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Der Stalburgaltar im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt am Main

Date post: 07-Jun-2015
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Es handelt sich um die im Fach Kunstgeschichte an der Universität Trier 1995 abgeschlossene M.A.-Arbeit mit dem Titel: Der Stalburgaltar im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt am Main; s. hierzu: http://www-alt.uni-trier.de/kunstgeschichte/gradu_ma.html
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Der Stalburgaltar im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt am Main
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Der Stalburgaltar im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt am Main

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Inhalt 1 Einleitung 2 Der Altar und seine thematische Darstellung 2.1 Die Außenseiten der Flügel 2.2 Die Innenseiten der Flügel 2.3 Hypotetische Rekonstruktion der Mitteltafel 2.4 Die thematische Gesamtheit des Altares 3 Kulturgeschichtliche Stellung des Altares 4 Der Altar und seine Ikonografie 4.1 Ikonografische Stellung der Portraitafeln 4.2 Ikonografische Stellung der Außenflügel 4.2.1 Ikonografische Stellung des Schmerzensmann 4.2.2 Ikonografische Stellung der Schmerzensmutter 4.3 Ikonografische Stellung der hypotetisch rekonstruierten Mitteltafel 4.4 Ikonografie des gesamten Altares 5 Arma Christi 6 Die malerische Wirkung des Altares 7 Stifterbildnisse 7.1 Historischer Überblick ganzfiguriger Stifterbildnisse 7.2 Kryptoportraits 8 Der Präsentationsraum Stalburg 8.1 Die Stalburg 8.2 Die Stalburgkapelle 9 Zuschreibung und Provenienz des Altares 10 Die Auftraggeber 10.1 Biografie Klaus Stalburg 10.2 Biografie Margarete von Rhein

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11 Der Rosenkranz 11.1 Das Rosenkranzbild 11.2 Die Rosenkranzdarstellungen des Altares 11.3 Die Geschichte des Rosenkranzes 11.4 Die Geschichte der Rosenkranzbruderschaften 11.5 Die Rosenkranzbruderschaft in Frankfurt 12 Geistesgeschichtlicher Hintergrund 13 Theoretische Grundlagen 13.1 Johannes Gerson 13.2 Johann Geiler von Kayserberg 13.3 Giorlamo Savonarola 13.4 Alanus de Rupe 13.5 Adolf von Essen 14 Schlußfolgerung 1 Einleitung Ziel dieser Arbeit ist es, die bisherigen, meiner Meinung nach zu kurz greifenden Ansätze einer adäquaten Annäherung an den Wesensgehalt des Hausaltares der Frankfurter Stalburg auf der einen Seite neu zu formulieren und auf der anderen um völlig neue Aspekte, die in der bisherigen Forschung keine Erwähnung fanden, zu erweitern; denn allein diesen ist es zuzugestehen, den Altar nunmehr in seiner Gesamtheit zu betrachten, welche es darüber hinaus erlaubt, ihn in den historischen, soziologischen und religiösen Kontext der Zeit um 15oo einzubeziehen. Völliges Unverständnis kam bei mir dahingehend auf, nachdem ich in die Methodik der bisherigen wissenschaftlichen Ansätze Einblick genommen habe: das Kunstwerk wurde seziert und in seine Einzelteile zerlegt. Im Anschluß wurde der Versuch unternommen, diese Bruchstücke in der kunstgeschichtlich wissenschaftlichen Weise zu bewerten, wobei die Kunsthistoriker auf der einen Seite zu respektablen Ergebnissen gelangten, wie zum Beispiel dasjenige, in ihm das Abbild eines Kupferstiches Albrecht Dürers und eines Gemäldes Hans Holbeins d.Ä. als Vorbilder für die

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Außentafeln unseres Altares zu erkennen1, auf der anderen Seite aber auch zu ganz absonderlichen , nämlich in den auf den Innenseiten der Altarflügel dargestellten Stiftern Claus Stalburg und Margarete von Rhein "autonome Porträts"2 zu sehen. Wie auch immer das wissenschaftliche Forschungsergebnis geartet war, diente es nicht als Katalysator zu weiteren, tieferen Wahrheiten, sondern als eine Zielmaßgabe, also als ein Höhepunkt beziehungsweise Endpunkt der Forschung und einer letztendlich zu erzielende Wahrheit. Die Ergebnisse wären besser als eine Vorbereitung auf den Wesensgehalt, also als ein Durchgangsstadium, nicht aber als ein Endresultat oder Ziel angesehen worden. Anstatt die neuentdeckten Mosaiksteinchen zu einer Gesamtkomposition zusammenzusetzen, wurden sie, dem derzeitigen Zustand des Altares sehr ähnlich3, vereinzelt und zerstückelt, was schließlich wohl zu der Meinung führte, es handele sich bei diesem Kunstwerk um ein zweit-, ja drittrangiges Altargemälde4, welches einer tiefergehenden wissenschaftlichen Beschäftigung nicht würdig sei! Und dementsprechend wurde auch noch nie der Versuch unternommen, den Wesensgehalt des Altares zu ergründen; vielmehr wurde er lediglich als Objekt für Künstlerzuschreibungen beziehungsweise Künstlerabschreibungen angesehen. Eine andere, tiefergehende Bedeutung scheint der Altar, unter Berücksichtigung der derzeitigen Forschungslage, nicht zu besitzen. Demgemäß hat auch die neueste Literatur das Kunstwerk nur noch als einen Gegenstand angesehen, die sich ausschließlich Zu- und Abschreibungsfragen widmet5. Ich beabsichtige in meiner Arbeit dem Altar seine doch bestimmt vorhandenen Geheimnisse, die er bis heute für sich behalten durfte, zu entlocken. Ich betrachte den Altar der Stalburg als eine Gesamtheit, erfülle ihn mit dem Leben der Zeit, in der er gemacht wurde und versuche die Personen zu reaktivieren, die für die Erstellung des Werkes verantwortlich zeichneten. All diese Antworten müssen als Schlüssel für die Lösung der Rätsel und der lange gehüteten Geheimnisse gesehen werden.

1Paul Eich, Die Flügel des Stalburgaltares, in: Städel Jahrbuch 1967, S. 140 - 145 2Hubert Froning 3Der Altar, der sich im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurf befindet, ist an einer Wand, die in der Mitte durch eine Tür durchbrochen ist, ausgestellt. Zur linken der Tür befinden sich die Außentafeln mit der Darstellung der Schmerzensmutter und des Schmerzensmannes, zu dessen rechten die beiden Innentafeln mit den Portraits der Margaret von Rhein und Claus Stalburg. Dem Betrachter werden somit die vier Tafeln als thematisch nicht zusammenhängend vor Augen geführt. 4Hubert Froning 5W. Lücking, Mathis, 1983, Ute Nortrud - Kaiser, Jerg Ratgeb

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Der Stalburgaltar muß, und damit greife ich bereits vor, als eine im mittelalterlichen Sinn der Religion dienende Kunst verstanden werden. Sein sozialer Ort ist der der Kapelle, nicht der fürstlichen Kunstkammer oder bürgerlicher Sammlung autonomer Tafelbilder. Daraus resultiert, daß das bisherige Verständnis des Triptichons zumindest an zwei wesentlichen Stellen revidiert werden muß: zum einen wurde der Altar nicht als solcher gesehen, sondern immer wieder als autonomes Bild, dessen eigentlicher Sinn in den Portraits zu finden ist, woraus zum anderen resultiert, daß er als ein Kunstwerk verstanden wurde, dessen fehlender religiöser Charakter immer wieder erwähnt wurde. 2. Der Altar und seine thematische Darstellung Bei dem Altar hadelt es sich um ein Triptichon, dessen Flügel klappbar zu denken sind und im geschlossenen Zustand die Mitteltafel vollständig bedeckten. Diese zentrale Mitteltafel, die eine Kreuzigung zeigte, ist leider verloren gegangen. Die beiden Außenflügel zieren die Darstellung der Schmerzenmutter und des Schmerzenmannes; auf den Innenseiten der Flügel sind die beiden ganzfigurigen Portraits der Stifter Margarete von Rhein und Claus Stalburg dargestellt. 2.1 Die Außenseiten der Flügel Die Flügelaußenseiten isolieren Christus und Maria aus dem Zusammenhang einer kontinuierlichen Passionserzählung. Damit erweisen sich die Außentafeln als zur privaten Andacht bestimmt, in denen als zentrale Elemente die passio und compassio6 mit dem leidenden Christus und seiner trauernden Mutter zum Ausdruck kommt. Die Darstellung des Schmerzenmannes verknüpft mehrere christologische Themen. Auf der einen Seite zeichnet die Dornenkrone Christus als "Ecce Homo" aus, auf der anderen weisen die blutverschmierten Wundmale an Händen, Füßen und der Seite auf die abgeschlossene Kreuzigung hin. Der Gottessohn ist als lebendig leidender dargestellt, dessen Passion ein Ende gefunden hat und der sich nunmehr in einem Übergangszustand zwischen Leben, Tod und Auferstehung befindet. Diese Wiederverlebendigung des geopferten Heilands sollte den Andächtigen die Möglichkeit geben, das Gefühl der Mittrauer um Christus zu einem Gefühl des Mit - Leidens mit Christus zu 6Im Neuen Testament wird Maria in der Passionsgeschichte Joh. 19, 26 f. zusammen mit Johannes genannt. Sie erleben das Sterben des Herrn mit ihm und werden zum Inbegriff der compassio mit Christus. vgl. hierzu auch: Gertrud Schindler, Ikonografie der christlichen Kunst, Band 4,2, Maria, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 1980, S. 216

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vertiefen, als ihm auch die Gewißheit zu verschaffen, daß der Erlöser nach seinem menschzeitlichen Tode für die Errettung der Sündigen lebe und wirke, die Seelen der Verstorbenen labe und vor seinem Vater für sie bitten werde.7 Die ihm zur Seite gestellte Maria ist als Mater Dolorosa wiedergegeben. Ihre Tränen deuten sowohl die Schmerzen Christi an, die er während der Passion hat erleiden müssen, als auch ihr eigenes Mit - Leiden. Das psychische Mitleiden, die compassio, hat zum Nachleben der Passion geführt, Maria ist zur Concrufixa geworden. Der Ausdruck ist -- worauf Otto von Simson aufmerksam gemacht hat8-- von Thomas a Kempis gebraucht worden, dem Autor der Imitatio Christi, in der vom Gläubigen mehr als Mitfühlen verlangt wird und der zum Nachleben, zum mystischen Einswerden mit den Leiden des Erlösers aufgefordert wird. Otto Pächt zu Folge zeichnet sich in Rogier van der Weydens "Kreuzabnahme"9 "die großartigste sichtbare Verkörperung der Idee der zur Imitatio Christi gesteigerten Compassio"10 ab. Es muß aber ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß er auf das sichtbare, optische, das visuell greifbare dieser Ideenverkörperung explizit aufmerksam gemacht hat. Im Kreuzigungsaltar der Stalburg wird diese compassio in einer gänzlich anderen Art und Weise zum Ausdruck gebracht. Hier spielt nicht mehr das Sichtbare eine entscheidendere Rolle, an dessen Stelle trat das Geistige, Mystische, ja, wenn man so will das Intellektuelle. Die den Rosenkranz betenden Stifter versenken sich so sehr in die zur imitatio Christi gesteigerte compassio, sodaß es für den Künstler nicht mehr notwendig war, den hierfür notwendigen Bezug auch künstlerisch formal zum Ausdruck zu bringen, die geistig - mytische Grundlage reicht für das von Thomas a Kempis geforderte Einswerden mit den Leiden des Erlösers unzweifelhaft aus. Künstlerisch betrachtet wird damit der Frankfurter Altarzu einem intelektuellen Spielfeld, welches nur von denen betreten werden kann, die eine hinreichende theologische Schulung vorzuweisen in der Lage sind, da sich ihnen ansonsten die Wesenszüge nicht entschlüsseln. Wichtiger jedoch ist das pächtsche Verständnis von passio und compassio! Dieser sieht beide ausschließlich bildimmanent tätig, das heißt, Christus übernimmt die Rolle

7Erwin Panofsky, Imago pietatis, in: Festschrift für Max J. Friedländer, Verlag E.A. Seemann, 1927, S. 283 - 284 8Otto von Simson, Compassio and Co-redomptio in Rogier van der Weyden´s Descent from the Cross, in: Teh Art Bulletin 35, 1953, S. 9 - 16 9Rogier van der Weyden, Kreuzabnahme, Madrid, Prado, Inv. Nr. 10Otto Pächt, Altniederländische Malerei, von Rogier van der Weyden bis Gerard David, hrsg. von Monika Rosenauer, Prestel 1994, S. 27

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der Passion, Maria Johannes, Maria Magdalena usf. übernehmen die Funktion der compassio, sie alle erscheinen bildmäßig isoliert, stellen keinen Bezug zur Außenwelt her. Im Städelschen Altarbild ist der Aspekt der compassio vor allem nach außen gerichtet, wobei die Stifter eine Vermittlerinstanz gegenüberdem Gläubigen einnehmen, sie sind als Ideal zu verstehen, welches jedem Gläubigen als Vorbild gereichen möge und nehmen damit die Stellung ein, die in traditionsgebundenen Altären die Heiligen einnahmen. Erst jetzt ist die Forderung Thomas a Kempis, der vom Gläubigen mehr als mitfühlen verlangt, vielmehr zum mystischen Einswerden mit den Leiden des Erlösers auffordert auch bildnerisch zum Ausdruck gekommen! 2.2 Die Innenseiten der Flügel Dargestellt ist das frankfurter Patrizierehepaar Margarete von Rhein und Claus Stalburg. Beide sind als stehende, fast lebensgroße Ganzfiguren vor einem Goldbrokatteppich und Goldgrund mit geschnitztem Maßwerk dargestellt. Auf den Holzleisten der Umrahmung finden sich erneuerte Inschriften. Die auf Margarete bezogene hat an der oberen Rahmenleiste folgenden Wortlaut: "dusent ° fünf ° hundert ° und ° fier jar" und unten "Margret ° stalburgery / also was ich ° gestalt ° do ° ich 20 jar ° was ° alt". Die Claus Stalburg gewidmete Inschrift hat einen gleichklingenden Wortlaut und einen identischen Aufbau. Oben: "dusent ° fünf ° hundert ° und ° fier jar"; unten: "clas ° stalburgk / also was ° ich ° gestalt ° da ° ich ° 35 ° iar ° was ° alt". Die beiden auf den Innentafeln dargestellten Portraits von Margarete von Rhein und Claus Stalburg sind auf der einen Seite als Stifterportraits zu verstehen, auf der anderen als eine ästhetische Äußerung der Religionsauffassung der Zeit. So sind sie nicht nur als annähernd lebensgroße ganzfigurige Bildnisse aufgefaßt, die jeweils einen Flügel für sich allein in Anspruch nehmen dürfen, sondern darüber hinaus als aktive Gläubige den Rosenkranz betend, und damit als eigenmächtig mit Christus und Maria in Kontakt tretende aufgefaßt. Eine unmittelbar aktive Religionsausübung findet in diesem Altar, anscheinend zum ersten mal, Darstellung. 2.3 Hypothetische Rekonstruktion der Mitteltafel Ob sich dieser kompositorische Aufbau wohl auch auf die Mitteltafel weiter erstreckt haben dürfte, die ja leider 1813 im Hause des Hanauer Sammlers

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und Gelehrten Hundshagen verbrannte, als die Franzosen die Stadt Hanau stürmten 11, ist klärungsbedürftig und bedarf einer genaueren und eingehenderen Untersuchung, da andererseits sehr schnell der Rahmen der Spekulation überstrapaziert wird. Wie darf man sich nun diese Zentrale Mitteltafel des Hausaltares vorstellen? Übernimmt er auch in diesem zentralen und damit theologisch wichtigsten Teil des Altares den kompositorischen Aufbau der Flügel, also die Darstellung großer ganzfiguriger Personen oder wählte der Künstler für diese Tafel eine völlig andere Komposition? In Anbetracht der Größe der auf den Flügeln dargestellten Stiftern, wäre aber aus rein ästhetisch realistischen Gründen davon auszugehen, daß es sich bei der Kreuzigung nicht um eine große, vielfigurige Kalvarienbergszene, sondern um eine auf wenige Figuren reduzierte Kreuzigung Christi handeln müßte, da anderenfalls der Hauptakzent des geöffneten Altares nicht auf der Mitteltafel sondern auf den Stifterflügeln läge; anderenfalls fiele nämlich der Blick automatisch von der vielfigurigen und somit kleinteiligen Kalvarienbergszene auf die links und rechts wie übermäßige Götter hierüber herrschende Portraitierten. Um eben dieser Gefahr entgegenzutreten , wäre die zentrale Kreuzigung als eine Kreuzigungsszene vorstellbar, wie sie vielfach in der Malerei des 15. Jahrhunderts anzutreffen ist12, nämlich die auf nur wenige Personen reduzierte, wobei die auf die drei Hauptpersonen Jesus, Maria, Johannes festgelegte13, sich dem Gesamtschema wohl am Besten einordnen würde; denn nur so könnte den übermächtigen Stiftern ein adäquates Gegengewicht zur Seite gestellt werden! Ebenso paßte sich diese Kreuzigungsszenerie sehr harmonisch der Gesamtkonzeption des Altares ein, kein Bruch wäre feststellbar zwischen außen und innen! Der schon angesprochene schlichte, klare und einfache Aufbau erstreckte sich über den gesamten Altar und gäbe ihm damit eine innere Geschlossenheit, wie sie nur selten anzutreffen ist, womit die von Hegel angestrebte "ideale Form eines Kunstwerkes" verwirklicht, die wie aus einem Guß geschaffen sein müsse14! 11Ph. Fr. Gwinner, Kunst und Künstler in Frankfurt am Main vom 13. Jh. bis zur Eröffnung des Städelschen Kunstinstitutes, Ffm, 1862, S. 46 12Meister des Marienlebens /Meister der Lyversberg-Passion, tätig in Köln um 1460 - 1490, Christus am Kreuz mit Maria, Johannes und Maria Magdalena, um 1465/70, Eichenholz, 85 x 72 cm, Wallraf-Richarz-Museum Köln, Inv.Nr. WRM 125 13Lukas Cranach d.Ä., Maria und Johannes unter dem Gekreuzigten, Holzschnitt auf Pergament, bunt koloriert, 21 x 15,4 cm, Einzelblatt, aus: Missale Pataviense, Wien, Johannes Wintersburger, 25. MAI 1503, Basel, Kupferstichkabinett des Kunstmuseums 14Götz Pochat, Geschichte der Ästhetik und Kunsttheorie, Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, DuMont Buchverlag Köln, 1986, S. 501 - 513, hier: S. 506

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Doch diese, die moderne Ästhetik in den Vordergrund stellende Deutung, die dem mittelalterlichen Geist entgegen steht -- dem ein Bekenntnis zu realistischer Formgebung von der Scholastik als autoritative Grundregel mitgegeben wurde -- und darüber hinaus als eine Ästhetik des 20. Jahrhunderts gesehen werden muß, kann so nicht aufrecht erhalten werden, da ihr zeitgenössische Kunstproduktionen, das neue religiöse Frömmigkeitsideal, welches durch die Devotio moderna in Erscheinung trat und vor allem eine Quelle fundamental entgegentritt. Diese erste schriftliche Notiz zum Stalburgaltar ist auf den 27. September 1779 datiert. Es handelt sich um einen anonymen Versteigerungskatalog, unter dessen Nummer 1088 folgendes nachzulesen ist: "Ein Hausaltar, von oben halbrund, mit zwei Türen, und verschiedenem vergoldeten Schnitzwerk versehen, von außen auf dem einen Flügel eine schmerzhafte Mutter Gottes, auf dem anderen ein Ecce Homo, inwendig ein Herr mit einer Dame in alter Tracht, auf einem stark und noch sehr schönen goldenen Grund gemalt, im Mittelstück ist eine Kreuzigung Christi mit vielen Figuren . Von Hanns Grünewald, im Jahr 1504. Bei geöffneten Flügeln 187 x 250"15. Dieser Auktionstext ist in diesem Zusammenhang dahingehend wichtig, da er die Mitteltafel als eine Kreuzigung mit vielen Figuren anspricht. Anahnd dieser Quelle läßt sich nunmehr die verlorene Mitteltafel des stalburgschen Flügelaltares grob rekonstruieren: der vielfigurigen und kleinteiligen Mitteltafel der Kreuzigung, die sich vielleicht einer Kalvarienbergszene annähert, steht das Stifterehepaar - übermächtigen Gottheiten gleich - unversöhnlich, ja geradezu kämpferisch entgegen. Der traditionell hieratische Bildaufbau, der als kanonisch angesehen und bisher nie durchbrochen wurde, ist nunmehr in seinen Grundfesten erschüttert! Wie sah es vordem aus? Ein Triptichon Pietro Lorenzettis soll beispielgebend herangezogen werden16. Dieses zeigt auf seiner zentralen Mitteltafel ebenfalls eine ursprünglich von zwei Flügeln flankierte Kreuzigung, deren linker heute allerdings verloren ist, der rechte in drei etwa gleich hohe Felder unterteilt wurde, wobei die beiden unteren annähernd quadratisch und das oberste, die Giebelform der Mitteltafel aufgreifend, sich der Form eines gleichseitigen Dreiecks annähert. In jedes dieser drei Felder sind Heilige eingestellt, oben die Maria der Verkündigung, in der Mitte die Hl.

