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MARCO FERG, SEPAND RASTEGAR, UWE STRÄHLE
INSTITUT FÜR TOXIKOLOGIE UND GENETIK, KARLSRUHER INSTITUT FÜR
TECHNOLOGIE (KIT)
In contrast to mammals where the formation of new neurons in the adultis very limited, teleost fish like the zebrafish form new neurons abundant-ly and have a high regenerative potential to repair lesions of the centralnervous system. These news neurons will integrate into the existing neu-ronal networks. The challenge will be to unravel the molecular mecha-nisms of nervous tissue regeneration in zebrafish in the hope to employthis knowledge for development of new therapies for human patients.
10.1007/s12268-014-0419-0© Springer-Verlag 2014
Geweberegeneration bei Wirbeltierenó Die Regenerationsfähigkeit vieler mensch-licher Organe ist stark eingeschränkt. Obwohleinige Organe, wie das Blut und die Haut, sichständig erneuern, sind andere Organe, wieHerz, Niere oder unser Gehirn, ausgespro-chen ineffektiv, wenn es darum geht, durchKrankheit oder Verletzungen entstandeneGewebeschäden zu heilen. Ein anderes Bildergibt sich, wenn man weitere Wirbeltierebetrachtet: So wissen wir, dass das Axolotl,ein mexikanischer Schwanzlurch, Gliedma-ßen neu bilden und Organe, wie z. B. Herzoder auch Gehirn, zum Teil regenerierenkann. Eidechsen bilden ihren Schwanz bei
Verlust nach. Fische können Organe in einerWeise regenerieren, von der wir Menschennur träumen können. So können Fische eindurchtrenntes Rückenmark oder den Sehnervbei voller Wiederherstellung der Funktionreparieren.
In den letzten Jahrzehnten hat der Zebra-bärbling oder Zebrafisch (Danio rerio), eintropischer Süßwasserfisch, als neues Modellder Entwicklungsbiologie Einzug in unsereLabore gehalten. Wir wissen in der Zwischen-zeit, dass Zebrabärblinge nicht nur für Stu-dien der Embryonalentwicklung gute Modell -organismen darstellen, sondern sich in vie-len Bereichen der biomedizinischen For-
schung als Modelle bewähren, so auch imBereich der Regenerationsbiologie. In diesemÜbersichtsartikel möchten wir die Arbeitenzusammenfassen, die die Regeneration desZebrafisch-Gehirns beleuchten.
Neurogenese im erwachsenenZebrabärblingDas Gehirn des erwachsenen Zebrabärblingsproduziert neue Neurone in vielen Bereichen.Die quantitative Erfassung neugeborener Zel-len zeigte, dass pro Stunde ungefähr 12.000neue Zellen im Gehirn des erwachsenenZebrabärblings gebildet werden. Dies ent-spricht 0,06 Prozent der geschätzten 107 Zel-len des Gehirns des erwachsenen Zebrabär-blings [1]. Auch im Gehirn erwachsener Säu-getiere findet in bestimmten Bereichen Neu-rogenese statt. Hier sind in erster Linie derHippocampus und die subventrikuläre Zonedes Telencephalon zu nennen. In wesentlichgeringerem Ausmaß erfolgt die Neubildungvon Neuronen auch in anderen Regionen desSäuger-Gehirns [1].
In den letzten Jahren fokussierten sichmehrere Arbeitsgruppen auf die Analyse derNeurogenese im adulten Telencephalon desZebrabärblings. Das Telencephalon der Fischewird durch Eversion, und nicht durch Evagi-nation gebildet [2]. Durch diese Eversion wer-den die Stammzellnischen im Telencephalonexperimentell zugänglich. Man kann damitdurch Mikroinjektion in den Ventrikel mani-pulativ auf die Neurogenese einwirken undvia Lipofektion Stammzellen transfizierenoder mithilfe von antisense-Techniken Genex-pression gezielt ausschalten [3, 4]. Die proli-ferative Region umfasst die ganze Oberflächedes nach außen gestülpten Telencephalons(Abb. 1). Entlang dieser ventrikulären Ober-fläche befinden sich die Zellkörper von ra -dialen Gliazellen (RGZ). RGZ zeichnen sichdurch lange Zellfortsätze aus, die das ganzeParenchym des Telencephalon durchziehen(Abb. 1), und erinnern an die RGZ, die zeit-weilig im sich entwickelnden Telencephalonder Maus als Stammzellen dienen. Wie imSäuger, exprimieren die RGZ im Zebrafisch-Gehirn Gene, die für Astrozyten charakteris-
Geweberegeneration
Der Zebrabärbling als Modell für dieRegeneration von Nervengewebe
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¯ Abb. 1: GFAP(glialfibrillary acidic pro-tein)-spezifischeExpression von GFP-markierten Radial -gliazellen im Telence-phalon des adultenZebrabärblings Daniorerio.
