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Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz. Vom 8. April 1922

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Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz. Vom 8. April 1922 Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 39. Jahrg., H. 2 (1922), pp. 267-274 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40907418 . Accessed: 12/06/2014 23:32 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.21 on Thu, 12 Jun 2014 23:32:19 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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Page 1: Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz. Vom 8. April 1922

Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz. Vom 8. April 1922Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 39. Jahrg., H. 2 (1922), pp. 267-274Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40907418 .

Accessed: 12/06/2014 23:32

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Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz. Vom 8. April 1922.

(R.G.B1. 1922, Teil I S. 390.)

§ 1. Süssstoff im Sinne dieses Gesetzes sind alle auf künstlichem Wege gewonnenen

Stoffe, die als Süssmittel dienen können und eine höhere Süsskraft als Saccharose (reiner Rüben- oder Rohrzucker), aber nicht entsprechenden Nährwert besitzen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und der Reichs- minister der Finanzen können mit Zustimmung des Beirats (§11) nach Anhörung von Sachverständigen bestimmen, ob und inwieweit die Vorschriften dieses Gesetzes auf Stoffe, die in einfacher Weise in Süsstoff umgewandelt werden können, An- wendung finden sollen.

§2. Soweit nicht auf Grund der §§3-5 Ausnahmen zugelassen sind, ist es ver-

boten, a) Süssstoff herzustellen oder Nahrungs- oder Genussmittel bei ihrer gewerb-

lichen Herstellung zuzusetzen; b) Süssstoff oder süssstoffhaltige Nahrungs- oder Genussmittel aus dem Aus-

land einzuführen; c) Süssstoff oder süssstoffhaltige Nahrungs- oder Genussmittel feilzuhalten

oder zu verkaufen. §3.

Für die Herstellung und den Absatz oder die Einfuhr von Süssstoffen ist von der Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats einem oder mehreren Gewerbe- treibenden die Ermächtigung zu geben.

Soll nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die Herstellungsbefugnis erweitert oder eingeschränkt werden, so hat die Reichsregierung vor der Entschlussfassung den Beirat zu hören.

Die Ermächtigung ist unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs und nur unter der ausdrücklichen Bedingung zu erteilen, dass der auf die Herstellung und den Absatz des Süssstoffs gerichtete Teil der Geschäftsbetriebe des oder der Berech- tigten unter dauernde amtliche Ueberwachung gestellt wird.

§4. Die Abgabe des gemäss § 3 hergestellten oder eingeführten Süssstoffs im In-

land ist nur an Apotheken und an solche Personen gestattet, die die amtliche Er- laubnis zum Bezüge von Süssstoff besitzen.

Diese Erlaubnis ist nur zu erteilen a) an Personen; die den Süssstoff zu wissenschaftlichen Zwecken verwenden

wollen; b) an Gewerbetreibende zur Herstellung bestimmter Waren, für die die Zu-

setzung von Süssstoff aus einem die Verwendung von Zucker ausschliessenden Grunde erforderlich ist;

c) an Leiter von Kranken-, Kur-, Pflege- und ähnlichen Anstalten zur Ver- wendung für die in der Anstalt befindlichen Personen ;

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268 Deutsches Reichs-Süssstoifgesetz vom 8. April 1922.

d) an die Inhaber von Gast- und Speisewirtschaften in Kurorten, deren Be- suchern der Genuss mit Zucker versüsster Lebensmittel ärztlicherseits untersagt zu werden pflegt, zur Verwendung für die im Orte befindlichen Personen.

Die Erlaubnis ist nur unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs und nur dann zu erteilen, wenn die Verwendung des Süssstoffs zu den angegebenen Zwecken aus- reichend überwacht werden kann.

Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft können nach Anhörung des Beirats die Verwendung und den Ab- satz unter Festsetzung einer bestimmten Höchstmenge von Süssstoff auch für andere als die im Absatz 2 bezeichneten Zwecke unter besonderen Bedingungen und Ueber- wachungsmassnahmen gestatten.

§5. Die Apotheken dürfen Süssstoff ausser an Personen, die eine amtliche Erlaub-

nis (§ 4) besitzen, nur unter den vom Reichsminister der Finanzen und dem Reichs- minister für Ernährung und Landwirtschaft festzustellenden Bedingungen abgeben.

