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Die Borderline Störung

Date post: 25-Aug-2016
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fallbericht Die Borderline Störung Anhand von zwei Fallbeispielen wird dargestellt, wie therapeutische Prozesse im ambulanten Setting verlaufen können. S. Margreiter 1 Zusammenfassung: Zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Border- line Persönlichkeitsstörung gilt Psycho- therapie derzeit als die Methode der Wahl. Die Auseinandersetzung mit dieser Pati- entengruppe ist herausfordernd und oft schwierig. Anhand von zwei konkreten Fallbeispielen möchte ich aufzeigen, dass die therapeutische Arbeit mit betroffenen Patientinnen und Patienten im ambu- lanten psychotherapeutischen Setting er- folgreich und positiv verlaufen kann. Wichtige Faktoren sind eine gute thera- peutische Beziehung, eine störungsspezi- fische Behandlung, eine sinnvolle Tages- struktur sowie das gemeinsame Erarbeiten einer Perspektive. Summary: In the treatment of Borderline personality disorder psychotherapy is cur- rently the agreed approach. Working with this kind of patients is challenging and often difficult. e experience with two patients shows that therapeutic work can be successful also in an ambulant setting. e key factors are a good relation with the patient, a treatment that targets the dis- order, a well structured daily routine and the development of a future perspective together with the patient. Das Interesse an der Borderline Persön- lichkeitsstörung hat in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen. Gesi- cherte Erkenntnisse über die Entstehungs- bedingungen dieser Störung sind heute noch immer nicht in befriedigender Menge vorhanden. Weitgehender Konsens herrscht darüber, dass die Ätiopathoge- nese der Borderline Persönlichkeitsstö- rung ein multikausales Modell unter Ein- beziehung verschiedenster Parameter erforderlich macht (Abb. 1). Die Borderline Persönlichkeitsstörung ist als eine Störung der Affektregulation sowie als Störung der sozialen Interaktio- nen zu verstehen. Verschiedene psycho- soziale Komponenten stellen bereits em- pirisch gesicherte Risikofaktoren für die Entstehung einer Borderline Störung dar: weibliches Geschlecht weibliche Sozialisierung frühe traumatische Erfahrung von se- xueller Gewalt körperliche Gewalt Vernachlässigung fehlende Sicherheit Gewalterfahrung im Erwachsenenalter Bei vielen Patientinnen und Patienten zei- gen sich bereits in der frühen Pubertät erste Verhaltensauffälligkeiten, wie selbst- verletzendes Verhalten, Impulsivität, auf- fälliges Sozialverhalten oder auch Essstö- rungen. Die DSM-Kriterien für eine Borderline Persönlichkeitsstörung finden sich in Tabelle 1. In ausgeprägter und typi- scher Form manifestiert sich die Sympto- matik schließlich in der Adoleszenz. Auch affektive Störungen mit Suizidversuchen können sich bereits im frühen Jugendalter manifestieren. Retrospektiv berichten viele Betroffene in Anamnesegesprächen von einem Beginn ihrer Problematik schon gegen Ende der Volksschulzeit. Zentrale Herausforderungen Die Erkrankung nimmt bei betroffenen Männern und Frauen unterschiedliche Verläufe. Gründe dafür mögen Unter- schiede in der Sozialisation sein, oder aber auch die geschlechtsspezifische Neigung zu bestimmten Komorbiditäten. Männer nehmen auch seltener professionelle Hilfe in Anspruch und brechen laufende Be- handlungen eher ab. 1 Institut für Psychotherapie mit Tageszentrum für Borderlinestörung, Wien Foto: Pflügl Mag. Dr. Susanne Margreiter, MSc Abb. 1: Biosoziale Theorie der Borderline Persönlichkeitsstörung Biosoziale Theorie der BPS emotionale Vulnerabilität dysfunktionales Verhalten Kernsymptome der BPS: hohe aversive Anspannung, rasche Stimmungsschwankungen, affektive Dysregulation, impulsives, selbstschädigendes Verhalten, Identitätsstörung, hohe Suizidalität Linehan M, 1993, 1996 invalidierendes Umfeld biologische Disposition 3/2012 psychopraxis 18 © Springer-Verlag
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fallbericht

Die Borderline Störung

Anhand von zwei Fallbeispielen wird dargestellt, wie therapeutische Prozesse im ambulanten Setting verlaufen können.

