinlich stoppen. Aber zu einem Schuß blieb mir keine Zeit. Nicht ein-mal dazu, die Automatic herauszuangeln.

Jede Verzögerung brachte mich dem Tod mit Riesenschritten näher.

So sehr ich auch sprintete, das Auto war viel schneller als ich.Ich dachte, daß ein kaltes Bad in der Themse allemal noch

angenehmer ist, als unter das Geisterauto zu geraten.Von dem feuchten Bad erholte ich mich, aber tot war ich eine

ganze Ewigkeit lang.Das war mir zu lang.Ich schwang mich über das Rohrgeländer und holte tief

Atem.Statt ins Wasser schlug ich auf Kopfsteinpflaster. Und wie!Ich ging ächzend in die Knie und hatte das Gefühl, daß mir

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der Brustkorb bis zum Nabel hinabgefahren war.Und dann erst erfaßte ich, was passiert war.Zwischen den tiefergelegenen Anlegeplätzen und dem höhe-

ren Ufer zog sich in der Nähe der Brücke noch ein alter Weg am Fluß dahin. Früher wurden dort die Schiffe getreidelt. Was soviel heißt wie, daß man sie an einem langen Seil vom Ufer aus flußaufwärts gezogen hat.

Dieser alte Treidelpfad war mit Kopfsteinpflaster ausgestat-tet. Und auf den Treidelpfad war ich im Nebel von oben herab-gesprungen.

Breiter als fünf Schritte war er nicht. Aber er ersparte mir den Sturz in die glucksende Themse.

Über mir hörte ich ein Brüllen und Motordröhnen. Ich zog den Kopf ein und hielt den Atem an.

Ungebremst jagte das Geisterauto durch das Rohrgeländer. Es schlug eine Bresche, riß ein Stück Geländer mit und sauste im Bogen über den Treidelpfad und mich hinweg.

Der Aufprall auf das Wasser erzeugte ein Geräusch, als sei eine halbe Hauswand in einen See gefallen.

Die Lichter verlöschten. Kurzschluß!So konnte ich nur erahnen, wo der Wagen trieb.In meiner Nähe schlug eine abgesprungene Radkappe auf

das Kopfsteinpflaster und sprang mit irrem Geklapper davon, bis sie an Schwung verlor und liegenblieb.

Ich hüpfte hinkend zum Wasser, beugte mich vor und bohrte meine Blicke in den Nebel. Hier unmittelbar am Wasser war er besonders dicht.

Hier entstand er ja auch.Ich sah undeutlich einen dunklen Klotz voraus auf dem Was-

ser treiben. Die Strömung drückte ihn nach links.Der Wagen schwamm. Die Themse führte ihn davon.Die Anlegeplätze befanden sich weiter links.

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Ich hinkte auf dem Treidelpfad mit und sah durch den Nebel plötzlich wieder dieses grauenhafte grüne Leuchten. Es befand sich schon dicht über dem Wasser.

Das grüne Skelett saß noch im Wagen.Und das Auto sank tiefer. Es nahm jetzt jede Menge Wasser

auf.Das dämonische Wesen konnte sich nicht befreien. Ich hoffte,

daß das fließende Wasser es vernichtete.Für viele Wesen aus dem Schattenreich war fließendes Was-

ser das reine Gift.Lampen tauchten voraus auf. Ich erreichte die ersten Stege.

Ausflugsschiffe hatten daran festgemacht.Ich zögerte nicht und hastete mit Schmerzen im Knöchel auf

den ersten Steg hinaus.Das Auto trieb heran. Es lag schon ganz tief im Wasser. Die

entweichende Luft machte eine Menge Geräusche. Es blubber-te und pfiff.

Das grüne Skelett bewegte sich hinter dem Lenkrad. Es sah aus, als könnte es die Tür nicht öffnen. Wahrscheinlich hatte sie sich beim Anprall gegen die Telefonzelle schon verzogen. Oder spätestens beim Durchbrechen des Rohrgeländers.

Jedenfalls klemmte die Tür.Ich atmete auf.Keine zehn Schritte entfernt versank der Wagen mit einem

abscheulichen Gurgeln.Ich erwartete, daß das grüne Leuchten erlosch und mir an-

zeigte, daß das grüne Skelett aufhörte, zu existieren.Meine Erwartungen wurden nicht erfüllt.Das grüne Licht leuchtete aus dem dunklen Wasser herauf.

Und dann bewegte es sich. Es löste sich von der Stelle, wo der Wagen in der dunklen nassen Tiefe versunken war.

Mir wurde es unheimlich, ich spürte das Grauen bis ins

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Mark.Das grüne Skelett hatte sich aus dem Wagen befreit!Ich sah es unter mir auftauchen. Es strebte der Oberfläche zu

und machte wahrhaftig Schwimmbewegungen.Und es kam von der Stelle.Wie das möglich war, konnte ich nicht erklären. Ich sah nur,

daß es klappte.Das Skelett erreichte einen Pfahl des Anlegesteges, klammer-

te sich daran fest und kletterte dann daran hoch. Auf den Steg.Auf dem stand ich.Ich war nicht scharf darauf, erneut mit dem grausigen Wesen

zusammenzugeraten. Ich drehte mich auf dem Absatz um und tauchte in den Nebel zurück.

Hinter einem Kassenhaus, wo tagsüber die Fahrscheine ver-kauft werden, brachte ich mich in Deckung.

Schritte knallten auf dem Steg.Ich peilte vorsichtig um die Kante.Das grüne Skelett kam!Mit mir hatte es allerdings nichts mehr im Sinn. Es tappte

vorbei.Aber ich gab mich damit nicht zufrieden. Ich war schon ein-

mal darauf hereingefallen und hatte mich in der Telefonzelle selber in die Falle gesetzt.

In sicherem Abstand folgte ich der Erscheinung. Ihr Leuch-ten wies mir den Weg.

Plötzlich wurde das Licht schwächer. Ich sah, daß das Gerip-pe seine Gestalt veränderte. Es löste sich auf.

An seiner Stelle drehte sich ein grüner Kreisel schwach leuchtender Materie. Wie eine Zusammenballung von Nebel oder Staub.

Die Kreiselbewegung wurde immer heftiger.Mir blieb der Mund offenstehen.

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So etwas hatte ich noch nie gesehen.Ich rechnete mit einer neuen List. Vielleicht mußte das Dä-

monenwesen erst richtig auf Touren kommen und konnte dann blitzschnell an einen anderen Ort springen. Zum Beispiel in meine Richtung.

Ich spannte alle Muskeln und war zur Flucht bereit.Aber der rotierende Kreisel löste sich schneller auf, als ein

Augenzwinkern dauert. Nur ein schwach leuchtendes Wölk-chen kräuselte sich dort noch.

In meiner Nähe tauchte nichts auf.Nach Sekunden erst fiel die Anspannung von mir. Ich stieß

den angehaltenen Atem aus. Dann merkte ich, daß ich weiche Knie und feuchte Handflächen hatte.

Junge, Junge, dachte ich, du stellst aber auch Sachen an! Streitest dich mit einem grünen Skelett herum und wirst um ein Haar erwischt wie Zubinassian!

Aus dem Nebel hörte ich Stimmen.Der Krach hatte Schiffsleute alarmiert, die auf den Ausflugs-

booten wohnten.Mir war nicht danach, irgendwelche Erklärungen abzugeben,

die die Leute glauben ließen, ich sei nicht richtig im Kopf. Ich verdrückte mich.

Auf dem Rückweg suchte ich die Umgebung der einsamen Straßenlaterne bei der Brückenauffahrt sorgfältig ab.

Zubinassians Überreste waren fort.Spurlos verschwunden.Aus der Gegend, wo die Telefonzelle um ein Haar mein Sarg

geworden wäre, hörte ich aufgeregte Stimmen. Da hatten sich also auch Menschen eingefunden. Anwohner, wie ich schätzte.

Ich wich dem Ort aus und suchte meinen MG.Argwöhnisch schaute ich erst einmal hinein, bevor, ich die

Tür aufschloß. Ich wollte mich dem grünen Skelett nicht genau

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in die Arme setzen.Der Sportflitzer war leer.Mit dem schmerzenden Knöchel konnte ich nicht gut fahren,

ich biß die Zähne zusammen. Besser als ein Fußmarsch war die Fahrt aber doch.

Langsam kämpfte ich mich durch den Nebel heimwärts. Mein Knöchel brauchte unbedingt kühle Umschläge. Und ich mußte etwas einnehmen, um mein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.

Unterwegs formte sich eine Überlegung in meinem Kopf zu einer Vermutung und zu einem Plan.

Daß Zubinassian mich in die Gegend der Westminster-Piers bestellt hatte, bedeutete etwas. Das war mir schon früher auf-gegangen. Wahrscheinlich hatte dort das grüne Skelett den Wagen mit dem Gerippe des Unbekannten versenkt.

Das ließ sich ja feststellen.Die Polizei verfügte über ausgezeichnete Taucher und ent-

sprechendes Gerät. Und auch von meinem Verein konnten Spezialisten herangezogen werden. Wir haben hervorragende Froschmänner.

Das geheimnisvolle grüne Skelett schien überhaupt einen Hang zum Wasser zu haben.

Gerade hatte es einen anderen Wagen in die Themse gesetzt.Um den ging es mir. Es konnte das Auto sein, mit dem Zubi-

nassian zum Treffpunkt gekommen war.Und es war denkbar, daß Zubinassians Überreste in diesem

Wagen lagen, nachdem ich sie auf dem Asphalt nicht mehr entdeckt hatte.

Dem grünen Skelett schien viel daran gelegen zu sein, alle Spuren zu verwischen.

Genau das waren menschliche Verhaltensmuster.Ich war mir plötzlich gar nicht mehr sicher, ob ich es mit ei-

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nem Dämon zu tun hatte. Nicht ausschließlich mit einem. Eine innere Stimme sagte mir, daß da jemand aus Fleisch und Blut mitmischte.

*

»Das ist eine Nacht!« krächzte Bill Salish, kaum daß die beiden Inspektoren sein Büro verlassen hatten.

Immer wieder wischte er die feuchten Hände an der Hose ab.

James tot! Seine Puppe Marjorie ebenso!Das ging nicht in Salishs Schädel hinein. Lieber Himmel, wo

tauchte dieses grausige grüne Skelett denn noch auf?Es war hier im ›Magic Flower‹ gewesen und hatte ihm ge-

droht.Alles wegen dieser Jessica. Der Teufel sollte sie holen!Bills Gedanken führten Sprünge aus. Mit zitternden Händen

klopfte er eine Zigarette aus der Packung und rauchte hastig.James und Marjorie waren also zwischen hier und der Re-

gent Street in grüne Skelette verwandelt worden!Unfaßbar!In einem Taxi.Bill hatte die düstere Ahnung, daß es da Zusammenhänge

gab. Mit dem grünen Skelett, das ihm den Mordsschrecken eingejagt hatte.

Der Grüne Tod!Eiskalt lief es ihm über den Rücken.Der Grüne Tod wollte sie alle bestrafen! Das war verrückt,

aber er hatte ja gesagt, daß James sein Fett schon abgekriegt hätte!

Das also war gemeint gewesen. Der Grüne Tod hatte auf un-heimliche Art James in ein Gerippe verwandelt und das Mäd-

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chen gleich mit.Klar, daß die Polizei gleich hier mit den Ermittlungen be-

gann. War ja nur logisch.Bill Salish wurde es flau, als er an das Drogenlager von Ja-

mes Gardiner drüben in dessen Büro dachte. Wenn die Polizei das fand, dann zog sie daraus doch den Schluß, daß sich alle Mitinhaber der ›Magic Flower‹ an dem trüben Geschäft betei-ligten. Dann machten sie den Laden dicht. Unwiderruflich!

Das Zeug mußte weg, bevor die Polizei es fand.Bill öffnete die Tür und brüllte nach Motley.Keine Antwort.Er ging ins Zimmer zurück und telefonierte mit verschiede-

nen Stellen der Disko.Motley war dagewesen, wurde ihm versichert, und er hätte

emsig Ausschau gehalten und alle Mitarbeiter angespitzt, auf die Neue, diese Jessica, zu achten und sie ja nicht rausgehen zu lassen.

»Macht jetzt bloß keinen Quatsch!« knurrte Bill Salish. »Die Bullen sind im Haus, da ist was mit Gardiner passiert. Macht kein Aufsehen, verstanden?«

Bill Salish hängte sich die Jacke über und begab sich nach vorn.

Von einem sicheren Platz aus beobachtete er das Treiben und die beiden Inspektoren vom Yard.

Die Galle kochte ihm über, als er plötzlich drüben aus einer der Nischen eine Horde jüngerer Leute quellen sah und Jessica unter ihnen entdeckte.

Die Clique hatte gehörig getankt und wechselte die Tapeten. Jessica zog mit. Sie hängte sich an einen jungen Burschen mit Schnurrbart.

Noch jemand sah das. Cecil Bigelow biß sich die Unterlippe blutig.

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Die Horde verschwand in Richtung Ausgang.Besorgt lauschte Bill Salish, ob es dort Krach gab. Aber seine

Leute spurten. Sie versuchten nicht, Jessica aufzuhalten.Die Angelegenheit konnte später bereinigt werden. Wenn

sich die Wogen wegen James Gardiners seltsamem Tod gelegt hatten. Jessicas Anschrift hatte er ja.

Und zuverlässige Leute, die dafür sorgten, daß jemand sei-nen Vertrag einhielt.

Jessica hatte nur eine Frist. Bill Salish schwor sich, daß er sie schwimmen sah. Vor allen Leuten. Regulär im Programm um Mitternacht.

Wenn er sich auf der Nase herumtanzen ließ, sprach sich das herum. Dann wurden die anderen Girls auch zickig. Dann kochten sie womöglich auch eine eigene Suppe.

Die Inspektoren befragten eine Menge Leute – Personal und Gäste.

Salish vermißte Motley in dem Trubel. Der schreckliche Kerl mit seiner Frankenstein-Monster-Figur tauchte überhaupt nicht auf.

Salish empfand Wut auf den Narren. Aber die Sorge, die Po-lizei könnte im Büro von James fündig werden, bedrängte ihn mehr als der Zorn auf Motley.

Wohl eine halbe Stunde lang fragten die Inspektoren herum.Salish knurrte zufrieden, als er sie endlich gehen sah. Sie

schienen zwar nicht sonderlich zufrieden zu sein, aber Haupt-sache war, sie hauten erst einmal ab.

Noch immer vermißte Salish den hünenhaften Motley.Der Kerl konnte was erleben! Trieb sich wahrscheinlich mit

einer Puppe herum oder goß sich ein paar in die Kehle!Gerade wollte sich Salish abwenden, um in Gardiners Büro

einige Veränderungen vorzunehmen, als er den Diskjockey in seine Richtung blicken sah. Die Augen des jungen Mannes

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brannten in einem bösen Feuer.Salish stieß ein Knurren aus.Er hatte schon gemerkt, daß der Kerl ihn nicht mochte. Da

war irgend etwas zwischen Jessica und dem Plattenritter.Aber an so etwas hatte sich Bill Salish noch nie gestört. Er

vertrat die Auffassung, daß der Stärkere alle Rechte beanspru-chen durfte und der Schwächere auf die Krumen angewiesen war, die vom Tisch fielen. Ob es dabei um Geld oder um Mäd-chen ging, spielte für ihn keine Rolle.

Der Idiot, dachte Bill Salish. Hat romantische Liebesflausen im Schädel! So was wollen die Mädchen heutzutage nicht mehr. Sie zieren sich! wie dieses Luder Jessica, aber sie wollen doch mit harter Hand angepackt werden! Man muß ihnen zei-gen, wo es lang geht!

Er schaute bissig zurück, wandte sich um und stapfte in Ja-mes Gardiners Büro.

Die Tür war nicht abgeschlossen, nicht einmal eingeklinkt.Salish peilte durch den Spalt in die Dunkelheit und lauschte.

Ob Motley vielleicht…?Er hörte nichts und stieß die Tür auf.Seine Hand tastete zum Lichtschalter und knipste die Be-

leuchtung an.Der Raum war leer, von Motley keine Spur zu entdecken.Salish stellte Überlegungen an. Durch Gardiners Ausschei-

den ergaben sich ja beträchtliche Veränderungen. James hatte sein Büro erlesen ausstatten lassen. Das Beste vom Besten war gerade richtig gewesen. Seine noblen Kunden durften ja auch etwas erwarten – außer Stoff.