Die im § 4 Abs. 2 zu b benannten Bezugsberechtigten dürfen den Süssstoff nur zur Herstellung der in der amtlichen Erlaubnis bezeichneten Waren verwenden und letztere nur an solche Abnehmer abgeben, die derart zubereitete Waren aus- drücklich verlangen. Die vorgenannten beiden Reichsminister können bestimmen, dass diese Waren unter bestimmten Bezeichnungen und in bestimmten Verpak- kungen feilgehalten und abgegeben werden müssen.

Die im § 4 Abs. 2 zu c und d genannten Bezugsberechtigten dürfen Süssstoff oder unter Verwendung von Süssstoff hergestellte Nahrungs- oder Genussmittel nur innerhalb der Anstalt (zu c) oder des Orts (zu d) abgeben.

§6. Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Ernährung und

Landwirtschaft bestimmen halbjährlich, nach Bedarf auch in kürzeren Zeit- abschnitten, nach Anhörung des Beirats den Veikaufspreis, den der zur Her- stellung oder Einfuhr von Süssstoff ermächtigte Gewerbetreibende für den in- ländischen Absatz zu fordern hat, sowie den Anteil, den der Gewerbetreibende von dem Erlöse nach Deckung seiner Gestehungskosten und nach Zubilligung eines angemessenen Gewinns an das Reich abzuführen hat.

Der für den Inlandsabsatz festzusetzende Verkaufspreis ist so zu bemessen, dass er zu dem Preise des inländischen Zuckers in einem angemessenen Verhältnis steht.

§7. Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Ernährung und

Landwirtschaft haben zu bestimmen, unter welchen Bedingungen unter Berück- sichtigung des Inlandsbedarfs die Ausfuhr von Süssstoff in das Ausland zu ge- statten ist.

§8. Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Ernährung und

Landwirtschaft bestimmen nach Anhörung der Gewerbetreibenden, ob aus dem Urlöse für den nach dem Ausland abgesetzten Süssstoff ein Anteil an das Reich ab- zuführen und wie hoch dieser zu bemessen ist.

§9. Den Reichsanteil ( § 6 Abs. 1 und § 8) hat der Gewerbetreibende an die Reichs-

kasse abzuführen. Der Anspruch auf den Reichsanteil entsteht mit der Abgabe des Süssstoffs

aus den Herstellungsbetrieben. Die näheren Vorschriften über die Entrichtung des dem Reiche zustehenden

Anteils erlässt der Reichsminister der Finanzen. Wenn die Einziehung des Reichsanteils nach Lage der Sache unbillig wäre,

kann der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister 666

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Deutsches Reicks-Süssstoffgesetz vom 8. April 1922. 269

für Ernährung und Landwirtschaft die Einziehung ganz oder zum Teil erlassen oder die Erstattung oder Anrechnung des bereits entrichteten Reichsanteils ver- fügen.

§ 10. Der Anspruch des Reichs auf die Einnahmen aus dem Süssstoffabsatz (§9)

verjährt in 5 Jahren, der auf hinterzogene Einnahmen §§ 13 ff.) in 10 Jahren. Die §§ 122-125 der Reichsabgabenordnung finden entsprechende An-

wendung. § H-

Der erwähnte Beirat wird gebildet aus 2 Vertretern der zur Herstellung er- mächtigten Gewerbetreibenden, 2 Vertretern des Vereins der Deutschen Zucker- industrie in Berlin, 2 Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände beim Deutschen Städtetag und je 5 Mitgliedern des Reichsrats und des Reichstags.

§ 12. Die Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz gelten als Steuerzuwiderhand-

lungen im Sinne der Reichsabgabenordnung. Die Vorschriften des III. Teiles der Reichsabgabenordnung finden Anwendung. Im Sinne dieser Vorschriften steht die dem Reiche zustehende Einnahme (§ 9) der Steuer, der zur Zahlung dieses Be- trags Verpflichtete dem Steuerpflichtigen gleich.

Sachlich zuständig zur Untersuchung und Entscheidung sind die Finanzämter, denen die Verwaltung der Zölle und Verbrauchsabgaben übertragen ist.

§ 13. Die Hinterziehung der dem Reiche zustehenden Einnahmen (§ 9) wird mit

Gefängnis bis zu 2 Jahren und mit Geldstrafe von eintausend bis zu zehn Millionen Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft.

§ 14.