S. Margreiter1

Zusammenfassung: Zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Border­line Persönlichkeitsstörung gilt Psycho­therapie derzeit als die Methode der Wahl. Die Auseinandersetzung mit dieser Pati­entengruppe ist herausfordernd und oft schwierig. Anhand von zwei konkreten Fallbeispielen möchte ich aufzeigen, dass die therapeutische Arbeit mit betroffenen Patientinnen und Patienten im ambu­lanten psychotherapeutischen Setting er­folgreich und positiv verlaufen kann. Wichtige Faktoren sind eine gute thera­peutische Beziehung, eine störungsspezi­fische Behandlung, eine sinnvolle Tages­struktur sowie das gemeinsame Erarbeiten einer Perspektive.

Summary: In the treatment of Borderline personality disorder psychotherapy is cur­rently the agreed approach. Working with this kind of patients is challenging and often difficult. The experience with two patients shows that therapeutic work can be successful also in an ambulant setting. The key factors are a good relation with the patient, a treatment that targets the dis­order, a well structured daily routine and the development of a future perspective together with the patient.

Das Interesse an der Borderline Persön­lichkeitsstörung hat in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen. Gesi­cherte Erkenntnisse über die Entstehungs­bedingungen dieser Störung sind heute noch immer nicht in befriedigender Menge vorhanden. Weitgehender Konsens herrscht darüber, dass die Ätiopathoge­nese der Borderline Persönlichkeitsstö­rung ein multikausales Modell unter Ein­beziehung verschiedenster Parameter erforderlich macht (Abb. 1).

Die Borderline Persönlichkeitsstörung ist als eine Störung der Affektregulation sowie als Störung der sozialen Interaktio­nen zu verstehen. Verschiedene psycho­soziale Komponenten stellen bereits em­pirisch gesicherte Risikofaktoren für die Entstehung einer Borderline Störung dar:

■■ weibliches Geschlecht■■ weibliche Sozialisierung■■ frühe traumatische Erfahrung von se­

xueller Gewalt ■■ körperliche Gewalt■■ Vernachlässigung■■ fehlende Sicherheit■■ Gewalterfahrung im Erwachsenenalter

Bei vielen Patientinnen und Patienten zei­gen sich bereits in der frühen Pubertät erste Verhaltensauffälligkeiten, wie selbst­verletzendes Verhalten, Impulsivität, auf­fälliges Sozialverhalten oder auch Essstö­rungen. Die DSM­Kriterien für eine Borderline Persönlichkeitsstörung finden sich in Tabelle 1. In ausgeprägter und typi­scher Form manifestiert sich die Sympto­matik schließlich in der Adoleszenz. Auch affektive Störungen mit Suizidversuchen können sich bereits im frühen Jugendalter manifestieren. Retrospektiv berichten viele Betroffene in Anamnesegesprächen von einem Beginn ihrer Problematik schon gegen Ende der Volksschulzeit.

Zentrale Herausforderungen

Die Erkrankung nimmt bei betroffenen Männern und Frauen unterschiedliche Verläufe. Gründe dafür mögen Unter­schiede in der Sozialisation sein, oder aber auch die geschlechtsspezifische Neigung zu bestimmten Komorbiditäten. Männer nehmen auch seltener professionelle Hilfe in Anspruch und brechen laufende Be­handlungen eher ab.

1 Institut für Psychotherapie mit Tageszentrum für Borderlinestörung, Wien

Foto

: Pflü

gl

Mag. Dr. Susanne Margreiter, MSc

Abb. 1: Biosoziale Theorie der Borderline Persönlichkeitsstörung

Biosoziale Theorie der BPS

emotionale Vulnerabilität

dysfunktionales Verhalten

Kernsymptome der BPS: hohe aversive Anspannung, rasche Stimmungsschwankungen, affektive Dysregulation, impulsives, selbstschädigendes Verhalten, Identitätsstörung, hohe Suizidalität

Linehan M, 1993, 1996invalidierendes Umfeld biologische Disposition

3/2012 psychopraxis18 © Springer­Verlag

fallbericht

Ohne Behandlung ist die Prognose je­denfalls äußerst ungünstig. Die Suizidrate wird in der Literatur zwischen 7 % und 10 % angegeben. Bei vielen Patientinnen und Patienten sind mehrfache Suizidver­suche und massiv selbstverletzendes Ver­halten explorierbar.

Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Borderline Persönlichkeits­störung gilt derzeit als eine der zentralen Herausforderungen für die psychiatrisch/psychotherapeutische Versorgung, da ge­rade diese Gruppe von Patientinnen und Patienten die stationären und ambulanten Behandlungseinrichtungen in großer Zahl frequentiert. Auf den Versorgungseinrich­tungen lastet ein enormer Druck, den häufig stark beeinträchtigten Patientinnen und Patienten adäquate Behandlungs­möglichkeiten anzubieten. Die psycho­therapeutische Behandlung erfordert viel Engagement von den Therapeutinnen und Therapeuten, aber auch von den Patien­tinnen und Patienten.

Anhand von zwei Fallbeispielen soll dargestellt werden, wie therapeutische Prozesse im ambulanten Setting verlaufen können. Ich habe hierfür zwei Patientin­nen ausgewählt, deren therapeutischer Verlauf eine sehr positive Entwicklung ge­nommen hat. Dies soll Mut machen und aufzeigen, dass sich die Arbeit mit Patien­tinnen und Patienten mit Borderline Stö­rung sehr lohnen kann.

Fallbericht A

Frau A. kam über Zuweisung des zustän­digen sozialpsychiatrischen Ambulatori­ums (PSD­ Wien) zum Erstgespräch. Dia­gnostisch war bei der Patientin eine emotional instabile Persönlichkeitsstö­rung, Borderline Typ, festgestellt worden. Als komorbide Erkrankung zeigte sich ak­

tuell eine mittelgradig ausgeprägte de­pressive Symptomatik.

Die 26­jährige Patientin kam vor 5 Jah­ren aus einem Nachbarland nach Öster­reich. Die Distanzierung von ihrem Hei­matland war auch der Versuch, Distanz zu einer von Lieblosigkeit, Vernachlässigung und Gewalt geprägten Kindheit zu schaf­fen. Auch der langjährige sexuelle Miss­

brauch durch einen Familienangehörigen belastete Frau A. sehr, aktuell vor allem in ihrer Partnerbeziehung. Die Patientin hatte kaum Zuwendung oder Unterstüt­zung erfahren, ab dem 17. Lebensjahr war sie auf sich alleine gestellt gewesen. Mit der Herkuftsfamilie besteht seitdem kein Kontakt mehr. Versuche, eine Ausbildung abzuschließen, scheiterten an den finan­ziellen Möglichkeiten. Frau A. musste möglichst bald arbeiten gehen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im

Kontext von Jobs in schlechtem Milieu, ge­riet die Patientin auch an Männer, die sie ausnützten und schlecht behandelten. Schließlich schaffte sie es aus eigener Kraft, nach Österreich zu kommen, Deutsch zu lernen und sich mit Gelegen­heitsjobs über Wasser zu halten.

Ihre Symptomatik zum Zeitpunkt des Erstgespräches zeigte sich in einer ausge­prägten Affektinstabilität, impulsivem Verhalten, Beziehungsproblemen sowie einer deutlich reduzierten Belastbarkeit. Weiters berichtete die Patientin über ein permanent hohes Annspannungsniveau und die Tendenz, sich selbst zu verletzen. Innere Leere, wenig soziale Kontakte und auch eine Körperschemastörung erhöh­ten den Leidensdruck der Patientin. Ihre Kreativität, Intelligenz sowie ihr Humor traten als Ressourcen deutlich hervor. Auf­grund der reduzierten Belastbarkeit war Frau A. zum Aufnahmezeitpunkt arbeits­los gemeldet. Ein wichtiges Ziel der Pati­entin war es, wieder arbeitsfähig zu wer­den. Ihre Lebensqualität wurde auch durch Zukunftsängste aufgrund der Ar­beitslosigkeit deutlich reduziert.

