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Die Bedeutung von Lebensqualität für die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses

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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2014) 108, 151—156 Online verfügbar unter www.sciencedirect.com ScienceDirect journal homepage: http://journals.elsevier.de/zefq SCHWERPUNKT Die Bedeutung von Lebensqualität für die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses The relevance of quality of life for the work of the Federal Joint Committee Regina Klakow-Franck Gemeinsamer Bundesausschuss, Berlin SCHLÜSSELWÖRTER Lebensqualität; Gemeinsamer Bundesausschuss; Richtlinien; Disease-Management- Programme (DMP); Methodenbewertung; Arzneimittel Zusammenfassung Als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuständig für die Gestaltung des Leistungskatalogs der gesetzlich Krankenversicherten. Bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsme- thoden sowie bei der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel, aber auch im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung von Leistungen und der Festlegung von Behandlungszielen für besondere Versorgungsformen und strukturierte Behandlungsprogramme zieht der G-BA den patientenre- levanten Endpunkt ,,gesundheitsbezogene Lebensqualität‘‘ als Entscheidungskriterium heran. Allerdings stellt sich die Datenlage zur Lebensqualität aus Sicht des G-BA unzureichend dar: In den zur Methodenbewertung oder Nutzenbewertung von Arzneimitteln eingereichten Studien fehlen häufig Aussagen zur Lebensqualität, oder die Daten sind aufgrund methodischer Män- gel nicht oder nur eingeschränkt verwertbar. Da sich die Krankheitslast demographiebedingt immer weiter in Richtung chronischer und onkologischer Erkrankungen verlagert, ist aus Sicht des G-BA eine Verbesserung der Datenlage zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität dringend erforderlich. (Wie vom Gastherausgeber eingereicht) KEYWORDS Quality of life/health-related quality of life (HRQoL); Summary As the highest decision-making body of the joint self-government of physicians, dentists, hospitals and health insurance funds in Germany, the Federal Joint Committee (G-BA) is responsible for determining the catalogue of benefits for those insured by statutory health insurance (SHI) funds. The G-BA uses patient-relevant, health-related quality of life outcomes as a decision criterion in the assessment of new examination or treatment methods, the benefit assessment of new pharmaceuticals, the quality assurance of services, and in determining Korrespondenzadresse: Dr. Regina Klakow-Franck, M.A., Unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, Gemeinsamer Bundesausschuss, Wegelystraße 8, 10623 Berlin. Postanschrift: Postfach 12 06 06, 10596 Berlin. Tel.: +49 30-275838-161; Fax: +49 30-275838-135 E-Mail: [email protected] http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.02.007 1865-9217/
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Page 1: Die Bedeutung von Lebensqualität für die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2014) 108, 151—156

Online verfügbar unter www.sciencedirect.com

ScienceDirect

journa l homepage: ht tp : / / journa ls .e lsev ier .de /ze fq

SCHWERPUNKT

Die Bedeutung von Lebensqualität für dieArbeit des GemeinsamenBundesausschussesThe relevance of quality of life for the work of the Federal JointCommittee

Regina Klakow-Franck ∗

Gemeinsamer Bundesausschuss, Berlin

SCHLÜSSELWÖRTERLebensqualität;GemeinsamerBundesausschuss;Richtlinien;Disease-Management-Programme (DMP);Methodenbewertung;Arzneimittel

Zusammenfassung Als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung ist derGemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuständig für die Gestaltung des Leistungskatalogs dergesetzlich Krankenversicherten. Bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsme-thoden sowie bei der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel, aber auch im Zusammenhang mitder Qualitätssicherung von Leistungen und der Festlegung von Behandlungszielen für besondereVersorgungsformen und strukturierte Behandlungsprogramme zieht der G-BA den patientenre-levanten Endpunkt ,,gesundheitsbezogene Lebensqualität‘‘ als Entscheidungskriterium heran.Allerdings stellt sich die Datenlage zur Lebensqualität aus Sicht des G-BA unzureichend dar: Inden zur Methodenbewertung oder Nutzenbewertung von Arzneimitteln eingereichten Studienfehlen häufig Aussagen zur Lebensqualität, oder die Daten sind aufgrund methodischer Män-gel nicht oder nur eingeschränkt verwertbar. Da sich die Krankheitslast demographiebedingtimmer weiter in Richtung chronischer und onkologischer Erkrankungen verlagert, ist aus Sichtdes G-BA eine Verbesserung der Datenlage zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität dringenderforderlich.(Wie vom Gastherausgeber eingereicht)

