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Der Tod spielt mit

Date post: 04-Jan-2017
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Chicago Band 17

Der Tod spielt mit

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Die wilden Zwanziger. In den USA herrscht Prohibition, doch eine ›tro­cken gelegte‹ Nation konsumiert mehr Alkohol als jemals zuvor. Für den Nachschub sorgen gut organisierte Gangsterbanden, gegen die die Polizei einen vergeblichen Kampf führt. Nicht zuletzt, weil auch sie oft mit am Alkoholschmuggel verdient. Die Sitten sind rau und ein Men­schenleben zählt wenig, wenn es um viele Dollars geht. Die Gangster­bosse unterhalten ihre Privatarmeen von Killern und leben selbst wie Könige.

In Chicago versucht der Privatdetektiv Pat Connor, nicht zwischen die Fronten zu geraten und trotzdem der Gerechtigkeit Geltung zu ver­schaffen. Um aber in diesem Haifischbecken zu überleben, muss man selbst auch die Zähne zeigen.

*

Ein Dienstagmorgen im April. Ich saß in meinem Büro Ecke South Franklin/Monroe Street. Es war der erste sonnige Tag im Jahr. Ich hat­te mein Jackett über die Lehne meines Stuhls gehängt und genehmig­te mir einen Bourbon. Meine Sekretärin Betty versorgte unsere einzige Büropflanze mit Wasser.

»Was finden Sie eigentlich an dem Strunk, Betty? Häuslichkeit ist doch sonst nicht Ihre Stärke?«, fragte ich meine Halbtagskraft. Betty warf mir einen scharfen Blick zu und klapperte auf ihren hochhackigen Schuhen zu ihrem Schreibtisch zurück.

»Joe wusste meine Arbeit zu schätzen«, gab sie schnippisch zu­rück. Ich seufzte. Mein toter Partner hatte in der Tat sehr genau ge­wusst, worauf es in der Damenwelt ankam. Gerade wollte ich etwas erwidern. An einem ereignislosen Morgen wie diesem sorgte das Ge­plänkel mit Betty für eine willkommene Abwechslung. Mein Blick fiel auf die Tür. Hinter der Milchglasscheibe zeichnete sich eine Gestalt ab.

»Betty«, sagte ich und nickte zum Eingang. Meine Angestellte zuckte mit den Schultern und war plötzlich mit ihrer Schreibmaschine beschäftigt.

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»Immer hereinspaziert!«, rief ich so laut, dass Betty zusammen­fuhr. Wütend blitzte sie mich an und verschwand hinter ihrem Schreib­tisch, um etwas aus der Schublade zu holen.

Eine große, schlanke, junge Dame trat ein. Ihr braunes Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten. Sie trug ein braunes Tweedkostüm und ihre wohlgeformten Waden endeten in schicken und doch schlich­ten Schuhen. Ein bescheidenes Mädchen in passabler Anstellung, schloss ich. Ich erhob mich und ließ den Flachmann mit Bourbon in der Schublade verschwinden.

»Pat Connor«, stellte ich mich vor. Ich konnte nicht verhindern, die Lady ein wenig anzustarren. »Bitte setzen Sie sich doch!«, forderte ich sie auf und deutete auf den Sessel vor meinem Schreibtisch. Betty tauchte hinter ihrem Schreibtisch auf und zog eine Augenbraue in die Höhe. Ich wandte mich erneut an unseren Gast. »Was kann ich für Sie tun?«

Zu meinem Erstaunen brach die Dame unvermittelt in Tränen aus. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Die Sache ließ sich ja gut an. Heu­lende Frauen waren mir genauso zuwider wie Scheidungsfälle.

»Nun beruhigen Sie sich erst mal«, versuchte ich den Eindruck von Anteilnahme, an welch schrecklichem Schicksal auch immer, zu erwecken.

Sie holte ein Taschentuch aus ihrer Klapptasche und betupfte sich die Augen. »Ich brauche Ihre Hilfe.« Etwas ruhiger fuhr sie fort: »Das heißt, wenn ich es mir leisten kann.«

»Worum geht es denn?«, fragte ich. »Und wie ist Ihr Name?« »Mein Name ist Jeanne Thayer. Mein Verlobter ist seit vier Tagen

spurlos verschwunden. Ich bin völlig verzweifelt.« Damit begann sie wieder zu weinen.

»Waren Sie bereits bei der Polizei?« »Ja, aber die haben nichts tun können. Sie haben seine Eltern

kontaktiert und sein Zimmer durchsucht.« »Vielleicht«, formulierte ich vorsichtig, »vielleicht ist Ihr Verlob­

ter... anderweitig beschäftigt. Wenn Sie verstehen, was ich meine?« Sie sah mich einen Augenblick an, ohne den Sinn meiner Worte zu

begreifen. Doch dann sagte sie aufgebracht: »Sie meinen... Teddey?

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Nein. Niemals. Wir lieben uns. Wir wollen heiraten, sobald er das Col­lege beendet hat.«

»Miss Thayer, Sie verstehen sicher, dass ich Ihnen eine solche Frage stellen muss.«

Sie nickte tapfer und kämpfte erneut mit den Tränen. »Ja. Sagen Sie mir, wie hoch Ihr Honorar ist? Und ob Sie Teddey finden können?«

»Mein Honorar beträgt fünfundzwanzig pro Tag plus Spesen. Ich kann Ihnen kein Wunder versprechen, aber ich versichere Ihnen, dass ich nichts unversucht lassen werde.«

»Fünfundzwanzig Dollar sind eine Menge Geld für mich.« »Was machen Sie beruflich?«, fragte ich. »Ich arbeite als zweite Stenotypistin bei Rendall & Rendall. Das ist

eine Anwaltskanzlei in der Michigan Avenue.« »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich höre mich um und nach

zwei Tagen erstatte ich Ihnen Bericht. Vielleicht ist Ihr Verlobter bis dahin von selbst wieder aufgetaucht.«

Jeanne Thayer nickte. »Können Sie mir noch irgendetwas über Ihren Verlobten sagen?

Zuerst einmal seinen vollen Namen, wo er studiert und wie er seine Freizeit verbringt.«

»Sein Name ist Teddey Wessley. Er ist 21 Jahre alt und studiert am Morton Junior College in Cicero. Im nächsten Herbst will er sich an der Universität von Chicago für Jura einschreiben. Er liebt Baseball.«

»Das tut in dieser Stadt fast jeder«, sagte ich und dachte an die vielen Amateurclubs. Baseball wurde in Chicago an jeder Ecke gespielt. Miss Thayer fuhr fort: »Was kann ich Ihnen sonst noch sagen? Ich habe ein Foto von ihm.« Damit streckte sie mir die Aufnahme eines jungen, gut aussehenden Mannes mit markanten Gesichtszügen ent­gegen. »Bitte finden Sie ihn.«

*

Nachdem Miss Thayer gegangen war, lehnte ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und machte dort weiter, wo ich bei ihrem Er­scheinen aufgehört hatte: Ich trank Bourbon. Betty stand auf und

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packte ihre Sachen zusammen. »Bis morgen, Pat«, verabschiedete sie sich.

Ich nahm einen Schluck, schloss die Augen und überlegte. Zuerst würde ich dem Zimmer des Knaben einen Besuch abstatten. Teddey Wessley wohnte in einer privaten Pension. Ich blickte auf den Zettel, auf dem ich mir seine Adresse notiert hatte. Wessleys Eltern mussten über das nötige Kleingeld verfügen, ihren Sprössling außerhalb des Campus wohnen zu lassen. Und auch ein Jurastudium konnte sich in diesen Zeiten beileibe nicht jeder leisten. Ich betrachtete das Foto, das mir Jeanne Thayer dagelassen hatte. Teddey Wessleys Augen blickten mir unvoreingenommen und unternehmungslustig entgegen. Wo mochte sich ein Junge wie Wessley aufhalten? Möglicherweise war er vor das Mündungsfeuer irgendeines Ganoven gelaufen? Das geschah in Chicago nicht gerade selten. Doch darüber wäre in der Zeitung be­richtet worden. Wessley schien alles zu besitzen, was das Leben ange­nehm machte. Sein Verschwinden ergab keinen Sinn.

Bevor ich mich auf den Weg zu der Pension machte, rief ich in der Redaktion der Chicago Tribune an. Ich ließ mich mit Brendon verbin­den, meiner unerschöpflichen Quelle, wenn es um Informationen ging. Kurz darauf hörte ich ihn sagen: »Pat, wie geht es dir?«

»Wie immer«, antwortete ich. »Um zwei Uhr bei Henry's?« »Hört sich gut an. Bis später.« Und schon hatte Brendon aufge­

legt.

*

Ich schob mir eine Lucky in den Mundwinkel, nahm das Jackett, mei­nen Hut und verließ das Büro. Der Winter schien endgültig vorüber und ich hatte eine hübsche, wenn auch verzweifelte Klientin, der ich in spätestens zwei Tagen Bericht erstatten sollte. Was ich zugegebener­maßen mit Freuden tun würde. Ich stieg in meinen Plymouth und fuhr Richtung Westen nach Cicero. Der idyllische Vorort lag rund sieben Meilen westlich der Loop. Er bestand vorwiegend aus Einfamilienhäu­sern. Außerdem gab es hier das College und ein wenig Industrie. In der 59th Street hielt ich Vor einem Haus mit der Aufschrift ›Oak Man­

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sion‹. Ich öffnete die Tür und sah mich um. Ein Lüster mit etlichen fehlenden Kristallornamenten hing an der Decke der Halle. Der einst­mals stattliche Läufer auf der Treppe war von vielen Füßen verschlis­sen. Die Farbe blätterte von den Türen. Nicht gerade eine stattliche Behausung.

»Was kann ich für Sie tun?«, krächzte eine rundliche alte Dame mit rot gefärbten Haaren. Sie kam aus dem hinteren Teil der Halle auf mich zu.

»Mein Name ist Pat Connor.« Ich hielt ihr meine Karte hin. »Ich habe meine Brille nicht auf«, erwiderte sie unwirsch, ohne

die Karte eines Blickes zu würdigen. »Ich bin Privatdetektiv.« »Ja und?«, fragte sie ungnädig. »Ich komme wegen Teddey Wessley.« »Ein Polizist war bereits da und hat mich befragt.« »Ich wollte Sie bitten, mir sein Zimmer zu zeigen.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage. In Zeiten wie diesen kann

man niemandem trauen. Letzte Woche erst ist einem meiner Mieter etwas gestohlen worden.«

»Madam, die Verlobte von Mister Wessley hat mich beauftragt, ihn zu finden.«

»Die Polizei wird sich um sein Verschwinden kümmern.« Mit die­sen Worten ging sie zur Haustür, hielt diese für mich auf und wenig später befand ich mich wieder auf der Straße. Ich ging zurück zu mei­nem Wagen. Reaktionen wie diese waren für mich nichts Neues. Nachdenklich blickte ich auf Oak Mansion. Ich setzte mich in den Ply­mouth und überlegte. Die Pension wirkte ruhig. Die Mieter waren wahrscheinlich allesamt Studenten und um diese Zeit in irgendwelchen Hörsälen zu finden. Gab es eine Möglichkeit, ungesehen ins Haus zu gelangen? In diesem Moment öffnete sich die Tür der Pension und die Wirtin erschien. Sie kam in Hut und Mantel gekleidet die Stufen he­runter und ging davon. Ich überlegte nicht lange und lief zur Pension zurück. Die Tür war nicht verschlossen, was mir zeigte, dass sich noch jemand im Haus befinden musste. Leise schlich ich die Treppe hinauf.

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Im ersten Stock befanden sich vier Zimmer. Eine weitere Treppe führte ins Obergeschoss. Nichts regte sich. Die Tür zu Nummer 6 war verschlossen. Doch das störte mich nicht. Eine Dietrichlänge später befand ich mich in der winzigen Behausung des Vermissten. Hinter mir schloss ich wieder ab. Es gab keinen Grund, sich von der Wirtin oder einem anderen Mieter überraschen zu lassen.

*

Teddey Wessley schien nicht gerade ein Ordnungsfanatiker zu sein. Auf dem Fußboden lagen Kleidungsstücke herum und auf den Möbeln befand sich eine Staubschicht. Dies dürfte seine Wirtin nicht gerade begeistern. Ich zog Schubladen auf, untersuchte den Wandschrank, durchforstete systematisch die Papiere auf seinem Schreibtisch und drehte die Matratze des Bettes um. Doch ich fand nichts. Keine Zettel mit hingekritzelten Terminen, auch keinen Kalender. Noch nicht einmal Familienbilder, bis auf ein wirklich ansehnliches Foto von Jeanne in einem silbernen Rahmen. Ich betrachtete es. Der Rahmen war nicht gerade billig gewesen. Ansonsten sah ich nur bestätigt, was Jeanne mir bereits gesagt hatte: Wessley war ein Baseball-Fan. Aus der Tribu­ne ausgeschnittene Fotos der Chicago Cubs zierten die Wände. Im Schrank befand sich ein Trikot des Morton Junior College, zwei Schlä­ger und mehrere Handschuhe unterschiedlicher Abnutzung.

Wessley schien mit den anderen Mietern Waschraum und Toilette teilen zu müssen, denn sein Zimmer besaß kein eigenes Bad. Nach einer halben Stunde wandte ich mich zur Küche, einem kleinen Raum ohne Tür. Ich tastete mich durch die Schränke. Corned Beef, Haferflo­cken und Gläser mit Erdnussbutter. Ziellos stapelte ich die Konserven um. Auf der Arbeitsfläche stand ein Keramikbehälter. Als ich ihn öffne­te, stellte ich fest, dass er mit Zucker gefüllt war. Eigentlich passte dieser Topf nicht hierher, sondern gehörte eher in die Küche einer mittelständischen Hausfrau. Ich wollte ihn wieder zurückstellen, als er mir entglitt und zerbrach. Doch ich hatte weder Zeit, mich über mein Missgeschick zu ärgern, noch Überlegungen darüber anzustellen, ob jemand im Haus den Laut gehört haben könnte. Denn vor meinen Fü­

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ßen lag eine dicke Rolle mit Geldscheinen. Ich pfiff durch die Zähne. Ich nahm die Rolle und zählte. Es handelte sich um sage und schreibe 5000 Dollar in Hunderten. Unglaublich. Woher hatte ein 21-jähriger Bengel wie Wessley so viel Zaster? Von dieser Summe konnte ich mir zehn Ford T-Modelle vor die Tür stellen lassen.

Doch mir blieb keine Zeit, weitere Überlegungen anzustellen. Draußen machte sich jemand am Türschloss zu schaffen. Ich raffte das Geld zusammen. Fieberhaft blickte ich mich um und stopfte die Schei­ne in die nächste Schublade. Dann verzog ich mich in den Wand­schrank des Wohnzimmers. Der Eindringling schien ebenso unbefugt zu sein wie ich, doch keine Ahnung vom Schlösserknacken zu haben. Ich griff mir einen der Baseball-Schläger im Schrank und wartete. Kur­ze Zeit später befand sich der Fremde in der Wohnung. Durch die schrägen Lamellen der Schranktür verfolgte ich seinen Schatten. Ich hob geräuschlos den Schläger, als der Kerl vor dem Wandschrank ste­hen blieb. Er betätigte den Knauf und ich hielt den Atem an. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Doch nichts geschah und der Schweiß trat mir auf die Stirn. Die Tür schloss sich wieder. Aus irgendeinem Grund hatte der Mann es sich anders überlegt. Als ich seine Schuhe auf dem verschütteten Zucker knirschen hörte, wusste ich, dass der Fremde die Küche betreten hatte. Ich hörte, wie er Schränke öffnete und Schubladen aufzog. Schließlich kam er zurück ins Wohnzimmer, ging schnellen Schrittes auf die Eingangstür zu und war verschwun­den. Ich hörte, wie er die Treppe hinunterging. In aller Eile verließ ich mein Versteck und betrat die Küche. Ein Blick in die Schublade verriet mir, was ich befürchtet hatte: Das Geld war weg.

*

Ich hetzte die Treppe hinunter und rannte aus dem Haus. Doch die 59th Street lag ruhig und friedlich da. Der Mann war verschwunden. Enttäuscht wandte ich mich in Richtung meines Wagens. Warum hatte der Mann den Schrank nicht geöffnet? Es schien mir, als habe er ge­wusst, wonach er suchte. Möglicherweise war er schon einmal in dem Zimmer gewesen und hatte den Wandschrank bei diesem ersten Be­

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such bereits inspiziert. Wieder fragte ich mich, wie ein Student wie Wessley zu so viel Geld gelangt sein mochte. Vielleicht durch eine Erb­schaft? Als ich bereits vor meiner Autotür stand, kam mir ein weiterer Gedanke in den Sinn. War der Unbekannte einer der anderen Mieter oder ein Freund Wessleys vom College? Ich würde die Pension im Au­ge behalten müssen. In diesem Moment kam ein Cadillac auf mich zu. Der Wagen hielt und mir schwante nichts Gutes. Zwei von O'Malleys Handlangern stiegen aus. Das auch noch, dachte ich. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit.

»He Schnüffler, lange nicht gesehen«, sagte der eine von ihnen. Ich überlegte blitzschnell. Das Auftauchen der beiden konnte be­

deuten, dass The Jar O'Malley bei Wessleys Verschwinden die Finger im Spiel hatte. Vielleicht hatte die Wirtin die Iren alarmiert.

»Na, Livingston, ist die Nase wieder dran?«, fragte ich den einen der beiden im grauen Anzug. Im letzten Winter war ich Zeuge gewor­den, als Livingstons Zinken durch eine Abreibung der Italiener ganz schön einen mitbekommen hatte.

»Halt die Klappe, Connor«, knirschte Livingston und baute sich di­rekt vor mir auf, sodass ich eine Welle seines Aftershaves einatmen konnte. Sein Kumpel, ein schmächtiger Kerl mit mieser Visage, trat hinter mich. Das sah gar nicht gut aus und ich rüstete mich zum An­griff. Mit einer schnellen Bewegung wollte mir Livingston einen Kinn­haken verpassen. Ich duckte mich und der Schlag hätte fast seinen Partner getroffen. Der wollte zutreten, doch ich machte einen Schritt zur Seite.

»Jungs«, sagte ich beschwichtigend. »Ihr wollt doch nicht am hell­lichten Tag mitten im friedlichen Cicero eine Schlägerei anfangen, o­der? Die Cops wären schneller hier, als wir denken könnten.« Die bei­den sahen sich an und ich traute meinen Ohren nicht, als Miese Visage sagte: »Komm schon, Jim.« Er nickte auffordernd in Richtung Wagen. Livingston gab einen wütenden Laut von sich und versetzte mir zum Abschied einen Faustschlag in den Magen, von dem mir Hören und Sehen verging. Dann gingen die zwei zu ihrem Cadillac und fuhren davon. Ich rappelte mich mühsam hoch und übergab mich in einen Busch. Schließlich fuhr ich ins Büro zurück. Fürs Erste hatte ich genug.

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*

Ich nippte vorsichtig an meinem Bourbon, worauf mein Magen sofort rebellierte. Ich war mit dem Ergebnis meiner Unternehmung nicht ge­rade zufrieden. Dass ich nicht hatte herausfinden können, wer der unangemeldete Besucher gewesen war, kratzte an meiner Berufsehre. Oak Mansion kam mir mittlerweile mehr als merkwürdig vor. Ich über­legte, wann ich am besten zurückkehren und mir weitere Informatio­nen über Teddey Wessley und seine Lebensumstände beschaffen soll­te. Schließlich wählte ich die Nummer von Rendall & Rendall, Jeannes Arbeitsstelle. Es dauerte eine Weile, bis die Sekretärin mich verbunden hatte und dann hörte ich Jeannes hoffnungsvolle Stimme: »Mister Connor, haben Sie Teddey gefunden?«

»Nein, noch nicht. Ich habe eine Frage. Ist Ihnen bekannt, ob Ihr Verlobter seiner Wirtin oder einem anderen Hausbewohner gegenüber irgendwelche Andeutungen gemacht hat, wo er hin wollte?«

»Nein. Seine Wirtin hat mir nur gesagt, dass er am Donnerstag­abend in seinen Wagen gestiegen und weggefahren ist. Daraufhin bin ich zur Polizei gegangen.«

»Was für einen Wagen fährt Ihr Verlobter?« »Einen alten Ford Standard.« »Aha«, sagte ich. Damit konnte ich nicht viel anfangen, denn von

diesem Modell gab es in der Stadt Tausende. Schließlich sagte ich: »Ich habe der Pension heute einen Besuch abgestattet. Die Wirtin ist auf Privatdetektive nicht besonders gut zu sprechen.«

»Ja, sie ist keine sehr freundliche Person.« »Miss Thayer, wenn Sie wollen, dass wir Teddey schnell finden,

muss ich Sie bitten, selbst noch einmal bei der Pension vorbeizufahren. Die Wirtin scheint eher gewillt zu sein mit Ihnen zu sprechen als mit mir. Versuchen Sie mehr herauszufinden.«

»Mister Connor, ich weiß nicht, was Sie meinen.« »Zum Beispiel die genaue Uhrzeit, zu der Teddey wegfuhr. Welche

Art Kleidung er trug oder ob er aufgeregt wirkte.« »Das hat die Polizei die Wirtin bestimmt bereits gefragt.«

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»Das mag sein. Aber an diese Informationen kommen wir nicht heran. Ich schlage vor, Sie versuchen so viel wie möglich von der Wir­tin in Erfahrung zu bringen.«

»Ist gut, Mister Connor. Doch was werden Sie tun?« »Ich werde vor der Pension Stellung beziehen und versuchen, ei­

nen der anderen Mieter abzufangen. Vielleicht ist Ihr Verlobter mit einem von ihnen näher bekannt.«

»Davon weiß ich nichts.« »Und ich werde dem Morton Junior College einen Besuch abstat­

ten«, fuhr ich fort. »Können Sie sich an den Namen eines seiner Leh­rer erinnern?«

»Ich glaube, sein Mathematiklehrer heißt Hillerman. Sie sollten vor allem mit seinem Baseball-Coach sprechen. Teddey hält viel von ihm. Sein Name ist Albert Gorenson.«

»Danke, Jeanne. Wenn es Ihnen recht ist, treffen wir uns morgen gegen sechs Uhr abends bei Bartlett's und tauschen die Ergebnisse aus.«

»Sie meinen das Diner in der Michigan Avenue?« »Ja. Bis morgen.« Wir legten auf. Ich musste herausfinden, was es mit den 5000

Dollar auf sich hatte. Ich hatte Jeanne nichts von meinem Fund ge­sagt, da ich ihre Reaktion darauf persönlich miterleben wollte. Glückli­cherweise fiel mein Blick auf die Uhr. Beinahe hätte ich mein Treffen mit Brendon versäumt.

*

»Na, Pat, Stress mit einer Dame?«, fragte Brendon, als er mein ange­strengtes Gesicht sah.

»Würde mich freuen, wenn es so wäre. Aber die Lady ist eher um ihren verschwundenen Verlobten besorgt.«

»Und das macht dir so zu schaffen?« »Nein, ich hatte einen Zusammenstoß mit zwei von O'Malley's

Nervensägen.« Während wir auf unser Essen warteten, gab ich Bren­don einen kurzen Überblick. Wenig später mampfte mein Freund mit

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gutem Appetit sein Steak. Ich kaute vorsichtig und hoffte, dass mein malträtierter Magen dieses Angebot akzeptieren würde.

»Und die beiden Typen haben dich nicht länger bearbeitet?«, frag­te Brendon ungläubig.

»Nein. Kommt mir auch merkwürdig vor«, sagte ich. »Wollten sich wahrscheinlich im Vorbeifahren mal kurz wichtig

machen.« »Vielleicht. Ich würde zu gerne wissen, was die beiden überhaupt

in die Gegend verschlagen hat. Cicero ist nicht gerade O'Malley-Gebiet. Da passiert doch nichts.«

»Wie heißt denn der Vermisste?«, fragte Brendon. »Wessley. Teddey Wessley. Er ist Student am...« »Oh«, machte Brendon und ließ für einen Moment die Gabel sin­

ken. Ich blickte ihn an. »Wie bitte?«, fragte ich. »Na, Teddey Wessley. Der Junge ist ein absolutes Baseball-Talent.

Manche sagen, er könne mit dem Holz in ein paar Jahren besser um­gehen als Babe Ruth. Noch ist er am College. Doch es wird bestimmt nicht mehr lange dauern, bis der eine oder andere Club sein Interesse an ihm anmelden wird.«

»Der Junge hat fünftausend Mäuse in seiner Küche rum liegen«, sagte ich. Brendon aß schweigend weiter. »Wirklich?«, fragte er schließlich ohne aufzusehen.