Psychotherapie der Borderline Persönlichkeitsstörung

Frau A. hatte bislang keine Erfahrung mit Psychotherapie, es gab jedoch in der Vor­geschichte mehrere Versuche, die Symp­tomatik pharmakologisch zu behandeln. Die Patientin hatte Erfahrungen mit Anti­depressiva und auch mit Stimmungsstabi­lisierern („Mood Stabilizer“) im Sinne aty­pischer Neuroleptika und Antiepileptika. Die Wirkung war für Frau A. immer eher

TABelle 1

Borderline Persönlichkeitsstörung – Kriterien nach DSM IV, 301.83

Mindestens 5 der folgenden 9 Kriterien müssen für die Diagnose zutreffen: ■■ Affektive Instabilität

■■ Impulsivität

■■ Instabile Beziehungen (Wechsel zw. Idealisierung und Abwertung)

■■ Schwierigkeiten, Wut und Ärger zu kontrollieren

■■ Identitätsstörungen

■■ Bemühen, allein sein zu verhindern

■■ Chronisches Gefühl der Leere

■■ Suizidalität und selbstschädigendes Verhalten

■■ Stressabhängiges paranoides Erleben, Dissoziationen

Als Kernfaktoren gelten: Affektive Instabilität, Impulsivität und instabile Beziehungen

TABelle 2

Psychotherapie der Borderline Persönlichkeitsstörung

Die Behandlungsplanung am Institut für Psychotherapie und auch im Tageszentrum basiert auf der Dialektisch Behavioralen Therapie (M. Linehan), einer der derzeit anerkannten störungsspezifischen Methoden zur Therapie von Borderline Patienten.

■■ Mentalization Based Treatment (Bateman & Fonagy)

■■ Schema Focussed Therapy (J. Young)

■■ Transference Focussed Treatment (O. Kernberg)

■■ Dialektisch Behaviorale Therapie (M. Linehan)

Das therapeutische Vorgehen orientiert sich an einem strukturierten, manualisierten Therapieplan, beinhaltet klare Regeln, zeitliche Vereinbarungen sowie eine klare und transparente Hierarchie im Vorgehen.

Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Borderline Persönlichkeitsstörung gilt derzeit als eine der zentralen Herausforderungen für die psychiatrisch/psychotherapeu tische Versorgung.

3/2012psychopraxis 19© Springer­Verlag

fallbericht

unbefriedigend gewesen, zum Teil litt sie unter massiven Nebenwirkungen.

Allgemein gilt Psychotherapie als Be­handlungsmethode der Wahl für die Bor­derline Störung (Tab. 2). Mit dieser Inten­tion wurde sie auch vom behandelnden Facharzt des Ambulatoriums an uns über­wiesen.

Vereinbart wurde mit Frau A. sowohl Einzeltherapie (Verhaltenstherapie/ DBT) als auch die Teilnahme an einem Turnus im Tageszentrum für Borderline Störung.

Durch die Teilnahme im Tageszentrum und die im Therapieplan vorgegebene Ta­gesstruktur konnte die Patientin ihre Be­lastbarkeit deutlich steigern. Sie drückte ihre große Motivation durch kontinuierli­che Anwesenheit aus und erlebte die Gruppenerfahrung meist als sehr positiv, wenn auch als anstrengend. Das Erlebnis der eigenen Selbstwirksamkeit, Feedback – vor allem Lob! – von Mitpatienten und Therapeuten ermöglichten der Patientin eine Verbesserung der Selbstwahrneh­mung und auch immer wieder Erfolgser­lebnisse.

Es gelang ihr, mehrere effektive Skills zur Spannungsregulation im Rahmen der Skillstrainingsgruppe für sich zu erarbei­ten (v. a. Einsatz des Coolpack, Hirn­Flick­Flacks, ablenken durch verschiedene Tä­tigkeiten, beruhigen durch bestimmte Düfte). Produktives Arbeiten in der Ergo­therapie ließ Erfolgserlebnisse entstehen, in der Kunsttherapie fand Frau A. über Farben und Gestalten einen neuen Zugang zu ihren Emotionen. Durch Aktivierung/Sport sowie durch gezielte Entspannungs­übungen konnte Frau A. einen positiveren Zugang zu ihrem Körper finden und da­durch die Selbstakzeptanz schrittweise fördern. Die achtsamere Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse verbesserte das Wohlbefinden insgesamt und ermöglichte auch eine Selbstwertsteigerung.