Bill Salish drückte die Türe zu. Dann wandte er sich in die Ecke, wo er das Drogenversteck wußte.

Bei dem Gedanken, daß die Polizei Schlüssel bei James ge-funden hatte und sich nun dafür interessierte, zu welchen

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Schlössern sie paßten, wurde ihm heiß.Das Zeug mußte verschwinden. Es mußte erst einmal aus

dem Haus.Salish fingerte über die Verkleidung. Er ertastete die Leiste,

die den Mechanismus auslöste. Ein leises Knacken drang aus der Holzvertäfelung.

Langsam schwang die Tür zum Geheimversteck auf.Bill Salish erstarrte, als ihm ein mächtiges grünes Skelett ent-

gegenfiel.

*

»Ich bringe dich noch rauf«, sagte Julian und folgte Jessica ins Haus. »Wer weiß, was für Gemeinheiten sich die Kerle einfal-len lassen. Kochst du mir einen Kaffee?«

»Ich denke, sie lassen mich in Ruhe.« Jessica legte den Kopf schräg. Ihre rote Zunge glitt langsam über die Lippen.

Julian wollte natürlich etwas ganz anderes als Kaffee bei ihr trinken.

Sie gab sich einen Ruck. Warum nicht?»Aber stelle den Wagen zwei Häuser weiter«, sagte sie. »Die

Leute hier sind schrecklich neugierig. Und laß dich nicht noch von der Polizei erwischen.«

»Keine Sorge.« Julian grinste. Er war trotz seines angesäusel-ten Zustandes bis hierher gefahren, und es war glattgegangen. Ohne Kontrolle. Ohne brenzlige Situationen.

»Ich laß die Tür auf.« Jessica drehte sich um und verschwand im Hausflur.

Julian fischte die Schlüssel aus der Hosentasche. Na ja, wenn sie unbedingt wollte, dann setzte er den Wagen eben zwei Häuser weiter. An ihm sollte es nicht liegen.

Sollte sich einer mit Jessica auskennen! Erst spielte sie ihm

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wochenlang die eiserne Jungfrau vor, und jetzt nahm sie ihn mit hinauf!

Er grinste. Cil, der Diskjockey, schien sich auch in bezug auf Jessica etwas ausgerechnet zu haben. Richtig belämmert hatte er dagestanden! Und ziemlich unfreundlich geguckt!

Jessica hatte ihm erzählt, daß Cil ein alter Jugendfreund war, daß sie sich aus den Augen verloren hatten und erst vor eini-ger Zeit wieder aufeinandergetroffen waren. Aber in allen Eh-ren natürlich.

Sie sahen sich gelegentlich.Das muß ja harmlos sein, dachte Julian. Sie spricht darüber.

Gefährlich sind nur die Dinge, über die nicht geredet wird! Die Heimlichkeiten sind das Gift des Lebens!

Er suchte den richtigen Schlüssel und wollte ihn eben ins Türschloß stecken, als ein grünes Flimmern neben ihm ent-stand. Er prallte zurück und öffnete den Mund zu einem Schrei.

Der Schreck fuhr ihm in die Knochen.Ein grüner kreiselnder Nebel rotierte in der Luft.Julian wollte sich zur Flucht wenden. Die Erscheinung war

ihm unheimlich und machte ihm angst.Aber er kam nicht von der Stelle. Seine Füße verharrten wie

festgewachsen.Die Kreiselbewegung des grünen Nebels verlangsamte sich,

eine neue Gestalt entstand. Ein Skelett!Der grausige Totenschädel grinste Julian an.Dann schleuderte das Gerippe die Knochenarme vorwärts

und packte den erstarrten jungen Mann.Julian würgte und keuchte. Das Herz blieb ihm fast stehen.Er brachte keinen Ton heraus.Aber er wehrte sich. Er versuchte, die Arme abzuschütteln.

Er überwand seine Erstarrung.

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Die Knochenarme hielten ihn fest wie Stahlklammern.Erst jetzt konnte Julian einen markerschütternden Schrei aus-

stoßen.Aus der schlafenden Straße kehrte geisterhaft das Echo zu-

rück.»Umsonst, mein Freund«, kicherte das grüne Skelett. »Dir

hilft niemand. Schrei nur, ich höre es gern, wenn die Menschen Angst vor mir haben.«

»Wer – wer bist du?« würgte Julian hervor.Ein Kichern war die Antwort. Dann drang es aus dem grin-

senden grünen Totenschädel: »Ich bin der Grüne Tod!«Im nächsten Augenblick spürte Julian die würgenden Kno-

chenhände an seinem Hals. Eine übermächtige Kraft riß ihn zu Boden. Sein verzweifelter Hilfeschrei erstickte.

Da und dort ging Licht hinter einem Fenster an.Der Grüne Tod fühlte sich nicht gestört. Er hielt sein Opfer

fest.Julian merkte, daß er mit Mühe atmen konnte. Aber ein selt-

sames Kribbeln machte sich in seinem Hals bemerkbar. Es er-faßte seinen Kopf, wanderte abwärts und breitete sich in sei-nem Körper aus.

Es war ein Gefühl, als würde ihn etwas ausfüllen, würde sich dick machen und ihn platzen lassen.

Dann sah er, daß nicht nur der Grüne Tod in einem unheim-lichen Licht strahlte.

Er leuchtete ebenfalls!Er stieß ein hilfloses Krächzen aus. Seine Gegenwehr erlahm-

te.Sekunden später hielt der Grüne Tod ein Gerippe zwischen

den Knochenhänden fest.Neben dem Gerippe lag ein Schlüsselbund.Der Grüne Tod kicherte zufrieden und verwandelte sich zu-

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rück. Es wurde höchste Zeit. Da kamen Leute, er hörte Stim-men. Und an einem anderen Ort war seine Anwesenheit drin-gend erforderlich.

Etwas grüner Nebel kräuselte sich in der Luft. Dann ver-schwand auch der.

*

Bill Salish packte das mächtige grüne Skelett.Motley! war sein nächster Gedanke. Den hat's erwischt! Aber

besser den als mich!Mit grausamer Deutlichkeit wurde ihm vor Augen geführt,

daß die Drohung dies Grünen Todes kein leeres Versprechen war.

Die Finger sollten sie von Jessica lassen! Und die Mädchen überhaupt in Ruhe lassen!

Selber hatte er nicht nach der Kleinen gesucht, er hatte Mot-ley geschickt. Dafür war der jetzt tot. In ein grünes Gerippe verwandelt wie Gardiner und Marjorie Swift!

Salish begann zu zittern. Er hatte erbärmliche Angst. Es zog ihm den Magen zusammen.

An Motleys Skelett vorbei sah er das Regal im Geheimver-steck. Und auf den Zwischenbrettern die hinterlassenen Schät-ze von James.

Das Skelett mußte verschwinden. Und der Stoff ebenfalls. Erst einmal mußte Gras über die Sache wachsen. In den nächs-ten Tagen würden die Bullen schöne Tänze aufführen, das stand fest. Sie würden immer wieder kommen. Sie würden so lange bohren, bis sie fündig wurden.

Salish war einer Panik nahe.Wohin mit Motleys überdimensionalen Überresten?Erst einmal in den Wagen. Hinten hinaus zum Feuerausgang.

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Und später ab mit dem Gerippe in die Themse. Dort fand man es nie wieder. Und zu etwas, das man nicht fand, konnte man auch keine Fragen stellen.

Natürlich würden sich die Bullen wundern, daß Motley aus-gerechnet in dieser Nacht verschwunden war. Bill wollte ihnen aber schon die richtige Geschichte erzählen, die sie zufrieden-stellte.

Und da hatte er doch die Gelegenheit, mit ein paar Andeu-tungen Motley etwas in die Schuhe zu schieben. Keine Ver-dächtigungen, wahrlich nicht. Aber daß er mit James Streit ge-habt hatte. Und daß er bekanntermaßen nachtragend war. Vielleicht hatte er James und das Mädchen – wer weiß?

Salish drückte das Skelett in die Ecke. Er sah wieder Land. Wenn er glaubwürdig genug war, würde sich die Polizei zu-friedengeben.

Wenn er ihr aber vom Grünen Tod erzählte, sperrten sie ihn ein, das war so sicher, wie das Amen am Sonntag in der Sankt-Pauls-Kathedrale!

Bill Salish sicherte erst einmal die Drogen, die James gehortet hatte. Er stapelte die Behälter auf dem Schreibtisch. Das Zeug war ein Vermögen wert. Oder gar zwei.

Und eigentlich viel zu schade zum Wegwerfen.Man konnte doch – mit Vorsicht und Fingerspitzengefühl –

das Geschäft weiterbetreiben. Die Kunden waren da. Das war kein Problem. Und der Nachschub ließ sich auch irgendwie or-ganisieren. Bill Salish scheffelte in Gedanken schon das ganz große Geld, gegen das der Profit aus dem ›Magic Flower‹ ein Taschengeld für Almosenempfänger war.

Noch eine Kassette, dann hatte er das Zeug draußen. Er wandte sich um.

Jetzt standen zwei grüne Skelette in der Ecke.Eines war kleiner. Aber es bewegte sich. Der Totenschädel

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grinste. Der Grüne Tod war zurückgekehrt. »Ich hatte dich ge-warnt, und du hast nicht gehört«, sagte der Grüne Tod. »Du schickst deine Leute, damit du fein heraus bist. Aber du kannst mich nicht betrügen.

»Verschwinde!« Bill Salish stierte die Erscheinung aus blut-unterlaufenen Augen an. »Du hast drei Menschen umge-bracht…«

»Drei?« Der Grüne Tod lachte, und aus seinem Schädel strömte wieder der grauenhafte Grabgeruch. »Es sind viel mehr. Es ist eine gute Zeit für mich. Ich habe den Weg gefun-den, der mich in eure Welt führt. Mir gefällt es hier.«

Bill Salish schnappte nach der Stahlkassette. Er schwang sie hoch und haute sie dem Grünen Tod auf den Schädel. Es gab ein hohles Geräusch. Der Grüne Tod lachte belustigt. »Du kannst mich nicht vernichten, niemand kann das. Aber ich ver-nichte jetzt dich.«

Die Knochenhände schossen vor und legten sich um Bill Sa-lishs Hals.

*

Mein Knöchel war so dick, als sei ich in ein Wespennest getre-ten und ordentlich zerstochen worden.

Als ich in Sir Horatios Vorzimmer hinkte, erntete ich mitfüh-lende Blicke von der schwarzen Sheila, die die eine Sekretärin meines Chefs und ein Schatz ist.

Barbara Hicks goß jedoch nur Hohn und Spott über mich aus. Sie war ein knochiges Wesen ohne Reize und auch kein Schatz.

»Ich sehe, Sie sind vom rechten Weg abgekommen«, sagte sie erfreut. Und mit lüsternem Interesse fügte sie hinzu: »Tut's sehr weh?«

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»Ein Gentleman versteht zu leiden«, sagte ich und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach neun in der Frühe. Die Zeitun-gen für den Chef, die Barbara Hicks auf ihrem Platz zu stapeln pflegte, waren verschwunden. Also war der Chef schon da.

Barbara Hicks schlug verwundert die Hände zusammen. »Seit wann sind Sie ein Gentleman, Kinsey?«

»Sie sind heute bezaubernd«, sagte ich, aber ich dachte das Gegenteil.

Damit marschierte ich zu Sir Horatio hinein. Ich hatte mir schon eine Taktik zurechtgelegt, wie ich ihm in homöopathi-schen Dosen beibrachte, daß der Doppelagent Zubinassian ei-nem Skelettdämon zum Opfer gefallen war.

Er empfing mich mit einem seltsam verkniffenen Gesicht. Das gefiel mir nicht.

Dann entdeckte ich das Bandabspielgerät auf seinem Schreibtisch. Eine Kassette lag auf.

Sollte das heißen, er hatte schon wieder einen seltsamen An-ruf bekommen?

»Morgen, Sir!« wünschte ich forsch.Seine Miene hellte sich nicht auf. »Hallo, Mac! Nehmen Sie

Platz.« Er rückte seine Krawatte zurecht, obgleich es daran nichts zu rücken gab. Sie saß vorbildlich.

Solche feierlichen Einleitungen waren kein gutes Omen.Er faßte mich scharf ins Auge. »Waren Sie erfolgreich?«»Wenn Sie meinen verstauchten Knöchel meinen, ja, Sir!

Nächtliche Verabredungen haben ihre Tücken.«»Und? Ist er etwa nicht gekommen?«»Doch. Leider nicht allein, Sir. Die Sache kostet die Stadt eine

neue Telefonzelle.«»Reden Sie nicht in Rätseln zu mir, Mac. Was ist geschehen?«Ich hatte mir die Geschichte zurechtgelegt und trug sie ihm

vor. Ich ließ nichts aus und fügte nichts hinzu.

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Dennoch wurde er blaß wie sein Taschentuch, mit dem er sich die Stirn abtupfte. Aber er unterbrach mich mit keinem Wort.

Ich äußerte meinen Verdacht hinsichtlich der beiden versenk-ten Fahrzeuge und schlug ihm vor, das Themseufer dort abfi-schen zu lassen.

»Besteht eine Gefahr für die Taucher, Mac?«»Ich glaube nicht, Sir. Sie müssen sich nur hüten, falls ein

grünes Skelett auftaucht, das sich bewegt oder schwimmt oder sich sonst auffällig benimmt. Zubinassian ist ein Opfer, seine Überreste, wenn sie gefunden werden, sind ungefährlich. Das nehme ich auch von dem Unbekannten an, der mitsamt sei-nem Wagen vor zwei Nächten in der Themse versenkt wurde.«

Sir Horatio dachte nach. »Es spricht einiges dafür, daß der fragliche Ort bei den Westminster-Piers liegt. Insbesondere die Wahl des Treffpunktes. Gut, ich werde alles veranlassen.«

Er griff zum Telefon und schickte Taucher unserer Frosch-mannabteilung los.

Dann setzte er das Abspielgerät in Betrieb.Ich sperrte die Ohren auf und fror, je länger ich zuhörte.Sir Horatio hatte einen Anruf von Scotland Yard bekommen

und ihn aufgezeichnet. Die Leute wußten, daß ich Spezialist für übersinnliche Phänomene war und mit einigem Erfolg Dä-monen und Geister jagte. Sie baten ungeniert darum, daß ich mich der grauenhaften Vorgänge der letzten Nacht annahm.

Auf der Regent Street waren in einem Taxi ein Mann und ein Mädchen in grüne Skelette verwandelt worden. Das Pärchen war aus der Luxusdisko ›Magic Flower‹ gekommen.

Der Mann, James Gardiner mit Namen, war Mitinhaber der Disko und in der Drogenszene kein unbeschriebenes Blatt.

Heute zum Betriebsschluß der Disko gegen fünf Uhr hatten Angestellte in den hinteren Räumen zwei grüne Skelette ge-

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funden.Eines war der auffallenden Größe wegen einem Mann na-

mens Motley Babington zugeordnet worden, der als Raus-schmeißer und Sorgentöter dort fungierte und im übrigen we-gen Totschlags vorbestraft war.

Das andere waren die Überreste eines gewissen Bill Salish. Den hatte man anhand eines auffälligen Ringes identifiziert.

Zufällig hatte man beide Skelette im Büro eben dieses James Gardiner gefunden und dazu Rauschgift im Marktwert von annähernd zehntausend Pfund.

An dieser Stelle stieß ich einen Pfiff aus. Sir Horatio quittierte ihn mit einem Stirnrunzeln. Er deutete auf das Wiedergabege-rät. Die Schreckensnachrichten von Scotland Yard nahmen kein Ende.

Denn ungefähr eine Stunde, bevor man Salish und Motley Babington als grüne Gerippe aufgefunden hatte, waren An-wohner der Lindley Street in Stepney, das ist ein östlicher Stadtteil von London, durch einen markerschütternden Schrei aus dem Schlaf gerissen worden.

Auf dem Bürgersteig hatte ein grünes Skelett gelegen.Und aus dem Haus war eine junge Frau gestürzt und hatte

verzweifelt nach einem Mann namens Julian gerufen. Dessen Wagen stand da. Neben dem Skelett fand man Schlüssel. Einer paßte zu dem Wagen.