»Ja. Wirklich. Das erstaunt dich nicht? Fünf Riesen.« »Das sagtest du bereits.« »Was soll das, Brendon? Das ist doch keine alltägliche Summe,

oder?« »Nein, sicher nicht.« »Brendon, ich...« »Hör mal Pat, ich kann dir diesmal nicht weiterhelfen, verstehst

du?« »Was meinst du? Wobei weiterhelfen?« »Na, mit dem Fall. Ich bin seit zwanzig Jahren Sportreporter und

ich würde meinen Job gerne behalten.«

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»Deinen Job behalten? Du meinst also, dass die fünf Riesen etwas mit der Baseball-Liga zu tun haben?«

»Pat, ich muss jetzt gehen.« »Brendon, das kann doch nicht dein Ernst sein. Sag mir wenigs­

tens, welche Mannschaft sich für Wessely interessiert haben könnte.« »Ich seh mal, was ich machen kann. Bis dann.« Damit ging er und

ließ mich wütend und frustriert zurück.

*

Am nächsten Morgen quälte ich mich gegen fünf Uhr aus den Federn. Ich wollte früh auf den Beinen sein, um einen von Wessleys Nachbarn erwischen zu können. Dies war wirklich nicht meine Zeit, doch nach zwei Tassen schwarzem Kaffee und einer Lucky war ich so weit, den Tag willkommen zu heißen. Ich duschte und rasierte mich und verließ eine Stunde später das Haus. Mein Plymouth dröhnte durch den frü­hen Aprilmorgen. Außer einem verspäteten Zeitungsjungen sah ich keine Menschenseele.

Als ich in die 59th Street in Cicero einbog, parkte ich den Wagen und wanderte zu Fuß bis zur Oak Mansion, die still dalag. Auf der ge­genüberliegenden Straßenseite befand sich eine ungenutzte Lagerhal­le, deren Fenster mit Brettern vernagelt waren. Von der hinteren Ecke des Gebäudes aus hatte ich einen guten Blick auf den Eingang der Pension. Hier bezog ich Stellung und wartete. Ich hatte vergessen, meine Uhr auf zuziehen und so hatte ich als einzigen Zeitmesser mei­nen Magen, der bereits erheblich knurrte. Endlich passierte etwas. Aus der Haustür von Oak Mansion traten nach und nach etliche junge Leu­te. Allesamt männliche Studenten, die zu zweit oder zu dritt die Straße in entgegen gesetzter Richtung hinuntergingen. Ich hatte eigentlich gehofft, einen einzelnen Studenten ansprechen zu können, doch da ich keine andere Wahl zu haben schien, setzte ich der letzten Dreiergrup­pe hinterher, die sich langsam entfernte. In diesem Moment öffnete sich die Haustür erneut und ein schmächtiger, junger Mann trat her­aus. Er mochte kaum älter als 20 Jahre sein, hielt ein paar Bücher un­

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ter dem Arm und machte sich gesenkten Kopfes auf den Weg Richtung College. Perfekt, dachte ich und folgte ihm.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich, als ich knapp hinter ihm war. Der junge Mann drehte sich um. Sein glattes Gesicht war blass, sein Haar ordentlich gescheitelt und mit Pomade in Form gebracht. Kleine Augen betrachteten mich fragend aus einer silberumrandeten Brille. Ich hielt ihm meine Karte hin, die er zögernd entgegennahm.

»Mein Name ist Pat Connor. Ich bin Privatdetektiv und beauftragt, Teddey Wessley zu finden.«

»Unseren Baseball-Star«, gab der junge Mann zurück. »Was wol­len Sie von mir?«

»Es wäre nett, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten könn­ten.«

»Ist recht«, antwortete er. »Aber wir müssen beim Gehen mitein­ander sprechen, sonst komme ich zu spät zum Unterricht. Eigentlich kann ich Ihnen sowieso nichts sagen. Ich habe es nicht so mit Base­ball, wissen Sie.«

Ich setzte mich neben ihm in Bewegung. »Wie heißen Sie?«, frag­te ich.

»Sid Fielder, Sir.« »Sid, sind Sie im gleichen Mathematikkurs wie Teddey Wessley?« »Wenn Sie es so ausdrücken möchten. Er ist nicht oft anwesend.« Fielder blickte beim Gehen auf das Pflaster vor sich. Ich spürte,

dass es nicht einfach werden würde, ein paar Informationen aus ihm herauszuquetschen. »Gibt es für sein häufiges Fehlen einen besonde­ren Grund?«

Fielder blickte mich an, als ob ich nicht bis drei zählen könnte. »Es gibt Studenten, die es einfach nicht nötig haben, fleißig zu sein.«

»Sie meinen, weil diese Studenten gut im Baseball sind?« Fielder seufzte und blieb stehen. Abschätzend betrachtete er mich.

Dann sagte er: »Teddey Wessley ist der Star an unserem College. Ich habe gehört, dass sich sogar schon die Baseball-Liga für ihn interes­siert. So ein Student kann es sich aussuchen, verstehen Sie? An wel­cher Universität er studieren möchte, was er studieren möchte oder ob

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er überhaupt studieren möchte.« Ohne eine Antwort abzuwarten, setz­te er den Weg fort.

Fielder begann mir Leid zu tun. »Ist Teddey Wessely mit irgend­jemand in der Pension befreundet?«

»Nein, er ist fast nie da. Ich meine, natürlich schläft er dort. Aber auch darüber wäre ich mir nicht so sicher.«

»Und am College? Können Sie mir den Namen von einem seiner Freunde nennen?«

»Sie brauchen nur zum Baseball-Feld zu gehen. Ich bin bestimmt nicht einer von ihnen.« Die letzte Bemerkung klang verbittert. Das College tauchte vor uns auf. Fielder ging zielstrebig auf das Tor zu und ich sagte: »Sid, ich habe nur noch zwei Fragen.«

»Welche? Ich muss in meinen Unterricht.« »Haben Sie Teddey Wessley am Donnerstagabend weggehen se­

hen?« »In der Tat, das habe ich. War fein rausgeputzt wie immer. Viel­

leicht wollte er mit seiner Freundin ausgehen, was weiß ich. Mein Schreibtisch steht direkt am Fenster zur Straße. Ich habe gesehen, wie er in seinen Wagen stieg und wegfuhr.«

»Hm«, machte ich nachdenklich. »Und niemand im Haus wusste, wohin er wollte?«

»Wessley hielt es, glaube ich, nicht für nötig, jemandem Bescheid zu sagen, wohin er ging.« Mittlerweile hatte ich von Fielders destrukti­ver Art genug. Vor uns tauchte das Tor zum Campus und dahinter ein graues Sandsteingebäude mit breiter Freitreppe auf. Wir passierten das Tor und Fielder ging die Stufen hinauf. Ich folgte ihm.

Er drehte sich zu mir um. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Ja, mir Ihren Unterrichtsraum zeigen.«

*

Anderthalb Stunden lang wartete ich vor dem Unterrichtsraum, bis endlich aus den Tiefen des Gebäudes eine Glocke erscholl und die Tü­ren Scharen von Studenten auf den Korridor spieen. Ich betrat den

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Hörsaal. Hillerman war gerade dabei die Fenster zu öffnen, was ich als angenehm empfand. Die Luft war zum Schneiden dick. Der Professor war mittelgroß, rundlich und um die fünfzig, mit einem Gesichtsaus­druck, als habe er sich zu lange auf eine Sache konzentriert und alles andere um sich herum vergessen.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er. »Mister Hillerman, ich komme wegen eines Ihrer Studenten. Mein

Name ist Pat Connor.« »Hat einer der Bengel etwas angestellt? Was ist denn los? Sind Sie

von der Polizei?« Ich reichte ihm meine Karte, worauf er mich miss­trauisch beäugte. Dann fragte er: »Um welchen Studenten handelt es sich?«

»Es geht um Teddey Wessley.« »Wessley? Ja, der Junge ist verschwunden, stimmt's? Ich habe ihn

seit letztem Dienstag nicht mehr gesehen. Ein Polizist war hier und hat mich befragt.«

»Seine Verlobte hat mich beauftragt, ihn zu finden.« »Seine Verlobte? Ich wusste nicht, dass er eine hat. Aber ich den­

ke, das ist nicht weiter verwunderlich. Jungen mit einer aussichtsrei­chen Karriere brauchen sich um die Damen keine Sorgen zu machen.«

»Können Sie mir irgendetwas über ihn sagen, was mir weiterhilft? Hat er Freunde, die etwas über seinen Verbleib wissen könnten?« Der Professor wischte sich die Finger an einem Taschentuch ab, ging um den Schreibtisch herum und räumte seine Bücher zusammen. »Es gibt Menschen, die haben Dutzende von Freunden und doch haben sie kei­nen einzigen.«

»Wie meinen Sie das?« Und zum zweiten Mal an diesem Morgen wurde ich angeblickt, als stelle mein Gegenüber meine geistigen Fä­higkeiten in Frage.

»Mister... Connor, Sie waren doch sicherlich auch auf einer Schule. Können Sie sich nicht an Mitschüler erinnern, die sehr populär waren? Wie andere Schüler zu ihnen aufsahen und sie beneideten? Wirkliche Freunde finden diese Schüler nie. Es sei denn, das Leben setzt sie ir­gendwann an einen Ort, an dem Menschen ebenso oder noch begab­

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ter sind als sie selbst.« Ich entschloss mich, nach dieser Aussage einen Moment verstreichen zu lassen.

»Und seine schulischen Leistungen?« »Ich bin nicht befugt, Ihnen darüber Auskunft zu geben. Doch ich

denke, Sie sind besser beraten, wenn Sie sich unten auf dem Baseball-Feld umhören. Dort können Ihnen die Leute sicherlich mehr über Ted­dey Wessleys Stärken sagen als in diesen heiligen Hallen.« Damit lä­chelte er mich an und ich lächelte zurück. Das Gespräch war beendet.

*

Coach Gorenson war klein, vierschrötig und hatte helles Haar. Seine Haut war vom Bluthochdruck gerötet und er hatte eine unförmige Na­se, die sich an der Spitze lila verfärbt hatte.

»Wessley?«, bellte er, nachdem ich ihm meinen Namen und mein Anliegen genannt hatte. »Ein Polizist war gestern bereits da. Der Ben­gel soll sich bloß nicht blicken lassen.«

»Nicht?« Ich tat erstaunt. Zum dritten Mal erntete ich daraufhin an diesem Morgen einen geringschätzigen Blick und wappnete mich mit stoischer Gelassenheit.

»Mister Connor, ich habe eine Baseball-Saison vor mir. In der letz­ten hat es das Morton Junior College dank Wessleys Hilfe in die State Finals geschafft. Sie werden sicherlich verstehen, wo uns diese Saison hinbringen wird, wenn der Junge fern bleibt. Die ersten Spiele stehen bereits in zwei Wochen an.«

»Mister Gorenson, vielleicht ist Teddey Wessley etwas zugesto­ßen?«

»Zugestoßen«, schnaubte der Coach. »Was soll ihm denn zuge­stoßen sein?« Nach einer Weile fuhr er plötzlich ruhiger fort: »Verste­hen Sie mich nicht falsch. Der Junge ist ein netter Kerl. Ab und an trägt er ein bisschen dick auf. Dann muss man ihm zeigen, wie der Hase läuft. Aber wer will es ihm verübeln? Er ist wirklich ein Ass. Doch jetzt nimmt er sich ein wenig viel heraus. Wenn er so weitermacht, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn aus dem Team zu werfen.«

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»Ich habe gehört, er werde in ein paar Jahren mit dem Baseball-Schläger besser umgehen können als Babe Ruth«, wiederholte ich Brendons Aussage. Der Coach sah mich mit hochgezogenen Augen­brauen an. »Wer sagt das?«

Ich zuckte die Achseln. »Stimmt es denn?« »Tja, vom Talent her würde ich sagen: Ohne Zweifel. Doch was

daraus wird, kann man nie so genau wissen. Sie sehen ja selbst. Da taucht plötzlich ein hübsches Mädchen auf und schon ist die Karriere vergessen.«

»Sie glauben, er ist mit einem Mädchen durchgebrannt?« »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er letzten Donnerstag das letz­

te Mal trainiert hat und ich dem Jungen die Leviten lesen werde, so­bald er sich blicken lässt.« Ich beobachtete nachdenklich den Baseball in Gorensons schwieligen Händen.

Letzten Donnerstag, dachte ich und fragte dann: »Würden Sie Teddey Wessley als ehrgeizig bezeichnen?«

»Was den Baseball angeht, ja«, sagte Gorenson. »Kommt es Ihnen dann nicht seltsam vor, dass er das Training so

einfach versäumt?« »Das finde ich in der Tat, aber als Coach erlebe ich solche Ausset­

zer nicht zum ersten Mal. Sogar Profis auf der Höhe ihrer Karriere set­zen plötzlich auf ein anderes Pferd.«

»Aber hätte er dann nicht irgendjemandem Bescheid gesagt?« Statt einer Antwort rieb sich Gorenson das Kinn und ich fuhr fort:

»Weder seine Verlobte, seine Eltern noch seine Wirtin haben eine Ah­nung, wo er abgeblieben sein könnte.«

»Verdammt«, sagte Gorenson, nahm seine Kappe ab und drehte sie in den Händen. »Wissen Sie was, das hört sich nicht gut an.«

»Das finde ich auch. Können Sie mir die Namen einiger Spieler nennen, mit denen Teddey Wessley gewöhnlich seine Freizeit ver­bringt?«

»Ich glaube, mit Furgison und Lerremy steckt er am häufigsten zusammen. Kommen Sie heute Nachmittag gegen drei Uhr zum Spiel­feld. Sie haben meine offizielle Erlaubnis, ein wenig herumzuschnüf­feln.« Gorenson wandte sich ab und ging in Richtung der Kabinen da­

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von. Ich folgte ihm. Mir war noch etwas eingefallen: »Mister Goren­son?«, fragte ich.

»Ja?« »Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich eine Mannschaft der Profi-

Liga bereits für Wessley interessierte. Wissen Sie, welche es war?« Gorenson sah plötzlich aus, als habe er in eine Zitrone gebissen.

»Davon weiß ich nichts.« »Aber ich...« »Entschuldigen Sie mich.« Damit drehte er sich um und ging

schnellen Schrittes davon. Ich knirschte mit den Zähnen. In bisher keinem Fall meiner Karrie­

re war ich so oft einfach stehen gelassen worden. Was war eigentlich mit den Leuten los?

*

Um die Mittagszeit nahm ich in einem kleinen Diner ein Sandwich zu mir und flirtete mit der Bedienung, um mich ein wenig abzulenken. Doch es dauerte nicht lange und ich starrte in Gedanken versunken auf die Tischdecke vor mir. Die Bedienung strafte mich mit einem schmollenden Blick, als ich zahlte und ging. Ein anderes Mal, dachte ich.

Ich fuhr ins Büro und ließ mich erschöpft in meinen Bürostuhl fal­len. Betty betrachtete mich neugierig. »Schlecht geschlafen?«, fragte sie.

»Nein, nur zu wenig.« »Brendon hat für Sie angerufen.« »Aha«, sagte ich. Im Augenblick konnten mir alle gestohlen blei­

ben. Vor allem Brendon. Ich zündete mir die erste Lucky seit Stunden an, inhalierte den Rauch und blickte auf Bettys blonden Haarschopf. Sie war in die Ausgabe einer Frauenzeitschrift vertieft.

»Was wissen Sie über Baseball, Betty?«, fragte ich, ohne eigent­lich zu wissen warum. Betty hob ihre Augen zur Decke, klapperte mit den hübsch geschminkten langen Wimpern und sagte: »Dass es der

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langweiligste Sport der Welt ist.« Sie blickte mich an und fragte dann: »Seit wann interessieren Sie sich für Baseball, Pat?«

»Tue ich ja gar nicht.« Betty hatte Recht. Baseball war ein lang­weiliges Spiel. Wenn es auch an einem Sonntagnachmittagnichts Schöneres gab, als sich auf dem Wrigley Field mit ein paar Kumpeln zum Zugucken zu treffen. Meistens machte ich mich jedoch spätestens im sechsten Inning davon und las am nächsten Tag das Ergebnis in der Tribune. Die Chicago Cubs waren in den letzten Jahren in der Na­tional League sehr erfolgreich gewesen. Doch wie sie genau abge­schnitten hatten, daran konnte ich mich nicht erinnern. Eigentlich wäre jetzt der Moment gewesen, meine wichtigste Informationsquelle anzu­zapfen, wenn es um Sport ging: Brendon. Doch ich war nicht dazu in der Stimmung. Stattdessen sprang ich auf und nahm meinen Hut. Bet­ty sah mich entgeistert an: »Was hat Sie denn gebissen?«

»Ich habe meine Lebensgeister gerade wieder gefunden«, sagte ich und machte mich auf den Weg zur Tür.

»Soll ich Sie denn nicht mit der Tribune verbinden?«, fragte Betty entgeistert. »Brendon hat um Rückruf gebeten.«

»Sagen Sie ihm, ich sei nicht hier gewesen, falls er noch einmal anruft.« Damit verließ ich das Büro.

*

Es war zwei Uhr und ich konnte mir Zeit lassen auf dem Weg zum Mor­ton Junior College. Kaum saß ich im Wagen, kehrte meine miese Lau­ne zurück und ich entschied deshalb, noch einen Abstecher zu Dunky zu machen. Nachdem ich die Eingangskontrolle passiert hatte, setzte ich mich an den Tresen und wartete, bis Dunky mir seine Aufmerk­samkeit schenkte. Er bediente gerade zwei Gäste am anderen Ende der Bar.

»Na, Pat«, sagte Dunky, wie immer ohne ein Lächeln in der Stim­me. Ich grinste ihn halbherzig an und eine halbe Minute später stand ein Glas mit Bourbon vor mir. Ich nahm einen Schluck, verfluchte in­nerlich zum tausendsten Mal die Prohibition und drehte dann das Glas vor mir in die verschiedensten Himmelsrichtungen. Als ich aufblickte,

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stand Dunky vor mir und betrachtete mich nachdenklich. »Du gefällst mir heute gar nicht. Ärger mit den Frauen?«

Ich knurrte als Antwort. Diese Frage hatte ich heute bereits gehört und sie erinnerte mich an Brendon. Doch es war der gesamte Fall, der mir auf die Nerven ging. Alle Welt schien mich abzuwimmeln und ich konnte einfach nicht begreifen, warum Wessley sich aus dem Staub gemacht hatte. Bei solch einer hübschen Verlobten. Obwohl es nicht das erste Mal wäre, dass so etwas geschah. Zudem war Wessley ein Baseball-Star und hatte seinem College Erfolge eingebracht. Von der einen Hälfte seiner Kommilitonen wurde er bewundert, von der an­deren beneidet. Um seine schulischen Ergebnisse brauchte er sich kei­ne Sorgen zu machen und seine Zukunft schien ebenfalls gesichert. Die Universität stand ihm offen, die Liga interessierte sich für ihn und zu allem Überfluss lagen in seiner Küche 5000 Dollar herum. Ich setzte das Glas versehentlich zu hart ab und es knallte auf den Tresen. Dun­ky blickte herüber, kam erneut auf mich zu und sagte: »Pat, keine Frau ist es wert...«

»Ach, hör doch endlich mit den verdammten Weibern auf«, sagte ich, bezahlte und ging. Armer Dunky, dachte ich, während ich in mei­nen Plymouth stieg. Er konnte ja schließlich auch nichts dafür. Lang­sam stieg in mir die dumpfe Ahnung auf, dass Teddey Wessley nicht mehr auftauchen würde. Ich fuhr Richtung Westen und gelangte nach ungefähr einer halben Stunde nach Cicero.

*

Steve Furgison stützte das Kinn auf den Baseball-Schläger und warf Hump Lerremy einen Blick zu. Die beiden saßen auf der Bank ein Stück entfernt vom Rest der Mannschaft. Trainer Gorenson hatte mich vor­gestellt. Erstaunt bemerkte ich die frostige Atmosphäre, die mir entge­genschlug.

»Mir hat Wessley nicht gesagt, wohin er nach dem Training woll­te«, sagte Steve. »Dir, Hump?«

Hump Lerremy schüttelte den Kopf und blickte schräg an mir vor­bei auf das Spielfeld.

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»Euer Kollege ist verschwunden, macht ihr euch denn keine Sor­gen?«, fragte ich.

»Sorgen?«, fragte Furgison. »Vielleicht ist er mit seiner Mieze aufs Land gefahren. Ein ganz schön heißer Feger, was, Hump?« Hump nick­te nur und starrte weiter geradeaus.

»Diese Mieze hat mich engagiert. Niemand weiß, wo er ist. Die Po­lizei sucht bereits nach ihm.« Die beiden blickten mich an, ohne ein Wort darauf zu erwidern. Ich entschloss mich, aufs Ganze zugehen. »Euer Freund hat fünftausend Dollar bei sich zu Hause herumliegen.«

»Woher wollen Sie das wissen?«, fragten beide wie aus einem Mund. Ich hatte sogar Hump Lerremys Aufmerksamkeit geweckt.

»Gerücht«, antwortete ich knapp. Wieder schwiegen die beiden. Aber dieses Schweigen knisterte wie die Luft vor einem Gewitter.

»Also? Irgendeine Vermutung?« »Was meinen Sie damit, Sir?«, fragte Steve Furgison. Scheinbar

würde ich aus Hump Lerremy kein Wort herausbekommen. »Na, woher er das Geld haben könnte?« Beide schüttelten den

Kopf wie zwei Spielzeugfiguren mit beweglichen Köpfen. »Lerremy! Furgison! Marsch aufs Feld!«, brüllte hinter mir Goren­

son. Die beiden Spieler standen auf, nickten mir kurz zu und schon war die Fragestunde beendet. Ich ging zum Parkplatz, stieg in den Plymouth und machte mich auf den Weg in die City.

*

Ich fuhr durch den dichten Verkehr auf der North Michigan Avenue Richtung Süden. Den Plymouth ließ ich auf dem Parkplatz an der East Erie Street stehen und ging zu Fuß zurück auf die Hauptstraße. Eine Viertelstunde zu spät betrat ich das Bartlett's. Jeanne saß in der hin­tersten Nische am Fenster und blickte hinaus. Sie wirkte blass und mitgenommen. Hoffnungsvoll sah sie auf, als der Kellner mich an ihren Tisch führte. Doch als sie mein Gesicht sah, füllten sich ihre Augen sogleich mit Tränen.

»Sie haben Teddey nicht gefunden.« Die Hoffnungslosigkeit raub­te dieser Aussage jede Betonung.

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»Ich würde Ihnen gerne etwas anderes sagen«, versuchte ich sie zu trösten. Sie wischte die Tränen fort. »Ist schon in Ordnung. Ich bin mir sicher, Sie haben Ihr Möglichstes getan. Erzählen Sie mir, was Sie herausgefunden haben.«

»Nun, eigentlich nur, dass Ihr Verlobter ein Baseball-Ass ist und alles andere, gelinde gesagt, hat schleifen lassen. Ich habe mit einem seiner Mitbewohner in der Pension sprechen können. Dort unterhielt er scheinbar keine engeren Freundschaften.«

»Ich habe mit der Wirtin gesprochen«, hakte Jeanne ein. »Davon können Sie mir gleich erzählen«, sagte ich. In diesem

Moment erschien der Kellner und bediente uns mit Kaffee. Wir gaben unsere Bestellungen auf. Ich entschied mich für einen Burger ohne Extras und Jeanne für Chipped Beef auf Toast.

»Waren Sie auch am College?«, fragte Jeanne. »Ja, sein Baseball-Coach verflucht jeden Tag, an dem er nicht

trainiert.« Ich schwieg einen Moment. Schließlich fuhr ich fort: »Jeanne, ich habe in der Küche Ihres Verlobten fünftausend Dollar gefunden.«

Jeanne starrte mich einen Augenblick ausdruckslos an. Dann frag­te sie: »Bitte?«

»Das Geld befand sich in einer Zuckerdose.« »Ich dachte, die Wirtin hat Sie nicht hereingelassen?« »Die Wirtin ist jetzt nicht so wichtig. Wissen Sie etwas über das

Geld?« Sie starrte mich noch immer perplex an. »Jeanne«, sagte ich ein­

dringlich. »Das ist eine große Summe. Wie ist Teddey dazu gekom­men?«

»Ich sage Ihnen, ich weiß es nicht.« Sie wirkte jetzt verstört und ich glaubte ihr. Vor dem Mädchen tat sich gerade ein Abgrund auf.

