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Der Weg des Leuna Werkes zum Chemieunternehmen: Ein Stück Geschichte der technischen Chemie - Teil...

Date post: 28-Jan-2017
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Übersichtsbeitrag Der Weg des Leuna Werkes zum Chemieunter- nehmen: Ein Stück Geschichte der technischen Chemie – Teil 2 Karl Becker DOI: 10.1002/cite.201300097 Die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hatten in der Chemie gezeigt, welche beeindruckenden Leistungen der Mensch, dank Intelligenz, Wissen und Leistungswillen, zu vollbringen vermag. Die drei großen Synthesen, die Ammoniak-, Methanol- und Kohlenwasserstoffsynthese, entwickelt und realisiert unter Bedingungen, die in der wissenschaftlichen Welt für fast nicht möglich gehalten wurden, haben nicht nur die Welt der Chemie und Technik revolutioniert. Die Ursprünglichkeit dieser auf Basis der elementaren Rohstoffe der Natur Luft, Wasser und fossile Kohlenstoffträger durch- geführten Synthesen hat zu dem unerschütterlichen Vertrauen in die Beherrschbarkeit wissenschaftlich-technischer Pro- zesse beigetragen. Die Folgen dieser Synthesen vermittelten der großtechnischen Chemie Impulse, so dass sich Lebens- standard und Lebensqualität der menschlichen Gesellschaft schrittweise und nachhaltig verbesserten. Schlagwörter: Chemiegeschichte, Chemieindustrie, Hochdruckchemie, Leuna Eingegangen: 11. Mai 2013; akzeptiert: 31. Juli 2013 The Development of the Leuna Werk into a Chemical Enterprise – A Chapter of History of Technical Chemistry Part 2 The first three decades of the 20th century showed the impressing accomplishments mankind is able to achieve based on intelligence, knowledge, and motivation. The three major syntheses, i.e., the synthesis of ammonia, methanol, and liquid hydrocarbons, which have been developed and realized under presumed impossible circumstances did not only change the world of chemistry and technology. The originality of these syntheses based on elemental raw materials – air, water and fossil carbon sources – led to a confidence in the controllability of technological processes. The consequences of these syntheses provided the impulse to the chemical industry to improve both standard of living and quality of life stepwise and lasting. Keywords: Chemical industry, High pressure processes, History of chemistry, Leuna 1 Einleitung Während die Alchimie noch handwerkliche Züge zeigte, zeichnet sich die moderne technische Chemie seit Beginn des 20. Jahrhunderts dadurch aus, dass sie Ergebnis solider wissenschaftlich-technischer Forschung und Vorausschau ist. Es geht nicht um die Pflege und Optimierung tradi- tioneller Produkte, sondern um die Erschließung ständig neuer Arbeitsgebiete. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte in den führenden deutschen Chemieunterneh- men die Farbenindustrie. Nicht ohne Grund firmierte der 1925 gegründete Verband der größten Chemieunterneh- men Deutschlands als I.G. Farbenindustrie AG. Auf Basis der Rohstoffe aus den großen Synthesen entwickelten sich verstärkt völlig neue Produktlinien, wie die Düngemittelin- dustrie, die Chemie der organischen Grundstoffe, die Phar- maindustrie, die Industrie der Hochpolymeren (Kunststoff- industrie) sowie die Kosmetik- und Riechstoffindustrie. Was wären moderne Industriezweige wie die Automobilindus- trie, die Elektronik- und Kommunikationsindustrie, die Textilindustrie, die Medizintechnik, die Sportgeräteindustrie oder die Leuchtstoffindustrie heute ohne eine forschungsin- tensive und leistungsfähige Chemie? Chemie Ingenieur Technik Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1835–1852 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com Dr. Karl Becker ([email protected]), Steinmaate 6, 48529 Nordhorn, Deutschland. Chemiegeschichte 1835
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Page 1: Der Weg des Leuna Werkes zum Chemieunternehmen: Ein Stück Geschichte der technischen Chemie - Teil 2

Übersichtsbeitrag

Der Weg des Leuna Werkes zum Chemieunter-nehmen: Ein Stück Geschichte der technischenChemie – Teil 2Karl Becker

DOI: 10.1002/cite.201300097

Die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hatten in der Chemie gezeigt, welche beeindruckenden Leistungen der

Mensch, dank Intelligenz, Wissen und Leistungswillen, zu vollbringen vermag. Die drei großen Synthesen, die Ammoniak-,

Methanol- und Kohlenwasserstoffsynthese, entwickelt und realisiert unter Bedingungen, die in der wissenschaftlichen

Welt für fast nicht möglich gehalten wurden, haben nicht nur die Welt der Chemie und Technik revolutioniert. Die

Ursprünglichkeit dieser auf Basis der elementaren Rohstoffe der Natur Luft, Wasser und fossile Kohlenstoffträger durch-

geführten Synthesen hat zu dem unerschütterlichen Vertrauen in die Beherrschbarkeit wissenschaftlich-technischer Pro-

zesse beigetragen. Die Folgen dieser Synthesen vermittelten der großtechnischen Chemie Impulse, so dass sich Lebens-

standard und Lebensqualität der menschlichen Gesellschaft schrittweise und nachhaltig verbesserten.

Schlagwörter: Chemiegeschichte, Chemieindustrie, Hochdruckchemie, Leuna

Eingegangen: 11. Mai 2013; akzeptiert: 31. Juli 2013

The Development of the Leuna Werk into a Chemical Enterprise – A Chapter of Historyof Technical Chemistry Part 2

The first three decades of the 20th century showed the impressing accomplishments mankind is able to achieve based on

intelligence, knowledge, and motivation. The three major syntheses, i.e., the synthesis of ammonia, methanol, and liquid

hydrocarbons, which have been developed and realized under presumed impossible circumstances did not only change the

world of chemistry and technology. The originality of these syntheses based on elemental raw materials – air, water and

fossil carbon sources – led to a confidence in the controllability of technological processes. The consequences of these

syntheses provided the impulse to the chemical industry to improve both standard of living and quality of life stepwise and

lasting.

Keywords: Chemical industry, High pressure processes, History of chemistry, Leuna

1 Einleitung

Während die Alchimie noch handwerkliche Züge zeigte,zeichnet sich die moderne technische Chemie seit Beginndes 20. Jahrhunderts dadurch aus, dass sie Ergebnis soliderwissenschaftlich-technischer Forschung und Vorausschauist. Es geht nicht um die Pflege und Optimierung tradi-tioneller Produkte, sondern um die Erschließung ständigneuer Arbeitsgebiete. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts

dominierte in den führenden deutschen Chemieunterneh-men die Farbenindustrie. Nicht ohne Grund firmierte der1925 gegründete Verband der größten Chemieunterneh-men Deutschlands als I.G. Farbenindustrie AG. Auf Basisder Rohstoffe aus den großen Synthesen entwickelten sichverstärkt völlig neue Produktlinien, wie die Düngemittelin-dustrie, die Chemie der organischen Grundstoffe, die Phar-maindustrie, die Industrie der Hochpolymeren (Kunststoff-industrie) sowie die Kosmetik- und Riechstoffindustrie. Waswären moderne Industriezweige wie die Automobilindus-trie, die Elektronik- und Kommunikationsindustrie, dieTextilindustrie, die Medizintechnik, die Sportgeräteindustrieoder die Leuchtstoffindustrie heute ohne eine forschungsin-tensive und leistungsfähige Chemie?

ChemieIngenieurTechnik

Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1835–1852 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com

–Dr. Karl Becker ([email protected]), Steinmaate 6,48529 Nordhorn, Deutschland.

Chemiegeschichte 1835

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Das Leuna Werk ist, nachdem Ammoniak, Methanol undhöhere Alkohole sowie Kohlenwasserstoffe verfügbar waren(s. a. [1]), den Weg zum komplexen Chemieunternehmenmit beachtlichem Erfolg gegangen. Bis 1945 war es als Teilder BASF ein Weg unter dem Dach des I.G. Farbenkon-zerns. Ab 1945 entwickelte sich das Werk dann zum größ-ten Chemieunternehmen Ostdeutschlands und darüberhinaus auch Osteuropas.

2 Der Weg bis zum Ende des 2. Weltkriegesim Jahre 1945

Die Entwicklung zum komplexen Chemiebetrieb begannmit Beginn der dreißiger Jahre, nachdem die Auswirkun-gen der Weltwirtschaftskrise weitgehend überwundenwaren. Die Grundlage hierfür bildeten die Haupt- undNebenprodukte der Hochdrucksynthesen sowie n-Paraffineaus der Fischer-Tropsch-Synthese des HydrierwerksSchwarzheide, heute BASF Schwarzheide GmbH, ergänztdurch Phenole enthaltende Wässer und Teere aus Koke-reien und Schwelereien des mitteldeutschen Raumes. InAbb. 1 sind einem Annotationsbericht entnommeneHauptaktivitäten der Jahre bis 1944 zusammengestellt [2].

Hier offenbart sich eine breit gefächerte organische Che-mie. Nahezu alles, was im Rahmen der Möglichkeitendenkbar und am Markt gefragt war, wurde probiert undvieles davon realisiert. Die Jahreszahlen geben an, wastechnisch entweder im Pilotmaßstab oder großtechnischumgesetzt wurde.

Die in der Chronik in Tab. 1 aufgeführten Entwicklungenund Synthesen haben das Profil Leunas bis zum Schlussgeprägt. Besonders erwähnenswerte Synthesen sind nach-folgend genauer beschrieben.