Mit Sicherheit war das Skelett diesem Julian Dowley zuzu-ordnen. Die Identität sollte noch durch Gebißvergleich ermit-telt werden. Der Polizeiarzt hatte festgestellt, daß Julian Dow-ley in zahnärztlicher Behandlung war. Ein Zahn war mit einem Provisorium gefüllt.

Es mußte nur der entsprechende Zahnarzt gefunden werden.Kunststück, dachte ich, London hat ja bloß dreitausend

Zahnärzte!

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Die junge Frau aus dem Haus in der Lindley Street hörte auf den Namen Jessica Townsend.

Den großen Knall sparten sich die Leute vom Yard, die den Anruf bei Sir Horatio getätigt hatten, bis zum Schluß auf.

Jessica Townsend und Julian Dowley waren geradewegs aus dem ›Magic Flower‹ gekommen!

Sie hatten dort mit einer Clique gefeiert. Diese Jessica hätte dort eigentlich um Mitternacht auftreten sollen, hatte sich dann aber geweigert. Nach ihren eigenen Angaben hatte sie sich im Streit von Bill Salish getrennt, der der Geschäftsführer war. Irgendeine Garderobensache.

Das Mädchen stand unter einem schweren Schock und be-fand sich jetzt im St.-Bartholomäus-Hospital an der Newgate Street.

Das Hospital kannte ich. Das ist ein mächtiger Komplex beim Barbican, innerhalb der City gelegen.

Der Anruf schloß mit der nochmaligen Bitte an Sir Horatio, seinen Geisterjäger mit den Ermittlungen zu betrauen.

Sir Horatios Finger drückte die Stoptaste.»Entsetzlich, Mac! Dieses grüne Skelett übt ein Schreckensre-

giment aus. Es war nicht möglich die Zeitungen zu stoppen, sie werden die Sache groß bringen. Sie wissen, was das bedeu-tet.«

Und ob ich das wußte!Die Leute wurden verunsichert, die ängstlichen Naturen ge-

rieten in Panik, und der gesamte Polizeiapparat stand unter Druck.

Aber die Stadtpolizei und der Yard waren fein heraus. Die konnten sagen, daß sie die Ermittlungen an den Secret Service abgegeben hatten.

Die schwarze Karte hatte ich am Ende in der Hand.Meine Laune sank auf den Tiefpunkt. So besonders war sie

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wegen des geschwollenen Knöchels allerdings auch nicht ge-wesen, das will ich zugeben.

»Das ›Magic Flower‹ scheint der Drehpunkt zu sein«, sagte ich nach längerem nachdenken. »Es sollte mich gar nicht er-staunen, wenn Zubinassian seine grausam Beobachtung in der Nähe der Disko gemacht hat. Ich werde mich dort umsehen.«

»Darum bitte ich Sie, Mac.« Sir Horatio schob das Wiederga-begerät beiseite. Er wußte, daß ich mir nie Notizen machte. Namen und Fakten speicherte ich im Gehirn. Da waren sie besser aufgehoben als im schönsten Notizbuch. Vor allem konnte ich sie nicht verlieren. Ein Notizbuch schon.

Der Chef setzte sich langsam und zog die Bügelfalten nach. Über seiner Nase entstand eine steile Kerbe.

»Eigenartig«, meinte er, dieses geheimnisvolle grüne Skelett verbreitet Tod und Angst und Schrecken, aber einmal scheint es sich kavaliersmäßig verhalten zu haben.«

»Bitte, Sir?« Ich war mit den Gedanken schon ganz woan-ders.

»Kavaliersmäßig! Das grüne Skelett! Als der Unbekannte Joy Gilligan in das Auto zerren wollte. Da hat die unheimliche Er-scheinung der Frau beigestanden. Ich setze voraus, daß Zubi-nassian die Wahrheit gesprochen hat.«

»Joy Gilligan, richtig, Sir, die dürfen wir auch nicht verges-sen. Man sollte sich teilen können, das wäre eine feine Sache. – Hm, Zubinassian kann ich nicht mehr fragen, aber wenn er die Wahrheit gesprochen hat, könnte es doch sein, daß er seine Be-obachtung beim ›Magic Flower‹ gemacht hat. Jetzt frage ich mich natürlich, was Joy Gilligan dort zu suchen hatte! Eine überzeugte Kommunistin im Umfeld eines Lastertempels der dekadenten Kapitalisten! Das bringe ich irgendwie nicht zu-sammen.«

Sir Horatio schaute pikiert. Ich schätzte, die ›dekadenten Ka-

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pitalisten‹ waren ihm in die Nase gefahren.»Finden Sie es heraus, Mac. Und halten Sie dieses grüne Ske-

lett auf. Irgendwie!«Irgendwie. Er hatte gut reden. Er war ja in der Nebelnacht

nicht mit draußen gewesen, hatte seinen Mantel nicht einge-büßt und keinen geschwollenen Knöchel heimgebracht. Und ich vermutete, es war auch noch nie versucht worden, ihn in einer Telefonzelle mit einem Auto totzufahren.

Was das betraf, hatte ich ihm einiges voraus.

*

Ich fuhr sofort zum ›Magic Flower‹.Unterwegs sah ich schon die Morgenzeitungen mit den gru-

seligen Schlagzeilen im Straßenbild auftauchen.›Der grüne Mörder geht um! Geheimnisvolles Skelett terrori-

siert London! Fünf Opfer in einer Nacht!‹Ich wußte, daß es mindestens ein Opfer mehr war. Aber von

Zubinassians schaurigem Ende wußte nur ich. Und der grüne Knochendämon.

Das ›Magic Flower‹ war ein Ort, den man eigentlich besucht haben mußte, um mitreden zu können. Kathleen hatte mich gedrängt, mal mit ihr hinzugehen. Es war mir aber etwas da-zwischengekommen, und so hatte ich noch keine Gelegenheit, mir das Ding aus der Nähe zu betrachten.

Die Polizei war da, die Jungens vom Yard. Ich kannte sie.Sie sahen in mir ein wenig eine Art Wundertier, seit ich ihnen

die entsetzliche Mitteilung hatte machen müssen, daß ihr Kol-lege Peter Woods ein Untoter war, ein Widergänger.

Früher hatten sie immer ein wenig überheblich gelächelt. Geisterjagd war ihnen als der reine Blödsinn erschienen.

Inzwischen hatte ein Umdenkprozeß eingesetzt, und jetzt

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konnte ich lächeln.Ich ließ mir die Örtlichkeiten zeigen.Das Rauschgift und die Skelette waren fortgeschafft.Eine Neuigkeit lag schon vor. Oder besser eine traurige Be-

stätigung.Der junge Mann, der in der Lindley Street draußen in Step-

ney zum grünen Gerippe gemacht worden war, war wirklich Julian Dowley. Seine Freunde hatten sich gemeldet, einer kannte den Zahnarzt. Der Gebißvergleich war positiv gewe-sen.

Ich sah keinen Nutzen darin, mir die Lindley Street anzuse-hen.

Diese ganzen grausigen Vorgänge hatten eine gemeinsame Wurzel – und die war das ›Magic Flower‹.

Alle Opfer der letzten Nacht hatten irgendwie mit der Disko zu tun.

Von Zubinassian wußte ich es nicht, aber ich vermutete es.Mir paßte es, daß man das Personal zum allergrößten Teil zu-

sammengetrommelt hatte. So fragte ich die Leute aus. Ich be-schrieb ihnen Zubinassian. Aber sie wollten den Mann nie in der Disko gesehen haben. Und auf Leute, die sich draußen herumdrückten, achteten sie nicht. Wie denn auch?

Außerdem schätzte ich, daß jede Nacht zwei Dutzend Ab-stauber und Spanner draußen den Asphalt drückten.

Ich war in Fahrt und beschrieb den Leuten Joy Gilligan.Mich haute es fast aus den Schuhen, als ich unerwartet Reso-

nanz fand.Eine Frau, auf die meine Beschreibung paßte wie das Mono-

kel ins Auge, war mehrere Abende in der Disko gesehen wor-den. Sie schien sich aber nicht als Gast hier aufgehalten zu ha-ben, sie war in die hinteren Räume gegangen, und jemand hat-te sie mehrmals mit James Gardiner gesehen.

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Bei mir klingelte es. Gardiner war ein Rauschgifthai gewe-sen, das war nicht länger zu bestreiten. Hatte sich Joy Gilligan bei ihm Stoff besorgt?

»War die Frau seine – seine Kundin?« Ich drückte mich vor-sichtig aus. Die Leute hatten Angst, daß sie wegen Mitwisser-schaft seines Drogenhandels dran waren.

Ein Mann, der eine der Theken machte, wenn hier der Be-trieb lief, schüttelte den Kopf. »Die bestimmt nicht, Sir. Nein, er hatte was mit ihr. Das geht schon eine Weile so. Sie haben auch Krach miteinander gehabt. Ich hab's mal gehört, weil ich hinten was holen mußte. Er hatte mit vielen was. Und oft zur gleichen Zeit. Darum ging der Krach.«

Wegen des grauenvollen Endes von James Gardiner schien nicht die große Traurigkeit unter dem Personal auszubrechen.

Mich ging's nichts an, ob sie den Mann gemocht oder gehaßt hatten. Ich war da, um einen Hinweis auf den grünen Kno-chendämon zu bekommen.

Warum hatte er hier derart gewütet? Hatte sogar Menschen verfolgt, die zuvor hier Gäste gewesen waren? Wie Julian Dowley!

Als ich in dieser Richtung bei den Leuten anklopfte, schauten sie mich an, als sei ich plötzlich von Sinnen. Aber ich ließ mich nicht davon abbringen, daß es Zusammenhänge gab. Mochte das Personal noch so verwundert, ängstlich, wütend oder mit-leidig schauen.

Beim Eingang gab es Aufruhr.Die Yard-Beamten nahmen drei Männer in Empfang, die sich

ziemlich forsch in die Disko drängten.Ein paar Minuten später hörte ich, daß es sich um die drei

überlebenden Mitinhaber des ›Magic Flower‹ handelte. Um George Wynter, Sam Medway und Thomas Furlong.

Medway kannte ich. Und die Leute vom Yard kannten ihn

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auch. Er war das, was man einen Mann der Unterwelt nennt.Er war in Wettschiebungen verwickelt, angeblich komman-

dierte er einen Ring von Autodieben und Hehlern, die die no-belsten Karossen in die Ölstaaten am Golf verschoben, und wenn's nicht gelogen war, mischte er auch bei der modernen Sklavenhaltung mit – der Prostitution.

Eine Zierde unserer Stadt war der Kerl beileibe nicht.Das mußten auch schon die Richter am Old Bailey so emp-

funden haben, denn sie hatten Medway insgesamt acht Jahre lang von London ferngehalten.

Er kannte alle berühmten Gefängnisse von innen und war ein erfahrener Knastologe.

Vielleicht zeigte er darum eine aufreizende Sicherheit. Er hat-te mit den Vorgängen nichts zu schaffen. Das wußte er.

Und ich mußte das zähneknirschend eingestehen.Furlong und Wynter waren bei der Polizei noch nicht in Er-

scheinung getreten. Sie waren aber kaum besser als Medway. Denn sie stürzten sich in unserem Beisein wie die Aasgeier über die Disko her. Mit Worten natürlich. Sie teilten die Ge-schäftsanteile neu auf und die Aufgaben.

Der Laden lief weiter, das war für sie überhaupt keine Frage.Ich brauste vom ›Magic Flower‹ aus nach Covent Garden

hinüber und schaute bei Kathleen vorbei, damit sie nicht ver-gaß, wie ich aussehe.

Wir nahmen in der kleinen Bar um die Ecke einen Kaffee und ein zweites Frühstück. Mitten drin kam eine ihrer Verkäuferin-nen aus der Boutique angeflitzt und tuschelte mit ihr.

Ich wollte Kathleen gerade schonend darauf vorbereiten, daß sie mich vielleicht ein paar Abende in die Disko begleiten soll-te. Dienstlich natürlich. Und daß es nicht ganz ungefährlich war.

Was ihre Verkäuferin ihr zutuschelte, schien aber wesentlich

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wichtiger zu sein. Kathleen stand auf.»Sei mir nicht böse, Mac, ich werde drüben gebraucht. Schau

nachher rein.« Und weg war sie.Da verdrückte ich also ihr Frühstück mit.Eine halbe Stunde später betrat ich wieder ihren Laden.Hinter der Tür standen zwei Männer mit verdächtigen Beu-

len unter der linken Achsel. Ich witterte schon Unrat, als ich den Grund sah, weshalb sie soviel Eisen mit sich herum-schleppten.

Sir Leon Brittan stand in angeregter Unterhaltung mit Kath-leen und einer Farbigen zusammen. Sie wählten Garderobe aus.

Er ist unser Innenminister. Der derzeitige jedenfalls.Daß Kathleen erlesene Kundschaft hatte, wußte ich. Aber

daß der Innenminister bei ihr kaufte, war mir neu.Die beiden Leibwächter wollten mich stoppen. Ich grinste sie

warnend an. »Ich gehöre zur Familie – in jeder Beziehung!«Das ließen sie nicht gelten. Ich mußte ihnen meinen Ausweis

zeigen.Sir Leon Brittan kannte mich. Er kam mindestens zweimal in

der Woche zu meinem Chef.»Nanu, Mister Kinsey?« Er reichte mir die Hand. Dann stellte

er mich der Farbigen und Kathleen vor.Die farbige Frau war um die Vierzig, vielleicht etwas älter.

Sie war wunderschön. Ich meinte, ich hätte sie schon einmal gesehen. Sie war nicht besonders aufwendig gekleidet.

»Das ist Miß Elizabeth Bagaya, Prinzessin von Toro«, sagte er.

Lieber Himmel, wo hatte ich bloß meine Augen gehabt? Na-türlich war sie es. Ich hatte gehört, daß sie in London lebt. In nicht sehr rosigen Verhältnissen.

Sie war damals gerade noch diesem Monster in Menschenge-

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stalt entkommen, das in Uganda seine Schreckensherrschaft aufgerichtet hatte: Idi Amin Dada.

Er hatte sie verfolgt. Ihre ganze Familie war diesem Wahn-sinnigen zum Opfer gefallen, soweit ich wußte.

Die schwarze Prinzessin beeindruckte mich durch ihre schlichte Natürlichkeit. Ich sagte ein paar Artigkeiten. Nicht, weil sie das erwarten durfte, sondern weil es mir ein Bedürfnis war.

Ich mußte mit Kathleen darüber sprechen. Ich hatte das Ge-fühl, daß wir beide diesen einmal geknüpften Kontakt zu ihr nicht abbrechen lassen sollten.

Elizabeth von Toro schaute mich lange aus ihren dunklen Augen an. Ein winziges Lächeln stahl sich in ihre Augenwin-kel.

Sir Leon wollte mich mit Kathleen bekannt machen. Wir lachten beide herzlich und klärten ihn darüber auf, daß wir schon lange Freunde sind. Fast schon alte Freunde.

Das gefiel ihm sehr. Er stimmte in unser Lachen ein.Ich zog mich dann zurück. Er kaufte für die Prinzessin einige

Textilien.Kathleen schnürte an mir vorbei und sagte leise: »Sperr nicht

so die Augen auf, sie ist nicht seine Freundin. Er kümmert sich um sie. Sie ist nicht auf Rosen gebettet.«

»Lade sie doch ein. Beide. Zu dir oder zu mir. Für nächste Woche. Ich koche was, und ihr müßt es essen.«

»Gott steh' uns bei! Dann treffen wir uns lieber bei mir.« Kathleen entschwand.

Ich bekam mit, wie sehr die schwarze Prinzessin und Sir Leon sich über die Einladung freuten. Sie nahmen an.

Sie verabschiedeten sich auch von mir sehr herzlich. Den bei-den Leibwächtern spendierte ich ein zufriedenes Grinsen, Ich war halt auch nicht frei von Eitelkeit.