»Hat er sich in der letzten Zeit verändert?«, versuchte ich das Ge­spräch wieder in Gang zu bringen. Inzwischen war unser Essen ge­kommen, doch keiner von uns würdigte es eines Blickes. Schließlich sagte Jeanne: »Er ist ganz euphorisch über unsere Hochzeit gewe­sen.«

Mir dämmerte etwas. »Wann genau hat er Sie gefragt?«

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»Vor zwei Wochen.« Sie war wieder den Tränen nahe. »Ich kann einfach nicht verstehen, wo er abgeblieben ist. Wir waren so glücklich. Er sagte, er würde für mich sorgen und wir würden uns ein Haus au­ßerhalb von Chicago kaufen.«

»Aber haben Sie sich denn nicht gefragt, wo das Geld herkommen sollte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Ich habe das gar nicht so ernst genommen.« Ich blickte sie verständnislos an und sie fuhr fort: »Sie kennen Teddey nicht. Er ist ein so enthusiastischer Typ. Ich dach­te, das seien Zukunftsfantasien. Sicher, er hatte um meine Hand an­gehalten. Und ich habe seinen Antrag angenommen. Aber ich dachte, es würde eben noch etwas dauern, bis wir tatsächlich heiraten wür­den. Ich habe ihn auch gefragt, wovon wir leben sollten. Doch er wischte meine Bedenken immer beiseite.«

Ich blickte auf meinen erkalteten Burger. Dann sagte ich: »Ted­deys Pläne waren realistischer, als Sie angenommen haben.«

»Es scheint so. Was haben Sie mit dem Geld gemacht?« Ich berichtete Jeanne von den näheren Umständen meines Besu­

ches in Wessleys Zimmer. »Das ist merkwürdig«, sagte sie, als ich geendet hatte. »Dann ist

das Geld jetzt also weg. Gestohlen.« Ich nickte und sagte langsam: »Wenn es überhaupt Teddey ge­

hörte.« »Was meinen Sie damit?«, wollte Jeanne wissen. »Wollen Sie da­

mit vielleicht andeuten, Teddey habe es gestohlen?« »Jeanne«, antwortete ich beschwichtigend. »Ich weiß es nicht.

Zur Stunde kann man nur Vermutungen anstellen.« Sie nickte unter Tränen.

»Was hat er Ihnen über seine Baseball-Karriere erzählt? Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Liga sich für ihn interessierte. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Geld damit etwas zu tun hat.«

»Teddey spricht ständig vom Baseball. Um ehrlich zu sein, ich ha­be das Spiel nie wirklich verstanden, darum höre ich oft nicht hin. Doch Baseball bedeutet ihm alles. Wenn er nur wiederkäme!«

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Langsam kam ich zu dem Schluss, dass Teddey Wessley seiner Verlobten die wichtigen Details vorenthalten hatte. Ich ließ mir von ihr die Einzelheiten berichten, die sie von der Wirtin erfahren hatte. Doch es kam nicht viel mehr dabei heraus als dass, was ich bereits durch Fielder erfahren hatte. Wessley war am Donnerstag gegen fünf Uhr vom Training nach Hause gekommen, hatte sich augenscheinlich um­gezogen und eine Stunde später das Haus wieder verlassen. Er hatte niemandem gesagt, wohin er fuhr und niemand hatte ihn seither ge­sehen.

*

Stöhnend richtete ich mich in meinem Bett auf. Es war acht Uhr mor­gens und ich fühlte mich, als hätte mich jemand bewusstlos geschla­gen und bearbeitete in diesem Augenblick meinen Schädel mit einem Vorschlaghammer. Die Wahrheit war jedoch Dunkys Bourbon, den ich nach meinem Treffen mit Jeanne in zu großen Mengen in mich hinein­gekippt hatte. Und ein unangemeldeter Besucher vor meiner Haustür, der in diesem Augenblick den Klopfer betätigte, als gelte es das Leben. Ich schlich zur Tür und öffnete. Davor stand Brendon. Ich war körper­lich nicht dazu in der Lage, weiteren Groll zu hegen, ließ ihn wortlos herein und ging auf die Toilette. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß er in einem meiner Sessel und blickte mich an.

»Pat, ich...«, begann er. »Schon gut«, sagte ich. »Wir machen alle mal einen Fehler.« »Pat...«, wiederholte Brendon. »Ist schon in Ordnung, Brendon. Um dich zu entschuldigen, hät­

test du nicht extra herkommen müssen.« »Pat!«, sagte Brendon jetzt bestimmter. Ich blickte ihn verständ­

nislos an und er sagte: »Man hat Teddey Wessley gefunden.« Das haute mich um. Seine Formulierung konnte nichts Gutes be­

deuten. Ich ließ mich in den anderen Sessel fallen und suchte unter den Zeitungen auf dem Beistelltisch nach einer Packung Luckys. Wäh­rend ich mir eine anzündete, sagte Brendon: »Die Meldung kam heute

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Nacht rein. Ein unbekannter junger Mann trieb im Chicago River. Vor zwei Stunden haben sie die Leiche offiziell identifiziert.«

»Jeanne«, murmelte ich und Brendon blickte mich fragend an. »Wer hat ihn identifiziert?«, wollte ich wissen.

»Keine Ahnung. Wegen deiner Frage von gestern, Pat. Es waren die Chicago Cubs, die sich für Teddey Wessley interessierten.«

»Woher weißt du das?« »Gerücht«, erklärte Brendon, ohne mich anzublicken. Schließlich

sagte er: »Ich fahre heute Nachmittag raus zum Wrigley Field. Ich soll eine kleine Story über den Trainingsstand der Cubs zum Saisonauftakt machen. Willst du mitkommen? Vielleicht gibt dir das eine Chance zu ermitteln.«

»Brendon, du überraschst mich. Gestern warst du noch um deinen Job besorgt. Und heute willst du mir behilflich sein. Ich weiß doch gar nicht, ob ich überhaupt weiter an dem Fall arbeiten werde. Immer­hin... immerhin ist Teddey Wessley jetzt ja aufgetaucht.«

»Wenn seine Verlobte dich nicht weiter schnüffeln lässt, dann werde ich es tun. Heimlich versteht sich.«

»Wie bitte?«, fragte ich ungläubig. »Der Junge hatte ein Loch im Brustkorb, Pat. Er ist erschossen

worden, bevor man ihn in den Fluss geworfen hat. Wenn sein Tod wirklich etwas mit dem Baseball in dieser Stadt zu tun hat, dann will ich wissen, vor wem man sich in Acht nehmen muss.«

*

Betty war erstaunlicherweise bereits im Büro, als ich hereinkam. »Hat jemand angerufen?«, fragte ich. Betty schüttelte ihren blonden Haarschopf. Ich setzte mich an

meinen Schreibtisch und schlug die Tribune auf, die ich mitgebracht hatte. Den Bericht über den Fund der Leiche eines bisher unbekannten jungen Mannes fand ich auf Seite drei. Der Artikel gab eine Personen­beschreibung und teilte mit, dass das Opfer mit einem 38er erschos­sen worden war. Die Leiche habe mehrere Tage im Chicago River ge­trieben und sei zur Stunde noch nicht identifiziert. Als die Tribune die

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Information erhielt, dass es sich bei dem Toten um Teddey Wessley handele, war die Ausgabe bereits im Druck gewesen. Morgen würde man die Einzelheiten bringen.

»Was lesen Sie da, Chef?«, fragte Betty neugierig. »Der Verlobte der jungen Frau, die neulich hier war, ist aufge­

taucht.« »Und?«, fragte Betty. »Erschossen«, sagte ich. »Ach, das ist ja schrecklich«, rief Betty. »Die arme Frau. Heutzu­

tage hat man mit den Männern einfach kein Glück. Wenn man schon mal einen gefunden hat, der einen heiraten will, macht es ›peng‹ und er lebt nicht mehr.«

Ich fand Bettys Bemerkung unter den gegebenen Umständen we­der besonders pietätvoll noch logisch, doch ich hielt es für überflüssig, mit ihr darüber zu diskutieren. Stattdessen bat ich sie, mir einen Kaf­fee zu machen. Das Nachmittagstraining der Chicago Cubs begann um drei Uhr. Also hatte ich noch genügend Zeit für ein paar Telefonate. Zuerst versuchte ich Jeanne zu erreichen. Die Sekretärin von Rendall & Rendall erklärte mir, Miss Thayer habe sich den Rest der Woche krank gemeldet. Ich rief in ihrer Wohnung an und nach dem sechsten Klin­geln nahm sie endlich ab.

»Jeanne, hier ist Pat Connor. Es tut mir Leid.« »Ach, Mister Connor. Haben Sie es schon gehört?« »Ja«, sagte ich. »Es war so furchtbar. Ich musste ihn identifizieren.« »Das habe ich mir bereits gedacht. Ist jemand bei Ihnen, der sich

um Sie kümmern kann?« »Ja, meine Cousine wird für ein paar Tage bei mir bleiben.« »Das ist gut. Tja, dann ist der Fall offiziell abgeschlossen.« »Ja, die Polizei wird herausfinden, wer Teddey...«, hier brach sie

in lautes Schluchzen aus. »Jeanne, beruhigen Sie sich. Wir telefonieren ein anderes Mal.«

Wir verabschiedeten uns und legten auf. Auf dieses Gespräch brauchte ich einen Bourbon. Dann sagte ich zu Betty, die mich wieder neugierig beobachtete: »Verbinden Sie mich mit Captain Hollyfield, bitte.«

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Betty hob überrascht die Augenbrauen. »Ich dachte, Sie sagten gerade, der Fall sei abgeschlossen?«

Ich zündete mir eine Lucky an und erwiderte geduldig: »Betty, manchmal liegen die Dinge eben anders, als sie scheinen.«

Schmollend griff Betty nach dem Hörer und fünf Minuten später hatte ich Captain Hollyfield an der Strippe: »Connor, was wollen Sie schon wieder?«, blaffte der Captain.

»Morgen Captain, ich wollte Ihnen einen kleinen Informationsaus­tausch über Teddey Wessley anbieten.«

»Wessley? Ist das der Junge, den wir heute Morgen aus dem Fluss gefischt haben?« Mich erstaunte diese Frage und so antwortete ich: »Ja. Ich habe mich in den letzten Tagen um sein Verschwinden gekümmert. Seine Verlobte hatte mich beauftragt.«

»So«, erwiderte Hollyfield, als sei er gerade mit etwas anderem beschäftigt. »Und weiter?«

»Ich dachte, ich teile Ihnen mit, was ich bisher herausgefunden habe.«

»Was sollten Sie schon herausgefunden haben? Ehrlich gesagt, Connor, ich bin an den paar Informationen, die Sie mir vielleicht geben können, nicht gerade interessiert.«

Ich beugte mich überrascht in meinem Stuhl vor. »Meine Leute haben momentan Wichtigeres zu tun. Der Tod des

Generaldirektors von Wizz & Richmond, eine Frau mit eingeschlage­nem Schädel auf der South-Side, da kann ich mich nicht um einen da­hergelaufenen Studenten kümmern, der vor das Mündungsfeuer eines eifersüchtigen Gigolos gelaufen ist.« Ich war so perplex, dass es mir die Sprache verschlug. Endlich brachte ich heraus: »Aber, woher wol­len Sie das wissen? Meiner Ansicht nach ist er wegen etwas ganz an­derem...«

»Connor«, unterbrach mich Hollyfield. »Ich wiederhole mich nur ungern.«

»Okay«, sagte ich widerstrebend. »Okay, nur noch eine Frage: Hat man Wessleys Wagen gefunden?«

»Nein.« Und schon hatte er aufgelegt. Ich ließ mich schwer in meinen Stuhl zurücksinken und starrte an die Decke. Ich verstand die

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Welt nicht mehr. Dass der Chef der Mordkommission nichts in dieser Angelegenheit unternehmen wollte, war eindeutig. Über den Grund konnte ich nur Vermutungen anstellen. Wer wusste schon, von wem die Cops in dieser korrupten Stadt zurückgepfiffen wurden? Interes­sant war in diesem Fall jedoch, dass es so war.

*

Brendon und ich waren um zwei Uhr im Lincolnpark verabredet. Das große, schön angelegte Areal lag unweit des Wrigley Field und meiner Wohnung. Beim Spaziergang durch den Park konnte man den Lake Michigan durch die Bäume schimmern sehen. Unter der Woche war der Park nur spärlich besucht. Brendons und mein Treffpunkt war eine Steinpagode ungefähr anderthalb Meilen vom Südparkplatz entfernt, die auf einem kleinen Hügel eine weite Rasenfläche überblickte. Bren­don wollte sich von mir über das aufklären lassen, was ich bisher in dem Fall Teddey Wessley herausgefunden hatte. Wir marschierten von der Pagode aus in Richtung Wasser und ich erzählte Brendon von dem Telefonat mit Hollyfield.

»Das ist ja unglaublich«, sagte Brendon, nachdem ich geendet hatte. »Hollyfield hat dir also durch die Blume gesagt, dass er in dem Fall nichts unternehmen wird?«

»Ja«, sagte ich. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Als wir den

See erreichten, der sich als bleigraue Fläche vor uns erstreckte, sagte ich: »Hör mal, Brendon. Jetzt kannst du ruhig mit der Sprache rausrü­cken. Warum hast du bei Henry's dicht gemacht, als ich dir von den fünf Riesen erzählte?«

»Weil mir zu dem Zeitpunkt bereits dämmerte, dass Wessleys Ver­schwinden etwas mit der Liga zu tun haben könnte. Entweder den Chicago White Sox oder den Chicago Cubs.«

»Wie kamst du darauf?« »Na, denk doch mal nach. Ein Baseball-Talent mit so viel Kohle in

der Zuckerdose. Das kann doch nur mit der Liga zu tun haben. Wahr­

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scheinlich wurde ihm das Geld gezahlt, damit er diese Saison bei dem einen oder dem anderen Verein spielt.«

»Dazu hätte er seine Pläne, Jura zu studieren, aufgeben müssen. Aber warum hattest du Angst um deinen Job?«

»Weil mir die Summe merkwürdig vorkam. Es kann schon mal sein, dass ein Verein ein wenig Geld springen lässt. Doch fünf Riesen sind ein wenig hoch gegriffen. Da muss mehr dahinter stecken. Und jetzt ist der Junge tot. Und ich möchte wissen, warum. Wer ermordet einen jungen Mann, der noch alles vor sich hatte?«

»Ja, wer?«, fügte ich nachdenklich hinzu. »Und zudem. Der Junge war noch gar nicht fit für den Profisport.« »Wie meinst du das?« »Na, er hätte gut und gerne noch zwei Jahre an der Universität

spielen können. Es hätte ihm nicht geschadet. Der Wind in der Profili­ga ist rau und es wird viel von den Spielern erwartet. Auch die eine oder andere Saison in der Minor League hätte ihm gut getan. Und dann ist da auch noch etwas anderes.«

»Was?« »Es gibt da ein Gesetz, das einen Spieler unkündbar an den Verein

bindet, bei dem er einmal einen Vertrag unterschrieben hat. Die so genannte Reserve Clause. Es ist für einen jungen Spieler riskant, sich so früh bei einem Verein zu verpflichten. Denn der Verein entscheidet über seine weitere Karriere. Oft unterschreiben die Spieler aus Uner­fahrenheit ein Dokument, das sie später nicht mehr revidieren kön­nen.«

»Du meinst also, Wessley war vom Können her noch nicht fit und möglicherweise auch verdammt naiv?«

»Ja«, sagte Brendon. »Komm, lass uns zum Stadion rüber fah­ren.«

*

Die Zuschauertribüne wurde gerade um ein weiteres Geschoss aufge­stockt. Arbeiter befanden sich auf einem Gerüst und lautes Hämmern drang zu uns herüber, als wir aus unseren Wagen stiegen. Brendon

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und ich gingen auf den blau-weißen Eingangsbereich zu. Ein Stadion-Mitarbeiter mittleren Alters mit Ärmelschonern ging über den Vorplatz hinter der Schranke.

»Sir?«, sprach Brendon ihn an. Der Mann trat zu uns. »Brendon Smith, Chicago Tribune.« Damit hielt Brendon dem Mann seinen Aus­weis vor die Nase. »Ich soll eine Story über den Trainingsbeginn schreiben.«

»Der Aufgang zu den Pressesitzen ist gleich links, Sir. Doch Sie können auch direkt runter zum Spielfeld.«

»Wie lange werden die Arbeiten dauern?«, fragte Brendon und wies hinauf zum Gerüst, auf dem die Arbeiter hin- und hergingen.

»Den ganzen Sommer über.« Brendon tippte sich an den Hut und wir marschierten die Beton­

stufen zum Feld hinunter. Ein kalter Wind pfiff über die Tribüne und ich musste meinen Hut festhalten. Brendon achtete gar nicht mehr auf mich, sondern setzte sich direkt an die letzte Balustrade, zog einen Block hervor und begann sich Notizen zu machen. Ich setzte mich ne­ben ihn. Auf dem Spielfeld befanden sich die üblichen zehn Spieler. Gerade holte der Pitcher aus und der Batman traf. Der Ball flog aus dem Stadion und der Batman setzte zu einem langsamen Lauf um die Baseline an.

»Nicht schlecht«, sagte Brendon anerkennend. »Homerun für Hank Malcolm. Der Mann ist wirklich ein Ass.«

»Freuen tut er sich nicht gerade«, stellte ich sachlich fest. Bren­don überhörte mich und kritzelte eifrig in sein Notizbuch.

»Da unten steht David Newman. Er ist der Trainer.« Damit wies er auf einen kleinen, schmalen Mann, der eine Teamkappe trug und lang­sam vor der Bank auf und ab ging. Von weitem hätte man ihn glatt für einen zu groß geratenen Jungen halten können. Die Spieler wechselten und nahmen ihre Positionen ein. Hank Malcolm war jetzt Pitcher. Ich sah, wie er sich konzentrierte und dann den Ball warf. Der Batman trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Malcolm nahm einen neuen Ball, konzentrierte sich erneut und warf. Wieder trat der Bat-man ein Stück zurück. Dann ließ er den Schläger fallen und rannte auf Malcolm zu. Binnen kürzester Zeit war auch der Rest der Mannschaft

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von ihren Sitzen hoch und eine handfeste Auseinandersetzung im Gange. Brendon sprang ebenfalls auf und kletterte in Windeseile über die Absperrung. Ich erreichte ihn keuchend, während er am Spielfeld­rand stand und beobachtete.

»Das war Absicht, oder?«, raunte ich ihm zu. »Malcolm hat ver­sucht, den Batman zu treffen, richtig?«

»Sieht ganz danach aus. Aber warum....« »Was machen Sie da?«, fragte eine aufgebrachte Stimme neben

uns. Der Trainer, David Newman, war an Brendon herangetreten und blickte wütend zu ihm auf.

»Brendon Smith, Sir. Ich bin von der Tribune.« »Das ist mir gleich. Verschwinden Sie!« »Mister Newman, wäre es nicht besser, die Spieler zur Ordnung zu

rufen?«, fragte Brendon und deutete auf die Schlägerei auf dem Spiel­feld, die noch immer in vollem Gange war.

»Ich habe gesagt, Sie sollen sich davonmachen! Und zwar schleu­nigst, sonst lasse ich Ihnen Stadionverbot erteilen.« Damit drehte er sich um und ging in Richtung Westabgang davon. Mittlerweile waren ein paar Stadionmitarbeiter dabei, den Streit zu schlichten. Und Bren­don bedeutete mir mitzukommen. Gemeinsam stiegen wir die Stufen hinauf und gingen zu unseren Wagen zurück.

»Seltsam«, sagte ich. »In der Tat«, rief Brendon aufgebracht. »Der Streit schien ihn gar

nicht wirklich zu interessieren. Wenn ein Spieler auf einen anderen zielt, ist das eine ernste Sache.«

»Vor allem, wenn beide in derselben Mannschaft sind. Vielleicht war es eine private Fehde.«

»Kann sein. Doch warum mischt dann gleich die gesamte übrige Mannschaft mit? Außerdem: Das Zielen auf den Batman ist ein absolu­tes NoNo. Da kann viel zu viel passieren. Wenn er beispielsweise die Kniescheibe trifft, ist der Mann ein Krüppel.« Ich nickte.

»Ich fahre zurück zur Tribune. Ich muss die Story dem Boss vor­legen. Was machst du?«

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»Ich gehe noch einmal rein«, sagte ich und deutete auf den Ball­park. Als Brendon fragend die Augenbrauen hob, fügte ich hinzu: »Ich will mit David Newman über Teddey Wessley sprechen.«

»Wir hätten nicht gemeinsam zum Spielfeld runtergehen sollen. Er denkt jetzt wahrscheinlich, du seiest von der Presse.«

»Ich glaube nicht, dass er auf mich geachtet hat. Neben dir falle ich doch gar nicht auf«, grinste ich. Brendon öffnete die Tür seines Fords und sagte: »Ruf mich nachher an.« Er fuhr davon und ich wand­te mich wieder in Richtung Stadion.

*

Ich erreichte den Eingang. Niemand war zu sehen und so trat ich durch die Absperrung, die glücklicherweise offen stand. Das Spielfeld lag verlassen da. Ich ging die Betonstufen hinunter, kletterte über die letzte Balustrade und ging auf den Abgang unter der Westtribüne zu. Die Arbeiter auf dem Gerüst schienen bereits Feierabend gemacht zu haben.

Nachdem ich die Tür zu den Stadionkatakomben geöffnet hatte, betrat ich einen erleuchteten Gang, von dem mehrere Türen abgingen. Hinter einer von ihnen hörte ich laute Männerstimmen. Dann flog sie auf und der Batman, der von Hank Malcolm beinahe getroffen worden war, stob wütend heraus. Der Spieler lief an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Die Tür hatte sich wieder hinter ihm ge­schlossen und ein Schwall feuchter Luft vermischt mit Seifengeruch waberte in den Gang. Ich ging um eine Ecke und ein paar Stufen hin­auf, bis zu einer Tür mit der Aufschrift ›Trainer‹. Alles war still. Ich vermutete, dass Hank Malcolm drinnen vor dem Schreibtisch saß und die Leviten gelesen bekam. Ich klopfte und eine Stimme rief: »Her­ein!«

David Newman saß in seinem Stuhl und hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Er hatte eine Zigarre zwischen den Zähnen und blätterte in einer Zeitung.

»Was gibt's? Was wollen Sie?«, fragte er, scheinbar ohne mich zu erkennen.

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»Mein Name ist Pat Connor, Sir. Ich bin Privatdetektiv.« »Sie sind was?«, fragte Newman und nahm die Füße vom Tisch.

Er starrte mich misstrauisch an. Er hatte sandfarbenes Haar und sein Gesicht wirkte so lieblich wie das eines Mädchens. Wieder fiel mir sei­ne schmächtige Statur auf. Doch seine Augen hatten einen wachen, verschlagenen Ausdruck. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare auf­stellten.

»Ich untersuche den Mordfall an einem Spieler, Teddey Wessley«, sagte ich und ließ der Aussage Zeit einzusinken. Der Trainer lehnte sich scheinbar entspannt in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Ar­me hinter dem Kopf und sagte: »Wessley. Wessley? Ist das ein Spieler der White Sox? Meiner Mannschaft ist niemand abhanden gekommen. Ermordet sagen Sie? Was habe ich damit zu tun?« Der misstrauische Zug war aus seinen Augen gewichen und er lächelte mich beinahe liebevoll an. Ich schaltete innerlich auf Eisblock und sagte: »Mister Newman, der junge Mann war ein Baseball-Talent aus der College-Liga. In seiner Wohnung befanden sich sage und schreibe fünftausend Dollar und nun liegt er mit einer Kugel in der Brust im Leichen­schauhaus. Mir ist aus gut informierten Kreisen bekannt, dass Ihr Club sich für ihn interessierte.«

»Wovon sprechen Sie, Mann?«, fragte Newman. »Ich habe für so etwas keine Zeit.« Die Tür öffnete sich hinter mir und der Stadionmit­arbeiter mit den Ärmelschonern erschien. »Lance, geleiten Sie den Herrn bitte aus dem Stadion. Er hat sich verirrt«, wies ihn Newman an.

Lance blickte mich an und sagte dann: »Sie sind doch der junge Mann von der Presse.«

»Presse?«, wiederholte Newman. »Ja, Sir. Der Herr ist mit dem Reporter der Tribune gekommen.« »Ich darf mich dann verabschieden?«, sagte ich leichthin und

machte mich auf den Weg zur Tür. »Moment mal«, rief Newman hinter mir her. Aus den Augenwin­

keln konnte ich sehen, dass er aufgestanden war. Ich machte, dass ich davonkam.

*

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Ich verließ Wrigleyville und fuhr in südlicher Richtung durch die abend­liche Stadt. Ich war hungrig und so hielt ich an einem Diner. Während die Bedienung mir Kaffee einschenkte, ging ich zum Münzfernsprecher in der Ecke und ließ mich mit der Tribune verbinden. Brendon war noch in der Redaktion und nahm nach einem Mal klingeln ab.

