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Der Sklavenfänger

Date post: 04-Jan-2017
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Seewlfe Tascbenbuch 2 Die Seereisen des Howard Bonty, der einer Pregang in die Hnde fiel und seine Laufbahn als Schiffsjunge begann. John Curtis Der Sklavenfnger
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Seewölfe Tascbenbuch 2

Die Seereisen des Howard Bonty, der einer Preßgang in die

Hände fiel und seine Laufbahn als Schiffsjunge begann.

John Curtis

Der Sklavenfänger

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Seit jener Sturmnacht in Bristol, in der mein Vater mich noch nach einer Kanne Dünnbier geschickt hatte, war viel geschehen. Ich war von ein paar wüsten Kerlen niedergeschlagen und an Bord des Ostindienfahrers �Black Devil" verschleppt worden. Als ich wieder zu mir kam, befand sich das Schiff längst auf hoher See. Man zwang mich, als Schiffsjunge anzumustern � und mir blieb auch, weiß Gott, nichts anderes übrig. Daß der Kapitän mich dem Schiffskoch Daniel Hawkins zuteilte, war die nächste Schikane. Ich habe in meinem Leben nie einen hinterhältigeren und gemeineren Kerl kennen gelernt als ihn. Und wäre nicht Mister Bunk, der Decksälteste der �Black Devil", gewesen, der mir immer wieder Mut zusprach und sich als einziger um mich kümmerte, ich hätte das alles nicht durchgestanden. Schließlich fand ich mich mit meinem Los nicht nur ab, sondern die Arbeit und das Leben an Bord der �Black Devil" begann auch, mir Spaß zu machen. Aber dann kam jener entsetzliche Tag, an dem uns die große Piraten-Galeone aufspürte. Die Piraten griffen sofort an, und sie waren weit zahlreicher als wir und weitaus besser bewaffnet. Ein furchtbarer Kampf Mann gegen Mann entbrannte. Wie durch ein Wunder überlebte ich das Gemetzel. Als schließlich alles vorbei war, befand ich mich allein an Bord der �Black Devil", allein mit all den Toten, die auf den Decks herumlagen. Trotz meiner Verzweiflung gelang es mir, die sinkende �Black Devil" mittels einer Gräting zu verlassen und mich an den Strand einer kleinen Bucht zu retten. Ich wußte nicht, wo ich mich befand, und ich begann zu verzweifeln. Aber dann erinnerte ich mich daran, was mein väterlicher Freund, Mister Bunk, immer zu mir gesagt hatte, wenn es an Bord der �Black Devil" mal besonders schlimm herging: �Man darf sich niemals selbst aufgeben, Howard, dann wird man mit allem fertig, und dann ist nichts so schlimm, wie es zunächst den Anschein hat ..."

* Ich wußte nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber als ich erwachte, stand die Sonne bereits ziemlich tief über dem Horizont. Der fast weiße Sand, in dem ich lag, war noch warm, aber das Licht der Sonne nicht mehr so grell. Pausenlos rollten die Wogen einer langen Dünung auf

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den Strand. Ihr weißer Gischt schien gierig nach der Gräting zu lecken, auf der ich mich von der sinkenden �Black Devil" an diesen Strand gerettet hatte. Bei diesem Gedanken setzte ich mich ruckartig auf. Noch einmal liefen die Bilder des Schreckens der letzten Stunden an Bord der �Black Devil" vor meiner Erinnerung ab. Trotz der Wärme rannen mir Schauer über den Rücken. Ich lebte noch! Die Piraten hatten mich nicht erschlagen oder erschossen. Das war wie ein Wunder. Ich blickte mich genauer um. Der Sandstrand der Bucht zog sich in einem leichten Bogen nach Süden. Etwa zweihundert Yard war er breit, und danach begann ein tiefgrüner Vegetationsgürtel. Niederes, buschartiges Gestrüpp, dahinter Bäume verschiedener Art. Manche mit Blättern, wie ich sie aus England auch kannte, andere mit langen Wedeln, die sich im Wind wiegten. Allein beim Anblick dieser fremden Bäume kam mir brennend zum Bewußtsein, daß ich mich in einer völlig fremden Welt, in einer Umgebung befand, deren Gefahren ich nicht nur nicht kannte, sondern auch nicht im geringsten abzuschätzen wußte. Was hatte mir Mister Bunk erzählt? Wir würden an einem Kontinent vorbeisegeln, auf dem es pechschwarze Menschen gab, die zuweilen sogar Kannibalen, Menschenfresser also, waren. Wieder pickte mich das Grauen. Es war einfach zuviel, was ich in so kurzer Zeit erlebt hatte. Viel zu viel für einen vierzehnjährigen Burschen wie mich. Mein Gott, was sollte ich eigentlich jetzt beginnen? Befand ich mich etwa an der Küste jenes Kontinents? Lauerten vielleicht schon jene Menschenfresser hinter den Büschen? Oder befand ich mich auf einer Insel, angeschwemmt von irgendeiner Strömung? Und wenn ja, was sollte ich dann tun? Wie konnte ich denn auf diesem Eiland überleben? Diese Gedanken schossen mir schneller durch den Kopf, als ich es heute zu erzählen vermag. Ich weiß nur noch, daß mich sekundenlang die Furcht und die Verzweiflung schüttelten, daß ich das Gesicht in meinen Händen verbarg. Aber dann erinnerte ich mich wieder an Mister Bunk � und plötzlich war alles nur halb so schlimm. Ich überlegte, was er wohl an meiner Stelle jetzt getan hätte. Was war mit Mister Bunk geschehen? War er tot, hatten die Piraten ihn erschlagen oder erstochen? Aber ich hatte ihn an Bord der �Black

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Devil" trotz allen Suchens nicht gefunden. Hatten sie ihn vielleicht auf ihr Schiff verschleppt und ihn zu ihrem Gefangenen gemacht? Ich wußte es nicht, und nur an eines erinnere ich mich noch ganz genau: Eigentlich kam mir keinen Moment lang der Gedanke, daß Mister Bunk tot sein könnte. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie mußte er überlebt haben. So wie ich ihn kannte, war er einfach nicht der Mann, der sich von den Piraten erstechen oder erschießen ließ. Das mag dumm und töricht klingen � aber dieser Gedanke beherrschte mich. Ich weiß heute, daß ich ohne ihn bestimmt nicht die Kraft gefunden hätte, die erste Nacht so zu überstehen, wie ich es tat. Ich stand auf. Bei einem abermaligen Blick auf den Horizont und die bereits leicht gelbliche Sonne fielen mir ein paar eigenartige Wolken auf, die sich rasch am westlichen Himmel auszubreiten schienen. Ich maß dem jedoch keine allzu große Bedeutung bei, sehr zu unrecht, wie sich schon bald zeigen sollte. Stattdessen packte ich die Gräting und zog sie noch ein Stück höher auf den Strand hinauf. Warum ich das tat, wußte ich eigentlich nicht genau, aber wahrscheinlich habe ich an die entsetzlichen Haie gedacht, die mich umkreist hatten, als die Gräting mit mir durch die See trieb. Und wohl auch daran, daß sie meine einzige Möglichkeit war, diese Insel wieder zu verlassen � auch wenn ich mir vorläufig noch keine Gedanken darüber machte, wozu das überhaupt gut sein konnte. Die Gräting war in dieser fremden Umgebung eben ein mir vertrautes Stück, das mich schon einmal gerettet hatte. Ich keuchte, als ich die Gräting endlich ein paar Yard den Strand höher hinaufgezogen hatte. Sie war verdammt schwer. Danach stand ich einen Moment lang in der Sonne und überlegte, was ich tun sollte. Mister Bunk, so wußte ich, hätte sich bei dem verhältnismäßig tiefen Sonnenstand bestimmt zunächst nach einem sicheren Schlafplatz umgesehen, und das nahm ich mir in diesem Moment auch vor. Dann aber schätzte ich, wie lange die Sonne noch über dem Horizont stehen würde. Ich kam zu dem Schluß, daß ich bis zum Sonnenuntergang bestimmt noch zwei oder gar drei Stunden Zeit hätte, ich konnte mich also gut noch ein wenig auf der Insel umsehen. In diesem Moment begann mich zum ersten Mal, seit ich mich in dieser Bucht befand, der Durst zu plagen. Ich schluckte ein paarmal � und dann überkam es mich wie ein Schock. In meiner Angst, in meiner wilden Verzweiflung und in meiner drangvollen Hast, von Bord der sinkenden �Black Devil" zu kommen, hatte ich versäumt, mich mit

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Wasser und Proviant zu versehen. Wasser war noch genug an Bord gewesen, das wußte ich, schließlich hatte mich der Schiffskoch Hawkins oft genug zu den Wasserfässern gejagt. Und ebenso bestimmt hatten die Piraten nicht alle Wasserfässer an Bord ihres Schiffes geschafft. Und Vorräte mußten sich auf dem Schiff auch befunden haben. Wenn schon kein Frischfleisch oder andere frische Lebensmittel, so doch bestimmt das Pökelfleisch, das sich in den Fässern unter der Kombüse befunden hatte. Der Schreck, der mich aufgrund dieser Versäumnisse durchfuhr, war so gewaltig, daß er gleich noch einen zweiten nach sich zog. Ebenso vergessen hatte ich, mir wenigstens einige der an Deck überall herumliegenden Entermesser oder Schiffshauer mitzunehmen. Auch Äxte hatten sich noch an Bord befunden. Lediglich die Feuerwaffen hatten die Piraten scheinbar alle mitgenommen. Ich hatte weder eine Muskete noch eine Pistole bei den Toten gesehen. Eine Weile stand ich starr vor Schreck neben der Gräting. Ich besaß also nichts, um mich gegen irgendwelche Angreifer zu verteidigen. Und das brauchten ja keineswegs gleich Kannibalen zu sein, ich konnte ebensogut von wilden Tieren angefallen werden, die es hier meiner Meinung nach ganz bestimmt geben mußte. Ich glaube, daß sich in diesen Momenten jäher Erkenntnis meiner Unerfahrenheit und meiner Unfertigkeit eine Veränderung in mir anbahnte. Denn eines wurde mir siedendheiß klar: Solche lebensbedrohenden Fehler wären Mister Bunk niemals unterlaufen, nicht einmal dem mir verhaßten Mister Hawkins wäre so etwas passiert! Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich zusammenzureißen und mit diesem neuerlichen Schock fertigzuwerden. Abermals blickte ich mich um, und wieder fiel mein Blick auf den Vegetationsgürtel oberhalb des Strandes: Wo Pflanzen gediehen, mußte sich zumindest auch Wasser befinden. Es war dringend notwendig, daß ich endlich und unverzüglich damit begann, die Insel zu untersuchen. Ich warf einen letzten Blick auf die Gräting. Sie war hoch genug auf den Strand gezogen, das Meer konnte sie ganz bestimmt nicht mehr fortspülen. Da brauchte ich mir keine Sorge zu machen � jedenfalls glaubte ich das in diesem Moment. Ich marschierte los, und zwar am Strand entlang nach Süden. Hin und wieder warf ich einen Blick auf die Wolken, die sich am Horizont zusammenballten und die im Licht der langsam zum Horizont

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hinabsinkenden Sonne ein unheimliches, schwefelgelbes Aussehen annahmen. Und wieder maß ich dem keine allzu große Bedeutung bei. Ein weiterer Beweis meiner grenzenlosen Unerfahrenheit, an der auch die kurze Zeit an Bord der �Black Devil" nichts geändert hatte.

* Ich wanderte weiter und weiter nach Süden. Ich war barfuß, am Leib trug ich lediglich eine Segeltuchhose und ein ebensolches Hemd, das meine Mom mir noch in Bristol genäht hatte. Es bestand aus allerbestem Segelleinen, genau wie die Hose, und ich erinnerte mich ganz deutlich daran, wie sehr mein Dad die arme Mom beschimpft und schließlich sogar noch geschlagen hatte, weil sie für mich einfach ein Stück des teuren Segeltuchs genommen hatte. Mom! Wie mochte es ihr in diesem Moment gehen? Ganz bestimmt war sie krank vor Angst um mich, weil ich in jener Nacht einfach spurlos verschwunden und nicht mehr nach Hause zurückgekehrt war. Beim Gedanken an meine arme Mom schossen mir die Tränen in die Augen. Ich konnte es nicht verhindern, so sehr ich auch die Zähne zusammenbiß. Was mußte sie jetzt alles erdulden. Den Vater hatte sie die letzte Zeit nur noch ertragen, weil es mich gab, weil wenigstens wir beide uns so gut verstanden, weil sie mit mir reden konnte. Und Dad? Nun, der würde jetzt bestimmt noch mehr trinken als vorher. Er würde Mom vielleicht sogar schlagen, weil er ganz bestimmt annahm, ich sei einfach ausgerissen von zu Hause... Ich blieb stehen. Nein, ich mußte am Leben bleiben, denn ich wollte meine Mom eines Tages wiedersehen, ich wollte für sie sorgen, wenn sie alt war. Ich wischte die Tränen, die mir über die Wangen liefen, abermals ab und stapfte weiter durch den weißen Sand. Hin und wieder blickte ich zu den schwefelgelben Wolken hinüber, die sich mehr und mehr am Himmel ausdehnten und mittlerweile wirklich schon bedrohlich aussahen. Aber noch schien die Sonne, noch wärmten ihre Strahlen. Ich warf einen Blick auf das kristallklare Wasser, und plötzlich peinigte mich wieder der Durst, den ich über meine traurigen Gedanken an Zuhause schon fast vergessen hatte. Aber dann, dann entdeckte ich etwas im hellen Sand, was mich augenblicklich und ruckartig stehen bleiben ließ. Ich spürte, wie mir ein eisiger Schauer über den Rücken kroch, wie mein Herz plötzlich zu

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jagen begann. Fußspuren nackter, großer Füße! Deutlich zeichneten sie sich im weißen Sand der Südbucht ab. Sie waren zwar nicht mehr ganz frisch, das erkannte ich trotz meines Entsetzens an den eingefallenen, verwaschenen und vom Wind leicht verwehten Rändern der Abdrücke. Natürlich war ich viel zu unerfahren, um aus der Art und dem Zustand der Fußspuren auch nur ungefähr bestimmen zu können, wie alt sie wohl sein mochten. Aber sie waren da � und das bewirkte, daß ich mich umdrehen und voller Panik über die Insel fliehen wollte, irgendwohin. Doch ehe ich das tun konnte, fiel mein Blick auf noch etwas. Es lag nahe dem Wasser auf dem Sand. Erst bei näherem Hinschauen erkannte ich, daß es sich um ein eigenartiges Boot handeln mußte, das auf der einen Seite an langen Verbindungsstangen so eine Art Schwimmer mit sich führte. Ich hatte noch nie von Auslegerbooten etwas gehört, und deshalb wußte ich mit diesem seltsamen Gefährt im ersten Moment auch nichts anzufangen. Trotzdem überwand ich mich und trat näher. Erst aus der Nähe erkannte ich, daß es bereits halb zerfallen oder gar zerstört war. Und wieder packte mich das Entsetzen. Zerstört � von wem? Aber dann, dann erblickte ich etwas, was mich buchstäblich an der Stelle des Strandes festnagelte, an der ich stand. Ich war unfähig, auch nur ein Glied meines Körpers zu rühren. Hinter dem Boot, in einigen Yard Entfernung, zeichnete sich im hellen Sand eine schwarze Feuerstelle ab, an der noch verkohltes Holz herumlag und daneben � von der Sonne gebleichte Knochen! Irgendwie wurde mir schwindlig, ich mußte mich setzen, ob ich wollte oder nicht. Ob es die Furcht war oder die Schwäche nach all dem Erlebten, ich weiß es nicht mehr. Aber meine Gedanken arbeiteten fieberhaft. So wild und so fieberhaft wie noch nie zuvor in meinem Leben. Es gab in diesem fremden Land also doch jene schwarzen Menschenfresser! Denn die Knochen hielt ich für die Überreste eines solchen entsetzlichen Mahls, daß es irgend etwas anderes sein konnte, auf diese Idee kam ich in diesem Moment wenigstens nicht. Ich begann am ganzen Körper zu zittern. Gleichzeitig warf ich einen Blick zu den Büschen und Bäumen empor, die den Sandstrand säumten. Verbargen sich dort schon jene Kannibalen, die hier ihr grausiges Mahl gehalten hatten? Aber es zeigte sich niemand weit und breit.

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Langsam erhob ich mich, meine Knie zitterten immer noch. Weit im Süden sah ich hohe Berge, aber die mußten sich auf einer Insel befinden, die im Süden dieser Bucht lag, denn zwischen mir und jenen hohen Bergen, die aus dem Dunst, der sich jetzt über dem Meer auszubreiten begann, emporragten, lagen etliche Meilen Wasser. Und einmal war mir, als befände sich vor jenen Bergen noch ein weiteres kleines Eiland, aber genau konnte ich das nicht sehen. Was ich stattdessen umso genauer bemerkte, war, daß auf jener entfernten Insel Feuerschein flackerte. In meiner durch Angst und Schrecken angeheizten Phantasie hielt ich sie natürlich sofort für die Lagerfeuer menschenfressender Wilder, die dort ihre blutigen Feste feierten. Daß ich damit gar nicht einmal so unrecht hatte, sollte sich später noch zeigen. Der Himmel hatte sich weiter zugezogen. Ich merkte das daran, daß plötzlich die Sonne verschwand und nur noch ein unheimliches, schwefelgelbes Licht über dem Meer lag, das alles in seinen schrecklichen Schein hüllte. Eine erste Bö fuhr über den Strand, und dann sah ich, wie aus den schwefelgelben Wolken ein gewaltiger Blitz herniederzuckte. Erst viel später rollte der Donner über die See heran. Immer öfter und immer heftiger fuhren die Böen über den Strand. Die Wogen der von See hereinstehenden Dünung setzten Gischtkronen auf. Außerdem kühlte es von einer Minute zur anderen merklich ab. Wieder zuckte ein Blitz aufs Meer hinab, und diesmal erreichte mich der Donner schon wesentlich schneller. Ich kannte das von zu Hause � ich wußte, daß diese sich immer mehr verkürzenden Intervalle zwischen Blitz und Donner das Herannahen des Gewitters anzeigten. Der Himmel hatte sich bezogen, die Böen verschmolzen zu heftigem Wind, der aus Westen über das Meer heranfauchte. Und dann zuckte der nächste Blitz hernieder. Diesmal rollte kein Donner mehr von See her heran, sondern es folgte ein ohrenbetäubender schmetternder Schlag, unter dem der feine Sand unter meinen Füßen zu erzittern schien. Ich mußte weg von hier, wenn das Unwetter erst richtig losschlug, dann war ich ihm hier völlig schutzlos ausgesetzt. Kannibalen hin und Kannibalen her � ich rannte den Strand hinauf und arbeitete mich durch die Büsche bis zu den hohen Bäumen mit den eigentümlichen, wedelartigen Blättern vor. Immer tiefer drang ich ins Innere der Vegetation vor, bis ich endlich an eine Felsbarriere geriet,

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wo ich unter einem überhängendem Felsstück leidlich Schutz fand. Gerade noch rechtzeitig, denn jetzt orgelte bereits ein schlimmer Sturm über mich hinweg. Die Bäume bogen sich unter seiner Gewalt, Blitz und Donner folgten einander Schlag auf Schlag. Es wurde kalt, mich begann zu frieren, und schließlich klapperte ich vor Kälte sogar mit den Zähnen. Dann begann der Regen. Langsam erst, aber er schwoll innerhalb von Minuten zu einem wahren Wolkenbruch an. Er prasselte unter den grellen Entladungen vom Gewitter, gepeitscht durch den heulenden Sturm, in die Bäume und Büsche, er schoß in Strömen über die Felsen hinab, und im Nu lag ich in einer tiefer und tiefer werdenden Wasserlache. Plötzlich spürte ich wieder diesen wahnsinnigen Durst. Der Schreck über meine Entdeckung und die Furcht vor dem Unwetter hatten ihn verdrängt. Ich zögerte nicht lange, ich trank von dem Regenwasser, solange, bis es mir schon fast aus Nase und Ohren wieder herausdrang. Ich trank, bis mein Magen einfach kein Wasser mehr aufzunehmen vermochte, denn ich wußte, daß irgendwann wieder die glühendheiße Sonne scheinen und mit ihr der Durst wiederkehren würde. Schmerzlich kam mir zu Bewußtsein, daß ich nichts besaß, womit ich wenigstens einen kleinen Vorrat an Wasser hätte auffangen können. Hose und Hemd eigneten sich dazu nicht, so gut der Stoff auch war, es hätte ein Stück Persenning sein müssen, wie wir sie auf der �Black Devil" oft zu verschiedenen Zwecken verwendet hatten. Und wieder verwünschte ich meine verdammte Unerfahrenheit, und, daß ich nicht besser nachgedacht hatte, bevor ich das sinkende Schiff verließ. Das Unwetter hielt die ganze Nacht an. Es steigerte sich zu einem der heftigsten Stürme, die ich bis dahin je erlebt hatte. Und das hieß schon etwas, denn aus Bristol, besonders zur Winterszeit und im Frühjahr, war ich auch einiges gewöhnt. Das Gewitter entlud sich mit einer Wucht, die ich nur noch als ein Chaos von herniederzuckenden Blitzen, von schmetternden Donnerschlägen und infernalischem Heulen des Sturmes in Erinnerung habe. Die Temperaturen sanken soweit ab, daß ich vor Kälte trotz des Regens und trotz des Sturmes herumspringen mußte, um mich nur halbwegs warmzuhalten.