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»Entschuldige, Mac, aber du verstehst das sicher«, sagte Kathleen. »Ich konnte sie nicht warten lassen.«

»Dein Frühstück hat mir geschmeckt. Alle Wetter, du hast in-teressante Kundschaft. Du, ich bin jetzt etwas in Eile – du woll-test doch immer mal in das ›Magic Flower‹. Heute abend?«

»Puh, wo die gräßlichen Morde geschehen sind und wo man die grünen Gerippe gefunden hat? Ich muß schon sagen, erle-sen ist dein Geschmack nicht gerade.«

»Ja oder nein? Sonst nehme ich Barbara Hicks mit.«»Das ist auch eine Alternative. Was zieht man da an?«»Nicht viel wahrscheinlich. Das ist doch wie in einer Sauna.«»Das könnte dir so passen.«Ich lachte kühn. »Es paßt mir. Ich rufe dich noch wegen der

Uhrzeit an.«

*

Nach Whitehall zurück brauchte ich fast eine halbe Stunde.Ich hatte mich kaum in meinem Büro häuslich niedergelas-

sen, als mich Barbara Hicks zum Chef zitierte.Sie tat's gern, ich hörte ihrer Stimme die Freude an. Wahr-

scheinlich hoffte sie, daß ich eine dicke Zigarre verpaßt bekam.Ich empfing auch die Art ihrer Gedanken, als ich ins Vorzim-

mer trat. Sie waren nicht eben freundlich gegen mich.»Gehen Sie schon rein!« Ihr knochiger Zeigefinger wies auf

die Polstertür.»Ich düse ja schon im Sauseschritt.«Ihr Gesicht war eine Studie. Ich schenkte ihr ein Lächeln.

Dann war ich vorbei und beim Chef drinnen.»Ihre Nase, mein Lieber«, sagte er, »und meine Froschmän-

ner! Wir haben die Wagen gefunden.«Er redete, als ob er selber da drunten im Themseschlamm

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herumgebuddelt hätte. Ich wollte ihm die Freude nicht verder-ben und ließ ihn reden.

»Zwei Wagen, und zwei grüne Skelette! Ein Wagen ist auf die russische Botschaft zugelassen. Ich habe undiplomatische Wege beschritten und mit Suslow telefoniert. Sie vermissen dort einen ihrer Leute.«

»Haben Sie ihm die Wahrheit gesagt, Sir?«»Ich habe sie durchschimmern lassen. Mac, was soll mit den

grünen Skeletten geschehen? Wir haben inzwischen eine Men-ge davon? Können sie zur Bestattung freigegeben werden?«

»Unter keinen Umständen, Sir. Ich weiß nichts über das grü-ne Skelett, das sich seine Opfer in dieser Disko und in ihrem Umfeld sucht. Ich möchte nicht, daß plötzlich die Gräber auf-brechen und unsere Gerippe heraussteigen, nur weil der Drahtzieher und Oberdämon sie gerufen hat.«

Er nickte gewichtig. »Den Tag möchte ich auch nicht erleben. Aber bitte, was schlagen Sie vor?«

»Geweihte Särge, Sir. Man soll die Gerippe in geweihte Särge legen.«

»Und das genügt?« Sein Blick drückte Skepsis aus.»Ich hoffe es, Sir, ich hoffe es.« Und wie ich es sagte, kam mir

eine Idee. Ich mußte gleich in die City. Ein Besuch an einer be-stimmten Adresse war überfällig. »Übrigens brauche ich alles, was wir je über Joy Gilligan gesammelt haben. Hobbys, Affä-ren, Freundschaften, Männer, kleine und große Laster – ein-fach alles.«

»Wo soll ich das hernehmen?«»Zapfen Sie alle Speicherbanken an, Sir. Und zaubern Sie.«Bei der Tür wandte ich mich um. Er schaute mich an, als hät-

te ich den halben Geheimdienst mittels eines Tricks in meinem Hut verschwinden lassen. Wie der Magier das Kaninchen.

»Zaubern – ich?«

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»Üben Sir, üben!« ermunterte ich ihn.Ich empfing ein paar recht unfrohe Gedankenströme.

*

Mein Ziel lag in Soho.Fast am Ende der Berwick Street. In einem uralten herunter-

gekommenen Haus. –Auf der Fahrt hierher hatte ich fortwährend meine Gedanken

ausgeschickt, um Miriam, die tausendjährige Hexe, auf min Kommen vorzubereiten und um ihr klarzumachen, daß sie mich anhören mußte.

Eigentlich mußte sie gar nichts. Sie mußte nicht einmal da sein.

Schon zweimal hatte ich vor ihrer verschlossenen Tür gestan-den. Dabei hatte ich das sichere Gefühl gehabt, daß sie in der Wohnung war, mich aber nicht empfangen wollte, weil ich sie um Hilfe und Unterstützung gebeten hätte.

Bei unserem ersten längeren Gespräch hatte sie mir erklärt, daß sie keine Hilfe gewährte. Sie stand zwischen dem Bösen und dem Guten, ohne daß sie einer Seite angehörte.

Das beinhaltete, daß sie auch nicht für oder gegen die eine oder andere Seite kämpfte:

Es sei ihr verboten, hatte sie gesagt.Ich vermutete, daß sie eine Art Wächteramt innehatte.Auf der Straße vor dem Haus war der übliche Markt. Ich er-

stand einen Strauß blaßroter Nelken und ackerte mich über die ausgetretene Treppe zu Miriams Wohnung hoch.

Kürzlich war ich hier gestanden und hatte durch das Schlüs-selloch gepeilt, weil sie nicht geöffnet hatte. Es hätte ja auch sein können, daß ihr etwas zugestoßen war.

Das Zimmer hatte ausgesehen, als sei es seit Jahrzehnten un-

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bewohnt. Spinnweben hatten sich gespannt, der Staub hatte fingerdick gelegen, und ich war an mir selber irre geworden. Ich hatte erst gemeint, vor der falschen Tür zu stehen.

Es war aber schon die richtige. Und damals hatte ich begrif-fen, daß Miriam ihre Macht eingesetzt hatte, um die Wohnung so herzurichten. Um mir zu verstehen zu geben, daß sie mich nicht sehen wollte.

Ich klopfte. Ich war gespannt wie ein Drahtseil kurz vor dem Zerreißen.

»Treten Sie ein, Mac!« sagte ihre Stimme hinter der Tür.Ich atmete langsam aus und baute den Stau ab. Meine Ge-

dankenbotschaft war angekommen. Miriam wollte mich anhö-ren.

Ich trat ein. »Hallo, Miriam!« Ich hielt ihr etwas linkisch die Blumen hin.

»Schön sind die!« Sie nahm mir den Strauß ab und stellte ihn in eine Vase.

Das verschaffte mir die Gelegenheit, mich umzusehen. Nichts von Spinnweben und Staub. Die Wohnung war aufge-räumt und sauber. Miriam war eine bescheidene Hexe in ärm-lichen Verhältnissen.

Aus eigenem Entschluß oder durch das Schicksal dazu ver-urteilt – ich wußte es nicht. Und ich gab mir nicht die Blöße, sie danach zu fragen.

Wenn sie es mir mitteilen wollte, würde sie eines Tages dar-über sprechen.

Ihr Haar sah immer noch aus, als hätte sie es selber geschnit-ten.

Ihr Gesicht zeigte das Aussehen einer Frau um die Dreißig.Ich hatte Miriams anderes Gesicht gesehen, ich kannte es.

Das Gesicht einer unendlich alten Frau. Es war in diesem jun-gen Gesicht verborgen.

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»Nehmen Sie Tee mit mir, Mac?«»Wie könnte ich Ihnen den Tee abschlagen? Herzlich gern.«Sie hatte wie schon einmal zwei Gedecke bereitgestellt.Als der Tee dampfte, sagte sie nach einem durchdringenden

Blick auf mich: »Sie sind um einen guten Rat gekommen.«Damit hatte sie mich schon festgelegt. Um Hilfe und Unter-

stützung durfte ich sie gar nicht erst angehen. Das würde sie mir nie verzeihen.

»Ja, das trifft es wohl«, sagte ich und schnupperte den Tee-duft. »Wir finden grüne Gerippe in der Stadt. Ein schauriges grünes Skelett geht um und sucht seine Opfer. Es kann seine Form ändern. Ich habe es auch schon als Kreisel gesehen. Wie Rauch oder Nebel.«

»Der Grüne Tod!« Miriam nickte, ihre Augen waren groß und rund, und – der Himmel möge mir beistehen! – ich mein-te, ganz hinten Angst zu erkennen.

»Das hört sich sehr ungemütlich an«, bekannte ich. »Was ist der Grüne Tod? Oder wer ist er?«

»Ein uralter Dämon. Aus dem Anbeginn der Zeit. Er hat den Haß und die Zwietracht auf die Erde der Menschen gebracht und wurde dafür in die schwarze Verbannung geschickt. Grü-ner Tod – diesen Namen bekam er, weil etwas von seinem dä-monischen Wesen auf seine Opfer übergeht und weil er immer nur ihre Gerippe zurückläßt.«

Ich gratulierte mir im stillen. Da hatte ich instinktiv richtig gelegen, als ich Sir Horatio empfahl, die Überreste der Opfer in geweihte Särge legen zu lassen.

Wenn der Grüne Tod, wie Miriam sagte, etwas von seinem dämonischen Wesen auf seine Opfer übertrug, dann war die-ses grausige Erbe neutralisiert und unwirksam.

»Hat er einen besonderen Namen?« fragte ich.Die Hexe schüttelte den Kopf. »Er hat immer so geheißen. Er

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ist gefürchtet – auch im Reich der Dämonen.«Das konnte ich mir denken.»Ich hatte eine Begegnung mit ihm«, sagte ich. »Es ist ein de-

primierendes Gefühl, ihm mit leeren Händen gegenüberzuste-hen.«

»Es wird immer so sein«, meinte Miriam. »Ein Gefühl der Ohnmacht und grenzenlosen Einsamkeit, ich kenne das.«

»Immer?« Ich entwickelte plötzlich ungute Ahnungen. Die Hexe wollte mir offensichtlich etwas zu verstehen geben. »Soll das heißen, es ist kein Kraut gegen ihn gewachsen?«

Sie nippte an ihrer Tasse.»Er existiert seit dem Anbeginn der Zeit.«Das hatte sie schon einmal gesagt. Jetzt bekam es Gewicht.

Ungeheuere Bedeutung. Ich glaubte zu verstehen, aber ich wollte es von Miriam hören. »Dann versagen alle Hilfen, die man gegen Dämonen einsetzen kann? Ich besitze ein altes ei-sernes Keltenkreuz. Es hat mir schon gute Dienste geleistet. Leider hatte ich es nicht zur Hand, als ich ihn traf.«

»Ein christliches Symbol«, sagte sie. »Ohne Wirkung auf ihn, denn er stammt aus einer Zeit, als man noch nicht zwischen christlich und heidnisch, zwischen gläubig und ungläubig un-terschied. Gewaltige Magier herrschten, die Götter stritten un-ter sich und gegen sie um die Macht. Nur wer die Urkräfte zu bändigen verstand, konnte sich behaupten.«

»Urkräfte?« Mein Magen bekam Knoten.»Feuer, Wasser, Erde, Luft. Und die Kraft des Blutes und des

Wortes.« Miriam nickte zu ihren Worten.Jetzt wurde mir richtig flau. Sogar der Tee wollte mir nicht

mehr so richtig schmecken, obgleich er vorzüglich war.Wenn ich Miriams Worte richtig verstand, dann hätte mir

mein eisernes Keltenkreuz überhaupt nichts gegen den Grü-nen Tod genützt. Auch nicht die letzten Tropfen des Zaubereli-

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xiers, das ich dem schottischen Arzt Vilion verdankte und das ich hütete wie der böse Drachen den Goldschatz.

Und dann schützten die geweihten Särge nicht vor dem dä-monischen Erbe, das der Grüne Tod auf die Gerippe seiner Opfer übertragen hatte!

Ich hatte mir zu früh gratuliert. Der Einfall mit den geweih-ten Särgen war nichts wert.

Was hatte Miriam eben gesagt? Nur wer die Urkräfte zu bän-digen verstand, konnte sich behaupten! Sie hatte die Urkräfte aufgezählt.

Ich empfand plötzlich, daß sie das absichtlich getan hatte. Daß sie mir doch einen Wink gegeben hatte.

Urkräfte! Das war's. Mit christlichen oder unchristlichen Symbolen konnte ich dem gräßlichen Kerl nicht kommen. Die amüsierten ihn bestenfalls.

Eine Urkraft schied aber bereits aus. Mit Wasser war dem Grünen Tod nichts anzuhaben.

Ich hatte schließlich mit eigenen Augen gesehen, wie er sich aus dem untergehenden Auto befreit hatte und wie er ans Themseufer geschwommen war.

Ich wollte nicht annehmen, daß es nur der Dreck im Fluß ge-wesen war, der ihn oben gehalten hatte.

Ob dann Feuer gegen ihn brauchbar war?»Man müßte mehr über jene längst vergangene Zeit wissen«,

sagte ich. »Es ist kaum etwas überliefert, und selbst das ist im-mer wieder verfälscht worden.«

,,Die Menschen haben die Überlieferung so zurechtgebogen, daß sie bequem war«, bestätigte Miriam. »Aber die großen Magier kannten die Kunst, die Überlieferung des schmücken-den und irreführenden Beiwerks zu entkleiden. Sie fanden zu den Anfängen zurück.«

Immer mehr gelangte ich zu der Überzeugung, daß sie mir

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verschlüsselte Hinweise gab.Es mußte mit der Angst zu schaffen haben, die ich in ihren

Augen erkannt hatte.Sie fürchtete ihn auch – den Grünen Tod!Mir gingen ein paar Legenden im Kopf herum.Die Kraft des Blutes, hatte Miriam gesagt. In Laon in Frank-

reich gibt es eine vielbestaunte Kathedrale, deren Mörtel an-geblich mit Ochsenblut angemacht worden war und der sich beständiger erwies als jedes vergleichbare Material.

Oder die mittelalterlichen Glockengießer, die ihre Schmelzre-zepte geheimhielten und deswegen in die Nähe der Hexer ge-rückt wurden. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, daß man ihnen nie den Prozeß machte. Glocken waren schließlich überaus nützliche Instrumente und dienten vorwiegend christ-lichen Zwecken.

Mir war bekannt, daß diese Glockengießer unter anderem Häcksel der Glockenspeise zusetzten. Der allein konnte es aber nicht gewesen sein, der ihren Beruf ins Mystische rückte.

Und mit dem Hinweis auf die Kraft des Wortes hatte Miriam unzweifelhaft Zaubersprüche und Bannflüche gemeint.

Diejenigen, die ich kannte und beherrschte, basierten auf der weißen Magie und enthielten christliche Elemente.

Ich hatte mit ihnen schon ganz erstaunliche Erfolge errun-gen.

Miriam schien in meinen Gedanken zu lesen. Sie lächelte je-denfalls und schüttelte fast unmerklich den Kopf.

Richtig, der Grüne Tod war ein vorchristlicher Dämon.Ich nahm allen Mut zusammen. »An welche großen Magier

denken Sie?«In meinem Kopf war ein Wispern und Raunen – und dann

war mir, als hörte ich einen zufriedenen Seufzer.Miriam ließ mich an ihren Empfindungen teilhaben!

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»An die allergrößten, Mac«, sprach sie. »An Ardaban und Busor, an die Babylonier, an die Altägypter Imhotep und Seti, an verschiedene Propheten und an König Salomon. Ja, ganz besonders an den. Sie fanden zu den Anfängen zurück.«

Ich spitzte die Ohren und prägte mir jedes Wort ein. Außer Ardaban kannte ich die Namen aus den Schriften der Mystiker und aus anderen alten Büchern. König Salomon – das hatte et-was zu bedeuten! Oder ich wollte im Nachthemd über den Pi-cadilly Circus wandeln.

Miriam hatte mich ja förmlich mit der Nase daraufgestoßen. Salomon war landläufig als heiratsfreudiger König bekannt. So an die tausend Frauen hatte er nach sicheren Quellen gehabt.

Das war selbst fürs Altertum eine Menge. Außerdem hatte er mit der Königin von Saba eine heftige und nicht folgenlos ge-bliebene Affäre.

Mit Sicherheit war er obendrein der erste Goldgroßhändler der Geschichte. Er jonglierte mit dem gelben Metall gleich Ka-melladungenweise. Aber da war noch etwas – er hatte ein Zau-bermittel besessen.

Ich hatte es in einer Schriftrolle der Mystiker gelesen.Was es war, darauf konnte ich mich jetzt nicht besinnen. Ich

wollte das daheim aber sofort nachlesen.Wieder hörte ich im Kopf dieses geheimnisvolle Raunen und

Wispern.Es beunruhigte mich nicht. Denn es drückte Zustimmung

aus. Ich war auf der richtigen Spur!Miriam goß mir Tee nach. »Wenn der Grüne Tod aus der

Welt der Lebenden verbannt ist«, sagte ich, »wie verschafft er sich dann Zugang? Widersetzt er sich dem Bann, bricht er ihn oder wie gelingt ihm das?«

»Eine kluge Frage, Mac.« Die Hexe legte langsam die Hände zusammen. »Er bedient sich eines Mediums. Das ist der Haß.