15Niels v. Holst, Frankfurter Kunst- und Wunderkammern des 18. Jahhunderts, ihre Eigenart und ihre Bestände, S. 34 - 58, vor allem S. 44 u. 50, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, Hrsg. von Wilhelm Waetzholdt, Bd. 52, Berlin, Leipzig, 1931 16Lit. Lorenzetti

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Apostel Paulus und Petrus und unten ein weiterer Apostel (Johannes ?) und ein Stifter (?). Deren Größe ist auffallend kleiner als die derjenigen der Mitteltafel, wodurch einerseits der hieratische Bildaufbau gewährleistet ist und andererseits das uns heute eher entgegenkommende einheitliche renaissancehafte Proportionsschema über den gesamten Altar hinweg nicht eingehalten wurde. Die Frage nach der Wichtigkeit der Dargestellten ist demnach ausnahmslos an deren Größe ablesbar. Dementsprechend ist auch die etwaige Stifterfigur als die am Abstand kleinste wiedergegeben und auch nur berechtigt, ihre Stiftung an den namentlich nicht faßbaren Heiligen zu übertragen, der diese an die ihm übergeordnete Instanz weitergeben wird. Welch ein weitgehender gesellschaftlicher Umbruch muß sich demnach ereignet haben, der einen derartigen Wandel im künstlerischen Ausdruck ermöglichte! Dieser Umbruch zeichnet sich im abendländischen Schisma ab, welches vier Jahrzehnte von 1379 bis 1415 andauerte und als Ausgangspunkt der Devotio moderna gesehen werden muß. 2.4 Die thematische Gesamtheit des Altares Bei der Betrachtung des Stalburg-Altares in seiner Gesamtheit, ist die anscheinende Zusammenhanglosigkeit der Komposition zunächst wesensbestimmend, die wie eine additive Auflistung wirkt und damit anachronistische Züge aufweist, die in ottonischer Zeit ihren Ursprung hat um schließlich in der gotischen Kunstfertigung ihre Grundform zu finden 17. Erst allmählich tritt der schlichte, klare und einfache Aufbau des Triptichons in Erscheinung und erst, wenn man diesen verstanden hat, wird es augenfällig, wie logisch und einleuchtend die Gesamtkomposition des Altares ist: jeder Figur ist eine ganze Seite eines Flügels gewidmet, wobei die Schmerzensmutter und der Schmerzensmann die Außenseiten, die Stifter Claus Stalburg und Margarete von Rhein die Innenseiten zieren. Der optische Gesamteindruck des Altares besticht somit in seiner homogenen Heterogenität, denn auf der einen Seite steht das dem Mittelalter eigene Kunstverständnis der Addition, welches auf der anderen Seite mit dem Kunstverständnis der Renaissance gepaart ist, welches dem Kunstwerk eine unteilbare Einheit zuschreibt. Denn schließlich läßt sich das Gemälde auf zweierlei Weise lesen, je nachdem, ob man den Figuren oder dem Bildraum Priorität einräumt; ersteres ist Kennzeichen eines sukzessiv erfaßten Bildraumes oder Aggregatraumes, letzteres verdeutlicht ein simultanes 17Arnold Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Verlag C.H. Beck München, 1983, S. 282 - 294, hier: 288

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Erfassen des Raumes oder den Systemraum18. Wichtig scheint es, das Triptychon, insbesondere die erhaltenen Flügel, auf ihre Räumlichkeit hin zu überprüfen. Diese wird erst am Ende des Mittelalters zum Prinzip erhoben. Sowie sich dann aber die Entwicklung der Renaissance nähert, verwandelt sich diese Raumbewußtheit in eine richtige Raumbesessenheit. Oswald Spengler hat im raumhaften Sehen und Denken des Renaissancemenschen - des faustischen, wie er es nennt19 - auf einen wesentlichen Zug aller dynamischen Kulturen hingewiesen. Goldgrund und Perspektive sind eben mehr als zwei verschiedene Arten der Hintergrundgestaltung, sie bezeichnen vielmehr zwei verschiedene Grundeinstellungen zur Wirklichkeit. Die eine geht vom Menschen aus, die andere von der Welt; die eine betont den Primat der Figur vor dem Raum, die andere läßt den Raum, als das Element des Scheins und das Substrat der sinnlichen Erfahrung, über die Substantialität des Menschen herrschen und die menschliche Gestalt vom Raum absorbieren20. Beide Wirklichkeitseinstellungen finden künstlerische Anwendung im Stalburgaltar: wiesen die Außenflügel einen perspektivisch gestalteten Raum auf, bleiben die Portraitafeln dem Goldgrund verhaftet. Vergleichsweise gestaltet ist der von Kardinal Albrecht von Brandenburg für die Stiftskirche in Halle in Auftrag gegebene Heiligen und Passionszyklus. Hier stehen die Heiligen der Flügelaußenseiten vor einer Arkatur, die in Kämpferhöhe mittels eines an einem Rundstab hängenden Vorhanges verschlossen ist und weisen damit eine identische Komposition mit den Flügelinnenseiten des Stalburgaltares auf. Auf den Flügelinnenseiten sind die Heiligen in einen Landschaftshintergrund gestellt und stimmen damit mit den Flügelaußenseiten des Frankfurter Altares überein. Die Planung des nur noch fragmentarisch erhaltenen Zyklus lag bei Lucas Cranach d.Ä., während die Ausführung, die in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts gesetzt wird, Simon Frank oblag21. Von 1514 bis 1545 hatte Kardinal Albrecht von Brandenburg unter anderem das Amt des Mainzer Kurfürsten inne, dessen Territorium das Frankfurter Stadtgebiet mit

18Dagobert Frey veranschaulichte die Unterschiedlichkeit der Kunstauffassung des Mittelalters und der Renaissance durch die disparaten Begriffe "sukzessiv und simultan erfaßten Bildraum", s. Dagobert Frey, Gotik und Renaissance, 1929; Erwin Panofsky unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen "Aggregat-" und "Systemraum", s. Erwin Panofsky, Die Perspektive als symbolische Form, 1927; 19Oswald Spengler, Untergang des Abendlandes, S. 262-263 20Arnold Hauser, s. Fn. 21, S 417 21Andreas Tacke, Der katholische Cranach, Berliner Schriften zur Kunst, Philipp von Zabern Verlag, Mainz 1992

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einschloß22. Es ist daher möglich, daß Albrecht den Stalburgaltar kennenlernte und dessen Komposition für den Hallenser Zyklus adaptierte. Welche Bedeutung sich dahinter verbirgt, wird weiter unten angesprochen werden. Trotz dieser Disparität liegt das besondere dieser Komposition in einer nicht zu leugnenden Egalität. Der bisher in allen religiösen Gemälden anzutreffende hieratische Aufbau zu Gunsten Christi wurde hier, anscheinend erstmalig, negiert. Nicht mehr Überordnung, sondern völlige Gleichheit ist in diesem Gemälde oberstes Gebot. Ob dies Rückschlüsse auf das Religionsverständnis der Stifter zuläßt, soll an anderer Stelle erörtert werden. Die ästhetisch - kompositorische Geschlossenheit des Altares steht also außer Frage. Zu klären wäre jedoch noch, ob sich gleiches auch im Bezug auf den Inhalt ausmachen läßt. Liegt also der Stiftung Claus Stalburg und Margarete von Rhein ein geschlossenes theologisches Konzept zu Grunde? 3 Kulturgeschichtliche Stellung des Altares Für das Verständnis des Altares ist es notwendig zu prüfen, in wie weit die Persönlichkeit der Stifter, deren gesellschaftliche Stellung und Einstellung ihr gegenüber an eben diesem Altar ablesbar ist. Die Geschlechter von Rhein und Stalburg, die zu den Patrizierfamilien Frankfurts gezählt werden und damit der Elite des städtischen Bürgertums angehören, müssen als die Kulturträger der Zeit und der Region angesehen werden. Vordem ist diese Aufgabe dem Klerus und dem Adel zugefallen, die sie verständlicherweise in der Hinsicht wahrnahmen, daß ihre Weltanschauung zum Ausdruck kam, nämlich in der Begründung ritterlicher Lebensformen, der Ausbildung des höfischen Geschmacks und der Beibehaltung kirchlicher Traditionen23. Nachdem nunmehr die Bürger das kulturelle Erbe übernahmen, traten sie selbstverständlich für einen eigenständigen, ihnen allein zuzuschreibenden Kulturbegriff ein; sie strebten eine vollständige Loslösung von ihren klerikalen und feudalen Vorgängern an. "Der Adel und der Klerus hören zwar nicht auf als Stifter und Bauherren mit zu tun, ihr Einfluß ist aber nicht mehr schöpferisch - die Anregungen zum Neuen rühren jetzt zumeist vom Bürgertum her"24. Wird dieser Kulturwandel auf den Stalburg-Altar

22Frankfurt am Main, Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, hrsg. von der Frankfurter Historischen Kommission, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen, 1991, S. 157 - 158 23Arnold Hauser, s. Fn. 21, 24Arnold Hauser, s. Fn. 21, S. 272

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bezogen, und versucht man in ihm die traditionellen Aspekte der ritterlichen Lebensform, des höfischen Geschmacks und der kirchlichen Tradition wiederzufinden, wird deutlich, daß zwei von diesen vorgenannten drei Kriterien nicht auf Anhieb auffindbar sind. Trotzdem ist wohl mehr als fraglich, ob das Streben der Bürgerschaft nach Loslösung von den kulturellen Vordenkern hin zu einer eigenständigen und keiner Tradition mehr unterworfenen neuen Kultur mit Erfolg beschieden ist. Die ritterliche und höfische Gesinnung ist zwar explizit verloren gegangen, doch läßt sich zu Gunsten des immateriellen Vorhandenseins der ritterlichen Gesinnung anfügen, daß in den Augen des Bürgertums die ritterlichen Ideale ihren verführerischen Glanz durchaus nicht verloren haben. Diese damit zusammenhängenden Tugenden lassen sich dann, wenn man so will, auch in der imposanten und kraftvollen Erscheinung Claus Stalburgs wiederfinden; die vier Haupttugenden, die Virtutes principales25, Sapientia, Fortitudo, Temperantia und Iustitia sind ausnahmslos aus dem Charakter des Portraitierten ablesbar! Einem "christlichen Streiter"26 gleich, scheint er für die christliche Tradition einzustehen, aber nicht wie vordem ausgerüstet mit Schwert und Schild, kämpft er für deren Verwirklichung, sondern ausschließlich mit zu Hilfe nahme der christlichen Tugenden. Auch die höfische Kultur ist implizit nachweisbar, sie scheint sogar über allem, einem Diktum gleich, zu schweben. In der formbeherrschenden Welt des Hofes, in der der eigenmächtigen, formsprengenden Individualität enge Grenzen gesetzt sind, demgegenüber aber Eigenschaften bevorzugt sind, die die Mitglieder des Hofes mit allen gemein haben, gilt Originalität als unhöfisch und ist unstatthaft27. Fehlende Originalität beziehungsweise retardierende künstlerische Elemente, wie ich sie bereits weiter oben angesprochen habe, sind für den ersten Eindruck des Altares wesensbestimmend; erst allmählich erschließt sich das Besondere, das Individuelle der Komposition, welches der gerade nachgewiesenen höfischen Kultur unvereinbar ist. Es läßt sich demnach eine dialektische

25Seit Ambrosius die Bezeichnung für die vier Haupttugenden Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit, die sich in systematischer Ausgestaltung erstmals bei Platon finden, der die Gerechtigkeit über die andeen Kardinalstugenden stellte. Lit.: O.F. Bollnow, Wesen und Wandel der Tugenden, 1958; J. Pieper, Das Viergespann, 1964 26Erasmus von Rotterdam verfaßte unter dem Titel "Handbüchlein eines christlichen Streiters" eine Tugendlehre für die Christen der Welt. Im Jahre 1501 wurde diese Schrift erstmals als Handschrift verbreitet, seit 1503 als gedruckte Fassung in einem Sammelband. 1520 erfolgte die erste Übersetzung ins deutsche. Lit.: Hubert Schiel, Erasmus von Rotterdam, Handbüchlein des christlichen Streiters, Olten 1952 27Hans Naumann, Ritterliche Standeskultur um 1200, in: Höfische Kultur, Hrsg. Gunther Müller, 1929, S. 35

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Wechselwirkung zwischen auftauchen und verschwinden traditioneller Aspekte, die den Altar in ein jeweils anderes Licht tauchen, ausmachen. Je nach Gesichtspunkt wirkt er progressiv oder konservativ. Der dritte Leitgedanke, der sich der kirchlichen Tradition verschrieb, ist in dem Altar geradezu offensichtlich immanent anwesend; er bedarf keiner soziologischen Begründung um als gegenwärtig zu erscheinen. Schließlich sind die dargestellten Themen, von der Kreuzigung über die Schmerzensmutter und dem Schmerzensmann hin zu den einen Rosenkranz betenden Stiftern, vor allem religiös motiviert und widersprechen damit manchen wissenschaftlichen Abhandlungen, die den antireligiösen Ausdruck in den Vordergrund stellen28. Darüber hinaus ist der Altar, der in der Hauskapelle der Stalburg in Frankfurt Aufstellung fand, und damit wohl die Funktion eines Hausaltares übernahm, mit einer tiefen religiösen Überzeugung versehen, wie sie deutlicher nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden kann. Dem Aspekt der religiösen Tradition, der in dieser Arbeit als der wichtigste von den dreien angesehen werden muß, kommt somit die Hauptaufgabe zu, die im Verlauf dieser Arbeit immer wieder tiefgehend behandelt werden wird. Anhand dieses Altares wird deutlich, daß die Bürgerschaft die kulturelle Tradition des Adels und des Klerus nicht einfach negierte, um eine neue, zunächst einmal kulturlose Kultur zu schaffen, sondern adaptierte, und die für sich wesensmäßigen Elemente aufnahm, um sie einer neuen, bürgerlichen Kunst dienstbar zu machen. 4 Der Altar und seine Ikonografie Der Typus des Andachtsbildes mit der Darstellung des Schmerzenmannes und der Schmerzenmutter entstand in Italien im 13. Jahrhundert meist in der Form eines Diptichons; das ikonografisch neue war die Gegenüberstellung eines christologischen und eines mariologischen Themas. In der niederländischen Kunst finden sich die frühesten Vorbilder im 15. Jahrhundert. Die deutsche Kunst die sich diesem Thema seit der Mitte des 14. Jahrhunderts widmete29, brachte einen neuen Typus hervor, der auch noch im Stalburgaltar anzutreffen ist. Panofsky formuliert ihn wie folgt: "Die deutsche Kunst ist also, anstatt dem Schmerzensmann haltende und stützende Begleitfiguren beizugeben, vielmehr zunächst bestrebt, ihn -

28Hubert Froning, Eva Frodl - Kraft u.a. 29frühestes Beispiel: Fresko in Oberwälden/Württemberg, Mitte 14. Jahrhundert

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vielfach unter Fortlassung des Sarkophags - recht eigentlich auf eigene Füße zu stellen"30. Im folgenden soll geklärt werden, ob der Künstler des Altarwerkes auf künstlerische Vorbilder zurückgriff, um sie in seine Arbeit einfließen zu lassen. Wenn dem wirklich so ist, wird die gerade zuvor erarbeitete kulturgeschichtliche Stellung des Altares auch durch die ikonografische Frage bestätigt werden. 4.1 Ikonografische Stellung der Portraitafeln Die Flügelportraits des Ehepaares von Rhein und Stalburg gehen auf keine unmittelbaren Vorbilder zurück, welche der Künstler kopiert haben dürfte; sie müssen als die ureigensten Schöpfungen der Künstlerpersönlichkeit angesehen und bewertet werden! Diese Aufgabe wird im Verlauf der Arbeit eingehend abgehandelt werden, da allein und ausschließlich mittels der Würdigung und des kunsthistorischen Erfassens dieser Portraits eine Zuschreibung zu einem bestimmten Künstler möglich erscheint. Der Künstler schuf mit den beiden ganzfigurigen Bildnissen eine Idee, die als Urbild einer sich abzeichnenden Entwicklung gesehen werden muß! Sie zeichneten sich nicht nur damals, sondern zeichnen sich auch heute noch durch das besondere Interesse aus, das ihnen Künstler entgegenbrachten31 und Kunsthistoriker bis auf den heutigen Tag entgegenbringen32; schließlich kommt es nicht von ungefähr, daß allein sie immer wieder einer kunstgeschichtlichen Würdigung für Wert befunden wurden, wobei es leider zu dem fatalen Fehler kam, den Altar in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu berücksichtigen. Dies führte zu seltsamen, ja geradezu absonderlichen Ergebnissen. Hubert Froning wählte unter anderem diese Portraiflügel, um an ihnen die Entwicklung des autonomen ganzfigurigen Tafelbildes deutlich zu machen33. Hierbei begeht er jedoch zwei eklatante Fehler, die die Bedeutung des Werks konterkarieren. Zum einen legt er anscheinend in keinster Weise wert auf die Chronologie, das heißt auf das tatsächliche Entstehungsdatum der Bilder34, sodaß keine objektive kunsthistorische Entwicklung dieses Gattungsbereiches ablesbar wird. Im Bezug auf die beiden Bildnisse, die im Abbildungsverzeichnis seiner Schrift

30Erwin Panofsky, Imago Pietatis, S. ... - ...,hier: S. 280, in: Festschrift für Max J. Friedländer, Verlag EA Seemann, 1927 31Lucas Cranach, Bernhard Strigl, Albrecht Dürer 32Eva Frodl - Kraft, Ernst Buchner, Das deutsche Bildnis vor Dürer, usw. 33Hubert Froning, Die Entwicklung des ganzfigurigen Tafelbildes 34Hubert Froning, S. ......