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Das alles dauerte bis weit nach Sonnenaufgang des nächsten Tages. Es wollte nicht hell werden an diesem Tag, und irgendwann, als wenigstens Gewitter und Regen nachließen, als ich mich noch einmal bis an die Ohren vollgetrunken hatte, schlief ich ein. So naß ich war � es störte mich alles nicht mehr, denn ich war total erschöpft.

* Die ersten warmen Sonnenstrahlen weckten mich. Sonnenstrahlen? Wieso? Ich erinnerte mich, daß ich weiter und weiter zwischen die Bäume hineingelaufen war, die so dicht gestanden hatten, daß für Sonnenstrahlen eigentlich nicht allzuviel Platz geblieben war. Jedenfalls keineswegs soviel, daß sie mir, wie jetzt, so warm aufs Fell brennen konnten. Ich richtete mich ruckartig auf. Um mich herum dampfte die ganze Natur, über mir brannte die Sonne am tiefblauen Himmel � und dann sah ich auch, warum. Der Sturm hatte eine Menge Bäume entwurzelt. Sie lagen einfach da, die fächerartigen Wedel geknickt zwischen ihnen ganze Dolden brauner Früchte. Ich ging näher heran, betastete die Früchte. Dann roch ich daran, und sie rochen gut. Aber so groß mein. Hunger auch war, ich hütete mich, sie zu probieren. Aus meiner Heimat kannte ich die tückischen Tollkirschen, die schon. manch einem Unvorsichtigen zum Verhängnis geworden waren. Mein Durst war gestillt, der Hunger, das wußte ich, ließ sich noch eine Weile ertragen, und vielleicht fand ich inzwischen doch irgend etwas... Hunger � wieder dachte ich an die Fußspuren, an das Boot und an die verlassene Feuerstelle mit den von der Sonne ausgebleichten Knochen. Ich mußte etwas unternehmen. Zumindest mußte ich erst einmal erkunden, wo ich mich befand. Ob auf dem Festland oder auf einer Insel. Ich glaubte aus gewissen Anzeichen heraus an letzteres, aber ich mußte mir Gewißheit verschaffen. Meines grausigen Erlebnisses vom Vortage eingedenk bewegte ich mich wieder auf die Küste zu. Immer wieder blieb ich stehen, lauschte, aber ich hörte nichts, und es zeigte sich nichts. Kein Tier, kein einziges Lebewesen. Bis auf gelegentliches Vogelgezwitscher war es still auf der Insel, nur von ferne hörte ich das Rauschen der Brandung.

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Ich kann nicht gerade sagen, daß mich das beruhigte. Denn wenn es hier außer Vögeln keine Tiere gab, dann mußte ich mich auf einem Eiland weit draußen im Meer befinden. Wie sollte ich hier überleben? Wie sollte ich jemals das Festland erreichen? Die Inseln im Süden verboten sich von selbst, noch immer sah ich vor meinem geistigen Auge den flackernden Feuerschein an ihren Gestaden. Dort gab es wahrscheinlich Menschen, aber eben nur solche, vor denen ich mich zu hüten hatte. Ich durchquerte die letzten Büsche, die Bäume hatte ich längst hinter mir zurückgelassen, und blieb wie angewurzelt stehen. Der Sturm hatte in der vergangenen Nacht die Wogen bis weit auf den Strand getrieben. So hoch hinauf, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Voller Schrecken dachte ich an meine Gräting, die ich, wie ich nun wußte, doch längst nicht hoch genug an den Strand gezogen hatte! Wenn sie von der See erfaßt und wieder fortgeschwemmt worden war, dann saß ich hier fest, unwiderruflich fest! Wieder wollte mich die Verzweiflung übermannen, über ich bezwang mich und rannte stattdessen los, immer durch den noch feuchten feinen Sand dorthin, wo ich meine Gräting zurückgelassen hatte. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gebraucht habe, um die Stelle zu erreichen, die ich auch nur wieder erkannte, weil dort die Vegetation keilförmig zum Meer I hervorgewuchert war. Auf den ersten Blick sah ich, daß meine Befürchtungen richtig waren. Die Gräting war fort, die Wassermarke reichte bis weit in die Vegetation hinein. I Daß es sich bei ihr um Dattelpalmen, um Olivenbäume, Bananenstauden, Kakteen, Feigenbäume und anderes mehr handelte, daß ich also jede Möglichkeit gehabt hätte, eine ganze Weile zu überleben, das erfuhr ich erst viel später. Ausgepumpt, wie ich war, ließ ich mich einfach in den Sand fallen. Ich war fertig, dieser neue Schlag, die Gewißheit, gefangen zu sein, falls ich mich auf einer Insel befand, war einfach zuviel für mich. Meine Nerven streikten, ich begann mit den Fäusten wie sinnlos im Sand umherzutrommeln. Doch dann, nach einer Weile allertiefster Verzweiflung, aus der mich auch der Gedanke an meinen Freund Mister Bunk nicht mehr zu reißen vermochte, kam mir plötzlich eine Idee. Wie, wenn die See die Gräting nicht einfach weggespült, sondern wenn die Wogen sie in die Büsche oder zwischen die Bäume geworfen haben sollte?

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Ich sprang auf, der Gedanke belebte mich. Ich rannte den Strand empor. Und tatsächlich, ich brauchte nicht lange zu suchen, ich fand die Gräting. Sie lag, oder besser gesagt, sie hing in einem dichten Gebüsch zwischen zwei Palmen, eine Seite am Boden, die andere von den offenbar sehr widerstandsfähigen Ästen und Zweigen gehalten. Ich weiß heute noch nicht, warum ich mich eigentlich so an dieses nutzlose Stück Holz klammerte, aber ich tat es nun einmal. Irgendwie war sie der Inbegriff meiner Hoffnung auf Rettung. Wer so etwas nie am eigenen Leibe erlebt hat, der wird das nur schwer verstehen können. Jedenfalls führte ich einen Freudentanz auf. Falls mich jemand dabei beobachtet haben sollte, muß er mich für total übergeschnappt gehalten haben. Ich ließ die Gräting einfach, wo sie war, denn dort; schien sie mir sicher, vor Entdeckung ebenso wie vor neuerlichem Sturm. Denn einen Tampen, um sie an einem der Bäume zu sichern, hatte ich ja nicht. Ich war wirklich so unverantwortlich dumm gewesen, mich mit nichts, nicht einmal mit dem Allernotwendigsten auszurüsten, was ein Mensch in solcher Lage zum überleben braucht. Beruhigt und ohne weiter darüber nachzudenken, daß ich mit dieser Entdeckung nichts, aber auch gar nichts für mich gewonnen hatte, beschloß ich, mir jetzt endlich Klarheit darüber zu verschaffen, wo ich mich befand. Nach Süden wollte ich nicht, ich hatte schlicht und einfach Angst davor, noch einmal auf derartige Spuren zu stoßen, also ging ich nach Norden. Deutlich konnte ich sogar von meinem gegenwärtigen Standort aus sehen, daß sich im Norden Felsen befanden, die auch höher anstiegen und vielleicht sogar einen Rundblick ermöglichen würden. Welche Überraschung mir dort allerdings bevorstand, das ahnte ich nicht. Ich muß mich sogar berichtigen: Überraschungen, und nicht nur eine...

* Ich muß etwa eine Stunde unterwegs gewesen sein, da wurde der Sandstrand schmaler. Auch das bisher seichte Wasser veränderte sich, die Felsen, die ich schon vorher erblickt hatte, sprangen, je weiter ich nach Norden vordrang, schließlich direkt bis ans Meer vor. Die Dünung brach sich gischtend an den Felsen, die manchmal weit ins Meer hinausragten.

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Die Landschaft hatte sich in ihrem Aussehen völlig verändert, und das Terrain zwang mich nach abermals rund fünfhundert Yard, ins Landesinnere auszuweichen, weil die Küste immer unzugänglicher und immer schroffer wurde. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel herab, und ich konnte nur von Glück sagen, daß ich durch den wolkenbruchartigen Regen in der Nacht meinen Durst gewissermaßen auf Vorrat hatte stillen können. Ich kämpfte mich bei immer noch zunehmender Hitze durch die Felsen. Und zwar immer höher hinauf, denn ich wollte mir, wenn irgend möglich, von einem hoch genug gelegenen Punkt eine Übersicht verschaffen. Zu meiner größten Überraschung geriet ich nach einer Weile � es mochte abermals eine Stunde vergangen sein � auf einen Pfad, der sich durch die Felsen aufwärts schlängelte. Verblüfft blieb ich stehen. Wer, zum Donner, benutzte auf dieser Insel solche Pfade? Es gab nur eine Erklärung: jene Wilden, deren Spuren ich im Süden der Insel entdeckt hatte. Wieder überrann mich ein Schauer des Entsetzens, aber dann faßte ich mir ein Herz und stieg den Pfad entlang, die Felsen empor. Nach einer Welle erblickte ich direkt über mir eine Felsspitze, die nadelscharf hoch in den blauen, hitzeflimmernden Himmel ragte. Ich schätzte sie auf eine Höhe von mindestens fünfzig bis achtzig Yard. Einen Moment lang blieb ich stehen, denn so ganz geheuer war mir nicht. Der Pfad, die Felsennadel... Wieder zwang ich mich, weiter emporzusteigen. Der Pfad verbreiterte sich etwas, auf den letzten Yards bildete er im Fels eine Art von Stufen, die mir aber natürlichen Ursprungs zu sein schienen. Dann, nach etwa zehn weiteren Schritten, stand ich plötzlich auf einem Felsplateau. Es bildete eine Plattform, von der aus man die ganze Insel, auf der ich mich befand, und von diesem Augenblick an wußte ich es, gut übersehen konnte. Eigentümlicherweise erhob sich die Felsnadel fast genau in der Mitte des Plateaus, das sie tatsächlich wie eine Plattform zu umgeben schien. Ohne zu zögern, beschloß ich, die Felsnadel zu umrunden, und zwar von West über Süd nach Nord. Denn ich erhoffte mir davon, daß ich mir auch vom Süden der Insel, vor allem aber von den benachbarten Eilanden, ein besseres Bild verschaffen konnte. Ich hatte die ersten Schritte noch nicht ganz getan, die nach Süden gelegene Seite noch nicht ganz erreicht, da schien eine eisige Faust

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mir das Herz zusammenzudrücken. Vor Schreck und vor Entsetzen taumelte ich zurück, prallte gegen die Felsnadel und sackte zu Boden. Meine Knie gaben einfach nach, ich hatte nicht mehr die Kraft, mich aufrecht zu halten. Denn vor mir. in der grellen Sonne, lagen die ausgebleichten Schädel mehrerer Menschen. Vor meinen Augen drehte sich alles, mein Herz raste. und meine Kehle war trotz des vielen Wassers, das ich getrunken hatte, plötzlich knochentrocken. Ich hatte die Augen geschlossen, aber dann zwang ich mich, sie wieder zu öffnen. In der Hoffnung, daß das alles nur Einbildung gewesen sei, eine Halluzination, hervorgerufen durch die erbarmungslose Sonne, die mir die ganze Zeit über mit ihren sengenden Strahlen auf den Kopf geschienen hatte. Aber meine Hoffnung bestätigte sich nicht � die Schädel waren da, und es handelte sich auch um menschliche Schädel, daran konnte nicht der geringste Zweifel bestehen, auch wenn ich noch so wenig von diesen Dingen verstand. Wie in einem Reflex sprang ich auf. Ich wollte fort, irgendwohin, nur fort von dieser Felsnadel, von dieser entsetzlichen Plattform, die ganz bestimmt eine Opferstelle der Kannibalen darstellte! Aber noch einmal riß ich mich zusammen, noch ein- mal fragte ich mich, während mein Herz immer noch raste, was Mister Bunk an meiner Stelle getan hätte. Wilde befanden sich in diesem Moment nicht hier oben, soviel stand fest. Also konnte mir auch nichts geschehen. Jedenfalls jetzt nicht. Ich mußte also meine Chance nutzen, mir einen Überblick über die Insel, auf der ich mich befand, verschaffen. Ich mußte mich beherrschen, denn von meiner Ortskenntnis konnte sehr leicht schon bald mein Leben abhängen, redete ich mir ein. So schwer es mir auch fiel, nach einem letzten schaudernden Blick auf die bleichen Schädel sah ich nach Süden. Deutlich erkannte ich in der Ferne � das Gewitter der Nacht hatte die Luft gereinigt, den Dunst, der Tiber der See gelegen hatte, vertrieben � zwei Inseln, nein sogar drei. Hohe Berge erhoben sich auf ihnen, nur i lieb von ihnen schien ein kleines felsiges Eiland zu sein, Ii r Insel, auf der ich mich befand, am nächsten gelegen. Weitere Einzelheiten waren jedoch mit dem unbewaffneten Auge nicht zu erkennen. Nur soviel wurde m i r klar: Falls dort die Kannibalen hausten und zu ihren abscheulichen Opferungen und Festmahlen hier

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herüber kamen, so konnten sie das mit ihren Booten sehr leicht tun, denn die Entfernungen waren nicht sonderlich groß. Ich sah mir fast die Augen aus dem Kopf � aber ich konnte kein Boot entdecken, das sich von dorther meiner Insel näherte und in dem sich vielleicht Menschenfresser befanden. Mit großer Überwindung zwang ich mich, weiter um die Felsnadel herumzugehen, ständig mit neuen, gräßlichen Überraschungen rechnend. Im Osten gab es nichts zu sehen als das Meer. Genauso verhielt es sich im Westen. Aber dann erreichte ich die Nordseite der Plattform, und wieder stand ich wie erstarrt und traute meinen Augen nicht. Auf den dort vorgelagerten Klippen hob sich im grellen Sonnenlicht deutlich das Wrack eines großen Schiffes ab, Ich lehnte mich gegen die Felsnadel, denn ich konnte nicht fassen, was ich sah. Zumal die Nordseite der Insel � meiner Schätzung nach betrug ihre Länge höchstens fünfeinhalb Meilen und ihre größte Breite nicht mehr als zweieinhalb Meilen � so nahe war, daß ich jede Einzelheit auf dem Wrack mit bloßem Auge erkennen konnte. Es war die �Black Devil" � keinen Moment lang zweifelte ich daran. Wenn man auf einem Schiff gelebt hat, wenn man auf ihm gefahren ist, wenn man es bei gutem Wetter und im Sturm erlebt hat, dann kennt man es. Jedes Schiff hat unverwechselbare Merkmale, auch noch als Wrack. Aber wie � wie kam die �Black Devil" hierher, wieso lag sie draußen vor der Insel auf den Klippen? Als ich sie verließ, hatte das Vorschiff bereits tief ins Wasser gehangen, das Geschützdeck wurde zum Teil überspült, das Achterkastell hatte gebrannt � wieso war die �Black Devil" nicht längst gesunken? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort wußte, so sehr ich auch darüber nachgrübelte und über meinen Grübeleien sogar die Totenschädel auf der Südseite der Felsnadel vergaß. Aber Tatsache war und blieb � die �Black Devil� war da, kein Traum, kein Geisterschiff, keine Halluzination. Sie saß dort im Norden der Insel ruf einem Riff oder auf einer Felsbarriere, an der sich die i e Dünung gischtend brach und zum Teil das immer noch tief im Wasser liegende Vorschiff überflutete. Doch so sehr ich mich auch bemühte, eine lebende Seele entdeckte ich nicht an Bord. Trotzdem � allein die Anwesenheit der �Black Devil" löste eine Menge meiner Probleme, versetzte mich in die Lage, einfach unverzeihliche Versäumnisse wieder wettzumachen. Das bedeutete allerdings, ich

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mußte zu dem Wrack hinüber. Die Gräting kam dafür nicht in Frage, die war viel zu weit weg, und ich hatte nichts, womit ich sie um die Insel herum nach Norden rudern konnte, von einem Segel ganz zu schweigen. Nein, ich mußte schwimmen, so sehr ich mich davor auch fürchtete, denn ich dachte an die Haie, die es in diesen Gewässern gab und die mich auf der Gräting umkreist hatten. Noch immer sah ich ihre kleinen tückischen Augen, wie sie nach mir schielten, und die dreieckigen Rückenflossen, die pfeilgeschwind durch die See schnitten. Aber es half nichts � so waffenlos, wie ich war, kam ich mir verdammt verloren vor auf einem Eiland, auf dem Menschenfresser ihre Spuren hinterlassen hatten. Wieder kroch eine Gänsehaut über meinen Körper, und so rasch ich konnte, verließ ich das Plateau und die Felsnadel in Richtung auf die �Black Devil".