Aminsynthese ab 1932 als vierte Hochdrucksynthese desUnternehmens

Die Synthese von Methylaminen aus Ammoniak undMethanol erfolgte bei einem Druck von 150 bar und 350 –400 °C an einem Al2O3/Kaolin-Katalysator (Kontakt 6067)[3]. Das Dimethylamin wurde zunächst vornehmlich zurHerstellung von Alkazidlauge, später Sulfosolvanlauge (Ka-liumsalz der Dimethylaminoessigsäure) zur Entschwefe-lung des Synthesegases benötigt. Bald aber waren die dreiAmine Mono-, Di- und Trimethylamin wichtige Rohstoffein der Lösungsmittel-, Pflanzenschutzmittel-, Pharma- undFarbstoffindustrie.

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Abbildung 1. Auszug aus einem Annotationsbericht von 1944.

1836 K. Becker

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Synthetische Schmierstoffe ab 1937

Die Grundlagen zur Synthese von Schmierölen undSchmierstoffen wurden von dem Chemiker Hermann Zorn(1896 – 1983) geschaffen. Er war seit 1926 Mitarbeiter derBASF (I.G. Farben) in Oppau und war ab 1938 in Leunatätig. Zorn gilt als Vater der synthetischen Schmierstoffeund Kälteöle [4]. Zunächst waren es durch Polymerisationvon niederen Alkenen, vorzugsweise Ethen, hergestellteSS-Öle (Polyalphaolefine), ab 1942 auch Spezialschmierstof-fe und Kälteöle auf Basis von Estern primärer Alkohole mitDicarbonsäuren oder Estern von Di- und Polyolen mitMonocarbonsäuren. Synthetische Schmierstoffe zeichnensich durch ein außerordentlich gutes Viskositäts/Tempera-tur-Verhalten sowie eine sehr gute Temperaturbeständigkeitaus. Sie besitzen eine höhere Reinheit als native Öle unddamit eine geringere Schlammbildung beim Gebrauch.Man kann darüber hinaus ihr Eigenschaftsprofil dem jewei-ligen Anwendungsfall, über die Wahl der Rohstoffe und derSynthesebedingungen, in weiten Grenzen anpassen. Siewaren somit zunächst vor allem im Luftfahrtswesen gefragt,bald aber auch zunehmend für Aktivitäten in Bereichen ark-tischer Kälte, was spätestens ab 1941 an der Ostfront einegroße Rolle spielte. 1944 wurden in Deutschland 6,5 Mio.Tonnen synthetische Schmieröle produziert [5]. Heute sindin allen Hochleistungsbereichen (Motorenöle, Getriebeöle,Kälteöle) größtenteils synthetische Öle im Einsatz. Die Ent-deckung, Herstellung und Diversifizierung dieser Stoffklas-

se war ebenfalls eine Pionierleistung des Teams Oppau/Leuna, und sie ist noch heute in vielen Anwendungsberei-chen von erheblicher Bedeutung.

Caprolactamsynthese ab 1938

Auch die großtechnische Produktion von e-Caprolactamnach dem Verfahren von Paul Schlack (1897 – 1987) in Leu-na war eine Weltpremiere. Paul Schlack fand, dass einigeder intramolekular cyclischen Lactame besonders gut poly-merisierbare Amide sind. Er ließ sich dies patentieren undist der Vater der lactambasierten Polyamide (Polyamid 6),das sich gut verspinnen lässt und als Fallschirmseite man-chem Flieger das Leben gerettet hat. Die interne Bezeich-nung war zunächst Perluran, nach dem Krieg ging es alsPerlon in die Welt. Es stand in Konkurrenz zu Nylon (Poly-amid 66), 1935 erfunden und patentiert von dem Amerika-ner Wallace H. Carothers [6]. Rohstoffe für Nylon und des-sen Abkömmlinge sind Diamine wie Hexamethylendiaminund Dicarbonsäuren wie Adipinsäure, deren Synthesenebenfalls in Leuna entwickelt wurden. Leuna hat von Anbe-ginn seinen Beitrag geleistet, dass die Hochpolymeren dieWelt eroberten.

Synthese von Tensiden, Textilhilfsmitteln undWeichmachern ab 1940

Bei der Fischer-Tropsch-Synthese fielen beachtliche Mengenan Paraffinen mittlerer Kettenlängen (C14 – C18) an. 1936

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Tabelle 1. Chronik der wichtigsten organischen Synthesen bis 1945.

1932 Katalytische Hochdrucksynthese zur Herstellung von Methylaminen aus Methanol und Ammoniak

1937 Produktion von synthetischem Schmieröl (SS-Öl) mittels katalytisch-kationischer Polymerisation mit Aluminiumchlorid(Erfinder Hermann Zorn – BASF)

1938 Beginn der Aufarbeitung von Phenolwässern und Teeren zur Gewinnung von Phenol und Kresolen

1938 Beginn der Versuche zur Herstellung von Caprolactam nach dem Verfahren von Paul Schlack (Aceta GmbH Berlin Lichtenberg),Rohstoff für das Polyamid Perlon

1939 Großtechnische Synthese von Cyclohexanol und Cyclohexanon zur Herstellung von Caprolactam, Adipinsäureund Hexamethylenamin für Polyamid-Synthesen

1939 Beginn der Versuchsproduktion von Caprolactam – interne Bezeichnung LURAN (heute Bezeichnung für einStyrol/Acrylnitril-Copolymer der BASF)

1940 Beginn der Produktion von Waschmittelrohstoffen und Textilhilfsmitteln durch UV-Licht aktivierte Sulfochlorierung(nach Reed) von n-Paraffinen der Fischer-Tropsch-Synthese– Alkylsulfochloride (Mersole) 1940– Alkylsulfonate (Mersolate) 1941– Alkylsulfonsäurephenlyester (Mesamoll) 1943

1941 Dimerisierung von Isobuten und anschließende Hydrierung zu Isooctan (T52-ROZ100)

1942 Inbetriebnahme der ersten Caprolactamfabrik – eine weitere Weltpremiere aus Leuna

1943 Herstellung von Formaldehyd durch katalytische Oxidation von Methanol, zunächst als Desinfektionsmittel, später alsGrundstoff für die Entwicklung von Aminoplasten und Phenoplasten

1943 Herstellung von Oligomerbenzin durch Umsetzung von n-Buten, Isobuten und Propen aus der Gaszerlegung (Linde)

1943 Herstellung von Polymethylalkanen sowie Estern von Polymethylalkanen mit Mono- und Dicarbonsäuren als Basisfür Spezialschmierstoffe

1943 Herstellung von Alkylatbenzin (AT244) durch Alkylierung von Isobutan mit Isobuten

Chemiegeschichte 1837

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entdeckte der amerikanische Chemiker C. F. Reed die Sulfo-chlorierung von n-Paraffinen, d. h. durch Bestrahlung mitenergiereichem Licht lassen sich (photosynthetisch) n-Paraf-fine mit Chlor und Schwefeldioxid in Alkansulfochlorideüberführen [7]. Durch P. Herold (sen.) und Mitarbeiter wur-de das Verfahren 1940 in Leuna zur technischen Reifegeführt. Aus Alkansulfochloriden erhält man durch Versei-fung Sulfonate und damit Grundstoffe für Tenside und Tex-tilhilfsmittel (z. B. Netzmittel, Gleitmittel, Schlichtemittelu. a.). Das Verfahren wurde 1941 in Leuna realisiert und bisheute betrieben. Durch Umsetzung mit Natriumphenolatsind Sulfonsäurephenylester zugänglich, z. B. als Weichma-cher. Das Verfahren wurde 1943 in Leuna realisiert. Auchaus diesen Arbeiten haben sich Industriezweige entwickelt,deren Produkte aus der heutigen Welt nicht mehr weg zudenken sind und immer mit dem Namen Leuna verbundenbleiben werden.

Herstellung von hochoktanigen Kraftstoffkomponenten ab 1941,insbesondere für Flugzeuge

Basis waren die in den Hochdrucksynthesen, insbesondereder Hydrierung anfallenden, niederen Kohlenwasserstoffeund Alkohole (C1 – C4), nachdem die destillative Trennungin individuelle Kohlenwasserstoffe nach dem Linde-Verfah-ren gelungen war. Durch katalytische Dehydrierung bzw.Dehydratisierung (Alkohole) wurden Olefine gewonnenund durch katalytische Oligomerisation zu Oligomerbenzinumgesetzt.

Spätestens ab 1939 trugen die Produktionen, wie die begon-nene Dieselkraftstoffgewinnung und die stetige Erweite-rung der Hydrierkapazität zeigten, zunehmend den Charak-ter von Rüstungsmaßnahmen für den2. Weltkrieg. Auch das Potenzial der For-schung wurde auf dieses Ziel fokussiert.In diesem Sinne ist es erwähnenswert,dass Leuna auch am deutschen Uranpro-jekt beteiligt war. Es gab als vertraulicheVerschlusssache einen Arbeitsbereich„Schweres Wasser“. Hierzu wurde ab1942 ein Verfahren entwickelt und 1943begann die Produktion [8]. Die Anlagewurde im Mai 1944 bei einem Luftangriffvollständig zerstört. Auf Befehl der Sow-jets wurde sie zwar kurzfristig wiederaufgebaut, aber noch 1945 demontiertund einschließlich aller Dokumentatio-nen und Wissensträger in die Sowjet-union überführt. Verantwortlich für denBereich war P. Herold (sen.), der im Ostenauf mysteriöse Weise ums Leben kam. Inden siebziger Jahren wurde dann inspezieller Verfahrensweise, mit einemspeziellen Katalysator, perdeuteriertesMethanol, CD3OD aus CO und D2 herge-stellt, angeblich für Spezialuhrenöle.

Der erste Weltkrieg war auslösender Faktor für die Grün-dung des Leuna Werkes, der 2. Weltkrieg führte mit seinenfürchterlichen Bombenangriffen ab 1940, verstärkt ab 1943,zur nahezu vollständigen Zerstörung (Abbn. 2 und 3).