»Hallo, Pat. Hast du was herausgefunden?«, fragte er. »Ich habe mit David Newman gesprochen. Saß wie ein Großun­

ternehmer in seinem Büro.« »Hat er dich erkannt?« »Nicht von selbst. Der Stadionmitarbeiter, der uns rein gelassen

hat, hat ihm gesteckt, dass ich mit der Presse gekommen bin.« »Und weiter?« »Er hat sich dumm gestellt, so als sage ihm der Name Teddey

Wessley nichts. Dann habe ich ihm die Sache mit den fünftausend Dol­lar aufgetischt. Wollte sehen, wie er reagiert.«

»Und wie hat er reagiert?« »Er hat mich rausgeschmissen. Wird die Tribune die Story über

den Vorfall beim Training bringen?« »Das weiß ich noch nicht. Wir müssen später reden. Ich rufe dich

zu Hause an.« »Ist recht«, antwortete ich. »Was wirst du als Nächstes unternehmen, Pat?« »Kann ich jetzt noch nicht sagen. Bis dann.« Damit legte ich auf.

Das Diner war abendlich gefüllt. Ich bestellte mir einen Burger, trank Kaffee, rauchte und dachte nach. Mein Besuch im Stadion hatte nicht viel gebracht. Ich entschloss mich, den Tag bei Dunky ausklingen zu lassen. Morgen früh würde ich noch einmal bei der Pension in Cicero vorbeifahren. Vielleicht machte die Tatsache, dass Wessley nicht mehr lebte, die übrigen Hausbewohner etwas gesprächiger. Ich blickte auf die Uhr. Es war sieben Uhr. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ent­schied ich mich, Jeanne einen Besuch abzustatten.

Ich fuhr in nordwestlicher Richtung. Jeanne wohnte in der Rich­mond Street. Das Haus Nummer 4003 erwies sich als ein kleines A­partmenthaus. Auf mein Klingeln öffnete mir ein altbackenes Mädchen,

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augenscheinlich Jeannes Cousine. Das Apartment bestand aus zwei winzigen Zimmern. Ich wurde gebeten Platz zu nehmen und zu war­ten. Kurze Zeit später erschien Jeanne.

»Mister Connor«, sagte sie und streckte mir die Hand entgegen. Sie wirkte bleich und er schöpft. Ich stand auf und sagte: »Verzeihen Sie, dass ich einfach so vorbeikomme, aber ich wollte sehen, wie es Ihnen geht.«

»Es geht so. Der Doktor hat mir ein Beruhigungsmittel dagelassen. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

Ich schüttelte den Kopf: »Nein, danke.« »Übermorgen ist Teddeys Beerdigung.« »Welche Uhrzeit?«, fragte ich. Die Beerdigung würde einen will­

kommenen Anlass bieten, sich einen Überblick über die Menschen zu verschaffen, die mit Wessley zu tun gehabt hatten.

»Um zwei Uhr auf dem Graceland Cemetery.« »Sagten Sie nicht, seine Familie stamme aus Milwaukee? Warum

holen die Eltern den Jungen nicht nach Hause?« »Die Familie stammt ursprünglich aus Chicago. Die Eltern werden

in ein paar Jahren hierher zurückkehren.« »Aha«, sagte ich. »Hatte er in der Stadt noch weitere Verwand­

te?« Jeanne schüttelte den Kopf. »Wie haben es die Eltern aufgenommen?«, fragte ich. »Sie waren natürlich schockiert. Wie ich auch. Es ist so schreck­

lich.« »Wussten seine Eltern von den fünftausend Dollar?« »Das glaube ich nicht. Zumindest haben sie mir nichts davon ge­

sagt. Der Kontakt ist nicht gerade eng. Teddey und ich haben uns hier in Chicago verlobt. Eine Reise zu seinen Eltern war für den nächsten Monat geplant.«

Ich blieb noch eine Weile und leistete Jeanne Gesellschaft, dann fuhr ich zu Dunky.

*

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»Hallo Pat«, begrüßte mich Dunky. Ich lächelte und Dunky setzte mir den üblichen Bourbon vor die Nase. Ich legte einen Hamilton neben meine Serviette und Dunky blickte zweifelnd darauf, als wollte er sa­gen: »Besonders wichtig scheint dir ja nicht zu sein, was du wissen willst.« Der Hamilton verschwand trotzdem und Dunky begann vor meiner Nase, Gläser zu polieren. Ein Zeichen für mich, meine Frage zu stellen.

»Baseball«, sagte ich nur. »Baseball? Seit wann interessierst du dich dafür?« »Seitdem der Verlobte einer Klientin sie vorzeitig zur Witwe ge­

macht hat.« »Worum ging es? Um Wetten?« »Nein, der Junge war ein Spieler. In der College-Liga.« »Sorry«, sagte Dunky bedauernd. »Über die College-Liga weiß ich

nichts. Aber wenn du willst, höre ich mich um.« »Eigentlich geht es um die großen Vereine. Es scheint so, als soll­

te er verpflichtet werden.« Ich nahm einen Schluck Bourbon und sag­te: »Ich habe mitbekommen, dass die Stimmung bei den Cubs ganz schön mies ist.« Dunkys Augenbrauen schossen in die Höhe.

»Mies? Bei den Cubs?« »Ja, was erstaunt dich daran?« »Weil die Cubs keinen Grund haben, schlechter Stimmung zu sein.

Okay, okay, sie haben die World Series in den letzten Jahren nicht ge­wonnen, doch in der National League haben sie wirklich gut abge­schnitten. Drei Siege.«

Ich zuckte die Achseln. »Ich kann dir nur sagen, was ich heute gesehen habe. Die Spieler sind sich an die Gurgel gegangen.«

Dunky polierte weiter und ich fragte: »Und die White Sox?« Er zuckte die Achseln. »Unverändert. Seit 1919 nichts Berühmtes

mehr. Seit dem Wettskandal ist die Mannschaft auf dem absteigenden Ast.« Ich erinnerte mich dunkel. Der Skandal hatte die gesamte Nation erschüttert. Einige Mannschaftsmitglieder hatten sich von den Buch­machern bestechen lassen. Aufgrund des Komplotts hatten die White Sox in der American League verloren und die Spieler daran kräftig ver­

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dient. Der Betrug war jedoch aufgeflogen und die betreffenden Spieler vom Profisport ausgeschlossen worden.

»Wem gehören die Vereine?« »Die Sox gehören nach wie vor dem Sklaventreiber Charles Co­

miskey. Und die Cubs William Wrigley, dem Kaugummimagnaten. Doch warum fragst du das mich? Dafür hast du doch normalerweise einen Spezialisten an der Hand, oder?« Ich grinste und tippte mir an den Hut. »Ich quetsche ihn aus«, sagte ich und grinste. »Aber wenn du trotzdem was hörst, schreib es für mich auf.«

Ich zahlte und ging.

*

Wieder erwachte ich am nächsten Morgen mit schmerzendem Schädel. Ich fühlte mich, als sei eine Horde Büffel über mich hinweggetrampelt. Das lag aber ausnahmsweise nicht an Dunkys Fusel, sondern daran, dass ich auf meiner Couch im Wohnzimmer beim Lesen eingeschlafen war. Ich hatte bis spät in die Nacht auf Brendons Anruf gewartet. Stocksteif tastete ich mich ins Badezimmer, wusch und rasierte mich. Ich setzte mir einen Kaffee auf und holte die Tribune vom Zeitungs­stand um die Ecke. Ich fand eine kurze Meldung, die den Namen des gestern gefundenen Toten preisgab. Am Ende des Artikels befand sich ein Verweis auf die morgige Beerdigung. Dann blätterte ich weiter zu den Sportseiten. Doch Brendons Bericht über den Trainingsstart der Cubs war nicht abgedruckt worden. Dass er mich gestern Abend nicht mehr angerufen hatte, erstaunte mich. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es 7 Uhr 30 war. Ich ließ mich mit der Tribune verbinden. Die Sekretärin der Sportredaktion erklärte mir, Brendon habe sich für heute krank gemeldet. Ich versuchte ihn zu Hause zu erreichen, aber vergeblich. Nachdenklich ging ich hinüber zum Fenster und rauchte. Brendon war, seitdem ich ihn kannte, nicht einmal erkältet gewesen. Ich beschloss, es später noch einmal zu versuchen. Vielleicht war er gerade beim Arzt. Ich verließ die Wohnung und machte mich auf den Weg nach Cicero.

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Ich parkte den Plymouth direkt vor dem Oak Mansion und ging die sechs Stufen zur Eingangstür hinauf. Ich öffnete und rief: »Guten Morgen. Jemand da?«

Die Wirtin erschien, in einen hellblauen Morgenrock gekleidet, der das unechte Rot ihrer Haare selbst im Dämmerlicht der Halle unerträg­lich machte.

»Ja, bitte?«, fragte sie, ohne sich augenscheinlich an mich zu er­innern. Ich setzte auf Höflichkeit und nahm den Hut vom Kopf.

»Madam, mein Name ist Pat Connor, Privatdetektiv. Ich war vor ein paar Tagen bereits da. Wie Sie sicher wissen, ist Teddey Wessley ermordet worden.« Ich hatte meine Worte kaum zu Ende gesprochen, als sich ihr faltiges Gesicht rötete und ihre Augen sich mit Tränen füll­ten. Sie holte ein Taschentuch hervor und betupfte sich die beachtli­chen Tränensäcke. Ich hatte damit gerechnet, dass sie wieder versu­chen würde, mich hinauszuwerfen, doch Wessleys Ableben hatte sie augenscheinlich schwer getroffen.

»Der arme Junge«, schluchzte sie. »Er war immer so zuvorkom­mend.«

»Ja«, sagte ich und entschloss mich, sie ein wenig in die Mangel zu nehmen. Weniger aus Rachsucht, sondern eher, um die Gunst der Stunde zu nutzen.

»Haben sich seine Eltern bereits mit Ihnen in Verbindung gesetzt? Was wird mit seinen Sachen geschehen?«

»Seine Eltern treffen heute ein. Morgen ist die Beerdigung. Ich denke, sie werden seine Habseligkeiten mitnehmen. Viel ist es ja nicht. Das Zimmer ist bis Ende des Monats bezahlt.«

»Es wäre nett, wenn ich mit einem Ihrer anderen Mieter sprechen könnte. Sein Name ist Sid Fielder.« Die Wirtin nickte und wandte sich zur Treppe. Sie wirkte etwas wackelig auf den Beinen. Vor einer Tür mit der Nummer vier blieb sie stehen und klopfte. Diese befand sich direkt gegenüber von Teddey Wessleys Zimmer.

»Mister Fielder? Mister Fielder, Besuch für Sie.« Nichts rührte sich und sie betätigte den Türknauf. Die Tür war nicht verschlossen und ich folgte ihr in den Raum. Das Zimmer war ebenso beschaffen wie das von Wessley. Doch war es in einem weitaus ordentlicheren Zustand.

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Das Bett wirkte unberührt und war mit einer Tagesdecke bedeckt. An den Wänden befanden sich zwei Regale mit Büchern. Ich trat an den Schreibtisch, auf dem eine Lampe brannte. Nachdenklich blickte ich darauf. Dann trat ich ans Fenster. Unter mir konnte ich meinen Ply­mouth sehen, der wie eine treue Seele auf mich wartete.

»Wo kann er nur sein?«, fragte die Wirtin, die mittlerweile an die Tür zum Gemeinschaftsbadezimmer geklopft und keine Antwort erhal­ten hatte.

»Vielleicht ist er bereits auf dem Weg zum Campus«, sagte ich. »Nein, er hat donnerstags einen vorlesungsfreien Tag.« »Es sieht so aus, als habe er gar nicht hier geschlafen«, sagte ich

schließlich langsam. »Sie meinen? Oh mein Gott!« Sie griff sich reflexartig an den Hals. »Immer mit der Ruhe. Er wird schon wieder auftauchen. Sollte er

jedoch bis morgen früh nicht wieder da sein, verständigen Sie bitte die Polizei. Kann ich mit einem anderen Ihrer Mieter sprechen? Vielleicht hat der eine oder andere etwas gesehen?«

»Sie sind um diese Zeit alle im College.« Ich seufzte und erklärte: »Ich melde mich wieder.« Dann verließ

ich das Haus.

*

»Hat Brendon angerufen?«, fragte ich Betty, als ich wenig später mein Büro betrat.

»Guten Morgen«, antwortete meine Angestellte. »Ja. Erscheint er­kältet zu sein.«

»So?«, fragte ich, während ich mich setzte und mir einen Bourbon einschenkte.

»Ja, ich konnte seine Stimme kaum erkennen. Sie sollen sich mit ihm treffen.« Sie blickte auf die Uhr und sie fuhr fort: »In einer halben Stunde. Selbe Stelle wie gestern.«

»Im Lincoln Park?« »Ja, auf dem nördlichen Parkplatz.«

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Langsam stellte ich das Glas ab und sah zu Betty hinüber. Sie kümmerte sich um die Büropflanze. Ohne ein weiteres Wort holte ich meinen 38er aus der Schublade, zog das Jackett aus und streifte das Halfter über die Schultern. Betty drehte sich um und starrte mich ent­geistert an.

»Stimmt etwas nicht, Pat?«, fragte sie, ohne mich aus den Augen zu lassen.

»Nein, Betty, wie kommen Sie denn darauf? Cheers«, damit pros­tete ich ihr zu und verließ das Office Richtung Lincoln Park.

Während der Fahrt versuchte ich, die Fakten in die richtige Rei­henfolge zu bringen. Wenn mich nicht alles täuschte, dann befand ich mich auf dem Weg in die Höhle des Löwen. Erstens war ein erkälteter Brendon so wahrscheinlich wie ein Hai im Lake Michigan. Und zweitens hatten Brendon und ich uns noch nie auf dem nördlichen Parkplatz des Lincoln Park getroffen. Der südliche Parkplatz war für uns beide besser erreichbar. Zudem war unser eigentlicher Treffpunkt Henry's Steak Di­ner. Ich witterte Unheil. Brendons Artikel war nicht erschienen. Wem war er auf die Füße getreten? Ich kämpfte gegen ein flaues Gefühl im Magen an. Und es wurde noch verstärkt durch das mögliche Ver­schwinden von Sid Fielder. Vielleicht hatte er von seinem Schreibtisch aus doch mehr beobachtet, als für ihn gut gewesen war? Und wer wusste, in welch unangenehmer Lage ich mich selbst bald befinden würde? In düsterer Stimmung sah ich den Park vor mir auftauchen.

*

Ich fuhr in nördlicher Richtung an der Grünanlage entlang und bog schließlich auf den Parkplatz ein. Ich stieg aus und zündete mir eine Lucky an. Am Rand des Parkplatzes befanden sich Steinbänke. Die Büsche ringsum zeigten das erste Grün. Ich setzte mich, blinzelte in die Sonne und wünschte sehnlichst, der Anlass meines Hier seins wäre ein morgendliches Teestündchen mit einer hübschen, jungen Dame. Nach und nach bogen mehrere Cadillacs auf den Parkplatz ein. Beim fünften wurde mir noch unwohler als auf der Fahrt hierher.

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»Connor, so schnell sehen wir uns wieder.« Mit diesen Worten stieg Livingston aus einem der Cadillacs und kam auf mich zu wie auf einen alten Bekannten.

»Was ist los, Livingston?«, fragte ich und stand von der Bank auf. »Was soll das Aufgebot?«

Innerlich fühlte ich mich fast ein wenig geschmeichelt von der Größe der irischen Eskorte, die mir offensichtlich zuteil werden sollte.

»Ach, halt die Klappe, Connor«, versetzte Livingston. Sein verun­stalteter Zinken wirkte an diesem Morgen noch verbogener als beim letzten Mal und ich musste an mich halten, nicht konstant darauf zu starren. Heute würde ich den Kürzeren ziehen. Das spürte ich. Weitere von O'Malley's Handlangern stiegen aus den Wagen. Einige traten nä­her, andere blieben stehen. Unter ihnen erkannte ich Miese Visage. Inmitten dieser grotesken Situation fiel mir auf, dass die Vögel zwit­scherten. Vielleicht das letzte Naturschauspiel, das ich zu Ohren be­kommen würde. Ich wandte mich wieder an Livingston.

»Und?«, fragte ich. »Der Boss will mit dir sprechen.« »Wer soll das sein?«, stellte ich mich dumm und gleichzeitig be­

kam ich eine Gänsehaut. »Schon mal was von Mister Melcalve gehört?«, gab Livingston mit

einem üblen Grinsen zurück. »Kirk Melcalve wünscht eine Unterredung mit mir? Ich fühle mich

geschmeichelt.« Dabei hätte ich sofort mehr als hundert Leute nennen können, mit denen ich mich lieber unterhalten würde. Einschließlich ei­niger Toter auf den verschiedenen Friedhöfen.

»Keine langen Debatten. Warum musst du einem immer so auf die Nerven fallen?« Dasselbe hätte ich umgekehrt ebenfalls fragen kön­nen. Livingston gab den anderen ein Zeichen und zwei Männer traten auf mich zu. Ich hielt es für unsinnig, Widerstand zu leisten. Sie unter­suchten mich von oben bis unten und in Sekundenschnelle war ich meinen 38er los. Ich wurde in den Cadillac von Livingston und Mieser Visage verfrachtet und auf der Rückbank zwischen zwei anderen Handlangern O'Malleys eingeklemmt. Wir fuhren ab.

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*

Wir fuhren in südlicher Richtung auf dem Lake Shore Drive am Lake Michigan entlang und erreichten die North Michigan Avenue. Doch bevor wir uns durch den dichten Verkehr der Innenstadt quälen muss­ten, bogen wir in westlicher Richtung auf die East Walton Street ab. Wir hielten vor dem Davis Hotel. Angeblich unterhielt O'Malley in einer der oberen Etagen ein Speakeasy mit strenger Gesichtskontrolle. Ob daran etwas Wahres war, hatte ich bisher nicht herausfinden können.

Die beiden Typen neben mir stiegen aus und zogen mich aus dem Auto, wobei ich mir derart das Schienbein ramponierte, dass ich hätte vor Schmerz aufheulen können. Ich besann mich jedoch eines Besse­ren. In Sekundenschnelle war auch Livingston neben mir. Der livrierte Portier hielt uns die gold gerahmte Glastür auf und wir traten durch den großzügigen Windfang in die Lobby des Hotels. Der Anblick ver­schlug mir den Atem. Zu unserer Linken erstreckte sich ein elegant gestalteter Empfang aus glänzendem Mahagoni, hinter dem drei uni­formierte Angestellte höflich auf uns herablächelten. Doch ich hatte keine Zeit, ihr Lächeln zu erwidern, denn wir marschierten durch eine weitläufige Halle. Meine Füße schwebten über den imposantesten Per­serteppich, der je den Orient Richtung Amerika verlassen hatte. Gut gekleidete Gäste gingen umher oder unterhielten sich in den creme­farbenen Sesseln sitzend. Als wir die Fahrstühle erreichten, öffnete sich der eine von ihnen und ein Liftboy verabschiedete mit einer höfli­chen Verbeugung eine elegant gekleidete Schönheit in einem malven­farbenen Seidenkleid. Sie war groß und schlank, trug ein dunkles Hüt­tchen und einen Mantel über dem Arm. Ein Page mit ergebenem Ge­sichtsausdruck und einem Koffer in der Hand eilte hinter ihr her. Sie gab dem Liftboy ein Trinkgeld und lächelte mir im Vorbeigehen zu. Dann verschwand sie.

»Mach den Mund zu«, knirschte Livingston. Der Liftboy schien meine Begleiter zu kennen, denn er fragte

nicht, in welchen Stock sie wollten. Wir fuhren bis zum dritten, doch der junge Mann erhielt von uns kein Trinkgeld. Wahrscheinlich galten für O'Malleys Handlanger besondere Regeln. Wir passierten einen Flur,

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der mit einem bordeauxroten Teppich ausgelegt war. In einigen Ab­ständen standen goldfarbene Tischchen mit Blumenarrangements. Wir erreichten eine Suite, die keine Nummer hatte. Livingston klopfte und die Tür wurde zuerst einen Spaltbreit, dann zur Gänze geöffnet. Wir traten ein.

Die Suite war luxuriös ausgestattet. Die vorherrschende Farbe war grün. Der Stuck war goldfarben abgesetzt. Und auch hier, wie in der Lobby, waren die Sitzgelegenheiten mit cremefarbenem Leder bezo­gen. Auf einer Anrichte stand ein Radio, aus dem Musik klang. Die Gardine einer geöffneten Balkontür blähte sich im Wind. Aus einem hinteren Raum ertönte in diesem Augenblick schallendes Gelächter. Wir traten ein. Kirk Melcalve saß in einem Sessel und war in das Ge­spräch mit einem hutzeligen Männchen vertieft. Er war Mitte, vierzig und von kräftiger Statur. Wieder lachte er laut und schallend. Er schlug sich auf die Knie und beruhigte sich erst, als wir direkt vor ihm stan­den.

»Livingston, was ist?«, fragte Melcalve. Livingston erwiderte besänftigend: »Mister Melcalve, das ist der

kleine Schnüffler, den Sie sehen wollten.« Der Ire richtete seinen Blick auf mich, als habe er eine Fliege unter Glas vor sich, die ihn schon des Öfteren genervt hatte. Jetzt, da er sie vor sich sah, musste er ent­scheiden, was er mit ihr anfangen sollte. Ich hatte den Eindruck, als habe er sich darüber noch keine Gedanken gemacht. Unbehaglich wurde ich mir der Willkür bewusst, der mein Leben ausgesetzt war. Livingston schubste mich unsanft in Melcalves Richtung.

»Lass ihn!« Und zu mir gewandt fragte er: »Mister...?« »Pat Connor«, sagte ich. »Pat, setzen Sie sich.« Damit bot er mir den Platz des kleinen

Männchens an, das sich eilig hinter eine kleine Bar entfernte, die ich erst jetzt bemerkte. Nicht schlecht, dachte ich.

»Wo hat Ihre Mutter Sie zur Welt gebracht?«, fragte er mich. »In Chicago, Sir«, antwortete ich. »Und woher aus Irland stammt Ihre Familie?« »Aus Dublin, Sir.« »Mögen Sie Whiskey?«

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Ich musste ein Gesicht gemacht haben, als frage er einen Geistli­chen, ob er gerne bete. Kirk Melcalve grinste und rief dem Mann hinter dem Tresen zu: »O'Brian, das Übliche.«

»Wir könnten uns irische Witze erzählen«, sagte er zu mir, wie zu einem neuen Spielkameraden, der gekommen war, um den Nachmit­tag mit ihm zu verbringen.

»Wir könnten uns auch darüber unterhalten, warum ich hier bin«, antwortete ich liebenswürdig. Livingston, der hinter mir stand, versetz­te mir erneut einen Stoß. Melcalve warf ihm einen Blick zu und Livings­ton trat zurück.

»Verzieht euch!«, sagte er ungeduldig und die Handlanger ver­schwanden in einem angrenzenden Raum, dessen Tür jedoch nur an­gelehnt wurde. Dann sagte Melcalve zu mir und in seiner Stimme schwang eine Spur Anerkennung mit: »Es ist doch immer wieder er­freulich, wenn ein Ire selbst in der zweiten Generation fern der Heimat seinen Stolz noch nicht eingebüßt hat.«

Unser Whiskey kam. Ich nahm einen Schluck und glaubte, vor Ge­nuss vergehen zu müssen. Das war wirklich der feinste Dew, der seit langer Zeit, wenn nicht jemals, meine Kehle passiert hatte.

»Gut, Connor«, sagte Melcalve, als nähme er mich erst jetzt rich­tig wahr. »Sprechen wir über das Geschäft.«

*

Ich nahm einen weiteren Schluck Whiskey und blickte in Melcalves blassblaue, irische Augen. Er drehte sein Glas und sagte: »Du warst bei den Cubs auf dem Wrigley Field. Was hattest du dort zu suchen?«

»Ich habe mich nach einem verschwundenen Baseball-Spieler um­gesehen. Sein Name ist Teddey Wessley.«

»Nie von ihm gehört. Und er spielt bei den Cubs?« »Nein, er spielte in der College-Liga. Er ist erschossen worden.«

Nachdenklich blickte Melcalve mich an. Ich entschloss mich zum Fron­talangriff: »Wo ist Brendon Smith?«

Das Gesicht meines Gegenübers verwandelte sich in ein Fragezei­chen. Dann erhellte es sich mit einem Mal. »Du meinst den Schmier­

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finken, der die Story über den Trainingsstart der Cubs schreiben woll­te?«

Ich nickte und er sagte: »Hör mal, Schnüffler, das ist genau der Grund, aus dem du hier bist. Dein Freund wird aufhören, Artikel zu schreiben, die dem Ansehen des Clubs schaden und du wirst dir selbst und vor allem ihm einen kleinen Gefallen erweisen.«

»Und der wäre?« »Die Cubs haben die letzten Saisons gut gespielt. Wir sind darüber

nicht ganz unglücklich und noch glücklicher wären wir, wenn es die nächsten Jahre so weiterginge.«

»Ich verstehe«, sagte ich. Für mich klärte sich gerade die Frage, wer hinter dem Club steckte.