* Es wurde ein höllischer Weg bis dorthin. Die scharfkantigen Felsen rissen die Haut an meinen Händen und Füßen auf. Gott sei Dank wußte ich damals noch nicht, daß bereits winzige Spuren von Blut genügen, um Haie auch aus großer Entfernung anzulocken, um sie in einen mörderischen Blutrausch zu stürzen, der sie zu wütenden Bestien werden läßt, die alles angreifen und zerreißen, was ihnen vor ihre mörderischen zahnbewehrten Rachen gerät. Um nicht auch meine letzte Hose und mein letztes Hemd zu verderben, und weil die mir noch meine Mom genäht hatte, zog ich mich nackt aus und kletterte, die Sachen um den Hals geschlungen und verknotet, die Felsen hinab. Es setzte Risse und Schrammen, aber das war mir egal. Ich hatte Glück. Es gab unten vor der Nordküste eine Felsplattform, die ich zu erreichen vermochte und die wie eine Rampe ins tiefe und fast schwarze Wasser führte. Noch einmal zögerte ich, während aus einigen der Schrammen und Risse Blut hervorsickerte. Aber dann entschloß ich mich. Die Strecke, die ich schwimmend zurückzulegen hatte, betrug bis zu dem Riff, auf dem die �Black Devil" gestrandet war, höchstens dreihundert Yard. Für einen Jungen, der an der Küste aufgewachsen ist, normalerweise kein Problem, und auch für mich stellte diese Strecke keines dar. Ich glitt ins Wasser, meine Hose und mein Hemd hatte ich sorgfältig um den Körper geschlungen und so verknotet, daß die Sachen mich nicht

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behindern konnten. Ich schwamm rasch und zügig. Die schwere Arbeit an Bord der �Black Devil" hatte meine Muskeln trainiert, ich spürte das bei jedem Schwimmstoß, den ich tat. Fast zwei Drittel der Strecke hatte ich geschafft, da tauchte die erste dreieckige Rückenflosse auf. Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Nicht nur an Bord der �Black Devil", sondern auch von Seeleuten im Hafen von Bristol hatte ich vieles über Haie gehört. Umkehren konnte ich nicht mehr, ich wäre für die Haie eine sichere Beute geworden. Ich konnte nur versuchen, das Wrack der �Black Devil" zu erreichen. Ich schwamm voller Verzweiflung, das undurchsichtige Dunkel des Wassers unter mir, vor oder neben mir die Rückenflosse des Haies, der mich vorerst nur umkreiste, offenbar unschlüssig noch, ob er mich angreifen sollte oder nicht. Was ich nicht wissen konnte war, daß das Salzwasser meine Wunden inzwischen geschlossen hatte und die sich rasch verflüchtigende Blutwitterung Aden Hai irritierte. Ich schwamm um mein Leben, und ich hatte noch etwa dreißig Yard bis zu den Klippen, als von vorne her, direkt aus der Tiefe, ein großer dunkler Körper auf' mich zuschoß. Ich warf mich noch im Schwimmen zur Seite; und so streifte mich der Hai nur. Ich spürte, wie er an mir entlangschrappte, wie seine Schwanzflosse neben mir das Wasser peitschte. Dann verschwand er wieder in der Tiefe. Ich geriet in Panik. Denn daß er dort unten kehrtmachen und wieder herausschießen würde zu einem neuen Angriff, das stand für mich fest. Mit, wilden Schlägen arbeitete ich mich durch das Wasser, und zu meinem Schrecken sah ich bereits weitere Rückenflossen durch die See direkt auf mich zujagen. Doch dann hatte ich die Felsbarriere erreicht. Mit letzter Kraft, ein wildes Stechen in der Herzgegend und in den Lungen, zog ich mich auf einen der Felsen und kauerte mich dort nach Atem ringend hin. Keinen Moment zu früh, wie ich sofort sehen sollte. Der Hai, der mich bereits angegriffen hatte, schnellte sich vor dem Felsen aus dem Wasser, den Rachen weit aufgerissen, so ich die großen, messerscharfen Zähne, die in mehreren Reihen in seinem Rachen standen, in der Sonne blitzen sah. Er klatschte mit dem Kopf auf die Felsen, und ich warf mich zurück, schlug hart mit dem Schädel auf und wußte für Sekunden gar nichts mehr weil mir schwarz vor Augen wurde. Als ich wieder zu mir kam, sah ich als erstes, daß ein ganzes Rudel von Haien die Felsbarriere umkreiste, auf die ich mich gerettet hatte.

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Hin und wieder schnellte sich einer von ihnen mit dem Kopf aus dem Wasser, und seine kleinen, tückischen Augen starrten mich drohend an. Nur langsam erholte ich mich, und ich ließ mir Zeit, als ich endlich begriffen hatte, daß ich auf meinem Felsen vor den Haien in Sicherheit war. Zum Wrack der �Black Devil" war es nicht mehr weit, aber ich durfte auch auf den scharfkantigen Felsen keinen Fehltritt tun, und ins Wasser stürzen, wenn ich nicht doch noch ein Opfer der Haie werden wollte. Nach einer guten halben Stunde, mein rasendes Herz hatte sich halbwegs wieder beruhigt, setzte ich meinen Weg so nackt, wie ich war, fort. Eine Viertelstunde später hatte ich mich bis zum Wrack der �Black Devil" durchgekämpft. Ich enterte an Bord, blickte mich um und mein Erstaunen war groß. Es lagen keine Toten mehr an Deck, das schlimmste Durcheinander war beseitigt, die Taue aufgeschossen, die Trümmer der Rahen und Spieren, soweit noch verwendbar, fein säuberlich an den zerfetzten Schanzkleidern geordnet. Ich benötigte eine ganze Weile, um zu begreifen, was das bedeutete. Es mußte sich also jemand an Bord der �Black Devil" befinden. Aber wie war das denn möglich? Als ich das � wie ich glaubte � sinkende Schiff mit der Gräting verließ, hatte sich niemand mehr an Bord befunden, da war ich ganz sicher. Aber wie dem auch war, und ganz gleich, wer sich an; Bord der �Black Devil" befand, in meiner Situation war, jeder Mann dieser Crew besser als keiner � denn er bedeutete menschliche Gesellschaft für mich, ich war nicht mehr länger allein auf dieser verfluchten Kannibaleninsel. Ich begann zu rufen und vergaß völlig, daß ich immer noch nackt war, daß ich mein Zeug zusammengeknotet um den Leib trug. �Hallo, ich bin's, Howard Bonty, der Schiffsjunge!" schrie ich ein um das andere Mal. �Wer befindet sich außer mir an Bord? Antwortet mir bitte, hallo ..." Aber ich kriegte keine Antwort. Alles blieb still. Gespenstisch still. Und wieder schloß ich die Augen kniff mich in den Arm, öffnete die Augen wieder. Es half nichts, ich befand mich an Bord der �Black Devil", und die lag auf den Klippen vor der Nordküste meiner Insel. Aber ich war allein, niemand antwortete mir auf meine flehentlichen Rufe. Ich sank an Deck, meine Knie gaben plötzlich nach. Meine Glieder begannen zu zittern, dann muß ich vor Erschöpfung einfach eingeschlafen sein.

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*

Als ich wieder erwachte, stand die Sonne abermals wesentlich tiefer am Himmel. Demnach hatte ich mindestens¬ ein paar Stunden geschlafen, aber ich fühlte mich sehr viel besser. Die ganze Anspannung war von mir abgefallen. Vielleicht hatte auch die vertraute Umgebung der �Black Devil" ihren Teil dazu getan. Und heute, wo ich das niederschreibe, ist es für mich immer noch das gleiche Phänomen, wie schnell sich ein Mensch seiner Umgebung anzupassen vermag, und wie schnell sie beginnt, so widrig die Umstände auch sein mögen, ihm eine gewisse Geborgenheit zu geben. Natürlich war ich mir völlig im klaren darüber, daß mein Verbleiben auf der �Black Devil" nicht von Dauer sein konnte, denn das Schiff saß auf den Klippen fest. Und manchmal, wenn die Dünung es ein wenig anhob, i dann hörte ich den Schiffsboden auf den Felsen knirschen und reiben. Dabei ächzte das alte Holz, als berge es Leben in sich. Merkwürdig, daß mir das nicht die geringste Angst einjagte. Die �Black Devil" schien mir eine sichere und wirksame Barriere gegen die Bedrohung durch die Kannibalen der Insel zu sein. An diesem Punkt meiner Überlegungen meldete sic energisch mein Magen. Seit meiner Strandung hatte ich nichts mehr zu mir genommen außer dem Regenwasser, aber dafür wirklich schwere Anstrengungen hinter mich gebracht. Außerdem mußte ich mich im Schiff nach vielleicht noch vorhandenen Waffen umsehen Und bei diesem Gedanken glitten meine Blicke wieder über die �Black Devil". Nein, es gab keinen Zweifel, hier hatten menschliche Hände soweit wieder Ordnung geschaffen, wie das den Umständen nach eben möglich war. Aber wo, verflixt, waren diese Menschen denn geblieben? Ich ging über das Deck, dorthin, wo sich einst die Kombüse befunden hatte. Viel war von ihr nicht mehr übrig. Waren es die Kanonenkugeln der Piraten gewesen, die sie in Stücke geschlagen hatten, oder hatte das der Sturm der vergangenen Nacht bewerkstelligt? Wie lange saß denn die �Black Devil" überhaupt schon auf den Klippen? Lange bestimmt noch nicht, oder ich hätte den Männern, die mit ihr gelandet waren, auf der Insel begegnen müssen. Voll solcher Gedanken stieg ich durch den mir bestens bekannten Niedergang ins Innere des einstigen Viermasters hinab. Und

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merkwürdig � selbst hier unten sah es wesentlich besser aus als zu der Zeit, da ich die �Black Devil" verlassen hatte. So oft hatte mich Daniel Hawkins hierher gejagt, daß ich den Weg zu den Fässern mit dem Pökelfleisch auch mit verbundenen Augen gefunden hätte, hätte man da von mir verlangt. Und mit den Wasserfässern verhielt es sich genauso. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Fässer mit dem Pökelfleisch gab es noch, und auch die Wasserfässer existierten noch. Eines von ihnen war sogar neu angeschlagen worden... Allmählich wurde mir unheimlich zumute. Es mußte sich Leute an Bord der �Black Devil" befinden! Wo verbargen sie sich und warum? Oder waren sie etwa ahnungslos auf die Insel gegangen, vielleicht genau den Menschenfressern in die Hände gelaufen? Ich zwang mich zur Ruhe. Nein, das konnte es nicht sein. Eher als ich war die �Black Devil" bestimmt nicht gestrandet, nach mir waren aber keine Kannibalen auf der Insel gelandet, ich hätte sie unweigerlich bemerkt. Ich unterbrach meine Überlegungen und versuchte, eines der Fässer mit dem Pökelfleisch zu öffnen. Es gelang mir nicht, sie waren zu fest verschlossen. Mit bloßen Händen war da nichts auszurichten. Ich mußte also zum Zimmermannsschapp und dort nach Werkzeug suchen. Das hatten die Piraten gewiß nicht mitgenommen. Ich enterte wieder auf und marschierte über Deck zur Back, die aber bedenklich tief im Wasser lag. Und erst In diesem Moment wurde ich mir meiner Nacktheit bewußt. Ich nahm mir vor, auf dem Rückweg von der Back wieder in meine Hose und in mein Hemd zu schlüpfen, beide hatte ich zum Trocknen an Deck ausgebreitet. Das Eindringen in die Kammer des Schiffszimmermanns erwies sich als schwierig. Sie stand fast gänzlich unter Wasser, und um an den Spind, in dem er seine Werkzeuge immer verwahrt hatte, heranzukommen, mußte ich tauchen. Erst beim dritten Versuch gelang es mir, den Spind zu öffnen. Im einfallenden Tageslicht, das dort durch das offene Steuerbordschott des Vorkastells hereindrang, sah ich verschwommen, daß alle. Werkzeuge sorgsam aufgeräumt waren wie stets. Aber erst mußte ich wieder auftauchen, um Luft zu schöpfen, dann wieder hinab, und erst bei diesem Versuch gelang es mir, wenigstens die große Axt des Schiffszimmermanns zu erwischen und mitzunehmen.

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Ich schnappte nach Luft, dann wog ich die Axt in den Händen. Das war doch wenigstens schon mal was, die war nicht nur gut zum öffnen von Fässern mit Pökelfleisch. Von diesem Moment an fühlte ich mich auf der �Black Devil" ziemlich sicher. Ich beschloß, später auch das andere Werkzeug zu holen, auch wenn das eine langwierige und bestimmt anstrengende Sache werden würde. Doch zunächst mußte ich meinen hungrigen Magen versorgen, alles andere hatte noch Zeit. Ich ging zu meinen Sachen und schlüpfte in Hose und Hemd, die längst wieder trocken waren. Dann stieg ich abermals ins Schiffsinnere hinab zu den Vorräten. Ich war gerade damit beschäftigt, eines der Fässer zu öffnen, als mich ein Geräusch innehalten ließ. Auf dem Hauptdeck war ein dumpfes Gepolter zu vernehmen, dann hörte ich nackte Sohlen über die Planken tappen. Ein eisiger Schreck durchzuckte mich. Kannibalen! Menschenfresser � das war mein erster Gedanke! Ich verwünschte in diesem Moment meinen Leichtsinn, mich einfach meines Hungers wegen so sorglos unter Deck mit den Fässern beschäftigt zu haben. Außerdem mußte derjenige, der jetzt an Deck herumschlich, die Schläge, mit denen ich den Deckel von einem der Fässer zerschlug, gehört haben. Wieder geschah etwas mit mir, was ich bis dahin noch nicht an mir erlebt hatte. Hatte es Zeiten gegeben, wo ich vor Furcht vor dem Fremden, der da an Deck herumschlich und vielleicht schon am Niedergang mit dem Messer in der Hand auf mich lauerte, fast gestorben wäre, so packte ich jetzt die Zimmermannsaxt mit beiden Händen fester. Eine wilde Wut, wie ich sie bis dahin noch nie gekannt hatte, überschwemmte mich. Ich würde mich meiner Haut wehren, solange ich konnte, der verdammte Kerl sollte sich nur blicken lassen. Mit fliegendem Puls, aber völlig klar im Kopf, stand ich im Dunkeln neben dem Niedergang, die Axt zum Schlag erhoben. Eine Weile rührte sich gar nichts, und schon begannen meine Arme von der ungewohnten Schwere der Axt zu schmerzen, da hörte ich Schritte die Stufen des Niedergangs hinabhuschen. Sehen konnte ich nichts, denn ich befand mich ein Deck tiefer, und da die Niedergänge zueinander versetzt waren, drang bis zu mir kein Tageslicht herein.

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Wieder hörte ich Schritte, ganz leise zwar, aber dort über mir schlich jemand die Stufen zum Zwischendeck hinab, das zugleich auch das Geschützdeck gewesen war. Wieder hörte ich eine ganze Weile gar nichts, und meine Arme begannen unter dem Gewicht der schweren Axt zu zittern. Dann aber, plötzlich, sauste ein Schatten den Niedergang zu dem Deck hinab, in dem ich mich versteckt hielt. Ich sah nur den Schatten, und ich schlug zu, mit aller Kraft. Erst in diesem Moment kam mir zu Bewußtsein, daß es sich auch um einen Mann der früheren Besatzung der �Black Devil" handeln konnte, so unwahrscheinlich das auch sein mochte. Mein Schlag traf eines der Wasserfässer. Er war mit solcher Kraft geführt, daß das Faß zerbarst. Gurgelnd ergoß sich der Inhalt des Fasses in das Deck. Irgendwo fluchte ein Mann, dann hörte ich einen schweren Fall und schrie unwillkürlich auf. Das war mein Fehler, aber ich hatte in diesem Moment allerhöchster Anspannung die Nerven verloren, ich hatte mich nicht mehr beherrschen können. Im nächsten Moment packten mich zwei bärenstarke Fäuste, zwangen mich zu Boden, nagelten mich auf den eisenharten Planken fest. Dann traf mich ein Hieb, der die Dunkelheit um mich herum noch schwärzer werden ließ. Ich spürte nur noch, wie ich in einen endlosen Abgrund stürzte und wußte zugleich, daß dies mein Ende war.

* Irgendwann kämpfte ich mich durch meine wirren Träume aus der Dunkelheit wieder ans Licht. Ich spürte die große Hand, die mich hielt, und zugleich vernahm ich die Stimme, die ganz gewiß nicht mehr zu diese Welt gehören konnte, wie sie zu mir sagte: �Na endlich Junge! Du machst vielleicht Sachen, du kannst einem ja einen ganz gehörigen Schrecken einjagen. Howard Bonty, wach endlich wieder auf!" Ich muß versucht haben, den Kopf zu schütteln, aber die große Hand hielt ihn fest. �Nein, mein Junge, du bleibst vorläufig noch ganz ruhig liegen, bis du endgültig wieder bei dir bist! Also keinen Muckser, verstanden?"

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Ich versuchte krampfhaft, wieder gänzlich Herr meiner Sinne zu werden, denn diese Stimme kannte ich Nach einer gewaltigen Anstrengung gelang es mir, di Augen zu öffnen. Ich lag im Schatten, und irgendwo hoch über mir erblickte ich das so vertraute Gesicht von Mister Bunk, das Gesicht meines Freundes von der �Black Devil". Ich schloß die Augen wieder. Aber ich wollte in diesem Moment keine törichte Frage stellen, auch dann nicht, wenn ich inzwischen vielleicht im Himmel war und Mister Bunk mich dort in Empfang genommen hatte. Meine Mom hatte mir einmal erzählt, daß das im Himmel so Sitte sei: Immer sei dort ein lieber und vertrauter Mensch aus unserem Erdendasein zur Stelle der einen am Himmelstor abholen würde, damit man sich besser zurechtfände und nicht alles so neu und so schwer sei, bevor man vor Gottes Thron treten müsse. Wieder öffnete ich die Augen. Wieder sah ich das Gesicht Mister Bunks über mir. Vorsichtig bewegte ich den Kopf zur Seite, erblickte das Deck der �Black Devil", sah einen der Maststümpfe und wußte, daß ich nicht im Himmel war. Ich wollte mich aufrichten, aber Mister Bunk drückt mich auf die Planken zurück. �Nicht so schnell, Junge, wir haben viel Zeit. Mein Schlag ist leider ziemlich hart ausgefallen, nachdem du mich fast mit der Zimmermannsaxt erschlagen hättest. Junge, Junge, Howard, das hätte aber ganz verdammt leicht ins Auge gehen können. Auf alles war ich gefaßt, nur nicht darauf, dich hier an Bord der �Black Devil� zu treffen. Die Geschichte will ich später von dir hören. Jetzt schlaf noch ein wenig, es ist ja alles gut, wir beide sind wieder zusammen, uns kann nichts mehr passieren, klar?" Er schob mir irgendetwas Weiches unter den Kopf. Jede Frage, jeden Versuch, mich zu erheben, vereitelte er. Und tatsächlich, ich schlief wieder ein. Ein nie gekanntes Glücksgefühl erfüllte mich. Mister Bunk war wieder da � aber woher war er bloß gekommen? Erst gegen Abend erwachte ich zum zweiten Mal. Und diesmal half mir Mister Bunk sogar auf. �Hast du noch Kopfschmerzen, Howard?" fragte er. �Oder ist dir übel?" Er sah mich besorgt an, aber ich verneinte. �Nein, Mister, ich fühle mich gut. Es ist so schön, daß Sie wieder da sind Mister, ich ..."