Summary As the highest decision-making body of the joint self-government of physicians,

th insurance funds in Germany, the Federal Joint Committee (G-BA) dentists, hospitals and heal KEYWORDS

Quality oflife/health-relatedquality of life(HRQoL);

is responsible for determining the catalogue of benefits for those insured by statutory healthinsurance (SHI) funds. The G-BA uses patient-relevant, health-related quality of life outcomesas a decision criterion in the assessment of new examination or treatment methods, the benefitassessment of new pharmaceuticals, the quality assurance of services, and in determining

∗ Korrespondenzadresse: Dr. Regina Klakow-Franck, M.A., Unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, GemeinsamerBundesausschuss, Wegelystraße 8, 10623 Berlin. Postanschrift: Postfach 12 06 06, 10596 Berlin. Tel.: +49 30-275838-161;Fax: +49 30-275838-135E-Mail: [email protected]

http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.02.0071865-9217/

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Federal JointCommittee;directives;disease managementprogrammes (DMP);methods assessment;

treatment goals for disease management programmes and special forms of care. But the datagenerally available on quality of life are considered insufficient by the G-BA. Studies submittedfor methods assessments or the benefit assessments of pharmaceuticals often lack findings onquality of life, or the data are of limited value due to methodological shortcomings. Becausethe burden of disease is shifting more and more towards chronic and oncological diseases dueto demographic changes, the G-BA considers an improvement in the data available on health-related quality of life to be urgently necessary.

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,,Marie hat bis jetzt den meisten ihrer Freunde ver-schwiegen, dass sie sterben wird. (. . .) Weil sie fürchtet,andere womöglich zu erschrecken, schreibt sie so lako-nisch wie möglich, dass sie sterben wird. Dass es einschlechtes Zeichen sei, wenn Ärzte über Lebensqualitätzu sprechen begännen, dass sie aber schon alles dafürtäten, ihr noch möglichst viel Zeit zu geben.‘‘

(aus: Connie Palmen, Logbuch eines unbarmherzigenJahres, Amsterdam 2011)

llgemeiner Stellenwert vonesundheitsbezogener Lebensqualität

uch wenn es keine allgemein anerkannte Definitionon Lebensqualität gibt, zählt die Erhebung von Datenur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (LQ) heute zumnverzichtbaren Bestandteil in der medizinischen Outcome-orschung, in der Epidemiologie und bei gesundheitsöko-omischen Analysen. Aussagen zur gesundheitsbezogenenebensqualität basieren nicht auf ärztlicher Beschreibunger Patientenbefindlichkeit, sondern werden durch die Pati-ntinnen und Patienten selbst berichtet, beziehungsweiseuf Basis von Patientenbefragungsinstrumenten erfasst. Dar-us geht der neue Oberbegriff ,,Patient Reported Outcomes‘‘PRO) hervor. Ein umfassendes Modell zu PRO, aus dem dieehrdimensionalität und die zahlreichen Einflussfaktorenuf die gesundheitsbezogene Lebensqualität hervorgehen,aben Valderas und Alonso im Jahr 2008 vorgestellt (Abb. 1)1].