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als die Ältesten seiner Art ausgewiesen sind, kommt er in Folge seiner Chronologielosigkeit aus dem Konzept und bezeichnet sie als ungelenk, steif und noch nicht genügend entwickelt35. Er stellt ihnen ein Portrait Lucas Cranachs zur Seite, welches zehn Jahre später entstanden ist und kommt im Vergleich zu eben diesen vorgenannten Bewertungen. Wenn die Bildnisse des Stalburgaltares aber die ältesten ihrer Art sind, ist es dann nicht offensichtlich und nachvollziehbar, daß die nachfolgenden Adepten die bestehenden Fehler zu bereinigen versuchten, um schließlich zum Idealtypus zu gelangen, und ist es nicht offenkundig falsch, das jüngere Gemälde als Vergleich für das ältere heranzuziehen; wird damit die Entwicklungsgeschichte der Kunst nicht ad absurdum geführt? Diese Problematik übergeht Hubert Froning in seiner Dissertation stillschweigend. Er stellt die 1504 erstellten Flügel mit dem portraitierten Ehepaar Margarete von Rhein und Claus Stalburg an das Ende einer Bilderserie, die allemal jüngeren Datums sind, und gelangt dann zu dem Ergebnis der Ungelenktheit, Steifheit und einer ungenügenden Entwicklung! Darüber hinaus erwähnt er an keiner Stelle, daß die Tafelbilder in einem Altarzusammenhang gesehen werden müssen und somit auch nur verstanden werden können; er stellt vielmehr die kuriose Behauptung auf, es handele sich um "autonome Portraits"36, also um Portraits, die nur um ihrer selbst willen entstanden und keiner weiter- beziehungsweise tiefergehenden Bedeutungsebene Rechenschaft schuldig sind. Aber ist ihnen die tiefere Bedeutung nicht immanent eigen, sind sie nicht mittels der beiden Rosenkränze, die die Stifter in Händen halten, religiös motiviert und stehen sie nicht, in Folge dieser Gebetshaltung, in einer unmittelbaren Beziehung zu ihrem Altar? Eben diese Frage nach der Bedeutungsebene wird bei anderen, anscheinend wichtigeren Gemälden immer wieder gestellt und in einer vielfältigen Diskussion immer wieder neu aufgeworfen. Als Beispiel hierfür mögen Albrecht Dürers "Die vier Apostel" herhalten. Bezüglich dieses Gemäldes wurde immer wieder die Frage nach der eigentlichen Bedeutung gestellt, wie auch die, ob die Tafeln in einem Gesamtzusammenhang in Form eines Altares gesehen werden müssen, die bis heute noch nicht letztendlich beantwortet worden ist37. Das Herauslösen von Bildnissen aus einem noch intakten Zusammenhang trägt weniger zur

35Hubert Froning, S. ...... 36Hubert Froning, S ....... 37Herbert von Einem, Die vier Apostel, usw.

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Klärung des kulturgeschichtlichen Bedeutungsgehaltes eines Kunstwerks bei, als vielmehr zu dessen Verschleierung! 4.2 Die ikonografische Stellung der Außenflügel Der Altar der Stalburg muß als ein Altar mit einer begrenzten Öffentlichkeitswirkung angesehen werden, ähnlich Stefan Lochners Ratsaltar, dem Heutigen Dombild38; nur einer ausgewählten Öffentlichkeit war der Zutritt in den Ratssaal beziehungsweise in die Kapelle der Stalburg erlaubt. Der um 1440 entstandene Dreikönigsaltar war außergewöhnlich populär, vor allem bei den Künstlern. Albrecht Dürer und Hans Holbein d.Ä. erbaten unabhängig voneinander Einlaß in den Ratssaal39, um dort Studien vornehmen zu können. Hierbei, so darf vermutet werden, wurden Skizzen angefertigt, die in späteren Gemälden Verwendung finden sollten. Ähnlich kann man sich diesen Vorgang auch bei dem Altartriptychon in der Stalburg denken. Auch dieser dürfte durch seine neuartige Gestaltungsweise für Aufsehen gesorgt haben, das vor allem von den zeitgenössischen Künstlern befriedigt werden sollte. Somit ist es ohne weiteres möglich, daß sich die Künstler Zugang zu der Kapelle verschaften, um Studien in Form von Skizzen an dem Altar durchzuführen. Denn allein so ist es zu verstehen, daß völlig identische Figurenkompositionen sowohl bei Dürer und Holbein d.Ä. als auch beim Meister der Stalburgbildnisse anzutreffen sind. Die Frage der gegenseitigen Beeinflussung und vor allem danach, wer wen beeinflußte, ist meiner Meinung nach bisher noch nicht hinreichend beantwortet worden. Die bisherigen Untersuchungen waren so geartet, in dem nicht datierten dürerschen Kupferstich mit der Darstellung des "Schmerzensmannes"40, der der Zeitspanne 1500 bis 150741 zugewiesen wurde, ein unmittelbares Vorbild zu sehen. Ebenso identisch war die Vorgehensweise mit Hans Holbeins d.Ä. "Christus und Maria im Elend"42. Dieses 1929 Holbein d.Ä. zugewiesene Bild43, erstmals auf "etwa 1502"44, dann "um 1504"45 und schließlich "um 1504/1505"46 datiert, gilt bis heute 38Stefan Lochner, Anbetung der Hl. Drei Könige, um 1440 39Lit: Dürer Holbein 40B. 20 41Kupferstiche und Zeichnungen Dürers, Lit. ? 42Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Pam 797 43Katalog der Kunstsammlungen im Provinzialmuseum Hannover I, Berlin 1930, Nr. 53 44Katalog der Kunstsammlungen im Provinzialmuseum Hannover I, Berlin 1930, Nr. 53 45Christian Beutler, Gunther Thiem, Hans Holbein d.Ä., Die spätgotische Altar- und Glasmalerei, Hans Rosler Verlag Augsburg 1960, S. 69 - 71 46Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Landesgalerie, Die deutschen und niederländischen Gemälde bis 1550, Hannover 1992, S. 80 - 82

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als direktes Vorbild der stalburgschen Schmerzensmutter. Das Problem, daß das Bild nach der neuesten Datierung erst nach der Fertigstellung des Stalburgaltares entstanden sein muß, übergingen die Autoren kommentarlos. Schlimmer noch: sie sehen in dem Gemälde immer noch die "großartige Bilderfindung Holbeins"47, und verwendeten damit einen Ausspruch Bruno Busharts aus dem Jahre 196548, der jedoch auf das Datierungsproblem nicht einging und sich somit bezüglich des Urbildes nicht festlegen mußte. In Folge dieser vielfältigen Problematik, erscheint es mit notwendig, daß bisher viel zu einseitig betrachtete Verhältnis von Vorbild und Abbild nochmals genauer zu untersuchen. 4.2.1 Ikonografische Stellung des Schmerzensmannes Dürer beschäftigte sich in seinen Kupferstichen in dem Jahrzehnt von ca. 1500 bis 1510 im Hinblick auf die Komposition vor allem mit der vertikalen Raumaufteilung, die für die Bedeutung von Vorbild oder Abbild in unserem Falle von entscheidender Bedeutung ist. Diese wurde mittels einer Säule, eines Baumes oder wie im vorliegenden Beispiel des "Schmerzensmannes"49 mittels eines Kreuzstammes erreicht. Der erste Kupferstich, der dieses Thema der vertikalen Raumteilung aufgreift, zeigt den "Hl. Sebastian an der Säule"50. Auffallend ist die genau in die Bildmitte gestellte Säule. Allein durch die landschaftliche Gliederung und eines weiteren Architekturelementes wird eine kompositorische Variation in das Blatt gebracht. Der Körper des Heiligen ist, obwohl muskulös, sehr flächig. Spürbar ist der durch den ausgeprägten Hüftschwung das Gefühl vermittelnde in sich gebrochene Körper. Das auf die Oberschenkel

47Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Landesgalerie, Die deutschen und niederländischen Gemälde bis 1550, Hannover 1992, S. 80 48Hans Holbein d.Ä. und die Kunst der Spätgotik, Ausstellung unter Anerkennung des I.C.O.M., Augsburg 1965, Kat.Nr. 43 49zur Datierung des Kupferstiches "Man of Sorrows with Hands raised" s. The Intaglio Prints of Albrecht Dürer, Engravings, Etchings and Drypoints, Edited by Walter L. Strauss, Kennedy Galleries and Abaries Books, 1981, Kat. Nr. 28, Strauß datiert auf 1500 und listet weitere Datierungen auf: Heller, 1827: 1486 - 1500; Hausmann 1861: not earlier than 1512; Retberg, 1871: about 1507; Thausing, 1884: before 1497; Dedgson, 1926: about 1500; Flechsig, 1928: 1501; Tietze, 1928: 1500/1; Meder, 1932: about 1500; Panofsky, 1943: about 1500; Winkler, 1957: Based on a Venetian woodcut ilustration of 1493, superior to St. Sebastian at the Tree; The Ilustrated Bartsch, 10, Sixteenth Century German Artists, Albrecht Dürer, Edited by Walter L. Strauss, Abaris Books, New York, 1980, Taf. 20, datiert: c. 1500 50wie vor: The Intaglio Prints ... , Kat.Nr. 26. Strauss datiert auf 1499 und listet weitere Datierungen auf: Retberg, 1871: before 1497; Dodgson, 1926: probably 1498 - 1499; Flechsig, 1928: 1498; Tietze, 1928: 1495/96; Meder, 1932: 1498/9; Panofsky, 1943: about 1500; B., Taf. 56, datiert: c. 1499

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hinabgerutschte Lendentuch verdeutlicht, daß Dürer die Anatomie des Körperbaus noch nicht ganz verstand; die Beine gehören dem Körper nicht an, wirken, als wäre die Verbindung von Torso und Bein nicht fließend. Das Gefühl, diese seien beliebig austauschbar, läßt sich nicht leugnen. Völlig anders stellt sich der Kupferstich mit dem Titel "Hl. Sebastian am Baum"51 dar. Das Lendentuch verunklärt nicht mehr, was vor allem dessen Kleinheit zuzuschreiben ist. Der Körper des Heiligen wirkt athletisch durchtrainiert. Auch von Flächenhaftigkeit kann keine Rede sein. Der nach rechts verschobene Baum an den der äußerst räumlich aufgefaßte Körper des Hl. Sebastian gefesselt ist und die Standfläche bestimmen die gesamte Komposition. Der Verschiebung der Hauptachse und der aufs äußerste beschränkte Darstellungsraum müssen als die wesentlichen Neuerungen gesehen werden und eben diesen ist diese äußerst gelungene Komposition zu verdanken. Der Kupferstich der diesem zeitlich gesehen folgen müßte ist der des Schmerzensmanns. Die Komposition ist der des zuvor beschriebenen Stichs weitestgehend identisch, mit Ausmahme eines Verschiebens der Achse nach links. Christus als Schmerzensmann steht, in die Mittelachse versetzt vor dem Kreuzstamm. Es ergeben sich demnach zwei vertikale Kompositionslinien, die durch die Armhaltung Christi und der auf dem Boden liegenden Lanze mit dem Essigschwamm miteinander verwoben werden. Wichtig scheint mir die Feststellung des erneut an Fülle gewonnenen Lendentuches ohne das es zur Verunklärung der Körperkonur führt, wie es beim Sebastian an der Säule noch vorzufinden war, woran sich Dürers Entwicklung hin zu einem korrekten Gestalten der menschlichen Anatomie ableiten läßt. Die Frage, die es nun zu klären gilt, ist die: Ist der dürersche Kupferstich "Christus als Schmerzensmann" als Vorbild für die rechte Flügelaußenseite des Altares der Stalburgkapelle zu sehen oder bildet der Altar das Vorbild für Dürer? Beide, das Altarbild und der Kupferstich sind sich außergewöhnlich ähnlich. Die Vergleichsmöglichkeiten gehen bis ins Detail. So sind Gewand, Essigstab, Totenkopf und Reisig an gleicher Stelle im Raum plaziert. Der Kreuzesstamm ist hier wie dort nach links verschoben und Christus nimmt die Mittelachse ein. Anhand nur weniger, aber wesentlicher Punkte, lassen sich Abweichungen ausmachen: so ist die Körperlichkeit Jesus im Altar weniger stark ausgeprägt, sie ließe sich am ehesten mit dem Kupferstich des Hl. Sebastian an der Säule vergleichen,

51wie vor: The Intaglio Prints ... , Kat. Nr. 33, Strauss datiert auf 1501 und listet weitere Datierungen auf: Retberg, 1871: before 1497; Dodgson, 1926: about 1499 (?) und for 1505; Meder, 1932: about 1501; Panofsky, 1943: 1500/1; B., Taf.55, datiert: c. 1501

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ohne jedoch die anatomischen Fehler aufzuweisen; weiterhin ist Christus im Altarflügel stärker vor den Kreuzesstamm gestellt, sodaß die schon angesprochenen zwei vertikalen Achsen des Kupferstichs nicht zu Geltung kommen. Damit ist auch ein Verschleifen dieser Achsen durch die Armhaltung und den Essigstab nicht mehr nachzuvollziehen, ja nötig. Ein letzter Unterschied findet sich in der Stellfläche, der auf dem Stich weitläufiger, ausgedehnter und raumgreifender ist, was vor allem aus der Lage der Gegenstände ausgemacht werden kann. Wirken sie hier weiträumig, klar und deutlich von einander getrennt angeordnet, liegen sie dort eng, sich einander überschneidend auf dem Boden. Der Platz ist sogar so eng beschieden, daß Christus mit seinem Fuß auf dem Reisigbündel steht und auf die Darstellung der Würfel gänzlich verzichtet wurde.52 Es darf also davon ausgegangen werden, daß der Meister des Stalburgaltares bei der Gestaltung der Tafel des Schmerzensmannes auf den dürerschen Kupferstich als Vorbild zurückgegriffen hat. Verbreitung und damit Zugänglichkeit fand die Grafik mittels der Handelsmöglichkeiten eines neuen und freien Kunstmarktes, dessen Mittel Dürer und fast alle Künstler seiner Zeit zu nutzen verstanden. Die Künstler belieferten diesen Markt mit Druckgrafik, Scheibenrissen und Tafelbildern.53 Der Kupferstich darf jedoch nicht, wie in Bartsch und in The Intaglo Prints mit 150054 datiert werden, sondern muß, der nachgewiesenen Chronologie entsprechend, nach 1501, dem Entstehungsjahr des Kupferstiches des Hl. Sebastian am Baum, und vor 1504, das Datum der Erstellung des Stalburgaltares, zeitlich fixiert werden. Eine Datierung "um 1504" scheint mir am angemessensten, da der Meister des Stalburgaltares anscheinend nur aktuelle Neuschöpfungen für sein Werk verwendete, wie es im nachfolgenden verdeutlicht werden soll. 4.2.2 Ikonografische Stellung der Schmerzensmutter Das bisher als eindeutig beurteilte Verhältnis von Vorbild und Abbild im Hinblick auf die Schmerzensmutter, die von Bruno Bushart seit 1965 und seitdem immer wieder als "großartige Bilderfindung Holbeins"55angesehen wurde, ist spätestens seit der neuesten Datierung des holbeinschen Gemäldes "Christus und Maria auf Golgatha"56 in die Zeit "um

52s. in diesem Zusammenhang Kap. 5 Arma Christi 53noch zu klären 54a.a.O. Anm. 52 55Hans Holbein d.Ä. und die Kunst der Spätgotik, Augsburg 1965, Nr. 43 56Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Pam 797

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1504/1505"57, also in die Zeit nach der Fertigstellung des Stalburgaltares, neue Beweisnot getreten. Sollte sich diese Neudatierung als richtig herausstellen, wäre es notwendig, den Meister des Stalburgaltares, der dann als Erfinder dieses großartigen Bildes anzusehen wäre, in ein völlig neues Licht zu rücken. Die Spätdatierung macht es meiner Meinung nach notwendig, dieses Gemälde, und hierin insbesondere die Figur der Maria einer genaueren Untersuchung zu unterziehen, deren Ziel es sein soll, herauszufinden, ob dem holbeinschen Oeuvre eine entwicklungsgeschichtliche Genese dieser Bilderfindung ablesbar ist, ähnlich der Dürers bei seinem Schmerzensmann. Die Marienfigur weist eine in sich geschlossene Kontur auf, der an keiner Stelle, es sei denn, man rechnet den herabhängenden Zipfel des Gewandes unter dem Ellenbogen des linken Armes dazu, unterbrochen wird. Diese Geschlossenheit der Konturierung ist als Ursache für die Stärke und Standhaftigkeit der Figur zu werten, die psychologisch einen Gegensatz zu der Trauer bildet, die eher eine gebeugte und damit körperlich die Trauer zum Ausdruck bringende Figuration erwarten ließe. Eben dieser Gegensatz zwischen Trauer und Stärke, Verzweiflung und Standhaftigkeit ist es, der zu dieser großartigen Bilderfindung führte, deren Autorschaft bis zum heutigen Tage mit Hans Holbein d.Ä. angegeben wurde. Die Standhaftigkeit und Stärke wird durch die nach allen vier Seiten auf dem Boden liegenden ausgebreiteten Gewandzipfel betont, wovon jedoch lediglich drei sichtbar sind, die vierte aber als durch den Körper Mariens verdeckt zu denken ist, die der Marienfigur ein basisartiges Fundament verleihen und damit ihre Beständigkeit und Unanfechtbarkeit zum Ausdruck bringen. Hierdurch wird gleichzeitig der Ewigkeitsanspruch der christlichen Religion58 verbildlicht. Bei einem Vergleich der Marienfigur mit der aus der "Darbringung im Tempel" aus dem Frankfurter Dominikaneraltar59 wird der Unterschied offenkundig. Die hier durchbrochene Kontur und die fehlende Substruktion geben der Maria im Tempel etwas lyrisches, welches der dramatischen Wirkung der Schmerzensmutter entgegensteht. Die beiden Entwürfe stimmen hingegen in ihrer fehlenden Körperlichkeit deutlich überein, die vor allem durch das Pallium verhüllt wird. Allenfalls Andeutungen von Anatomie, Tektonik und Gliederhaftigkeit lassen sich ausmachen; diese

57Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Landesgalerie, Die deutschen und die niederländischen Gemälde bis 1550, Hannover 1992, S. 80 58Theologische Literatur zu diesem Thema suchen 59Kunsthalle Hamburg, Inv.Nr. 327, datiert: 1500/01

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zeichnen sich hier wie dort im Bereich des Ellbogen des rechten Armes aus, (wobei die Anatomie dieses Körperabschnittes im Dominikaneraltar deutlicher und stimmiger erscheint. Bei dem anderen Gemälde ist dieser Bereich durch ein mehrmaliges ausbuchten der Gewandes verunklärt). Erst mittels zweier Zeichnungen Holbeins aus dem Kupferstichkabinett Basel läßt sich das damit im Zusammenhang stehende Chronologieproblem lösen. Die eine, die "Geburt Chisti"60 wird in das Jahr "1502"61 datiert und zeigt in der Anatomik des Schulter - Ellbogen - Bereichs eine ähnliche Lösung wie die der Darbringung im Tempel. Mit der "Anbetung der Hl. drei Könige"62 die "um 1504"63 datiert wird, ist Holbein zu einer gänzlich anderen Lösung dieses Problembereichs gelangt. Hätte er das Gemälde Christus und Maria auf Golgatha in dieser Zeit entworfen, dürfte er diese anatomisch exakte Lösung des Schulter - Ellbogen - Bereichs sicher auch für seine Maria verwendet haben! Ebenso offensichtlich ist die gesteigerte Tektonik bei der Maria im Kupferstich mittels des sich am Boden ausbreitenden Gewandes, welches das Gemälde zum Vorbild nimmt. Aus all dem läßt sich ablesen, daß die neueste Datierung des Gemäldes Christus und Maria auf Golgatha mit um 1504/1505 als zu spät angesetzt angesehen werden muß. Darüber hinaus muß auch die Datierung der Tafel Gert von der Ostens in die Zeit " um 1502"64 als zu früh angesehen werden. Der von Christian Beutler und Gunther Thiem vorgeschlagenen Datierung "um 1504"65 ist der Chronologie am ehesten Rechnung getragen. Mit dieser Datierung, die mit der des dürerschen Kupferstich Christus als Schmerzensmann in Einklang zu bringen ist, zeigt sich nochmals, wie sehr der Meister des Stalburgaltares sich bemühte, aktuelle und großartige Vorlagen für sein Werk heranzuziehen. Interessant dabei ist jedoch, daß er die Vorlagen nicht einfach unschöpferisch kopierte, sondern ihrer neuen Bedeutung entsprechend abzuändern verstand. 4.3 Ikonografische Stellung der hypotetisch rekonstruierten Mitteltafel

60Kupferstichkabinett Basel, Inv.Nr. 162 61Katalog der Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts im Kupferstich Kabinett Basel, Schwabe und Co. AG, Basel/Stuttgart 1979, Nr. 162 62Kupferstichkabinett Basel, Inv.Nr. 164 63Katalog der Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts im Kupferstich Kabinett Basel, Schwabe und Co. AG, Basel/Stuttgart 1979, Nr. 164 64RDK, III, S. 644 - 658 65Christian Beutler, Gunther Thiem, Hans Holbein d.Ä., Die spätgotische Altar und Glasmalerei, Hans Rösler Verlag, Augsburg 1960, S. 69 - 71

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Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die hypotetisch rekonstruierte Kreuzigungsmitteltafel66 einer ikonografischen Untersuchung zu unterziehen. Ich bin mir natürlich der Schwierigkeit dieses Sachverhaltes bewußt, doch glaube ich, daß diese Untersuchung dazu führen kann, das Aussehen der leider verloren Kreuzigung des Stalburgaltares zumindest ansatzweise zu rekonstruieren. Nötig ist es in diesem Zusammenhang nochmals die Quelle in Erinnerung zu bringen, die die Tafel als eine "Kreuzigung Christi mit vilen Figuren"67 beschreibt. Die Untersuchung erstreckt sich vorwiegend auf Vorbilder, die der Künstler oder aber auch die Auftraggeber als Anregungen benutzt haben könnten, aber auch auf Bilder, die erst in der Nachfolge des Stalburgaltares erstellt wurden und damit möglicherweise unter dessen Einfuß erstellt worden sind. Bartolo di Fredi erstellte im ausgehenden 15. Jahrhundert ein Polyptichon mit der Darstellung der "Geburt Christi"68. Die zentrale Tafel nimmt die Geburtsszene ein, die als eine kleinteilige und vielfigurige epische Szene konzipiert ist, in der das Christuskind als das Zentrum der Komposition gesehen werden muß, dem hierdurch alle Aufmerksamkeit des Betrachters in Folge eben dieser Zentrierung zu Teil wird. Die beiden den ganzen Raum der Flügel einnehmenden Gestalten der Hl. Fiora und Lucilla beherrschen jedoch - größenmäßig gesehen - die gesamte Komposition; sie bedrängen durch ihre Größe geradezu die der Geburt Christi beiwohnenden. In einer ganz ähnlichen Art findet sich dieser bildnerische Aufbau bei dem etwa ein Jahrzehnt jüngeren Gemälde Dürers "Paumgärtner Altar"69 wieder, der damit erst nach dem Stalburgaltar fertiggestellt wurde. Auch hier befindet sich auf der zentralen Mitteltafel eine durch die Architektur bedingte kleinteilige und zusätzlich vielfigurige Szene, die die Geburt Christi darstellt, die den auf den Flügeln als Ganzfigur wiedergegebenen Hl. Georg und Eustachius, die traditionell als Bildnisse Stephan und Lukas Paumgärtner70 angesehen werden, in genau der gleichen fundamentalen Weise gegenüber stehen. Deren Größe, Stärke und Dominanz überschattet das religiöse Thema, die Geburt Christi, des Zentrums.

66s. in diesem Zusammenhang Kapitel 2.3 Hypotetische Rekonstruktion der Mitteltafel 67a.a.O. Fn. 7 68Bartolo di Fredi, Geburt Christi, Polyptichon, Breite 188 cm, Santa Fiore e Lucilla, Torrita di Siena, Lit.: Henk van Os, Sienese Altarpieces 1215 - 1460, Form, Content, Function, Volume II: 1344 - 1400, Groningen 1990, S. 113 - 122, hier S. 112 - 113 69Fedja Anzelewski, Tafelband, Abb. 57 - 59 70Fedja Anzelewski, Textband, S. 157

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Der Altar der Stalburg findet sein zutreffendstes künstlerisches Vorbild in dem Kreuzigungsaltar der Peterskirche zu St. Lambrecht in der Steiermark, der um 1425/30 datiert und dem Meister der St. Lambrechter Kreuzigungsaltare zugeschrieben ist71 . Die ikonografische Übereinstimmung mit dem Altar der Stalburg darf als ganz außergewöhnlich angesehen werden, doch ob eine direkte künstlerische Adaption hier angenommen werden muß, ist wegen der unterschiedlichen geografischen Situation zwischen Frankfurt und St. Lambrecht in der Steiermark schwierig. Als Hypothese ließe sich jedoch folgender Vorschlag formulieren: Das Stift St. Lambrecht übte, seiner wichtigen Kunstsammlung wegen, einen erheblichen Einfluß auf die Künstler der Zeit aus72; es könnte somit davon ausgegangen werden, daß der Meister des Stalburgaltares den Altar in der Steiermark, zwecks eines Besuches der Sammlung, kennengelert hat. Ebenso ließe sich ein Besuch Margarete von Rhein und Claus Stalburg in St. Lambrecht prognostizieren, die, derart angetan von dem Kreuzigungsaltar der Peterskirche, diesen, kaum nach Hause zurückgekehrt, thematisch identisch in Auftrag gaben. Dargestellt finden sich auf den Außentafeln die Schmerzenmutter und der Schmerzenmann, die zentrale Mitteltafel zeigt eine Kreuzigung, nur die beiden Innenflügel weichen vom stalburgschen Triptychon ab, zeigen also keine Stifter, sondern die Heiligen Thomas und Benedikt und stellen den Altar somit in den traditionell theologisch zeitgenössischen Zusammenhang, wie er noch von Bartolo di Fredi vertreten wurde und erst durch unseren Meister durch die Einfügung lebender, realer Personen in einen religiösen Zusammenhang aufgehoben werden wird. Diese wenigen, die Kreuzigung betreffenden Vergleiche, bringen einen Ausspruch Jakob Burckhardts in Erinnerung, den er in seinen "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" zwischen 1868 und 1871 notierte: " Enorm aber ist der Wert des Gleichartigen in der Kunst für die Bildung der Stile; es enthält die Aufforderung, im Längstdargestellten ewig jung und neu zu sein und dennoch dem Heiligtum gemäß und monumental, woher es denn kommt, daß die tausendmal dargestellten Madonnen und Kreuzabnahmen

71Alfred Stange, Deutsche Malerei der Gotik, Erster Band, Österreich und der ostdeutsche Siedlungsraum von Danzig bis Siebenbürgen in der Zeit von 1400 bis 1500, Deutscher Kunstverlag Berlin 1971, S. 63, Abb. 139 - 140 72Das Stift St. Lambrecht übte im 15. Jahrhundert eine starke Anziehung auf die Künstler der Zeit auf. Dies ist vor allem auf der hochkarätigen Kunstsammlung Kunstsammlung zuzuschreiben, die das Stift sein eigen nennen durfte. Viele Künstler dürften auf Ihrem zug nach Italien in St. Lambrecht Station gemacht haben um die Möglichkeit, dessen Sammlung zu besichtigen, zu nutzen. Lit.: NOCH SUCHEN

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nicht das Müdeste, sondern das Beste in der ganzen Blütezeit sind. Keine profane Aufgabe gewährt von Ferne diesen Vorteil. An ihnen, die eo ipse stets wechseln, würde sich nie ein Stil gebildet haben."73 Diesen Gedanken faßte Pablo Picasso erneut auf. In einem Gespräch mit Francoise Gilot äußerte er sich wie folgt: "Wenn du die Geschichte der Malerei verfolgst, wirst du höchstens zwanzig große Themen entdecken. Eins davon ist Christi Geburt. (....) Innerhalb verschiedener Zivilisationen und Religionen wiederholen sich immer wieder Themen, die einen auf gemeinsamer menschlicher Erfahrung beruhenden biologischen Aspekt darstellen und im Rahmen der herrschenden Ideologie der Zeit und des Ortes behandeln. Ein Thema ist, wie du siehst, etwas Universelles. Es verkörpert notwendigerweise eine wichtige Phase der menschlichen Entwicklung. Geburt, Leiden, Tod: Das sind große Themen. (....) Auf jedes Thema kommen tausende von Sujets, vielleicht noch mehr. Das Sujet ist eine der gültigen Phasen innerhalb eines Themas, das übrige ist nur Anekdote. Und für jedes neue Sujet gibt es eine neuen Maler. Der Maler, der einen Schritt vorwärts bezeichnet in der Geschichte der Malerei, ist derjenige, der ein neues Sujet entdeckt hat."74 Aus berufenen Munde wird also dargelegt, daß die Künster, indem sie sich gegenseitig immer und immer wieder nachahmen, einen Stil entwickeln und diesen mit der Zeit wieder durch einen anderen ablösen; und hierzu bedarf es nicht einer Vielzahl Sujets, da es derer sowieso nur weniger wichtiger gibt. 4.4 Ikonografie des gesamten Altares Wie ich nunmehr nachgewiesen habe, sammelte entweder der Auftraggeber oder Künstler künstlerische ikonografische Vorgaben, arangierte sie und gruppierte sie schließlich zu einem Altar. Wenn diese Aufgabe bereits beim Auftraggeber zu suchen ist, was heute nicht mehr definitiv nachgewiesen werden kann, aber angenommen werden darf, bedurfte es nur noch eines Künstlers, der diese Vorgaben in die Tat umsetzte, jedoch nicht, ohne seine eigene Kunstfertigkeit zu offenbaren; denn schließlich sind die beiden Stifterportraits als die ureigenen Schöpfungen des Meisters des Stalburgaltares zu sehen und die Vorgaben kopierte er nicht einfach, sondern ließ ihnen eine entsprechende neue Bedeutung zukommen.

73Jakob Burkhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, hrsg. von J. Oeri, Berlin/Stuttgart 1905, S. 105 74Francoise Gilot/Carlton Lake, Leben mit Picasso, München 1965, S. 281

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5 Arma Christi Innerhalb der bekannten Welt der künstlerischen Darstellung der Arma Christi erscheinen als Majestätssymbole des erhöhten Christus neben dem Kreuz zuerst die Lanze und der auf einen Stab gesteckte Schwamm75. Nicht die umfangreichen und alles umfassenden Leidensstationen Christi sollten mit den Arma Christi dargestellt werden, vielmehr wurde schon von jeher der Versuch unternommen die Person Christi bei der Darstellung des Schmerzensmannes in seinen wesentlichen Aspekten anschaulich zu machen. Selbstverständlich änderten sich im Laufe der Zeit die herangezogenen Attribute. In den Jahrhunderten entwickelte sich eine neue Bildsprache, deren Zeichsatz erst langsam, dann immer schneller anwächst, und zwar als Niederschlag einer lebendigen Entwicklung und nicht nach den festgelegten Regeln eines Systems76. Die erste Ausweitung der Majestätssymbole erfolgte im 11. Jahrhundert mit der Dornenkrone77, der sich um 1100 die Kreuzesnägel78 beziehungsweise der Kreuzesnagel anschlossen - denn auch hier wird von Anfang an Wert auf eine Abkürzung des Motivbereiches auf das wesentliche gelegt; denn vier beziehungsweise drei Nägel sagen da nicht mehr aus als einer. Im fortgeschrittenen 12. Jahrhundert folgte dem Nagel die Aufnahme der Geißel79. Je weiter das 12. Jahrhundert fortschritt, desto freier wurde man in der Auswahl der vorzufindenden Instrumente; offenbar begannen sich persönliche Andachtsbeziehungen herauszustellen, die bestimmten Passionsstationen eine größere Bedeutung einzuräumen schienen und in der Wahl der Instrumente ihre Objektivierung fanden. Albertus Magnus schließlich bezeichnete das einfache Andenken an die Passion für nutzbringender als Kasteiungen und Gebetsübungen, da nichts so zur inneren Vollkommenheit beitrage als "Versenken in die Passion"80. Eben dieses "Versenken in die Passion" scheint bei den Flügelaußenseiten des Altares geradezu progammatisch anwesend. So ist das Kreuz lediglich durch seinen Kreuzstamm wiedergegeben und vom Betrachter, der der Passionsgeschichte mächtig ist, eben zu einem solchen zu ergänzen. Das Fehlen der Wiedergabe der Nägel oder des Nagels wie auch des Speeres, ist

75Rudolf Berliner, Arma Christ, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, Band VI, 1955, S. 35 - 152, hier S. 41 76Bildbeispiele 77s. Fn. 73, S. 41 78s. Fn. 73, S. 42 79s. Fn. 73, S. 42 80C. Richtstaetter, Christus Frömmigkeit, Köln 1947, S. 87

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durch das offenkundige Vorzeigen der fünf Wundmale auch nicht verwunderlich, denn diese werden durch jene hervorgerufen und erübrigen daher jeglicher bildhafter Darstellung. Ebenso ist es mit dem Weglassen der Würfel. Allein die Anwesenheit des Gewandes Christi birgt zumal in diesem Bildzusammenhang die Notwendigkeit in sich, daß um dieses Gewand gespielt werden wird. Daher legte der Künstler keinen Wert auf dessen Darstellung, da sie einer tiefgehenden Verinnerlichung der Szene entgegenstehen würden. Entsprechend muß auch der Wegfall des Kreuzkeiles - eigentlich sind es ja drei81 - gedeutet werden. Eben dies muß auch als ein weiterer Beweis gesehen werden, in den Tafeln lediglich eine Kopie des dürerschen Kupferstiches "Christus als Schmerzensmann" zu sehen. Die eigentliche Absicht des Künstlers des Altares lag nicht in der plagiativen Kopie, sondern darin, das Vorbild seiner theologischen Grundlage entsprechend weiterzuführen. Der Altar fordert demnach den Intellekt des Betrachters in einer erheblich höheren Weise, verlangt von ihm eine tiefergehende aktive Kenntniss der Passionsereignisse und macht mit der Schilderung der Wirkung der Meditation der Passion analog der Schrift "Meditationes Vitae Christi" des Johannes de Caulibus82 auf die Steigerung des Lebensgefühles aufmerksam; dem Betrachter wird durch seine intellektuelle Leistung ein Vorgeschmack der himmlichen Herrlichkeit zu Teil. Entsprechend muß folgendes gesehen werden: Das ostentative Vorzeigen der Hände Christi und die in Trauer verhüllten beziehungsweise agierenden Hände Mariens führen insbesondere im Kontrast zu den Flügelinnenseiten, wo sie zum einen fast völlig verdeckt, zum anderen zwar dargestellt, aber in anbetracht des Gesamtkörpers viel zu klein erscheinen, zu einer dialektischen Wechselwirkung, die einer Klärung bedarf. Hände nämlich sind es, die für die Leiden Christi, ausgeführt mittels der Arma Christi, verantwortlich sind. Erstmalig scheinen diese in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts im Zusammenhang der Arma bildlich Erscheinung getreten zu sein83; sie sind hier als die mißhandelnden Hände zu verstehen, deren Handlungen im einzelnen nachvollziehbar sind: die gebenden und nehemenden der Silberlinge, die sich in Unschuld waschenden, die Spottgeste der Fika ausübenden ..... (Rest noch klärungsbedürftig). Die Hände sind somit als die eigentlich ausführenden der Passion zu verstehen 81s. Fn. 73, S. 55 82Oft als Werk Bonaventuras angesehen. Heute Johannes de Caulibus zugeschrieben. Lit.: Johannes de Caulibus, Cap. 69, Dt. Ausgabe: V. Rock und G. Haselbeck, Berlin (?), 2. Auflage 1931 83Gemälde von Roberto Oderisi, Arma Christi, Cambridge (Mass.), Fogg Museum of Art