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Statt, einer Antwort zog Mister Bunk mich kurzerhand an seine breite Brust. �Ist ja gut, Junge, ist ja gut", sagte er und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. �Aber jetzt wird erst etwas gegessen, und dann erzählst du mir mal alles fein säuberlich der Reihe nach. Wie du auf die Insel kamst, wann du die �Black Devil" verlassen hast. Aber erst wird gegessen, Howard. Los jetzt, Backen und Banken!" Ich folgte ihm aufs Hauptdeck. Dort lagen merkwürdige Früchte. Lange gelbe, dann jene braunen Frucht, die mir schon auf der Insel an einem der Bäume auf gefallen waren. Ich deutete auf die braunen Früchte. �Solche habe ich schon auf der Insel gesehen, aber ich wußte nicht, ob sie giftig sind", sagte ich. �Die kannst du ruhig essen, Howard, das sind Datteln Und die da", er wies auf die langen gelben, �nennt man Bananen. Von ihnen leben ganze Eingeborenenvölker, So schlecht haben wir es also mit dieser Insel gar nicht getroffen, Howard. Verhungern werden wir nicht, verdursten übrigens auch nicht, denn es gibt in ihrem Innern, so klein sie auch ist, eine Quelle." Ich langte zu, wie Mister Bunk es bestimmt hatte, und ich muß sagen, daß mir jene fremden Früchte hervorragend mundeten. Schließlich war ich satt. Mister Bunk lächelte mir zu. �So, Howard, und jetzt möchte ich deine Geschichte hören. Vergiß nach Möglichkeit nichts, alles kann wichtig für uns sein. Du darfst bei aller Freude darüber, daß wir uns wiedergetroffen haben, nicht vergessen, daß die ,Black Devil' ein Wrack ist, das beim nächsten Sturm schon auseinander brechen und von der Wasseroberfläche verschwinden kann. Dann müssen wir weitersehen. Also?� Ich begann meinen Bericht, und ich ließ nichts aus. Das Gesicht Mister Bunks wurde immer ernster, und als ich ihm schließlich von der Felsnadel berichtete, auf deren Plateau ich die Menschenschädel entdeckt hatte, 1 stand er plötzlich auf. Ein paarmal ging er an Deck auf und ab, dann blieb er plötzlich vor mir stehen. �Deine Vermutung stimmt, Howard. Es gibt also Kannibalen auf dieser Insel, zumindest wird sie des öfteren von solchen besucht. Die Felsnadel scheint mir eine Art Opferstätte zu sein. Vielleicht werden dort die Gefangenen getötet, ehe die Kannibalen sie ..."

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Mister Bunk sprach das letzte nicht aus. Stattdessen schwieg er eine Weile und legte mir dann plötzlich seine Rechte schwer auf die Schulter. �Ich will dir nichts verheimlichen, Howard. Wir müssen hier fort, so rasch wie möglich. Wir werden ein seetüchtiges Floß bauen und versuchen, festes Land zu erreichen. Dort gibt es Menschen � nur ganz wenige sind Kannibalen �, die uns vielleicht weiterhelfen werden. Möglicherweise stoßen wir auch auf ein Schiff, das uns aufnimmt. Aber die Kannibalen hier, die vielleicht von Zeit zu Zeit von einer anderen Insel im Süden herüberrudern oder herübersegeln, weil dies die Insel ist, auf der sie ihren Göttern opfern, weil sich hier die Felsnadel mit dem Plateau befindet, die mir eine Heilige Stätte der Eingeborenen zu sein scheint, diese Menschenfresser sind eine Gefahr, der wir auf Dauer nicht gewachsen sein werden." Er schwieg eine Weile und dachte angestrengt nach. �Sie werden das Wrack entdecken, Howard, dann haben wir sie auf dem Hals. Zwar habe ich auf der ,Black Devil` noch ein paar Musketen entdeckt, Pulver und einen kleinen Vorrat an Kugeln auch noch, ebenso Pistolen und Entermesser, aber gegen eine wirkliche Überwacht richten wir damit nichts aus. Nein, wir müssen hier weg, so rasch wie möglich!" Er wanderte abermals eine Weile auf und ab, und ich wagte nicht, ihn zu unterbrechen. Dann blieb er wieder vor mir stehen. �Wir müssen deine Gräting holen, Howard. Wir brauchen sie, um ein seetüchtiges Floß zu bauen. Aber das wird noch ein gehöriges Stück Arbeit, und deshalb werden wir uns jetzt ausruhen. Du schläfst, ich wache. Später wecke ich dich dann, und du übernimmst die Wache." �Mister, ich ..." Mister Bunk lächelte. �Du willst meine Geschichte, Howard? Du wirst sie hören. Aber nicht heute, dazu brauchen wir etwas Zeit. Vielleicht morgen, einverstanden?" Ich stimmte zu. Wenn Mister Bunk es so haben wollte, dann hatte er bestimmt seine Gründe. Ich legte mich und war schon kurz darauf eingeschlafen. Als ich erwachte, war die Sonne gerade aufgegangen. Der Himmel im Osten leuchtete blutrot, und ich sah, daß Mister Bunk das ganz und gar nicht gefiel.

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Natürlich hatte er mich nicht geweckt, sondern mich durchschlafen lassen. Ich fühlte mich an diesem Morgen zum erstenmal wirklich prächtig, und als ich Mister Bunk darauf ansprechen wollte, daß er ja nun nicht geschlafen habe, winkte er nur ab. �Du wirst deine Kräfte brauchen, Howard. Ich bin ein ausgewachsener Mann und halte mehr aus als du. Ich habe für unseren Ausflug auf die Insel schon alles vorbereitet. Iß jetzt etwas, dann brechen wir auf!"

* Mit meinem Frühstück war ich rasch fertig, ich spürte, außerdem, daß Mister Bunk zur Eile drängte. Aber es konnten nicht nur die Kannibalen sein, die ihn so trieben. Ich faßte mir ein Herz und fragte ihn. Mister Bunk schulterte gerade einen großen Leinen sack, in dem er Tauwerk und einige andere Dinge untergebracht hatte, mit der anderen Hand griff er nach einer Muskete. Er sah mich an, aber diesmal blieb sein Gesicht ernst, kein Lächeln umspielte seine Lippen. Mit dem Kopf deutete er nach Osten. �Ich war schon mehrfach in diesen Gewässern, ohne allerdings jemals Land zu betreten, Howard", sagte er. �Ich weiß, daß ein so blutroter Morgenhimmel meist eine Schlechtwetterperiode ankündigt. Da ist vielleicht gut für uns, denn die Eingeborenen dieser Inseln kennen sich ebenfalls aus. Sie werden in ihren Auslegerbooten ihre Wohninsel wahrscheinlich nicht verlassen, oder aber, falls sie herüberkommen sollten, hier bleiben müssen. Das wäre allerdings schlimm für uns. Und schlimm ist auch, daß uns eine rasch einsetzende Schlechtwetterperiode daran hindern könnte, die Insel beziehungsweise das Wrack der ,Black Devil', so rasch wie möglich zu verlassen. Kommt ein Sturm auf, können wir aber auch nicht an Bord der ,Black Devil' bleiben, sie übersteht einen Sturm auf den Klippen nicht wehr." Mister Bunk warf einen prüfenden Blick in den Morgenhimmel, und dabei wiegte er bedächtig den Kopf. �Nun, wir werden sehen, Howard. Vielleicht bleibt Uns eine baldige Wetterverschlechterung auch erspart. Aber wie dem auch sei, wir müssen hier fort. Gottlob verstehe ich mich darauf, ein seetüchtiges Floß zu bauen, aber das gibt für uns noch eine Menge Arbeit. Also los jetzt! Nimm die Muskete, das Pulver und die Kugeln, da drüben liegt die Axt, und stecke dir ein Entermesser in den Gürtel!"

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Mister Bunk ging zum Vorschiff hinüber, und ich fragte mich im stillen, wie wir mit all den Sachen wohl bis an Land schwimmen sollten, ohne daß das Pulver naß wurde und ohne daß uns die Haie erwischten. Ich blieb unvermittelt stehen und starrte aufs dunkle Wasser, das gleich hinter den Klippen schon sehr tief war, wie ich wußte. Mister Bunk mußte meine Gedanken gelesen haben. Er blieb stehen und lächelte mir zu. �Du denkst an die Haie, nicht wahr? Hab nur keine Angst. Ich habe aus Spieren und anderen Hölzern, die Ich an Bord der ,Black Devil' fand, ein provisorisches Floß gezimmert, das uns und die Sachen trägt. Im übrigen werden heute nicht so viele Haie in der Nähe der Insel Nein. Die waren gestern nur deswegen da, weil ich die Toten der ,Black Devil' dem Meer übergeben habe. Sie In Segeltuch einzunähen, dazu blieb mir keine Zeit, Howard. Es ist mir verdammt schwergefallen, die Toten diesen Bestien praktisch in ihre Rachen zu werfen, aber ich hatte keine Wahl." Wir waren weitergegangen, und jetzt sah ich das Floß. Mister Bunk hatte es am tief in der See liegenden Vorschiff der �Black Devil" vertäut. Es bestand aus Spieren und Kanthölzern, die sich an Bord unseres Schiffes befunden hatten, die Mister Bunk sorgfältig mittels Tauen mit einer Gräting verbunden hatte. Ein paar Zimmermannsnägel hatte er ebenfalls verwandt. �Das habe ich mir gleich gebaut, nachdem ich an Bord der ,Black Devil' zurückgekehrt war, Howard", erklärte er. �Ich konnte schließlich nicht wissen, wie lange die Old Lady es noch machen würde. Und als der Sturm losbrach, wurde es auch verdammt kritisch, trotz der vielen leeren Fässer, die sie als Ladung mit sich führte." �Trotz der leeren Fässer?" fragte ich, und im selben Moment ging mir ein Licht auf. Das also war der Grund, warum sie nicht längst gesunken war, die Fässer hatten ihr den notwendigen Auftrieb gegeben. �Die Fässer waren allesamt gereinigt und abgedichtet, Howard", erklärte mir Mister Bunk alles geduldig. �In die Fässer sollte in Ostindien die Gewürzladung. Diese Gewürze sind eine hochempfindliche, sehr wertvolle Fracht, man kann sich nicht darauf verlassen, daß die Eingeborenen Ostindiens dort vorhandene Fässer sorgfältig genug vorbereiten. Zumal unsere Ladung aus fertig verarbeiteten Gewürzen der dortigen Faktorei bestehen sollte."

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�Und das Feuer, Mister Bunk? Ich meine, als ich von Bord ging, hat doch das ganze Achterschiff lichterloh gebrannt. Der Brand hätte doch ..." � ... um sich greifen müssen, meinst du. Stimmt, er hat mir auch ganz verdammte Sorgen bereitet, und auch seinetwegen begann ich sofort mit dem Bau dieses Floßes, das allerdings nur eine winzige Chance auf Rettung geboten hätte und von mir auch nur als Schutz vor Haien und als Möglichkeit angesehen wurde, entweder lebend von einem Schiff gefunden zu werden oder irgendwo angespült zu werden wie du. Außerdem war ich noch nicht fertig mit dem Floß, als der Sturm ausbrach, es sollte Segel bekommen, und das, was wir uns bauen müssen, wird abgesehen von seiner gänzlich anderen Bauart und Größe, Mast und Segel kriegen. Also komm� jetzt, wir dürfen den Tag nicht vertrödeln, Howard, zum Erzählen bleibt später noch Zeit." Er wollte seine Sachen gerade auf das kleine Floß legen, als er sich noch einmal umdrehte. �Ach ja, deine Frage, Howard. Die von achtern auflaufenden Brecher haben das Feuer im Schiff gelöscht, gerade noch rechtzeitig übrigens, es hätte sonst die Pulverkammer, in der sich immerhin noch einige Fäßchen mit, Pulver befanden, erreicht." Das war eine der Eigenschaften, die ich an Mister Bunk so schätzte: Er ließ nie eine meiner Fragen unbeantwortet, sofern er die Antwort wußte. Ganz im Gegensatz zum Schiffskoch Hawkins, der mich bei jeder Frage sofort angebrüllt oder sogar geschlagen hatte. Mister Bunk hatte den Segeltuchsack auf das Floß gelegt, jetzt deponierte er seine Muskete sorgfältig in die Mitte der Gräting. Dann forderte er mich auf, überzusteigen und vor allem ebenfalls während der Überfahrt auf die Musketen und das Pulver zu achten. Ich stieg über, und ich merkte sofort, daß das kleine Floß uns beide und die Sachen auf keinen Fall tragen würde, ohne daß die Gräting so tief ins Wasser eintauchen würde, daß auch die Ladung naß werden mußte. Ich nahm also die beiden Musketen sofort auf und auch Säckchen mit dem Pulver. Währenddessen streifte Mister Bunk seine Segeltuchjacke ab, die er auf der nackten Haut getragen hatte. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. �Ich werde schwimmen, Howard, und du paßt genau auf, ob Haie in der Nähe sind. Stell dich also hin! Außerdem haben wir keine Ruder, ich muß das Floß zum Ufer hinüberschieben."

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Mister Bunk löste die Taue, dann stieß er sich kräftig von der �Black Devil" ab. Ich paßte auf wie ein Luchs � aber wir hatten Glück, kein Hai zeigte sich weit und breit. Wir gelangten ohne jeden Zwischenfall ans Ufer. Ich sprang vom Floß, und gemeinsam zogen wir es auf jene Felsrampe, von der aus ich auch am Tag zuvor ins Wasser gegangen war. Mister Bunk hielt sich nicht mehr mit Reden auf. Er nahm die Muskete, den Segeltuchsack, der ein ganz beachtliches Gewicht hatte, und ging los. Ich folgte ihm. Ich wußte nicht, daß Mister Bunk, während ich schlief, bereits das gesamte Werkzeug aus dem Spind des Schiffszimmermanns heraufgetaucht hatte. Der Marsch durch die Felsen war beschwerlich, die Sonne stieg rasch höher, und die so angenehme Morgenkühle wich einer zermürbenden Hitze. Mister Bunk hieß mich am Fuß der Felsnadel warten und stieg dann, nur mit der Muskete und seinem Entermesser versehen, zu jenem Plateau auf, das die Opferstätte der Kannibalen war. Als er zurückkehrte, war sein Gesicht sehr ernst. Einen Moment lang sah er mich an. �Howard, wir haben tatsächlich das Pech gehabt, auf einer Insel gestrandet zu sein, die offenbar eine Art Heiligtum für die Kannibalen darstellt. In dieser Felsnadel, da bin ich ganz sicher, sehen sie bestimmt so etwas wie eine Gottheit, der sie opfern. Und sie ist in der Tat ein wirklich unerklärliches Gebilde, von der auch die Gelehrten bestimmt nicht sagen könnten, welche Laune der Natur sie gerade hier entstehen ließ." Er warf abermals einen Blick empor, dann sah er mich wieder an. �Für uns bedeutet das, daß wir mit Besuch rechnen müssen. Wir sollten höllisch auf der Hut sein, Howard. Ich kenne die Schwarzen � ihnen wird das Wrack an der Nordspitze ihrer Götterinsel nicht lange verborgen bleiben. Gehen wir also rasch zum Strand und holen wir uns die Gräting. Dann werde ich noch ein Stück landeinwärts gehen, und du begleitest mich. Ich kenne dort eine Stelle, an der es wilde Tomaten in Hülle und Fülle gibt. Die löschen den Durst, und sie sind sehr gesund und sehr gut für uns, wir sollten uns eine gehörige Portion davon mitnehmen, sobald wir in See stechen." Mister Bunk nickte mir zu, dann marschierten wir weiter. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar und glücklich ich war, daß ausgerechnet mein Freund Mister Bunk mit dem Wrack auf der kleinen Insel gestrandet

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war. Das schien mir schon fast wie ein Fingerzeig Gottes � und wie ich später wußte, war er es auch. Die Gräting lag noch genauso im Gebüsch, wie ich sie verlassen hatte. Wir gingen sofort ans Werk, aber es wurde eine üble Schufterei, sie wieder bis ans Wasser hinunter zu schaffen. Denn sie war schwer, und die gewaltige Brandung hatte sie zwischen den Stämmen zweier Palmen, wie mir Mister Bunk erklärte, verklemmt. Das war mir in meiner Aufregung nicht aufgefallen. Und ohne Mister Bunk hätte ich sie entweder nie oder erst nach elender langer Schufterei wieder freigekriegt. Die Gräting lag am Wasser, das nächste Problem war, nie jetzt bis zum Schiff zu schaffen. Ein Unterfangen, das auch Mister Bunk nicht auf Anhieb zu lösen wußte. Nach einigem Hin und Her sagte er schließlich: �Es hilft nichts, Howard, wir werden uns aus einem Baum zwei Ruder fertigen müssen und dann gemeinsam zum Schiff zurückrudern. Das wird eine ganz verdammte Knochenarbeit, so eine Gräting ist alles andere als ein Boot. Außerdem brauchen wir auch noch zwei Duchten und zwei Dollen für die Riemen. Das kriegen wir heute gar nicht mehr fertig, gut, daß ich wenigstens an Werkzeug und Nägeln alles bei mir habe, was wir benötigen." Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. �Aber vorher werden wir uns noch einige von den wilden Tomaten holen, Howard. Außerdem will ich mir noch die Südküste der Insel ansehen, soviel Zeit muß sein!" Ich nickte. Wenn Mister Bunk bei mir war, machte es nur nichts aus, noch einmal an jenes Stück des Strandes zu gehen, von dem aus man die Feuer der Kannibalen auf den Nachbarinseln bei beginnender Dämmerung flackern sah. Wir gingen los. Aber was uns bevorstand, das ahnten wir in diesem Moment noch nicht.

* Mister Bunk schritt rasch aus. Ich spürte, daß er irgend- wie beunruhigt war. Deshalb blickte ich immer wieder in den Himmel, ob sich etwa wieder jene schwefelgelben Wolken am Horizont zeigten, aber nichts dergleichen geschah. Die Sonne stand an einem blauen, wenn auch leicht dunstigen Himmel. Von See her stand eine leichte Dünung herein, die Wogen rollten gischtend auf den weißen Strand.