Die amerikanische Zeitschrift Popular Science schrieb inihrem Beitrag Das neunfache Leben von Leuna: „Es waren6630 Bombeneinsätze und über 85 000 Bomben notwendig,um diese Nazikriegschemieanlage außer Betrieb zu setzen[...] Diese Anlage in Leuna, 23 Meilen westlich von Leipzig,ist ein riesiges Denkmal deutscher chemischer Zauberei. Esniederzukämpfen, hieß eine Katze zu töten. Es mussteneunmal geschehen, um es endgültig zu machen.“Am vier-ten April 1945 fiel Leunas Produktion zum letzten Mal aus,und sie war noch außer Betrieb, als amerikanische Truppenin den Morgenstunden des 15. April vor den Werkstorenstanden [9].

Wer diese Angriffe und den Einsatz der Belegschaft beider Beseitigung der jeweiligen Folgen miterlebt hat, liestaus diesen Zeilen, ohne dabei die kriminellen Ursachen desKrieges zu verkennen, auch Anerkennung heraus. 128Bomber wurden abgeschossen, 341 Leuna Werker ließen indiesem Inferno ihr Leben, darunter auch Kriegsgefangeneund Zwangsarbeiter. Unrühmlich ist, dass letztere in derRegel keinen Zugang zu den Luftschutzbunkern hatten.Innerhalb des Werkes sollen viele Arbeiter dieses Verbotallerdings ignoriert haben.

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Abbildung 2. Zerstörung im 2. Weltkrieg.

1838 K. Becker

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2 Der Weg des Leuna Werkes von 1945 biszum Ende

2.1 Der schwere Anfang

Den Beginn des Wiederaufbaus objektiv zu beurteilen, istziemlich kompliziert. Es gibt eine Fülle von Darstellungen,die so ideologisiert sind, dass man sie heute nur mit Wider-willen liest [10]. Sicher ist, dass die amerikanische Besat-zungsmacht mit Leuna ein Gebiet besetzte, das gemäß derBeschlüsse der Konferenz von Jalta und des PotsdamerAbkommens vom 2. August 1945 Teil der sowjetischenBesatzungszone war. Es galt für die amerikanische Besat-zungsbehörde in Merseburg zunächst die geheime Direk-tive JCS 1067 vom April 1945 [5], die im Sinne des Mor-genthau-Planes (Entwurf 1944) für Deutschland eineDeindustrialisierung und Umwandlung in einen Agrarstaatvorsah (keine Gnade, keinerlei Fraternisierung, Kollektiv-schuld und kollektive Bestrafung). Die damit verbundeneDenk- und Handlungsweise der Sieger, die auch außerhalbdes Werkes spürbar war, haben einen Wiederaufbauzunächst gehemmt. Die Direktive wurde 1947 durch dieDirektive JCS 1779 ersetzt, die eine konstruktive Besat-zungspolitik vorsah. Für Ostdeutschland und damit fürLeuna hatte sie allerdings wenig Bedeutung, denn in derNacht vom 2. zum 3. Juli standen sowjetische Truppen vorden Toren des Werkes und Mitte Juli wurde das Werk derSMAD (Sowjetische Militäradministration) unterstellt. Seinvae victis durchlebte das Leuna Werk durch das Verhaltenbeider Besatzungsmächte. Von anglo-amerikanischer Seitedurchstreiften Spezialisten in Uniform Laboratorien, Pro-duktionsanlagen und Verwaltungseinrichtungen auf der

Suche nach wissenschaftlich-techni-schem Know-how. Berichte, Patenteund Dokumentationen von Produkti-onsanlagen wurden beschlagnahmtoder zumindest kopiert. Die Edel-metallvorräte der Katalysatorenfabrikverschwanden Zeitzeugen zufolgespurlos. Das Hauptinteresse galt derHydrierung und den synthetischenSchmierstoffen. Viele Wissensträger,vor allem Chemiker und Ingenieure,wurden auf Befehl der amerika-nischen Militärbehörde zum Umzugin das westliche Besatzungsgebiet„bewegt“ (Rosenthal/Eder). Mancherempfand das als Deportation, diemeisten aber wohl nicht. Nachdemdas Werk von den Sowjets übernom-men worden war, nahm die Beschlag-nahmung wissenschaftlich-techni-scher Dokumente in verstärktemMaße zu. Alles, was interessant er-schien, wurde durch die Rote Armeein die Sowjetunion abtransportiert.

Ein großer Verlust war auch hier die ab Oktober 1946 ver-stärkt durchgeführte Deportation einer großen Zahl vonWissensträgern. Der größte Teil von ihnen kehrte zwar nachJahren zurück, aber sehr viele wanderten umgehend in denwestlichen Teil Deutschlands ab. Gemäß den Festlegungendes Potsdamer Abkommens begann im März 1946 dieDemontage und zum Know-how-Verlust kamen nun nocherhebliche Verluste an materiellen Werten. Entsprechenddem Befehl 9 der SMAD vom 21. Juli 1945 „Wiederingang-setzung der Produktion“ kam trotz der Demontagen dieProduktion, insbesondere von Ammoniak, Düngemitteln,Treib- und Schmierstoffen, allmählich wieder in Gang.

Erschwerend für die Entwicklung neuer Produkte wirkteallerdings das Gesetz Nr. 25 des Alliierten Kontrollrates vom29. April 1946, das in vielen Bereichen angewandte wis-senschaftliche Forschung untersagte, wozu auch die Ver-besserung bekannter und die Entwicklung neuer Herstel-lungsverfahren gehörte. Dies war nur in bestimmtenForschungseinrichtungen zugelassen und bedurfte anson-sten der Genehmigung. Dieses Gesetz wurde in der DDRam 20. September 1955 außer Kraft gesetzt.

Eine weitere Erschwernis für den Wiederaufbau warenauch politische Machtkämpfe und Rangeleien in der Lei-tung des Unternehmens sowie in der Verwaltung. Sieerreichten erst ein erträgliches Maß, als das Werk durchden Befehl 143 der SMAD ab 22. Juli 1946 als ChemiewerkLeuna Bestandteil der Sowjetischen Aktiengesellschaft(SAG) für Mineraldünger wurde. Leuna und damit auchsein Anlagenpotenzial war somit Eigentum der Sowjet-union. Die Demontagen wurden auf ein Minimum redu-ziert, Teile von demontierten Anlagen wurden sogar zurück-geführt. Schrittweise wandelte sich das Verhältnis zu den

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Abbildung 3. Bombenangriff auf Leuna.

Chemiegeschichte 1839

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Sowjets in Zusammenarbeit um, und der Wiederaufbau ge-wann an Fahrt. Er vollzog sich unter extremen Schwierig-keiten, zeigte aber auch, welche Kraft und welches Leis-tungsvermögen die Menschen, insbesondere an der Basis,noch aufzubringen bereit waren [9 – 11]. In einem Nothilfe-programm wurden, neben den ProduktionsschwerpunktenAmmoniak, Düngemittel sowie Treib- und Schmierstoffe,auch Konsumgüter, pharmazeutische Grundstoffe undPharmaka entwickelt und hergestellt. Aus der älteren Gene-ration wird sich mancher noch an den Beitrag des Werkeszur Linderung der Not in der Bevölkerung erinnern.

Als Beispiele für Konsumgüter und Pharmaka seien diefolgenden Produkte genannt: Leuna Wurst: Nährhefe imKunstdarm, Leuna Backpulver (mit zeitgemäßen Rezepten),ACIFLOCTIN: Herstellung von Sauermilch für Säuglinge(Adipinsäure), ALGAMON-C: Schmerzmittel (Salicylamid),INH LEUNA: Tuberkulostatikum (Isonikotinsäurehydrazid),Paraffinum liquidum: Salbengrundstoff, CHLORPROCAINLEUNA: Lokalanestätikum (Vorläufer des Novocains),OPTAL: Feindesinfektionsmittel.(1-Propanol), Meleusol:Grobdesinfektionsmittel auf Kresolbasis, Mitranol: desinfi-zierendes Reinigungsmittel.

Weitere Leistungen des Werkes für die Mitarbeiter unddie Bevölkerung waren die Bereitstellung von Feuerzeug-benzin, Rohmethanol und Dimethylether als Brennstoff fürHaushalte sowie Seife und Waschpulver. Dies war möglich,weil Leuna eine leistungsfähige organische Abteilung undeine leistungsstarke Technik aufgebaut hatte, die trotz derZerstörungen, der Verluste im Krieg und durch Abwande-rung von Fachkräften nach Westdeutschland kreativ undwirkungsvoll waren. Darüber hinaus wurde manche perso-nelle Lücke durch gut ausgebildete Absolventen, insbeson-dere der benachbarten Universitäten Halle, Jena und Leip-zig sowie auch durch Facharbeiter aus der werkseigenenBerufsschule ausgefüllt.

2.2 Wiederaufbau und Entwicklung desBereiches Organische Grundstoffe

Nachdem die Kriegsschäden größtenteils besei-tigt waren und die Infrastruktur des Werkeswieder funktionierte, begann der planmäßigeWiederaufbau des Bereiches OrganischeGrundstoffe. Ende der vierziger Jahre war dieArbeitsrichtung auf pharmazeutische Grund-stoffe und spezielle Pharmaka eine erfolgver-sprechende Perspektive, wurde aber im Zugeder Spezialisierung und Profilierung der che-mischen Industrie in der DDR bald wieder ver-lassen und ab 1980 eingestellt. Das Geschäfts-feld Organische Grundstoffe konzentrierte sichvornehmlich auf die Schwerpunkte Harze,Leime und Lackrohstoffe sowie auf Spezialche-mikalien. In diesem Sinne wurde die Paletteder Produkte erweitert.