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und daher auf den Außentafeln als explizit anwesend zu verstehen. Im Innern des Altares spielen sie hingegen keine entscheidende Rolle, da hier eine kontemplative Annäherung an das Leben Christi beziehungsweise Mariens im Vordergrund steht. Hierin schein ein Zitat Origenes84 wiedergegeben zu sein, der meint, der göttliche Logos füge Ärgernisse und Geheimnisse in die Schrift ein, um durch sie einen tieferen Sinn zu offenbaren, diesen aber vor der Menge verberge. Genau dies ist hier adaptiert auf die bildende Kunst angewendet. Es ist aber notwendig, diesen tieferen Sinn durch, wie Johannes Gerson es nennt, eine "forschende und suchende Erkenntnis von Gott"85 zu erarbeiten, was aber nichts anderes heißt, als das "Gott ... nur jenseits des Zusammenfallens der Gegensätze (ist). In ihm fallen das Große und Kleine, das Viel und Wenig zusammen. Und das ist die mystische Theologie"86. Gerade hierin zeigt sich die tiefe Verwurzelung des Altares und die der Stifter in der mystischen Theologie, beginnend mit der Spätantike und bis in unsere Zeit hineinreichend. Die Devotio moderna, von mir schon mehrfach im bezug auf diesen Altar angesprochen, bezeichnet die "theologia mystica" als "occultissima sapientia"87, also als die verborgenste Weisheit, die erst zum Verständnis entschlüselt werden muß. Dem das Geheimnis lösenden wird ein Vorgeschmack der himmlichen Herrlichkeit zu Teil. Der bewußt in der Gestalt Christus anzutreffende Unnaturalismus, auf den ich bereits weiter oben eingegangen bin88, ist als Anregung für den Betrachter zu verstehen, sich die Einzelheiten des Vorganges genauestens zu vergegenwärtigen; also bewußter Unnaturalismus zur Erzielung einer Gemütsbewegung beziehungsweise -wirkung durch das bestrebte Bewußtwerden der Unvollständigkeit der künstlerischen Darstellung. Oder, um mit den Worten Hegels zu sprechen, werde nicht flache Nachahmung des Sichtbaren, sondern deren geistige Durchdringung gefordert, indem der Gegenstand, vom Zufälligen und von Äußerlichkeiten befreit, zu seinem eigentlichen, angemessenen Sein finde.89 Wichtig scheint es daher, die 84Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Spalte 268, Origenes, De princ. IV,2,9,MPG 11;376 85Johannes Gerson, De theol. mystica, Oeuvres compl., hg. P. Glorieux 3, Paris 1962, S. 252 f 86Randbemerkung zum Albert - Kommentar zur "Mystischen Theologie" in: L. Baur, Cusanus - Texte III/1, Sber. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1940/41, Abh. 4 87Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Spalte 270 88Seitenzahl..... 89Götz Pochat, Geschichte der Ästhetik und Kunsttheorie, Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, DuMont Buchverlag Köln, 1986, S. 501 - 513, hier: S. 505

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Leiden Christi, symbolisiert durch die Arma Christi, einer geistigen Begründung, in vorliegenden Fall der der theologischen, zu unterziehen. Hiernach stehen die Leidenswerkzeuge als Antithese für die Sünden der Welt. War einmal eine Verbindung zwischen menschlichen Sünden und korrespondierenden Leiden Christi geschlagen, dann konnte sie ebensogut in der Richtung Gott - Mensch wirksam werden wie umgekehrt; die einzelnen Zeichen hatten für den Andächtigen eine Bedeutung, die über den Zweck der Erinnerung an die Leidensstationen hinausging. Als Vertreter ihrer Urbilder hatten sie deren Phylakterienbedeutung, soll heißen deren Schutzfunktion gegen die Angriffe der Dämonen; doch nur dem Eingeweihten öffnet sich dieses Verständnis, denn es handelt sich um eine echte Symbolbildung: Gestaltgebung an etwas zwar als faktisch Angesehenes, aber unter menschlich - rationalen Kategorien nicht Gestaltfähiges90. Den Außentafeln mit der Darstellung der Schmerzensmutter und des Schmerzensmannes kommt den materiell und imateriell dargestellten Zeichen der Arma Christi eine spezielle Bedeutung für den Betrachtenden zu, die die Hoffnung zum Ausdruck bringen, durch das vorgeschriebene Abhalten der Andacht und gleichzeitiger demütige Betrachtung der Altaraußentafeln vor unbußfertigen Tode bewahrt zu bleiben.91 Das allgegenwärtige "memento mori" machte die Gläubigen noch leidenschaftlicher als früher um ihr Seelenheil besorgt. Die volkstümliche Auffassung, sich durch gute Werke das ewige Heil sichern zu können, wurde quer durch alle Schichten akzeptiert und gefördert, von der Kirche nicht zuletzt aus sehr irdischen Gründen begünstigt. Hieraus läßt sich wiederum schließen, daß sich erst die Andacht als Ausdruck des Frömmigkeitsleben ausbildete, und das man ihr dann erst zur wirksameren Propagierung die Ablaßgewährung beigegeben wurde. Dieser Ablaß, der hier im Einfluß der Rosenkranzbruderschaft gesucht werden muß, ist dann auch von Papst Sixtus IV 1478 ausgesprochen worden.92 6 Die malerische Wirkung des Altares Die Außentafeln und die verlorene zentrale Mitteltafel sind thematisch als Szenen des Leidens charakterisiert; sie unterscheiden sich lediglich in Szenen des Leidens und in Szenen des Mitleidens. Dieser thematische

90s. Fn. 73, S. 54 91R. Morris, Legend of the Holy Rood, Early Englich Text Soc. 46, London 1871, S. 190 V. 139 ff 92Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol. XXV 1962, S. 329

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Zusammenhang läßt auf eine identische Maltechnik rückschließen, da hierdurch die Egalität in ästhetischer Weise zum Ausdruck kommt. Der Maler hat also den Versuch unternommen, gleichartige Zustände einer gleichartigen Malweise zu unterziehen. Vergleicht man die beiden Portraitafeln mit dem gesamten übrigen Altar, wird der malerischer Unterschied offenkundig. Findet sich hier ein vorherschender Goldton, so ist dort die Farbpalette reichhaltiger eingesetzt; Buntfarben wie grün und rot drängen das Gold in den Hintergrund. Diese unterschiedliche Malauffassung ließ Meinungen aufkommen, die besagten, die beiden Tafelpaare seien nicht vom gleichen Künstler erstellt. So sieht Ute Nortrud - Kaiser die malerische Identität der Flügelinnen- und -außenseiten als eine "Folgerung" an, "die genau überdacht werden sollte"93und kritisiert somit im nachhinein das Verdienst Ernst Buchners die Zusammengehörigkeit dieser Tafeln erkannt zu haben94. 7 Stifterbildnisse Wie schon mehrfach erwähnt, nehmen die beiden, die Kreuzigungsmitteltafel flankierenden Stifterportraits eine prominente Stellung ein, die insbesondere deren raumgreifender Darstellung zugeschrieben werden muß, denn schließlich umfaßt ein jedes den Raum eines Altarflügels in seiner Gesamtheit, eine Präsentation, die im beginnenden 16. Jahrhundert als ein außergewöhnlich progressives Stilmittel angesehen werden darf, eines, welches in dieser Ausdrucksstärke auch nie wieder gestaltet werden sollte, sieht man von autonomen Bildnissen 95 ab, also von Bildnissen, die ausschließlich um ihrer selbst willen erstellt wurden und keinem übergeordneten Thema, wie immer es auch geartet sei, unterstellt sind. Die Einzigartigkeit der stehenden ganzfigurigen Stifter wird dadurch bekräftigt, wenn man Dirk de Voss96 zu Wort kommen läßt. Bei der Betrachtung von "Three fragments of an

93Ute Nortrud Kaiser, Jerg Ratgeb Spurensicherung, Historisches Museum Frankfurt am Main, 1985, S. 62 94Ernst Buchner, Studien zur mittelalterlichen Malerei und Grafik der Spätgotik und Renaissance, 1927, S. 86 ff --- FN auf Richtigkeit überprüfen 95Als Beispiele mögen hier die Bildnistafeln von Lucas Cranach d.Ä. "Herzog Heinrich der Fromme" und "Herzogin Katharina von Mecklenburg", beide 1514, von Lindenholz auf Leinwand übertragen, 184 cm x 82,5 cm, Dresdner Gemäldegalerie und die von Bernhard Striegel "Konrad Rehlinger der Ältere" (209 cm x 101 cm) und "Die acht Kinder des Konrad Rehlinger" (209 cm x 98 cm), beide 1517, Nadelholz, WAF 1064 und 1065, Alte Pinakothek München dienen. 96Dirk de Voss, Hans Memling, The Complete Works, Thames and Hudson, London 1994

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altarpiece: Standing Virgin and Child with two donors"97 von Hans Memling äußert er sich wie folgt: "It is clear from the mere position of the little boy that they are kneeling. Moreover, standing donor figures have never, to my knowledge, appeared in a painting."98 An seinen Worten, die der Kunst die stehenden Stifterfiguren abschreiben, ist die Einzigartigkeit des Stalburgaltares ablesbar, aber auch ein Problem, nämlich dasjenige, wie es hierzu gekommen ist. Betrachtet man die Katalog Nummern 75 und 7999 jedoch genauer, vor allem unter dem Aspekt, wie eine Verbindung zwischen Maria mit dem Jesuskind und dem Stifter hergestellt ist, wobei man wohl von einer stehenden Maria, die das Christuskind auf einer Brüstung absetzte, ausgehen muß, ergibt sich daraus folgerichtig, daß der sich auf der gleichen Brüstung abstützende Stifter ebenso als stehend zu denken ist. Dieses in diesen Gemälden verschleierte identische Standmotiv, wodurch das bisherige hieratische Kompositionsprinzip entwertet wurde, schließlich sind Maria und der Stifter als gleichgroße Personen in fast identischer Körperhaltung dargestellt und damit als wesensgleich zu werten, wird erst durch den Meister der Stalburgbildnisse entschlüsselt und in offenkundiger Klarheit vor Augen geführt. Um das Außergewöhnliche dieser Portraitafeln besser würdigen zu können, ist es notwendig, einen eingehenden Überblick über das Aufkommen und die Entwicklung des Stifterbildes zu geben, der durch einen Einblick in die Historie, und hier insbesondere in die der Kirche, ermöglicht werden soll. 7.1 Historischer Überblick ganzfiguriger Stifterbildnisse

7.2 Kryptoportraits Wichtig ist es in unserem Zusammenhang das Kryptoportrait wenigstens kurz einzubeziehen, denn allein hierdurch wird es möglich, das entwicklungsgeschichtlich Neue in den stalburgschen Portraits erfahrbar zu machen. Der Begriff Kryptoportrait sagt von sich aus nicht gerade deutlich, um welche Bildgegenstand es sich hierbei handelt. Aus diesem Grunde ist eine Definition notwendig. Es handelt sich nämlich um Bilder von Heiligen oder von Assistenzfiguren in religiösen Darstellungen, auch von mythologischen und allegorischen Figuren, denen die Gesichtszüge

97wie vor, Kat. Nr. 85, S. 307 - 309 98wie vor, Fußnote 1 zu Kat. Nr. 85, S. 307 - 309 99wie vor, Seitenzahl zu jeder Kat.Nr. einfügen

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lebender Personen verliehen worden sind100. Am Beginn der Entwicklung dieses Bildtypus steht vermutlich das Gemälde Masaccios, der in S. Maria del Carmine einen Hl. Paulus malte, in dessen Haupt "è Bartolo di Angiolino Angiolini ritratto di naturale"101. Das wesentliche und einzigartige dieser Bildnisgattung ist nämlich die Bedeutungsduplizität, die der Portraitierte einnimmt. Bezogen auf den "Paumgartner Altar" Albrecht Dürers, einem Altar dessen Innenflügel Kryptoportraits zeigen, wendet sich der vor dem Altar betende Christ nicht ausschließlich an die auf der Mitteltafel dargestellte Heilige Familie, sondern auch an die auf den Flügeln dargestellten Hl. Georg und Eustachius. Darüber hinaus wendet er sich gleichzeitig an die in diesen Heiligen personifizierten Stifter Stephan und Lukas Paumgärtner. Die Dargestellten werden also über ihr gewöhnliches irdisches Leben hinaus in ein göttliches emporgehoben oder, anders ausgedrückt, wird das naturalistische und persönliche Bildnis in die mysthische und sakrale Welt eingeführt. Hierdurch wird deutlich, daß sich gegenüber den alten Altären, in denen ausschließlich Heilige Persönlichkeiten Abbildung gefunden haben, eine Wandlung vollzogen hat, die auf eine fundamental geänderte Frömmigkeitsvorstellung verweist. Das Heil, sei es weltlich oder religiös, ist nicht mehr durch eine völlige Hingabe in die religiöse Welt zu erzielen, vielmehr zeichnet sich nun eine Hinwendung zur weltlichen Macht ab, die der religiösen als annähernd gleichrangig beigeordnet gesehen wird. Sowohl das eine als auch das andere Weltbild wird als befähigt empfunden, Probleme zu lösen, welcher Art sie auch immer sein mögen. Die christliche Vormachtstellung hat ihr Ende gefunden und scheint, über kurz oder lang, von den weltlichen Existenzvorstellungen abgelöst zu werden. Eben diese Wandlung muß bei den Stalburg - Bildnissen als vollzogen angesehen werden, denn hier zeigen sich die Stifter erstmals in der Kunstgeschichte als eigenständige Personen, die lediglich durch ihr Rosenkranzgebet einem christlichen Kontext unterzogen werden. Wie kam es zu diesem eklatanten Wandel im Bildnis, welche Ursachen zeichneten hierfür verantwortlich und welcher Einfluß muß diesen Bildnissen bei der Fortentwicklung der Kunst zugeschrieben werden? Fragen, die das Maß dieser Arbeit überschreiten, aber auf jeden Fall in weiteren Arbeiten in betracht gezogen werden müssen. Eine weitere

100Gerhard Ladner, Die Anfänge des Kryptoportraits, in: Michael Stettler zum 70. Geburtstag, Von Angesicht zu Angesicht, Portraistudien, Verlag Schämpflie und Cie AG, Bern 1983, S. 78 - 97, hier S. 78 101Giorgio Vasari, Le Vite de oiu eccellenti pittori, saltori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, Sansoni Editore, Firenze 1971, S. 122 - 134, hier S. 129

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Frage, die in diesem Zusammenhang wichtig erscheint, ist folgende: Welche Stellung nehmen die beiden Portraittafeln in dem eng umgrenzten Gattungsbereich der Kryptoportaits ein? Diese wird erst deutlich, wenn man sich, wie bereits geschehen, mit der Bedeutung und Funktion des Rosenkranzes auseinandersetzt. Adolf von Essen, der Begründer des Rosenkranzes, sowohl in seiner gegenständlichen Form, als auch in seiner Gebetspraxis, führte als erste die Herzogin Margarete von Bayern und Dominikus von Preußen in diese neue Gebetsform ein102, die damit als die praktischen Begründer des Rosenkranzgebetes angesehen werden müssen. Aus diesem Grunde ist wohl auch zulässig, in den Bildnistafeln nicht nur die beiden Portraitierten Claus Stalburg und Margarete von Rhein, die schließlich auf dem Rahmen inschriftlich verewigt sind, zu erblicken, sodern auch die beiden Erstlinge dieser Gebetsform. Der Altar versinnbildlichte damit sowohl den Anfang einer neuen Gebetsform als auch das rasch aufkommende Traditionsbewußtsein, welches vor allem durch die rasche Ausbreitung der Rosenkranzbruderschaften augenfällig wird, und jeder, der diesem wissend entgegentritt, erfährt diesen entwicklungsgeschichtlichen Ablauf und erweitert ihn bis in die heutige Zeit. Ein ewiges, unablässiges Gebet, ausgehend von den Anfängen über die Zeit der Stifter bis hin in unsere heutige Zeit läßt sich vernehmen - eine Gebetsform mit einer mehr als vierhundertjährigen Tradition läßt sich ablesen, ohne der Gefahr zu verfallen, abgenutzt und damit uninteressant zu erscheinen. 8 Der Präsentationsraum Stalburg Die Stalburg, die 1496 errichtet wurde, wurde in dem altertümlichen, eigentlich schon abgeschlossenen Stil der Gotik errichtet, dem sich der Altar in seinem Erscheinungsbild anpaßt. 8.1 Die Stalburg 8.2 Die Stalburgkapelle 9 Zuschreibung und Provenienz des Altares

102Karl Joseph Klinkhammer, Die Entstehung des Rosenkranzes und seine ursprüngliche Geistigkeit, in: 500 Jahre Rosenkranz 1475 Köln 1975, Erzbischöfliches Diözesan - Museum Köln, S. 30 - 50, hier S. 38

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In der überwiegenden Mehrzahl der kunsthistorischen Literatur, die sich dem Altar der Stalburg widmete, wurde dem Aspekt der Künstlerzuschreibung äußerste Priorität eingeräumt. Dies ging auf Kosten der Untersuchungen, die neben dem ausschließlichen kunstästhetischen Wert auch weiterführende soziologische, philosophische und theologische Ansätze zum Inhalt hatten. Als Beispiel möge ein Satz Ernst Buchners genügen: "Die annähernd lebensgroßen , 1504 gemalten Standfiguren des Frankfurter Patrizierpaares bezeugen als die, soweit wir sehen, fühesten Beispiele oder besser, da noch dem Altar eingefügt, Vorläufer dieser Bildnisgattung innerhalb der deutschen und abendländischen Tafelmalerei eine tiefgehende Wandlung in der Auffassung und Wertung der menschlichen Persönlichkeit."103 . Er greift zumindest, zwar äußerst peripher, aber immerhin, den theologischen Grundgedanken auf, indem er den künstlerischen Geamtzusammenhang zu einem Altar anspricht, diesen Gedanken aber sofort wieder fallen läßt und nur noch den Portraits Bedeutung einräumt. "Die Stalburgbildnisse sind zwar noch dem Altarverbund eingeordnet, jedoch - und das ist das generell neue und zukunftweisende - nicht als vornehme Stifter, sondern als freie, selbständige Menschen, die zu der Altarmitteltafel (Kreuzigung, 1813 verbrannt) weder durch Haltung noch Blick und Geste in Beziehung gesetzt sind."104 Das dem so nicht ist, habe ich in dem Kapitel verdeutlicht, indem ich auf die Devotio moderna und die Rosenkranzbruderschaft eingegangen bin. Trotzallerdem ist Ernst Buchner dafür Dank auszusprechen, daß er den Gesamtzusammenhang des Werkes würdigte. Die erste schriftliche Notiz zum Stalburgaltar ist der auf den 27. September 1779 datierte Versteigerungskatalog unter dessen Nr. 1088 eine Beschreibung des Altares vorgenommen wurde105. Die Interpretation dieser Textstelle beinhaltet verschiedene Probleme. So ist der Hausaltar als "oben halbrund"106 angesprochen und die Mitteltafel zeigt eine Kreuzigung "mit vielen Figuren"107. Auf diese beiden Aspekte wird an anderer Stelle dieser Arbeit eingegangen werden. In dem Katalogstext wird des weiteren der Künstler mit dem Namen "Hanns Grünewald"108 angesprochen. Dieser

103Ernst Buchner, Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit, Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1953, S. 52 - 54, Kat. Nr. 40 und 41, S. 191 - 192 104Ernst Buchner, wie vor 105a.a.O. Anm. 8, s.a. Text S. ...... 106a.a.O. Anm. 8, s.a. Text S. ...... 107a.a.O. Anm. 8, s.a. Text S. ...... 108a.a.O. Anm. 8, s.a. Text S. ......