Die wachsende Bedeutung von gesundheitsbezogenerebensqualität ist zunächst auf den demographisch beding-en Wandel im Krankheitsspektrum zurückzuführen: In deredizinischen Versorgung dominieren immer ältere und

hronisch kranke Patientinnen und Patienten, was eineerlagerung von Forschungs- und Versorgungsschwerpunk-en von der Heilung von Krankheiten auf die Linderungon Beschwerden zur Folge hat - allen voran bei chroni-chen und onkologischen Erkrankungen. Ein weiterer Grundür die zunehmende Bedeutung von Informationen überQ, die im Sinne von PRO von Patientinnen und Patientenelbst berichtet werden, liegt im Wandel der Patienten-olle: Nachdem die Schulmedizin lange Zeit von einematernalistischen Patientenverständnis geprägt war, habenie patientenseitigen Faktoren, die zum Behandlungser-ebnis beitragen, zunehmend Aufmerksamkeit erlangt, underden von Forderungen nach mehr Patientensouveränität,

atienteninformationen sowie Patientensicherheit flankiert.m allgemeine und reproduzierbare Schlussfolgerungenus den jeweils subjektiven Einschätzungen bezügliches Behandlungsergebnisses und der Auswirkungen eines

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herapieregimes auf die gesundheitsbezogene Lebensquali-ät zu ermöglichen, wurden in den vergangenen Jahrzehntensychometrische Messinstrumente entwickelt, wobei zwi-chen generischen und krankheitsspezifischen Instrumentennterschieden wird.

erbesserung der gesundheitsbezogenenebensqualität als Zielgröße in der Versorgungesetzlich Krankenversicherter

m Sozialgesetzbuch V (SGB V) ist seit jeher verankert, dassersicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung nichtur dann haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheitu erkennen und zu heilen, sondern auch, um ihre Verschlim-erung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern§27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Als patientenrelevanter Endpunkturde gesundheitsbezogene Lebensqualität allerdings erst

m Zuge des Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlich-eit der Arzneimittelversorgung (AVWG) im Jahr 2006 in dasGB V aufgenommen (§35 Abs. 1b SGB V).

Von der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im Kon-ext einer Erkrankung abzugrenzen ist der gesundheitsbe-usste Lebensstil, für den im SGB V eine Eigenverant-ortlichkeit der Versicherten gesehen wird. Sogenannteifestyle-Präparate, die zum Beispiel zur Behandlung derrektilen Dysfunktion, zur Abmagerung oder zur Rau-herentwöhnung dienen, ,,bei denen eine Erhöhung derebensqualität im Vordergrund steht‘‘, sind von der Ver-orgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungxpressis verbis ausgeschlossen (§ 34 Abs. 1 Satz 7 und 8GB V).

Aufbauend auf dem AVWG haben die nachfolgendenesetze und Verordnungen in Hinblick auf die Arzneimit-elversorgung — allen voran das Arzneimittelmarktneuord-ungsgesetz (AMNOG) — die Verbesserung der Lebensqua-ität als Zielgröße in der Versorgung gesetzlich Kranken-ersicherter etabliert. Die ArzneimittelnutzenverordnungAM-NutzenV) definiert den medizinischen Zusatznutzenrstattungsfähiger Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen alsherapeutische Verbesserung, die in ,,klinischen Studien (. . .)it patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Morta-

ität, Morbidität und Lebensqualität‘‘ nachzuweisen ist (§5bs. 2 Satz 2 AM-NutzenV). Korrespondierend hierzu fin-et sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität zusätzlichu den Endpunkten Mortalität und Morbidität (differen-iert nach schwerwiegenden und nicht-schwerwiegenden

ymptomen) als Zielgrößenkategorie in der hierarchisiertenewertungsmatrix des Instituts für Qualität und Wirtschaft-ichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Feststellung desusmaßes des Zusatznutzens wieder, wobei die Senkung der
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Abbildung 1 Gesundheitsbezogene Lebensqualität im Gefüge[2].

Mortalität die führende Zielgröße ist: Die Bescheinigungselbst eines nur geringen Zusatznutzens setzt in der Regelden Nachweis einer Verlängerung der Überlebensdauer vor-aus [3].