Im September 1958 fand in Leuna eine Tagung statt, dieals „Chemiekonferenz“ in die Geschichte der DDR einge-gangen ist. Im Ergebnis wurde ein „Chemieprogramm“ ver-kündet, nach dem die chemische Industrie, als für die Wirt-schaft profilbestimmend, vorrangig entwickelt und gefördertwerden sollte. Der Schwerpunkt dieses Programms warzwar die extensive Erweiterung des Werkes durch Aufbaueines petrolchemischen Komplexes mit umfangreich erwei-terter Polymerenproduktion, aber auch der Bereich Organi-sche Grundstoffe erlebte einen Aufschwung. Ende der sech-ziger Jahre umfasste das Verkaufsprogramm der Leuna-Werke schon wieder 400 Produkte, etwa 250 davon warennach dem 2. Weltkrieg entwickelt worden.

2.2.1 Die Konsumgüter

Zu einer der Hauptaufgaben des politischen Programms derDDR gehörte die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“.In diesem Sinne wurde die Konsumgüterproduktion, dieunmittelbar nach dem Krieg als Solidaritätsmaßnahme desWerkes für die notleidende Bevölkerung begonnen wurde,intensiviert und 1973 als Abteilung der Fachdirektion For-schung zugeordnet. Ab 1984 wurde sie eine eigene Betriebs-direktion, der mit Beschluss des Ministerrates vom 01. Januar1984 folgenden Betriebe zugeordnet wurden:– Betriebsteil Hirschfelde als größter Hersteller von Ge-

schirrspül- und Abwaschmitteln auf Basis E 30 (s. u.);– Betriebsteil IMBAL Karl-Marx-Stadt als Hersteller von

Selbstklebebändern;– Betriebsteil VEB Vereinigte Klebstoffwerke Pirna;– Leuna-Konsumgüter auf Basis von Polyethylen und Poly-

amid sowie spezielle tensidhaltige Produkte.Damit war Leuna für diese Produkt- und Erzeugnisgrup-

pen verantwortlich, einschließlich der damit verbundenenForschung und Entwicklung. Auch eine Fülle chemiefremdersozialer Leistungen war dieser Betriebsdirektion zugeordnet– eine Schneiderei, eine Schuhmacherei, eine Polsterei, eineFahrradwerkstatt und mehrere Wäschereien. Man konnte imWerk auch seine Uhr reparieren, einen Rasenmäher bauenoder eine Betongarage fertigen lassen [12]. Abb. 4 zeigt dieEntwicklung der Konsumgüter ab 1984.

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Abbildung 4. Entwicklung der Konsumgüter aus Leuna ab 1984 (Warenproduk-tion 1987: 180 Mio. Mark (DDR) pro Jahr).

1840 K. Becker

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2.2.2 Die wichtigsten organi-schen Produktionslinienund Produkte

Die Abbn. 5 und 6 geben einen Über-blick über die im Jahr 1989 in Leunahergestellten organischen Produkte[12]. Tab. 2 zeigt die Chronik derwichtigsten Entwicklungen des Be-reichs Organische Produkte.

3 Wiederaufbau derHydrierung und Ausbauzur modernen Raffinerie[11]

Von der sowjetischen Besatzungs-macht wurde, schon im eigenenInteresse, vornehmlich die Wieder-aufnahme der Produktion in derHydrierung unterstützt. Am 24. Juliund am 26. August 1945 wurden dieersten Kammern zur Teerhydrierung, zur Vorhydrierungund zur Benzinierung angefahren. Der Rohstoff kam ausnoch produzierenden Schwelereien Mitteldeutschlands so-wie aus Reservelagern. Im Dezember 1945 wurden bereitswieder 20 000 t Benzin erzeugt. Die zu dieser Zeit nochbegrenzte Verfügbarkeit von Synthesegas hatte zur Folge,dass die Hydrierung im Oktober 1946 vorübergehendzugunsten der prioritären Produktion von Ammoniak für

die Herstellung von Düngemitteln abgestellt wurde. Ab1949 war der Engpass überwunden, die Hydrierung nahmdie Produktion zunächst mit Teer und allen möglichenhydrierbaren Rostoffen wieder auf, und die Kohlehydrie-rung wurde vorbereitet. 1950 ging sie wieder in Betrieb.Damit erlebte die letzte der drei großen Synthesen ihreRenaissance. Dies geschah in der zwischenzeitlich gegrün-deten Deutschen Demokratischen Republik. In Leuna gab

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Abbildung 5. Organische Produkte aus Leuna. Stand 1989.

Abbildung 6. Organische Produkte aus Leuna. Stand 1989.

Chemiegeschichte 1841

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es einen sowjetischen Generaldirektor über der deutschenWerkleitung, und das Werk unterlag von nun an den Rah-menbedingungen und spezifischen Besonderheiten desSozialistischen Wirtschaftsgebietes. Trotz vieler Hinder-nisse und Einschränkungen in dieser 40 Jahre andauernden„splendid isolation“ wurden in Leuna nach wie vor beacht-liche wissenschaftlich-technische Erfolge erzielt und in diePraxis umgesetzt.

3.1 Von der Kohle zum Erdöl – der erste großeStrukturwandel der Hydrierung

Ab 1950 zeigte sich, dass infolge der steigenden Produktiondie Verfügbarkeit von Wasserstoff wieder ihre Grenzen er-reichte, und die Kraftstofferzeugung nicht mehr gesichertwerden konnte. Für die Erzeugung von einer Tonne Kraft-stoff aus Kohle sind etwa 2500 Nm3 Wasserstoff erforder-lich, während für die gleiche Menge im Falle der Verarbei-tung von Erdöl nur etwa 650 Nm3 verbraucht werden. Kohlewurde aus diesem Grund schrittweise durch Erdöl ersetzt.Zunächst wurde naphthenbasiertes Erdöl aus dem öster-reichischen Zistersdorfer Ölfeld eingesetzt, ab 1951 asphalt-basiertes Erdöl aus Matzen (Österreich). Schon 1951 wurdedie Benzinerzeugung in Leuna zu ca. 42 % aus Teeren,ca. 27 % aus Braunkohle und 31 % aus österreichischemErdöl gedeckt. Ab 1952 erhöhte sich der Erdölanteil aufca. 60 %. Der Einsatz des asphaltbasischen Matzener Erdölsführte zu großen Schwierigkeiten in der Hydrierung, da eszu Asphaltausfällungen im Erdöl/Teergemisch kam. DieVerarbeitung von Teeren wurde deshalb Ende 1952 einge-

stellt. Eine Versuchsgruppe des Forschungs-bereiches der Hydrierung wurde beauftragt,in Technikumsversuchen die Verträglichkeitder Rohstoffe untereinander sowie den Ein-fluss verschiedener Rohstoffe auf die Quali-tät der Fertigprodukte zu ermitteln. Das Erd-öl aus dem besetzten Österreich wurde ausFeldern im sowjetisch besetzten Teil des Lan-des gefördert. Die Besatzungszeit in Öster-reich endete am 15. Mai 1955 und damitauch die Öllieferungen. Am 4. November1955 trafen die ersten Kesselwagen sowje-tischen Erdöls aus dem Raum Krasnodarüber den Schwarzmeerhafen Noworossijskund über Hamburg an der Entladestation inLeuna ein. Ab 1967 bezog Leuna Erdöl überdie Erdölleitung „Freundschaft“, die vonAlmetjewsk (Westsibirien, heute Tartastan)durch Weißrussland und Polen nachSchwedt an der Oder reicht. Von Schwedtführt ein Zweig einer Verbundleitung zumTanklager nach Leuna. Die Bezahlung desErdöls erfolgte größtenteils über Barterge-schäfte (Ware gegen Ware). Auch heute nochwird die neue Total-Raffinerie (vormals Elf)

über diese Leitung mit Rohöl versorgt [11].Das wichtigste Qualitätsmerkmal eines Vergaserkraftstof-

fes ist die Oktanzahl. Beeinflusst wird sie vornehmlich überdie Stoffgruppenverteilung und den Siedebereich des Ben-zins. Unerwünscht sind Paraffine, vor allem n-Paraffine, er-wünscht sind Ringverbindungen, insbesondere Aromaten,und im Leichtbenzinanteil ein möglichst hoher Isomerisie-rungsgrad. Das paraffinbasierte Erdöl aus der Sowjetunionhat infolge des hohen Paraffingehaltes eine Oktanzahl ROZvon maximal 50, erforderlich waren zu dieser Zeit mindes-tens 78. Da dieses Problem auch schon bei den Benzinenaus der Kohle- und Teerhydrierung bestand, wurde in Leuna1939/40 das DHD-Verfahren (Druck-Wasserstoff-Dehydrie-rung) entwickelt, Vorläufer des modernen katalytischenReformierens [13, 14]. Es bestand aus drei in Serie geschal-teten Hochdruckreaktoren, der Arbeitsdruck betrug 60 bar,die Temperatur 500 – 550 °C. Der Katalysator bestand auszylindrischen Presslingen aus Al2O3 mit 10 – 12 Ma.-%MoO3 (Kontakt 5436). Die Oktanzahl des Kraftstoffs (Siede-lage 90 – 180 °C) konnte bis zu 25 Einheiten erhöht werden.Nach dem Krieg gab es in Mitteldeutschland in Böhlennoch zwei DHD-Anlagen, von denen 1947 die erste denBetrieb wieder aufnahm. Ein Qualitätssprung wurde erzielt,nachdem in Leuna die in den dreißiger Jahren begonnenenArbeiten mit Platinkatalysatoren wieder aufgenommen wur-den [13, 14]. Der erste technische Einsatz erfolgte mit demKatalysator Kontakt 8801 (Abb. 7) im Jahre 1955 in Böhlen.Dies war die Geburtsstunde des modernen Reformierens inder DDR. Kontakt 8801 bestand aus Al2O3-Würfeln miteiner Kantenlänge von 10 mm (zunächst von Hand gefer-tigt), getränkt mit H2PtCl6. Der durchschnittliche Platin-

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Tabelle 2. Chronik der wichtigsten Entwicklungen des Bereichs Organische Produkte.