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Besonders haßvolle Gedanken, Gefühle und Empfindungen dienen ihm als Transportmittel. Er verhält sich dabei überaus listig. Zunächst einmal schleicht er sich auf diesen Haßgedan-ken in diese Welt. Er besitzt eine schwerverständliche Exis-tenzform – er ist unsichtbar. Seine Opfer sind zunächst einmal solche Personen, denen der Haß jenes Menschen gilt, der die Haßgedanken aussendet.«

Sie schaute mich fragend an.»Ich kann Ihnen folgen, Miriam«, sagte ich hastig.Sie fuhr fort: »Er vernichtet diese Personen. Dabei zeigt er

sich als der Grüne Tod. Von seinen Opfern bleiben nur die Ge-rippe, das sagte ich schon. Er macht sich nach einiger Zeit selb-ständig, sucht sich willkürlich Opfer, die in den Gedanken sei-nes Mediums gar nicht vorkommen. Und dann kommt der Augenblick, in dem er sich sogar von seinem Medium löst. Sie kennen doch den Begriff des letzten Gedankens. Stellen Sie sich vor, mit welchem Haß und mit welchem Entsetzen im Herzen seine Opfer starben! Diese letzten Gedanken sammelt und konserviert er, und nun machen sie ihn von seinem bishe-rigen Medium unabhängig. Je mehr Opfer er findet, desto ein-facher ist es für ihn, nach Belieben aus seiner Welt in diese überzuwechseln.«

»Sie wissen sehr genau Bescheid, Miriam. Hat er solche Gast-spiele schon häufiger gegeben?«

»Ja. Er wurde zum Glück immer wieder von den großen Ma-giern zurückgeschlagen. Aber das hat Opfer gekostet. Zuletzt wurde er vor ungefähr fünfhundert Jahren nach ihrer Rech-nung vertrieben. Der Mönch Atwin aus dem Kloster Glaston-bury stellte sich zum Kampf. Atwin war ein Magier. Der Grü-ne Tod riß ihn und das Medium, eine Bauersfrau aus der dorti-gen Gegend, mit hinüber ins Dämonenreich. Von dort ist ein Lebender nie wiedergekehrt.«

Page 104: Die Disko zum Grünen Tod

Diese Warnung verstand ich.Und auch das, was Miriam sonst gesagt hatte. Es war gar

nicht absurd, es hörte sich nur fremdartig an, weil es nicht un-seren gewohnten Denkmodellen entsprach.

Aber deshalb mußte es nicht unmöglich sein.Der Hinweis auf den Mönch Atwin aus Glastonbury half mir

jedoch wenig. Gut, ich mußte höllisch aufpassen, daß es mir nicht ebenfalls so erging wie ihm.

Aber wenn es je Niederschriften über Atwin und den Grünen Tod dort gegeben hatte, waren sie unwiederbringlich verloren.

Denn das Kloster Glastonbury südlich von Bristol war auf Geheiß von Heinrich VIII. niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht worden.

Es hatte sich zu einer bedenklichen Macht im Königreich ent-wickelt, der Abt wetterte öffentlich gegen Heinrichs Heiraten, und angeblich beteiligte er sich auch an einer Verschwörung mit dem Ziel, Heinrich zu ermorden.

Heinrich ließ den Abt hängen und das Kloster mit allem In-ventar vernichten.

Wie es aussah, war ich ganz auf mich allein gestellt.Aber ich besaß doch ein paar Tips durch das Gespräch mit

Miriam. Und die wollte ich nutzen. Dazu war ich eisern ent-schlossen.

Miriam übernahm jetzt die Führung des Gesprächs. Sie steu-erte unsere Unterhaltung weg von dem Grünen Tod und al-lem, was mit ihm zusammenhing.

Das akzeptierte ich. Schließlich war ich nur der Gast.Ich könnte aber nicht behaupten, daß ich mich auch nur eine

Sekunde gelangweilt hätte.Als ich Miriam verließ, wußte ich, was ich zu tun hatte.Beruhigt aber war ich nicht.Wer war das Medium, das der Grüne Tod benutzte?

Page 105: Die Disko zum Grünen Tod

*

Ich fuhr raus zu meiner Wohnung. Dort hatte ich die alten Schriften und Bücher in einem Wandfach verschlossen.

Die Rollen der Mystiker waren mürb und brüchig und die Texte in einem umständlichen Altenglisch mit lateinischen Ein-schüben verfaßt.

Ich fand aber rasch die Stelle, auf die es mir ankam.König Salomon – er hatte ein Zaubermittel besessen, das der

König-Salomon-Spiegel genannt wurde.Die Mystiker gaben Hinweise, wie er diesen Spiegel angefer-

tigt hatte.Ich vermutete, daß auch die Mystiker versucht hatten, den

Spiegel herzustellen. Und daß ihre Versuche gelungen waren.Sie hatten auch bessere Voraussetzungen gehabt.Man brauchte nämlich Eisen vom Schwert oder Beil eines

Henkers, mit dem mindestens sieben Menschen hingerichtet worden waren.

Dieses Eisen formte man zur Nacht und ohne fremde Hilfe zu einer Platte, härtete sie in Milch und Schlangenblut, polierte sie auf einer Seite bis zum Hochglanz, brachte sie noch einmal zur Hochglut und gab sieben Tropfen Schlangenblut darauf.

Diese Eisenplatte mußte man ständig bei sich tragen. Hielt man sie mit der Spiegelseite einem Dämon vor, wurde der durch die Reflektion seiner eigenen bösen Ausstrahlung ver-nichtet, zumindest aber so geschwächt, daß er sich nur retten konnte, indem er sich in sein Schattenreich verkroch.

Ich las den Text dreimal, um Irrtümer auszuschalten.Sorgsam schloß ich die Rollen weg und fuhr nach Whitehall

zurück.Das Wissen hatte ich jetzt, was mir fehlte, war ein Henkers-

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schwert oder ein Richtbeil. Eines, an dem Blut klebte.Sir Horatio mußte mir helfen.Außerdem war Schlangenblut vonnöten, und ich mußte auch

eine Schmelze und eine Werkstatt zur Verfügung haben.Ich gab Barbara Hicks gar nicht die Gelegenheit, mir spitze

Worte zu sagen. Ich meldete mich beim Chef selber an.»Sir Horatio, ich mache Sie zu meinem Komplizen«, eröffne-

te ich ihm. »Wir müssen ein Henkersschwert organisieren.«Er schaute mich düster an. »Soll ich Ihnen auch gleich den

passenden Kopf dazu liefern?«»Gut, daß Sie es erwähnen. Es müssen mindestens sieben

Menschen damit hingerichtet worden sein. Ein Henkersbeil geht natürlich auch.«

»Kleinigkeit!« sagte er ergrimmt. »In London finden ja jede Woche Hinrichtungen statt!« Er schüttelte sich. »Sieben Men-schen mindestens! Mac, ich hoffe, Sie wissen, was Sie sagen.«

»Ich bin geistig durchaus auf der Höhe, falls Sie das meinen. Ich muß etwas herstellen. Dazu brauche ich Eisen, an dem Blut klebt.«

»Und wozu?«»Um etwas in der Hand zu haben, mit dem ich eine Chance

gegen das grüne Skelett besitze. Wir haben es mit einem Dä-mon zu tun. Man nennt ihn den Grünen Tod.«

»Sehr sinnig. Geht es nicht weniger blutrünstig?«»Er ist sozusagen ein Urdämon, Sir, mit christlichen Symbo-

len ist ihm nicht beizukommen. Wir müssen uns übrigens et-was anderes für die Gerippe der Opfer einfallen lassen. In den geweihten Särgen sind sie nicht gut aufgehoben. Sie haben das doch veranlaßt?«

»Selbstverständlich. Hm, was soll denn jetzt mit ihnen ge-schehen?«

»Ich verfüge über kein Patentrezept, aber wir sollten es mit

Page 107: Die Disko zum Grünen Tod

Feuer versuchen.«»Feuer?«»Wir könnten die Überreste umbetten. In eiserne Behälter.

Und an einen Ort bringen lassen, wo sie ständig von Feuer umgeben sind. Ein Stahlwerk oder so, ein Gaswerk, eine Koke-rei oder eine Glasfabrik. Ja, und ich müßte dann noch Schlan-genblut haben und eine Werkstatt, in der ich Eisen schmelzen kann.«

Sein Schnurrbart sträubte sich und verlieh ihm das Aussehen eines sehr gereizten Seehundes.

»Sie sind anstrengend, Mac! Sie strapazieren mich. Stehen noch weitere Kuriositäten auf Ihrem Wunschzettel?«

»Nein, Sir, das wär's eigentlich«, sagte ich und strahlte ihn unschuldig an. »Wie weit sind wir mit Joy Gilligan?«

»Die Daten werden gesammelt. Wir haben zwar eine Menge Möglichkeiten, aber eine Zauberwerkstatt sind wir nicht.«

»Schade«, sagte ich und zog mich in Richtung Tür zurück. »Übrigens, im Tower befinden sich Richtschwerter und Hen-kersbeile, Sir. Aber ich kann doch nicht dort einsteigen und mir eines stehlen.«

»Denken Sie etwa, ich würde das für Sie übernehmen?« schnappte er.

»Sportlich genug wären Sie«, rutschte es mir heraus. »Nein, so kompliziert soll das gar nicht werden. Ich dachte mir, daß Sie Ihre weitreichenden Beziehungen spielen lassen.«

Damit hatte ich ihn am Haken. Er konnte vieles möglich ma-chen, darauf war er immer ganz stolz.

»Bleiben Sie im Haus, Mac, ich will sehen, was ich tun kann.« Er griff zum Telefon, und ich verdrückte mich in mein Büro.

Lange blieb ich nicht allein.Eine Zigarettenlänge später wurde die Tür geöffnet, und Sir

Horatio trat ein.

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Das war geradezu ein Naturereignis. Denn üblicherweise kam er nicht zu seinen Mitarbeitern, sondern bestellte sie zu sich. Ich merkte ihm an, daß etwas passiert war.

»Kommen Sie, Mac!« sagte er nur. Seine Stimme klang ge-preßt. Weitere Erklärungen gab er nicht ab.

Wir benutzten den Fahrstuhl. Seine Uralt-Limousine stand mit Fahrer bereit. Ein Leibwächter quetschte sich noch auf den Vordersitz.

Der Chauffeur schien instruiert zu sein. Er fuhr uns zum städtischen Leichenhaus.

Mir schwante Unheil.Das Gesicht von Sir Horatio paßte dazu.In einem gesonderten Raum standen sieben Särge. Die De-

ckel waren zertrümmert, die Kunstseide, mit der die Totenkis-ten ausgeschlagen waren, teilweise herausgerissen.

Ein Mann im weißen Mantel stand vor uns. Sein Kinn bebte verhalten. Aus Grimm oder aus Angst konnte ich nicht sagen. Er wies auf die zertrümmerten Särge.

»Ich frage Sie, sind das sieben Gerippe?«»Wir können ja noch einmal nachzählen«, schlug ich ah-

nungslos vor.»Dann zählen Sie nur!« giftete er mich an.Ich trat näher – und blieb wie angewurzelt stehen. Die

schwarzen Totenkisten waren leer!Der Grüne Tod hatte seine Opfer gerufen. Die geweihten Sär-

ge hatten dies nicht verhindern können.Ich spürte die Blicke in meinem Rücken.Langsam wandte ich mich um und schüttelte den Kopf. »Da-

mit konnte ich nicht rechnen. Hat man denn nichts gehört?«»Überhaupt nichts«, knurrte der Mann, der so giftig schaute.

»Wir mußten sie ja gesondert stellen. Wir haben es erst merkt, als wir sie umbetten wollten.«

Page 109: Die Disko zum Grünen Tod

Ich verstand. Das Verschwinden der Gerippe war erst aufge-fallen, nachdem Sir Horatio ihr Verbringen an einen anderen Ort befohlen hatte.

Ich wandte mich an ihn. »Wohin sollten sie, Sir?«»In die Glasfabrik von Maidenhead.« Er sah angegriffen aus.

Die Panne nahm er wie eine persönliche Niederlage. »Wir ste-hen wieder am Anfang.«

»Vielleicht auch nicht«, widersprach ich. Und leise und nur für seine Ohren bestimmt fügte ich hinzu: »Feuer scheint in diesen Kreisen jedenfalls höchst unbeliebt zu sein. Unser Freund muß gemerkt haben, daß etwas gegen seine Opfer und Erben im Gange war. Er hat sie vor uns in Sicherheit gebracht.«

»Wohin?«Ich hob die Achseln. Das wußte ich wahrhaftig nicht.Und ich glaubte auch nicht, daß Feuer gegen den Grünen

Tod eine wirksame Waffe war. Miriam hatte keinen Fingerzeig in dieser Richtung gegeben.

Daraus zog ich den Schluß, daß Feuer nur seinen Opfern und Erben und möglichen Vasallen gefährlich war. Ihm nicht.

Wir verließen den kühlen gefliesten Raum und seine düstere Atmosphäre. Als wir wieder im Auto Platz genommen hatten, sagte Sir Horatio: »Ihre Bestellungen wurden ausgeführt, Mac. Mit dem Tower liegen Sie richtig. Den Rest bekommen Sie von uns. Setzen Sie sich gleich mit den Labors in Verbindung.«

Der Leibwächter sperrte sichtbar die Ohren auf.Wir mußten uns etwas verschlüsselt ausdrücken.Kaum in Whitehall zurück, suchte ich die Labors unseres

Vereins auf.Die Kollegen dort waren Wissenschaftler und Techniker.

Ohne sie kamen wir nicht aus.Ich hatte ihnen schon häufig zu Stirnrunzeln und großer Ver-

wunderung verholten. Meine Wünsche waren mitunter son-

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derbar gewesen. Aber ich wußte immer genau, was ich wollte, und sie lieferten es mir.

Oder sie beschafften es.Schlangenblut war da.In dem Raum, in dem sonst Metalle getestet wurden, hatten

sie mir eine kleine Schmelze mit einem Hochleistungsgebläse eingerichtet, das die Erreichung der Schmelztemperatur ga-rantierte.

Eine Fräse war ebenso installiert wie eine Poliermaschine.Sogar an einen Gußkasten mit Formsand hatten sie gedacht.

Damit ich die Platte gießen konnte.»Tja, wir könnten dann wohl beginnen«, sagte ein Techniker

und schaute mich erwartungsvoll an.Ich stutzte. Da war etwas nicht richtig verstanden worden.

Die Leute wollten mir helfen. Das ging aber nicht.Es mußte außerdem Nacht sein.Und überhaupt fehlte noch der wichtigste Gegenstand – das

Richteisen.Ich gab den Leuten die Erklärungen, die ich für erforderlich

hielt, und ließ mir nur die nötigen Handgriffe zeigen, um die Geräte anzuschalten und die Schmelze in Betrieb zu bringen.

Ich registrierte sehr wohl die skeptischen Blicke. Ich empfing einige Gedankenströme. Die Leute hielten mich für jemand, der unter schauerlichen Beschwörungen versucht, Gold oder etwas in der Art zu machen. Auf jeden Fall etwas Geheimnis-volles.

Meinem Image im Haus war das nicht zuträglich. Ich stand ohnehin schon im Ruf, nicht nur ein Geisterjäger, sondern auch ein Hexenmeister zu sein.

Das war keine sehr belustigende Situation.

*

Page 111: Die Disko zum Grünen Tod

Es war ein Richtbeil. Blut klebte im übertragenen Sinne daran.Sechzig Jahre lang hatte es die ständige Ausstellung im

Tower geziert und den Betrachtern ein Gruseln verschafft.Den Stiel hatte man jetzt entfernt und nur das Eisen einge-

packt.Sorgsam schloß ich den Deckel des Kastens wieder. Noch

war es Tag, ich durfte mit der Arbeit nicht beginnen. Der Er-folg war sonst in Frage gestellt.

Ich telefonierte mit Kathleen, Ich verabredete mit ihr, daß ich sie um neun Uhr abholte. Dann lief der Betrieb im ›Magic Flower‹ schon Ich schätzte, daß drei oder vier Stunden aus-reichten, um mir einen ersten Überblick zu geben.