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Hanns dürfte wohl mit dem von Joachim von Sandrats in seiner "Teutschen Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey Künste" erwähnten "Hans Grünewald"109. Die Vermutung liegt nahe, daß die völlig ungreifbare Gestalt dieses Malers nur aus einer Verwechslung mit dem Sandrat übrigens gänzlich unbekannten Hans Baldung gen. Grien entstanden sei110. Somit geht die erste namentliche Zuschreibung des Altares aus dem Jahre 1779 an Hans Baldung gen. Grien. Der Altar, so scheint es, wird von der Auktion zurückgezogen und wohl von Nothnagel selbst, dem Veranstalter der Auktion, zersägt111., möglicherweise allein deswegen, um den Altar besser veräußern zu können. Ganz offensichtlich war seit diesem Zeitpunkt das Altarwerk nicht mehr im Besitz der Familie Stalburg, womit die Notiz Ph. Fr. Gwinners, das Werk sei auch nach 1788, dem Verkaufsjahr der großen Stalburg, in deren Besitz geblieben112 als irrelevant anzusehen ist. In den Jahren 1809 bis 1811 sind die Bildnisse sicher in dem 1808 von Karl von Dalberg gegründeten Museum gewesen113, während dahingehend die Außentafeln im Herzogsstand der Schlosskirche in Meiningen114 Aufstellung fanden. Die "sehr bedeutenden Flügelgemälde eines ehemaligen Altares"115 wurden einem "fränkischen Meister, der unter dem Einfluß der Nürnberger Kunst stand"116 zugeschrieben. Die Mitteltafel dürfte sich bereits zu dieser Zeit im Hause des Hanauer Sammlers und Gelehrten Hundshagen befunden haben, wo sie bei der Erstürmung der Stadt durch die Franzosen im Jahre 1813 verbrannte117. Die Innenflügel tauchten 1829 im Lagerkatalog der Musik- und Kunsthandlung des Hofrates C. A. André als Werke Hans Holbeins d.Ä.118 wieder auf. Vier Jahre später, 1833, erwarb 109Joachim von Sandrat, Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey Künste von 1675, Leben der berühmten Maler, Bildhauer und Baumeister, Hersg. und kommentiert von Dr. Arthur R. Peltzer, G. Hirth´s Verlag AG München 1925, S. 83 110Thieme/Becker, Bd. 15, Stichwort: Hans Grünewald, S. 133 111Niels von Holst, Frankfurter Kunst- und Wunderkammern des 18. Jahrhunderts, ihre Eigenart und ihre Bestände, S. 34 - 58, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, Hrsg. von Wilhelm Waetzholdt, Bd. 52, Berlin, Leipzig 1931, hier: S. 50 112Ph.Fr. Gwinner, Kunst und Künstler in Frankfurt am Main vom 13. Jahrhundert bis zur Eröffnung des Städelschen Kunstinstitutes, Ffm 1862, S. 46 113Paul Eich, Städel Jb., S. 140 114Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Herzogthum Sachsen - Meiningen, I. Band 1. Abteilung, Jena 1909, Lichtdrucktafel nach S. 148, S.151, S. 176 und folgende Lichtdrucktafel 115Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Herzogthum Sachsen - Meiningen, I. Band 1. Abteilung, Jena 1909, S. 151 116Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Herzogthum Sachsen - Meiningen, I. Band 1. Abteilung, Jena 1909, S. 176; nicht um 1510, wie immer zitiert! 117Ph. Fr. Gwinner, Kunst und Künstler in Frankfurt am Main vom 13. Jahrhundert bis zur Eröffnung des Städelschen Kunstinstitutes, Ffm 1862, S. 46 118?

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das Städelsche Kunstinstitut zu Frankfurt am Main die beiden Stiftertafeln119. In dem Bestandsverzeichnis des Städelschen Kunstinstitutes wurden sie einem "oberdeutschen Maler um 1500"120 zugeschrieben. Die beiden im Herzogsstand der Schlosskirche zu Meiningen hängenden Tafeln gelangten erst im Jahre 1953 aus dem Besitz der Prinzessin Sachsen - Meiningen in den des Städel Museums121. Erst 1892 wurden die vier Tafeln als zusammemgehörig anerkannt und einem Künstler allein zugeschrieben. Otto Donner - von Richter hat in seiner Monographie über den Künstler Jerg Ratgeb122 eben diesem die Tafeln zugeschrieben und damit auch erstmalig einen Aufenthalt dieses Künstlers in Frankfurt rekonstruiert. Alfred Lehmann123 übernimmt diese Zuweisung, nicht ohne wertend hinzuzufügen, daß sie "bereits den dürerschen Einfluß erkennen" lassen. Dem gegenüber äußert sich Curt Glaser124 bezüglich des Malers, den er auch für Jerg Ratgeb hält, als "dem Hausbuchmeister in seiner Jugend nahe" stehend. Völlig identisch sprach er sich bereits in seinem 1916 erschienenen Werk unter dem Titel "Zwei Jahrhunderte deutsche Malerei"125 aus. Betty Kurth126 äußert Bedenken gegen die Zuschreibung Ratgebs, da sie "aus historischen und nicht stilistischen Erwägungen" erfolgte. "In seiner zarten und delikaten zeichnerischen Art, in seiner idealisierten Vornehmheit, in seinem engen Zusammenhang mit der älteren schwäbischen Kunst wäre dieses Werk vorläufig noch ganz isoliert im Schaffen des Künstlers." Für Alfred Stange127 "kann die Zuschreibung der beiden Bildnisse an Ratgeb, die allein auf dessen Beziehung zu Claus Stalburg fußt, nicht als völlig gesichert gelten". Mittels einer Umdatierung, "vielleicht hieß die Jahreszahl ursprünglich 1514", gelangt er zu dem Ergebnis, daß "sie (die Tafeln) sich

119W. Weizsäcker, Catalog der Gemälde - Galerie des Städelschen Kunstinstitutes Frankfurt am Main, 1903, S. 267 - 270 120W. Weizsäcker, Catalog der Gemälde - Galerie des Städelschen Kunstinstitutes Frankfurt am Main, 1892, S. 267 - 270 121Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, Verzeichnis der Gemälde, Ffm, 1987, S. 73 122Otto Donner von Richter, Jerg Ratgeb, Maler von Schwäbisch Gmünd, Ffm 1892, S. ... 123Alfred Lehrmann, Das Bildnis bei den altdeutschen Meistern bia auf Dürer, Leipzig 1900, S. 127 - 128 124Curt Glaser, Die altdeutsche Malerei, Bruckmann, München 1924, S. 389, Anm. S. 498 zu S. 389 125Curt Glaser, Zwei Jahrhunderte deutsche Malerei, Bruckmann, München 1916, S. 251 126Betty Kurth, Ein unbekanntes Jugendwerk Jörg Ratgebs, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Kunst, hersg. von Ernst Buchner und Karl Feuchtmayr, I. Band, Oberdeutsche Kunst der Spätgotik und der Reformationszeit, Augsburg 1924, S. 186 - 199, hier. S. 190 127Alfred Stange, Jörg Ratgeb, Zugleich ein Beitrag zur Verarbeitung italienischer Formmittel in Deutschland, in: Festschrift Heinrich Wölflin, Hugo Schmidt Verlag, München 1924, S. 195 - 208, hier S. 195, Anm. 3

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der (künstlerischen) Entwicklung Ratgebs besser einfügen." Die Möglichkeit der Anfechtung des Datums 1504 bietet der Umstand, da die Rahmen der Bilder, auf denen die Inschrift nebst Datum steht, 1788 erneuert wurden, als man den Altar beim Abbruch der Großen Stalburg von seinem alten Platz entfernte und verkaufte128 Zwei Jahre später äußert sich Guido Schönberger129 zu diesem Problem. Er macht auf die Unmöglichkeit aufmerksam. den Altar um zehn Jahre später, in das 1514 vorzudatieren und dies einem Lesefehler zuzuschreiben, der bei der Erneuerung des Rahmens und der Inschrift entstanden sei. Denn schließlich sei die heutige Inschrift "in gotischen Minuskeln geschrieben, die dem Schriftcharakter nach sehr gut dem Anfang des 16. Jahrhunderts entsprechen." Darüber hinaus sei das Datum in Worten auf den Rahmen sowohl des männlichen als auch des weiblichen Bildnisses geschrieben, "dusent - fünf - hundert - und - fier - jar". Das anstatt einer ursprünglich ausgeschriebenen "fierzehn" für die neue Fassung "fier" gelesen wurde, "ist ganz unwahrscheinlich". Darüber hinaus stimmt für das Jahr 1504 die angegebene Lebenszeit von 35 Jahren für den 1469 geborenen Claus Stalburg . Leider ist das Geburtsdatum der Margarethe von Rhein unbekannt, da sie aber 1499 heiratete und 1550 verstarb, kann sie sehr gut 1504 zwanzig Jahre alt gewesen sein. Bezüglich der Zuschreibung spricht sich Schönberger für Jerg Ratgeb aus. 1927 macht Ernst Buchner130 deutlich, daß der Künstler mit Jörg Ratgeb nicht identisch sei. Vielmehr handele es sich um einen Niederschwaben, der ohne Zwang in den mittelrheinischen Künstlerkreis eingliedern lasse, da er eine Verwandschaft mit dem Monogrammisten WB131 und mit dem Meister der Mainzer Epiphanie132 aufweise. Buchner erfand für den Maler des Altares den Notnamen "Meister der Stalburg - Bildnisse". Auf diese Ausführungen greift er in seinem 1953 erschienen Kompendieum "Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit"133 "leicht variierend zurück". Er sieht ihn als einen "Meister der Übergangszeit, etwa gleichzeitig mit Bernhard Strigel und Hans Holbein d.Ä., stark beeinflußt von der Kunst des

128Catalog der Gemälde Galerie des Städelschen Kunstinstitutes in Frankfurt am Main, Hersg. H. Weizsäcker, Ffm 1900, S. 269 129Guido Schönberger, Ratgeb - Studien, in: Städel Jahrbuch, 5. Band, 1926, S.55 - 74, hier S. 55 - 59 130Ernst Buchner, Studien zur mittelrheinischen Malerei und Grafik der Spätgotik und Renaissance, 1927, S. 86 ff, Abb. 74 und 75 131Beispiele 132Bildangabe 133Ernst Buchner, Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit, Berlin 1953, S. 52 - 54, Abb. ..........

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jungen Dürer, im Kolorit und in der Malweise dem Martin Hess - Caldenbach nahestehend." Diese neue kunsthistorische Einordnung sieht Walter Karl Zülch134 als zu recht erfolgt. Paul Eich135, der sich 1967 zu Wort meldet, behält den Notnamen bei, sieht in ihm jedoch nicht mehr "einen Maler des Mittelrheingebietes, wie einen Meister WB oder Kaldenbach" sondern mutmaßt "der Stalburgaltar (sei) von einem Gesellen Holbeins (d.Ä.) ausgeführt" worden, "der aus Ulm kommend ... in der Werkstatt Holbeins arbeitete". Wilhelm Fraenger136 sieht in ihm einen "problematischen Hausaltar", den er lediglich in der Bildunterschrift als den des Meisters der Stalburgbildnissse anspricht. In seiner Rezension dieses Werkes zieht dann auch Bruno Bushart137 den von Fraenger nur vorsichtig angedeuteten Schluß, daß "die Einordnung der Stalburgportraits von 1504 ... noch nicht ausdiskutiert" sei! Maria Kusche138 andererseits weist den Altar in einem Artikel über das Repräsentationsbildnis in ganzer Figur in einer Bildunterschrift kommentarlos wieder Jörg Ratgeb zu. Den bisherigen Abschluß dieses Zuschreibungswettbewerbes bildet Wolf Lücking. Dieser gelangt in zwei Werken 139 zu der Ansicht, daß "der schein eines eigenen Stils ... die Forscher (trog); denn der Meister der Stalburgbildnisse kann niemand anderes als Grünewald sein."140 "Mit Hilfe der Bildvergleiche war es nicht mehr schwer, Grünewald als Autor der Bilder zu identifizieren. Ich war danach sicher, jeden möglichen kunstkritischen Einwand, der in Zukunft dagegen ins Treffen geführt werden könnte, parieren zu können. Deshalb verzichtete ich ganz bewußt darauf, vor der Veröffentlichung weitere Erkundigungen in der Fachliteratur über den Meister der Stalburgbilder einzuholen."141

10 Die Auftraggeber 134Walter Karl Zülch, Frankfurter Künstler 1223 - 1700, Verlag Sauer und Avermann KG, Ffm 1967 (Nachdruck von 1935), S. ........ 135Paul Eich, Die Flügel des Stalburgaltares, in: Städel Jahrbuch 1967, S. 140 - 145 136Wilhelm Fraenger, Jörg Ratgeb, C. H. Beck, München 1981, S. 234, Abb. 153 und 154 137Bruno Bushart, Rezension zu Wilhelm Fränger, Jörg Ratgeb, in: Pantheon, XXXIII. Jahrgang 1975, Bruckmann München, S. 80 138Maria Kusche, "Der christliche Ritter und seine Dame " - das Repräsentationsbildnis in ganzer Figur, in: Pantheon, XLIX, Bruckmann Verlag München 1991, S. 4 - 35, hier S. 14, Abb. 44 139Wolf Lücking, Mathis, Nachforschungen über Grünewald, Fröhlich und Kaufmann, Berlin 1983, S. 46 - 59; Wolf Lücking, Grünewald, Der Stalburg Altar, Fröhlich und Kaufmann, Berlin 1986 140Wolf Lücking, s.o., 1983, S. 47 141Wolf Lücking, s.o., 1986, S. 7

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10.1 Die Biografie Klaus Stalburg Führende Patrizier, die zunehmend humanistische Bildung genossen hatten, nahmen wachsenden Anstoß am Zustand der Kirche, an der Verwahrlosung und Pflichtvergessenheit des Klerus, der Mönche und Nonnen, den Ewigen Zinsen und anderen gravamina und wurden zu Hassern des Klerus. Zu diesen Kunst und Wissenschaften zugetanen Kreis zählten neben Philipp Fürstenberger, Blasius und Hamann Holzhausen auch Claus Stalburg. Sie erreichten 1520 die Berufung des Erasmusschülers Wilhelm Nesen zum Rektor der neuen Latainschule und unterhielten Beziehungen zu Ulrich von Hutten und Philipp Melanchton. 10.2 Die Biografie Margarete von Rhein 11 Der Rosenkranz Der Rosenkranz dient als Reformgebet, als ein höchst persönliches beten um die eigene Bekehrung, um wachsende Christuskenntnis und als Angleichung an den menschgewordenen Sohn. 11.1 Die Rosenkranzdarstellungen des Altares Der in Händen gehaltene Rosenkranz des Claus Stalburg setzt sich zusammen aus goldenen Filigranperlen, facettiert geschliffenen Korallenperlen und einem Bisamapfel, einem kleinen filigran durchbrochenen Behälter aus Gold für heilkräftige Duftstoffe. Außergewöhnlich an diesem Rosenkranz ist die Gestaltung von vier Gesätzen zu sechs Perlen. Der Rosenkranz Margarete von Rhein setzt sich ähnlich zusammen, die goldenen Perlen sind hier jedoch geriefelt. Auch im Aufbau unterscheidet er sich. So finden sich hier drei Gesätze zu zehn und ein Gesätz zu neun Perlen. Der Koralle kommt als symbolische Bedeutung eine Schutzfunktion vor alle Übel und Hilfe gegen Versuchungen zu. Auf Grund ihrer besonderen Gestaltung beläuft sich die Anzahl der Korallenperlen beider Rosenkränze auf 63. Diese Anzahl darf wohl als eine Anspielung auf die legendären 63 Lebensjahre der Gottesmutter verstanden werden, womit nunmehr also nicht nur der Tod Christi im Altar präsent ist, sondern auch der Marias. In diesem Zusammenhang darf wohl darauf hingewiesen werden, daß im Brigittinenorden ein Rosenkranz, bestehend aus sechs Gesätzen zu zehn Perlen und drei Aveperlen als üblich anzusehen ist. So findet sich über den Rosenkranz ein Verweis auf Maria, sowohl über die Gebetsform als auch über dessen Gestaltung.