»Irgendetwas geht da vor sich«, fuhr Melcalve fort. »Irgendetwas, von dem ich nichts weiß.«

»Sie meinen den Grund dafür, dass die Mannschaft in solch schlechter Stimmung ist?«

Er nickte. »Und ich will wissen warum. Und wenn, dann will ich es nicht aus der Zeitung erfahren.«

»Wo ist Brendon?«, fragte ich wieder. »Alles zu seiner Zeit. Wir Iren müssen lernen, unser Temperament

im Zaum zu halten. Wie mir scheint, bist du noch in den ersten Lektio­nen. Ich frage mich, wie du so lange überleben konntest.« Ich ließ die Bemerkung verstreichen. Melcalve nahm einen Schluck Whiskey und schnippte dann dem Barmann nach einer Nachfüllung. Auch mir wurde nachgeschenkt. Aus einem dicken, geschliffenen Flakon. Bezogen auf den Whiskey wusste ich nicht, ob ich eher auf den langsamen Genuss oder auf weiteren Nachschub setzen sollte. Melcalve beobachtete mich scharf und sah in diesem Moment aus wie ein feister Eber: »Du wirst herausfinden, was bei den Cubs los ist. Dann wird dein Freund wieder auftauchen.«

Ich kam in meinem Sessel ein Stück vor. »Sie meinen, Sie halten Brendon fest, bis ich...«

Er nickte, als wollte er sagen: Endlich begriffen. »Warum? Was soll das?«

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»Dein Freund hält es ein wenig zu sehr mit der Pressefreiheit. Er ist einfach nicht davon zu überzeugen, dass er eine Weile die Klappe halten sollte. Zu seinem eigenen Besten.«

»Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht ganz, warum Sie sich an mich wenden. Sie hätten doch genug Mittel und Wege herauszufinden, wa­rum es bei den Cubs nicht läuft.«

»Das soll nicht deine Sorge sein.« Ich überlegte. In meinem Kopf sausten die unsinnigsten Gedanken

durcheinander. Zum Beispiel, meinen Tagessatz zu nennen. Und so konnte ich nichts anderes, als hilflos auf die Tischplatte vor mir zu starren. Als ich aufsah, blickte Melcalve mich an, als erwarte er eine Entscheidung. Als ob ich eine Wahl gehabt hätte!

»Wer garantiert mir, dass Brendon nichts geschieht?« »Ich wusste, dass du kooperieren würdest«, sagte Melcalve süß­

lich und ich glaubte einen Moment, mich übergeben zu müssen. Doch er fuhr fort: »Seitdem deine Eltern tot sind, ist dir außer dem Mann nicht mehr viel geblieben. Finde also heraus, was los ist.« Er hob lang­sam sein Glas und prostete mir zu. »Oder die Fische im Lake Michigan sind um eine Mahlzeit reicher.«

Ich hatte den Iren wirklich unterschätzt. Der Smalltalk zu Beginn unseres Gesprächs war nichts als Show gewesen. Ich stand auf. Ein bleiernes Gefühl aus Hilflosigkeit, Ohnmacht und Wut lastete auf mir wie ein Felsblock.

»Wie viel Zeit habe ich?«, fragte ich. »Am Montagmorgen sammeln dich meine Männer ein und du er­

stattest mir Bericht.« Er rief nach Livingston und schon war ich wieder von den Hand­

langern umringt. Ich drehte mich nicht noch einmal um. Ich wurde den Gang hinunter und zum Fahrstuhl geführt. Wir durchquerten die Lobby. Nichts hatte sich hier verändert bis auf meine Gemütslage. Der livrierte Portier hielt uns die Tür auf und pfiff auf einer goldenen Pfeife. Wir stiegen in einen der beiden Cadillacs, die daraufhin heranrollten und fuhren zurück Richtung Lincoln Park. Vor dem Parkplatz wurde ich einfach hinausgeworfen. Irgendjemand versetzte mir zum Abschied

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einen Fußtritt, dann brausten die Autos davon. Ich humpelte zu mei­nem Plymouth. Was für ein reizender Tag!

*

Doch ich fuhr noch nicht gleich los. Ich setzte mich auf dieselbe Stein­bank wie vor zwei Stunden und rauchte eine Lucky. Man hätte meinen können, ich hätte mich nicht von der Stelle bewegt. Ich versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Brendon in den Händen des Iren-Syndikats. Und ich hatte ein Ultimatum von dreieinhalb Tagen, um herauszufinden, was bei den Cubs nicht in Ordnung war. Wahrlich kei­ne einfache Aufgabe, wenn ich bedachte, dass ich ohne meinen Base­ball-Experten agieren musste. Im Augenblick hatte ich keine Ahnung, wie ich vorgehen sollte. Die Angst um Brendon raubte mir mein an­sonsten klares Kalkül. Konnte ich Melcalve wirklich vertrauen? Ich be­zweifelte es. Doch mir blieb keine andere Wahl.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es Mittagszeit war. Um zwei Uhr sollte Wessleys Beerdigung stattfinden, die ich nicht versäumen wollte. Doch warum sich weiter um den Mord an Wessley kümmern? Brendons Leben stand auf dem Spiel. Ich fuhr zurück ins Büro.

»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte Betty bestürzt, als ich eintrat. Ich winkte ab und ließ mich schwer in meinen Schreibtisch­stuhl fallen. »Machen Sie mir einen Kaffee, Betty«, sagte ich und mei­ne Halbtagskraft befolgte meine Weisung ohne Murren. »Warum sind Sie überhaupt noch da?«, fragte ich.

Betty zuckte die Achseln. »Wenn Sie mit Ihrem 38er verschwin­den, dann schaue ich lieber nach, ob Sie wieder aufkreuzen.«

»Hm«, brummte ich. Ich tastete nach dem Schulterhalfter. Meine Waffe war auf der Strecke geblieben. Das passte mir gar nicht. Eigent­lich passte mir so einiges nicht. Meine Wut, die ich erst jetzt fühlte, brachte meine Lebensgeister wieder in Wallung. Was bildete sich die­ser irische Hurensohn eigentlich ein, mich zu erpressen?

Einer Eingebung folgend, wählte ich die Nummer der Tribune und fragte nach Brendon. Die Sekretärin der Sportredaktion erklärte mir, er habe Urlaub eingereicht. Clever, dachte ich. Es war an der Zeit, sich

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einen Plan zu machen. Betty trat mit der Tasse Kaffee neben mich. Ich schlürfte langsam und sie beobachtete mich besorgt. »Pat, ich weiß, das ist nicht der richtige Moment, aber...«

»Was? Ist schon wieder Zahltag?«, fragte ich. Sie nickte. Ich fisch­te 30 Dollar aus meiner Tasche und gab sie ihr. »Bis morgen«, sagte ich.

»Ich wollte noch gar nicht gehen.« Sie wirkte gekränkt. »Sie haben für heute frei.« »Danke, Boss.« Sie nahm erfreut ihre Jacke und ging. Vor der Tür

blieb sie noch einmal kurz stehen. »Wenn Sie etwas brauchen, dann zögern Sie nicht, mich anzurufen, okay? Bis Montag, Pat.«

Ich trat an den Spiegel und mein graues Gesicht blickte mir mit tiefen Augenringen ausgestattet entgegen. Ich musste grinsen. Meine schlechte Verfassung hatte sogar Bettys Mitleid erregt. Doch der Hu­mor verging mir sofort wieder. Ich hatte Wichtigeres zu bedenken.

*

Ich legte mich auf das Sofa im Büro und hing meinen Gedanken nach, während ich an die Decke starrte. Jetzt hatte ich einen wahrlich todsi­cheren Auftraggeber. Einen, der nicht zaudern würde, die Rechnung zu begleichen. Ich fühlte mich wie eine Marionette, die unter ständiger Beobachtung ihres Meisters die gewünschten Kunststücke vollführen sollte. Ich war mir sicher, dass Melcalve mich beobachten ließ. Warum tat er dasselbe nicht, um herauszufinden, was bei den Cubs los war? Dass ich den Grund für mein Auftauchen in diesem Spiel nicht verstand, machte die Sache nicht gerade angenehmer für mich. Wer wusste, in welche Falle ich tappen sollte.

Meine Gedanken kehrten noch einmal zu dem Wessley-Fall zurück. Wo war Sid Fielder? Wenn ich Melcalve glauben konnte, dann hatten die Iren mit Wessleys Ableben nichts zu schaffen. Langsam stand ich auf, ging zu meinem Schreibtisch hinüber und goss mir einen Bourbon ein. Sollte ich den Fall Wessley wirklich ruhen lassen? Brendons Leben hatte äußerste Priorität. Doch wir waren auf der Suche nach Teddey Wessley und seinem Mörder in Melcalves Kreuzfeuer geraten. Und

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mich ließ das Gefühl nicht los, dass die beiden Fälle miteinander zu tun hatten.

Während ich einen Schluck nahm, dachte ich noch einmal über die Motive meines neuen Auftraggebers nach. Dass Melcalve persönlich sich um diesen Fall kümmerte, konnte nur bedeuten, dass die Angele­genheit für die Iren besonders wichtig war. Und wichtig bedeutete Geld. Die Cubs waren also ein lukratives Geschäft, auf das die Iren nicht verzichten wollten. Vielleicht mischten die Iren sogar im Wettge­schäft mit.

Ich trat ans Fenster und entschied mich, den Fall Teddey Wessley parallel weiter zu bearbeiten. Ich zündete mir eine Lucky an und griff zum Telefon. Nachdem es einige Male geklingelt hatte, meldete sich die Wirtin vom Oak Mansion. Fielder war nicht wieder aufgetaucht. Das erstaunte mich nicht. Ich blickte auf die Uhr. In einer Stunde würde Teddey Wessley der Erde übergeben werden. Ich nahm mein Jackett und fuhr zum Graceland Cemetery.

*

Als ich auf dem Friedhof eintraf, waren die Trauernden bereits um Teddey Wessleys Sarg versammelt. Der Hauptteil der Anwesenden waren junge Männer in der College-Uniform. Eine kleine Abordnung des College-Orchesters spielte Trauermusik. Direkt am Sarg standen Jeanne Thayer mit ihrer Cousine und Wessleys Eltern. Der Vater, ein gesetzt wirkender Herr, hatte seinen Arm schützend um seine schwarz verschleierte Frau gelegt, die herzzerreißend schluchzte. Mir waren Beerdigungen von jeher ein Gräuel gewesen. Und seitdem meine El­tern das Zeitliche gesegnet hatten, mied ich Friedhöfe, wo ich nur konnte. Zudem schien Wessleys Familie presbyterianisch zu sein. Folg­lich passte mein irisches Gebetbuch sowieso nicht dorthin.

Ich hielt mich im Hintergrund und beobachtete. Jeanne trug einen schwarzen Mantel und wirkte, trotz des traurigen Anlasses, elegant und verhältnismäßig gefasst. Unter den Gesichtern der umstehenden Studenten erkannte ich Steve Furgison und Hump Lerremy. Letzterer blickte zu mir herüber. Doch als er sah, dass ich ihn erkannt hatte,

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blickte er schnell zur Seite. Coach Gorenson starrte mit versteinerter Miene auf Wessleys Sarg. Professor Hillerman stand in einer Gruppe anderer Professoren. Die Trauergemeinde stimmte ein Lied an. Dieser Teil von Beerdigungen war mir besonders verhasst. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Wessleys Sarg wurde von den Trägern in die Grube hinuntergelassen und dann traten die Trauernden einer nach dem an­deren heran, um sich zu verabschieden. Wessleys Mutter brach zusam­men und danach dauerte es nicht lange und die Trauernden zerstreu­ten sich. Ich machte, dass ich in dem allgemeinen Aufbruch Hump Lerremy nicht aus den Augen verlor. In einiger Entfernung ging er schnellen Schrittes Richtung Parkplatz. Ich holte ihn ein, als er das schmiedeiserne Friedhofstor passieren wollte.

»Mister Lerremy?« Er sah sich um. Er war größer als ich und trotz seiner jungen Jah­

re stattlich. Sein verhärmt wirkendes Sportlergesicht war durch die Trauer um seinen Freund gezeichnet. Gequält und abweisend blickte er zu mir hinunter. »Was wollen Sie?«, fragte er.

»Wir müssen miteinander sprechen.« »Ach wirklich?«, sagte er und wollte weitergehen. Ich trat ihm in

den Weg. »Mister Lerremy, Teddey Wessley ist tot, einer seiner Hausgenos­

sen spurlos verschwunden. Sie müssen mir helfen. Wenn Sie mir be­reits vor zwei Tagen gesagt hätten, was Sie wissen, dann wäre Ihr Freund vielleicht noch am Leben.«

Hump Lerremy schien mit Tränen und Wut über meine Worte zugleich zu kämpfen. Dann fasste er sich und sagte: »Okay. Wenn Sie einen Ort in der Nähe wissen, an dem es nicht ›trocken‹ ist. Ich brau­che etwas zur Stärkung.«

*

Hump Lerremy stieg in meinen Plymouth. Während der Fahrt sprach der Junge kein Wort. Wir betraten eine Kneipe in der Nähe meines Büros und bestellten Hochprozentiges. Nachdem Hump den ersten Schluck genommen hatte, wirkte er etwas entspannter.

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»Ich hasse Beerdigungen«, sagte er. Wir schwiegen eine Weile, dann fragte er: »Also Mister, was wollen Sie wissen?«

»Von wem hatte Wessley die fünftausend Dollar?« Hump zuckte mit den Schultern. »Aber Sie haben eine Vermutung?«, hakte ich nach. Hump Lerremy schwieg und ich musste mich bemühen, ihn nicht

anzufahren. Endlich sagte er: »Ich weiß nicht, woher Teddey das viele Geld hatte. Und Steve weiß es auch nicht. Glaube ich zumindest«, füg­te er hinzu.

»Das kam mir aber neulich auf dem Spielfeld nicht so vor.« »Wirklich? Wissen Sie, es war einfach erschreckend, dass ein Pri­

vatdetektiv wegen Teddeys Verschwinden aufkreuzte. Bis dahin hatten wir alle angenommen, er sei mit einem Mädchen durchgebrannt. Doch dann erschienen Sie. Der Coach war ganz schön aufgebracht deswe­gen.«

»Warum?«, fragte ich. Als er wieder schwieg, verlor ich endgültig die Nerven. »Mann, nun lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen!«

»Ist ja schon gut.« Er nahm einen weiteren Schluck und sagte dann: »Also, Teddey Wessley war zwar ein guter Kumpel. Aber er war auch ein ziemlicher Angeber. Verstehen Sie mich nicht falsch, er war wirklich ein Klassespieler. Hatte noch viel vor sich. Aber er ließ es manchmal sehr raushängen. Dass er sich nicht so um die Noten be­mühen musste, zum Beispiel. Bei einem Sportass drücken die Pro­fessoren schon mal ein Auge zu.« Ich nickte. Es war nicht das erste Mal, dass ich davon hörte.

»Na ja und in der Woche vor seinem Verschwinden, da war es be­sonders schlimm. Ständig ist er mit diesem überlegenen Gesichtsaus­druck durch die Gegend gelaufen. Er sprach davon, dass er Jeanne bald heiraten würde. Steve und ich haben ihn gefragt, wie er das an­stellen wolle. Immerhin hätte er für sie sorgen müssen.«

Ich nickte und fragte: »Und?« »Na und da hat er eine merkwürdige Andeutung gemacht.

Manchmal ginge es die Leiter eben schneller nach oben, als man glau­be.«

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»Hat er Ihnen gesagt, was er damit meinte?« Hump schüttelte den Kopf. »Nein und es hat mich auch ehrlich

gesagt nicht wirklich interessiert. Wie gesagt, Wessley konnte einem mit seiner Angeberei wirklich ganz schön auf die Nerven gehen.«

»Warum, glauben Sie, war es Gorenson nicht recht, dass ich mich nach Wessley erkundigt habe? Immerhin musste es doch in seinem Interesse sein, dass der Junge so schnell wie möglich wieder auf­taucht, oder?«

»Fragen Sie mich etwas Leichteres. Er hat Steve und mir angekün­digt, dass ein Privatdetektiv kommen und sich mit uns über Teddey unterhalten würde. Und hat uns eingebläut, vorsichtig zu sein.«

»Vorsichtig?«, fragte ich. »Ja, wir sollten Ihnen zum Beispiel nichts über die Liga und Ver­

träge erzählen.« Ich wurde hellhörig. »Warum das?«, fragte ich. Hump Lerremy zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Kam mir auch

merkwürdig vor. Als ob wir darüber viel wissen würden. Die vom Col­lege halten einen ganz schön unter Verschluss. Und wenn sich ein Pro­fi-Verein wirklich für einen Spieler interessieren sollte, dann hat er zu tun, was das Management sagt.«

»Sie sprechen von der Reserve Clause. Möchten Sie denn profes­sioneller Spieler werden?«

»Ich würde mein Leben dafür geben, Sir.« Und zum ersten Mal seit unserer Begegnung schien der Junge so etwas wie Lebensgeist zu entwickeln.

»Was würden Sie also tun, wenn sich die Cubs oder die Sox für Sie interessierten?«

»Ich würde beten, dass es die Cubs sind.« »Warum?« »Man, Sie haben wohl keine Ahnung vom Baseball. Die Sox sind

doch seit 1919 weg vom Fenster.« »Und die Cubs?« »Tja, von denen träumt jeder von uns. Aber es ist selten, dass

sich ein Profi-Verein für einen Spieler vom College interessiert. Die meisten müssen noch ein, zwei Runden in der Minor League drehen.«

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»Aber es kommt vor. Ihr Freund Wessley war das beste Beispiel.« »Sieht so aus. Wenn es so ist, dann haben wir alle jetzt, wo Wess­

ley nicht mehr ist, eine bessere Chance.«

*

Ich setzte Hump Lerremy am Randbezirk von Cicero ab, von wo er zu Fuß zum Campus wollte. Während ich in Richtung Osten fuhr, ohne recht zu wissen wohin, klang mir immer noch sein letzter Satz in den Ohren. »... seitdem Wessley nicht mehr ist, haben wir anderen eine bessere Chance.« Sollte es ein Komplott gegen Wessley in der Mann­schaft gegeben haben? War Wessley aus Neid ermordet worden? Nach einigem Nachdenken hielt ich diese Theorie für nicht haltbar. Der Mord trug eher die Handschrift von The Jar O'Malley. Doch die Iren hatten ihr Zutun in diesem Fall bereits abgestritten.

Ich vermisste Brendon. Ich brauchte dringend Informationen über Baseball und außerdem fehlte er mir als Mensch. Eine innere Unruhe und Sorge um ihn war mir ein ständiger Begleiter geworden. Und in diesem Augenblick überfiel mich sogar ein Anflug von Panik. Mein Freund und wahrscheinlich auch ich selbst würden sterben, wenn ich bis Montag nicht klar sah.

*

Dunkys Speakeasy war um diese Zeit bereits vorabendlich gefüllt. Ich setzte mich und legte beinahe gleichzeitig einen Jackson auf den Tre­sen.

»Soll das die Anzahlung für dein abendliches Besäufnis werden oder brauchst du noch etwas anderes?«, fragte Dunky, wie immer ohne die Miene zu verziehen.

»Die Rechnung zahl ich beim Gehen«, erklärte ich und nahm ei­nen Schluck aus dem Glas, das er vor mich hingestellt hatte.

Dunky bediente einen Gast etwas weiter unten an der Bar, dann kam er zu mir zurück und wienerte die Arbeitsfläche. Mein Zwanziger war verschwunden.

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»Immer noch auf der Jagd nach dem weißen Ball?«, fragte er. »Ja. Aber bisher hast du ja noch nicht viel ausspucken können«,

erinnerte ich ihn. »Du wolltest etwas über die College-Liga wissen. Wen interessiert

die schon? Aber ich habe trotzdem etwas für dich.« »Was?«, fragte ich. »Eine Adresse.« Mit diesen Worten reichte er mir einen Zettel, auf

den er etwas in Bleistift gekritzelt hatte. »Aber komm wieder«, sagte er und blickte mich streng an. Dann ging er wieder zum anderen Ende der Bar. Ich verstand nicht, was er damit meinte, doch ich war zu er­leichtert, um mir weiter darüber Gedanken zu machen. Mit Glück hielt ich einen neuen Ansatzpunkt in Händen. Ich faltete den Zettel ausein­ander und las: »Bei Antony's, Halebourne/Ecke Memphis, Gruß von Dunky.«

*

Halebourne/Ecke Memphis lag auf der South-Side und war um diese Uhrzeit nicht gerade eine angenehme Gegend für einen Iren. Langsam fuhr ich in meinem Plymouth die Halebourne in südlicher Richtung hi­nunter. In dem Eckhaus zur Memphis Street befand sich ein Treppen­abgang. Ich parkte und stand kurze Zeit später vor der eisernen Tür eines Speakeasys, deren Klappe sich auf mein Klopfen öffnete.

»Und?«, knirschte eine Stimme so einladend wie ein Nagelbrett. »Gruß von Dunky«, sagte ich. Die Klappe wurde geschlossen und nach ungefähr anderthalb Mi­

nuten brachte mich dieses Codewort in das prall gefüllte Innere von Antonys Speakeasy. Ich bahnte mir langsam einen Weg zur Bar und bestellte einen Bourbon. Noch hatte ich keine Ahnung, welche Art Ge­fallen Dunky mir mit diesem Tipp hatte erweisen wollen. Nur seine letzten Worte an mich machten auf einmal Sinn und ich prostete ihm in Gedanken zu. Wie hätte ich Dunky untreu werden können?

Neben mir hatte ein rotgesichtiger, verschwitzter Kerl mit einem weißen Hemd und aufgerollten Ärmeln damit zu tun, drei Männer zu beschwichtigen, die wild gestikulierend auf ihn einredeten. Das gesam­

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te Publikum schien zu kochen. Zwei Tender arbeiteten hinter der Bar und hatten alle Hände voll zu tun.

*

»Jetzt mach mal halblang, Finleyson. Du bist wirklich der größte Hals­abschneider seit 1919«, rief einer der drei Männer empört. Der ver­schwitzte Kerl, der auf den Namen Finleyson hörte, winkte ab: »Reg dich ab, Wilson. Es ist nicht meine Schuld, dass die Pool-Karten so gestaltet sind. Ich gebe dir den guten Rat, von Baseball auf Pferdewet­ten umzusteigen, wenn du daran etwas auszusetzen hast.« Damit wandte er sich ab und ließ die drei Männer kopfschüttelnd stehen.

Langsam dämmerte es mir. Ich war in einem jener Läden, in de­nen Sport- und vor allem Baseball-Wetten abgeschlossen wurden. Und ich war hoch erfreut, als Finleyson sich jetzt ächzend neben mir auf den freien Barhocker hievte und einen Whiskey bestellte. Er schüttelte den Kopf und ich sprach ihn an: »Stress mit der Wettgemeinde? Ich kann mir vorstellen, seit dem Wettskandal um die White Sox hat man es als Bookie nicht gerade leicht. Schon gar nicht in Chicago.«

»Ich sag es Ihnen. Wirklich schwierige Zeiten. Seit dem Skandal gucken die von der Aufsichtsbehörde einem ständig auf die Finger. Sie sind wohl nicht von hier?«, fragte er plötzlich misstrauisch. Ich lüftete den Hut und sagte: »Herb Balter aus St. Pauley, Minnesota. Ich be­suche meine Schwester.«

»Wohnt hier wohl um die Ecke, was? Normalerweise verirrt sich hier nur her, wer an Baseball interessiert ist.«

»Wirklich?«, fragte ich. »Mir kam es bereits merkwürdig vor, dass der Laden so gut besucht ist.« Finleyson grinste und sagte großspurig: »Hier trifft sich alles. Spieler, Bookies wie ich und Leute, die was zum Einsetzen haben.«

»Wie sieht's denn aus?«, fragte ich, auf die Pool-Karten in seiner Hand schielend.