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tisch sind und als Stammzellmarker aus Stu-dien der Neurogenese in der erwachsenenMaus bekannt sind (Abb. 2, [5, 6]). Weiter-hin konnte gezeigt werden, dass es Subpo-pulationen von RGZ gibt, die sich im Tei-lungsmodus befinden und somit Zelltei-lungsmarker wie PCNA (proliferating cellnuclear antigen) exprimieren. Die größte Zahlan RGZ ist aber in einem nicht-proliferieren-den Ruhezustand. Das Gleichgewicht zwi-schen sich teilenden und sich im Ruhezustandbefindenden RGZ kann durch die Aktivierungdes Notch-Signalweges verschoben werden:Notch-Aktivierung in RGZ induziert den Ruhe-zustand [3]. Wenn RGZ sich teilen, kann diessymmetrisch oder asymmetrisch geschehen[7]. Zum einen können dadurch neue RGZentstehen, die den Erhalt der Stammzellensichern. Zum anderen werden Neuroblastengebildet, die in eine neuronale Richtung zudifferenzieren beginnen, neuronale Markerexprimieren und die typischen Markergenefür RGZ herunterregulieren. Neuroblastenproliferieren zu einem gewissen Grad weiter,bevor sie dann postmitotische Neurone wer-den, die sich im periventrikulären Parenchymansiedeln [7]. Es gibt Unterschiede in der Tei-lungsrate und dem Wanderungsverhalten derNeuroblasten. In der Region, die homolog zursubventrikulären Zone des Säuger-Gehirnsist, werden in großer Zahl Neuroblasten ampli-fiziert. Diese wandern dann hauptsächlich inden rostralen migratorischen Strom ein undbilden wie in Säugern schließlich im Riech-kolben neue Neurone [1].
Im Gegensatz zur ventrikulären Zone fandman im Parenchym des Telencephalons nurgeringe Zellteilungsaktivität. Es handelt sichdabei um proliferierende Vorläufer von Oli-godendrozyten, die im differenzierten Zustanddie Myelinscheide um Axone bilden. Interes-santerweise gibt es außer den RGZ keineAstrozyten im Zebrafisch-Telencephalon.Stattdessen ist die Zahl der unreifen, sichlangsam teilenden Vorläufer der Oligoden-drozyten im Telencephalon des Zebra bärb -lings weitaus höher als in demjenigen derMaus [8]. Neue Neurone werden jedoch aus-schließlich in der ventrikulären Zone gebil-det. Ob die ventrikuläre proliferierende Zoneauch Oligodendrozyten produzieren kann,bleibt noch aufzuklären.
Regeneration von Nervengewebe imerwachsenen ZebrabärblingDurch Verletzung des Nervengewebes wirddie konstitutiv vorhandene Neurogeneseenorm gesteigert. So wird z. B. durch eine
Nadel, die durch die Schädeldecke in dasTelencephalon eingeführt wird, die Prolifera-tion in den Stammzellnischen in allen ven-trikulären Bereichen der verletzten Hemi-sphäre massiv erhöht (Abb. 3). Eine großeZahl von radialen Gliazellen exprimiert Pro-liferationsmarker und produziert schließlichneue Neurone. Die neu gebildeten Neuronewandern in die verletzten Regionen ein. Dabeiwird das verletzte Gewebe so regeneriert, dassanatomisch in drei Wochen keine Spur derVerletzung mehr nachgewiesen werden kann[9–11].
Die Zellteilungsantwort auf Verletzungkann bereits nach drei Tagen durch dieZunahme von Proliferationsmarkern wiePCNA gemessen werden. Noch viel schnellerwird der Zinkfinger-Transkriptionsfaktor
Gata3 im verletzten Gehirn hochgefahren undstellt somit wahrscheinlich die erste Antwortauf Verletzungen des Gehirns dar [12]. Inter-essanterweise wird die Proliferation nur inder verletzten Hemisphäre des Telencepha-lon angeregt. Die in der Mitte dicht anliegendeunverletzte Hälfte zeigt keine Proliferations-antwort [11], was darauf hindeutet, dass dieSignale nur innerhalb der verletzten Hemi -sphäre aktiv sind.