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Dem Sonnenstand nach war es Nachmittag. War es in, den Felsen nahezu unerträglich heiß gewesen, so ließ es sich auf unserem Marsch nach Süden gut aushalten. Etwa zwei Stunden, nachdem wir von der Stelle, an der die Gräting lag, die Mister Bunk mit einem Tau gesichert hatte, aufgebrochen waren, blieb Mister Bunk plötzlich stehen. Er deutete auf eine Stelle des Vegetationsgürtels, der den Strand nach Süden nahezu lückenlos begleitete. �Komm mal her, Howard!" sagte er. Dann wies er auf ein paar Stauden mit leuchtend roten, kleinen Früchten. �Sieh sie dir gut an, Junge! Das sind wilde Tomaten. Sie schmecken sehr gut, und vor allem löschen sie den Durst. Ich werde ein paar pflücken, das wird nach der Hitze in den Felsen gut tun" Mister Bunk ging den Strand hinauf, dann ließ er den Segeltuchsack fallen und bückte sich. Gleich darauf 4 hielt er mir einige der roten Früchte entgegen. �Nimm und iß!" sagte er. Ich probierte, und Mister Bunk hatte recht. Die wilden Tomaten erwiesen sich wirklich als sehr schmackhaft und saftig. Es standen genug Stauden da, und wir pflückten uns einen beträchtlichen Vorrat, nachdem wir uns satt gegessen hatten. �Merk' dir eines, Howard", sagte Mister Bunk zu mir und leckte sich die Lippen, �auch wenn man es noch so eilig hat, in einer Situation wie der unseren sollte man nie versäumen, seinen Körper bei Kräften zu halten. Es kann immer leicht der Fall eintreten, daß man sie braucht." Er schulterte seinen Segeltuchsack wieder, und wir marschierten weiter. Gesprochen wurde von da an zwischen uns so gut wie nichts mehr, denn Mister Bunk schritt mächtig aus, und ich mußte mich beeilen und mich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. Als die Sonne schon deutlich tiefer stand, erreichten wir die Stelle, an der ich am vorhergehenden Tag die Fußspuren entdeckt hatte. Aber � wie schon erwähnt � die See hatte alle Spuren beseitigt, und erst bei der genauen Suche, die Mister Bunk durchführte, entdeckten wir Überreste des Auslegerbootes, das neben der Feuerstelle am Strand gelegen hatte. Mister Bunk betrachtete sie sich genau. �Ein Auslegerboot der Eingeborenen", sagte er dann zu mir. �Boote dieser Art werden in dieser Gegend und auch anderswo von farbigen Menschen verwendet. Sie sind sehr seetüchtig, Howard, und man weiß, daß die Eingeborenen mit ihnen große Strecken zurücklegen,

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auch bei Sturm." Und wieder trat dieser grüblerische Ausdruck in seine Züge. �Wie weit müssen wir von hier aus noch gehen, um die Inseln deutlicher zu sehen?" fragte er. Ich hob die Schultern. �Ich weiß es nicht, Mister", antwortete ich. �Hier überraschte mich das Gewitter, ich bin nicht weiter nach Süden gegangen." Mister Bunk nickte, dann bedeutete er mir, ihm zu folgen. Wir marschierten noch etwa eine Stunde nach Süden, und plötzlich öffnete sich vor uns eine Bucht. Sie bildete einen tiefen Einschnitt in die Küstenlinie. Aber anstelle des dichten Vegetationsgürtels standen hier lediglich ein paar Palmen, und hinter ihnen erhoben sich eine Reihe Felsen. Die höchste Erhebung mochte etwa zwanzig bis dreißig Yard betragen. Das jedoch war es nicht, was Mister Bunk und mich ruckartig stehen bleiben ließ, sondern eine ganze Reihe von Feuerstellen, die sich etwa in der Mitte der Bucht, an der Stelle die den tiefsten Einschnitt bildete, deutlich vom weißen Sand abhoben. Sie waren nicht von der See verwüstet worden, weil diese Bucht vor den heranrollenden Brechern Schutz geboten hatte. Mister Bunk hatte seinen Segeltuchsack von der Schulter gleiten lassen. Langsam � und wie mir schien, auch sehr wachsam � schritt er auf die Feuerstellen zu. Und noch während ich ihn beobachtete, erkannte ich, daß diese Bucht außer durch ihre Lage auch noch durch eine Felsbarriere geschützt wurde, an der die See sich gischtend brach. Ob ich wollte oder nicht � mir brach der Schweiß aus, und wieder liefen mit eisige Schauer über den Rücken. Denn an der einen Feuerstelle, der ich mich näherte, entdeckte ich wieder Knochenüberreste. Aber sie waren von der Sonne noch nicht ausgebleicht, an ihnen fand sich sogar hier und da noch eingetrocknetes Blut. Mister Bunk drehte sich um. Auch er wirkte blaß in diesem Moment. Als ich seinen Blick auffing, mit dem er mich ansah, wußte ich, daß wir mit dieser Bucht jene Stelle gefunden hatten, an denen die Menschenfresser offenbar ständig ihre grausigen Gelage abhielten. �Mister ... Mister Bunk", würgte ich hervor und konnte den Blick kaum von den grausigen Überresten wenden, �woher holen sie sich denn ihre Opfer immer wieder? Wie kann es denn zu diesen entsetzlichen Festen, die sie auf dieser Insel feiern, immer wieder kommen?" fragte

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ich, und dabei muß meine Stimme arg gezittert haben. Denn ich stellte mir eine solche schlimme Szene in diesem Augenblick in allen Details vor. Mister Bunk trat auf mich zu. �Ruhig, Howard, ganz ruhig bleiben, Junge", sagte er, und diese wenigen Worte wirkten Wunder. �Sie werden wahrscheinlich Nachbarstämme überfallen, von denen nie sich ihre Opfer holen. Ich habe einmal gehört, daß es Auf dem Kontinent der Schwarzen Gebiete geben soll, in denen niemals Friede herrscht. Dort bekriegt immer ein Stamm den anderen." Ich schluckte, aber Mister Bunk ließ mir keine Zeit, mich wieder meinen Schreckensvorstellungen zu widmen. �Hol' den Segeltuchsack, Howard!" sagte er. �Wir werden auf die Felsen klettern, von dort oben haben wir eine bessere Übersicht. Ich möchte mich noch ein wenig umsehen, warte bei den Felsen auf mich!" Mister Bunk wandte sich ab, und in diesem Moment hatte ich das Gefühl, daß er mich vom Strand forthaben wollte, daß er mir irgendeine Entdeckung, die er gemacht hatte, vorläufig verschwieg. Denn so blaß wie an diesem Nachmittag hatte ich Mister Bunk noch nie gesehen. Ich tat, wie er mir gesagt hatte. Ich ging zu den Felsen, wollte den Segeltuchsack gerade zu Boden gleiten lassen, da geschah es. Plötzlich war das Boot da. Es tauchte an der Felsbarriere auf, und ich sah genau, daß dunkelhäutige Kerle in dem Boot saßen, die wie die Besessenen durch die Brandung paddelten. Ihre Oberkörper schwangen in wildem Takt hin und her. Die Sonne stand bereits merklich tiefer, das Gegenlicht blendete mich, daher konnte ich nicht genau erkennen, was sonst noch alles draußen bei der Felsbarriere geschah. Aber was ich gesehen hatte, war schon schlimm genug. Beim Anblick der Kannibalen, die auf die Bucht zupaddelten, packte mich Panik. Ich wollte schreien, meine Nerven spielten einfach nicht mehr mit, aber in diesem Moment preßte sich eine harte Hand auf meine Lippen und verschloß sie. Halb von Sinnen vor Angst warf ich mich herum. �Weg, schnell!" hörte ich Mister Bunk sagen. �In die Felsen und sofort in Deckung. Wenn uns die Kerle bemerken, dann ist's aus mit uns. Von See her nähern sich mehrere Auslegerboote." Ich fragte nicht lange, und Mister Bunk ließ mir auch gar keine Zeit dazu. Er trieb mich vor sich her, und wenn es ihm nicht rasch genug ging, dann versetzte er mir einen Stoß in den Rücken.

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Wir arbeiteten uns durch die Felsen, und wir hatte Glück. Wir gelangten an eine Stelle, an der der Felsen eine Art natürliche Brustwehr bildete. Er gab uns Deckung, gleichzeitig ermöglichte er uns aber auch, die Geschehnisse in der Bucht genau zu beobachten. Mister Bunk ließ den Segeltuchsack fallen, lehnte die Muskete gegen den Felsen und bückte sich. Gleich darauf hielt er ein Spektiv in der Hand und zog es auseinander. Woher er das kleine Fernrohr hatte, wußte ich nicht. Ich erinnerte mich jedoch, beim Kapitän de �Black Devil" solch ein Instrument gesehen zu haben. Mister Bunk schob sich vorsichtig aus der Deckung und spähte in die Bucht hinab. Dann stieß er eine wild Verwünschung aus, schon fast einen Fluch. Das kannte ich von diesem sonst so beherrschten Mann gar nicht, es mußten sich in der Bucht also schlimme und bedrohliche Dinge zutragen. Mister Bunk ließ mich nicht lange im Ungewissen Statt irgendeine Erklärung abzugeben, reichte er mir das Spektiv, und ich blickte hindurch. Was ich sah, trieb mir unwillkürlich die Haare zu Berge. Das erste Auslegerboot hatte den Strand er- reicht. Die Kannibalen sprangen heraus, zogen es auf den Strand. Dann zerrten sie ein paar gefesselte Farbige aus dem Boot und warfen sie kurzerhand in den weißen Sand. Ein zweites Boot erreichte den Strand. Ich zählte zehn Kannibalen, die heraussprangen. Einer von ihnen trug einen hohen, reich verzierten Kopfschmuck, und in der Hand eine schwere Keule. Ohne große Umstände trat er zu einen am Boden liegenden Gefangenen und erschlug sie. Mit einem Wehlaut sackte ich vor Schreck und Grauen zusammen. Mister Bunk nahm mir das Spektiv ab, sah hindurch. Und dann zuckte auch er zusammen. Ich sah, wie sein Körper sich spannte, wie seine Züge sich vor Schreck oder vor Erstaunen verzerrten. �Was, zum Teufel, was ist das?" hörte ich ihn murmeln. �Wo kommt denn dieses Boot plötzlich her �" So leise das auch von ihm gesagt wurde, ich hatte es doch gehört und auch genau verstanden. Zitternd schob ich mich aus der Deckung und blickte in die Bucht hin-. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich den Schock überwand, der mich sekundenlang lähmte. Ich vermochte nicht einmal mehr die Augen zu schließen, weil ich meinem Verstand nicht mehr traute, weil ich einfach nicht glauben wollte, was ich sah.

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Ein drittes Boot schoß eben durch die Brandung, Aber es war kein Auslegerboot, wie es die Kannibalen benutzten, sondern eines von der Art, von denen wir Zwei auf der �Black Devil" als Beiboote mitgeführt hatten. Und zwar ein etwas kleineres und ein größeres, Das Boot näherte sich rasch dem Strand, dann hatte es ihn erreicht. Die Kannibalen sprangen heraus, zogen s wild schnatternd auf den Sand. Aber sie zogen es wesentlich höher hinauf als ihre eigenen Auslegerboote. Anschließend versammelten sie sich alle um das Boot und redeten wild und gestikulierend aufeinander ein. Mister Bunk hatte das Spektiv wieder ans Auge gesetzt. Aber unsere Sicht auf die Bucht verschlechterte sich durch die rasch sinkende Sonne immer mehr. Denn wir hatten in den Felsen eine Position, daß wir von Osten her die Bucht überblickten, die immer noch grelle Sonne also schon ziemlich tief am westlichen Horizont stand und die Kannibalen sich für uns nahezu im Gegenlicht befanden. �Was tun sie, Mister Bunk?" fragte ich meine Freund, und dabei hatte ich das Gefühl, daß meine Stimme vor Aufregung nur noch krächzende, unverständliche Laute hervorbrachte. Aber Mister Bunk hatte mich dennoch verstanden. Er wollte gerade antworten, als bei dem Boot etwas geschah, was unsere aller schlimmsten Befürchtungen bei weitem übertraf. Der Kannibale mit dem Kopfschmuck und der schweren Keule in der Hand war ebenfalls an das Boot herangetreten. Das wilde Geschnatter verstummte, die anderen machten ihm Platz. Er war also ihr Anführer. Er beugte sich über das Dollbord und blickte eine Weile ins Innere des Bootes. Dann richtete er sich wieder auf und gab einige Befehl an die anderen, die ihn respektvoll im Halbkreis umstanden. Sogleich sprangen zwei der Wilden ins Boot, einen Augenblick später bückten sie sich, um im nächsten Moment mit einem weiteren Gefangenen wieder aufzutauchen. Sie warfen ihn kurzerhand den anderen zu, die ihn geschickt auffingen. Mir stockte in diesem Moment der Atem. Ich hatte schon immer sehr gute Augen gehabt, und die Entfernung bis zu den Wilden war so gering, daß ich trotz der schlechten Lichtverhältnisse auch ohne Spektiv erkennen konnte, was nun geschah. Der Anführer der Kannibalen ging auf den Gefangnen zu, packte ihn bei den Haaren und hob ruckartig den Kopf des Mannes hoch. Der Ärmste schrie so laut, daß ich seinen Schrei trotz der tosenden

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Brandung hörte. In diesem Moment sah ich auch das, was mir fast das Blut in den Adern erstarren ließ: Der Mann aus dem Beiboot war ein Weißer, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Mister Bunk neben mir setzte das Spektiv plötzlich ab. Er starrte in die Bucht mit einem Blick hinab, als habe er soeben den Leibhaftigen persönlich gesehen. �Mein Gott", stieß er in einem solchen Grad von Betroffenheit hervor, daß ich meinen Freund nur anstarren konnte. Noch einmal setzte er das Spektiv ans Auge, blickte zu der Gruppe von Wilden hinüber, die den Gefangenen noch immer zwischen sich hielten und vor dem der Kannibale mit dem Kopfschmuck stand, der soeben ein langes Messer zog, und es dem Gefangenen an die Kehle setzte. Wieder schrie der Gefangene auf � und als ob dieser Schrei etwas bewirkt hätte, trat der Anführer der Kannibalen plötzlich zurück und gab den anderen wieder einige Befehle. Sie rannten sofort los, den Gefangenen schleiften sie hinter sich her. Sie schleppten ihn zu einer Palme, die am Rande des etwa dreißig Yard breiten Strandes stand, und banden ihn dort fest. Sie verschnürten ihn so arg, daß an ein Entkommen des Gefangenen überhaupt nicht zu denken war. Abermals ließ Mister Bunk das Spektiv sinken, aber dann, einem plötzlichen Entschluß folgend, reichte er es mir. �Sieh' dir den Mann an, Howard!" sagte er, und seine Stimme klang völlig verändert und sehr rauh. �Du kannst ihn von hier aus im Profil genau erkennen, und Ich will dann von dir wissen, ob du diesen Mann kennst!" Ich starrte Mister Bunk ungläubig an. �Ob ich den Mann dort unten kenne, Mister? Aber wieso denn, ich ... wir ..." Mister Bunk unterbrach mich, und es kostete merklich große Anstrengung, ruhig zu bleiben. �Sieh ihn dir an, Howard, tu jetzt, was ich von dir verlange!" Ich hob das Spektiv ans Auge, und im nächsten Moment war mir, als ob mich ein heftiger Schlag getroffen hätte. Das Bild vor meinen Augen verschwamm für einen Moment, denn dieser Mann dort unten war kein anderer als unser einstiger Schiffskoch Daniel Hawkins. Ich war im Augenblick dieser fürchterlichen Entdeckung so entsetzt, daß meine Stimme glatt versagte. Wie war Hawkins in die Gewalt der

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Kannibalen geraten? Wieso hatte er sich in jenem Boot befunden? War es etwa eines der Boote der �Black Devil"? �Du hast ihn also auch erkannt", sagte Mister Bunk �ich habe mich doch nicht getäuscht." Er starrte einen Moment lang in die Bucht hinunter wo die Schwarzen jetzt damit begannen, ein paar Feuer zu entfachen. Anschließend sah Mister Bunk mich an. Schließlich legte er mir seine Rechte schwer, auf d Schulter. �Dir ist hoffentlich genauso klar wie mir, Howard daß wir Hawkins, ganz gleich was für ein niederträchtiger Kerl er ist und wahrscheinlich auch immer bleibe wird, nicht in der Gewalt dieser Menschenfresser lassen können. Wir werden also kämpfen müssen, Junge, denn es ist unsere Christenpflicht, ihn vor dem entsetzlichen Schicksal, das auf ihn wartet, zu bewahren. Für die anderen Gefangenen vermögen wir nichts mehr zu tun, der Kerl mit dem Kopfschmuck hat sie bereits erschlagen, du hast es mit eigenen Augen gesehen." Mister Bunk schwieg einen Moment lang. �Und wenn es unser eigenes Leben kosten sollte, Ha ward, wir werden versuchen, Hawkins zu befreien. Und ich denke auch, wir haben Zeit genug dazu. Denn sonst hätten sie Hawkins nicht erst an jene Palme dort gebunden, sondern ihn sofort wie die anderen Gefangenen getötet. Ich fürchte, Junge, Hawkins droht ein viel schlimmeres Schicksal. Ich vermute, diese Wilden wollen ihn oben auf dem Plateau an der Felsnadel ihren Götzen opfern. Dieser Kannibale mit dem Federschmuck scheint so etwas zu sein, wie ein Hohepriester oder Medizinmann, alle werden ihm bedingungslos gehorchen. Wir haben also nur eine Chance, wenn wir den Kannibalen ihren Anführer nehmen. Vielleicht entsetzt Sie das so, daß sie die Insel wieder fluchtartig verlassen.' Das aber würde bedeuten, daß auch wir Zeit fänden, von hier zu fliehen, und zwar noch in dieser Nacht." Mister Bunk hatte das alles ganz ruhig gesagt. Trotzdem hörte ich heraus, wie erregt er war. Die ungeheuerliche Entdeckung hatte ihn genauso getroffen wie mich. Ich konnte nichts anderes tun als nicken. Wieder sah Mister Bunk mich an. �Du hast in diesem Moment entsetzliche Angst, Junge, so ist es doch?" fragte er. Wieder nickte ich.