»Schon mal gewettet?«, frage Finleyson. Ich schüttelte den Kopf. »Okay«, fuhr er fort. »Das ist eine Pool-Karte. Sie suchen sich ein Team aus und wetten, wie es in der Liga und in den World Series ab­

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schneiden wird. Selbstverständlich zählen nur Siege. Das Team ge­winnt, Sie gewinnen und landen den großen Coup.«

»Die Gewinnergebnisse einer Mannschaft für die ganze Saison?«, rief ich ungläubig und hätte fast laut losgebrüllt vor Lachen. Ein paar in der Nähe stehende Gäste unterbrachen ihr Gespräch und blickten neu­gierig zu uns herüber. »Wie kann denn jemand das vorherbestim­men?«, fragte ich etwas leiser. Finleyson nickte seinem Glas zu und sagte geheimnisvoll: »Glauben Sie mir, es funktioniert. Letzte Saison hat ein Kerl auf diese Weise knappe neuntausend Dollar gewonnen.«

»Aha«, sagte ich und überlegte. »Also, ich verstehe nicht viel vom Baseball. Auf welche Mannschaft sollte ich Ihrer Meinung nach set­zen?«

»Na, auf die White Sox. Diese Saison todsicher.« Ich stellte lang­sam mein Glas ab und fragte: »Wirklich? Mein Schwager meinte, die Sox seien seit Jahren in einer Pechsträhne. Um genau zu sein seit 1919. Und er setzt auf die Cubs.«

»Ihr Schwager ist eben kein Buchmacher«, erwiderte Finleyson und fügte achselzuckend hinzu: »War ja nur ein Tipp. Wollen Sie nun setzen oder nicht?«

»Ich komme drauf zurück.« Finleyson nickte, stand auf und ging ans andere Ende des Clubs. So ein Quatsch, dachte ich. Wer in Chicago setzte auf die Sox?

Leute, die echt starke Nerven und zu viel Geld in der Tasche hatten oder die sich im Baseball nicht auskannten. Finleyson musste mich wirklich für ein Landei halten. Ich nippte an meinem Bourbon und ließ die Atmosphäre weiter auf mich wirken. Neben mir hatte sich ein Mann um die sechzig an die Bar gestellt und war dabei, sich eine Zigarette anzuzünden. Er suchte nach Feuer und ich hielt ihm meine Streich­holzschachtel entgegen. Er riss das Holz an der Unterseite des Tresens an und inhalierte den ersten Zug. Dann blickte er mich kurz an und lächelte.

»Herb Balter«, stellte ich mich vor. »Minnesota.« »Aha«, sagte er. »Alec Polcovic, Chicago.« Und grinste. Meine Au­

genbrauen schossen in die Höhe. »Sie sind...?«

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»Ein ganz normaler Gast an einem ganz normalen Abend«, erwi­derte er.

»Es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen«, rief ich, für einen Moment vergessend, dass ich eigentlich gar keine Ahnung von Base­ball hatte. Ich schüttelte ihm die Hand. Alec Polcovic, die Baseball-Legende, stand direkt neben mir und nippte an seinem Whiskey.

»Ich sollte mir einen falschen Namen zulegen. So kann man sich besser unterhalten«, sagte er und wusste gar nicht, wie Recht er da­mit hatte. »Und was hat Sie nach Chicago verschlagen?«, fragte er.

»Ich besuche meine Schwester«, erklärte ich. Er nickte nur. Beide nahmen wir einen Schluck. »Ich habe ja nicht so viel Ahnung vom Baseball. Aber stellen Sie sich vor, eben habe ich mich mit einem Buchmacher unterhalten. Mit dem ersten in meinem Leben, um genau zu sein. Und der hat mir gesagt, ich solle in dieser Saison auf die Whi­te Sox setzen. Stellen Sie sich das vor! Nicht auf die Cubs.« Ich schüt­telte den Kopf. »Wie kommt der Mann dazu, mir so einen Bären auf­zubinden?«, fragte ich mit gespielter Entrüstung.

Polcovic zuckte die Achseln. »Vielleicht fand er Sie nett«, sagte er leichthin. Ich brauchte eine Weile, um diese Antwort zu verdauen. Dann fragte ich: »Sie meinen, eine Wette auf die Gewinnergebnisse der White Sox bis in die World Series hat in dieser Saison eine Chan­ce?«

»Einmal ist immer das erste Mal, oder?« »Aber die Cubs haben die letzten Jahre viel besser abgeschnit­

ten.« Ich schwieg. »Sagt mein Schwager«, fügte ich hinzu. Polcovic betrachtete mich einen Augenblick aufmerksam. Dann fragte er: »Wo­her stammen Sie, sagten Sie?«

»Aus Minnesota«, erklärte ich und Polcovic erwiderte langsam: »Richtig.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Sie sehen gar nicht wie ein Skandinavier aus Minnesota aus. Eher wie ein Ire von der North-Side.« Er blickte mich an, als sei ich ein Ball, dessen Spinn er ermitteln wollte.

»Sie haben Recht«, gab ich zu und entschloss mich, auf Ehrlich­keit zu setzen. »Mein Name ist Pat Connor.« Dass meine Tarnung so sang- und klanglos aufgeflogen war, kratzte doch etwas an meiner Berufsehre. Brendons Verschwinden schien mich doch mehr aus der

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Fassung zu bringen, als mir lieb war. Alec Polcovic nickte und sagte: »Angenehm, Mister Connor. Was führt Sie her? Sie haben doch sicher einen Grund, hier zu stehen und mich anzuschwindeln.«

All right, dachte ich und sagte: »Das tut mir ehrlich Leid. Hatte nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin kein Betrüger, wenn Sie das meinen.«

»Sie sind ein Privatschnüffler, stimmt's? Na, wer von den Gästen hier betrügt seine Angetraute?« Langsam wurde der Mann mir wirklich unheimlich.

»Ich bearbeite keine Scheidungsfälle. Ich bin wegen Baseball hier. Und ich wäre Ihnen dankbar für ein paar Informationen. Ich verspre­che Ihnen, dass Ihr Name dabei nicht zu Schaden kommt.«

»Wollen wir's hoffen. Sie haben Glück, ich habe etwas für Iren üb­rig. Meine Frau stammt von der Insel.«

Ich lächelte und sagte: »Okay, die Stimmung bei den Cubs ist mehr als mies und in diesem Laden wird nicht auf sie gesetzt. Was ist eigentlich los in der Liga?«

»Den Grund kenne ich auch nicht, mein Junge. Ich weiß nur, dass die Cubs in diesem Jahr voraussichtlich in der National League nicht besonders gut abschneiden werden.«

»Aber wie können Sie das wissen?« »Gerücht«, erklärte Polcovic. »Aber warum?«, fragte ich beinahe verzweifelt. Polcovic musterte

mich interessiert. »Es muss ein wichtiger Grund sein, der einen Iren um diese Zeit

auf die South-Side treibt, so viel steht fest. Ich weiß zwar nicht, wa­rum Sie ihr Leben riskieren und ehrlich gesagt, wäre ich Ihnen mittler­weile dankbar, wenn Sie mich darüber auch nicht aufklären würden. Aber Sie haben ein ehrliches Gesicht und ich gebe Ihnen einen Tipp: Denken Sie mal genau darüber nach, wo Sie sich befinden.« Er klopfte mir zum Abschied freundschaftlich auf die Schulter, wie ein Großonkel seinem kleinen Neffen. Dann ging er und ich starrte ihm blicklos hin­terher. Was auch immer er mit diesem Satz gemeint hatte, entzog sich meinem Verständnis. Ich fühlte mich geknickt und entmutigt. Ich ver­ließ das Lokal, stieg in meinen Plymouth und fuhr durch die nächtlich leeren Straßen meiner Behausung entgegen. Mein Kopf schwamm im

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Whiskey. Todmüde stapfte ich die Treppen hinauf, schloss mein A­partment auf und fiel, ohne mich auszuziehen, ins Bett.

*

Der nächste Morgen war ein Samstag. Die Klamotten, in denen ich er­wachte, stanken nach kaltem Rauch und ich hatte einen Geschmack im Mund, als hätte ich einen alten Socken zum Dinner gegessen. Nach­dem ich mich gewaschen und mir die Zähne geputzt hatte, fühlte ich mich wieder einigermaßen menschlich. Ich brühte mir einen Kaffee auf, holte die Tribune und blätterte sie durch, während ich in der Kü­che stand und eine Lucky rauchte. Überrascht fiel mein Blick auf einen Artikel über den Trainingsstart der Cubs, der nicht von Brendon stammte. Der Autor berichtete über die Vorbereitungen der Mann­schaft auf die ersten Spiele in zwei Wochen und welche Spieler er­folgversprechende Aussichten hatten. Ein Bild von Hank Malcolm run­dete den Artikel ab. Nachdenklich blickte ich darauf. Warum, fragte ich mich, hatte es ein Ass wie er nötig, auf einen anderen Teamkollegen zu zielen? Wenn ich herausfinden wollte, was bei dem Club los war, sollte ich Hank Malcolm einen Besuch abstatten.

Ich zog mir in Anbetracht der heute kühleren Temperaturen einen Mantel über und verließ das Haus. Ich fuhr in nördlicher Richtung die North Clark Street hinauf und erreichte das Wrigley Field. Ich parkte und ging hinüber zum blau-weißen Eingang. Die Arbeiten an der Tri­büne waren auch am heutigen Tag im Gange. Ich erreichte den Ein­gang. Die Schranke war geschlossen. Ich schaute mich nach Lance, dem Stadionmitarbeiter, um. Und in der Tat fegte er in einiger Entfer­nung vom Gitter den Vorplatz. Ich stieß einen Pfiff aus und winkte ihm. Er kam zögernd, den Besen in der Hand, näher und blickte mich durch die Stäbe misstrauisch an.

»Sie sind doch der Mann, der neulich schon einmal hier gewesen ist. Ich darf Sie nicht hereinlassen, Sir.«

»Ich weiß«, sagte ich und zog einen Fünf-Dollar-Schein aus der Tasche. Der Mann blickte darauf, dann auf mein Gesicht.

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»Das gehört Ihnen, wenn Sie vergessen, dass ich heute hier ge­wesen bin.« Damit schob ich dem Mann den Schein durch das Gitter in seine Hemdtasche. »Und ein weiterer gehört Ihnen, wenn Sie mir ver­raten, wo ich Hank Malcolm finden kann.« Ich hielt den Schein mittig gefaltet in die Höhe.

»Was wollen Sie von ihm?«, fragte der Mann. Ich zuckte die Ach­seln und wedelte mit dem Schein.

»Larry & Larry's«, sagte er. »Das Diner in der North Clark?«, fragte ich. Der Mann nickte und

blickte auf den Schein. »Wo wohnt er, für den Fall, dass ich ihn dort nicht finde?« Er sah

mich zweifelnd an und ich legte noch einen Fünfer drauf. »Regal Avenue. Hausnummer weiß ich nicht. Über der Wäscherei.

Ich musste ihn mal dort abholen.« Ich tippte mir an den Hut, lächelte ihm zu und das Geld wechselte

den Besitzer. »Und denken Sie daran: Sie haben mich nicht gesehen.« Der Mann nahm wortlos seinen Besen und machte sich daran, den Stand des Programmausrufers zu reinigen.

*

Der erste Mensch, den ich bei Larry & Larry's erblickte, war zu meiner Überraschung Albert Gorenson, der Trainer des College-Teams. Er saß mit dem Rücken zur Tür auf einem Barhocker und aß Hash-Browns auf Toast.

»Guten Morgen, Coach«, sagte ich und setzte mich neben ihn. Ein Blick in die Runde verriet mir, dass Hank Malcolm sich nicht im Laden befand. Die Stühle am Tresen waren allesamt mit Frühstücksgästen besetzt. In den Nischen glaubte ich, den einen oder anderen Spieler der Cubs zu erkennen. Gorenson blickte mich überrascht an und sagte dann ohne Präambel: »Sie waren ja nicht sehr erfolgreich.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte ich einfältig. »Wessley ist tot oder etwa nicht?« »Ich habe ihn nicht ermordet, wenn Sie das meinen.«

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Gorenson schnaubte verächtlich. »Aber viel zu seinem Wiederauf­tauchen beigetragen haben Sie auch nicht.«

»Und Sie?«, fragte ich, ohne mich aus der Fassung bringen zu las­sen. »Ich hatte nicht gerade den Eindruck, dass Sie sonderliches Inte­resse daran hatten, die Hintergründe seines Verschwindens aufgeklärt zu sehen.« Meine Worte waren ein Schuss ins Blaue, der jedoch traf. Gorensons ohnehin gerötetes Gesicht vertiefte seinen Farbton. Er rich­tete sich auf und sagte drohend: »Ich verbitte mir derlei Behauptun­gen. Der Junge war mit der falschen Frau durchgebrannt. Das ist alles. Was hätte ich also zu seinem Wiederauftauchen beitragen können?«

»Mister Gorenson«, sagte ich geduldig. »Warum waren dann in Teddey Wessleys Küche fünftausend Dollar versteckt und die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass die Chicago Cubs sich für ihn interes­sierten?« Gorenson starrte mich an. Ich fuhr fort: »Und ausgehend von diesen beiden Umständen würde es mich doch ungemein interes­sieren, warum Ihre beiden Spieler sich aus lauter Angst vor Ihnen ganz verhalten gezeigt haben, als ich sie darauf ansprach.«

Gorenson schäumte. »Hören Sie, Sie elender Schnüffler. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.« Jetzt war es an mir verächtlich zu schnauben. Gorenson warf die Gabel auf seinen Teller, einen Dollar auf die Theke und verließ das Lokal. Ich überlegte, was zu tun sei und entschloss mich, ihm zu folgen. Mein Gespräch mit Hank Malcolm konnte warten. Ich lief in aller Eile zu meinem Plymouth. Gorenson verließ gerade den Parkplatz in einem alten Ford und fuhr in nördlicher Richtung auf der North Clark Street davon. Ich klemmte mich in eini­gem Abstand hinter ihn. Auf der Höhe des Wrigley Field bog er nach Westen ab und wir erreichten eine Wohngegend, die den exklusiveren Teil von Wrigleyville darstellte. Schöne Häuser mit gepflegten Vorgär­ten thronten zwischen alten Baumbeständen. Gorenson bog in die La­xington Avenue ein und ich wartete an der Kreuzung. Sein Ford hielt auf halber Höhe der Straße vor einem Haus. Er stieg aus, ging auf den Eingang zu, klopfte an die Tür und war innerhalb von einer Minute im Inneren verschwunden. Ich setzte den Wagen langsam in Bewegung und fuhr die Straße hinunter. Das Haus hatte die Nummer 6143. Wer mochte hier wohnen?

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*

Hank Malcolm öffnete auf mein Klopfen die Tür seines Apartments. Er trug eine legere Hose und ein Unterhemd.

»Bitte?«, fragte er nicht gerade freundlich. »Mister Malcolm, entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Pat

Connor.« Mit diesen Worten hielt ich ihm meine Karte unter die Nase. Malcolm nahm sie zögernd und aus den Tiefen seiner Wohnung hörte ich eine Frauenstimme mit quengelnder Stimme fragen: »Liebling, wer ist denn da?«

»Ich komme ungelegen«, sagte ich und wandte mich zum Gehen. Die Masche zog. Seine Neugier war geweckt. »Warten Sie. Ich möchte wissen, was Sie von mir wollen.«

»Es wird etwas länger dauern, es zu erklären. Und ich möchte Sie nicht stören.«

»Ach, quatschen Sie nicht lange, kommen Sie rein. Es ist nichts, Liebling«, rief er. Eine blonde Frau mit zerzaustem Haarschopf und einem dunklen, lilafarbenen Morgenrock streckte den Kopf zur Küchen­tür heraus.

»Möchten Sie Kaffee?«, fragte sie mich, während sie mich neugie­rig beäugte.

»Nein, danke.« »Klar will er Kaffee«, sagte Malcolm und zu mir gewandt: »Setzen

Sie sich. Also, schießen Sie los.« Ich konnte es mir nicht leisten, ihn di­rekt auf die Schlägerei anzusprechen. Darum zog ich das Bild von Teddey Wessley aus der Tasche und hielt es ihm hin. Es konnte nicht schaden, einen kleinen Umweg einzuschlagen. Malcolm nahm es und betrachtete es. Dann reichte er es mir zurück.

»Wer ist das?« »Ein Baseball-Talent vom College. Er ist ermordet worden.« Malcolm starrte mich an. »Aha«, sagte er schließlich. »Und warum

kommen Sie damit ausgerechnet zu mir?« »Sie sind ein Profi und bereits lange in der Liga. Ich will heraus­

finden, wer den Jungen auf dem Gewissen hat.«

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»Vielleicht hatte er die verkehrte Frau gebumst. Wie kommen Sie darauf, dass sein Ableben etwas mit dem Baseball zu tun haben könn­te? Und dass ich Ihnen etwas dazu sagen könnte?«

»In seiner Küche befanden sich fünf Riesen und angeblich interes­sierten sich die Cubs für ihn.« Malcolm stieß einen Pfiff aus und ließ sich in seinem Sessel zurücksinken. Die blonde Schönheit trat aus der Küche. Sie hatte ihr Haar gerichtet, lächelte mich an und fragte, wäh­rend sie mir Kaffee einschenkte: »Spielen Sie auch Baseball?«

»Nein, tut er nicht. Süße, geh und amüsier dich anderweitig«, sagte Malcolm. Schmollend zog sie sich zurück und erinnerte mich in diesem Augenblick ein wenig an Betty. Ich nahm einen Schluck Kaffee und Malcolm sagte: »Fünf Riesen. Verdammt.«

»Glauben Sie, dass das Geld von den Cubs stammt?« »Keine Ahnung. Es geschieht schon mal, dass Spieler vom College

abgeworben werden. Aber das ist selten. Die Summe ist jedoch er­staunlich. Die meisten Spieler aus den unteren Ligen würden sowieso alles tun, um bei den Profis mitspielen zu können. Da hätten es auch tausend Dollar getan.« Ich nickte. Malcolm blickte nachdenklich vor sich hin und rieb sich das stoppelige Kinn.

»Mister Malcolm, gestern Abend habe ich mit ein paar Leuten auf der South-Side gesprochen. Und wissen Sie, was mir dort aufgefallen ist? Es gibt eine Menge Leute, die den Cubs in diesem Jahr keine gro­ßen Gewinnchancen in der National League einräumen würden.«

Zu meinem Erstaunen sagte Malcolm: »Das überrascht mich nicht. Ich tue es auch nicht.«

»Bitte?«, fragte ich fassungslos. »Hören Sie, ich darf über solche Dinge nicht mit Ihnen reden,

sonst bin ich ganz schnell weg vom Fenster.« Ich war so nah dran! Doch Malcolm wirkte verschlossen wie eine Auster und ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn zum Reden bringen konnte. Doch bevor ich zum Frontalangriff übergehen konnte, fragte Malcolm: »Was hat eigentlich die Ermordung des Grünschnabels mit den Ergebnissen der Cubs zu tun?«

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Aber ich habe noch eine Frage.« »Und die wäre?«

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»Neulich war ich auf dem Wrigley Field, als Sie trainierten. Sie ha­ben einen Homerun gebattet. Alle Achtung. Und dann sind Sie in Streit mit einem anderen Spieler geraten. Warum?« Hank Malcolm beugte sich vor und starrte mich an. Mir wurde etwas unbehaglich zumute.

»Sagen Sie mal, was wollen Sie eigentlich von mir? Sind Sie vom Management, oder so? Hat David Newman Sie geschickt?«

Ich hielt es für das Beste, den Rückzug anzutreten und stand auf. »Mister Malcolm, ich bin nicht vom Management beauftragt, Sie auszu­fragen, falls Sie das meinen. Ich bin auf der Suche nach dem Mörder von Teddey Wessley. Entschuldigen Sie mich.«

Ich ging zur Tür, lüftete meinen Hut in Richtung der blonden Frau, die gerade wieder erschien und machte, dass ich zu meinem Wagen kam. Ich fuhr genau einen halben Block weit, wendete und wartete.

*

Meine Eingebung war richtig gewesen. Es dauerte nicht mehr als zehn Minuten und Hank Malcolm verließ schnellen Schrittes das Haus.

Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Malcolm lief geduckt zu einem funkelnagelneuen Ford Standard und fuhr davon. Ich startete in aller Eile und folgte ihm. Zuerst hielt er sich in südlicher Richtung. Wir passierten auf der North Clark Avenue das Wrigley Field und dann bog Malcolm nach Westen ab. Ich traute meinen Augen kaum, als wir die Laxington Avenue erreichten und Malcolm vor demselben Haus hielt wie vorher Gorenson. Dessen Wagen war verschwunden. Malcolm brachte seinen Ford durch eine Vollbremsung auf der Auffahrt zum Schaukeln und sprang heraus. Mit langen Schritten lief er über den Vorgarten und die Stufen hinauf, klopfte und verschwand im Haus. Ich hatte meine Lucky kaum zur Hälfte geraucht, als er wieder erschien und davonfuhr. Ich zögerte. Sollte ich hinterher? Langsam interessierte mich brennend, wer hier wohnte. Ich blickte durch den strömenden Regen hinüber zum Haus. Aus irgendeinem Grund glaubte ich, dass so schnell keine Menschenseele es verlassen würde und ich hatte nicht die Ruhe, stundenlang hier zu sitzen und zu warten. Ich blickte auf die Uhr. Es war 3 Uhr 30. Wieder beschlich mich die Panik um meinen

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Freund. Was hatte ich bisher herausgefunden? Außer dass in dieser Saison niemand, nicht einmal der Starbatman der Cubs persönlich, einen Pfifferling auf die Mannschaft gab.

Ich ließ das Gespräch mit Hank Malcolm Revue passieren. Die fünf Riesen schienen ihn wirklich erstaunt zu haben. Eine Summe, die viel zu hoch war, um einen College-Studenten abzuwerben. Eines wusste ich jetzt jedoch mit Bestimmtheit: Zwischen den Cubs und dem Morton College gab es eine Verbindung und zwar dieses Haus. Wieder dachte ich darüber nach, wo Sid Fielder stecken mochte. Ich wendete und fuhr zu Dunky. Um das Haus in der Laxington Avenue würde ich mich morgen kümmern.

Dunky empfing mich mit einem Bourbon, den er für mich ein­schenkte, kaum dass ich mich gesetzt hatte. »Na, Pat, wie war es bei Antony's?«

»Besser als bei dir«, erwiderte ich todernst. »Ich glaube, ich wer­de dort öfters mal vorbeischauen.« Dunky drehte sich wortlos um und polierte Gläser. Ich prostete ihm zu und betrachtete überrascht mein Glas. Der Bourbon war wirklich großzügig eingeschenkt. Ich musste grinsen. »He, Dunky«, sagte ich. »Nichts für ungut. Und danke für den Tipp.«

»Hast du was herausfinden können?« »Nicht viel. Und das wenige hättest du mir wahrscheinlich auch

selbst sagen können.« Dunky blickte mich beleidigt an und antwortete: »Ich wusste nichts und außerdem dachte ich, du wolltest vielleicht mit ein paar Profis plaudern.«

»Das habe ich, doch es ist nichts dabei herausgekommen.« Dunky zuckte mit den Schultern und fragte: »Was steckt eigentlich

dahinter?« Ich blickte Dunky an und sagte leise: »Brendon ist verschwun­

den.« »Wie? Verschwunden?« »Na, eben verschwunden. Bis ich herausgefunden habe, warum

die Cubs in schlechter Form sind. Ehrlich gesagt, kann ich es den Spie­lern noch nicht mal verübeln, wo alle Welt sowieso davon ausgeht, dass sie verlieren werden. Und eigentlich interessiert mich das alles

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überhaupt nicht. Aber einen gewissen irischen Lord interessiert die Angelegenheit umso mehr.«

»Und darum wird Brendon erst wieder auftauchen, wenn du die Antwort gefunden hast?«

»Richtig.« »Aber warum ausgerechnet du? Melcalve hätte doch sicherlich ge­

nug Mittel und Wege herauszubekommen, was los ist. Und warum hast du mich vor zwei Tagen nach der College-Liga gefragt?«

»Ach, Dunky, mir wird langsam schwarz vor Augen.« Er blickte mich mitleidig an. »Sorry Pat, Antony's war mein einzi­

ger Tipp für dich. Aber wenn ich was höre, dann melde ich mich bei dir, okay?«

*

Am darauf folgenden Morgen erwachte ich schweißgebadet. Augen­scheinlich hatte ich schlecht geträumt. Draußen hörte ich die Glocken läuten. Auch dieser Sonntag würde verstreichen, ohne dass ich eine Kirche von innen sehen würde. Kurz darauf versorgte ich mich mit den üblichen Muntermachern, Kaffee und Zigaretten und befand mich eine Stunde später in meinem Plymouth auf der Straße. Herumzufahren half mir, mein Gefühl der Hilflosigkeit zu ertragen. Vielleicht, dachte ich dumpf, war heute der letzte Tag meines Lebens.