Bestrafung wegen Hinterziehung der Einnahme tritt ein, ohne dass der Vor- satz der Hinterziehung festgestellt zu werden braucht, wenn entgegen den Aus- führungsvorschriften

a) Süssstoff, der sich in den Betriebsräumen befindet, im Herstellungs- oder Lagerbuche nicht eingetragen ist,

b) Süssstoff, der verkauft und versandt ist, nicht spätestens am Tage der Ent- fernung aus den Betriebsräumen in den Geschäftsbüchern nachgewiesen ist.

Wird festgestellt, dass der Täter ohne den Vorsatz der Hinterziehung ge- handelt hat, so tritt keine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung ein. Die §§ 367, 377 der Reichsabgabenordnung bleiben unberührt.

§ 15. Wer der Vorschrift des § 2 vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis

bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu einer Million Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft.

Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu 100,000 M. ein.

§ 16. In den Fällen des § 15 ist neben der Strafe auf Einziehung der Gegenstände

zu erkennen, mit bezug auf welche die Zuwiderhandlung begangen worden ist.

§ Π. Für die Beitreibung der im Reiche zustehenden Einnahmen (§ 9) gelten die

Vorschriften des 5. Abschnitts des Π. Teiles der Reichsabgabenordnung sinngemäss. 667

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270 Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz vom 8. April 1922.

§18. Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erlässt die Reichsregierung

mit Zustimmung des Reichsrats. §19.

Die Vorschriften des § 11 treten mit der Verkündung dieses Gesetzes in Kraft. Den Zeitpunkt des Inkrafttretens der übrigen Vorschriften dieses Gesetzes bestimmt der Reichsminister der Finanzen1). Mit diesem Zeitpunkt tritt das Süssstoffgesetz vom 7. Juli 19022) (R.G.B1. S. 253) ausser Kraft.

Begründung vom 3. März 1921 zum Entwurf eines Süssstoffgesetzes3). Die Gesetzgebung hat sich mit den künstlichen Süssstoffen zuerst in dem Ge-

setze vom 6. Juli 18984) R.G.B1. S. 919) befasst. Darin wird die Verwendung künst- licher Süssstcffe bei der Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln als Ver- fälschung bezeichnet, für die unter Verwendung von künstlichen Süssstoffen her- gestellten Nahrungs- und Genusemittel im Falle ihres Veikaufs oder Feilhaltens die Anbringung einer diese Verwendung erkennbar machenden Bezeichnung vor- geschrieben, ferner die Verwendung künstlicher Süssstoffe bei der gewerbsmässigen Herstellung von Bier, Wein oder Weinähnlichen Getränken, von Fruchtsäften, Konserven und Lakören, von Zucker- und Stärkesirupen sowie auch der Verkauf und das Feilhalten der vorbezeichneten Nahrungs- und Genussmittel, denen künst- liche Süssstcffe zugesetzt sind, verboten.

Da der mit diesem Gesetze verfolgte Zweck eine Abwendung der Wettbe- werbsgefahr für den inländischen Rübenzucker nicht wirksam erreicht wurde, ist im Reichstag in der Sitzung vom 7. Juni 1900 eine Resolution gefasst worden, in der die verbündeten Regierungen um Vorlegung eines Gesetzentwurfs ersucht wurden, durch den die Besteuerung des Saccharins und ähnlicher Süssstoffe in einer der bestehenden Zuckersteuer und der Süsskraft der künstlichen Süssstoffe ent- sprechenden Höhe gesichert werde.

Der daraufhin dem Reichstag unter dem 16. April 1901 vorgelegte Entwurf eines Süssstoffgesetzes, in dem eine Reihe von Verwendungsbeschränkungen und daneben eine Verbrauchsabgabe von 80 M. für ein Kilogramm chemisch reinen Süssstoff vorgesehen waren, hat bei den Kommissionsberatungen wesentliche Aen- derungen erfahren (grundsätzliches Verbot der Herstellung und Einfuhr von Süss- stoff, Zulassung der Ermächtigung zur Herstellung und Einfuhr an einen oder mehrere Gewerbetreibende, Beseitigung der vorgeschlagenen Verbrauchsabgabe) und ist alsdann in dieser abgeänderten Fassung vom Reichstag verabschiedet und demnächst als Süssstoffgesetz vom 7. Juli 1902 am 1. April 1903 in Kraft getreten (R.G.B1. S. 253).