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�Mir geht es genauso, ich habe auch Angst. Wenn irgendetwas schiefgeht, fallen die Kerle über uns her. Sie sind weit in der Überzahl, soweit ich zählen kann, über zwanzig. Zwar haben sie keine Musketen, aber sie ha Speere, Pfeil und Bogen, Messer � und sie sind an Kampf gewöhnt. Unsere Chance liegt nur in der Überraschung oder ..." Mister Bunk unterbrach sich, wieder griff er zum Spektiv und blickte in die Bucht hinab, in der bereits Feuer loderten. Die Sonne verschwand in diesem Moment als glutroter Ball im Meer, und über den Himmel zuckten feurige Pfeile. Es gibt noch eine andere Möglichkeit, vielleicht, Howard", sagte Mister Bunk plötzlich. Und dann erklärte er mir seinen Plan. �Sie haben bei Hawkins keine Wachen aufgestellt. Ich werde versuchen, ihn zu befreien, ohne daß sie es bemerken. Wenn wir ihn erst frei haben, dann besteht nicht mehr die Gefahr, daß sie ihn doch noch töten können." Wahrscheinlich habe ich meinen Freund Mister Bunk aus vor Schreck weit aufgerissenen Augen angestarrt. �Nein, nein", sagte ich und klammerte mich an ihn �das dürfen Sie nicht tun, wenn Ihnen etwas passiert, wenn ..." �Junge", sagte er nur und strich mir übers Haar, �ich werde vorsichtig sein, und damit Hawkins mich in seiner Angst nicht verraten kann, werde ich ihn bewußtlos machen, denn diesem Burschen traue ich zu, daß er zu schreien beginnt, sobald er nur eine Berührung spürt, und sei es das Messer, das seine Fesseln durchtrennt. Aber ich muß es tun, und du wirst hier auf mich warte mit der geladenen Muskete im Anschlag. Du gibst mir Feuerschutz, falls etwas passieren sollte. Du sorgst dafür, daß die Wilden mir nicht den Rückweg abschneiden können. Wir werden jetzt beide Musketen überprüfe zwei Schüsse werden genügen, um sie so gründlich zu erschrecken, daß sie von mir ablassen." Er hob mein Kinn leicht an. �Aber wenn es wirklich notwendig werden sollte, Howard, dann müssen deine Kugeln auch treffen. Wir wollen unsere Haut so teuer verkaufen, wie möglich!" Ohne ein weiteres Wort begann Mister Bunk mit seinen Vorbereitungen. Er steckte sein Messer in den Gürtel, holte aus dem Segeltuchsack eine Pistole und lud sie sorgfältig. Dann kontrollierte er die beiden Muskete und gab mir eine, die andere lehnte er schußfertig gegen die Felsen.

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�Ich verlasse mich auf dich, Howard!" sagte er, da verschwand er im Dunkel zwischen den Felsen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Das alles erschien mir wie ein Alptraum, aber gleichzeitig wußte ich, da es rauhe, harte Wirklichkeit war. Ein schauriger Gesang drang zu mir herauf, und ich stürzte an die Felsenbrüstung. Unten, unter mir auf dem Strand der Bucht, tanzten die Wilden unter schrecklichen Verrenkungen um die Feuer.

* Was anschließend kam, waren sicherlich die schrecklichsten Stunden in meinem jungen Leben. Vielleicht waren es sogar die schlimmsten Stunden meines Lebens. Mister Bunk war in den Felsen verschwunden, unter mir tanzten die Wilden, flackerten die Feuer, und ich war allein. Meine Hände krampften sich um die Muskete, die zweite lehnte geladen und feuerbereit neben mir. Ich hatte noch nie auf einen Menschen geschossen, ich hatte überhaupt noch nie mit einer Muskete geschossen. Und meine Angst war daher doppelt groß: Sollte es nötig werden, daß ich Mr. Bunk Feuerschutz geben mußte, wie sollte ich mit der Muskete treffen? Zwar hatte Mister Bunk mir einmal an Bord der �Black Devil" den Gebrauch einer solchen Waffe erklärt, aber das hieß ja noch lange nicht, daß ich auch wirklich mit ihr umzugehen verstand. Zum anderen ist es so eine Sache, auf einen Menschen zu schießen, selbst wenn er ein Kannibale ist. Mein Leben hatte sich für meine vierzehn Jahre eben viel zu schnell verändert. Ich war kaum imstande, die ständigen Veränderungen auch innerlich zu verarbeiten. So stand ich zwischen den Felsen und wartete. Ein geringer Trost war für mich, daß ich von meinem Standort aus alles sehen konnte, was unten in der Bucht geschah. Aber je weiter die Zeit fortschritt, je länger sich Daniel Hawkins noch an der Palme befand, so festgeschnürt, daß er sich unmöglich befreien konnte, desto unruhiger wurde ich. Schweiß perlte mir über die Stirn, und die Kannibalen tanzten noch immer um ihre Feuer. Wieder drängte sich mir die Frage auf, wie Hawkins in diese schlimme Lage geraten sein konnte. Und wieso er ein Boot der �Black Devil" gehabt? Er mußte also heimlich mit dem Boot geflohen sein, das traute ich ihm ohne weiteres zu. Hawkins war genau der Typ, der jeden im

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Stich ließ und der jeden verriet, wenn er nur die eigene Haut rettete. Aber wie, zum Donner, hatte er es angestellt, ein Boot mitten im Kampfgetümmel abzufieren und dann auch noch ungesehen zu verschwinden? Er mußte Helfershelfer gehabt haben. Und wenn ja � wo waren sie? Fragen, auf die ich keine Antwort fand, und die eigentlich auch immer wieder nur im Unterbewußtsein auftauchten, denn meine Sinne waren voll auf das Geschehen in der Bucht konzentriert. Der Tanz der Wilden steigerte sich. Einer von ihnen schlug inzwischen den Takt auf einem trommelartigen Instrument, zwei andere lösten sich jetzt aus dem Kreis der Tanzenden und gingen zu den bereits getöteten Gefangenen hinüber. Ich schloß sekundenlang die Augen. Ich wollte das Grauenhafte, was jetzt unweigerlich geschehen würde, nicht mit ansehen. Aber nur für Sekunden, denn dann schoß mir siedendheiß durch den Kopf, daß Mister Bunk sich auf mich verlassen mußte, ganz gleich, was passierte. Ich öffnete die Augen also schleunigst wieder und warf einen Blick zu Hawkins hinüber � und da war mir, als sei sein Kopf soeben nach vorne gesunken. Ich blickte genauer hin, es stimmte! Hawkins befand sich zwar immer noch an dem Stamm der Palme, aber sein Körper schien mir irgendwie zusammengesunken zu sein. War er ohnmächtig geworden, oder hatte Mister Bunk � Mir fiel ein, was Mister Bunk zu mir gesagt hatte: ... ich werde Hawkins bewußtlos machen... Schon wollte ich aufatmen, da löste sich aus der Gruppe der Tanzenden jener Kannibale, den Mister Bunk als vermutlichen Medizinmann bezeichnet hatte. Er trat erst zu den Toten, die immer noch auf dem Strand lagen, an denen sich aber zwei der Wilden zu schaffen machten, ohne daß ich genau sehen konnte, Was sie dort taten. Eine Weile schien der Medizinmann den beiden Anweisungen zu geben, denn sie sprangen plötzlich auf und rannten irgendwohin, ich konnte wegen der herrschenden Dunkelheit nicht verfolgen, wohin. Der Feuerschein reichte gerade noch bis zu der Palme, an der Hawkins in seinen Stricken hing. Das andere Licht spendete der Mond, der sich in dieser Nacht langsam am Himmel emporschob und nunmehr auch von meinem Standpunkt aus gut zu sehen war. Flüchtig registrierte ich, daß wir Vollmond hatten.

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Vollmond � hing dieses Fest der Wilden damit zusammen? Feierten sie es immer bei Vollmond? Ich hatte keine Zeit mehr, mir meine Frage zu beantworten, denn der Medizinmann erhob sich jetzt und ging dann schnellen Schrittes zu jener Palme hinüber, an der Hawkins hing. Aber erst, nachdem er einen langen Blick auf den Vollmond geworfen und sich dabei verneigt hatte. Hawkins! Er war fort! Aber er konnte gerade erst verschwunden sein, denn noch vor wenigen Sekunden hatte ich ihn ganz deutlich an der Palme gesehen! Der Medizinmann stutzte. Dann hob er seine schwere Keule und stürzte zu der Palme hinüber. Dabei stieß er laute Rufe aus, in einer Sprache, die mir die fremdeste war, die ich je gehört hatte. Sie bestand aus einer Art von Kehllauten, die aber die anderen sofort mitten im Tanz innehalten ließen. Die Kannibalen stießen ein wildes Geheul aus und rannten über den Strand der Bucht. Dabei schwangen sie ihre Speere. An der Palme geschah in diesem Moment etwas, was ich nicht ganz deutlich zu erkennen vermochte. Der Medizinmann prallte auf einen Gegner, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er stutzte zwar einen winzigen Moment, aber dann stieß er abermals einen überlauten Schrei aus und schwang seine Keule hoch, holte zum tödlichen Schlag aus. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Irgendetwas blitzte im Mondlicht auf, und wieder schrie der Kannibale. Es war ein Schrei, der mir durch Mark und Bein ging. Ein Schrei, wie ich ihn während des Kampfes auf der �Black Devil" nur zu oft gehört hatte � der Todesschrei eines Menschen. Der Medizinmann stürzte zu Boden, aber in diese Moment waren auch die schnellsten der anderen Kannibalen heran. Sie brachen in lautes Wutgeheul aus, als sie ihren Anführer am Boden liegen sahen, zwei von ihnen schleuderten ihre Speere, und wieder hallte de Schrei eines Menschen durch die Nacht. Mister Bunk � mein Gott, sie hatten Mister Bunk, sie hatten meinen Freund getroffen, bestimmt wälzte er sich in dieser Sekunde schon in seinem Blut! Ich dachte an gar nichts mehr, sondern ich riß die Muskete hoch, richtete sie auf die heranstürmenden Kannibalen und drückte ab. Der Donner meines Schusses dröhnte durch die Nacht, einer der Kannibalen warf die Arme hoch, fiel, die anderen standen wie erstarrt.

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Aber auch unten am Strand blitzte es auf � und wieder stürzte einer der Kannibalen getroffen zu Boden. Ich zögerte nicht, ich riß die zweite Muskete hoch, legte sie auf die Brustwehr aus Fels, zielte und drückte abermals ab. Das alles ging viel schneller, als ich es zu erzählen vermag, aber dieser Schuß gab den Ausschlag � die Kannibalen brüllten, dann rannten sie den Strand wieder hinab, sogar ihre Speere ließen sie fallen. Sie stürzten zu ihren Auslegerbooten, schoben sie in fieberhafter Eile ins Meer und paddelten so schnell davon, wie ich das noch nie gesehen hatte. Ihre Körper schwangen im Takt hin und her, ihre Boote erreichten die Felsbarriere und verschwanden gleich darauf hinter dem Brandungsgürtel. Mir zitterten die Knie, ich war schweißnaß, und mein Herz schlug so wild, daß ich nach Atem rang. Eine Gestalt trat auf den Strand, hob die Arme über den Kopf und bewegte sie. �Bonty, Howard Bonty � sie sind weg. Ich habe Hawkins, aber einer der Wilden hat ihn mit dem Speer erwischt, ich muß mich um ihn kümmern. Nimm den Sack und die beiden Musketen und komm runter! Beeil dich!" Mister Bunk! Mein Freund lebte! Ich war wie von Sinnen vor Freude. Ich vergaß meine zitternden Knie, mein jagendes Herz, ich packte den schweren Segeltuchsack und die beiden Musketen und rutschte mehr als ich ging die Felsen hinunter. Unten wartete Mister Bunk bereits auf mich. Als er mich sah, lief er auf mich zu, schloß mich kurzerhand in die Arme. �Junge", sagte er �du bist ein tapferer kleiner Kerl. Ohne daß du geschossen hättest, wären Hawkins und Ich erledigt gewesen. Die Kerle waren wie von Sinnen, als sie ihren Anführer zusammenbrechen sahen ..." Er fuhr mir mit der Hand übers Haar, dann ließ er mich los und blickte sich um. Der Medizinmann war nicht mehr da, die Schwarzen mußten ihn mitgenommen haben, trotz ihrer Panik, trotz der Schüsse. Nur die anderen beiden lagen noch da, der Wilde, den ich getroffen hatte, und ein anderer, der wahrscheinlich durch den Schuß aus Mister Bunks Pistole getötet worden war. Und � weiter vorne am Strand, im Lichtschein der flackernden Feuer � natürlich die bedauernswerten Gefangenen, die der Medizinmann mit seiner Keule erschlagen hatte. Drei, wie ich jetzt erst registrierte.

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Mister Bunk fuhr herum. �Das Boot!" stieß er hervor. �Howard, unser Boot!" Aber seine Sorge war überflüssig, es lag noch auf dem Strand, die Wilden hatten keine Zeit gefunden, es auch noch. ins Wasser zu schieben, dazu hatte es zu weit auf dem Strand gelegen. �Hawkins, Mister, wie geht es Hawkins?" fragte ich in die plötzliche Stille hinein. �Er ist verletzt, aber nicht sehr schwer. Vielleicht hat er einen Schock, wir werden sehen. Er liegt dort hinten, wir kümmern uns später gründlicher um ihn. Zunächst laden wir die beiden Musketen und die Pistole, dann gehen wir zum Boot und sehen nach, ob es unbeschädigt ist. Wir müssen von dieser Insel fort, so rasch wie möglich, die Kannibalen werden zurückkehren, mit großer Übermacht.� Mister Bunk lud die drei Waffen wieder, dann folgte ich ihm hinunter zum Boot. Es war unbeschädigt, und es war auch ein Boot der �Black Devil", wenn auch nur das kleinere von beiden. Mister Bunk beugte sich in das Boot, öffnete ein Schott im Bug, faßte hinein. �Wir haben Glück, doppeltes Glück sogar, Junge! In der Vorpiek liegt noch das Segel, wir brauchen also nur einen Mast. Außerdem befinden sich zwei Riemen an Bord, wir können unverzüglich zur �Black Devil" zurückrudern. Das erspart uns eine Menge Zeit, und die Gräting brauchen wir auch nicht mehr, ebenso wenig müssen wir jetzt noch die langwierige und schwere Arbeit auf uns nehmen, ein seetüchtiges Floß zu baue Wir hätten dazu vermutlich auch gar keine Zeit mehr Komm, wir holen jetzt Hawkins, begraben die Toten, so gut es geht, und dann verschwinden wir." Und der Brandungsgürtel dort vorne?� fragte ich, und wusste eigentlich gar nicht, warum ich diese Frage ausgerechnet Mister Bunk stellte. Er sah mich auch sofort verwundert an, aber dann lächelte er. �Die Wilden haben es durch die Brandung gebracht, und was die konnten, das können wir auch, Howard. Ich wünschte, wir hätten künftig nur noch Probleme wie jenen Brandungsgürtel dort vorne!" Mein Freund lachte, und ich hörte an diesem Lachen, wie erleichtert er war. Bergeslasten mußten ihm vorn Herzen gefallen sein. Als wir zu Hawkins kamen, war er wach. Aber er stand ganz offensichtlich noch unter dem Schock des Erlebten. Jedenfalls glaubte ich das. Mister Bunk kannte ihn jedoch besser. Er baute sich vor Hawkins auf.

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�Hawkins", sagte er, �die Wilden sind fort. Das Boot liegt am Strand, wir müssen hier weg, denn die Kannibalen werden zurückkehren. Ich habe ihren Medizinmann getötet, jedenfalls glaube ich das. Sie haben ihn mitgenommen, und sie werden Rache üben wollen, sobald sie sich von ihrer Überraschung erholt haben. Los. Hawkins, steh auf, Bonty und ich werden das Boot rudern, du übernimmst das Steuer. Die ,Black Devil` liegt im Norden der Insel auf den Klippen, wir brauchen Proviant, und Wasser, wir benötigen noch einen Mast für das Segel, aber wir müssen uns beeilen. Ich weiß, was du durchgemacht haben mußt, und später werden wir von dir hören, wie du in die Hände der Kannibalen gefallen bist und wieso sich das kleine Boot der ,Black Devil` in deinem Besitz befand. Also, hoch mit dir, denn entweder reißt du dich jetzt zusammen, oder uns holt alle der Teufel, auf welche Weise, wenn wir diesen Wilden in die Hände fallen, das weißt du ja!" Hawkins ächzte, aber er stemmte sich doch hoch. Er war angeschlagen, das sah ich, und das simulierte er nicht. Aber Mister Bunks Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Er stand auf, noch ein wenig taumelig, wohl auch, weil durch die lange Fesselung die Blutzirkulation noch nicht wieder in Ordnung war. An der rechten Seite seines Körpers zeichnete sich ein Blutfleck ab, das war die Stelle, wo ihn der Speer des Wilden getroffen, gottlob aber nur seine Rippen gestreift hatte und an ihnen abgeglitten war. Keine lebensbedrohende Sache also. Daß Hawkins, vermeintlich in Sicherheit, später, ganz anders darüber dachte, das sollte speziell ich noch zu spüren kriegen. Aber jetzt trat er auf uns zu. Er streckte uns seine zitternde Rechte hin. �Ich werde euch beiden das nie vergessen", sagte e �Ich habe gesehen, wozu diese Wilden imstande sind Mister Bunk ..." Sein Blick fiel auf die Toten, die immer noch a Strand lagen und von den hellen Feuern beschiene wurden. �Um Himmels willen, beim Erbarmen Christi, was ist das?" fragte er. Mister Bunk sagte es ihm, und dann geschah etwa was ich gar nicht für möglich gehalten hätte. Hawkins erbrach sich. Er keuchte dabei vor Schmerzen und begann auf entsetzliche Weise zu zittern. �Das war dieser Medizinmann, diese Bestie!" würgte er hervor, und seine Augen quollen ihm fast dabei aus dem Schädel. �Der Kerl hatte mir auch schon das Messer an die Kehle gesetzt, aber dann muß er sich das anders überlegt haben, denn man band mich hier a diese Palme ..."

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Mister Bunk warf mir einen Blick zu, einen mahnenden Blick, und ich verstand ihn sofort. Er wollte nicht, daß ich die Felsnadel erwähnte und das, was ich auf dem Plateau entdeckt hatte. �Danke Gott, Hawkins, daß dieser Kerl sich das anders überlegt hat, ich hätte dir sonst nicht helfen können!" �Zum Boot, ich will fort von hier, ich ..." Hawkins Stimme überschlug sich, aber dann verließen ihn die Kräfte, er verstummte und taumelte zu Boden. �Howard, kümmere dich um ihn, ich will sehen, dass ich die Toten wenigstens mit etwas Sand bedecke schaffe mir Hawkins unterdessen zum Boot!" Mister Bunk ging, und ich hatte meine liebe Not mit dem einstigen Schiffskoch der �Black Devil". Er muß wirklich einen schweren Schock erlitten haben, denn er zitterte noch eine ganze Weile an allen Gliedern, starrte er sich hin und stöhnte zuweilen. Doch dann sah er mich an: �Bonty, mein Junge, hilf mir zum Boot. Wir waren doch immer gute Freunde, du wirst sehen, ich werde es euch gutmachen, daß ihr mich aus den Klauen dieser Menschenfresser befreit habt! Ihr sollt sehen, der alte Hawkins wird euch das nie vergessen, ich werde alles für euch tun, alles!" Er erhob sich und wankte, auf mich gestützt, den Strand hinunter. �Junge", keuchte er dabei, �du kannst gar nicht wissen, wie das ist, von Menschenfressern gefangen zu werden. Ich sage dir, das kann einen Menschen total verändern, das war der große Zeigefinger Gottes, über meine Sünden nachzudenken, ja, mein Junge, so was kann einem widerfahren!" Er brabbelte noch eine ganze Weile vor sich hin. Und heute, nach all den Jahren, glaube ich sogar, daß er es in diesem Moment aufrichtig und sogar ernst meinte. Nur - Hawkins hätte nicht Hawkins sein dürfen, wenn diese Gesinnung für ihn von Dauer gewesen wäre...