Zielgröße Lebensqualität in den Beratungendes G-BA

Der G-BA als untergesetzlicher Normgeber ist an dieVorgaben des SGB V gebunden. Sowohl bei seinen Ent-scheidungen über den Inhalt des GKV-Leistungskatalogs,als auch in seinen Richtlinien zu unterschiedlichen Ver-sorgungsformen sowie in der Qualitätssicherung ist derAspekt der gesundheitsbezogenen Lebensqualität eine rele-vante Zielgröße. So ist in der Richtlinie zur spezialisiertenambulanten Palliativversorgung (SAPV) und auch in denStrukturqualitätsrichtlinien zur Kinder-Onkologie und zurKinder-Herzchirurgie die Verbesserung der Lebensqualitätausdrücklich als Behandlungsziel verankert. Im Rahmender sektorenübergreifenden Qualitätssicherung hat derG-BA die Entwicklung von Patientenfragebögen auf den Weggebracht. Die Richtlinien des G-BA zu Disease-Management-Programmen (DMP) gemäß § 137f SGB V beinhalten ebenso

die Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität als The-rapieziele, handelt es sich hierbei doch um die Versorgungvon Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankun-gen (Abb. 2).

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Patient Reported Outcomes — Modell von Valderas und Alonso

Das DMP Asthma/COPD ist ein Beispiel dafür, dassie in § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V genannte Beispiellisteür sogenannte ,,Lifestyle-Präparate‘‘ zwar gut gemeint,n medizinischer Hinsicht aber zu hinterfragen ist: Unterestimmten Voraussetzungen und als einmaligen Therapie-ersuch hatte der G-BA in seinem DMP Asthma/COPD eineedikamentöse Raucherentwöhnung empfohlen. Obwohliese Therapieempfehlung eindeutig nicht auf die Erhöhungon Lebensqualität im Sinne von Lifestyle zielt, sondernuf die Verbesserung der Lungenfunktion der Asthma- undOPD-Patientinnen und Patienten, wurde dies vom Bundes-inisterium für Gesundheit (BMG) mit Hinweis auf § 34 Abs.Satz 8 SGB V beanstandet. Aktuell hat die Bundesregierung

n ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage zur medikamentösenabakentwöhnung erneut die Kostenübernahme zu Lastener gesetzlichen Krankenversicherung abgelehnt, auch mitem Argument, bei der Tabakentwöhnung komme es vorllem auf die persönliche Motivation zum Rauchverzicht an4] — eine Einschätzung, die dem Charakter der Nikotinab-ängigkeit als Suchterkrankung nur bedingt gerecht wird.

ebensqualität als Nutzenkategorie in derethodenbewertung und bei der frühen

utzenbewertung von Arzneimitteln

n der Verfahrensordnung des G-BA ist die gesund-eitsbezogene Lebensqualität sowohl in Hinblick auf die

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Abbildung 2 Lebensqualität als Zielgröße in

utzenbewertung von Arzneimitteln als auch auf dieewertung von Methoden verankert. Faktisch spielt dieebensqualität als Nutzenkategorie in den Beratungen zurethodenbewertung allerdings noch kaum eine Rolle, daQ-Daten im Zusammenhang mit der Bewertung neuerntersuchungs- und Behandlungsmethoden bislang nur sel-en erhoben und berichtet werden. Zu den wenigeneispielen, bei denen LQ-Daten vorliegen, zählt die Osteo-ensitometrie. Hierzu hat das IQWiG im Auftrag des G-BAn seinem Bericht zur Osteodensitometrie bei einem Teiler eingeschlossenen Studien die gesundheitsbezogene LQls Endpunkt berücksichtigt gefunden [5]. Dies stellt jedochine der wenigen Ausnahmen dar. In der Regel besteht dasazit einer Methodenbewertung darin, die Erhebung vonQ als relevanten Endpunkt anzumahnen, wie zum Beispielnlängst im Zusammenhang mit dem Aussetzungsbeschlusses G-BA zur Protonentherapie beim Oesophaguskarzinom6].