Die dialektisch behaviorale Therapie

Im Rahmen der Einzeltherapie am Institut (Gesamtdauer: 1 ½ Jahre) stand vor allem die Bearbeitung der Biographie und der damit in Verbindung stehenden dysfunk­tionalen Schemata, aber auch die aktuelle Beziehungsgestaltung der Patientin im Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit Konfliktsituationen war schwierig und löste zum Teil intensive Emotionen wie Wut oder Angst bei Frau A. aus. Skills zur Verbesserung des interpersonellen Prob­lemlösens standen hier unter anderem im Fokus. Reflexionen anhand von Verhal­

tensanalysen (Tab. 3) halfen mit, Abläufe besser zu verstehen. Schritt für Schritt übernahm die Patientin mehr Verantwor­tung für ihr Verhalten und konnte dadurch eine bessere innere Balance erreichen.

In der dialektisch behavioralen Thera­pie (Tab. 4) versteht sich der Therapeut als Coach. Die therapeutische Grundhaltung ist geprägt durch Akzeptanz, Stabilität, Geduld und Mitgefühl. Wichtig ist eine validierende Atmosphäre sowie Unter­stützung bei der Problembewältigung.

Nach dem Ende des Turnus im Tages­zentrum bemühte sich Frau A. intensiv um die Suche nach einem Arbeitsplatz. Es gelang ihr nach einigen Monaten, eine Stelle zu finden, die zwar nicht allen ihren Wünschen entsprach, jedoch einen guten Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess er­möglichte. Nach anfänglichen Umstel­lungsschwierigkeiten gelang es ihr recht gut, den täglichen Belastungen standzu­halten. Längerfristig möchte sie eine be­rufsbegleitende Ausbildung absolvieren, um später einen Arbeitsplatz zu finden, der mehr ihren persönlichen Fähigkeiten und Interessen entspricht.

Fallbericht B:

Frau B. (23 Jahre) wurde von ihrem nieder­gelassenen Facharzt mit den Diagnosen Borderline Störung sowie akute Belas­tungsreaktion zur ambulanten Psychothe­rapie zugewiesen. Mit Psychotherapie hatte sie bereits in ihrer Jugend im Rahmen einer damals bestehenden Drogenproble­matik Erfahrung gemacht. Frau B. wurde bei Therapiebeginn auch pharmakolo­gisch behandelt (Solian® und Trittco®).

Aktuell suchte sie Hilfe aufgrund der Trennung von ihrem Freund. Frau B. gab an, sie könne nicht allein sein, sie hasse sich selbst und stehe unter ständiger Hochspannung. Die Patientin war am Be­ginn der Therapie bereits seit 9 Monaten arbeitslos. Die Jobsuche verlief bislang er­folglos. Aufgrund ihrer schlechten Befind­lichkeit wurde sie zur Krisenintervention einige Tage stationär aufgenommen und benötigte eine ambulante Weiterbehand­lung. Vereinbart wurden nach dem Erstge­spräch Einzeltherapie (Gesamtdauer: 1 Jahr) sowie parallel die Teilnahme an der Skillstrainingsgruppe (vier Monate).

TABelle 3

Verhaltensanalyse

Auslöser Situation Reaktion Konsequenz

Vorausgehende Bedingungen?

Point of no return?

Was ist geschehen?

Gedanken?Emotionen?Körper?

Was genau haben Sie gemacht?

Gedanken?Emotionen?Körper?

Kurzfristig?Positiv?Negativ?

Langfristig?Positiv?Negativ?

TABelle 4

Dialektisch Behavioralen Therapie – Methodik■■ Dialektik zwischen Akzeptanz und Veränderung

■■ Problemlösetechniken

■■ Stabilisierungstechniken

■■ Kognitive Umstrukturierung

■■ Expositionsverfahren

■■ Validierungsstrategien

■■ Vermittlung von Skills (teaching – training – feedback)

■■ Bearbeitung von dysfunktionalen Schemata

Die sehr positive Entwicklung im therapeutischer Verlauf der hier vorgestellten Patientinnen soll Mut machen und aufzeigen, dass sich die Arbeit mit Patientinnen und Patienten mit Borderline Störung sehr lohnen kann.

3/2012 psychopraxis20 © Springer­Verlag

fallbericht

Probleme in derLebensgestaltung

Störungen desemotionalen Erlebens

Die Patientin lebte bei ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester. Der Vater war langzeitarbeitslos und hatte Probleme mit dem Alkohol. Das familiäre Klima war durchgängig sehr angespannt und belas­tete Frau B. seit der Kindheit. Unter Alko­holeinfl uss war der Vater sehr unbere­chenbar und neigte zu Gewalt. Die Mutter der Patientin verhielt sich untergeordnet und wurde wenig unterstützend erlebt.