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11.2 Das Rosenkranzbild Im Kanon der überlieferten Rosenkranzbilder nimmt der Altar der Stalburg eine Sonderstellung ein, denn in ihm wird das Thema auf den ersten Blick lediglich tangiert, nämlich durch die beiden von den Stiftern in Händen gehaltenen Rosenkränze. Das dem so jedoch nicht ist, wird erst auf den zweiten Blick sichtbar, denn die Stifter sind als den Rosenkranz betend dargestellt, und damit ist nicht nur der gegenständliche Rosenkranz als Gebetshilfe, sondern auch das Geistige, das Gebet selbst, in dem Kunstwerk dinghaft. Bildlich wird die von der Devotio moderna geforderte Aktivität des Laiens thematisiert, denn allein an ihm liegt es, sich durch seine innere Frömmigkeit Gottes Gehör zu verschaffen 142. Vergleicht man den Frankfurter Altar mit den Urbildern dieser Thematik, wird der ikonografische als auch der theologische Unterschied der Darstellung auf anhieb klar. Die ältesten Bilder, die sich diesem Thema widmen, sind zum einen ein Altarbild der kölner Rosenkranzbruderschaft in St. Andreas zu Köln und zum anderen ein Holzschnitt, der dem Statuten- und Regelwerk Jakob Sprengers der kölner Rosenkranzbruderschaft entnommen ist. Das erste, im Jahre 1475 geschaffene Altarbild in St. Andreas wurde nach 1500 aus immer noch unbekannten Gründen durch das noch heute erhaltene Werk des "Meisters von St. Severin" ersetzt143. Das Zentrum des Bildes zeigt die Darstellung der in einem gewölbten Raum stehenden Schutzmantelmadonna, flankiert von dem Hl. Dominikus links und dem Hl. Petrus Martyr, einen in Italien und den Niederlanden besonders verehrten Dominikanermönch, denen wiederum zur Seite gestellt sich die Standfiguren der Hl. Dorothea und Caecilia befinden. . Zu Füßen der Madonna knien, durch ihren Mantel geborgen, Papst Sixtus IV, Kaiser Friedrich III, die damals schon verstorbene Kaiserin Eleonora und ihr Sohn Maximilian sowie weitere Kleriker und Laien.144 Die in diesem Bild gefundene ikonografische Form bleibt - von stilbedingten Wandlungen einmal abgesehen - für lange Zeit verbindlich und wird erst durch den Stalburgaltar in Frage gestellt. Denn die Forderung der Devotio moderna nach einer Abkehr von der weltlichen und klerikalen Elite hin zu einem einbeziehen des Laien und dessen aktives gestalten der Religion bleibt hier 142vgl. Punkt 11.2 Die Geschichte des Rosenkranzes 143Altar der Rosenkranzbruderschaft, Meister von St. Severin, nach 1500, Öl auf Holz, Mitteltafel 220 : 68 cm; Flügel je 220 : 43 cm 144Gertrud Schiller, Ikonografie der christlichen Kunst, Band 4.2, Maria, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, S. 201 - 202

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noch unerfüllt. Deutlich wird dies vor allem durch die Hl. Caecilia, die aus den Händen eines Engels "Kränze von Rosen aus dem Paradies Gottes" erhalten habe, um Ungläubige zu bekehren145. In diesen Kontext ist die Hl. Dorothea mit einbezogen. Nicht die aktive selbstbestimmte Glaubensäußerung ist hier gefordert, wie sie in Frankfurt sichtbar ist, sondern das passive überzeugt werden, das in der Tradition der Kirche stehende bekehrt werden. Der berühmte Holzschnitt der "Rosenkranzmuttergottes"146 zeigt die von zwei schwebenden Engeln mit einer habsburgischen Kaiserkrone gekrönte thronende Muttergottes. Das auf ihrem Schoß sitzende Jesuskind nimmt von den in einem Halbkreis umherstehenden geistlichen und weltlichen Ständen Kränze aus Blumen und Blüten, wohl bildlich zu verstehende Rosenkränze, entgegen.147 Hier wird also im Gegensatz zum Kölner Bild die aktive Andacht des Christen durch Gebet oder Meditation gefordert; denn schließlich ist nach den Worten von Erasmus von Rotterdam kein wahrhaft frommer Mensch, wenn man sich damit begnügt, Glaubensformeln anzuhören. Somit steht die dargestellte bildhafte Übergabe eines dinghaften Rosenkranzes als ein Symbol eines tatsächlich gebeteten zu Ehren Marias und des Lebens Christi. So unterschiedlich der Holzschnitt und der Stalburgaltar aus ikonografischer Sicht auch erscheinen mögen, sosehr gleichen sie sich doch, bei näherer Betrachtung der geistigen Ebene. Hier wie dort steht die aktive Frömmigkeitsausübung im Vordergrund und damit nimmt das Frankfurter Triptichon die ursprüngliche Geistigkeit einer aktiven Religionsausübung eines jeden Gläubigen, von der in Köln ansässigen Rosenkranzbruderschaft wohl erstmals in dieser Form gefordert, wieder auf. Gleichzeitig läßt sich zwischen beiden auch ein Wesensunterschied in der ihnen immanenten Geistigkeit ausmachen. Kommt in dem Holzschnitt der Wunsch nach Reform der Kirche zum Ausdruck und der Plan hieran aktiv mitzuwirken, geht der Stalburgaltar

145Jacobus de Voragine, Legende Aurea, Manesse Verlag Zürich, 1990, S. 409 - 418, hier: S. 411 146Rosenkranzmuttergottes aus dem Statuten- und Regelwerk der Kölner Rosenkranzbruderschaft des Jacob Sprenger, Augsburg, 1477, Staatsbibliothek, Bamberg Inc. typ. J. H. IV. 337 Coll. Josef Heller und Bayerische Staatsbibliothek, München Inc. c. a. 88 4° 147a.a.O. Fn. 140, S. 202; Schiller deutet den Holzschnitt wie folgt: "Die Kranzspende an die Gottesmutter ist eine Huldigung an die Patronin der Bruderschaft, der die Gebete dargebracht werden. Die Spende wird aber auch umgekehr aufgefaßt: Die Rosenkranzkönigin und Christus reichen den Betenden die Blumen." Diese umgekehrte Auffassung ist meiner Meinung nach üfr diesen Holzschnitt nicht greifbar und muß als unzutreffend abgewiesen werden.

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darüber hinaus und strebt die Spaltung der Kirche bereits an, wie sie erst von Luther verwirklicht werden wird. So dürfte den konservativ gesinnten der Zeit, zu denen ich Dürer mit seinem Rosenkranzfest zähle, die Forderung des Holzschnittes bereits verdächtig gewesen sein, weswegen er sich in die Geschichtsfälschung des Alanus de Rupe begab, den revolutionären Geistern hingegen, hierzu zähle ich den Meister des Stalburgaltares, ging die Geistigkeit des Holzschnittes noch nicht weit genug und deswegen die Aussage des Holzschnittes der Rosenkranzmuttergottes ausweiteten. 148

Gänzlich anders ist der Zusammenhang der zwischen dem Holzschnitt und Dürers Rosenkranzbild ausgemacht werden kann. Dieser ist nämlich gänzlich auf die Ikonografie bezogen. Das "Rosenkranzfest"149, etwa zwei Jahre nach dem Altarwerk der Stalburg fertiggestellt150, ist vor allem aus dem Grunde interessant, da an ihm die Legende der Rosenkranzgründung ablesbar ist. Links neben der im Zentrum thronenden Madonna ist der einen Kardinal mit einem Rosenkranz krönende Hl. Dominikus dargestellt, der nur dann sinnvoll in den Bildkontext einbezogen werden kann, wenn in ihm der legendäre Begründer des Rosenkranzes und Rosenkranzgebetes gesehen werden kann. In diesem Zusammenhang ist daher der Frage nachzugehen, wie und wann sich diese Legende hat bilden können? In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts tauchen in den Schriften des Alanus de Rupe, die nur aus ihrer Zeit heraus zu verstehen sind, erstmals Hinweise auf, die auf die Vision des Hl. Dominikus anspielen. Daher muß davon ausgegangen werden, daß Dürer die Schriften des Alanus de Rupe kannte, da er mit dieser Person das künstlerische Vorbild Rosenkranzmuttergottes aus Jacob Sprengers Statuten- und Regelwerk der Kölner Rosenkranzbruderschaft verließ. Das dürersche Bild dürfte damit vor allem zur Verfestigung der Dominikus Legende beigetragen haben! Die Fälschung Alanus de Rupe, die Rosenkranzbruderschaft in die Lebenszeit des Hl. Dominikus zurückzudatieren, der diese auf geheiß der Gottesmutter begründet haben soll, erscheint unter Berücksichtigung der Historie begründet. Denn schließlich wurden auch Kunstwerke, die sich im Besitz der Dominikaner, besser der Bruderschaften, die unter Führung der Dominikaner standen, von jeher als älter hingestellt als sie eigentlich waren. Ein prominentes Beispiel 148Zur Vertiefung dieses Sachverhaltes s. Friedrich Heer, Die dritte Kraft, Frankfurt am Main, 1959 149Albrecht Dürer, Das Rosenkranzfest, 1506, Prag 150a.a.O Fn. 140, S. 202; Schiller schreibt: "Dürer hat offenbar beide Werke gekannt." Mit den Werken meint sie den Holzschnitt und den Altar aus S. Andreas.

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dahingehend ist eine Marienfigur Guido da Sienas151. Dieses Werk erfuhr im frühen 14. Jahhundert eine bemerkenswerte Manipulation. Ein Schüler Duccios, Tomaso da Modena, erneuerte die für jede Ikone die Hauptsache bildenden Gesichter. Andererseits verlegte eine gefälschte Inschrift die Entstehung des Bildes in das Todesjahr des Ordensgründer der Dominikaner. Diese berühmte Fälschung erregte seit jeher heftige Kontroversen. Auf der einen Seite diente sie dem Lob Guido da Sienas, der nunmehr der Künstler der Ikone war, "in der guten alten Zeit" das Werk geschaffen zu haben, auf der anderen macht sie das Werk älter, als irgendein anderes berühmtes Werk Sienas. Dieser zeitliche Vorsprung ließ die Madonna bei den Dominikanern den Anspruch erheben, das Urbild aller anderen Ikonen zu sein. Dieser Ehrentitel kam der Bruderschaft zu Gute, die die Tafel besaß, denn sie galt damit automatisch als die älteste Vereinigung ihrer Art in der Stadt152. Ähnlich muß wohl auch die Absicht Alanus de Rupe gesehen werden. Dadurch, daß er die Rosenkranzgründung zum einen um etwa einhundert Jahre vorverlegt und zum anderen einer in kirchlichen Kreisen berühmten Persönlichkeit zuschreibt, stellt er die neue Gebetsform in einen Traditionszusammenhang der, bliebe man bei der Wahrheit, so nicht gegeben ist. UNKLAR Die Giebelform der Flügel, sowohl außen als auch innen, erinnert an die, von den italienischen Bruderschaften in Auftrag gegebene Altarbilder. Diese weisen eine ähnliche Binnengiebelform auf153. 11.3 Die Geschichte des Rosenkranzes Die Entstehung des Rosenkranzes und seine ursprüngliche Geistigkeit ist allgemeinhin dem Hl. Dominikus, dem Stifter des Dominikanerorden im Jahre 1215, der am 22.12.1216 durch Papst Honorius III bestätigt wurde154, zugeschrieben worden. Basierend auf einer auf Alanus de Rupe zurückgehenden Legende, nach der die Muttergottes dem Hl. Dominikus erschienen sei und ihm das Rosenkranzgebet als Waffe gegen die Irrlehren

151J. Gardner, Guido da Siena und Tomasso da Modena, in: Burlington Magazine, 21, 1979, S. 107 ff 152HansBelting, Bild und Kult,Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, Verlag C.H. Beck, München, 1991, S. 440 - 441 153Madona aus S. Domenico, Siena, Palazzo Publico, s.a. Belting, Bild und Kult 154Lit. Dominikanerorden

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der Waldenser und Albigenser gegeben habe155, ist diese Entstehungsgeschichte auch heute noch in der Literatur anzutreffen156 worauf Gertrud Schiller aufmerksam macht157. Erst vor gut zwei Jahrzehnten widmete sich Karl Josef Klinkhammer intensiv diesem Thema und würdigte ihm eine ausführliche Publikation158. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß der Rosenkranz erstmalig um das Jahr 1396 aufgekommen sei, somit in eine Zeit voller Unsicherheiten und Spannungen, die Zeit des abendländischen Schisma (1378 - 1417), fällt. Adolf von Essen entwickelte zusammen mit Dominikus von Preussen, die Namensverbindung des Dominikus mit der des Ordensgründer der Dominikaner ist für das Aufkommen der Legende verantwortlich, das Rosenkranzgebet, welches er mit einer Gebetsschnur159, dem Rosenkranz verknüpfte. Unter einem Rosenkranzgebet verstand er das sprechen von wenigstens "etwa 50 Ave Maria" sowie gleichzeitig das ganze Leben Jesu in Ehrfurcht lern- und denkbereit meditieren zu lassen, so gut es Zeit, Kräfte Kräfte und Gottes Gnade ermöglichten. "Man gebe sich alle Mühe, im täglichen Leben Christus nachzufolgen. Denn das verlangt Er mehr als das Beten und Meditieren: daß der Mensch in den aufkommenden Wirren und Widrigkeiten nach dem Vorbild Christi im Reden und Reagieren geduldig bleibt. So werde an ihm sichtbar, was unser Herr Jesus getan oder im Evangelium gelehrt hat."160 Wichtig an diesem Zitat Adolf von Essen ist sein Hinweis auf die "aufkommenden Wirren und Widrigkeiten", mit denen er auf die Auswirkungen der schismatischen Religionskrise verwiesen haben dürfte, die neue theologische Lösungsmöglichekeiten erforderlich machen. Diese zeichnen sich ab in der Devotio moderna, die sich nicht mehr auf eine Elite derer beschränkt, die sich im Schutze der Klöster reiner Beschaulichkeit widmen oder ihren Geist auf den Universitäten üben, sondern beansprucht, einer breiten Mehrheit zugänglich zu sein, die sich der regelmäßigen Meditation und Einübung persönlich geistlicher Besinnung bedienen. Das Rosenkranzgebet wird als eine praktische Gebetsform 155500 Jahre Rosenkranz S. ...... 156Fedja Anzelewsky, Albrecht Dürer, S. 65;"In den Grundzügen geht die Rosenkranzverehrung bis in das 13. Jahrhundert zurück" 157Getrud Schiller schreibt: "Dieser von Ihm (Alanus de Rupe) auf vielen Reisen verbreitete Irrtum hat sich bis in die jüngste Zeit gehalten." in: Gertrud Schiller, Ikonografie der christlichen Kunst, Band 4,2, Maria, Gütersloher Verlag Gerd Mohn, 1980, S. 200 158Karl Josef Klinkhammer, Adolf von Essen 159geschichtl. Herleitung der Gebetsschnur, Theol. Lexikon 160Marienlexikon, hrsg. im Auftrag des Institutum Marianum Regensburg e.V. von Remigius Bärmer und Leo Scheffczyk, Erster Band, EOS Verlag Erzabtei St. Ottilien, 1988, Stichwort: Adam von Essen, S. 34 - 39, hier: S. 37

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angesehen, die diese Forderung erfüllt. Es kann, und das ist die wesentliche Neuerung, von jedem Laien selbst ohne theologischen Beistand gebetet werden. Dies ermöglichte, die Schismen zu entkräften, die sich auf Diözeseebene oder gar auf Pfarrebene ausweiteten und damit jeden in der praktischen Ausübung des Glaubens betrafen. Erasmus von Rotterdam, die Worte Adolf von Essen anscheinend wieder aufgreifend, behauptet, daß das Gebet inbrünstig, aber nicht weitschweifig sein dürfe. Ein Gebet müsse nicht in rhetorischer Gewandheit vorgetragen werden, um erhöht zu werden. "Nicht das Geräusch der Lippen, sondern das glühende Gelübde des Herzens gewinnt gleich einer hellen, lauten Stimme die Ohren Gottes."161 Erasmus unterscheidet in seiner Schrift "Handbüchlein eines christlichen Streiters" sorgsam die innere und die äußere Frömmigkeit. Wer sich damit begnügt, Glaubensformeln anzuhören oder selbst herunterzuleiern, ist kein wahrhaft frommer Mensch. Die mechanisch verrichtete Andacht kann unversehens in Albernheit umschlagen - was noch verzeihlich ist -, aber auch - und das ist noch schlimmer - in Bigotterie oder gar in abscheuliche Heuchelei. Echte Frömmigkeit hingegen durchdringt das ganze Leben, sie ist das Leben. Das Gebet ist ein Zustand der Seele, mehr ein Bemühen als eine Handlung. An all dem läßt sich das theoretische Bemühen einer Erneuerung der kirchlichen Tradition erkennen, die jedoch nicht beabsichtigte mit den bisherigen Formen zu brechen. So ist das Rosenkranzgebet als ein Versuch zu werten, die Aktivität des Laien innerhalb der Kirche zu erweitern, ohne jedoch die Mißstände in Frage zu stellen. 11.4 Die Geschichte der Rosenkranzbruderschaft 11.5 Die Geschichte der Rosenkranzbruderschaft in Frankfurt In diese geistesgeschichtliche Umbruchzeit hinein wurde die Frankfurter Rosenkranzbruderschaft gegründet, die verstanden werden muß als kritische Stimme, als eine Vereinigung, die sich gegenüber der klerikalen Situation der Zeit kritisch verhält und auf Änderung des kirchlichen Unrecht drängt. Ob und in wie weit die Rosenkranzbruderschaften, die seit 1475 in Deutschland Einzug fanden , als eine späte, aber offensichtlich wesentliche Anwort auf die neue Frömmigkeit gesehen werden können, ist bis heute 161Leon E. Haltkin, Erasmus von Rotterdam, 1989, Benzinger, Zürich, S. 74; das Zitat entstammt Erasmus "Handbüchlein eines christlichen Streiters", dessen erste handschriftliche Fassung 1501 Verbreitung fand. Seit 1503 in einem Sammelband vertrieben.