Ich fuhr zur Laxington Avenue. Dort parkte ich den Wagen an der Kreuzung und zündete mir eine Lucky an. Von hier aus konnte ich das Haus sehen, in dem Gorenson und Hank Malcolm gestern verschwun­den waren. Die Fäden liefen hier zusammen und heute musste ich in Erfahrung bringen, wer in dem Haus wohnte. Ich blickte die Straße hinunter und sah zwei Mädchen auf mich zukommen. Wahrscheinlich waren sie auf dem Weg von der Kirche nach Hause. Ich stieg aus. Als sie mich sahen, wechselten sie kichernd und sich gegenseitig in die Seiten knuffend, die Straßenseite. Das war meine Chance.

»Ladys?«, rief ich und setzte hinüber. Die beiden gingen etwas schneller. »Ladys, bitte warten Sie. Ich brauche eine Auskunft. Bitte!« Zögernd blieben die beiden stehen und drehten sich zu mir um. Sie

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mochten kaum älter als achtzehn sein. Ich lüftete artig den Hut und sagte: »Mein Name ist Pat Connor. Verzeihen Sie die Störung.« Die beiden blickten mich an, als sei ich die Mischung zwischen einem Wundertier und einem gefährlichen Dämon. Ich widerstand der Versu­chung, ›Buh‹ zu machen. Sie hätten sicherlich das Weite gesucht. Die eine der beiden hatte hübsche braune Augen. Die andere wirkte dümmlich und starrte mich mit offenem Mund an. Braunauge fragte zaghaft: »Ja?«

»Wissen Sie zufällig, wer in diesem Haus dort drüben wohnt? Mit der Nummer 6143?«

»Dort wohnt Mister Newman, Sir.« »Newman?«, wiederholte ich, ohne zu begreifen. »Ja, Sir. Mister Newman. Er ist Baseball-Trainer.« »Ich danke Ihnen, meine Damen. Einen schönen Sonntag noch.«

Die beiden machten einen Knicks und entfernten sich, nicht ohne sich noch ein paar Mal nach mir umzudrehen. Braunauge hatte wirklich einen niedlichen Hintern und würde in ein paar Jahren bestimmt je­manden sehr glücklich machen. Ich lächelte und lüftete noch einmal den Hut, was in einiger Entfernung mit erneutem Kichern und Ansto­ßen quittiert wurde.

Dann knirschte ich: »David Newman.«

*

Ich hielt es für das Klügste, das Haus zu beobachten. Die Idee, den Trainer aufzusuchen, verwarf ich nach einigem Überlegen. Ich hatte nichts gegen ihn in der Hand. Und er musste sowohl von Gorenson als auch von Hank Malcolm erfahren haben, dass ich den rätselhaften Vorfällen bei den Cubs auf der Spur war. Also würde er gewappnet sein. Es dauerte vier Stunden, bis David Newman endlich das Haus verließ. Er fuhr einen neueren Ford und ich hängte mich dran. Ich hat­te keine Schwierigkeiten ihm zu folgen. Wir fuhren auf der North Clark Richtung Wrigley Field. Dort bog Newman auf den Parkplatz ein. Ich wartete in einiger Entfernung. Das Stadion lag öde und verlassen da. Auch die Arbeiten auf dem Gerüst lagen heute brach. Was wollte New­

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man an einem Sonntag im Stadion? Ich würde ihm genau eine Viertel­stunde Zeit geben und dann nachsehen, was er trieb. Doch Newman erschien schneller als erwartet. Ich hatte mich zurück zum Wagen be­geben und er kam so plötzlich aus der Ausfahrt, dass ich erschrocken zusammenfuhr.

Weiter ging die Fahrt Richtung Loop. Wir fuhren durch die City und waren schließlich auf der tiefsten South-Side. Im Il Cardinale-Territorium. Was um Himmels willen hatte Newman hier verloren? Newman bog auf einen Parkplatz ein und stellte den Motor ab. Ich wartete an der gegenüberliegenden Kreuzung, bereit, ihn zu Fuß zu verfolgen. Auf den Straßen waren vereinzelte Spaziergänger unter­wegs. Ich bemühte mich, seinen Wagen nicht aus den Augen zu las­sen. Nach ungefähr einer Viertelstunde erschien ein mir nur allzu be­kanntes Packard Coupé und bog schaukelnd auf den Parkplatz ein. Newman stieg in das Coupé und der Wagen fuhr davon. Ich setzte mich ebenfalls in Bewegung. Es gab keinen Zweifel: Newman war auf dem Weg zu Iceman Carpese.

Das Coupé kurvte durch die South-Side und bog schließlich in ei­nen Hinterhof. Da es mir wahrscheinlich nicht möglich sein würde, ohne Voranmeldung hinein und lebend wieder hinaus zu gelangen, verlegte ich mich erneut aufs Warten. Nach ungefähr 45 Minuten ver­ließ das Coupé den Hinterhof. Mir war klar, wohin es gehen würde. Zurück zu Newmans Ford. Als Newman ausstieg, hinkte er und lehnte sich an sein Auto. Ich beobachtete ihn interessiert. Augenscheinlich waren Icemans Männer nicht gerade zart mit ihm umgesprungen. Wo­durch er wohl das Missfallen des Italieners erregt haben mochte? Es dauerte eine ganze Weile, bis Newman es fertig brachte, seinen Wa­gen zu starten und zurück Richtung Norden zu fahren. Endlich in der Laxington Avenue angelangt, beobachtete ich, wie er sich schmerzver­zerrt aus seinem Auto quälte und ins Haus wankte. Wahrscheinlich um sich einen Drink zu genehmigen. Ich blieb in meinem Wagen sitzen und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Newman auf der South-Side. Eine interessante Wendung.

Der Trainer kam erneut aus seinem Haus. Er wirkte etwas frischer. Er stieg in seinen Wagen und fuhr zu Larry & Larry's, dem Diner in der

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North Clark, in dem ich am Vortag Coach Gorenson getroffen hatte. Ich betrat fünf Minuten nach ihm das Lokal. Newman und Gorenson saßen in einer Nische, hatten Kaffeetassen vor sich und unterhielten sich. Erst als ich direkt vor ihrem Tisch stehen blieb, hielten die beiden in ihrem Gespräch inne. Newman hatte ein blaues Auge und eine auf­geplatzte Lippe.

»Gestatten?«, fragte ich, nahm den Hut ab und setzte mich, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, neben den College-Trainer. New-man starrte mich an und fragte: »Was fällt Ihnen ein? Ihr Privat­schnüffler werdet wirklich immer dreister.«

»Nicht wahr?«, fragte ich. »Nette Lippe. Ich wette, das gibt eine hübsche Narbe.«

Newman knirschte, mich über den Tisch am Revers packend: »Meine Geduld ist zu Ende. Ehrlich gesagt, ist es mir gleich, warum Sie Ihre Nase in fremder Leute Angelegenheiten stecken, aber halten Sie sich aus meinen raus. Verstanden?«

»Sir! Würden Sie das bitte unterlassen, sonst muss ich die Polizei rufen.« Vor dem Tisch stand ein Angestellter des Diners. In der Hand hielt er einen Wender und blickte Newman auffordernd an. Der ließ meinen Kragen los und der Mann entfernte sich kopfschüttelnd.

»Ergeht es mir sonst wie meinem Freund?«, fragte ich mit gesenk­ter und zuckersüßer Stimme. Newman wurde puterrot. »Verschwinden Sie! Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«

»Aber ich Ihnen. Ich bin Ihnen auf den Fersen, Newman. Ihnen und Ihrem Handlanger in der College-Liga.« Damit nickte ich Gorenson zu. »Ein junger Mann ist ums Leben gekommen und mir kommt es langsam so vor, als ob Sie beide da ganz kräftig mitgemischt hätten.«

»Wie können Sie es wagen...«, brauste Gorenson auf. »Ich weiß, was ich weiß. Und ich finde auch den Rest heraus, dar­

auf können Sie sich verlassen.« Mit diesen Worten stand ich auf und verließ den Tisch, nicht ohne vorher noch einmal den Hut zu heben. »Guten Tag dann noch, die Herren.«

Ich stieg in meinen Plymouth und fuhr direkt zu Dunky. Auf diesen Sonntag brauchte ich erst mal einen Drink.

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*

Dunky wischte die Tresenfläche und ich hob meine Ellenbogen, auf die ich mich gestützt und vor mich hingestarrt hatte.

»Immer noch keine Spur von Brendon?«, fragte er. »Nein, aber langsam werden die Dinge wirklich spannend«, sagte

ich. Dunky blickte mich an, ohne zu begreifen. »Aha«, sagte er. »Es dauert zu lange, es zu erklären«, erwiderte ich. Dunky küm­

merte sich weiter um seinen Tresen und ich dachte: Es gab eine Ver­bindung zwischen dem College und den Cubs. Die beiden Trainer kannten sich. Coach Gorenson war es nicht recht gewesen, dass Steve Furgison und Hank Lerremy mit mir über Verträge und die Liga plau­dern könnten. Und so lag für mich der Schluss nahe, dass Gorenson von den fünf Riesen in Wessleys Küche gewusst haben musste. Hätte er sie mitgehen lassen?

Ferner gab es eine Verbindung zwischen dem Trainer der Cubs und Il Cardinale. Keine sehr freundschaftliche Verbindung. Und dieser Umstand wurde umso interessanter, wenn man bedachte, dass der Trainer praktisch auf The Jar O'Malleys Gehaltsliste stand. Doch das Wissen um diese Querverbindung half mir nichts, solange ich keine Ahnung hatte, was genau gespielt wurde. Morgen früh musste ich Kirk Melcalve irgendeine plausible Erklärung abliefern, was bei seinem Club nicht in Ordnung war. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich signalisierte Dunky und fragte: »Sag mal, bezüglich Antony's? Gibt es einen ent­sprechenden Laden nicht auch hier im Norden? Ich meine, wer auf der North-Side Wetten abschließen möchte, der fährt doch nicht auf die South-Side, oder?«

»Sorry, Pat«, sagte Dunky. Ich ließ mich nicht abspeisen und legte einen Jackson neben meine Serviette. Dunky blickte mich an und erwi­derte: »Hier im Norden? Keine Ahnung.« Damit ging er auf die andere Seite der Bar. Ich steckte den Zwanziger wieder ein. Vielleicht hatte Dunky Angst um seine Stammkundschaft. Aber ich brauchte die Infor­mation unbedingt. Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich sprang auf die Fü­ße, zahlte und machte mich auf den Weg zurück zu Larry & Larry's.

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*

Das Restaurant war vorabendlich gefüllt. Die beiden Coachs saßen nicht mehr in ihrer Nische. Damit hatte ich gerechnet. In diesem Laden konnte man mir bestimmt Auskunft darüber geben, wo Spieler, Wett­freudige und Bookies allabendlich zusammentrafen. Der Mann hinter dem Tresen fragte nach meinen Wünschen und ich erklärte, dass ich mich mit einem Kaffee hervorragend bedient fühlen würde. Neben mir unterhielten sich zwei Männer und ich versuchte es ein weiteres Mal mit meiner Minnesota-Masche.

»Entschuldigen Sie, ich habe gehört, dies sei ein Lokal, in wel­chem ich auch die eine oder andere Baseball-Wette abschließen könn­te.«

Die beiden blickten mich an, als sei ich nicht ganz richtig im Kopf. Schließlich meinte der eine: »Sir, haben Sie schon mal gehört, dass ein Buchmacher eine Wette in einem Diner entgegengenommen hat?« Ich zuckte mit den Schultern.

»Wohl nicht von hier, wie?«, fragte der andere. »Minnesota«, antwortete ich mit dümmlichem Augenaufschlag.

Die beiden nickten. »Also, wenn Sie die eine oder andere Wette abschließen wollen,

dann gehen Sie die Alviston rauf bis zum nächsten Block, da halten Sie sich rechts auf der Jackson und da ist es das Haus an der Ecke.«

Ich tippte mir an die nicht vorhandene Mütze und machte mich auf den Weg. Wie ich in das Speakeasy gelangen sollte, war mir noch schleierhaft, aber ich würde es schon irgendwie schaffen.

In der Jackson angekommen parkte ich den Wagen. Zögernd blickte ich auf die Tür des Eckhauses ein paar Stufen unter mir, deren Klappe geschlossen war. Ohne Passwort hatte ich wahrscheinlich keine Chance. Ich positionierte mich unauffällig in einigem Abstand zur Tür. Lange brauchte ich nicht zu warten.

Ein paar Minuten später gingen ein paar Männer auf die Tür des Speakeasys zu. Ich schlenderte scheinbar uninteressiert genau in dem Moment vorbei, als sich die Klappe öffnete und einer der beiden sagte:

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»In God we trust.« Ich schüttelte den Kopf. Was für ein Kennwort. Die beiden Männer wurden hereingelassen. Ich wartete fünf Minuten, dann brachte das Kennwort auch mich in das Speakeasy.

Der Laden war gefüllt, doch nicht ganz so gut wie sein Pendant auf der South-Side. Ich setzte mich an den Tresen. Doch es lief nicht so glatt wie bei meinem Ausflug in den Süden. Ich erkannte nieman­den und es wollte sich auch mit niemandem ein Gespräch ergeben. Nach fast drei Stunden überlegte ich mir, ob ich mir noch einen letzten Whiskey bestellen sollte, von dem ich wusste, dass es einer zu viel sein würde. Der Abend wäre damit gelaufen und ich hatte noch immer nichts in der Hand.

Ich entschied, erst mal der Toilette einen Besuch abzustatten. Doch noch bevor ich die Tür ganz erreicht hatte, schwang diese nach außen mit einer Wucht auf, die mich rückwärts katapultierte. Ich krachte an die gegenüberliegende Wand und glaubte vor Schmerz das Bewusstsein zu verlieren. Vorsichtig betastete ich meinen Riechkolben, dann blickte ich auf meine Hand. Sie war voller Blut.

Doch niemand schien sich um mich zu kümmern, denn aus der Toilette waren gemeinsam mit der Tür zwei Männer gestürzt und bin­nen kürzester Zeit war das gesamte Speakeasy ein einziger Hexenkes­sel. Stühle flogen, Männer stürzten und Gläser gingen zu Bruch. Vor der Prohibition wären wahrscheinlich ziemlich schnell die Cops ange­rückt, doch da niemand sich traute, sie zu rufen, war eine Schlägerei für jeden Speakeasy-Besitzer eine Horrorvorstellung. Drei bullige An­gestellte des Lokals versuchten, die Kampfhähne zu trennen und ich verzog mich auf die Toilette, um meine Nase zu inspizieren und mir das Blut abzuwaschen, das langsam mein Hemd tränkte.

Ich betrachtete mich in dem welligen Spiegel über dem Waschbe­cken. Die Nase schien nicht gebrochen zu sein. Ich holte mein Ta­schentuch hervor und hielt es unter das kalte Wasser.

Als ich einigermaßen wiederhergestellt war, betraten etliche Män­ner den Waschraum. Der eine hatte ein blaues Auge, der andere eine Platzwunde und wieder ein anderer schien sich einen Finger ausge­renkt zu haben, den man ihm unter lautem Gejammer wieder richtete. Die Schlägerei schien vorüber zu sein.

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Als ich aus der Toilette trat, bot das Lokal einen wüsten Anblick. Der Boden war mit Scherben übersät. Ein Mann war etwas schwerer verletzt. Zwei Männer stützten ihn beim Hinausgehen. Es waren noch einige Gäste da, wahrscheinlich um sich für den Weg zu stärken. Ich nahm erneut am Tresen Platz. Neben mir saß ein Mann meines Alters und schüttelte den Kopf.

»Dass ihr Kerle es euch immer wieder geben müsst. Langsam wird es Zeit für mich, mir ein anderes Lokal zu suchen«, sagte er und be­trachtete missbilligend mein blutgetränktes Hemd.

»Sir, ich habe damit nichts zu tun.« »Es ist jede Woche dasselbe«, fuhr er fort, als hätte er mich nicht

gehört. »Seit die Saison begonnen hat. Ich werde in Zukunft auf der South-Side meine Wetten abschließen. Außerdem schneiden die Italie­ner dieses Jahr sowieso besser ab.«

Ich starrte ihn an. »Die Italiener? Wie meinen Sie das?« »Na, die White Sox.« »Paul«, sagte der Mann neben ihm warnend, doch er fuhr un­

gehalten fort: »Ist doch wahr.« »Gestatten, Sir?«, sagte ich. »Mein Name ist Herb Balter. Minne­

sota.« »Aha«, sagte der Mann und musterte mich. »Ach, dann nichts für

ungut.« Und damit prostete er mir zu. Ich lächelte, was mir einen schmerzhaften Stich durch das Gesicht bescherte und fragte: »Sie sag­ten, Schlägereien gäbe es hier öfters?«

»Ja«, mischte sich der Mann neben ihm erneut ein. »Mein Name ist übrigens Rick. Und das ist mein Schwager Paul. Auch ich habe ge­nug. Es sind meistens Spieler der Cubs, die sich hier in die Haare krie­gen.«

»Warum unternimmt das Management nichts dagegen?«, fragte ich mit gespielter Empörung.

»Das Management«, schnaubte Paul. »Ich habe langsam den Ein­druck, als sei es dem Management ganz recht, wenn in der Mann­schaft nicht alles glatt läuft.«

.»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.

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Paul beugte sich vor und raunte: »Das ist ein Gerücht, verstehen Sie? Also, das Management macht doch vor jeder Saison mit den Spie­lern neue Verträge. Und scheinbar sind die für einige Spieler nicht so lukrativ ausgefallen wie erwartet.«

»Na und?«, fragte ich. »Dann geht der Spieler in der nächsten Saison eben zu einem anderen Club.«

»Das läuft nicht«, sagte Rick. »Wegen der Reserve Clause. Der Spieler darf nicht ablehnen. Ansonsten erhält er bei keinem anderen Club in der Liga einen Vertrag.«

»Ist ja unglaublich«, sagte ich. »Nicht wahr? Die Spieler gehören dem Verein, bei dem sie unter­

schrieben haben, wie Sklaven«, meinte Rick. »Aber dem Management muss doch daran liegen, dass die Spieler

zufrieden sind und das Team sein Bestes gibt.« »Wer weiß, was die reitet«, sagte Paul. »Cheers.« Wir tranken alle

drei. Schließlich zahlte ich, verabschiedete mich und ging zu meinem Wagen. Langsam dämmerte mir etwas. Mir kam Polcovics Tipp wieder in den Sinn. Ich hatte ihn vergessen, da seine Worte für mich bisher keinen Sinn ergeben hatten.

Ich sollte darüber nachdenken, wo ich mich befände. Meine bishe­rige Antwort wäre gewesen: »Bei Antony's. In einem Speakeasy.« Doch nach dem vorherigen Gespräch gab es auch noch eine andere Option: »Auf der South-Side. Im Gebiet der Italiener.« Ich schlug mir mit der Hand an die Stirn, was ich sofort bereute, denn meine Nase schmerzte erheblich. Natürlich! O'Malley sponserte die Cubs und Il Cardinale die White Sox. David Newman, der Trainer der Cubs, handel­te im Auftrag von Il Cardinale. Endlich fielen die Teile des Puzzles an den richtigen Platz. Jetzt brauchte ich nur noch Beweise. Ich setzte mich in meinen Plymouth und blickte auf meine Uhr. Es war acht Uhr. Das Wrigley Field war nicht weit.

*

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Ich lenkte den Wagen auf den dunklen Parkplatz des Stadions. Glückli­cherweise war ein sternklarer Abend heraufgezogen und der Mond erhellte meinen Weg etwas.

Das Stadion lag als dunkle Masse vor mir. Lediglich der Eingang war durch eine Hoflampe beleuchtet, die ihr Licht in die Dunkelheit schickte. Ich war mir nicht sicher, ob das Stadion nachts bewacht wur­de. Vielleicht wohnte Lance, der Mitarbeiter mit den Ärmelschonern, auf dem Gelände und machte allabendlich mit einem Hund die Runde.

Ich traute mich nicht, das Gitter des Haupteingangs zu überklet­tern, da ich von weitem viel zu gut zu beobachten sein würde. Statt­dessen machte ich mich in östlicher Richtung daran, das Gelände zu umrunden. Je weiter ich mich vom Lichtkegel der Hoflampe entfernte, desto langsamer kam ich voran.

Ungefähr zwanzig Meter vom Eingang entfernt erkannte ich die Maschinen für die Baumaßnahmen als schwarze Schatten vor mir. Der Bauzaun bestand aus Holz und ich machte mich mit Hilfe eines nahe stehenden Baumes daran hinüberzusteigen. Durch die Anstrengung begann meine Nase erneut zu bluten und ich fluchte. Das konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.

Auf der anderen Seite empfing mich die Dunkelheit wie eine un­durchdringliche Wand. Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass es sich um die Südtribüne handelte. Da ich mich nur langsam vorwärts tasten konnte, dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis ich sie umrundet hatte.

Endlich erreichte ich das Spielfeld. Der Abgang unter der Westtri­büne war glücklicherweise mit einer Lampe bestückt, die mir den Weg wies. Um die verlorene Zeit wettzumachen, rannte ich auf das Licht zu und schlug in der Mitte des Spielfeldes der Länge nach hin. Ich hatte nicht an die Basepads gedacht.

Mühsam rappelte ich mich auf. Eine Schürfwunde am Ellenbogen rundete jetzt das Bild meiner Verletzungen ab. Vor Wut hätte ich laut aufschreien können. In gemäßigtem Tempo erreichte ich den Westab­gang und untersuchte die Tür. Das Schloss stellte nach einer einge­henden Bekanntschaft mit meinen Dietrich kein weiteres Hindernis dar

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und so befand ich mich kurz darauf in den Katakomben unter dem Stadion. Hier war es totenstill.

Im Umkleideraum, der keine Fenster besaß, traute ich mich, das Licht anzumachen. Es roch nach Feuchtigkeit und Männerschweiß. Ich untersuchte die Spinde. Sie waren allesamt mit Vorhängeschlössern versehen. Ich sah wenig Sinn darin, rund zwanzig von ihnen mit fragli­chem Ergebnis aufzuknacken. Wer von den Spielern würde seinen Ver­trag in seinem Spind liegen lassen?

Ich verließ die Umkleidekabine und tastete mich durch den dunk­len Gang zu Newmans Büro. Auch dieses Schloss widersetzte sich mei­nem Dietrich nicht und auch hier machte ich Licht.

Der Schreibtisch des Trainers war übersichtlich, wenn auch nicht gerade ordentlich zu nennen. Ich setzte mich in seinen Stuhl und be­gann, systematisch die Schubladen zu durchsuchen. Ich fand leere Vertragsformulare, Stifte, Zigarettenpäckchen und Notizblöcke. Ich tastete mit meinen Fingern unter der Schreibtischplatte und dort fand ich einen Schlüssel, der zwischen zwei Schrauben steckte.

Ich betrachtete ihn, dann sah ich mich nach einem Tresor um. Ich fand den Safe, eingelassen in die Hinterwand eines Wandschranks. Neben dem Schloss für den Schlüssel befand sich ein Zahlenrad.

Ich ging zurück zum Schreibtisch, doch sosehr ich auch suchte, ich fand keinen Zettel mit der Kombination. Selbst mit passendem Werk­zeug würde es die halbe Nacht dauern, den Code zu knacken. Bedau­erlich. In dem Safe befanden sich mit Sicherheit die Spielerverträge. Ich steckte den Schlüssel zurück an seinen Platz.

Ich ging in den anderen Raum zurück und setzte mich. Mein nächtlicher Besuch im Stadion schien nicht von Erfolg gekrönt zu wer­den. Ich musste mich mit dem Gedanken anfreunden, dass Melcalve möglicherweise nicht ausreichen würde, was ich bisher herausgefun­den hatte und Brendon und ich das Zeitliche segnen würden. Ich seufzte.

In einer der unteren Schubladen hatte ich in einem abgetrennten Fach einen Flachmann gefunden. Ich roch daran und stellte fest, dass es Whiskey war. Ich genehmigte mir einen Schluck. Mein Blick fiel auf den Zeitungsständer neben dem Bürostuhl, dessen Inhalt ich noch

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nicht untersucht hatte. Mir erschien dies sinnlos, doch ich hatte keine Ahnung, was ich sonst tun sollte.

Doch ich fand etwas, was mir einen anerkennenden Pfiff entlock­te: das Sportjahrbuch des Morton Junior College. Ich blätterte es durch, vor allem um Teddey Wessleys Foto zu finden. Und musste gar nicht lange suchen. Sein Bild war mit einem roten Buntstift eingekreist worden. Und noch ein anderes Gesicht lächelte mir durch eine rote Umrandung entgegen: Steve Furgisons.