Danach wollte ich den König-Salomon-Spiegel herstellen.Und dann konnten weitere Besuche in der Disko zum Grü-

nen Tod folgen. Denn dann hatte ich eine brauchbare Waffe.Die Disko zum Grünen Tod!Ich hatte es einfach so gedacht. Ein Schauder lief mir über

den Rücken. Die Bezeichnung stand für grenzenloses Entset-zen und unfaßbare Grausamkeit.

Der Dämon war eine tödliche Gefahr.Ich war entschlossen, diese Gefahr zu suchen, nicht, vor ihr

davonzulaufen. Denn das war der einzige Weg, wieder mit dem Grünen Tod zusammenzutreffen.

Ich konnte ihn nicht locken.Die Chance mit den Gerippen seiner Opfer war vertan. Ich

hatte sie nicht erkannt.Deswegen machte ich mir aber keine Vorwürfe. Ich war ja

nicht allwissend.Gerade, als ich den Kasten mit dem Richtbeil wegschloß, läu-

tete das Telefon.Sir Horatios Stimme klang gedrückt. »Mac, eben ruft das

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Sankt-Bartholomäus-Hospital an. Dieses Mädchen, das mit ei-nem Schock eingeliefert wurde, ist vom grünen Skelett ent-führt worden.«

Vor Schreck fiel mir fast der Hörer aus der Hand. »Jessica Townsend?«

»So ist der Name, richtig. Mac, die Dinge sind außer Kontrol-le geraten. Erst die Gerippe, jetzt das Mädchen. Tun Sie was!«

»Sir, ich bin dabei, aber ich kann nichts übers Knie brechen. Wie ist das im Hospital passiert?«

Er atmete heftig. »Eine Pflegerin sah plötzlich einen rotieren-den grünen Nebel im Zimmer. Daraus schälte sich das grüne Skelett. Es faßte Jessica Townsend bei der Hand und half ihr aus dem Bett. Sie muß einen total abwesenden Eindruck ge-macht haben. Widerstand hat sie nicht geleistet. Das Skelett verwandelte sich in den Wirbel zurück. Dieser Nebelwirbel hüllte auch das Mädchen ein, und im nächsten Moment war es verschwunden. Das ist alles, was man der Pflegerin entlocken konnte. Jetzt steht sie unter einem schweren Schock.«

»Kann ich mir denken. Sir, ich mache mir im Augenblick um Jessica Townsend keine großen Sorgen. Der Grüne Tod hat sie nicht angegriffen. Das ist ein gutes Zeichen.«

Sir Horatio schnaubte. »Dann sind Sie der einzige Mensch, der dem unglaublichen Vorfall einen positiven Aspekt abge-winnt!«

»Ich widerspreche Ihnen nicht, Sir.«»Warum nicht?«»Weil ich etwas weiß, über das ich nicht sprechen kann.«»Hören Sie, Sie sind verpflichtet…«»Meinem Gewissen, Sir, nur meinem Gewissen!«Ich hörte sein Ächzen. Dann legte er einfach auf. Er hatte mir

völlig freie Hand gegeben. Ich ließ mich jetzt nicht unter Druck setzen. Auch nicht von ihm.

Page 113: Die Disko zum Grünen Tod

Ich dachte an das, was Miriam mir gesagt hatte.Der Grüne Tod folgte den Gedanken seines Mediums zu sei-

nen Opfern.Jessica Townsend war aber nicht zum Gerippe gemacht wor-

den. Der Grüne Tod hatte sie entführt.Daraus folgerte ich, daß das Medium das Mädchen nicht

haßte. Der Grüne Tod hatte dieses Gefühl respektiert. Noch!Wenn ich diese Überlegung weiterführte, konnte ich sogar

sagen, daß der Grüne Tod das Mädchen für sein Medium in Si-cherheit gebracht hatte.

Dieser Zustand konnte sich schlagartig ändern. Wenn der Dämon sich verselbständigte.

Er brauchte dann kein Medium mehr.Er konnte sich seine Opfer überall holen.

*

Verwirrt und ängstlich schaute sich Jessica um.Sie befand sich in einer völlig fremden Umgebung. Ein Zim-

mer, aber nicht das im Hospital.Ganz plötzlich war sie unendlich müde und schläfrig gewor-

den. Sie meinte, geschwebt zu sein. Als sie die Augen auf-schlug, stand sie hier in diesem Zimmer.

Sie kannte es nicht. Es war ihr unheimlich, denn über allem lag ein grüner Schimmer. Wie Dunst.

Sie betrachtete das Regal mit den Büchern darin.Vielleicht steht ein Name drin, dachte sie.Als sie sich dem Regal näherte, verdichtete sich der grüne

Dunst sofort und verwehrte ihr den Zugang zu den Büchern. Sie stieß wie gegen ein elastisches Netz.

Ihr wurde bang.Sie verstand das nicht und hetzte zur Tür.

Page 114: Die Disko zum Grünen Tod

Sofort zog sich der grüne Dunst dort zusammen und hinder-te sie, die Hand nach der Tür auszustrecken.

Mit einem gequälten Schrei warf sich Jessica herum und lief zum Fenster.

Ich muß um Hilfe rufen! hämmerte es in ihrem Kopf. Das ist ja gräßlich, was hier geschieht! Jemand wird mich doch hören und hier befreien!

Gedankenschnell sammelte sich der grüne Dunst vor dem Fenster und stoppte Jessica. Er wurde so dicht, daß er das Ta-geslicht stark dämpfte.

Das Mädchen war nicht in der Lage, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Es konnte nicht feststellen, wo es sich be-fand, was draußen war. Geschäfte vielleicht. Eine markante Straße. Oder ein Gebäude mit besonderen Kennzeichen.

Jessica stieß einen gellenden Schrei aus, als ihr aufging, daß sie gefangen war.

Sie rannte wie von Sinnen, immer wieder gegen diesen dich-ten grünen Dunst an, der sich vermehrte und dichter wurde.

Das geisterhafte Schauspiel zerrte an den Nerven von Jessica. Das Begreifen, einer geisterhaften unheimlichen Macht auslie-fert zu sein, brach ihren Widerstand.

Schluchzend ließ sie sich auf dem Boden nieder, nachdem sie einsah, daß es kein Entrinnen gab.

Sie glaubte nun auch nicht mehr, daß man ihre Schreie au-ßerhalb der Wohnung gehört hatte. Der entsetzliche grüne Dunst schien sie alle aufgesogen und geschluckt zu haben.

Sie wußte nicht, wie lange sie so kauerte. Sie besaß kein Zeit-gefühl.

Aber plötzlich spürte sie, daß sie nicht allein war. Jemand be-obachtete sie. Sie warf den Kopf herum. Ihre Blicke irrten durch die Wohnung.

An einer Stelle hatte sich der grüne Dunst so verdichtet, daß

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dahinter nicht einmal die Wand zu sehen war. In der Zusam-menballung wogte und wallte es heftig. Dann begann der Dunst zu rotieren.

Jessica schrie in Todesangst und schloß die Augen, als dort ein grünes Skelett entstand.

Der Anblick war zuviel für sie.Im Hospital hatte sie Gespräche mitbekommen, In den Zei-

tungen hatte etwas von einem geheimnisvollen grünen Skelett gestanden, das Menschen umbrachte. Die Pflegerinnen hatten sich darüber unterhalten.

Und Julian war doch in ein grünes Gerippe verwandelt wor-den!

Mit einem tiefen Seufzer sank Jessica zur Seite.Der Grüne Tod stand bewegungslos und schaute das ohn-

mächtige Mädchen nur aus seinen leeren Augenhöhlen an.Er hatte Zeit. Und grenzenlose Geduld. Er konnte warten.Nach einiger Zeit regte sich Jessica.Sofort war der Grüne Tod interessiert. Er kam zwei Schritte

näher. Das Mädchen hörte etwas und erstarrte. Diese grausige Erscheinung war noch immer da!

Sie rutschte auf dem Boden von ihr fort.»Was – was willst du?« fragte sie mit bebender Stimme, die

von der Furcht fast abgewürgt wurde.»Dich«, sagte der Grüne Tod, »dich will ich.«Entsetzt faßte sich Jessica ans Herz. Ihre Augen waren weit

aufgerissen.»Nein – bitte, nicht!« stammelte sie.Der Grüne Tod machte eine langsame Handbewegung.

»Noch nicht«, tönte es aus seinem leeren Schädel. »Du brauchst dich nicht zu fürchten.«

»Du bringst mich um!«»Das ist nicht wahr! Ich liebe dich, du gehörst mir. Bald!«

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Der Totenschädel wackelte Jessica war drauf und dran, den Verstand zu verlieren. Dieses grausige Totengespenst liebte sie? Das war doch gar nicht möglich! Das durfte doch nicht wahr sein!

»Laß mich hier raus – du Scheusal!« schrie sie den Grünen Tod an. »Ich hasse dich! Ich verabscheue dich!«

»Hassen!« Der Grüne Tod legte den Schädel auf die Seite. Er kicherte unheimlich. »Du wirst mich auch lieben, du wirst es lernen, das verspreche ich dir.«

»Niemals!« Jessica sprang auf. Sie warf sich in Richtung Tür. Aber schon war wieder der grüne Dunst da und stoppte ihren Fluchtversuch.

»Hier kommst du nur heraus, wenn du in meinen Vorschlag einwilligst«, sagte der Grüne Tod. »Du kannst darüber nach-denken.«

Er lachte, und es hörte sich boshaft an.Dann verwandelte er sich in den rotierenden Nebel und löste

sich auf. Aber der grüne Dunst blieb im Raum zurück und ver-teilte sich ringsum an den Wänden.

Aus tränenblinden Augen starrte Jessica um sich.Sie war die Gefangene dieses grausigen Skeletts! Sie war ihm

ausgeliefert! Es gab keine Aussicht auf Rettung.Sie schaute auf die bunten Plakate an den Wänden und sah

sie doch nicht.Der grüne Dunst lag darüber.Die Plakate zeigten Popstars, Rockgruppen, Bands.Viele trugen sogar handschriftliche Widmungen.Jessica sah die Namen nicht.

*

Kathleen war tatsächlich fertig, als ich sie gegen neun Uhr ab-

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holte.Ich hatte mich für das ›Magic Flower‹ etwas aufgemöbelt, ich

wollte dort ja nicht als Oldtimer unliebsam auffallen. Aber ge-gen Kathleen kam ich mir vor wie Winston Churchill in Ju-gendjahren – solide, aber großväterlich und viel zu brav.

Was ich von ihrem Aufzug nicht sagen konnte.Sie hatte sich einen schneeweißen Hosenanzug übergepellt.

Mit Reißverschluß vorne. Und den hatte sie fast bis zum Nabel aufgezogen.

Sie beobachtete mich und meine Reaktion und meinte belus-tigt: »Etwas anderes als deine Barbara Hicks ist das natürlich schon. Wie findest du's?«

Mit ihr angeben konnte ich im ›Magic Flower‹ wie zehn nackte Wilde im Busch, das war sicher.

»Du siehst wie ein Bonbon aus«, lobte ich.»Bitte?«Ich grinste. »Du verlockst zum Auspacken.«»Frechling!« Sie setzte mir ihre kleine Faust gekonnt auf die

Rippen. »Außerdem ist das kein Vergnügungsabend.«»Wer sagt das?«»Du hast es gesagt, Mac. Die Einladung und der Besuch sind

dienstlich. Also, was ist – bist du nun im Dienst oder nicht?«»Das ist hier die Frage«, meuterte ich. »Ich glaube, es ist

Dienst.«Kathleen schmiegte sich schnurrend wie eine Katze an mich.

»Wir können den Abend ja in einen dienstlichen und einen pri-vaten Teil spalten.«

Das klang verheißungsvoll. Aber leider konnte ich davon kei-nen Gebrauch machen.

»Später bin ich auch im Dienst. Privater Teil ist nicht.«»So?« Ihre Augen funkelten kriegerisch, mißtrauisch und

wachsam.

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»Ich absolviere einen Schnellkursus im Eisengießen«, erklär-te ich.

Kathleen riß mich am Ellbogen zu sich herum. »Spinnst du? Mitten in der Nacht?«

»Wir vom Service sind begeisterte Nachtarbeiter, wußtest du das nicht?«

»Du kannst mir viel erzählen!«Ich legte theatralisch die Hand aufs Herz. »Jetzt sage ich ein-

mal die Wahrheit, und selbst da glaubst du mir nicht!«»Wenn ich feststelle, daß du vom Eisengießen Lippenstiftfle-

cken kriegst, erschieße ich dich mit Nadel und Faden!« drohte sie.

»Aber bitte vorher einfädeln.«Ich schnappte sie mir und trug sie lachend die Treppe hinun-

ter.Als wir am ›Magic Flower‹ anlangten, hatte der Rummel

schon begonnen.Ich ließ die Besucher ein wenig an mir vorbeiströmen, damit

ich mich einstimmen konnte. Kathleen schien da entschieden weniger Schwierigkeiten zu haben. Ich schätzte, der Umgang mit ihrer Kundschaft machte das.

Daß sie zum Anbeißen aussah, entging anderen Männern auch nicht.

Ein Bursche mit Gehänge im Ohr und Diamant im Nasenflü-gel machte sich an sie ran und empfahl mir, ich sollte mich ab-seilen.

Ich empfahl ihm, schon mal das Seil zu holen. Der Ratschlag machte ihn vorsichtig –

Er nannte mich einen Lustmolch und verschwand im Ein-gang.

Kathleen amüsierte sich. Der Abend versprach heiter zu wer-den.

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Zwei Yard-Beamte kamen an. Ich hatte sie am Vormittag hier gesehen. Wir wechselten ein paar höfliche Worte. Sie waren auch dienstlich hier. Sie warteten noch auf einen Kollegen, wie sie mir mitteilten, der gestern mit einem anderen Kollegen in der Disko gewesen war, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Mot-ley Babington dem Grünen Tod zum Opfer fiel und nachdem man wußte, daß der Taxifahrer das ebenfalls in Skelette ver-wandelte Pärchen hier vor der Tür aufgenommen hatte.

Ich wunderte mich zwar, was sie da noch ermitteln wollten, aber ich hatte Ihnen keine Vorschriften zu machen. Und warum sollten sie nicht mal auf Spesen einen Abend im ›Magic Flower‹ verbringen dürfen?

Ich führte Kathleen hinein. Wir mußten die Gesichtskontrolle über uns ergehen lassen.

Dann erfolgte der Straßenraub in Form der Bezahlung einer Eintritts- und Lustbarkeitssgebühr.

An der Wand hing eine Speise- und Getränkekarte zur geflis-sentlichen Einsichtnahme. Ich überflog das Druckwerk.

Ich schätzte, daß jemand in meiner Einkommensklasse, der hier mal tüchtig auf den Putz hauen wollte, eine Druckmaschi-ne mitbringen mußte, damit er unterm Tisch fix das erforderli-che Geld herstellen konnte.

Hundert Pfund hatte ich eingesteckt. Schmerzvoll dachte ich daran, daß wohl nicht viel davon übrigblieb.

Der Laden war allerdings sein Eintrittsgeld wert. Ich hatte ihn am Morgen außer Betrieb gesehen. Jetzt wimmelte es von Gästen in allen Ecken und Sitzgruben, auf den Tanzflächen und vor den Theken.

Eine Musik dröhnte mir um die Ohren, daß ich an den Be-ginn des Jüngsten Gerichts glaubte. Auf dem Wasserbecken fuhren tatsächlich Tanzplattformen spazieren, Fontänen spran-gen bis unter die Decke, ein sagenhaftes Lichtspektakel zuckte

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mir in die Augen. Sogar Laserblitze schossen in einem raffi-nierten Spiegelsystem herum.

Meine Absicht, mit Kathleen herumzustrolchen, gab ich schnell wieder auf. Bestenfalls konnte man sich herumschie-ben lassen. Und immer noch drängten Gäste herbei.

Ich entdeckte bekannte Gesichter, die ich niemals hier ver-mutet hätte. Leute aus dem Bankenviertel.

Kathleen traf Freunde, Kundschaft und Bekannte.Ich organisierte Drinks. Als ich zurückkam, stand ich dumm

da mit den Gläsern. Kathleen tanzte auf einer schwimmenden Plattform und winkte mir aufgekratzt zu.

Ich parkte die Gläser an einer Sitzgrube und flirtete auf Di-stanz mit einer Rothaarigen.