Die in diesem noch geltenden Gesetz enthaltene starke Beschränkung der Verwendung von Süssstoffen bei der Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln hat infolge des während des Krieges hervorgetretenen Zuckermangels auf Grund des § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Massnahmen usw. vom 4. August 1914 (R.G.B1. S. 327) und der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 30. März 1916 (R.G.B1. S. 213) wieder erhebliche Ab- schwächungen erfahren. So ist die Verwendung von Süssstoff zugelassen bei der gewerblichen Herstellung von Limonaden, natürlichen und künstlichen Frucht- säften, fruchtsaftartigen Getränken aller Art, Dunstobst, Schaumwein, Likören, Obst- und Beerenwein, Essig, Mostrich, Fischmarinaden, Kautabak, kosmetischen Mitteln und obergärigem Biere. Us ist auch abweichend von § 16 der jetzigen Aus- führungsbestimmungen nachgelassen worden, dass die so hergestellten Waren ohne nähere Kennzeichnung der Art der Süssung feilgehalten und verkauft werden

i) „Das Gesetz tritt in vollem Umfang am 1. Oktober 1923 in Kraft." VO. des Reichs- ininisters der Finanzen vom 11. September 1922 (R.G.B1. 1922, Teil I Nr. 64 8. 727).

*) Mitgeteilt im Finanzarchiv ia (1902) s. 852. *) neicflstag, i. waniperioae lyswfsi, jjrucKsacne m' lbi'J. *) Mitgeteilt, im Finanzarcniv ltf (1899) S. ms.

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Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz vom 8. April 1922. 97 1

dürfen. Daneben ist die Reichszuckerstelle ermächtigt worden, in Fällen dringenden Bedarfs auch noch zu anderen Zwecken - d. i. zum allgemeinen Verbrauch - an Kommunalverbände Süssstoff nach Massgabe der verfügbaren Bestände zu über- weisen (Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 25. April, 26. Mai, 7. Juni, 20. Juni, 20. Juli und 19. September 1916 - R.G.B1. S. 340, 421, 469, 533 und 763 sowie Reichsanzeiger Nr. 22 - ). Neuerdings ist sogar der Absatz einer bestimmten Höchstmenge unmittelbar an die Verbraucher ohne Bezugsschein zugelassen wor- den1). (Bekanntmachung vom 25. November 1920 - R.G.B1. S. 1993 -). Bis zum 30. Juni 1920 wurde der in den zur Herstellung von Süssstoff ermächtigten Be- trieben hergestellte Süssstoff an die Kriegschemikalien- Aktiengesellschaft geliefert, die den Süssstoff der Zentral-Einkaufsgesellschaft zur Verfügung zu stellen hatte. Die letztere hatte das rein Geschäftliche des Ankaufs und Verkaufs sowie die Ab- lieferung der Gewinne an die Reichskasse zu besorgen, die dadurch erzielt Werden, dass der Süssstoff zu einem im Verhältnis zum Zuckerpreis als angemessen erach- teten höheren Preise an die Verbraucher abgegeben wird. Infolge der Bekannt- machung über den Verkehr mit Süssstoff vom 16. Juni 1920 (R.G.B1. S. 1218) ist seit dem 1. Juli 1920 die Reichszuckerstelle an die Stelle der Kriegschemikalien- Gesellschaft getreten; die Z.E.G. ist ausgeschaltet. Der Reichszuckerstelle liegt jetzt allein die allgemeine Bewirtschaftung sowie die Ueberwachung der Betriebe hinsichtlich des Absatzes und die Abführung der Gewinne an die Reichskasse (Reichsschatzministerium) ob.

Grundsätzlich muss auch für die Zukunft an der durch das Süssstoffgesetz von 1902 eingeführten Beschränkung der Herstellung von Süssstoff festgehalten werden; denn sie schützt den Zucker gegen den Wettbewerb des Süssstoffs und dient damit nicht bloss der deutschen Zuckerindustrie und Landwirtschaft, sondern wesentlich auch dem Ausfuhrhandel, der Volksernährung und den Reichsfinanzen, also Gebieten, die zur Besserung der Valuta, der Volksgesundheit und der Finanz- lage des Reichs besondere Berücksichtigung erheischen. Die jetzt zugelassene er- weiterte Verwendung von Süssstoff wird voraussichtlich noch eine Zeitlang beibe- halten werden müssen; wenigstens so lange, bis eine ausreichende - das ist eine mindestens den früheren Friedensbedarf erreichende - Versorgung der Bevöl- kerung mit Zucker wieder möglich ist. Auch später wird der Süssstoff über das frühere Mass hinaus ohne Schädigung der Zuckerwirtschaft in gewissem Umfang Verwendung finden können. Die erweiterte Verwendung von Süssstoff kann ater wie bisher nur zu einem Preise zugelassen werden, der zu dem Preise des Zuckers in einem angemessenen Verhältnis steht. Der aus dieser Preisbemessung gegenüber den Herstellungskosten und dem berechtigten Gewinne für Erzeuger und Handel sich ergebende Ueberschuss muss für das Reich in Anspruch genommen werden und eine dauernde Reichseinnahme bilden.