1948 Entwicklung und Herstellung von Ketonharzen (L-Harze) als Lackrohstoffe

1948 Erweiterung der Konsumgüterproduktion

1949 Anlage zur Produktion von Harnstoff

1949 Beginn der Herstellung von Harnstoff-Formaldehyd-Leimen

1956 Aufnahme der Formaldehydproduktion, Erweiterungen 1959,1963,1964

1956 Beginn der Herstellung von Epoxidharzen

1956 Aufbau der Synthese von Formamid und N,N-Dimethylformamid

1958 Herstellung von N-Oleyl-N-methyltaurinat (Metaupon-Tensidgrundstoff)

1960 N,N-Dimethylharnstoff, Rohstoff für die Coffeinsynthese

1962 Inbetriebnahme einer Großanlage für Harnstoff-Formaldehyd-Harze

1963 Anlage zur Synthese von Salicylsäure aus Phenol und CO2

1964 Zweite Anlage zur Produktion von Harnstoff

1969 Kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von Leimen (Konti-Leime)

1973 Gründung der Abteilung Konsumgüter in der Fachdirektion Forschung

1980 Aufnahme der Produktion von Ethylaminen

1984 Gründung der Betriebsdirektion Konsumgüter

1842 K. Becker

Page 9: Der Weg des Leuna Werkes zum Chemieunternehmen: Ein Stück Geschichte der technischen Chemie - Teil 2

gehalt der Formlinge lag bei 0,10 – 0,2 Ma.-%. Mit denErfahrungen mit dem DHD-Verfahren in Böhlen wurde inLeuna, unter Nutzung von Hochdruckreaktoren, das L-For-ming-Verfahren entwickelt und 1959 mit diesem Kataly-sator in Betrieb genommen.

Der hohen Empfindlichkeit des Platinkatalysators Rech-nung tragend wurde in Leuna ein neuer Katalysator mit ver-besserter Entschwefelungsleistung für die Vorhydrierungentwickelt: Kontakt 3076 (Al2O3/Nickelsulfid/Wolframsul-fid; Abb. 7). Durch detaillierte Studien der bei dem Prozessablaufenden Teilreaktionen, Dehydrierung, Dehydrocyclisie-rung, Hydroisomerisierung und Hydrospaltung, konntendie Katalysatorverteilung auf die einzelnen Reaktoren unddie Temperaturführung optimiert werden.

Der Kontakt 8801 war der Beginn außerordentlich erfolg-reicher Katalysatorentwicklungen für das katalytische Refor-mieren und die Isomerisierung von Aromatenfraktionen[13, 15, 20]. Die Arbeiten wurden gemeinsam mit den Kolle-gen aus Forschung und Produktion der Leunaer Hydrie-rung sowie Partnern aus dem Kombinat Otto GrotewohlBöhlen und dem Petrolchemischen Kombinat Schwedtdurchgeführt. Für begleitende Grundlagenforschung warenArbeitsgruppen der Akademie der Wissenschaften der DDRsowie der Karl-Marx-Universität Leipzig und der THCarlSchorlemmer Leuna-Merseburg einbezogen [13 – 15].

Mit der Abstellung der Kohlehydrierung 1959 war dererste Strukturwandel vollzogen. In Tab. 3 wird seine Ent-wicklung aufgezeigt.

3.2 Der Weg zur rückstandsfreien Raffinerie – derzweite große Strukturwandel der Hydrierung[2, 11]

Die begrenzte Investitionskraft der ostdeutschen Wirtschaftließ trotz vieler Fortschritte eine durchgehende Modernisie-rung des Werkes nicht zu. Lediglich für die Erdölverarbei-tung in der Hydrierung wurden die notwendigen Mittel fürden Ausbau zur Verfügung gestellt. Schließlich war derBedarf an Treibstoffen der in der DDR stationierten sowjeti-schen Streitkräfte sowie der Nationalen Volksarmee undihrer paramilitärischen Ableger zu befriedigen. Darüberhinaus war auch die Motorisierung in der DDR, wenn auchsehr moderat, im Wachsen. Ein Neubau kam nicht in Frage,da zwischenzeitlich in Schwedt auf der grünen Wiese, mitstarker personeller Unterstützung durch Leuna, eine neueRaffinerie mit einer Verarbeitungskapazität von 10 Mio. t a–1

Rohöl gebaut worden war. Als Konzept für Leuna bliebsomit nur die schrittweise Erneuerung der alten Anlagenunter Nutzung eines möglichst großen Anteils vorhandenerAusrüstung. Der Rohölimport der DDR lag in den Jahren1979 – 1986 bei 20,7 – 22,8 Mio. t a–1, davon im Zeitraumvon 1982 – 1988 ca. 17 Mio. t a–1 aus der Sowjetunion. FürLeuna waren davon 5 Mio. t a–1 vorgesehen, und dies war,was den Rohstoff betraf, der Handlungsrahmen für dieRekonstruktion und Modernisierung der Leunaer Raffine-rie. Das Nahziel war zunächst die Herstellung eines mög-lichst großen Anteils an sogenannten hellen Produkten,d. h. Diesel- und Vergaserkraftstoffen (DK und VK), und dasFernziel eine rückstandsfreie Raffinerie, die auch denpetrolchemischen Komplex des Werkes mit Rohstoffen zuversorgen hatte. Von einer Leunaer Forschungs- und Ent-wicklungsgruppe wurde ein interessantes und intelligentesKonzept erarbeitet und ab 1972 schrittweise realisiert. Eswar eine Kombination von extensiver Erweiterung undIntensivierung vorhandener Prozesse [9, 11].

3.3 Weitere Entwicklung

Die Etappen des Nahziels waren:– eine vom Chemieanlagenbau Leipzig-Grimma (CLG) er-

richtete atmosphärische Destillation füreinen Durchsatz von 5 Mio. t a–1 Rohöl(1972),

– eine Vakuumdetillation zur Aufarbeitungvon 2,6 Mio. t a–1 atmosspärischen Rück-stands (> 360 °C), realisiert durch die Fir-men Voest-Alpine/Lurgi (1978),

– eine Anlage zur Hydrospaltung von 2 Mio.t a–1 Vakuumdestillat durch Nutzung vor-handener Anlagen und auf Basis eines eige-nen Verfahrens, bei dem durch Verwendungeines speziellen Katalysators ein Hydro-spaltparaffin für die Pyrolyse im petrolche-mischen Komplex erhalten wurde (1978),

ChemieIngenieurTechnik

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Abbildung 7. Kontakt 3076 (links) und Kontakt 8801 (rechts).

Tabelle 3. Chronik des ersten Strukturwandels der Hydrierung.

1950 Wiederaufnahme der Kohlehydrierung

1951 Einsatz von Erdöl aus Österreich, später auch aus Ungarn und Rumänien

1955 Beginn der Verarbeitung von sowjetischem Erdöl

1959 Inbetriebnahme des Leunaer L-Forming-Verfahrens

1959 Abstellung der letzten Kammer zu Kohlehydrierung

1960 Kapazität der Erdölverarbeitung bis zu 1 Mio. t a–1

1965 Kapazität der Erdölverarbeitung bis zu 1,4 Mio. t a–1

1967 Inbetriebnahme der Erdölpipeline Schwedt/Oder – Leuna

Chemiegeschichte 1843

Page 10: Der Weg des Leuna Werkes zum Chemieunternehmen: Ein Stück Geschichte der technischen Chemie - Teil 2

– ein ebenfalls in Leuna entwickeltes Verfahren, das HCF-Verfahren (Hydro-Crack-Forming), welches mittels einerspeziellen Katalysatorkombination, unter Umgehung desReformierens, die Herstellung einer Kraftstoffkom-ponente mit einer Oktanzahl von MOZ 88 ermöglichte(1981),

– der Neubau einer modernen Mitteldruck-DK-Raffination,projektiert und errichtet vom Chemieanlagenbau Leip-zig/Grimma (1981) sowie

– der Neubau eines modernen Mitteldruckreformers(20 MPa), projektiert und errichtet vom PCK Schwedt,gemeinsam mit dem Schwermaschienenbau „Karl Lieb-knecht“ Magdeburg (1982).Für das HCF-Verfahren wurde ein völlig neues Katalysa-

torsystem entwickelt, das sich durch angepasste Hydrier-aktivität und molekülformselektive Spalteigenschaften aus-zeichnete. Folgende Katalysatoren wurden eingesetzt:– für das Hydrospalten der Kontakt 9510, NiO/MoO3/rönt-

genamorphes Alumosilikat [14, 16],– für das HCF-Verfahren die Kontakte 9510 und 9535, ein

Cu-haltiger Zeolith in Kombination mit einem Hydrospalt-katalysator Co/WO3/rötgenamorphes Alumosilikat [14, 16],

– für die DK-Raffination Kontakt 8206/S, NiO/MoO3/Al2O3

[14, 16],– für den Reformer Kontakt 8821/K, Platin/Rhenium auf

Al2O3-Kugeln [13, 14].Die Etappen des Fernziels waren als Kernstück ein Vis-

breaker (Kellog-Verfahren) mit Vakuumdestillation (Seiten-

stripper) und einer Verarbeitungskapazität von 1,3 Mio. t a–1

Vakuumrückstand, errichtet von Voest/Alpine. Er war wiefolgt in den Gesamtkomplex eingebunden:– Der Rückstand aus der Vakuumdestillation (VR) wurde

im Visbreaker einer thermischen Spaltung unterworfen,der Benzinanteil (Bi) über die Vorhydrierung dem VK-Weg und der Mitteldestillatanteil über die DK-Raffinationdem DK-Weg zugeführt.