Mit Abstand am meisten Berücksichtigung findet derspekt der LQ bis dato bei der Nutzenbewertung von Arz-eimitteln. Entsprechend den Vorgaben des SGB V under Arzneimittelnutzenverordnung sowie in Anlehnung anas Methodenpapier des IQWiG hat der G-BA die Berück-ichtigung der Nutzenkategorie Lebensqualität in seineerfahrensordnung aufgenommen. Der G-BA stellt hier-ei im Hinblick auf Studiendesign sowie Datenanalysend -bewertung an den Endpunkt LQ dieselben metho-ischen Anforderungen wie an andere patientenrelevantendpunkte. Die LQ-Erfassung muss mit psychometrischngemessen validierten Instrumenten erfolgen, wobei imahmen der Studie nach Möglichkeit sowohl ein generischesls auch ein krankheitsspezifisches Instrument eingesetzterden sollte. Generische Fragebögen zur Lebensqualität

zum Beispiel EQ-5D oder SF-36), die in England sehr häufigingesetzt werden, um QALYs (Quality Adjusted-Life-Year)

u berechnen, sind aus Sicht des G-BA häufig nicht sensitivenug, um krankheitsspezifische Effekte zu erfassen.

Zu den Positivbeispielen der bislang durchgeführten Nut-enbewertungen von Arzneimitteln, denen ein Zusatznutzen

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tlinien des G-BA — Beispiel DMP Brustkrebs].

nter anderem aufgrund einer hinreichenden, den methodi-chen Anforderungen genügenden Datenlage zur Lebensqua-ität bescheinigt wurde, zählt der Wirkstoff Crizotinib, derei vorbehandelten Patientinnen und Patienten mit fortge-chrittenem nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC)ingesetzt wird. Auch für Ivacaftor, einem Orphan Drug zurehandlung der zystischen Fibrose, ließ sich eine statistischignifikante Verbesserung der Lebensqualität belegen. Zuminsatz im Rahmen der klinischen Studie kam hierbei nebenem generischen Fragebogen (EQ-5D) auch ein validiertesrankheitsspezifisches LQ-Instrument.

Häufiger ist in den mit den Dossiers des pharmazeutischennternehmers eingereichten Studien jedoch zu beobachten,ass LQ-Daten entweder nicht berichtet werden oder aberen methodischen Anforderungen nicht genügen. Für denirkstoff Abirateron zum Beispiel, der zur Hormontherapie

eim Prostatakarzinom eingesetzt wird, lagen zwar Datenur LQ vor, die einen statistisch signifikanten Vorteil gegen-ber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ergaben, dessenlinische Relevanz wurde jedoch völlig unterschiedlich ein-eschätzt. Bei der Nutzenbewertung von Belatacept, einemmmunsuppressivum zur Prophylaxe von Transplantatab-toßungen, konnte ebenfalls ein statistisch signifikanternterschied zugunsten des neuen Wirkstoffs gefunden wer-en, der jedoch nicht als ausreichend betrachtet wurde, umls klinisch relevant beurteilt zu werden. Zu den Beispielen,ei denen mit dem Dossier des pharmazeutischen Unterneh-ers zwar Daten zur Lebensqualität eingereicht wurden, die

ufgrund der zu geringen Rücklaufquote jedoch nicht ver-ertbar waren — der G-BA lehnt eine Rücklaufrote unter 80rozent in der Regel ab — zählt der Wirkstoff Decitabin, derei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) einge-etzt wird, für die eine Standard-Induktionstherapie nicht inrage kommt, sowie Ruxolitinib, ein neuer Wirkstoff, der beiyelofibrose insbesondere mit dem Ziel der Verkleinerung

es Milzvolumens eingesetzt wird.