* Mister Bunk und ich schufteten im Schein der Feuer. Hawkins � wie nicht anders zu erwarten � mißbilligte das. Er drängelte, diese verdammte Insel doch um Christi willen endlich zu verlassen. Was wir uns denn eigentlich einfallen ließen, die Heiden auch noch zu bestatten, das dürfe man ja überhaupt keinem Menschen erzählen. Er

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rührte allerdings keinen Finger, auch dann nicht, als wir begannen, den weiter unten bereits feuchten Sand erst mit unseren Entermessern zu lockern, manchmal auch mit der Zimmermannsaxt, die sich. ebenfalls im Segeltuchsack Mister Bunks befunden hatte. Mit den bloßen Händen hoben wir schließlich die Grube aus, legten die Toten hinein und bedeckten sie anschließend mit Sand. Als Mister Bunk dann ein kurzes Gebet spreche wollte, kam es zwischen ihm und Hawkins zu einer heftigen Auseinandersetzung. �Auch noch ein Gebet für diese verdammten Heiden! schrie der Schiffskoch außer sich. �Wenn ihr diese dreimal verfluchten Bastarden in die Hände geraten wärt, dann wüßtet ihr's besser. Ich habe gesehen, was die mit ihren Gefangenen anstellen, ich weiß Bescheid, ihr hättet von diesen Schuften überhaupt keinen einzigen am Leben lassen dürfen. Vielleicht lauern sie uns auf See auf und fallen über uns her, weil wir so dämlich sind und hier unsere Zeit damit vertrödeln, diese Dreckskerlen auch noch ein christliches Begräbnis geben!" Mister Bunk trat auf Hawkins zu, er war zornig, so zornig, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. �Hawkins, diese drei bedauernswerten Farbigen hier waren Gefangene der Kannibalen wie du. Du hattest nur das Glück, daß dieser Medizinmann dich für etwas ganz anderes aufgespart hatte. Es gibt auf dieser Insel eine Felsennadel, die von einem Plateau umgeben ist. Dort opfern die Kannibalen ihren Götzen, und du warst dafür ausersehen. Wenn du jetzt auch nur noch ein einziges Wort sagst, ich schwöre es dir bei Gott dem Allmächtigen, werde ich dich auf dieser Insel zurücklassen, merk dir das, Hawkins. Eingeborene müssen keine schlechteren Menschen sein als wir, und sie sind bestimmt nicht so falsch und so hinterhältig wie du." Der Koch erbleichte. Alle Farbe wich aus seinem G sicht. �Was, mich wollen Sie hier auf dieser Insel zurücklassen? Das wagen Sie nicht, Mister Bunk, das ...� Mein Freund war noch dichter an ihn herangetreten, stand jetzt unmittelbar vor ihm. �Du kennst mich, Hawkins, und ich kenne dich. Du weißt, daß ich stets Wort halte, und ich weiß, daß du uns bei unserer Flucht noch eine Menge Schwierigkeiten bereiten wirst. Ich sehe das alles kommen. Und darum noch etwas Grundsätzliches gleich jetzt: Ich gebe die Befehle, und ich werde ihre Befolgung durchzusetzen wissen, Hawkins, verlaß dich drauf. Ich werde jetzt ein Gebet sprechen, dann brechen wir auf.

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Ob du mitsprechen willst oder nicht, das ist deine Sache, aber kein Wort und keine Schmähung mehr gegen diese bedauernswerten Männer, die dieser Medizinmann wie Vieh mit seiner Keule erschlagen hat!" Mister Bunk wandte sich ab und nickte mir zu. Wir sprachen zusammen ein Gebet, schlossen die Grube dann gänzlich und gingen zum Boot hinüber. Mit vereinten Kräften zogen und schoben wir es durch den feinen Sand bis zum Wasser, dann gingen wir an Bord. Hawkins sprach kein Wort, er nahm auf der Ruderducht Platz und ergriff die Ruderpinne. Mister Bunk und ich griffen nach den Riemen, und dann pullten wir los, die geladenen Musketen und Mister Bunks Pistole in Reichweite. Mister Bunk behielt recht, die Felsbarriere vor der Bucht stellte auch für das schwere Beiboot kein Problem dar. Sie wies eine breite Durchfahrt auf, die auch für ein weit größeres Schiff gereicht hätte. So sehr wir auch auf der Hut waren, von den Kannibalen zeigte sich keiner. Sie schienen zu ihrer Wohninsel zurückgepaddelt zu sein, und vor dem nächsten Morgen konnten sie unter keinen Umständen mit Verstärkung zurück sein. Mister Bunk drängte zur Eile. Es wurde eine solche Knochenarbeit, daß wir erst am Ende der letzten Nachthälfte bei der �Black Devil" anlangten. Wir vertäuten unser Boot so sicher, daß es auf keinen Fall abtreiben konnte, dann enterten wir an Deck. Mister Bunk trieb Hawkins und mich weiter zur Eile an. Hawkins begann zwar zu jammern, er klagte über Schmerzen, aber ein Blick Mister Bunks ließ ihn verstummen. Wir mannten ein Wasserfaß an Bord, wollten uns auch noch reichlicher mit dem lebenswichtigen Naß versorgen, als ich eine schlimme Entdeckung machte: Nur in einem der Fässer befand sich noch trinkbares Wasser, alle anderen, so unversehrt sie auch aussahen, enthielten nur noch eine faulige, stinkige Brühe. Mister Bunk stand vor den Fässern, untersuchte jedes einzelne selbst. Dann sah er mich an. �Das ist eine böse Sache, Howard. Wir können nicht mehr zu jener Quelle auf der Insel, ich traue mich nicht, das Verlassen der ,Black Devil' noch weiter hinauszuzögern. Das faulige Wasser nützt uns nichts. Wenn wir es trinken, werden wir alle krank oder sterben sogar

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daran. Mit anderen Worten, Junge: Wir müssen uns mit dem einen Faß begnügen, wir müssen auf unser Glück vertrauen." Mister Bunk klopfte mir auf die Schulter, dann stieg er wieder an Deck. Wir rüsteten das Beiboot weiter für die Reise aus, frische Früchte, Datteln, Bananen, Feigen und wilde Tomaten besaßen wir noch in genügender Menge. Mister Bunk verstaute sie sehr sorgfältig und auch sicher vor eventuell eindringendem Seewasser. Das sollte unsere Rettung werden, wie sich schon sehr bald zeigte. Dann schafften wir einen genügenden Vorrat an Schiffszwieback und Pökelfleisch an Bord unseres Bootes, auch gut gesichert gegen Seewasser mit einigen Lagen wasserdichter Persenning. Als letztes schaffte Mister Bunk den Mast für das in der Vorpiek verstaute Segel unseres Bootes herbei. Er hatte gewußt, wo er ihn n der �Black Devil" finden konnte, sofern er überhaupt noch existierte. Gemeinsam setzten wir den Mast ein, versahen ihn mit dem notwendigen stehenden und laufenden Gut, und dann klarten wir das Segel auf. Pulver für unsere beiden Musketen hatten wir noch, ebenfalls einen kleinen Vorrat an Kugeln. Schlechter sah es bei der Pistole Mister Bunks aus, für sie waren nur noch ein paar Ladungen vorhanden, soweit es die Kugeln betraf. Als alles fertig war, enterte Mister Bunk nochmals an Bord. Inzwischen war die Sonne längst wieder aufgegangen. Hawkins, der offensichtlich unter Fieber litt, starrte meinem Freund böse hinterher. �Was will er denn jetzt noch, verdammt?" fragte er. �Wir hätten schon bei Nacht absegeln müssen, jetzt haben die Menschenfresser keine Mühe, uns auf See aufzuspüren. Ich hätte mich mit diesem ganzen Quatsch nicht aufgehalten, sondern mich um meine eigene Haut gekümmert. Da mußt du mir doch recht geben, Bonty!" Er sah mich fordernd an, aber ich blieb ihm nichts schuldig. �Mister Bunk weiß immer was er tut, das ist so, solange ich ihn kenne. Wenn er etwas für notwendig hält, dann hat er wohlüberlegte Gründe dafür, Hawkins ..." Der Schiffskoch wurde fast grün im Gesicht vor Wut. Er ballte seine Hände zu Fäusten. �Du verdammter Grünschnabel, du willst einem erwachsenen Mann widersprechen? Ich sollte dir links und rechts ein paar hinter die Ohren hauen, du Lümmel! Ha, solange du Mister Bunk kennst, hat er also

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immer das Richtige getan. Und wie lange ist das denn, he! Gerade einmal in die christliche Seefahrt hereingerochen, und schon nimmt er seine verdammte Schnauze so voll, daß es eine Art hat!" Er lachte meckernd, aber es war ein böses, ein gemeines Lachen. �Du hast es bei mir an Bord viel zu gut gehabt. Du hättest mal einen anderen Koch kennenlernen sollen, dann wüßtest du Bescheid. Aber natürlich, halte du nur zu deinem Mister Bunk, aber beklage dich nicht, wenn ich dir dann nicht helfen werde, wenn du den alte Hawkins brauchst. Und das kann sehr rasch der Fall sein. Nein, keinen Finger werde ich für dich rühren, du vorlauter Bengel!" Er wandte sich ab und musterte argwöhnisch die See. Auch ich spürte Zorn in mir aufsteigen. Ja, das war der. Hawkins, den ich kannte. Und ich beglückwünschte mich im stillen, daß der böse Zufall es nicht so gewollt hatte, daß ich vielleicht ihn an Bord der �Black Devil" getroffen hatte, anstelle von Mister Bunk. Es wäre die Hölle für mich geworden! Hawkins und ich warteten. Mister Bunk brauchte viel länger als ich gedacht hatte. Dabei wußte ich nicht einmal, warum er sich noch an Bord der �Black Devil" aufhielt. Hawkins wurde ungeduldig. Immer wieder blickte er auf die See hinaus, und er ahnte so wenig wie ich, daß das die genau verkehrte Seite war. Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, da erschien Mister Bunk plötzlich an Deck. Seine Züge wirkten verzerrt, etwas, was ich nur ganz selten bei ihm beobacht habe. Er rannte auf uns zu, ließ sich am herabhängend Tampen fast ins Boot fallen und bremste seinen St erst im allerletzten Augenblick. �Ablegen, Bonty, Leinen los!" schrie er und kapp, bereits den Tampen am Bug des Bootes. Hawkins stierte ihn an, aber ich verlor keine Zeit. Wenn Mister Bunk sich so verhielt, dann war Gefahr im Verzug, dann hatte er schwerwiegende Gründe. Ich riß mein Entermesser hervor und hieb den Tampen mit zwei kräftigen Schlägen durch. Mister Bunk stieß den Bug des Bootes von der Bordwand ab, dann ließ er sich auf die Ducht fallen und griff nach den Riemen. Mit kraftvollen Schlägen brachte er unser Boot sehr rasch in Bewegung, wir gewannen das offene Wasser. Hawkins schien ebenfalls begriffen zu haben, um was es ging. Er hatte die Ruderpinne gepackt und steuerte das Boot genau dorthin, wo Wind unser Segel füllte. Im nächsten Moment wußte ich den Grund für Mister Bunks Hektik. Ich erblickte die dunkelhäutigen Körper der Kannibalen auf der anderen

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Seite des Riffs. Dort, von wo aus ich zur �Black Devil" herübergeschwommen war. Und die Kannibalen bemerkten uns auch, als wir hinter der �Black Devil", die uns gegen Sicht bis dahin gedeckt hatte, hervorschossen. Ein wütendes Geheul begrüßte uns. Es war, als hätte die Hölle tausend schwarze Teufel ausgespuckt und auf uns losgelassen. Speere flogen, dann warfen sich die ersten ins Wasser, schwammen zu �Black Devil" hinüber. Andere folgten, wieder andere rannten über die Felsen und schwangen unter infernalischem Gebrüll ihre Waffen. Irgendwo im Hintergrund erblickte ich die Felsnadel, und auch auf dem sie umgebenden Plateau wimmelte es von Kannibalen. Irgendwann in den frühen Morgenstunden mußten sie im Süden der Insel gelandet sein, denn ich sah weit und breit keines ihrer Auslegerboote. Hawkins kreischte vor Entsetzen, als er die vielen Kannibalen sah, aber er ließ das Ruder nicht fahren, sondern hielt eisern den Kurs, den Mister Bunk ihm angab. Wir sprachen kein Wort, aber mir fiel auf, das Mister Bunk angestrengt immer wieder zur �Black Devil" hinüberschaute, wo gerade die ersten der Kannibalen aufenterten. Dann passierte es. Eine Stichflamme schoß aus dem Heck der �Black Devil" empor, genau dort, wo ich die Pulverkammer wußte. Der Donner einer gewaltigen Explosion rollte über die See. Das durch den Brand sowieso schon teilweise zerstörte Heck der �Black Devil platzte auseinander, Trümmer wirbelten durch d' Luft. Die Kannibalen stimmten ein wahres Höllenkonzert an. Diejenigen, die die Explosion am Leben ließ, sprangen über Bord. Ihre Gefährten, die sich noch zwischen der Insel und dem vorgelagerten Riff befanden, drehten hastig um und schwammen zur Insel zurück. Und über allem das entsetzliche Wutgeheul der Menschenfresse Die �Black Devil" rutschte von der Klippe, auf die, die See geworfen hatte. Wahrscheinlich war ihr Rumpf durch die gewaltige Explosion zerrissen worden. Der Bug sackte weg, und diesmal halfen ihm auch die leeren Fässer nur noch eine kurze Weile. Was übrigblieb, waren ein paar Trümmer des einst so stolzen Schiffes auf den Felsen. Hawkins, Mister Bunk und ich starrten zur Insel über. Mister Bunk brach als erster das Schweigen, während Hawkins mit einem Brechreiz kämpfte. �Das war verdammt knapp. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, daß die Kannibalen schon wieder auf der Insel gelandet waren. Sie müssen

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das Wrack vom Plateau der Felsnadel aus entdeckt und sich herangeschlichen haben. Ich entdeckte sie durch ein Leck im Heck der ,Black Devil� genau in dem Moment, als ich die Lunte der drei letzten Pulverfässer gezündet hatte. Ich wollte einfach nicht, daß diese Menschenfresser auf unserer ,Black Devil' ihr Unwesen treiben konnten, wenn sie sie fanden!" Mister Bunk wischte sich den Schweiß von der Stirn, und diesmal zitterten sogar seine sonst so ruhigen Hände. Der Wind füllte das Segel mehr und mehr. Unser Boot glitt schnell durch die Wogen der langen Dünung. Aber der Wind hatte gedreht. Das half uns zwar für den Moment, aber gut war das trotzdem nicht, das sollten wir schon bald erfahren.

* Die Kannibalen verfolgten uns nicht. Und wenn sie es dennoch versucht haben � sie fanden uns nicht. Unser Boot lief gute Fahrt, und sogar Hawkins, der sich jedenfalls zunächst in Sicherheit glaubte, war aufgeräumt und guter Dinge. Ich habe diesen Mann und seinen Charakter nie ganz begriffen. Er war hinterhältig und verschlagen, er war ebenso feige wie verlogen, aber seine Stimmung wechselte von einer Stunde zur anderen. Und wenn er sich in guter Stimmung befand, so, wie an diesem Tag nach unserer geglückten Flucht, dann konnte er sogar sehr nett und freundlich sein. Mit keinem Wort erwähnten wir unseren Streit. Schon deshalb nicht, weil uns der Entschluß Mister Bunks, das Wrack der �Black Devil" zu sprengen, praktisch das Leben gerettet hatte. Denn die Kannibalen hätten uns überrascht. Immerhin waren wir so leichtsinnig gewesen, an Deck keine Wache zu postieren. Der Gerechtigkeit halber muß ich aber zugeben, daß wir an Bord des Bootes jede Hand brauchten. Wir wollten fort, und zwar schnell. Gegen Mittag, als die Sonne auf unser Boot herniederbrannte und die Insel der Kannibalen längst hinter der Kimm verschwunden war, bat Hawkins um Wasser. Er fieberte leicht, was sicherlich von seiner Wunde über den Rippen herrührte. Mister Bunk ging zum Wasserfaß, das sich im Bug unseres Bootes befand. Gut geschützt gegen die Sonnenstrahlen durch eine Persenning, fest vertäut und zusätzlich nochmals verkeilt, falls wir in einen Sturm geritten sollten. Wasser war das wichtigste an Bord

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unseres Bootes, das wußten wir alle. Hungern kann ein Mensch viel länger als dursten. Und Durst verträgt er ganz und gar nicht, wenn er rings von Wasser umgeben ist, das ihn tötet, wenn er es trinkt, weil es salzig ist. Ich wußte, daß auf diese Weise schon viele Seeleute den Tod gefunden hatten. Mister Bunk drehte den Zapfhahn auf, in einen Lederbecher ließ er Wasser laufen, dann reichte er ihn Hawkins. Der Schiffskoch trank gierig. �Mehr, ich habe Fieber, ich brauche mehr Wasser!� jammerte er sofort. Mister Bunk schüttelte den Kopf. �Tut mir leid, Hawkins, du weißt so gut wie ich, daß ich dir nicht mehr Wasser geben kann. Schon dieser Becher war zuviel. Wir haben ein kleines Faß mit Trinkwasser an Bord, weil alles andere, was sich noch unter Deck der ,Black Devil' befand, faulig war. Niemand weiß, wie lange dieses Faß reichen muß, daher wird das Wasser streng rationiert." Hawkins' gute Laune verflog. Er wollte etwas sagen, aber ein Blick in die Augen Mister Bunks ließ ihn verstummen. �Schlaf' ein wenig, Hawkins", bot Mister Bunk ihm an. �Ich übernehme jetzt das Ruder, mit allem anderen bin ich fertig." Das stimmte, Mister Bunk hatte bisher immer irgendwo im Boot etwas gearbeitet. Mal an der Takelage, dann hatte er unsere Ladung gesichert, die Früchte, den Proviant, die Pulvervorräte und die Waffen. Hawkins nickte mürrisch, dann verzog er sich in den Bug und verkroch sich vor den sengenden Sonnenstrahlen unter einer Persenning. Er schlief fast bis zum Abend. Ich konnte mir vorstellen, daß Hawkins total erschöpft war, und mir ging es im Grunde genommen nicht viel besser. Der Abend kam, die Sonne versank in der See. Aber der Himmel war blutrot, und in Horizontnähe ballten sich Wolken zusammen. Mister Bunk beobachtete den Himmel aufmerksam. schließlich holte er ein paar Taue. Sobald es aufbrist, lascht sich jeder fest. Wir kriegen Sturm, und ich glaube sogar, es wird ein schlimmes Wetter. Gott schütze uns!" Die Abenddämmerung verglühte, und schon glaubte ich, daß Mister Bunk sich diesmal getäuscht hatte, denn der Wind schlief gänzlich ein. Mister Bunk teilte Wasser, ein paar von den Früchten, etwas Schiffszwieback und etwas Pökelfleisch aus. Dann verstaute er unsere Vorräte wieder sorgfältig.