– Der Rückstand aus dem Visbreaker wurde im Seitenstrip-per einer gesonderten Vakuumdestillation zugeführt, dasMitteldestillat (VG) dem DK–Weg und die höher sieden-den Anteile (VD, > 360 °C) der hierfür erweiterten Vaku-umgasoilhydrospaltung (Kammer 18, Gemeinschafts-objekt CLG/Leuna). Hier wurde das schon erwähnteHydrospaltparaffin als Rohstoff für die Ethengewinnungin der Pyrolyse erhalten. Das bis dahin verwendete Roh-benzin konnte somit ab 1986 der Kraftstoffgewinnungzugeführt werden.

– Der verbleibende Visbreaker-Vakuumrückstand (VVR)wurde in einer Shell-Druck-Vergasung durch eine par-tielle Oxidation (POX) zu Synthesegas für das 1986 inBetrieb genommene Mitteldruckverfahren zur Herstel-lung von Methanol umgesetzt. Ferner wurden in diesemKomplex Schwefel nach dem Claus-Sulfreen-Verfahrenund aus dem Rückstand der Vergasung die Schwer-metalle Nickel und Vanadium sowie Ruß gewonnen.Abb. 8 zeigt das Schema der Erdölverabeitung der Raffi-

nerie des Leuna Werkes – Stand 1989 [12]. Es war zu-

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Abbildung 8. Schema derErdölverabeitung der Raffi-nerie des Leuna Werkes.

1844 K. Becker

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geschnitten auf die spezifischen Besonderheiten der DDR-Wirtschaft. Die wesentlichen Kennzeichen waren ein maxi-maler Anteil an Kraftstoffen sowie die optimale Versorgungdes petrolchemischen Teils des Werkes mit Rohstoffen.Tab. 4 gibt die Chronik des zweiten Strukturwandels wieder.

Durch die nahezu vollständige stoffliche Verwertung desverfügbaren Rohöls von etwa 5 Mio. t a–1 wurde im Rahmender Hauptzielgrößen eine Produktpalette gewährleistet, diebei konventioneller Verarbeitungsweise einer Erdölmengevon ca. 8 Mio. t a–1entsprach. Hervorzuheben ist, dass dieseschrittweise durchgeführten Investitionen und Rekonstruk-tionsarbeiten ohne erwähnenswerte Zwischenfälle bei lau-fendem Betrieb der Raffinerie erfolgten.

Am 30. Juni 1997 wurde die Raffinerie, die bereits seit1994 Gewinn erwirtschaftete, nach einer Fülle von Über-gangsaktivitäten [11], geordnet und diszipliniert stillgelegt.Obwohl es ein Konzept für den Einsatz eines Teils der Anla-gen für die stoffliche Verwertung von Biomassen und Alt-kunststoffen im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft gab[17, 18], wurden die zum Teil neuwertigen Anlagen demon-tiert und in alle Welt verkauft. Mit diesen, für viele Mitarbei-ter des Werkes noch heute unverständlichen Entscheidun-gen ging nach erfolgreichen 70 Jahren eine bedeutendeEpoche der Technischen Chemie in Deutschland zu Ende.

Mit der Mitteldeutschen Erdölaffinerie (MIDER) in süd-licher Verlängerung, aber außerhalb des Werksgeländes,wurde von dem französischen Konzern Elf-Aquitaine eineder modernsten Raffinerien der Welt gebaut und 1997 inBetrieb genommen. Damit wurde der RaffineriestandortLeuna einschließlich Leuna III erhalten und ein neuesKapitel der Geschichte der mitteldeutschen Chemie begann.Dieser ist allerdings nicht mehr Gegenstand dieses Rück-blicks.

4 Hochpolymere/Kunststoffe – der zweitegroße Strukturwandel des Werkes

Der Ursprung der Polymerenchemie in Leuna war die Poly-merisation von Ethen zu synthetischem Schmieröl in Ge-genwart von AlCl3. Die zunehmende wirtschaftliche Bedeu-tung der Hochpolymeren und der daraus hergestelltenKunststoffe hat die Aktivitäten in Leuna nach dem Kriegerheblich verstärkt. Die Caprolactamsynthese war zur tech-nischen Reife entwickelt und 1951 wurde die erste Polyme-risationsanlage in Betrieb genommen. 1955 folgten Ver-suche zur Herstellung von Polyethylen und schon 1956arbeitete die erste Hochdruck-Pilotanlage zur Herstellungvon 2000 t a–1 Polyethylen.

Im September 1958 fand in Leuna die oben erwähnteChemiekonferenz statt. Es wurde beschlossen, im Südwes-ten des Werkes einen großen petrolchemischen Komplex,insbesondere zum Ausbau der Hochpolymerenchemie, zuerrichten. Dieser Komplex erhielt die Bezeichnung Werk II.Investiert wurde zunächst in zwei Benzinspaltanlagen mitzugehöriger Gastrennung zur Gewinnung von Methan,Ethylen, Propylen, C4-Olefinen u. a. sowie in Produktions-stränge zur Herstellung von Hochdruck-Polyethylen(HDPE, Leuna Bezeichnung Mirathen), zur Herstellungvon Phenol und Aceton nach dem Cumen-Phenol-Verfah-ren als Basis zur Herstellung von Caprolactam und darausPolyamid 6 (Leuna Bezeichnung Miramid). Die Rohstoffefür den Komplex wurden durch die traditionell gut organi-sierte Verbundwirtschaft der Betriebsteile des Werkes be-reitgestellt. Für die Olefin-Herstellung wurde das Hydro-spaltparaffin (HSP) aus der Raffinerie (s. Abb. 8) in derBenzinspaltanlage pyrolysiert. Das Gas wurde in derTieftemperaturdestillation der Gastrennanlage in die Kom-

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Tabelle 4. Chronik des zweiten Strukturwandels der Hydrierung [2, 11].

1972 Aufbau der Erdöldestillation einer Kapazität von 5 Mio. t a–1 Rohöl

1973 Beginn von Versuchen zum Hydrospalten verschiedenster Kohlenwasserstoff-Fraktionen

1978 Inbetriebnahme der Vakuumdestillation

1978 Inbetriebnahme der ersten Kammer zu Vakuumdestillat-Hydrospaltung

1981 Inbetriebnahme der Hydroaffination von Dieselöl

1981 Inbetriebnahme des Hydro-Crack-Forming-Verfahrens (LEUNA-HCF-Verfahren) zur Herstellung eines VK 88-Benzinsohne Reformierung

1982 Inbetriebnahme eines neuen Reformers

1983 Inbetriebnahme des Visbreakers zur thermischen Spaltung des Vakuumdestillat-Rückstandes

1984 Inbetriebnahme des Seitenstrippers zur Gewinnung von weiterem Vakuumdestillat für das Hydrospalten sowie einesRückstandes für die Synthesegaserzeugung

1985 Erweiterung des HCF-Verfahrens durch eine in Leuna entwickelte Verfahrensstufe zum katalytischen Entparaffinierenmittels eines Zeolithkatalysators

1985 Einsatz von Hydrospaltrückstand (HSP) in die Pyrolyse zur Ethengewinnung

1986 Inbetriebnahme eines neuen Anlagekomplexes zur Druckvergasung (POX) von Visbreaker-Vakuumrückstand zu Synthesegasund Herstellung von Methanol unter Niederdruck

Chemiegeschichte 1845

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ponenten Methan, Ethen, Propen, eine C4- und eine C5-Fraktion zerlegt. Die flüssigen Anteile wurden aufgearbeitetund die höhersiedenden als Heizöl verkauft.

Anfang der siebziger Jahre entwickelten sich enge Bezie-hung zu Forschungs- und Produktionseinrichtungen derUdSSR, insbesondere auf den Gebieten Synthesegas, Petrol-chemie und Hochpolymere. Das Ergebnis war:– Bau von vier Anlagen zur Hydroformulierung von Pro-

pen nach dem Leunaer Oxo-Verfahren,– Bau von neun Anlagen zur Gewinnung von n-Paraffinen

nach dem Leunaer Parex-Verfahren in der UdSSR,– 1974 Bau einer Polyethylenanlage einer Kapazität von

50 000 t a–1 in der UdSSR und einer 50 000 t a–1-Anlage inLeuna, beide nach dem Leuna-Verfahren Polymir 60.Tab. 5 zeigt die Hauptaktivitäten des Leuna Werkes zum

petrolchemischen Komplex. Tab. 6 gibt einen Gesamtüber-blick über die Arbeiten auf dem Gebiet der Polymerchemie.

5 Die Entwicklung der letzten Produktebis 1991 [19]

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands konnte sich inLeuna kaum jemand vorstellen, dass das Ende nahen wür-de. Voller Zuversicht wurde versucht, der unvorbereitet überdas Werk hereingebrochenen Marktwirtschaft erfolgreichzu begegnen. Die wichtigsten der letzten Produkte und Pro-jekte sind nachfolgend zusammengestellt:– Neuer Bleichmittelaktivator DADHT, Überführung

in die Produktion 1991– Fleckensalz: bleichendes und desinfizierendes Reini-

gungsmittel, Markteinführung 1990– N-Methyl-e-Caprolactam, verbessertes Verfahren

– Trimethylolpropan, verbessertes Verfahren– Dimethylether, Verfahrensentwicklung 1991– Dimethylether aus Synthesegas (Direktsynthese), Beginn

von Technikumsversuchen– Verfahren zur katalytischen Feinreinigung von CO2 mit

Lebensmittelqualität– Synthese von Cholinchlorid aus Ethenoxid und Trime-

thylamin, Entwicklung 1991– Lichtschutzstoffe zur Stabilisierung von Polyolefinen,

Markteinführung 1991– Entwicklung von Dieseladditiven, Erweiterung des Sorti-

ments– Wachse und Wachsoxidate auf der Basis von Polyolefinen,

Weiterentwicklungen 1991– Maleinsäureanhydrid-Acrylat-Copolymere und Terpoly-

mere als Spezialprodukte, Aufbau eines neuen Geschäfts-feldes 1991

– Versuche zur chemischen Verwertung von Biomassensowie anthropogenen Reststoffen und Rückständen, Be-ginn 1989

– Entwicklung eines Konzeptes für eine komplexe Verwer-tung o.g. Stoffe im Verfahrensverbund, Beginn 1990 (s. a.Abb. 9)Die wirtschaftliche Verarbeitung des Vielstoffgemischs

Erdöl ist nur in einem synergistischen Verarbeitungsver-bund möglich. In diesem Sinne war die alte Leunaer Raffi-nerie das Musterbeispiel einer nahezu rückstandsfreienpetrolchemischen Raffinerie. Niemand käme auf denGedanken, die Verfahren getrennt zu betreiben. DiesesKonzept wurde auf das Vielstoffgemisch rezenter Rohstoffe,natürlicher Biomassen, anthropogener Biomassen, anthro-pogener Reststoffe und anthropogener Verarbeitungsabfälleübertragen. Um die für die Wirtschaftlichkeit notwendige

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Tabelle 5. Chronik des Strukturwandels zur Petrolchemie.