Einschränkungen im Hinblick auf die Datenlage zurebensqualität haben allerdings nicht zur Folge, dass demeuen Wirkstoff grundsätzlich kein Zusatznutzen attestiert

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werden könnte. Prioritäre Zielgröße der Nutzenbewertungist — ausweislich des Methodenpapiers des IQWiG [3]— die Verlängerung der Überlebenszeit, gefolgt von derReduzierung schwerwiegender Symptome. So wurde zumBeispiel für den Wirkstoff Ruxolitinib im Gesamtergebnisein geringer Zusatznutzen anerkannt, und für den Wirk-stoff Pertuzumab wurde zumindest ein Anhaltspunkt füreinen beträchtlichen Zusatznutzen für Patientinnen mitviszeraler Metastasierung als belegt angesehen. Bei einerden methodischen Anforderungen genügenden Studien-lage wäre die jeweilige Gesamtbewertung möglicherweiseeindeutig beziehungsweise positiver ausgefallen — mitentsprechenden Auswirkungen auf die nachgelagerten Preis-verhandlungen.

Zwischenfazit: Trotz steigender Nachfrage zuwenig valide Daten über gesundheitsbezogeneLebensqualität

Nach 62 frühen Nutzenbewertungen von Arzneimitteln(Stand 19. Dezember 2013) und auch als Resultat der Bera-tungen zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethodenlautet das Zwischenfazit des G-BA zum Endpunkt Lebens-qualität: Global ist zwar eine rapide Zunahme der Erhebungvon Lebensqualitätsdaten in klinischen Studien und in derOutcome-Forschung zu beobachten, und auch die Anzahl vonPublikationen über die Erfassung von Lebensqualität steigtstetig. Dies zeigt ein Bemühen um die Etablierung methodi-scher Standards und um die Entwicklung valider Instrumentezu Erfassung der Lebensqualität. Bei näherer Betrachtungzeigen sich jedoch entweder eine unzureichende Datenlage,indem keine LQ-Daten erhoben oder vorgelegt werden, oderaber methodische Mängel, indem die LQ-Daten nicht odernur eingeschränkt verwertbar sind. LQ-Daten fehlen selbst inBereichen, die seit Jahrzehnten intensiv beforscht werden.So wurden zum Beispiel in einem HTA von BRETTSCHNEIDERet al aus dem Jahr 2011, der insgesamt 123 jüngere klinischeStudien zur Chemotherapie beim Mammakarzinom umfasst,nur sechs Studien gefunden, die sich ausschließlich auf PRObezogen, während 98 Studien rein klinisch angelegt waren[7]. Im Vergleich hierzu: In demselben HTA-Bericht zum Stel-lenwert von PRO wurden unter insgesamt 59 Studien zurBiologika-Therapie bei rheumatoider Arthritis sieben Stu-dien ausschließlich über PRO und 38 Studien immerhin unterBerücksichtigung von PRO gefunden [8].

Limitationen durch klinische Studiendauerund fehlende systematische Einplanung desEndpunkts LQ

Das Fehlen von LQ-Daten ist zum Teil durch das zeitli-che Intervall bis zum Auftreten der erwünschten positivenAuswirkungen auf die Lebensqualität nach Abschluss derklinischen Studie zu erklären. Insbesondere bei der Versor-gung chronischer Erkrankungen wie Diabetes mellitus oderkoronare Herzerkrankung (KHK) werden Einschränkungen

der Lebensqualität (durch den notwendigen Verzicht aufRauchen, Umstellung der Ernährungsgewohnheiten etc.) zuBeginn der Therapie bewusst in Kauf genommen, um zeit-lich nachgelagerte therapeutische Ziele zu erreichen, die

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ußerhalb der Dauer der klinischen Zulassungsstudie liegen.iese Einschränkung der LQ-Datenlage lässt sich im Rahmener Nutzenbewertung von Arzneimitteln zum Beispiel durchinen befristeten Bewertungsbeschluss des G-BA kompen-ieren, gekoppelt mit der Auflage, die noch ausstehendenQ-Daten nachzuliefern. Eine schwieriger zu behebendersache des Mangels an validen Daten zur LQ dürfte jedochein, dass trotz des zwischenzeitlich stattgefundenen Pers-ektivwechsels auf den Patientennutzen in den klinischenulassungsstudien unverändert das progressionsfreie Über-eben als prioritärer, wenn nicht gar einziger relevanterndpunkt gilt.