In meiner Nähe hörte ich eine bekannte Stimme. Es war einer von den Yard-Inspektoren. Seine Kollegen waren bei ihm. Ich wandte mich um, ich wollte für mich bleiben.

Meine Ohren verstopfen konnte ich allerdings nicht.Ich hörte, wie er sagte: »Was ist denn mit dem los? Ist der

blau?«»Ach, nicht die Bohne«, antwortete eine andere Stimme. »Der

hat uns gestern abend schon einen gehörigen Schrecken einge-jagt. Saß leichenblaß und mit geschlossenen Augen da, und als ich ihn angefaßt habe, war er eiskalt. Wie tot, ehrlich. Nicht mal einen Puls hat er gehabt.«

Das interessierte mich aber stark. Ich schaute doch hin. Der Mann, der das sagte, schien der erwartete dritte Kollege zu sein. Der, der mit einem anderen gestern erste Ermittlungen geführt hatte.

»Aber dann ist der Puls doch gekommen, und der Kerl hat die Augen aufgemacht und mir ins Gesicht gesagt, er sei völlig in Ordnung. So was ist mir noch nie passiert«, fuhr er fort.

Alle drei schauten zur Seite der Disko. Ich folgte der Blick-

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richtung.Dort entdeckte ich Gäste und diese Kommandozentrale, die

für den Musiklärm und das übrige Spektakel verantwortlich war. Ein junger Mann saß dort wie eine Figur aus dem Wachs-kabinett.

»Entschuldigen Sie, meinen Sie den Diskjockey?« wandte ich mich an den Mann.

Er schaute mich ergrimmt an. Ich wurde mit ihm bekannt ge-macht.

»Ach, Sie sind Kinsey?« Er schien enttäuscht zu sein. Viel-leicht wäre ihm wohler gewesen, wenn ich zwei Nasen oder so gehabt hätte.

In Person, garantiert nicht ausgestopft«, sagte ich nicht sehr freundlich. »Bitte, wen meinen Sie?«

»Na, den Diskjockey! Sagten Sie doch gerade auch, Kinsey!«»Wer ist das?«»Cecil Bigelow. Man nennt ihn hier Cil.«Ich sprintete los, denn Bigelow saß noch immer da wie ein

Toter. Wahrhaftig!Ich sorgte für Unruhe. Rennen war hier verpönt. Mir war das

völlig gleichgültig.Ich erreichte keuchend den Kommandostand und faßte den

jungen Mann am Handgelenk.Eiskalt!Puls hatte er auch keinen.Seine Haut war fahl und trocken.Unter normalen Umständen hätte ich gesagt, daß er tot ist.Ich rüttelte an seinem Arm.Zwei Finger hielt ich dort, wo ich seinen Puls erwarten durf-

te.Er kam. Ziemlich heftig sogar. Er schlug die Augen auf, und

im selben Moment raste, die erste Pulswelle heran.

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Ich beobachtete seine Augen. Für eine halbe Sekunde sah ich darin einen Ausdruck von Haß und Wut.

»Ist Ihnen nicht wohl?« fragte ich.Er lachte. Es war ein herzliches und unbefangenes Lachen.

»Sir, ich bin bei bester Gesundheit, wie Sie sehen!« Er hantierte sofort an seinen Schalttafeln und Maschinen herum.

Wahrscheinlich habe ich kein sehr intelligentes Gesicht ge-macht.

Ich verstand nicht, wie es ging, daß jemand Leichenkälte ver-strömte und keinen Puls hatte und im nächsten Moment quicklebendig mir ins Gesicht lachte.

Wo hätte er allerdings auch sonst hinlachen sollen?Ich schaufelte mich zurück. Die Männer vom Yard waren

noch da, meine Drinks nicht. Aber die Rothaarige prostete mir ein wenig zu auffällig zu.

Nach zehn Minuten legte die Schwimmplattform wieder an, und Kathleen kam herunter. Das Wasserbassin wurde jetzt für andere Dinge benötigt.

Zwei dreiviertelnackte Mädchen boten Verrenkungsspiele im Wasser.

Danach sang ein bärtiger Troubadour. Ich beobachtete ihn und den Diskjockey Cecil Bigelow.

Sie türkten aber nichts zusammen. Der Junge auf der Platt-form sang live. Und gut.

Als wieder getanzt werden konnte, schleppte mich Kathleen herum und verordnete mir Lockerungsübungen. Wir probier-ten sämtliche Tanzflächen aus.

Meine Blicke galten aber weniger meiner Begleiterin als mehr Cil Bigelow.

Er benahm sich völlig normal. Aber was ich gesehen und ge-fühlt hatte, ließ ich mir nicht als Sinnestäuschung andichten. Auch dieser Ausdruck von grenzenlosem Haß in seinen Au-

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gen war vorhanden gewesen. Nur flüchtig, aber immerhin.Was Miriam über das Medium des Grünen Todes gesagt hat-

te, war in mein Gedächtnis gebrannt. Das Medium mußte je-mand sein, dessen Haß grenzenlos und so groß war, daß der Dämon ihn benutzen konnte. Wie einen Leitstrahl etwa.

Ich versuchte, mit meiner ›Gabe‹ etwas über ihn und seine Gedanken zu erfahren.

Mit dem Ergebnis war ich nicht zufrieden. Zu viele Gedan-kenmuster schwirrten herum. Kein Wunder bei dieser An-sammlung von Menschen.

Unauffällig bugsierte ich Kathleen näher an die Jockeyzen-trale heran. Ich konzentrierte mich und stöberte auf medialem Weg in seinen Gedanken.

Ich sauste wie in ein tiefes Loch hinein.Fehlanzeige!Aber dann war da doch etwas. Ein Zimmer! Nein, es waren

zwei. Und ganz gegensätzlich. Eines wie ein Büro. Das andere wie eine Wohnung. Mit jemand darin.

Die Gedankenströme waren so intensiv, so durchschlagend, daß ich mit ihnen Bilder verband. Aber das waren keine Wunschbilder von mir. Das waren Bilder, die demjenigen vor-schwebten, von dem die Gedankenströme kamen.

Sie pendelten bei ihm. Mal war das Büro bevorzugt, dann der Wohnraum.

In der Wohnung vermochte ich jetzt ein Gesicht zu sehen. Ein Mädchengesicht, unsagbar schön und lieblich. Das sah mir nach einer Verklärung aus, nach einer Wunschvorstellung.

So was gab's in Wirklichkeit gar nicht.Wieder folgte der Wechsel zum Büro. Ich fixierte Cil Bigelow.Plötzlich zuckte ich zurück. Im Büro war etwas Grünes – un-

ter dem Schreibtisch. Ein Gerippe!»Mache ich dich nervös?« drang Kathleens Stimme bei mir

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durch. »Du zuckst so.«»Moment!« Ich blieb stehen. Der Diskjockey hatte wieder die

Augen geschlossen.Er öffnete sie unverhofft – und schaute genau zu mir her.Und dann zerriß es mir fast den Schädel!

*

»Raus!« keuchte ich und hängte mich an Kathleen, weil ich fürchtete, im Boden zu versinken. »Bring mich raus – schnell!«

Sie fragte nicht lange, sie handelte.In meinem Kopf wühlte und wütete es wie Feuer. Dabei

nahm ich alles in meiner Umgebung wahr.Ein Mann sagte hämisch: »Noch nicht Mitternacht und schon

vollgesoffen, alle Achtung!«Je näher wir dem Ausgang kamen, desto geringer wurde der

Schmerz. Er hörte schließlich ganz auf.Ich wollte dieses Experiment aber nicht wiederholen.»Was war denn mit dir los?« Kathleen stützte mich noch vor-

sorglich.»Es ist alles wieder in Ordnung. »Ich wischte mir das Gesicht

trocken. »Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man dir bei lebendigem Leib das Gehirn herausreißt?«

»Ich glaube nicht.«»Ich habe einen Geschmack davon bekommen. »Ich klopfte

eine Zigarette aus der Packung und rauchte. Meine Finger zit-terten.

Daran merkte Kathleen, daß ich kein Theater spielte.»Wir gehen besser«, schlug sie vor.Ich war eigensinnig. Ich schüttelte den Kopf. »Noch nicht.

Wir gehen gleich wieder rein. Bei dem Eintrittsgeld, hör mal! Außerdem muß ich da noch etwas überprüfen.«

Page 125: Die Disko zum Grünen Tod

»Tu's nicht, Mac, ich bitte dich.« Kathleen wußte von meiner ›Gabe‹. Darum hatte sie drinnen so schnell reagiert.

»Es ist meine Schuld«, gestand ich. »Ich habe geräubert, wie man so sagen könnte. War voll auf Empfang. Darum hat es bei mir eingeschlagen wir der Blitz in den Kirchturm.«

»Du bist kein Kirchturm!«»Das habe ich gemerkt. »Ich rauchte die Zigarette zu Ende,

und dann gingen wir zurück.Diesmal blockte ich meine eigenen Gedankenströme ab. Zu

meiner Sicherheit.Eines wußte ich genau – mit Cil Bigelow war mehr los, als

man auf den ersten Blick von dem jungen Mann annehmen mochte. Mit dem stimmte eine ganze Menge nicht.

Das wollte ich jetzt herausfinden.Und ich hatte einen Anhaltspunkt. Ein Büro mit einem grü-

nen Gerippe unter dem Schreibtisch!Die Inspektoren vom Yard kreuzten unsere Bahn. Die kamen

mir gerade recht.»Wir sollten uns mal hinten umtun«, schlug ich vor. »Es ist so

eine Idee von mir.«Das war es wirklich. Ich hatte keine Ahnung, wo sich dieses

Büro befand. Aber die nächsten Büros waren hier im Haus. Und in einem hatte man nicht nur Rauschgift, sondern auch zwei grüne Gerippe gefunden. Meist waren die einfachsten Dinge auch die besten.

»Einfach so?« Den Inspektoren war die Sache nicht geheuer.»Es ist keine Durchsuchung. Wir machen nur einen Besuch.

Einer wird ja da sein – Furlong oder Wynter oder Medway«, sagte ich so daher. Damit räumte ich die Bedenken aus.

Zu einem Besuch benötigte man keinen Schein vom Staatsan-walt und keine richterliche Anordnung.

»Ich komme mit«, sagte Kathleen bestimmend.

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Ihr das auszureden war zwecklos, ich kannte sie.Wir sickerten getrennt in den Hintergrund. Ich paßte auf,

daß ich nicht wieder einem medialen Angriff fast erlag.Aber Cil Bigelow schien gar nicht mit meiner Rückkehr ge-

rechnet zu haben. Er hatte mich am Arm von Kathleen hinaus»wanken sehen. Das war es wohl, was ihn täuschte.

Ihn oder das, was in ihm wohnte.Ich wollte meinen zerrupften Mantel darauf wetten, daß es

der Grüne Tod war. Cil Bigelow war nur das Medium.Hinten sammelten wir uns wieder. Wir tappten natürlich ei-

nem Angestellten vor die Füße, der sich nicht wenig wunderte und sich auf Streit einstellte.

Der Krach lockte Thomas Furlong auf den Gang.Er verzog schmerzlich das Gesicht und bedeutete dem Ange-

stellten, daß die Sache schon in Ordnung sei.Dann musterte er uns und zog Kathleen fast mit Blicken aus.

»Tolle Puppe«, lobte er. »So was finden Sie eben nur bei uns.«»Irrtum«, knurrte ich ihn an.« Selber mitgebracht. Wer ist

noch hier von der hohen Geschäftsleitung?«»Warum?« Er wurde bockig.»Nur so.« Ich versuchte es mit einer harmlosen Miene, aber

er glaubte mir gar nichts.»Werden Sie hier dienstlich?« Er wandte sich an die Inspek-

toren. »Wer ist der Komiker? Hat der was zu sagen?«Ich kam ihnen zuvor und enthob sie ihrer Gewissensnöte.

»Ich bin ein begeisterter Gast Ihres Laserblitztempels. Alles sehr nett, wirklich. Also, wer ist da? Sam Medway? Oder Geor-ge Wynter? Oder beide?«

Daß ich die Namen seiner Partner nannte, verwirrte ihn.Maulend bekannte er: »Sam ist da.«Mir schmeckte nicht, daß Medway dann nicht die Nase aus

der Tür steckte. Den Krach, den wir machten, konnte nur ein

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Tauber ignorieren.»Wo?« fragte ich scharf.An meinem Ton merkten die Inspektoren, daß wohl etwas

faul war.Furlong wies auf die nächste Tür.Ich war mit einem Satz davor, riß sie auf – und dann wußte

ich Bescheid.Die drei Inspektoren drängten heran. Und Furlong. Kathleen

wollte auch etwas sehen.»Geh da besser nicht rein«, sagte ich und faßte sie an der

Schulter.Unter dem Schreibtisch hatte ich ein grünes Gerippe gese-

hen.Mehr war von Sam Medway nicht übriggeblieben.

*

Der Abend war Kathleen und mir gründlich verdorben.Ich fuhr sie heim und kehrte nach Whitehall zurück.Es wurde Zeit, daß ich den König-Salomon-Spiegel herstellte.

Es war Nacht. Nur dann gelang er.Ich kam gut voran. Ein Glück, daß ich mir die verschiedenen

Handgriffe hatte zeigen lassen.Mir wollte es allerdings wie eine Ewigkeit vorkommen, bis

ich das Richtbeil schmelzen sah.Blasen stiegen auf. Das war unüblich. Ich band mir eine Bril-

le vor.Nach einer Stunde konnte ich den Guß vornehmen.Der Formsand knackte und dampfte.Aus Milch und Schlangenblut rührte ich zu gleichen Teilen

die Härtungslösung an.Die gegossene Platte, die ich darin dann ablöschte, vibrierte

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in der Zange, daß es mir den Arm durchschüttelte.Ich beobachtete noch ein weiteres Phänomen.Als ich mit dem Löschen und Härten fertig war, hatte sich

der letzte Tropfen der zubereiteten Flüssigkeit aufgebraucht. Es war ausgeschlossen, daß die gesamte Menge verdampft war.

Die sauerste Arbeit stand mir noch bevor. Das war das Glät-ten.

Ich mußte erst einmal fräsen. Dann kam die Feinbehandlung, was mich fast zwei Fingerkuppen kostete.

Mit Grausen dachte ich an die Menschen, die einst unter die-sem Eisen gelegen hatten. Die hatte es viel mehr gekostet.

Es war schon nach fünf Uhr, als ich den Spiegel so weit hatte, daß ich mich darin betrachten konnte.

Ich brachte die bearbeitete Platte noch einmal zum Glühen und gab die vorgeschriebenen sieben Tropfen Schlangenblut darauf.

Nach allen Erfahrungen von Chemie und Physik hätte es zi-schen und spritzen müssen.

Die Gesetze der Naturwissenschaften hatten hier offensicht-lich keine Gültigkeit. Der rotglühende Eisenspiegel sog die Blutstropfen lautlos auf!

Er verschluckte sie regelrecht.Ich war ja auf einiges gefaßt, darauf allerdings nicht.Aber ich hütete mich, zu sprechen. Oder an dem zu zweifeln,

was ich sah.Ich ließ das Eisen auskühlen und säuerte es dann, damit ich

es bei mir tragen konnte.Dort, wo ich das Schlangenblut aufgesaugt hatte, waren sie-

ben rote Punkte zu einem Kreis geordnet.Ich glaubte jetzt ganz fest daran, daß ich den richtigen Kö-

nig-Salomon-Spiegel geschaffen hatte.

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So harmlos er auch aussah, laut Miriam und vor allem nach den Schriften der Mystiker war er ein sehr nützliches Instru-ment.

Ich wußte, was er in erster Linie war.Eine Waffe gegen den Grünen Tod.Die einzige Waffe!

*

Es lohnte gar nicht, daß ich noch nach Hause fuhr.Ich klemmte mich in einem Bereitschaftsraum aufs Ohr.Unrasiert und zerknittert und mit Sachen am Leib, die nicht

der Kleiderordnung von Whitehall entsprachen, tauchte ich im Vorzimmer von Sir Horatio auf.

Die fehlenden Zeitungen signalisierten mir, daß er in seinem Büro war.

Barbara Hicks schaute mich an wie einen toten Vogel, den die Katze hereingetragen hat. »Hatten Sie gute Einnahmen?« fragte sie dann spitz.