Bei der Prüfung der Frage, in welche gesetzliche Form diese Reichseinnahme zu kleiden sei, ergab sich, dass sowohl eine Verbrauchsabgabe, als das Herstellungs- monopol ausscheiden müssen. Eine Verbrauchsabgabe würde einen festen Satz erfordern, was mit der wechselnden Preisbemessung schwer in Einklang zu bringen ist. Ein Herstellermonopol ist deshalb nicht durchführbar, weil in den in Betracht kommenden Fabriken die Süssstoffgewinnung nur einen Teil des Gesamtbetriebs bildet und weil die Süssstoffanlagen nicht räumlich getrennt sind von den anderen Anlagen, die verschiedenen Betriebe auch vielfach ineinander eingreifen. Es bleibt also nur ein Handelsmonopol übrig. Bei diesem kann man entweder ein besonderes Monopolvertriebsamt einrichten, das den Süssstoff von den Herstellern und bei der Einfuhr zu übernehmen und dann im Inland und Ausland abzusetzen hat. Oder man kann den Betrieb den Fabriken belassen, aber den Preis für den Inlandsabsatz

*) Von der Reichszuckerstelle wurden Süssstoft (ohne Heereszwecke) zugewiesen (Aktenstücke z. d. Verh. des Reichstags 1920|21 Nr. 1576):

1916 1917 1918 1919 1920 Tonnen 158 216 346 427 600 (Voranschlag)

davon an Kommunalverbände Saccharin 82 92 159 239 - an die Gewerbe „ 76 80 32 55 -

Dulcin - 44 155 133 - 669

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272 Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz vom S.April 1922.

im annähernden Verhältnis zum Preise des inländischen Zuckers amtlich festsetzen und den Erlös nach Abzug eines den Fabriken zu belassenden Anteils für Gestehungs- kosten und angemessenen Gewinn an die Reichskasse abführen lassen. Bei dem Auslandsabsätze würde eine amtliche Preisfestsetzung nicht eintreten, weil sich ein Weltmarktpreis für Süssstoff, wie die Erfahrung immer wieder zeigt, nicht fest- stellen lässt. Der Erlös würde nach einem bestimmten Schlüssel zwischen Reich und Fabrikanten zu teilen sein. Nach dem Ergebnis der vorgenommenen Prüfung verdient der zweite Weg, der in seinem Ergebnis hinsichtlich des Inlandsabsatzes in der Hauptsache der zur Zeit bestehenden Regelung entspricht, den Vorzug. Er lässt den Fabriken für ihren Absatz genügende Bewegungsfreiheit, die besonders für die Ausfuhr von grosser Bedeutung ist. Das Verfahren ist einfach und für die Sicherung der an das Reich abzuführenden Einnahmen ebenso zuverlässig wie die Errichtung eines Monopolvertriebsamts, da in keinem Falle die ständige amtliche Ueberwachung der Betriebe entbehrt werden kann. Ausserdem muss aus allge- meinen finanziellen Gründen die Schaffung einer mit nicht unerheblichen Kosten verbundenen neuen Behördenorganisation, die nicht unbedingt notwendig ist, ver- mieden Werden.