04. September 1958 Beschlussfassung zum Aufbau des petrolchemischen Komplexes auf der Chemiekonferenz in Leuna

08. Oktober 1959 Erster Spatenstich für den Olefinkomplex

06. Juli 1965 Inbetriebnahme der LURGI-Benzinspaltanlage 1 (Sanderacker)

28. November 1965 Beginn des Probebetriebes der Gastrennanlage 1

03. Januar 1966 Ethylen wird zum Anfahren der LDPE-Anlagen bereitgestellt

13. Juni 1967 Probebetrieb der Caprolactam-Fabrik/ Teilanlage Oximierung

31. August 1967 Erster Tankwagen Caprolactam (Faserqualität) wird an das Chemiefaserwerk Premnitz geliefert

22. Oktober 1967 Fertigstellung und erste Befüllung der Erdölleitung Schwedt – Leuna, Übernahme von Erdöl

08. Dezember 1967 Beginn des Probebetriebes der Benzinspaltanlage 2 (Röhrenpyrolyse)

01. September 1968 Dauerbetrieb der Benzinspaltanlage 2 einschließlich der Gastrennanlage 2

25. Februar 1968 Beginn des Probebetriebes der Butadien-Extraktionsanlage (LEUNA-BUTEX-Verfahren)

04. Oktober 1968 Lieferung von qualitätsgerechtem Butadien zur Polymerisation nach Buna

15. August 1970 Probebetrieb der Teilanlage Alkylierung der Phenolsynthese

01. Mai 1971 Dauerbetrieb des gesamten mehrstufigen Phenolsynthese-Anlagenkomplexes

1846 K. Becker

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Verarbeitungsmenge zu gewährleisten, wurde Braunkohlein das Konzept einbezogen. Bei den gewählten Verfahrenhandelte es sich ausschließlich um solche, zu denen in Leu-na Erfahrungen, Wissensträger und zum Teil auch Anlagenvorhanden waren. Eine Reihe von Prozessen wurde bis1995 mit Erfolg bearbeitet, z. B. das MZV-Verfahren (Me-thanol zu Vergaserkraftstoff), das MZO-Verfahren (Methan-ol zu Olefinen), beide mit Zeolith-Katalysatoren, und dieDimethylether-Synthese mit geeigneten Katalysatorkombi-nationen. Aus heutiger Sicht waren diese Gedanken durch-aus nicht realitätsfern und sie wären für das Leunaer Teameine Herausforderung gewesen, vergleichbar mit den

Gründerjahren. Ganz umsonst waren all diese Arbeiten si-cher nicht. Viele Wissensträger haben ihr Know-how in an-dere Firmen mitgenommen und dort genutzt.

6 Die wichtigsten Leuna-Verfahrenund -Lizenzen [2]

6.1 Verfahren

Verarbeitung von Methanol: Paraformaldehyd, Hexamethylen-tetramin, Trimethylolpropan, N-Methyl-e-Caprolactam.

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Tabelle 6. Arbeiten auf dem Gebiet der Polymerchemie.

Caprolactam und Polyamide

1942 Inbetriebnahme einer Großanlage zur Caprolactamproduktion

1946 Wiederaufnahme der Produktion

1951 Erste großtechnische Caprolactamproduktion in Leuna

1952 Spritzgußmasse „Polyamid Leuna“ – Beginn der Produktion

1967 Neuanlage zur Caprolactamherstellung im Werkteil II

1978 Anlage zur Polyamidproduktion

Polyolefine

1955 Erste Versuche zur Herstellung von Hochdruck-Polyethylen

1956 Pilotanlage zur Herstellung von Hochdruck-Polyethylen (2000 t a–1)

1961 Rohrreaktoranlage (Imhico) zur Herstellung von HD-Polyethylen (3000 t a–1)

1964 Erste Untersuchungen zur Herstellung von LE-Wachsen nach einem Hochdruck-Polymerisations-Verfahren

1966 Beginn der Polyethylenproduktion in Rührreaktoranlagen (ICI-Lizenz), Straßen 1 – 3, 24 000 t a–1

1968 Inbetriebnahme der Rohrreaktoranlage im Werkteil 1 zur Herstellung von Wachsen und Ethylen-Vinylacetat Copolymeren

1969 Vertrag UdSSR/DDR über die Entwicklung eines gemeinsamen Verfahrens zur Polyethylenherstellung (Polymir-Verfahren)

1974 Bau einer 50 000 t a–1-Anlage in der UdSSR (Polymir 50)

1975 Inbetriebnahme der Straße 4 in Leuna zur Herstellung von HD-Polyethylen im Rohreaktor, 20 000 t a–1 Startkapazität

1979 Inbetriebnahme der Straße 5 in Leuna (Polymir 60) mit einer Kapazität von 60 000 t a–1, die 1989 bis 100 000 t a–1 gesteigert wurde

Epoxidharze

1955 Erste Versuche zur Herstellung von Epoxidharzen

1956 Inbetriebnahme einer halbtechnischen Anlage

1959 Produktionsanlagen für Epichlorhydrin und Epoxidharze

1984 Verfahren zur Herstellung von Harzen mittlerer Molmassen

1986 Bindemittel für Epoxid-Formmassen

1987 Verfahren zur Herstellung von niedermolekularen Harzen

Maleinsäureanhydrid-Copolymere

1976 Beginn der Forschungsarbeiten

1983 Errichtung einer Pilotanlage

1987 Inbetriebnahme der Versuchsanlage zur Herstellung und chemischen Modifizierung

1989 Maleinsäureanhydrid-Copolymeren. Erste Produkte: Papierleimungsmittel und „Leumal“ UV-Stabilisator „UV-31“Kühlwasserkonditionierungsmittel

Chemiegeschichte 1847

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Formaldehyd/Harnstoff: Formaldehydsynthese, Harnstoff-Formaldehyd-Kondensationsprodukte, Trockenleimherstel-lung, Formaldehyd-Reduzierungsmittel für Spanplatten.

Polymere: Hochdruckpolyethylen (Rohrreaktorverfahren),Polyethylenwachse (Direktsythese), Ethylen-Vinylacetat-Co-polymere (Hochdruckverfahren), Wachsoxidate, Herstellungvon Polyamid 6, Norbonen-Etylen-Copolymere mit den Ver-fahrensstufen Norbonensynthese und Copolymerisation.

Epoxidharze: niedermolekulare Epoxidharze auf Basis vonDian (Bisphenol A), mittelmolekulare Dian-Epoxidharze fürLaminate, optisch transparente Epoxidharze für die Elektro-nikindustrie, Novolacke und Novolackepoxidharze.

6.2 Lizenzen

– Selektive Hydrierung von Phenol zu Cyclohexan– Parex-Verfahren zur n-Paraffingewinnung– Butex-Verfahren zur Butadiengeinnung aus C4-Fraktionen– Selektivhydrierung von C2/C4-Fraktionen (Alkine und

Alkadiene)– Arex-Verfahren zur Gewinnung von BTX-Aromaten– Distex-Verfahren zur Gewinnung von Benzol durch Ex-

traktivdestillation– Oxo-Verfahren zur Hydroformylierung von Propen– Alkylbenzensulfonate auf Basis Kogasin– Methanchlorierung– Herstellung des Selektivherbicids „Omnidel“ (omnium

delere)– Verfahren zur Herstellung von c-Butyrolacton

7 Die Verflechtung der Betriebsteile –Stand 1989

Abschließend soll noch ein konzentrierter Überblick überdie Betriebsteile gegeben werden und ihre optimalen Ver-flechtungen, wie sie bis zur Abwicklung des Werkes funk-tioniert haben. Abb. 10 zeigt die klassischen Wege der Syn-thesegaserzeugung und Abb. 11 verbundenen klassischenSynthesen.

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Abbildung 9. Konzept zur komplexen Verwertung rezenter Roh- und Reststoffe – eine Vision [17, 18].

Abbildung 10. Synthesegaserzeugung Werkteil I.

1848 K. Becker

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Hinter dem einfachen Schema der Caprolactamsynthesein Abb. 12 verbirgt sich eine schöne anorganisch/orga-nisch/katalytische Chemie, die technisch recht anspruchs-voll ist. Die Rohstoffe sind Benzol, Propen, Ammoniak,

Schwefel, Schwefelwasserstoff und Oleum bzw. Schwefel-säure. Sie finden sich nach einer Reihe von kompliziertenProzessen im Endprodukt nicht wieder.

ChemieIngenieurTechnik

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Abbildung 11. Der klassi-sche Weg der Synthesegas-erzeugung (vereinfachteDarstellung).

Abbildung 12. Caprolac-tam- und Miramidsynthese.