Endlich. Ich nahm das Buch an mich und machte mich auf den be­schwerlichen Weg zurück. Ich brauchte über eine halbe Stunde, bis ich meinen Plymouth erreichte.

*

Die sieben Meilen nach Cicero brachte ich in Rekordgeschwindigkeit hinter mich. Ich hatte keine Zeit zu verlieren.

Ich erreichte das College um kurz vor halb zehn und parkte in der Nähe des Eingangs. Ich trat durch das schmiedeeiserne Tor. Dahinter wand sich ein beleuchteter Kiesweg. Auf einer Übersichtstafel gleich hinter dem Eingang suchte ich nach dem Weg zum Studentenwohn­heim auf dem Campus. Es lag abseits der Lehrgebäude in westlicher Richtung. Hoffentlich hatte ich Glück und Steve Furgison wohnte nicht außerhalb.

Nach ungefähr einer halben Meile erblickte ich ein hohes Gebäude mit einem erleuchteten Eingang. Ich passierte die Glastür und blieb in der Halle vor einer Tafel stehen, auf der die Zimmernummern und ihre Insassen verzeichnet waren. Zimmer 16, zweiter Stock, S. Furgison. Na also. Ich stieg die Treppe hinauf, wobei meine Nase unangenehm zu pochen begann.

Steve Furgison öffnete auf mein Klopfen die Tür und wollte sie so­gleich wieder schließen. Doch ich stellte den Fuß dazwischen und gab der Tür einen Stoß, sodass der junge Mann rücklings ins Zimmer fiel.

»Was fällt ihnen ein!«, rief er entrüstet. »Ich werde...« Ich riss ihn vom Boden hoch und beförderte ihn unsanft aufs Bett.

Dann raunzte ich ihn an: »Du wirst gar nichts, Freundchen. Wir wer­

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den uns jetzt erst mal unterhalten und wenn du irgendwelche Mätz­chen machst, sieht dein Gesicht binnen kürzester Zeit so aus wie mein Hemd.« Ich unterstrich meine Worte mit meiner geballten Faust, die ich ihm unter die Nase hielt. Wild wie ich aussah und so wenig zu Scherzen aufgelegt wie ich mich fühlte, wirkte ich wohl glaubhaft ge­nug.

Furgison beobachtete mich forschend. »Was wollen Sie?« »Ein paar Informationen. Teddey Wessley war nicht der Einzige,

für den sich die Cubs interessierten. Sie interessierten sich auch für dich. Teddey ist tot. Du bist noch am Leben. Wie kommt das?«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Mit dieser Reaktion hatte ich gerechnet und ich verpasste ihm eine Ohrfeige, die ihn nach hinten warf. »Du hast mich lange genug zum Narren gehalten. Ein Freund von mir ist in großer Gefahr, weil Leute wie du mir nicht von Anfang an gesagt haben, was eigentlich gespielt wird. Also los! Raus mit der Sprache!«

»Ich habe keine Ahnung. Ehrlich!«, rief Furgison verzweifelt. »Du willst mir also weismachen, dass die Cubs nicht an dich he­

rangetreten sind?« Er schwieg und starrte auf die Erde. »Los! Rede oder ich breche dir sämtliche Knochen!«

»Schon gut, schon gut. Also, es ist wahr, dass der Club sich für mich interessiert. Aber man hat mir bisher nicht so viel Geld geboten wie Wessley.«

»Wie hat man zu dir Kontakt aufgenommen?« »Über den Coach, Mister Gorenson.« »Weiter«, sagte ich ungeduldig. »Nichts weiter. Ich soll nächste Woche anfangen mit der Mann­

schaft zu trainieren.« Ich starrte ihn an. »Aber die Saison hat doch bereits begonnen.

Du bist am College. Wie soll denn das gehen?« »Es war nicht leicht für mich. Aber ich habe mich entschieden. Ich

schmeiß das College. So eine Chance bekomme ich nicht noch einmal. Das sind die Cubs, Mister.«

Plötzlich fragte ich: »Hast du Teddey Wessley umgebracht?«

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»Sir, ich.... wie können Sie so etwas sagen? Nein. Natürlich nicht. Er war mein Freund.«

»Aber jetzt hast du seinen Vertrag, oder nicht?« »Ich wusste doch gar nichts davon. Er hat immer nur Andeutun­

gen gemacht. Erst als Sie die fünf Riesen erwähnten, ergab die Sache für mich einen Sinn.«

»Er hat sich dir nicht anvertraut?« »Nein.« Und nachdenklich fuhr er fort: »Und ich möchte wissen,

wie er das angestellt hat. Mir hat man nicht so viel geboten.« Ich verkniff mir die Bemerkung, dass Wessley vielleicht ein besse­

rer Spieler gewesen sein könnte als er. Stattdessen fragte ich: »Wie viel hat man dir geboten?«

»Tausend Dollar, Sir.« Wir schwiegen beide. Dann sagte ich: »Ich verstehe nicht, warum sich der Verein überhaupt Spieler vom College holt. Nichts für ungut, aber die Minor League ist voll von Talenten. Warum wird so weit zurückgegriffen?«

»Das ist mir ehrlich gesagt egal, Sir.« »Und dass dein Freund tot ist, das ist dir wohl auch egal.« Furgisons Augen füllten sich mit Tränen. »Nein«, sagte er schließ­

lich. »Aber das kann nun auch niemand mehr ändern.« »Junge, bist du dir denn nicht darüber im Klaren, was das für dich

bedeuten kann? Dein Freund schwamm mit einer Kugel in der Brust im Chicago River. An deiner Stelle würde ich aufpassen, dass ich nicht in seine Fußstapfen trete.«

*

Ich ließ den jungen Mann zurück, der wie ein Häuflein Elend auf den Fußboden seines Zimmers starrte und verließ das Wohnheim. Für mich bestand kein Zweifel mehr: Der Dreh- und Angelpunkt der Baseball-Affäre hieß David Newman. Wobei der Coach des College-Teams sein Komplize sein musste.

Ich überlegte, ob ich dem Trainer selbst noch einen Besuch ab­statten sollte, um die fehlenden Details zu erfahren, oder ob ich dies Kirk Melcalve überlassen sollte. Als ich im Auto saß, fühlte ich auf ein­

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mal die Erschöpfung wie einen schweren Umhang. Es würde das Beste sein, sich erst einmal bei Dunky zu stärken und erst danach weitere Schritte zu unternehmen. Doch als ich das Speakeasy vor mir auftau­chen sah, erinnerte ich mich plötzlich meines blutüberströmten Hem­des und entschloss mich, nach Hause zu fahren.

Ich bog in südlicher Richtung auf die North Clark ab. Im Hausflur war das Licht ausgefallen und ich tastete nach meinen Streichhölzern. Ich riss eines an meinem Absatz an und machte mich auf den Weg die Treppe hinauf. Vor meiner Wohnungstür fingerte ich im Dunkeln nach meinem Schlüssel. Doch ich hatte die Wohnung kaum betreten, als mir jemand einen Schlag auf den Kopf verpasste. Mir wurde schwarz vor Augen.

»Bourbon, Mister Connor?«, fragte mich David Newman liebens­würdig, als ich etwas später in einem meiner Wohnzimmersessel zu mir kam. Er hatte sich großzügig aus meiner geheimen Hausbar in der Anrichte bedient. Ich nickte und untersuchte meinen Hinterkopf, der eine große Beule aufwies. Ich wollte aufstehen, doch Newman sagte: »Nicht so schnell, Connor.« Er gab mir einen kleinen Stoß und ich blieb vollkommen benebelt sitzen.

»Was soll das?«, fragte ich, nachdem ein Schluck Bourbon meine Lebensgeister wieder belebt hatte.

Der Trainer antwortete mir nicht gleich. Ich betrachtete ihn. Sein schmaler Körper und seine feingliedrigen Hände hätten ihn eher als ei­nen Musiker oder Dirigenten durchgehen lassen. Er trug ein schwarzes Jackett und hatte seinen Hut über die Armlehne des Sessels gehängt. Seine Augen sahen aus wie zwei dunkle Knöpfe.

Ich hatte gelernt, vor solchen Augen auf der Hut zu sein. Ich blin­zelte ihn müde an. Die Erschöpfung drohte mich zu übermannen. Die Frontseite meines Kopfes schmerzte, als hätte ich eine Granitmauer geküsst und die Beule an meinem Hinterkopf schien von Minute zu Minute größer zu werden. Immer noch trug ich das blutdurchtränkte Hemd. Es verbreitete inzwischen einen unangenehm süßlichen Geruch, der mir trotz meiner lädierten Nase einen Würgreiz bescherte.

Mittlerweile hatte ich auch Newmans 38er entdeckt, den er auf seinem Knie balancierte. Das Einzige, was mir meine Lage etwas er­

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träglicher machte, war Newmans blaues Auge und seine aufgeplatzte Lippe. Warum sollte es ihm besser gehen als mir?

»Newman, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich mir etwas anderes anziehen und mir eine Zigarette aus der Tasche nehmen dürfte. Und dann verraten Sie mir vielleicht, was Sie von mir wollen.«

»Connor, ich glaube kaum, dass Sie in der Position sind, Bedin­gungen zu stellen. Für meinen Geschmack haben Sie sich bereits viel zu viel bewegt.« Erholte ein silbernes Etui aus der Tasche seines Ja­cketts und warf mir eine Zigarette zu. Auf dem Beistelltisch zwischen uns befand sich eine Schachtel mit Streichhölzern. Ich inhalierte den Rauch. Langsam kehrte mein Erinnerungsvermögen zurück. Ich hatte mit Steve Furgison gesprochen und war dann nach Hause gefahren, um mich umzuziehen. Schließlich fragte ich: »Wer hat Teddey Wessley ermordet?«

Newman lächelte ein eiskaltes Lächeln und sagte: »Ich.« Mein Atem stockte. Es konnte nur einen Grund geben, warum

Newman mir dieses Geständnis so freimütig machte: Ich sollte diesen Raum nicht lebend verlassen. Äußerlich ungerührt fuhr ich fort: »Ha­ben Sie ihm die Fünftausend gezahlt?« Newman nickte.

»Warum?«, fragte ich. »Die kleine Ratte hat mich erpresst. Ihm war der Riese Handgeld

von den Cubs nicht genug.« »Womit hat er Sie erpresst?« Newman antwortete nicht. Er zog an seiner Zigarette. »Newman, wofür hat Teddey Wessley so viel Geld erhalten?«,

hakte ich nach. Anstatt auf meine Frage einzugehen, erwiderte Newman ohne er­

kennbaren Zusammenhang: »Verstehen Sie etwas vom Baseball, Con­nor?«

Ich zuckte die Achseln. »Das Nötigste«, erwiderte ich. »Dann wissen Sie nicht, wie es ist, auf dem Feld zu stehen und

Fähigkeiten mit einem Ball zu erlangen, der einen jederzeit töten kann. Das kann nur der verstehen, der selbst Baseball gespielt hat. Wie es ist, die Beobachtungsgabe und Reaktionsgeschwindigkeit auf ein Ma­ximum zu steigern. Dieser Sport ist eine Sucht, Connor.«

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Warum erzählt er mir das, fragte ich mich, doch ich hielt es für besser, ihn fortfahren zu lassen.

»Ich war ganz oben, Mister Connor. Ich war wirklich gut. Doch dann hatte ich einen Unfall. Ich habe mir eine Sehne im Arm verletzt und aus war es mit der Profi-Liga. Daraufhin hat das Management der Cubs mir die Stelle als Trainer angeboten.«

»Damit können Sie doch sicher ganz zufrieden sein.« »Zufrieden!«, schnaubte Newman. »Ich verdiene weniger als

mancher von den Spielern. Aber darum geht es nicht.« »Und worum geht es, Newman?«, fragte ich leise. Er betrachtete

mich und ich fuhr fort: »Sie haben im Auftrag der Italiener für Unruhe unter den Mannschaftsmitgliedern der Cubs gesorgt, stimmt's? Damit die Wettgemeinde in dieser Saison dem Club schlechtere Gewinnchan­cen einräumt und die Iren Verluste einfahren.«

»Und wie sollte ich das Ihrer Meinung nach bewerkstelligt ha­ben?«, fragte mich Newman interessiert.

»Durch Knebelverträge und ungerechte Prämienzahlungen, gegen die sich die Spieler auf Grund der Reserve Clause nicht auflehnen konnten. Doch Sie sind noch weiter gegangen. Sie hetzten die Spieler gegeneinander auf.« Newman lächelte mich an, während ich das sagte und mich fröstelte.

»Sie sind wirklich gut, Connor. Wie haben Sie das nur herausge­funden?«

Ich zuckte die Achseln und fragte: »Wie konnten Sie sich dafür nur hergeben?«

»Für Geld«, erwiderte Newman ungerührt. »Mir ist dafür viel Geld geboten worden und ich werde damit nach Europa fahren und mir meinen Arm von den besten Ärzten der Welt wieder in Ordnung brin­gen lassen.«

»In Ordnung bringen?«, fragte ich entgeistert. »Um wieder spielen zu können, Mister Connor.« »Spielen?«, fragte ich ungläubig. »Sie meinen, Sie wollen zurück

in die Profi-Liga? Als Spieler?« »Ganz recht. Ich habe lediglich drei Jahre verloren. Ich kann es

noch schaffen. Durch das Angebot der Italiener rückte mein Traum in

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greifbare Nähe. Doch mir ist Teddey Wessley in die Quere gekommen. Zuerst wollte er fünftausend und schließlich noch mehr. Es musste ein Ende haben.«

»Womit hat er Sie erpresst?« »Er hatte ein Telefonat mit den Italienern belauscht.« »Warum haben die Italiener Sie gestern zusammengeschlagen?« »Sie sind mir also gefolgt«, stellte Newman fest. »Die Italiener

waren mit meiner Arbeit nicht zufrieden. Zum einen hatte ich mich von Wessley erpressbar gemacht und es stand zu befürchten, dass die Iren von der Sache Wind bekommen würden.«

Mit Unbehagen verfolgte ich, dass Newman begonnen hatte mit seinem 38er zu spielen.

»Doch warum interessierten Sie sich überhaupt für einen Spieler wie Wessley?«, fragte ich, ohne Newman aus den Augen zu lassen.

»Weil der Junge bekanntermaßen als ein Talent galt. Und so wür­de das Management sich nicht wundern, dass ich ihn anwarb. Derlei Entscheidungen wurden mir überlassen. Er war jedoch noch nicht reif für die Liga und würde mit Sicherheit eine Menge Fehler machen.«

»Welche die Leistungen der Mannschaft zusätzlich schmälern wür­den«, ergänzte ich. »Ein gefährliches Spiel. Zudem war es doch nur eine Frage der Zeit, bis der eine oder andere Spieler sich für die un­gerechten Zahlungen an Ihnen rächen würde.«

»Für die jährlichen Verträge bin ich nicht allein verantwortlich. Das wissen die Spieler. Ich bin lediglich zuständig für die Festlegung der Prämienzahlungen. Und wie soll ein Spieler beweisen, dass er eigent­lich eine bessere Prämie verdient hätte? Das Management vertraut mir. Und wenn der eine oder andere Spieler handgreiflich würde, dann würde er aus dem Team fliegen. Und das wäre dann das Ende seiner Profi-Karriere.«

»Ein mieses Geschäft«, sagte ich. »Sie haben sich für ein paar lausige Dollar verdingen lassen.«

»Ich bin Sportler, Connor. Etwas anderes interessiert mich nicht.« Ich schnaubte verächtlich und Newman zuckte mit den Schultern.

Er blickte auf seinen 38er und als er mich schließlich ansah, bleckte er die Zähne.

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»Sie sind der Zweite, der mir in die Quere kommt. Und ich werde Sie zum Schweigen bringen, bevor Sie weiteres Unheil anrichten kön­nen.«

»Haben Sie gar keine Angst?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen. »Angst? Wovor? Das Leben hat mir das Wichtigste bereits ge­

nommen. Wenn ich meine Fähigkeit Baseball zu spielen nicht zurück­erhalte, habe ich nichts mehr zu verlieren.«

Ich überlegte fieberhaft, wie ich weitere Zeit gewinnen konnte und fragte: »Warum hat Hank Malcolm Sie gestern aufgesucht?«

»Er war stinksauer. Er hatte von Ihnen erfahren, dass ein Grün­schnabel wie Wessley fünf Riesen erhalten hatte. Das war mehr, als er selbst bekam. Es war gar nicht so leicht, ihn wieder abzuwimmeln. Unglücklicherweise hatte er Ihren Namen vergessen. Die Spieler sind manchmal nicht die Hellsten, wissen Sie. Doch glücklicherweise haben Sie sich ja wenig später selbst zu erkennen gegeben.«

»Und Sie waren es auch, der die Fünftausend aus Teddey Wess­leys Wohnung wieder verschwinden ließ.«

»Sehr richtig. Allerdings musste ich zweimal hin, um es zu finden. Was mich erstaunte, war, dass ich die Scheine schließlich lose in der Küchenschublade fand. Obwohl ich dort bereits bei meinem ersten Besuch nachgesehen hatte.«

Ich grinste ihn an und er sagte: »Alle Achtung, Connor. Da steck­ten Sie also auch dahinter.«

»Wo ist Sid Fielder?«, fragte ich, glücklich, dass mir eine weitere Frage eingefallen war.

»Sid... wer?«, fragte Newman. »Nie von ihm gehört. Wer soll das sein?«

»Nicht so wichtig«, erwiderte ich. Falls Newman wirklich nicht wusste, wer Fielder war, machte es keinen Sinn, den Jungen in Gefahr zu bringen.

»So, Connor«, sagte Newman und richtete sich in seinem Sessel auf. »Und nun ist die kleine Fragestunde beendet.«

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als ich einen lauten Schrei ausstieß und zum Fenster deutete. Newman blickte erschrocken in diese Richtung und ließ für einen Moment seinen 38er aus den Augen.

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Ich griff nach der Waffe. Doch leider war ich nicht so schnell, wie ich glaubte. Newman bemerkte zu früh, was ich vorhatte.

Kämpfend stürzten wir beide auf die Erde. Dabei fiel der Beistell­tisch mit der Lampe um. Newman war eindeutig im Vorteil. Obwohl er kleiner war als ich, war er drahtig und unverletzt. Wir rangen mitein­ander und ich fühlte bald, wie meine Kräfte nachließen. Newman be­gann mich zu würgen. In meiner Panik ruderte ich mit den Armen und versuchte ihn abzuwehren. Es gelang mir nicht.

Ich bekam keine Luft mehr und meine verletzte Nase begann wild zu pochen. In meiner Verzweiflung tastete ich erneut nach dem 38er, der zu Boden gefallen war. Newman spürte meinen Versuch und drückte umso fester zu. Plötzlich fühlte ich die Waffe. Zwar war es stockdunkel, doch ich richtete sie auf Newmans Schatten über mir und drückte ab.

Er ließ mich beinahe augenblicklich los und begann zu röcheln. Ich bemühte mich aufzustehen. Mein malträtierter Kehlkopf ließ mich wür­gen und husten. Ich tastete nach dem Schalter für das Deckenlicht.

Dann blickte ich auf Newman. Der lag mit weit aufgerissenen Au­gen auf dem Teppich in der Mitte des Raumes und starrte mich an. Eine Blutlache unter ihm wurde von Sekunde zu Sekunde größer. Zu meinem Entsetzen streckte er seine Hand nach mir aus und rief heiser meinen Namen. Ich zögerte, dann trat ich näher, kniete neben ihm nieder und ergriff seine Hand.

»Connor«, flüsterte er noch einmal. Dann brachen seine Augen.

*

Ich wankte erschöpft aus dem Polizeipräsidium. Immer noch trug ich mein blutverschmiertes Hemd, doch die Schmerzen an meinem Körper fühlte ich nicht mehr. Wieder und immer wieder hatte ich die Gescheh­nisse unterschiedlichen Officern zu Protokoll gegeben. Der Letzte war Captain Hollyfield, der mir scheinheilig zur Aufklärung des Teddey-Wessley-Falls gratulierte.

Über den Wettbetrug hatte ich kein Wort verloren. Es war besser, wenn die Polizei von einem Erpressungsfall ausging. Noch war Bren­

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don nicht in Sicherheit. Um halb fünf in der Frühe erhielt ich offiziell die Erlaubnis, in meine Wohnung zurückkehren zu dürfen. Auf der Hauptstraße vor dem Präsidium wäre ich beinahe überfahren worden. Der Officer am Gate holte mich zurück und beorderte einen Streifen­wagen, mich nach Hause zu fahren.

Als ich endlich in meiner Wohnung ankam, war ich zu erschöpft, um der Blutlache David Newmans weitere Beachtung zu schenken. Die Leiche war inzwischen abgeholt worden. Ich zog mich aus, warf mich auf mein Bett und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von zwei Laufburschen Melcalves geweckt. Irgendwann würde ich mir doch einmal ein ordent­liches Schloss für meine Wohnungstür besorgen müssen. Sie ließen mir nicht viel Zeit, mich von einem Wrack in eine halbwegs menschliche Erscheinung zu verwandeln.

Als ich vor Kirk Melcalve im Davis Hotel saß, kam mir der Whiskey, den er mir anbot, gerade recht. Ich rauchte die erste Lucky des Tages gemeinsam mit ihm und erzählte ihm, was ich herausgefunden hatte. Melcalve hörte mir aufmerksam zu. Dann sagte er: »Der Trainer hatte sich also von den Italienern bestechen lassen. So etwas Ähnliches hat­te ich mir bereits gedacht.«

»Wenn Sie es bereits wussten, warum haben Sie dann mich be­auftragt?«, fragte ich beinahe wütend.

»Es war eine Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schla­gen. Wir brauchten eine Handhabe gegen den Schmierfinken und konnten ihm nicht einfach den Garaus machen. Sich in diesem Land mit der Presse anzulegen ist keine gute Idee. Und du warst der Sache bereits auf der Spur. Außerdem kannst du dich verhältnismäßig frei zwischen den Fronten bewegen. Meine Männer hätten es schwer ge­habt, so schnell herauszufinden, was los ist.«

Auf einmal befiel mich eine unglaubliche Müdigkeit.

»Siehst nicht wirklich frisch aus«, bemerkte Melcalve. Ich nickte und fragte: »Wo ist Brendon jetzt? Und dann vermisse ich noch einen jungen Studenten. Sein Name ist Sid Fielder.«

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»Der Erste ist wohlauf und ich denke, bereits auf dem Weg nach Hause. Den Namen des Zweiten habe ich noch nie gehört. Wer ist das?«

»Der junge Mann wohnt in der gleichen Pension wie das ermorde­te Baseball-Talent.« Melcalve zuckte mit den Schultern.

»Darf ich meinen 38er wiederhaben?«, fragte ich. Melcalve schnippte mit den Fingern. Ich erhielt die Waffe zurück. Selbstver­ständlich ohne Munition. Dann trank ich mein Glas leer und verab­schiedete mich. Der Ire sagte: »Es war mir eine Freude, Connor. Aber lass dich nicht so schnell wieder blicken.« Damit prostete er mir zum Abschied zu. Seine Nervensägen führten mich aus dem Hotel.

Bevor ich vor meinem Apartment ausstieg, steckte mir einer der Handlanger unsanft etwas in die Brusttasche. Ohne nachzusehen, was es war, wankte ich die Treppe hinauf und öffnete die Tür. In dem Ses­sel, in dem gestern noch David Newman gesessen hatte, saß jetzt Brendon. Doch bevor ich meiner Freude und Erleichterung Ausdruck verleihen konnte, rief mein Freund vorwurfsvoll: »Mein Gott, musst du mich so erschrecken? Ich musste im Polizeipräsidium anrufen, um zu erfahren, dass dies nicht deine Blutlache ist.«

*

In meiner Brusttasche befanden sich, sauber zusammengefaltet, fünf Hunderter - das Honorar für meine Schnüffeltätigkeit. Dass es von dem Irenboss stammte, störte mich nicht. Ich konnte das Geld gut gebrauchen. Außerdem benötigte ich ein paar Tage Urlaub.

Sid Fielder fand sich wieder ein. Er hatte sich für einige Zeit aus dem Staub gemacht, nachdem in der Zeitung von Wessleys Ermordung berichtet worden war. Er hatte David Newman mehrmals beobachtet und fürchtete um sein Leben. Mittlerweile hat er seine Studien am Morton Junior College wieder aufgenommen.

Jeanne Thayer kam kürzlich in mein Büro und überreichte mir ei­nen Scheck für meine Arbeit. Sie trägt immer noch Trauer, obwohl ihr inzwischen zu Ohren gekommen ist, dass ihr ehemaliger Verlobter kei­

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ne ganz saubere Weste hatte. Ich denke, in ein paar Wochen werde ich sie fragen, ob sie mit mir ausgehen möchte.

Ende

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