Die Aufwendungen für die den amtlichen Stellen bei der Durchführung des neuen Gesetzes obliegenden Aufgaben werden ganz geringfügig sein. Den Inlands- verkaufspreis und die Gestehungskosten kann der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft unter Zuziehung eines Beirats festsetzen, ebenso den Anteil des Reichs an dem Er- lös aus dem Auslandsabsätze. Die Ueberwachung der Fabriken und ihrer Buch- führung hat durch die Finanzämter (Hauptzollämter), geeignetenfalls unter Mit- wirkung kaufmännisch geschulter Kräfte zu erfolgen. Auf diesen Grundlagen ist der vorliegende Gesetzentwurf aufgestellt. Eine Schätzung der aus dem Gesetze zu erwartenden Einnahmen ist schwierig, da man zur Zeit weder den Umfang des Süssstoffverbrauchs in den nächsten Jahren noch die Preise genau übersehen kann. Wie bereits oben angeführt ist, wird der Zuckerverbrauch nur langsam zunehmen, anderseits für gewisse Zwecke die Süssstoffverwendung wahrscheinlich für längere Zeit oder auch dauernd zugelassen werden. Man wird danach Wohl zunächst mit der jetzigen Einnahme rechnen können, zumal die Preise mit den Zuckerpreisen steigen müssen. Da im Jahre 1918 der Reichskasse rund 50 Mill. M., im Jahre 1919 rund 75 Mill, und im Jahre 1920 rund 90 Mill, zugeflossen sind, wird man bei vor- sichtiger Schätzung für die Zukunft mit einer jährlichen Einnahme von 100 Mill. M. rechnen können.

Zu den einzelnen Vorschriften des Gesetzes ist folgendes zu bemerken:

Zu § 1.

Im Abs. 1, der im übrigen mit § 1 des Süssstoffgesetzes vom 7. Juli 1902 über- einstimmt, sind die Worte „raffinierter Rohr- und Rübenzucker" durch „Saccharose (reiner Rüben- oder Rohrzucker)" ersetzt. Die Feststellung der Süsskraft eines Stoffes und somit auch die Entscheidung der Frage, ob ein Stoff eine höhere Süss- kraft als Zucker besitzt, ist Sache eines Fachmannes (Chemikers), für den die Be- zeichnung Saccharose unzweideutig ist. Bei derartigen Untersuchungen wird man auch nicht raffinierten, d. h. technisch reinen, sondern chemisch reinen Zucker verwenden, was mit der Bezeichnung Saccharose gleichbedeutend ist. Da Rohrzucker im Deutschen Reiche schon· lange keine nennenswerte Bedeutung hat, wird der Rübenzucker an erster Stelle genannt Werden müssen. Der Abs. 2 ist neu und beruht darauf, dass seit dem Inkrafttreten des geltenden Süssstoffgesetzes Vor- stufen und Umwandlungen des Süssstoffs in den Handel gebracht werden, die zwar selbst keine oder nur eine geringe Süsskraft besitzen, aus denen aber ohne umständ- liche Vorbereitungen und auf einfache Weise Saccharin oder ein anderer Süssstoff gewonnen werden kann. Die Notwendigkeit, diese Vorstufen und verhüllten Süss- stoffe bei der staatlichen Ueberwachung des Süssstoffverkehrs den eigentlichen Süss- stoff en gleichzustellen, ist auch schon bei der internationalen Süssstoffkonferenz in Paris im Jahre 1909 allseitig anerkannt worden.

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Deutsches Reichs-Süssstoffgesetz vom 8. April 1922. 273

§2 ist unverändert geblieben.

Zu § 3. Im Abs. 2 des § 3 des geltenden Gesetzes ist der zweite Satz weggefallen, weil

die Vorschrift durch die §§ 6 u. 7 des Entwurfs ersetzt ist. Dafür musste aber eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um die aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen voraussichtlich noch längere Zeit hindurch nötige Ueberwachung des ganzen Verkehrs mit Süssstoff von der Herstellung an bis zur Verteilung in der Hand zu behalten. Dem sucht die neue Fassung von § 3 Abs. 2 Rechnung zu tragen. Die Schaffung einer neuen Dienststelle ist nicht beabsichtigt. Die Regelung wird sich durch Benutzung schon vorhandener Einrichtungen durchführen lassen. Die Fabriken werden wie andere steuerpflichtige Betriebe dem örtlich zuständigen Hauptzollamt unterstellt werden, das die Ueberwachung des Betriebes selbst, der Buchführung und der Versendung sowie die Erhebung der Abgabe zu bewirken haben wird.