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en aktuellen und künftigen Entscheidungsnotwendigkei-en, mit denen sich der G-BA konfrontiert sieht, wirdie oben beschriebene faktische Datenlage zur LQ nichterecht. Am deutlichsten wird dies im Zusammenhang miter Nutzenbewertung von Onkologika. Durch die Stratifi-ierung und Individualisierung speziell in der Krebsmedizinerden die Patientengruppen, für die neue Arzneimittelrforscht und entwickelt werden, immer kleiner. Gleichzei-ig verringern sich die erzielbaren Vorteile hinsichtlich derberlebensdauer zwischen Innovation und zweckmäßigerergleichstherapie. Vor diesem Hintergrund bewegt sich der-BA bei der Nutzenbewertung von Onkologika nicht selten

n einem Grenzbereich zu palliativmedizinischen Einzelfall-ntscheidungen. Eine stärkere Berücksichtigung der LQ beier Bewertung des Zusatznutzens ist hier zwingend erfor-erlich, um den individuellen Patientenpräferenzen bessererecht werden zu können.

Ob Patientinnen und Patienten in Palliativsituationen dieerbesserung der Lebensqualität oder aber die Verlängerunger Überlebenszeit unter Inkaufnahme einer Verschlechte-ung der Lebensqualität präferieren, hängt sehr von derersönlichen Einstellung und Lebenssituation der jeweiligenatientin bzw. des jeweiligen Patienten ab. Die holländi-che Autorin Connie Palmen beschreibt am Beispiel ihrer anetastasierendem Mammakarzinom sterbenden Stieftoch-

er Marie, wie das ärztliche Angebot einer Verbesserung derebensqualität aus Patientensicht als Ausdruck der Hilflosig-eit empfunden wird. Weil es nämlich nicht dazu beitragenann noch mitzuerleben, was die Patientin in diesem Fallls wahre Lebensqualität empfindet: Das Miterlebendürfenestimmter Lebensabschnitte der eigenen Kinder wie Ein-chulung oder Abitur [9].

Dieses Beispiel mag noch einmal die Mehrdimensionali-ät des Konstrukts ,,gesundheitsbezogene Lebensqualität‘‘nd seine Abhängigkeit von subjektiven Faktoren veran-chaulicht haben, was — worauf das Referenzzentrumebensqualität der Universität Kiel nicht ohne Selbstiro-ie hingewiesen hat — Karl Popper zu dem Bonmot ,,Neverry to define Quality of Life!‘‘ veranlasst hat [10]. So man-hem erscheint die Mehrdimensionalität des LQ-Begriffs alsefinitorischer Mangel — was aber nicht zutrifft. Die LQ-

orschung beziehungsweise die Etablierung von PRO ist imtudien- und Versorgungsalltag mit Implementierungshürdenonfrontiert, die auch der unverändert vorhandenen Skep-is innerhalb der Ärzteschaft gegenüber patientenseitigen
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ewertungen der ärztlichen Leistung und gegenüber psycho-etrischen Messmethoden geschuldet sind.Ob die Nutzenkategorien Mortalität und Morbidität auf