Chemiegeschichte 1849

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Herstellung von Ammoniumnitrit4 NH3 + 5 O2 → 4 NO + 6 H2O2 NO + O2 → 2 NO2

2 NH3 + H2O + NO + NO2 → 2 NH4NO2

(Ammoniumnitrit)(NH4)2CO3 + NO + NO2 → 2 NH4NO2 + CO2

Herstellung von HydroxylammoniumsulfatSO2 + NH3 + H2O → NH4HSO3 (Ammoniumbisulfit)NH4HSO3 + NH4NO2 + SO2 → NOH(NH4SO3)2

(Hydroxylamindisulfonat)2 NOH(NH4SO3)2 + 4 H2O → 2 (NH4)2SO4 + H2SO4 +(NH2OH)2H2SO4 (Hydroxylammoniumsulfat (HAS)) oder(NH3OH)2SO4 (Bis(hydroxylammonium)sulfat)

Synthese von Cumol

Selektiv-katalytische Phenolhydrierung(Umgehung von Cyclohexanol)

Caprolactamsynthese

In Abb. 13 ist das Prinzip der Mirathensynthese gezeigt,in Abb. 14 wird die Niederdrucksynthese dargestellt.

8 Fazit

Das Leuna Werk war von Anbeginn ein Musterbeispiel fürdie Wechselwirkung von chemischer und ingenieurtechni-scher Grundlagenforschung sowie angewandter Forschung.Parallel zum Aufbau der chemischen Anlagen wurden Ferti-gungsstätten im Sinne eines Chemieanlagen und Apparate-baus errichtet, ohne die das Werk nie hätte entstehen kön-nen. Niemand, außer der betriebseigenen Technik, hätte diegewaltigen Reaktoren und Rohrleitungen fertigen oder garreparieren können. Nur in einem solchen Rahmen war einederartige Fülle von Leistungen und Erfolgen möglich. Wennauch die sozialistischen Rahmenbedingungen anderewaren, grundsätzlich hat sich daran bis zum Ende nichtsgeändert. Das Werk war ein Ort konzentrierter chemisch-technischer Intelligenz und hoher Kreativität. Die Kom-mandowirtschaft und das Autarkiebestreben in der DDRhaben erfolgreiche Entwicklungen zwar oft erschwert, aberein Weg zum Ziel wurde letztlich fast immer gefunden.Den Zwängen folgend, entwickelte sich in der Belegschafteine hohe Flexibilität sowie ein ausgeprägtes Improvisa-tionsvermögen. Die Nutzung dieser Fähigkeiten, des um-fangreichen Know-hows und der hohen Motivation derMenschen wäre ein Weg gewesen, das Unternehmen zu er-halten. Viele Anlagen waren neu oder zumindest erneuert.Die Verschlissenen zu modernisieren oder schrittweise zuerneuern, wäre für die Chemie- und Ingenieurtechnik desWerkes ein Leichtes gewesen.

Die Chemie war in der Region akzeptiert. Die mit Rechtkritisierte Umweltverschmutzung durch das Werk war nichtden Menschen oder der Chemie geschuldet, sondern denfehlenden Mitteln der ostdeutschen Mangelwirtschaft, dienotwendigen Investitionen durchzuführen. Die politische,auf Unwissen beruhende Umwelthysterie hat den Unter-gang Leunas unterstützt. Leuna wäre in Bezug auf Umwelt-standards sicherlich in kurzer Zeit dem Vorbild der Chemiean Rhein und Ruhr gefolgt, die in der Mitte des vorigenJahrhunderts die gleichen Probleme hatte. Das Argumentdes weggebrochenen Ostmarktes ist nicht zu halten. Schonbald nach der Wiedervereinigung wurden auf internationa-len Messen Produkte aus Leuna nachgefragt.

Wenn hier nun vom Ende die Rede ist, so ist das Endedes Werkes gemeint, das 1916 als Tochter der BASF undKind des 1. Weltkriegs gegründet wurde und bis 1990 alswirtschaftliche und juristische Einheit bestand. Das LeunaWerk, das viele Menschen gehasst oder geliebt haben –oder beides – und das die Region geprägt hat wie keinwirtschaftspolitisches Ereignis vorher, welches den 2. Welt-krieg und eine sozialistische Diktatur überlebt hat, wartrotz mancher Kritik für viele Menschen ein Hort der so-zialen Sicherheit. Die Wiedervereinigung Deutschlandshat es nicht überlebt. Den meisten Menschen, insbeson-dere der jüngeren Generation, sagt der Name Leuna Werkmeistens nichts mehr. Verblieben ist ein IndustriestandortLeuna, in dem eine Reihe von Anlagen und viel Wissendes „Originals“ aufgegangen ist, und LEUNA WERKE

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C6H6 + CH2=CH-CH3AlCl3

C6H5

CHCH3H3C

Isopropylbenzol (Cumol)

C6H5

CHCH3H3C

+ O2

C6H5

C

CH3H3C

HOO

C6H5OH +

CH3

C

O

H3CPhenol

Cumolhydroperoxid

C6H5OH + 2 H2Pd/Al2O3-Katalysator

C6H10OCyclohexanon

2 C6H10O + (NH2OH)2H2SO4 + 2 NH3

2 C6H10NOH + (NH4)2SO4 + 2 H2OCyclohexanonoxim

C6H10NOH Oleum C6H10ONH Caprolactam in Schwefelsäure

Beckmannsche Umlagerung des Oxims zum Amid

C6H10NOH + 2 NH3H2SO4 C6H10ONH + (NH4)2SO4

NOH

HN

O

Oxim-Lactam-Umlagerung

1850 K. Becker

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steht noch immer über dem repräsentativen Verwaltungs-gebäude (Abb. 15).

9 Zusammenfassung

Dieser Beitrag soll einen Überblick über die durch Wissen-schaft und Technik geprägte berufliche Heimat des Autorsgeben, und zwar aus seiner Sicht – dem Blickwinkel einesKatalytikers. Die Heterogene Katalyse war in Leuna vomBeginn im Jahre 1921 bis zum Ende ein faszinierender Wegvom Status der Empirie und Phänomenologie zu soliderWissenschaft. Im Detail soll dies in einer weiteren Veröf-fentlichung beschrieben werden.

Auch der vorliegende zweite Teil der Geschichte des Leu-na Werks erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ersoll an das Werk erinnern und an die fleißigen Menschen,die es geprägt haben. Die Wiedergabe von Details ist

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Abbildung 13. Mirathensynthese(Polyethylen – Polymir 60).

Abbildung 14. Niederdruckmethanolsynthese Werkteil III (heuteBestandteil der neuen Raffinerie).

Abbildung 15. Verwaltungsgebäude der Leuna Werke.

Chemiegeschichte 1851

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begrenzt, ebenso das Zitieren von Veröffentlichungen undPatenten, die in großer Fülle vorliegen und vor allem in [11]und [14] zu finden sind. Die verwendete Nomenklatur ent-spricht nicht immer modernsten Konventionen, sonderndem verwendeten Originalmaterial und dem Zeitgeist desjeweiligen Berichtszeitraums.

Literatur

[1] K. Becker, Chem. Ing. Tech. 2013, 86 (2), in press. DOI:10.1002/cite.201300096

[2] K. Becker, W. Kisan, P. Adler, Chem. Tech. 1991, 43, 362.[3] K. Becker, Chem. Tech. 1977, 29, 141.[4] Hermann Zorn, Wikipedia (April 2013).

[5] Wikipedia Zitate sind vom Stand April 2013.[6] W. H. Carothers, US Patent 2071250, 1937.[7] C. F. Reed, US Patent 2046090, 1936.[8] Geheimdokumente zum deutschen Atomprogramm 1938 – 1945,

Deutsches Museum, München.[9] M. Steinhausen, J. Stekowics, LEUNA Metamorphosen eines

Werkes, Verlag Janos Stekowics, Halle/Saale 1997, 155 – 157.[10] Geschichte des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Bd. 2,

1945 – 1981, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie,Leipzig 1985.

[11] G. Enge, E. Onderka, W. Meinl, M. Steinhausen, J. Stekowics,Kraft aus Kohle und Öl, Verlag Janos Stekowics, Halle/Saale1997.

[12] W. Stengler, Hauptproduktionslinien des Kombinates VEB Leuna-Werke, Betriebshandbuch der Leitstelle des Werkes, 2. Auflage,Stand 1989.

[13] K. Becker, H. D. Neubauer, P. Birke, H. Spindler, Chem. Tech.1991, 43, 207.

[14] K. Becker, H. Spindler, Wege zu Technischen Katalysatoren, Ha-bilitationsschrift, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg1984.

[15] K. Becker, H. Blume, E. Grasshoff, E. Onderka, J. Welker,W. Weiss, D. Sachse, H. Klotzsche, Chem. Tech. 1971, 23, 666.

[16] K. Becker, H. D. Berrouschot, H. D. Neubauer, M. Weber,H. John, K. H. Steinberg, Chem. Tech. 1977, 29, 61.

[17] K. Becker, Berichte 1/2005, Fördergemeinschaft ÖkologischeStoffverwertung Halle/Saale 2005, 11.

[18] K. Becker, P. Adler, Chem. Tech. 1994, 46, 206.[19] K. Becker, 75 Jahre Leuna, Festvortrag anlässlich der Festveran-

staltung zum 75. Jahrestag der Gründung des Unternehmens,25. Mai 1991. (s. a. [2]).

[20] K. Becker, H. John, H. Franke, J. Klempin, H. J. Barz, J. Der-mietzel, Chem. Tech. 1978, 30, 407.

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Karl Becker, geb. 1933, warvon 1963 bis 1989 als Lei-ter eines Forschungsbe-reichs der Abteilung Kata-lysatoren und von 1990 bis1995 als Leiter des Zentral-bereichs Forschung desLeuna Werkes tätig. 1996bis 2000 war Dr. BeckerGeschäftsführer der vonihm gegründeten FirmaCHEMTEC Leuna (heuteMinakem Leuna GmbH).

1852 K. Becker


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