Hierbei ist zu bemerken, dass der § 11 des geltenden Süssstoffgesetzes als er- ledigt anzusehen ist. Den infolge des Herstellungsverbots entschädigungsbe- rechtigten Fabriken sind die ihnen zustehenden Entschädigungen ausbezahlt wor- den. Die Fabrik von Fahlberg List u. Co. in Selbke-Westerhüsen hat von der für den Fall der Betriebsuntersagung ihr zugebilligten Entschädigung wegen der durch das Süssstoffgesetz herbeigeführten Verminderung ihres Absatzes vier Fünftel er- halten. Das letzte Fünftel ist ihr ohne Beschränkung auf einen bestimmten Zeit- raum im Falle des Erlöschens der der Fabrik erteilten Ermächtigung zur Auszah- lung zu bringen. (Beschlüsse des Bundesrats vom 5. März und 13. November 1903 und vom 3. Juli 1905 - §§ 189, 639 und 526 der Protokolle - ). Die während des Krieges erneut zugelassenen Fabriken haben für den Fall der Zurückziehung der Ermächtigung ausdrücklich auf jede Entschädigung verzichtet.

Zu §§ 4 und 5. Die Vorschriften entsprechen im wesentlichen denen der §§ 4 u. 5 des gelten-

den Gesetzes. Der neue letzte Absatz des § 4 soll die Handhabe bieten, die infolge der Zuckerknappheit der letzten Jahre zugelassenen Verwendungsarten des Süss- stoffs auch künftig ganz oder zum Teil bestehen zu lassen. Seine Fassung ist im Hinblick auf Art. 1 der Bekanntmachung über den Verkehr mit Süssstoff vom 25. No- vember 1920 (R.G.B1. S. 1993) gewählt. In den Ausführungsbestimmungen würde dann zur Vermeidung von Zweifeln und zur besseren Uebersicht eine Zusammen- stellung der geltenden Ausnahmen zu geben sein. Im § 6 des Entwurfs ist der Bundesrat durch den Reichsminister der Finanzen und für Ernährung und Land- wirtschaft ersetzt.

Zu §§ 6-11. Diese Vorschriften enthalten die Unterlagen für die Bemessung und Ab-

führung der neuen Reichseinnahmen. Die näheren Bestimmungen über die Aus- führung erlässt der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichs- minister für Ernährung und Landwirtschaft. Die amtliche Ueberwachung erstreckt sich auf Grund von § 1 Abs. 2 und § 3 Abs. 2 des Entwurfs auch auf den Verkehr mit Süssstoff-Halberzeugnissen. Dies gibt die Möglichkeit einer Einwirkung auf die Hersteller ausländischer Süssstoffe und einer Erschwerung ihrer (verbotenen) Einfuhr. Für die Verjährung (§ 10) sind die angezogenen Vorschriften der Reichs- abgabenordnung anzuwenden. Zur Vermeidung von Härten erscheint es erforder- lich, den Reichsminister der Finanzen zu ermächtigen, von der Einziehung des Mehr- erlöses in gewissen Fällen im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft aus Billigkeitsgründen abzusehen (vgl. § 108 der Reichsab- gabenordnung).

Zu §§ 12-14. Diese Vorschriften betreffen das Strafverfahren sowie die Zuwiderhand-

lungen, die auf eine Verkürzung der neuen Reichseinnahmen gerichtet sind, und Finanzarehiv. XXXIX. Jahrg. 671 18

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die zur Sicherung ihres Aufkommens nötige strafrechtliche Regelung. Die meisten Zuwiderhandlungen wurden bisher von Zollbeamten und bei Zollbehörden an- hängig gemacht, die sich lediglich auf die Weitergabe der Sachen an die Gerichte zu beschränken hatten. Es ist erwünscht, dass hier das einfachere und schnellere Verfahren der Reichsabgabenordnung für Steuerzuwiderhartdlungen Platz greift.

Die Bestimmungen im § 12 des Entwurfs erschienen nötig, weil die Vor- schriften der Reichsabgabenordnung nicht ohne weiteres anwendbar sein würden, da die Einnahme aus dem Süssstoffverkehr keine Steuer im Sinne des § 1 der Reichs - abgabenordnung darstellt.

Zu §§ 15 und 16. Diese Straf Vorschriften entsprechen im wesentlichen denen der §§ 7 u. 9 des

geltenden Süssstoffgesetzes. § 8 des jetzigen Gesetzes ist durch die Freigabe des so- genannten Mundverkaufs von Süssstoff gegenstandslos geworden. Die angedrohten Geldstrafen sind mit Rücksicht auf die Entwertung des Geldes entsprechend er- höht. § 10 des Gesetzes ist durch § 12 des Entwurfs ersetzt.

Zu § 17. Die Aufnahme dieser Vorschrift erschien aus den zu den §§ 12-14 über die

Geltung der Reichsabgabenordnung angegebenen Gründen erforderlich.

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