er einen Seite und gesundheitsbezogene Lebensqualitätuf der anderen Seite zukünftig als gleichwertig behan-elt werden können, wie es von verschiedenen Seitenm Zusammenhang mit der Nutzenbewertung von Onko-ogika, aber auch bei der Bewertung von Arzneimittelnur Behandlung chronischer Erkrankungen vorgeschlagenird, dürfte nicht nur von der LQ-Datenproduktion als sol-her, sondern von der Bereitstellung krankheitsspezifischeralidierter psychometrischer Messinstrumente und von dertablierung einer systematischen Vorgehensweise bei dererücksichtigung von LQ entscheidend abhängen. Dieserachverhalt ließe sich auf den Nenner bringen, dass esiner Art noch zu entwickelnder ,,Good Clinical Practice‘‘ür den Einsatz von PRO bedarf. Eine wichtige Voraus-etzung für eine Aufwertung der gesundheitsbezogenenebensqualität als eine der Überlebensrate gleichwertigenutzenkategorie bei chronischen und lebensbegrenzendenrkrankungen ist, dass die gesundheitsbezogene Lebensqua-ität als primärer oder sekundärer Endpunkt entsprechender Fragestellung systematisch in das Studiendesign ein-eplant wird [11]. Wünschenswert wäre es deshalb, wennine solche systematische Berücksichtigung der Zielgrößeebensqualität nicht erst in Nachbeobachtungsstudien, son-ern bereits in den klinischen Zulassungsstudien erfolgenürde.

Insgesamt betrachtet scheint in Hinblick auf die Einbe-iehung von Aspekten gesundheitsbezogener Lebensqualität

obwohl in aller Munde — aus Sicht des G-BA noch vielntwicklungsarbeit zu leisten sein. Nicht zuletzt, weil die

eschlüsse des G-BA justitiabel sein müssen, sind an die Nut-enkategorie der gesundheitsbezogenen Lebensqualität dieleichen strengen methodischen Anforderungen zu stellenie an die tradierten Zielgrößen.

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R. Klakow-Franck

iteratur

[1] Valderas JM, Alonso J. Patient reported outcome measures:a model-based classification system for research and clinicalpractice. in: Qual Life Res. Nov 2008.

[2] Brettschneider Ch, Lühmann Da, Raspe He (2011) Der Stellen-wert von Patient Reported Outcomes (PRO) im Kontext vonHealth Technology Assessment (HTA). Schriftenreihe HealthTechnology Assessment (HTA) In der Bundesrepublik Deutsch-land, DIMDI.

[3] IQWiG: Aktualisierung einiger Abschnitte der Allgemei-nen Methoden Version 4.0 sowie neue Abschnitte zurErstellung der Allgemeinen Methoden Version 4.1, Entwurfvom 18.04.2013, https://www.iqwig.de/download/13-04-18Entwurf Aktualisierung Allgemeine Methoden 4-0.pdf.

[4] BT-Drs 18/279 (2014) Antwort Bundesregierung auf Anfrageder Fraktion Die Linke. Erstattungsfähigkeit von Arz-neimitteln zur Raucherentwöhnung. URL: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/002/1800279.pdf, 20-01-2014.

[5] IQWiG-Bericht ,,Osteodensitometrie bei primärer und sekun-därer Osteoporose‘‘, https://www.iqwig.de/download/D07-01 Abschlussbericht Osteodensitometrie bei primaerer undsekundaerer Osteoporose.pdf.[zuletzt gesichtet: 20-01-2014].

[6] Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung (Protonenthera-pie beim Ösophaguskarzinom), http://www.g-ba.de/informa-tionen/beschluesse/1426/.[zuletzt gesichtet: 20-01-2014].

[7] Brettschneider Ch, Lühmann Da, Raspe He Der Stellenwert vonPatient Reported Outcomes (PRO) im Kontext von Health Tech-nology Assessment (HTA). Schriftenreihe Health TechnologyAssessment (HTA) In der Bundesrepublik Deutschland, DIMDI,2011.

[8] ebd.[9] Palmen C, Logbuch eines unbarmherzigen Jahres, Amsterdam,

2011.10] Referenzzentrum Lebensqualität der Universität Kiel, http://

www.uni-kiel.de/qol-center/Homepage%20RZLQ/GrundlLQmess.php.[zuletzt gesichtet: 20-01-2014].

11] Küchler Th et al, Zum Stand der Lebensqualitätsmessung in derOnkologie, Referenzzentrum UKSH, 2013.


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