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noch nicht ausreichend untersucht worden, scheint mir aber offenkundig. Denn die rasannte Verbreitung dieser Bruderschaften in ganz Deutschland und der sich schon nach kurzer Zeit abzeichnende hohe Zulauf verdeutlicht die Unzufriedenheit der Christen mit der bestehenden Institution Kirche. Vor allem für Frankfurt läßt sich dieses Bild dank der Dissertation von ............................162 heute gut belegen. 1484 begründet, strömten ihr in den ersten Jahren tausende von Mitgliedern163 zu, die die Devotio Moderna aktiv praktizieren wollten. Wichtig ist in unserem Zusammenhang die überlieferte Erwähnung des Namens "v. Rhein" als Beitretende in diese Bruderschaft164. Geht man von dem Beitritt des Geschlechtes der von Rhein in die Bruderschaft aus, der dann wohl auch Margarete angehört haben dürfte, über einen Beitritt Claus Stalburgs fehlt leider der Eintrag, muß der Einfluß der Rosenkranzbruderschaft auf den 1504 fertiggestellten Stalburgaltar untersucht werden; hierbei ist dann vor allem der Einfluß der Margarete von Rhein auf die Auftragsvergabe zu durchleuchten, da schließlich sie und nicht ihr Ehemann als der Bruderschaft angehörig angesehen werden muß. 12 Geistesgeschichtlicher Hintergrund Das abendländische Schisma von 1379 bis 1417 muß als Ausgangspunkt einer Bewegung gesehen werden, die zum Ziel hatte, die bestehende kirchliche Ordnung zu reformieren, indem sie eine neue Frömmigkeit postulierte; diese Gemeinschaft sollte als "Devotio moderna" in die Geschichte eingehen. Leider hat es den Anschein, als habe das Gros der Bevölkerung in den einzelnen Ländern sich ohne viel zögern derjenigen Partei angeschlossen, für die ihr Fürst oder König sich entschieden hatte. Widerspruch kam nur von einigen wenigen Geistlichen; sie verloren daraufhin ihre Pfründen, wurden exkommuniziert und manchmal sogar von weltlicher Seite als Ketzer verfolgt. Mancherorts spitzte sich der Konflikt schnell zu und rief Schismen auf Diözesenebene hervor, sodaß einem Clemens - treuen Bischof ein Bischof Urbans gegenüberstehen konnte165. Die Welt war aus den Fugen geraten, allenthalben herrschte nackte Gewalt. Jeder der beiden Päpste behandelte seinen Gegner als Ketzer und ließ zum Kreuzzug gegen ihn 162Frankfurter Rosenkranzbruderschaft 163wie vor, S. .... 164wie vor, S. .... 165Die Geschichte des Christentums, Die Zeit der Zerreißproben (1274 - 1449), hrsg. v. Michel Mollet du Jourdin und André Vauchez, Band 6, Herder 1991, S. 75 - 131, hier S. 79

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aufrufen166. Im Laufe der Zeit stellte sich dann so etwas wie Gewöhnung ein; solange nur die Messe gelesen und die Sakramente verwaltet wurden, war das Leben der Gläubigen nicht weiter berührt. Für die Kaufleute und die Banken, selbst für die Fürsten war das Schisma eher von Vorteil, ihren Geschäften und ihrer Politik dienlich. Die Reaktionen der Geistlichen beschränkte sich vor allem auf den Unmut Zahlungspflichtiger gegenüber Steuererhöhungen, sie griffen aber schon bald auch die päpstliche Verwaltung, die Kardinäle und den Papst selbst an167. Philippe de Mézièrs sah die Situation der Kirche als eine Folge der Sünden der Welt. Nur eine geistliche und moralische Reform , wie im Songe du vieil pèlerim168 dargestellt, konnte da helfen. Und dies war die Aufgabe eines allgemeinen Konzils. Doch das im Jahre 1409 einberufene Konzil von Pisa konnte eine Lösung nicht herbeiführen. Am 5. Juni des Jahres konnte Simon de Cramaud169 das einmütige Urteil verlesen: "Das Konzil als Repräsentant der universellen Kirche, vereint in der Gnade des Hl. Geistes und als Gericht zusammengetreten, erklärte, die beiden Päpste seien verstockte Häretiker und notorische Schismatiker, dadurch ipso facto all ihrer Würden verlustig gegangen, die römische Kirche sei daher vakant und die Rechte des Papstes seien auf die Kardinäle übergegangen."170 Das Konklave trat unverzüglich zusammen, und am 26. Juni 1409 wurde das Wahlergebnis bekanntgegeben. Die Wahl war auf Peter Philargi, der den Namen Alexander V annahm, gefallen, womit nunmehr nicht die christliche Union wiederhergestellt wurde, sondern vielmehr eine Zersplitterung des Christentums in drei Obödienzen erfolgte. Die unerträgliche christlich - religiöse Situation war anstatt bereinigt zu werden nur noch verstärkt worden. Die Kirche als Institution stellte spätestens mit dem Konzil von Pisa ihr Versagen unter Beweis, welches allenfalls durch eine neue Frömmigkeit und Andachtsübung ausgeglichen, vielleicht sogar völlig wettgemacht werden kann. Bedingt durch diese Verfallserscheinungen der Kirche kam es in Orden und bei Laien zu vielseitigen Versuchen, durch Verinnerlichung des religiösen Lebens den Wirren entgegenzutreten. Daraus erklärt sich die Bereitschaft, sich das Gebet zu eigen zu machen.171 Diese rasch anwachsende neue Bewegung der Devotio moderna zielte auf eine

166wie vor, S. 81 167wie vor, S. 83 168Buchangabe 169Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 9, S. 765 - 766 170a.a.O. Fn. 111, S. 93 171a.a.O. Fn. 140, S. 201

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Vertiefung der Verinnerlichung des religiösen Lebens als Reaktion auf alle Entartungen und Entgleisungen der christlichen Dogmen und wird in den weit verbreiteten Bruder- und Schwesternschaften des gemeinsamen Lebens praktisch wirksam. Philippe de Mézières, eher fromm als der Mystik zugeneigt, fühlte sich, ähnlich wie Petrarca und Gerson, stark von der Spiritualität der Kartäuser angezogen. Und eben diese Kartäuser sind es auch, die diese geistliche und moralische Reform in der Person des Adolf von Essen, des Erfinders des Rosenkranzes, angingen172. Die Verdrossenen und Kritiker sammelten sich und warfen den Päpsten und Prälaten unverblümt Vernachlässigung ihrer Pflichten vor173. Rom hatte sich durch seine unersättlichen finanziellen Forderungen die Geistlichen entfremdet, von denen nicht wenige im Bereich der römischen Obödienz Zweifel an der Legitimität Bonifaz IX zu hegen begannen. So wie die religiöse Unzufriedenheit der Bevölkerung Anfang des 15. Jahrhunderts dazu führte, endlich eine geistige Änderung herbeizuführen, die dem Laien eine größere theologische Freiheit zugestehen sollte, kam es auch seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zu Beschwerden über das Unvermögen des landesfürstlichen Kirchenregimentes und über die ausgebliebenen kirchlich - theologischen Reformen im Reich. In den "Gravamina der Deutschen Nation" wurde auf Reichs- und Landtagen protestiert. In Flugschriften rief man nach dem "Endzeitkaiser", der das "gute, alte Recht" und die deutsche Kirche vor der "welschen Ausnutzung" schützen möge. Die ersten Humanisten wehrten sich gegen die immer noch vorhandene theologische Bevormundung der Laien und kritisierten die päpstliche Rechtsprechung und die unstillbare Profitgier des Klerus. Die allgemeine Unzufriedenheit und Erbitterung läßt sich in drei Thesen kurz umreißen. Der unübersehbare Reichtum der Kirche, der einer Verflachung der geistlichen Aufgaben und der sittlichen Verwahrlosung des Klerus und der Klöster Vorschub leiste wurde angemahnt. Kirchlicher Besitz gilt als Unrecht, zumal er weltlicher Gerichtsbarkeit und der fiskalischen Besteuerung entzogen ist. Dem hohen Klerus galt der öffentliche Groll in ganzer Schärfe. Die "Junker Gottes" betrachteten ihre Pfründe als "Spitäler des Adels" zu einer standesgemäßen Versorgung. Die Kanoniker überließen ihre geistlichen Ämter den den oftmals schlecht gebildeten Vikaren, die sie zudem schlecht entlohnten, und führten ein aufwendiges Leben oder betrieben gelehrte Studien, während der niedere Klerus und die Laien in 172a.a.O. Fn. 111, S. 83 173a.a.O. Fn. 111, S. 84

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theologischer Unbildung verwahrlosten. Schließlich stellte man die Verrechtlichung der kirchlichen Heilsmittel, die Beichte, Buße und vor allem den schwunghaften Handel mit Ablässen an den Pranger. Alle Gleichgesinnten verbanden sich in diesem Kampf gegen das Unrecht, da sie nur in einer Gruppe dem mächtigen Gegner die Stirn bieten konnten.174 Für Frankfurt läßt sich diese Situation wie folgt skizieren: Schon zu Ende des 14. Jahrhunderts war bereits ein Drittel des Grund und Bodens in den Besitz der Geistlichkeit gelangt. Außerdem beteiligten sich die geistlichen Institutionen intensiv an Kapitalgeschäften und verschärften dadurch das Problem der Vermögenskonzentration erheblich. Ein seit dem Mittelalter in Frankfurt geläufiges Geldleihsystem, bei dem gegen ein einmaliges Darlehen der Grund- und Hausbesitz des Schuldners mit ewigen, weil unablösbaren Zinsen belastet wurde, führte um 1500 dazu, daß die Frankfurter Geistlichkeit Hauptgläubiger der hochverschuldeten Bürgerschaft wurde. 175 14 Schlußfolgerung Aus heutiger Sicht darf gesagt werden, daß die religiös kirchlichen Neuordnungsversuche, sowohl der Devotio moderna als auch die Reformationsbewegung der Reichstage ihre gesetzten Ziele hat nicht in dem gewünschten Maße durchsetzen können. Die Zeit war für den Umbruch noch nicht reif. Es bedurfte einer starken Persönlichkeit, die wenige Jahre später auf den Plan trat: Martin Luther - dieser schaffte, was den beiden Bewegungen zuvor nicht glücken wollte. Luthers reformatorische Ideen finden vor allem dort einen frühen Widerhall, wo die Devotio moderna und andere spätmittelalterliche Reformbewegungen, wie die Rosenkranzbruderschaften, den Blick für die Mißstände der Amtskirche geschärft und das religiöse Interesse geweckt hatten.176 Es ist allerdings

174Eine kurze prägnante Zusammenfassung über die kirchliche und religöse Situation am Vorabend der Reformation in den Rheinlanden findet sich in: Rheinische Geschichte, hrsg. von Franz Petri und Georg Droege, Band 2, Schwann Düsseldorf, 1976, S. 16 - 22; bezogen auf die religiöse Situation in Frankfurt siehe: Frankfurt am Main, Die Geschichte der Stadt in neun Beiiträgen, hersg. von der Frankfurter Historischen Kommission, Jan Thorbecke Verlag Siegmaringen, 1991, S. 152 - 161 175Sigrid Jahns, Frankfurt am Main im Zeitalter der Reformation (um 1500 - 1555); in: Frankfurt am Main, Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Hrsg. von der Frankfurter Historischen Kommission, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen, 1991, S. 151 - 204, hier: S. 157 176Selbst in Köln hat es zu den Anfängen der Reformation bis in den engeren Bereich der Hochschule hinein nicht ganz an Bestrebungen gefehlt, Luthers Lehre zur Geltung zu bringen. siehe hierzu: Rheinische Geschichte, vgl. Anm. 157, Kap.: Die Anfänge der Reformation in den Rheinlanden, S. 25 -37, vor allem S. 29 -30

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unzulässig, die Anhänger dieser Reformen als "Reformatoren vor der Reformation"177 in Anspruch zu nehmen. Vielmehr liefen hier vielfach noch geraume Zeit genuin innerkatholische und reformatorische Gedankengänge ungeschieden nebeneinander her. Der geistesgeschichtlichen Tradition vergleichbar ist die der kunstgeschichtlichen. So ist der Stalburgaltar mit seinen beiden lebensgroßen ganzfigurigen Stifterbildnissen als eine Äußerung der Kunst zu verstehen, der in ihrer Zeit nichts adäquates entgegengesetzt werden kann und - und dies scheint wichtiger - nichts entgegengesetzt werden will. Die unverblümte optische Gleichsetzung des menschlichen Stifters mit dem Gottesbild, spiegelt in etwa das wieder, was die Theoretiker den "Verzicht auf die Elite"178 benannten. Diesem Gedanken konnten sich andere Stifter von Kunstwerken noch nicht anschließen.179 Auch in der Kunst hat diese Reformation erst mit Luther Fuß gefaßt. Durch ihn hat das ganzfigurige Stifterportrait erst seinen eigentlichen Einzug in die Kunst halten können. Wir haben es demnach mit dem Stalburgaltar mit einer geistesgeschichtlich - ästhetischen Äußerung zu tun, die ihrer Zeit um etwa zehn Jahre voraus war und von daher aus mangeldem Verständnis noch keine Nachahmung fand. Der Altar darf als ein Höhepunkt einer Entwicklung, die ihren Ursprung in der Devotio moderna sieht, betrachtet werden. BISHER NICHT EINZUORDNEN: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Wahl Stalburgs Anno 1505 zum jüngeren Bürgermeister der Stadt und der ein Jahr zuvor erteilten Autragsvergabe des Altares? Dies erscheint möglich, wenn nachweisbar ist, daß die Wahlvorbereitungen bereits 1504 einsetzten. Damit wäre dem Altar zusätzlich politischer Programmcharakter zuzuschreiben, der mittels göttlicher und mariologischer Hilfe die Wahl in dieses hohe Amt gewährleisten solle. Auch ist die Frage zu stellen, in wie weit die Ehefrau an der Programmerstellung und der Auftragsvergabe beteiligt worden ist?

177Rheinische Geschichte, vgl. Anm. 157, S. 29 178Zitatstelle suche 179Ich erinnere an andere Stifterdarstellungen der Zeit. Entweder sind sie, wenn sie in gleicher Größe dargestellt sind, als in kniender Haltung anbetende, oder, und das ist häufiger anzutreffen, als Zwerge dem Bild eingefügt und damit als nicht wesensgleich mit der Gottheit zu verstehen.

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Neben dem theologisch - politischen Problem, welches durch das abendländische Schisma augenfällig in Erscheinung trat, bezog sich die Kritik der Devoten vor allem auf die zeitgenössische Frömmigkeitspraxis; im Einzelnen standen Wallfahrt, Reliquienkult, Trennung von religiösem und politischem Leben auf der Anklagebank. Sie zielten auf eine Mystik für den Alltag, die bestimmt ist von Innigkeit, Christozentrik, Liebe zur Heiligen Schrift, Engangement für Bildung und Erziehung, vor allem aber systhematische Einübung in Gebet und Meditation, das im späterhin aufkommenden Rosenkranz seine Erfüllung finden sollte. Durch ihre Ausrichtung auf diese Ziele in Gestalt einer Laienspiritualität im Alltag, die sich somit auf die Erfahrung des Einzelnen konzentrierte, trug die Devotio moderna wesentlich zur Erneuerung des geistlichen Lebens bei, bis in das 16. Jahrhundert hinein. Ihre Zielsetzung läßt sich gut mit dem Bildungsideal Claus Stalburg in Einklang bringen, der der scholastischen Lehrmethode auch äußerst kritisch gegenüber stand, wie sich auch die Forderung nach systhematischer Einübung im Gebet und Meditation mit den Grundvorstellungen der Rosenkranzbruderschaften vereinbar sind, So ließe sich die Gruppe der Devoten (z.B. Bernhard von Clairvaux, Meister Eckhart, Heinrich Seuse) als der Ausgangspunkt der Bruderschaften, die den neuen Geist aufnahmen und ihm seine Richtung gaben, und als Anregung für den aufkommenden Humanismus verstehen, der die Devotio moderna als einen Aspekt unter vielen aufgriff und weiterführte. Weil die nationale Politik die kirchlichen Ämter mißbrauchte, war es zur Wahl zweier Päpste gekommen. Die Synode von Pisa hatte 1409, statt die Spaltung zu beseitigen, einen dritten Papst hinzugewählt. Das nützten viele Fürsten und Städte aus ; sie entschieden sich für den einen oder anderen Papst, weniger fragend, wer der rechtmäßige sei, sondern nur den eigenen augenblicklichen Vorteil suchend. Jeder der Päpste exkommunizierte den anderen und dessen Anhänger. In vielen Bistümern ernannte jeder einen anderen Bischof, und diese Bischöfe setzten in den Pfarreien ihre Pfarrer ein. Auf ähnliche Weise spaltete das Schisma jeden Orden und fast jedes Kloster180. Aus der Not dieser Situation heraus entstand der Rosenkranz. Denn durch diesen sollte jedem Christen die Möglichkeit gegeben werden gegenüber der auf Gemeinschaft und objektive Bindung eingestellten religiösen Haltung des Mittelalters zu einer persönlichen, innerlichen Frömmigkeit zu gelangen, indem er selbst, ohne patristische Vorgaben, bete.

180500 Jahre Rosenkranz, S. .....

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Diese neue Frömmigkeitsbewegung läßt sich mit der gegen Ende des 14. Jahrhunderts einsetzenden religiösen Erneuerungsbewegung, der Devotio moderna, die geistesgeschichtlich gesehen dem Humanismus und der Renaissance verwandt ist, in Beziehung setzen. Die unter ihrem Einfluß entstandene Gemeinschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben steht als "etwas Neues zwischen Kloster und Welt"181. Viele Brüder stellten sich eigene Lebens- und Frömmigkeitsregeln auf, die ein gesundes Mittelmaß nicht überstiegen, da man die idealen, meist nicht realisierbaren Programme des spätmittelalterlichen Ordensleben noch reichlich vor Augen hatte182. Lieber wollte man die täglichen Verpflichtungen niedriger ansetzen, sodaß man ihnen problemlos immer nachkommen konnte. Von einem Humanismus ist in ihrer Spiritualität, wenigstens der ersten Zeit, nichts zu spüren, sosehr sie auch durch das Studium und die Verbreitung der Heiligen Schrift und der Kirchenväter das neue Bildungsbemühen auch förderten. Dies ändert sich erst, nachdem sich die Arbeit der Brüder vom gemeinsamen Leben mit Berufung auf das dem Johannes Gerson zugeschriebene Wort: "Muß die Kirche reformiert werden, dann kann das nicht leichter geschehen als durch Menschen, die in der Blüte der Jugend durch gute Sitten und Tugendübung dazu in den Stand gesetzt werden."183 der studierenden Jugend widmete. Das sich die Brüder des gemeinsamen Lebens nicht zu unrecht Johannes Gerson als Leitbild wählten, wird dadurch deutlich, daß er auf dem Konzil von Konstanz gegen den Dominikaner Matthäus Grabow das Lebensideal dieser Bruderschaft verteidigte184. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts haben sich die Brüder des gemeinsamen Lebens in einigen Städten in Deutschland in Magdeburg und Trier und Frankfurt (?) direkt am Schulunterricht beteiligt. Dies ist um so interessanter, da im Zeitraum von 1483 bis 1521, in die ersten Jahre dieser Zeitspanne fällt die Schulzeit des 1469 geborenen Claus Stalburg, allein neun Gesamtausgaben des Werkes des Johannes Gerson veröffentlicht wurden, der damit zu den einflußreichsten Theologen des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit zählt.

181Handbuch der Kirchengeschichte, Band III, Die mittelalterliche Kirche, Zweiter Halbband, Vom kirchlichen Hochmittelalter bis zum Vorabend der Reformation, Herder 1968, S. 526 182wie vor, S. 524 183Zitatstelle suchen 184Theologische Realenzyklopädie, Band XII, Walter de Gruyter, 1984, S. 533

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