Ab dem 13. Lebensjahr geriet Frau B. durch Freunde in die Drogenszene. Den­noch schaff te sie es, eine Lehre im Einzel­handel erfolgreich abzuschließen. Nach dem Drogenentzug manifestierte sich zu­nehmend die für die Borderline Störung typische Symptomatik.

Bei Therapiebeginn standen Miss­trauen, reduzierter Selbstwert, Aff ektinsta­bilität, innere Leere, Angst vor Nähe sowie Hoff nungslosigkeit im Vordergrund. Auch schädigte sich die Patientin in Anspan­nungssituationen durch unkontrolliertes Essen, Alkoholmissbrauch, Selbstverlet­zungen und Hochrisikoverhalten (schnel­les Autofahren). Als Ressourcen fi elen ihre Intelligenz und gute Ausdrucksfähigkeit, ihre Motivation zur Veränderung sowie ihre Interessen auf.

Hierarchisches Vorgehen im Therapieablauf

Nach einer Stabilisierungsphase gelang es gut mit Frau B. in einen therapeutischen Prozess zu gelangen. Von besonderer Be­deutung bei dieser Patientin waren die Ar­beit an der Verbesserung ihrer Selbst­wahrnehmung und das Erkennen eigener Bedürfnisse. In Momenten hoher Anspan­

nung kam es sehr häufi g zum Kontrollver­lust. Ihre Stresstoleranz musste sie drin­gend verbessern. Das Hilfsmittel zur Unter­stützung ihrer Selbstwahrnehmung war für die Patientin die Auseinandersetzung mit der Spannungskurve (Abb. 2). Je nach Wahrnehmung des aktuellen Annspan­nungsniveaus lernte sie, entsprechende Skills einzusetzen.

Im Rahmen der Teilnahme an der Skills trainingsgruppe konnte Frau B. ihre Spannungsregulation zunehmend verbes­sern. Intensive Emotionen führten aber immer wieder zu Stimmungsschwankun­gen, v. a. in Zusammenhang mit Bezie­hungsproblemen. Bezüglich der zwischen­

menschlichen Fertigkeiten standen vor al­lem Nein­ Sagen und Abgrenzen im Vor­dergrund. Frau B. konnte ihre selbstschä­digenden Verhaltensweisen Schritt für Schritt reduzieren und konstruktiv an ih­ren Zielen arbeiten.

Die Bedeutung einer sinnvollen Tages­struktur und eine Verbesserung ihrer Au­tonomie standen für Frau B. ebenfalls im Vordergrund. Weitere Ziele waren Arbeits­fähigkeit und längerfristig eine Änderung der Wohnsituation.

Ein hierarchisches Vorgehen im Th era­pieablauf ermöglichte eine kontinuierli­che Verbesserung der Gesamtsituation (Abb. 3).

Das Selbstbild der Patientin besserte sich schrittweise, ihre Belastbarkeit nahm zu. Die Suche nach einer Arbeit wurde zu­nehmend realistischer. Die erste Zeit nach dem Berufseinstieg konnte noch thera­peutisch begleitet werden. Frau B. fand eine Anstellung im Bürobereich. Es fi el ihr manchmal schwer, ihre Stimmungs­schwankungen zu kontrollieren und mit den neuen Situationen konstruktiv umzu­gehen. Die Erfolgserlebnis und eine Ver­besserung ihres sozialen Netzes führten zu mehr Lebensqualität und Autonomie.

Literatur bei der Verfasserin

Abb. 3: Hierarchisierung der Behandlungsziele

Abb. 2: Spannungskurve

Störungen derVerhaltenskontrolle

Korrespondenz:Mag. Dr. Susanne Margreiter, MScInstitut für Psychotherapie mit Tageszentrum für BorderlinestörungFranzensbrückenstraße 5/41020 WienTel.: 01/798 40 94E-Mail: [email protected]

Hierarchie der Behandlungsziele

Spannungskurve

Suizidalität,selbstverletzendesVerhalten

Stadien der erkrankung

Spannung

Ac

ht

sa

mk

eit

70 %

30 %

Stresstoleranz

ZwischenmenschlicheFertigkeiten

Umgang mit Gefühlen

Achtsamkeit

Zeit

3/2012psychopraxis 21© Springer­Verlag


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