Eine geringe Proliferation kann auch direktan der Läsion nachgewiesen werden. DieLäsion füllt sich schnell mit Blutzellen. Inner-halb weniger Tage akkumulieren dort Vor-läuferzellen von Oligodendrozyten, aber auchMikroglia und andere Fresszellen [11]. ImGegensatz zu Gehirnverletzungen in Säugern,wo Vorläuferzellen von Oligodendrozyten
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˚ Abb. 2: Schematische Darstellung eines Querschnitts des Telencephalon vom ZebrabärblingDanio rerio, der die Lage, Differenzierungsstadien (A) und Marker (B) von Radialgliazellen im adul-ten Telencephalon zeigt.
A
B
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stark proliferieren, findet nur eine sehr mode-rate Proliferation von Oligodendrozyten imBereich der Läsion im Zebrabärbling statt. ImWesentlichen scheint daher die Akkumula-tion dieser Zellen auf Einwanderung ausbenachbarten Regionen zu beruhen [11]. ImGegensatz zum Säuger-Gehirn bildet sich kei-ne Narbe. Das Narbengewebe in Säugern bil-det Barrieren, die die Bildung von neuen Axo-nen und das Einwandern von Zellen verhin-dern. Daher ist die narbenfreie Verheilung imGehirn des Zebrabärblings wahrscheinlichein Schlüsselcharakteristikum, das die phä-nomenale Fähigkeit von Fischen, Verwun-dungen des Gehirns zu reparieren, wenig-stens zum Teil erklären könnte.
AusblickObgleich wir in den letzten Jahren einige Ein-blicke in die molekularen Mechanismen derGeweberegeneration von Gehirnläsionen imZebrabärbling erlangt haben, sind wir nochweit davon entfernt, dieses Phänomen grund-sätzlich zu verstehen. Die Bildung neuer Neu-rone findet im Gehirn und Rückenmark deserwachsenen Menschen hingegen nur sehrbegrenzt statt. Verletzungen oder degenera-tive Schädigung dieser Gewebe sind in derRegel irreparabel. Die Frage ist nun, ob wirunter Umständen durch Untersuchungen die-ser Vorgänge im Zebrabärbling-Gehirn ler-nen können, wie man dies auch im Gehirneines Menschen bewerkstelligen kann. ó
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Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Uwe SträhleInstitut für Toxikologie und GenetikKarlsruher Institut für Technologie (KIT)Postfach 3640D-76021 KarlsruheTel.: 0721-608-23291Fax: 0721-608-23354uwe straehle@kit edu
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¯ Abb. 3: Expressiondes Proliferations-markers PCNA (proli-ferating cell nuclearantigen) im medialenBereich des Telence-phalon vom Zebra-bärbling Danio rero.Verletzung führt zueiner verstärktenExpression von PCNAim linken Ventrikel(Pfeilspitze), abernicht im rechten Ven-trikel (unverletzt).
AUTORENUwe SträhleBiologiestudium an der Universität Heidelberg und der University of Edinburgh, UK.1988 Promotion am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg, anschlie-ßend Postdoc am DKFZ, der University of Oregon, Eugene, USA, und der University ofOxford, UK. 1994 Gründung einer eigenen Arbeitsgruppe am Institut Génétique Biolo-gie Moléculaire Cellulaire (IGBMC) bei Straßburg, Frankreich. Seit 2003 Ordinarius fürUmwelttoxikologie an der Universität Heidelberg und Direktor des Instituts für Toxikolo-gie und Genetik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). 2012 Gründung des Euro-pean Zebrafish Resource Centre am KIT.
Marco FergBiologiestudium an der Technischen Hochschule Karlsruhe. 2008 Promotion in der Arbeitsgruppe von Dr. F. Müller an der Universität Heidelberg. Seit 2009 wissenschaft-licher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. U. Strähle am Institut für Toxikolo-gie und Genetik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Sepand RastegarBiologiestudium an der Universität Straßburg, Frankreich. 2000 Promotion an der Universität Ulm, bis 2005 Wissenschaftler am Institut Génétique Biologie MoléculaireCellulaire (IGBMC) bei Straßburg, Frankreich. Seit 2005 Projektleiter am Institut für Toxikologie und Genetik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).