»Bitte?«»Na, als irgend etwas müssen Sie ja aufgetreten sein – als

Bettelmusikant oder so was.«»Nein, ich war letzte Nacht Preistänzer, meine Liebe.«Ich verschwendete ein Lächeln an sie und sah, daß ich sie in

größte Verwirrung gestürzt hatte. Mit dem Preistänzer kam sie nicht zurecht.

Weiß der Teufel, wie Sir Horatio es herausgefunden hatte. Vielleicht hatte er auch gelauscht. Als ich eintrat, sagte er: »Sie sollten Miß Hicks nicht zanken, Mac.«

»Ich? Sie zankt mich! Dauernd hackt sie auf mir herum. Aber vielleicht braucht sie das. – Guten Morgen, Sir!«

Er neigte den Kopf. Dann musterte er mich.

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Ich klopfte auf eine Wölbung auf der rechten Hüfte. »Ich habe eine Nachtschicht eingelegt. Eine doppelte. Ich war näm-lich auch in der Disko des Grünen Todes.«

»Bitte!« Mein Chef hob flehend die Hände. »Vermeiden Sie diesen gräßlichen Ausdruck.«

»Das läßt sich einrichten, Sir, es ändert aber nichts an den Fakten. Er hat wieder zugeschlagen. Das Opfer ist Sam Med-way. Scotland Yard hat das Gerippe sichergestellt und auf mei-ne Bitte hin in die Glasfabrik gebracht.«

Er wurde blaß. Über meinen Aufzug sah er zum Glück hin-weg. Er war nicht der Mann, der sich über Äußerlichkeiten aufregte.

Ihn interessierten Fakten. »Und?«Meinem Gesicht mußte er ansehen, daß ich schlauer war als

er.»Ich glaube, ich hab's jetzt, Sir. Das Medium, das der Grüne

Tod benützt, auf dessen Haßgedanken er reitet und seine Op-fer findet. Es handelt sich um einen jungen Mann. Er arbeitet im ›Magic Flower‹ als Diskjockey. Cecil Bigelow ist der Name.«

»Was?« Er starrte mich an, dann zog er eine Mappe heran. »Das hätten wir aber auch früher wissen können. Hier – sehen Sie mal!« Er schob mir die Mappe zu.

Sie enthielt alle Daten und Fakten von Joy Gilligan. Die Un-terlagen waren endlich komplett und vom Computer ausge-druckt.

Als ich las, begriff ich.Joy Gilligan war verheiratet gewesen. Sie hatte nach der

Scheidung ihren Namen behalten. Geboren war sie aber als Joy Bigelow!

Sie war die Schwester von Cil Bigelow.Sie hatte etwas mit James Gardiner gehabt. Ich war jetzt

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überzeugt, daß der darum hatte sterben müssen.Und jetzt ergab es auch einen Sinn, daß der Grüne Tod zwar

den russischen Agenten umgebracht hatte, als der Joy in das Auto hatte zerren wollen, ihr aber nichts geschehen war. Im Gegenteil, der Grüne Tod hatte ihr die Hand gereicht und sie weggeführt.

Und Zubinassian hatte es beobachtet und war als Zeuge be-seitigt worden. Wie es mit mir auch um ein Haar geschehen war.

Das konnte nicht allein durch die Haßgedanken von Cil ge-schehen sein. Vieles, aber nicht alles. Mich hatte er ja da noch gar nicht gekannt.

Ich deutete die Zeichen richtig. Der Grüne Tod begann, sich selbständig zu machen. Er löste sich von Cil. Ganz schaffte er es noch nicht, unabhängig seine Opfer zu suchen. Er benötigte noch eine Basis.

»Schnell, Sir, ich brauche Ihre Leitung.«Er deutete aufs Telefon.Ich rief meine Freunde von Scotland Yard an.Zehn Minuten später hatte ich die Adresse von Cil Bigelow.

*

Das Haus sah unverfänglich aus.Ich überlistete das Schloß der Haustür mit meinem Besteck

und pirschte mich hinauf.Er hatte seinen Namen ordentlich an der Tür stehen.Ich hörte nichts.Behutsam öffnete ich auch diese Tür.Ich gelangte in einen dunklen Flur. Aber jetzt hörte ich Stim-

men.Eine weinerliche von einer Frau.

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Und dann seine.»Cil, laß mich doch bitte gehen. Ich verspreche dir, daß ich

auch nichts der Polizei sagen werde.«»Gefällt es dir hier nicht? Warum bist du so abweisend? Ich

liebe dich doch.«»Bitte, nein, Cil. Wir sind Freunde, mehr nicht. Liebe ist et-

was anderes. Wie bin ich überhaupt in deine Wohnung ge-kommen?«

Cil lachte. »Woher soll ich das wissen, Jessica? Du warst hier, als ich heute früh heimkam.«

Jessica! Das entführte Mädchen, das der Grüne Tod aus dem Hospital geholt hatte!

Ich war an der richtigen Adresse. Ich holte den König-Salo-mon-Spiegel heraus und hielt ihn mit der Spiegelfläche von mir abgewendet.

»Ich wäre gerne gegangen. Aber überall war dieser schreckli-che grüne Dunst. Er hat mich gefangengehalten. Ja, lach nur, aber so war es.«

»Ich sehe keinen grünen Dunst. Bitte, Jessica, ich liebe dich wirklich, ich…«

»Laß mich los!« Ich hörte Geräusche eines Handgemenges. »Hör sofort damit auf! Cil!«

Ich wußte, hinter welcher Tür sie waren.Ich hielt mich nicht mit Förmlichkeiten auf. Ich öffnete und

stand schon im Zimmer.Das kannte ich. Ich hatte es ›gesehen‹. Die Bilder an den

Wänden waren Poster.Das Mädchen und Cecil wirbelten herum.Jessica Townsend verstand nicht.Aber Cils Augen verdunkelten sich. Und dann sah ich darin

den ganzen Haß – böse, abgrundtief. Er konnte nicht allein von dem jungen Mann sein. Niemals!

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Ich riß den König-Salomon-Spiegel hoch und hielt ihn ihm vor das Gesicht.

Cecil stieß das Mädchen von sich. Jessica taumelte und stürz-te zu Boden.

Ich erschrak bis ins Mark, als sich plötzlich das Licht verdun-kelte.

An den Wänden waberte im Bruchteil einer Sekunde grüner Dunst! Es brodelte und wallte darin wie in einer Hexenküche.

Dann entstanden wirbelnde Kreisel.Drei, vier – immer mehr.Das kannte ich. Aber ich hatte nur einen Kreisel gesehen.Nacheinander entstanden sieben Gerippe und stürzten sich

auf mich.Mir sank das Herz in den Magen.Der König-Salomon-Spiegel wirkte nicht! Ich mußte etwas

falsch gemacht haben!Ich sprach einen Bannfluch und wich zurück.Die grünen Gerippe waren nicht aufzuhalten.»Hauen Sie ab, schnell!« rief ich Jessica zu.Sie lief zur Tür. Ein Gerippe schnitt ihr den Weg ab. Schrei-

end kehrte sie um.Cil Bigelow wurde von Krämpfen geschüttelt. Er zuckte und

sprang, als hätte ihn eine gigantische unsichtbare Faust ge-packt.

Ich konnte einem hünenhaften Skelett gerade noch auswei-chen. Der rettende Sprung brachte mich wieder näher an den Diskjockey heran.

Ich riskierte es. Ich ging ihn an und hielt ihm den Spiegel handbreit vor das Gesicht.

Wenn's wieder nichts half, haute ich ihm das Stück Eisen auf den Schädel. Das war ohnehin das letzte, was ich noch auf die-ser Welt tun konnte.

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Ein unglaubliches Kreischen brach aus dem aufgerissenen Mund von Cil.

Das war nicht er! Das war der Grüne Tod! Er steckte in Cil.Ich frohlockte. Das schreckliche Brüllen war ein Zeichen, daß

ihm der Spiegel Schmerzen zufügte.»Schau her!« brüllte ich. »Schau genau her! Es nützt dir

nichts. Dieser Spiegel ist stärker als du!«Mir lief der Schweiß in Strömen am Körper hinab.Cil stierte in den Spiegel.Sein Mund war ein großes rundes brüllendes Loch.In seinen Augen war ein irrer Ausdruck. Aber kein Haß.Und dann sah ich ihn!Er löste sich aus dem jungen Mann.Er schwebte frei und senkte sich zu Boden.Der Grüne Tod!So kannte ich ihn aus der Nebelnacht an der Westminster-

Brücke.Ich hielt ihm den Salomon-Spiegel vor den Totenschädel. Er

hatte keine Augen. Aber darauf kam es sicher nicht an.Aus dem hohlen Knochenkopf drang wieder dieses schreck-

liche Schreien und Kreischen. Cil aber schwieg. Er stand nur und schaute verständnislos.

Aus dem Knochenschädel platzte plötzlich ein Stück heraus.Im selben Augenblick schnellten die knöchernen Arme nach

vorn. Ich reagierte. Ich wollte mich nicht mit hinüberreißen lassen wie jener Mönch Atwin.

Das Herausplatzen eines Stückes aus dem Schädel war für mich das Zeichen, daß der Spiegel seine ganze Kraft entfaltete und das Böse auf den Grünen Tod zurückschleuderte.

Entweder zerstörte diese Kraft ihn. Oder er zog sich zurück.Er schnappte noch einmal nach mir.Ich schlug die Knochenhand beiseite und hielt mit der ande-

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ren Hand den Spiegel oben.Das dämonische Gebrüll verstummte wie abgeschnitten.Der Grüne Tod flüchtete zurück ins Dämonenreich. Aber er

ließ mir noch den Unterkiefer da.Wo das grausige Skelett eben noch gestanden hatte, war

plötzlich nichts mehr.Nur ein Knall war zu hören.Ich blickte zu Boden. Da lag der Unterkiefer.Ich wirbelte auf dem Absatz herum. Denn da waren noch die

sieben Gerippe.Sie sanken in diesem Moment zu Boden. Starr und leblos,

wie man es von Gerippen erwarten durfte.Der Meister war geflohen, sie waren ihm zu nichts mehr nüt-

ze geworden. Er ließ seine Opfer im Stich.Jessica war ohnmächtig geworden. Die letzten Minuten wa-

ren zu viel für sie gewesen.Sein Medium hatte der Grüne Tod ebenfalls nicht mitnehmen

können.Cil Bigelow stand und schaute verständnislos. Aber ihn

grauste, das merkte ich ihm an.Ich schob ihn zum Fenster. Der grüne Dunst hatte sich ver-

flüchtigt.»Bigelow, Sie müssen viel lernen«, sagte ich zu ihm. »Sie

müssen lernen, nicht zu hassen. Und Sie müssen begreifen, daß man niemand zwingen« kann – egal wozu.«

Er schluckte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter.»Es gibt viele hübsche Mädchen in unserer Stadt. Es muß

nicht Jessica sein verstehen Sie?«Er schüttelte den Kopf. Er verstand überhaupt nichts.»Was war mit mir los? Wie kommen die Skelette hierher?

Und Sie? Sie waren doch letzte Nacht im ›Magic Flower‹…«»Ihr Glück, Bigelow. Sonst würden Sie vermutlich wie diese

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aussehen.« Ich wie auf die Gerippe. »Und das Mädchen auch Oder es gäbe Sie jetzt überhaupt nicht mehr.«

»Sie Lügner!« brüllte er los und schlug auf mich ein.Ich wehrte seinen Angriff mit einer Hand ab.Er reagierte normal. Ich war ihm nicht einmal böse.Nach ein paar wütenden Attacken kam min Zusammen-

bruch. Er verstand schon, er weigerte sich nur, auch zu akzep-tieren, was geschehen war.

Er hockte sich in eine Ecke und weinte.Ich sah, daß er Telefon hatte.Ich rief meine Freunde vom Yard an.Und Sir Horatio. Wir hatten die sieben grünen Skelette wie-

der.Und der Grüne Tod war zurückgeschlagen.

*

Als ich den König-Salomon-Spiegel Sir Horatio vorführen wollte, entdeckte ich, daß er stumpf geworden war.

Die sieben roten Punkte waren verschwunden.Ich bemühte mich zwei Nächte hindurch, den Spiegelglanz

wieder herzustellen. Dann gab ich auf. Die polierte Seite blieb matt und stumpf.

Wenn ich hineinschaute, konnte ich nicht einmal in Umrissen mein Gesicht sehen.

Ich warf die Eisenplatte dennoch nicht weg. Ich schloß sie daheim weg: Ich dachte, daß sie irgendwann doch wieder nützlich werden konnte.

Wenn nicht mir, dann jemand, der nach mir kam.Die Anregung ging von Kathleen aus. Sie meinte, ich solle Sir

Horatio zu dem Abendessen für Sir Leon und die Prinzessin von Toro mit einladen.

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Warum eigentlich nicht?Er zeigte sich sehr angetan. »Und wo findet der Abend statt,

Mac?«Ich grinste düster. »Erst wollte ja ich kochen, aber Miß Burke

meinte, die Zeit der großen klassischen Giftmorde, wo ganze Sippen ausgerottet wurden, sei vorbei. Jetzt kocht sie. Ich hole Sie ab, Sir.«

Ich sah ihn sparsam lächeln.Es war das erste Lächeln seit dem Tag, an dem wir die grü-

nen Gerippe in der Glasfabrik zu Asche verbrannt hatten.Acht Gerippe – mit Sam Medway.Jetzt ruht eine große Urne an einem Platz, den nur Sir Hora-

tio und ich kennen.

ENDE

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In vierzehn Tagen erhalten Sie den packenden Mac Kin-sey- Gruselthriller Nr. 5.Bryan Danger hat ihn geschrieben. Er heißt:

Im Banne des schwarzen Mönchs

Hier eine kleine Kostprobe:Von St. Marks hallten dumpfe Schläge herüber. Renata de Angelis zählte bis zwölf.Unwillkürlich lief ein Frösteln über ihre bloßen Schul-tern. Wie kalt es in diesem schrecklichen London war.Um Mitternacht ganz besonders. Sie wünschte, sie wäre schon wieder in Florenz.Die Fürstin starrte aus dem Fenster in die Nacht. Sie wußte kaum, wo sie sich befand. Irgendwo im westlichen Teil der Stadt. Unten im strahlend erleuchteten Saal war-teten ein paar hundert Menschen auf sie. Das Mitter-nachtsdiner wurde ihr zu Ehren gegeben. Sie durfte die Gäste nicht länger warten lassen.Sie wandte sich ab und ließ die schweren Vorhänge zu-rückschwingen. Ihr war, als hätte der Flügel des Todesvo-gels sie berührt. Wieder schauderte sie. Warum wurde sie die quälenden Gedanken nicht los?Sekundenlang schloß sie die Augen. Atmete nicht jemand neben ihr? Streifte nicht eisiger Hauch ihren Hals?Hastig riß sie die Augen wieder auf und bewegte sich ein paar Schritte nach vorn.Vor dem Kristallspiegel mit dem kunstvoll verzierten

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Holzrahmen verharrte sie. Augenblicklich fühlte sie sich besser. Die Furcht vor etwas Unbekanntem verblaßte. Sie sah ihr eigenes Gesicht, und über diesen Anblick konnte sie sich nur freuen.Renata de Angelis wußte, daß sie noch immer eine ver-führerische Erscheinung war. Trotz der Jahre, die sie so-gar sich selbst nur ungern eingestand. Die männlichen Gäste hatten unwillkürlich bei ihrem Erscheinen den Atem angehalten, und die Frauen mußten sich beeilen, um das neidvolle Grün ihrer Gesichtsfarbe mit Makeup zu überdecken.Sie wurde bewundert und beneidet, Trotzdem bereute sie es, diese Reise unternommen zu haben. Sie fühlte sich be-droht, wenn sie auch diese Furch nicht näher erklären konnte.Auf ihrer Brust ruhte ein funkelnder schwarzer Stein, der die Form eines Vogels mit ausgebreiteten Schwinger be-saß. Er stellte einen ungeheuren Wer dar und hatte beim Empfang für beträchtliches Aufsehen gesorgt. Sie wai stolz auf den Besitz des Schmuckstücks und doch war ihr, als würde er ihn Haut verbrennen. Er wurde uner-träglich, als wollte die dünne goldene Kette an der er hing, sie würgen.Renata de Angelis fuhr mit den Händen zum Hals.Soweit die Leseprobe aus dem neuen Mac Kinsey-Grusel-Thriller, der Sie in vierzehn Tagen erhalten. Dann ist wie-der Kinsey-Time!


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