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Noch immer herrschte auf der See fast Windstille. Die Dämmerung wich der Nacht. Auch Hawkins saß auf seiner Ducht. Sein Wasser trank er diesmal in vorsichtigen, kleinen Schlucken, auch seine Mahlzeit nahm er langsam zu sich. Hawkins war weder dumm noch unerfahren, er fuhr schon lange zur See und kannte Situationen wie diese. Hin und wieder warf er einen Blick zum Himmel empor, aber noch immer rührte sich nichts. Das Segel hing schlaff am Mast, trotzdem erhob sich Mister Bunk und holte es ein. Dann, ganz plötzlich und wie aus dem Nichts, heulte die erste Bö heran. Ihr folgte eine zweite. Innerhalb einer knappen Stunde setzten die Wogen Gischtkronen auf. Erste Blitze zuckten hernieder, berstender Donner rollte über die See. Aber der Regen blieb aus, statt seiner kam der Sturm. Es wurde kohlrabenschwarz um uns. Nur die Blitze, die herniederzuckten, tauchten die aufgewühlte See in ihr gespenstisches Licht. Dicke Wolken jagten heran, ließen den aufgehenden Mond gar nicht erst sichtbar werden. Mister Bunk laschte erst mich, dann den jetzt stärker fiebernden Hawkins fest. Es wurde kühl, genau wie in jener ersten Nacht, die ich im Gewitter auf der Kannibaleninsel zubrachte. Das Boot trieb vor dem Sturm immer weiter ins offene Meer hinaus. Ich spürte, daß Mister Bunk sich irgendwo im Boot zu schaffen machte, sehen konnte ich nichts. Wie ich später erfuhr, brachte er achtern die dicken Taue aus, die wir an Bord hatten. Er ließ sie lang auslaufen, weil sie auf diese Weise als Treibanker dienten und das Boot daran hinderten, quer zu der heran rollenden See zu schlagen, was zu einem späteren Zeitpunkt dieser fürchterlichen Sturmnacht bestimmt unser Ende bedeutet hätte. Die See ging höher und höher. Wasser schwappte ins Boot, Mister Bunk und ich begannen es wieder auszuschöpfen. Hawkins hing in seinen Tauen, die ihn sicherten, und stöhnte. Manchmal glaubte ich, seine Zähne aufeinander schlagen zu hören, aber ganz bestimmt ging es ihm nicht gut, und er simulierte auch nicht. Stunde um Stunde verstrich, der Sturm nahm an Stärke zu. Er schüttelte das Boot durch, daß uns Hören und Sehen verging. Wir vollführten auf den heranrollenden Seen einen irrwitzigen Tanz, und obwohl ich seit. meiner Zeit auf der �Black Devil" nicht mehr zur Seekrankheit neigte, wurde mir nach und nach speiübel. Es ist etwas

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anderes, einen Sturm auf einem großen Schiff abzuwettern oder ihn in einer solchen Nußschale von Beiboot über sich ergehen zu lassen. Ich erbrach mich jedoch nicht. Irgendwie ging ich immer wieder dagegen an, denn ich sagte mir, daß mein Körper, um bei Kräften zu bleiben, auch Nahrung benötigte. Mister Bunk hatte das Ruder übernommen, sofern überhaupt noch etwas zu steuern gab. Wir torkelt durch die heranrollenden Seen, das Boot nahm im wieder Wasser, und immer mußten Mister Bunk ich es ausösen. Hawkins lag vorne im Bug. Er rührte sich nicht, unternahm nichts, was unserer Rettung hätte dienlich sein können. Wir ließen ihn, weil wir glaubten daß es ihm schlecht ginge. Ich hatte Mister Bunk nach seiner Wunde gefragt, ob sie ihm wirklich arge Schmerzen bereiten könne. Eine Weile hatte Mister Bunk zu meiner Frage geschwiegen, aber dann, nach einem langen Blick dorthin, wo Hawkins lag, geantwortet: �Ehrlich gestanden, Howard, ich weiß es nicht. Hawkins Wunde war nicht sehr tief, aber es könnte durchaus sein, daß sie sich entzündet hat. Ich werde sie mir auf jeden Fall ansehen, sobald der Sturm nachläßt. Bei Speerwunden weiß man das nie, die Kerle benutzen ihre Speere zu allem möglichen, unter anderem auch zur Jagd. Nun, wir werden sehen." Damit schien das Thema zunächst erledigt, denn Mister Bunk ging nur einmal nach vorn in den Bug und hob die Plane an, unter der Hawkins unmittelbar vor dem Wasserfaß lag, festgelascht an der Ducht im Bug, so daß der einstige Schiffskoch der �Black Devil" nicht über Bord gehen konnte. Es wäre Mister Bunk völlig unmöglich gewesen, bei diesem Sturm irgendetwas zu Hawkins Rettung zu unternehmen. Die Nacht wollte und wollte nicht vorübergehen. Ich war klatschnaß, hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib, und mich fror entsetzlich. Aber der Sturm ließ nicht nach, er nahm ganz im Gegenteil noch zu. Die Brecher rollten heran, ihr Gischt hüllte uns ein. Die Wolkendecke war stellenweise aufgerissen, und hin und wieder fiel das fahle Licht des Mondes auf die See. Manchmal sah der Kamm einer Woge aus wie flüssiges Silber, Gischt wehte in feinen Schleiern zu uns herüber, bevor die Woge unser Boot erfaßte und auf ihren Kamm steigen ließ, um uns gleich darauf ins nächste Wellental zu schleudern. Sogar das Atmen wurde schwer, und der salzige Gischt, den wir nicht nur ständig einatmeten, der unsere Augen zum Brennen brachte, er

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bewirkte auch, dass uns im Laufe der Stunden ein immer stärker werdender Durst plagte. Mister Bunk forderte mich auf, mich ein wenig hinzulegen und auch zu versuchen zu schlafen, aber ich lehnte ab. Ich wollte meinen Freund nicht allein lassen in dieser Sturmnacht, in diesem Inferno aus Wasser, heulenden Böen und Gischt. Zeitweilig bezog sich der Himmel wieder, dann wurde die Nacht pechrabenschwarz. Bei einer solchen Gelegenheit winkte Mister Bunk mich zu sich, ehe der Mond hinter den Wolken aufs neue verschwand. �Howard, wenn jetzt mal wieder eine größere Wolkenlücke herankommt, dann gehst du nach vorne. Jeder von uns soll gegen den Durst zwei der wilden Tomate essen, das ist besser als gar nichts. An Ausschenken von Wasser ist bei den Bewegungen, die unser Boot voll führt, überhaupt nicht zu denken, wir würden nur kostbares Wasser vergeuden. Ich sichere dich an einer Leine, also keine Angst, Junge, dir kann nichts passieren." Ich nickte nur, und dann warteten wir. Wir mußten uns eine ganze Weile gedulden. Ich saß dicht neben Mister Bunk, dort fühlte ich mich am geborgensten. Mir kam damals überhaupt nicht zum Bewußtsein, daß in dieser Nacht sogar Mister Bunk weder für mich noch für Hawkins etwas hätte tun können, wenn uns ein Brecher an Steuerbord oder an Backbord erwischt hätte. Nach einer halben Stunde etwa war es soweit. Der Mond tauchte hinter einer großen Wolkenlücke auf und gab den Blick auf die heranrollenden Wasserberge frei. Ich arbeitete mich in einem Augenblick nach vorn, in dem unser Boot verhältnismäßig ruhig im Wasser lag. Im Bug, unter der Persenning, verhältnismäßig gut geschützt, lag Hawkins. Er schlief nicht, sondern machte auf mich sogar einen verhältnismäßig wachen Eindruck. Ich glaube auch nicht, daß er zu dieser Stunde noch vom Fieber geplagt wurde. Als ich ihn bat, etwas Platz zu machen, damit ich die Vorräte in der Vorpiek könne, begann er zu schimpfen. �In meinem Leib brennt das Fieber", jammerte er anschließend. �Siehst du dämlicher Lümmel das eigentlich nicht? Ich muß mich davor hüten, ganz und gar naß zu werden, das wäre mein sicherer Tod, aber dir ist das natürlich ganz egal." Mir wurde das ewige Gejammer dieses Mannes einfach zu bunt.

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�Sie sind bestimmt nicht viel trockener als wir, Hawkins! Bemerken Sie eigentlich gar nicht, daß unser Boot ständig Wasser nimmt, daß es um Ihren Körper herumschwappt und Ihre Kleider naß werden läßt, auch wenn Sie die Persenning über sich ziehen? Ich habe aber nicht bemerkt, daß Sie uns auch nur ein einziges Mal beim Ausösen des Wassers geholfen hätten � im Gegenteil, Sie liegen da herum und behindern mich, den Auftrag Mister Bunks auszuführen, für jeden von. uns zwei der wilden Tomaten gegen den Durst zu holen!" Einem Moment lang starrte Hawkins mich ungläubig an, aber dann fuhr er hoch, packte mich und schrie mich an. �Was unterstehst du verdammter Rotzlöffel dich eigentlich? Du wagst es, mir, einem erfahrenen Mann, sowas zu sagen? Da, da hast du was für deine Frechheiten!" Er versetzte mir zwei kräftige Ohrfeigen, und ich hatte Mühe, mein jäh aufsteigendes Verlangen, diesem Kerl meine Faust ins Gesicht zu schlagen, niederzukämpfen. �He, was ist da vorne los?" hörte ich Mister Bunk brüllen, und er hatte Mühe, den Sturm zu übertönen. �Wollt ihr wohl gleich auseinander, ihr verflixten Kampfhähne? Howard, du holst jetzt auf der Stelle die Tomaten, und beeil' dich, der Mond wird gleich wieder hinter dichten Wolken verschwinden, dann siehst du nichts mehr!" Das Boot vollführte eine wilde Bewegung. Mister Hawkins schlug schwer gegen das Wasserfaß in seinem Rücken. Ich erinnere mich noch genau, daß es einen hohlen, unheimlichen Laut gab, den ich trotz des Sturms, trotz des Zischens und Rauschens der gischtsprühenden Brecher noch hörte. Aber ich achtete in diesem Moment nicht sonderlich darauf, denn auch ich hatte Mühe, mich irgendwo anzuklammern und auf den Beinen zu bleiben. Ein Schwall kalten Seewassers traf Hawkins und mich, es rauschte über den Boden Bootes, gleichzeitig verdunkelte sich der Mond, tauchte noch einmal auf und verschwand wieder. Trotzdem, ich weiß das heute noch ganz genau, bemühte ich mich, das Schott zur Vorpiek zu öffnen, deren Boden gegenüber dem eigentlichen Boden des Bootes deutlich erhöht war, weshalb die dort gelagerten Vorräte auch noch verhältnismäßig trocken zu sein schienen. Jedenfalls muß ich eine ganze Weile in der Vorpiek herumhantiert haben, dann aber hatte ich die Tomaten gefunden und � wie von Mister Bunk angeordnet � sechs von ihnen hervorgeholt. Sorgsam

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verstaute ich alles wieder und verschloß die Vorpiek mit größter Sorgfalt Dann reichte ich Hawkins, der mich die ganze Zeit über scharf beobachtet haben mußte, seine beiden Tomaten. Als der Mond einmal durch die Wolken brach, sah ich, daß so etwas wie ein hämisches Lachen seine Züge verzerrte. Aber auch darauf achtete ich zunächst noch nicht. Wieder vollführte das Boot ein paar wilde Bewegungen, und wieder nahm es Wasser über. Ich stützte mich am gut gesicherten und verkeilten Wasserfaß ab, so wie ich es auch die ganze Zeit über getan hatte, als ich am Schott der Vorpiek arbeitete. Als das Boot wieder etwas ruhiger im Wasser lag, balancierte ich an der Leine, die Mister Bunk gleichzeitig Hand über Hand einholte, nach achtern. Hawkins bedachte ich mit keinem weiteren Blick. Ich reichte Mister Bunk seine beiden Tomaten. �Iß erstmal, Junge, aber ganz langsam, hörst du?" sagte er. �Und dann erzählst du mir mal, was es vorhin dort vorne mit Hawkins gegeben hat, ich will es wissen." Ich gehorchte. Mit ganz kleinen Bissen, die ich sorgsam kaute, verspeiste ich die Tomaten. Und ich muß sagen, sie wirkten wirklich belebend und erfrischend auf mich. Dann, als ich den letzten Bissen heruntergeschluckt und mir die Lippen geleckt hatte, sah Mister Bunk mich auffordernd an, während der Mond die See um uns herum wieder in sein gleißendes Silberlicht tauchte. Ich erzählte, was vorgefallen war. �Er hat mich geschlagen, Mister", sagte ich zum Schluß. �Völlig grundlos, genau wie auch schon damals immer auf der ,Black Devil'!" Tränen der Wut rannen mir über die Wangen, denn erst jetzt, im nachhinein, kam mir die ganze Schmach dieser Behandlung zum Bewußtsein. �Hawkins soll sich in acht nehmen, Mister. Ich lasse mir das nicht mehr länger gefallen, ich schlage beim nächstenmal zurück. Ich bin nicht mehr der dumme, ängstliche Junge, mit dem er auf der ,Black Devil` alles machen konnte!" Mister Bunk sah mich mit einem eigentümlichen Blick an, aber mir kam es so vor, als stünde in seinen Augenwinkeln ein kleines Lächeln. Trotzdem wies er mich zurecht. �Hier an Bord wird nicht geschlagen, Howard. Von mir nicht, von dir nicht und auch von keinem anderen. Ich werde das auch Hawkins morgen nachdrücklich klarmachen. Es ist nie gut, seine Beherrschung

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zu verlieren. Es kann passieren, Howard, aber auch dann ist es nicht gut." Mein Freund schwieg eine Weile. �Ich weiß, woran du jetzt denkst, Junge", sagte er. �Daran, daß ich Hawkins an Bord der ,Black Devil' auch einmal geschlagen habe. Da habe ich die Beherrschung verloren, auch wenn es nicht so ausgesehen haben mag. Aber richtig war das nicht. Es ist gut, wenn beginnst, dich zu wehren, dich zu behaupten, das mußt du früher oder später sowieso. Aber was ich meine, ist: Unter meinem Kommando will und kann ich in diesem kleinen Boot keine Schlägerei dulden, sie würde alle gefährden. Und darüber hinaus glaube ich auch nicht, daß Gewalt überhaupt gut sein kann. Sie ist nicht immer zu umgehen, du hast es auf der Kannibaleninsel erfahren. Da hieß es, wir oder sie. Aber ich hoffe immer noch, daß eines Tages die Vernunft in der Welt siegen wird, Howard, daß die Menschen einen Weg finden werden, in Frieden miteinander zu leben." Mister Bunk schwieg. Ich weiß nicht, ob ich ihn damals wirklich verstanden habe, ich war sicherlich auch, noch viel zu jung. Aber heute, da ich all dies nieder schreibe, ahne ich, unter welchem Zwiespalt Miste Bunk wahrscheinlich sein ganzes Leben lang gelitten hat. Er verabscheute Gewalt in jeder Form, und doch mußte er sie � auf Befehl oder auch aus Notwehr, Kampf um sein eigenes Leben � immer wieder üben. Wir sprachen in dieser Nacht nicht mehr viel. Hawkins hatte sich wieder unter seiner Persenning verkrochen. Ich verbrachte den größten Teil der zweiten Nachthälfte damit, das immer wieder ins Boot e dringende Wasser auszuschöpfen. Erst gegen Morgen ließ der Sturm etwas nach: Als der erste Silberstreif der beginnenden Morgendämmerung sich im Osten abzeichnete, ging die See zwar noch hoch, aber der Sturm schlief ein. So rasch wie er ausgebrochen war. Ich atmete auf, und ich sah Mister Bunk an, wie erschöpft er war. Aber es sollte für uns noch lange keine Ruhe geben, denn wir standen kurz vor einer Entdeckung, wie sie schlimmer nicht hätte sein können. Und mir sollte es an diesem Morgen widerfahren, daß ich trotz aller Ermahnungen Mister Bunks meine Balance völlig verlor.

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Der Himmel war immer noch wolkenverhangen, trotzdem wurde es rasch hell. Es ließ sich absehen, daß die Wolken binnen kurzem verschwinden würden, schon zeigten sich zwischen ihnen große Lücken, durch die das Blau des Himmels sichtbar wurde. Die See hatte sich � verglichen mit den Brechern der Nacht � merklich beruhigt. Zwar gingen die Wogen immer noch hoch, aber unser Boot senkte und hob sich auf ihren Rücken, ohne daß ernstliche Gefahrensituationen aufkamen. Hawkins war unter seiner Persenning hervorgekrochen. Er schob sie endgültig zur Seite und wollte sie einfach so liegenlassen; aber Mister Bunk rief ihn zur Ordnung. �Falte die Persenning gefälligst ordentlich zusammen, Hawkins", sagte er, �und lege die nasse Unterseite zum Trocknen nach oben. Es kann sehr leicht sein, daß wir noch jedes Stück Persenning, das sich an Bord unseres Bootes befindet, dringend benötigen." Hawkins warf ihm einen unwilligen Blick zu, dann brabbelte er irgendetwas vor sich hin. Schmerzen schien er nicht mehr zu haben, denn er bewegte sich ziemlich ungehindert. Mister Bunk und ich setzten inzwischen wieder das Segel unseres Bootes. Dabei blickte mein Freund prüfend in die Richtung, wo die Sonne sich hinter den Wolken verbarg. �Howard, dort hinten irgendwo müßte sich das Festland befinden, aber ich weiß nicht wo. Ich weiß nicht einmal, zu welcher Gruppe von Inseln jene gehörte, auf der wir gestrandet sind. Der Wind weht immer noch aus Ost, er treibt uns also weiter ins offene Meer hinaus, jedenfalls befürchte ich das. Es wäre ein völlig vergebliches Unterfangen für uns, zu versuchen, mit diesem Boot bei dem herrschenden Seegang gegen den Wind ankreuzen zu wollen. Wir können zur Zeit nur nach West laufen, vielleicht auch noch nach Süd, aber dann kriegen wir die See von Backbord." Ich verstand sofort, was Mister Bunk uns damit sage wollte. Unsere Lage war alles andere als rosig. Wir hatten nur sehr begrenzte Vorräte an Wasser und Nahrung an Bord, wenn sich das Wetter besserte, oder wenn der Wind gar einschlief, dann würde die Sonne mit ihr sengenden Strahlen auf uns herniederbrennen. Ich sagte nichts. Was hätte ich auch sagen solle Stattdessen klarierte ich ein paar Leinen, und Mistet Bunk begann, die achtern ausgebrachten dicken Taue die er wahrscheinlich eigens zu diesem Zweck mitgenommen hatte, Hand über Hand einzuholen. Ich half ihm

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dabei. Wir schossen die Taue sauber auf und brachten sie in den Bug des Bootes, während Hawkins unterdessen das Ruder übernahm. Als Mister Bunk sich wieder aufrichtete, fiel sein Blick aufs Wasserfaß. �Ich glaube, wir sollten uns nach der überstandenen Sturmnacht jetzt etwas Wasser gönnen. Meine Kehle wie ausgetrocknet!" Er lachte, und ich nickte. Mister Bunk öffnete die Vorpiek und entnahm ihr den Lederbecher. Dann bückte er sich zum Wasserfaß nieder und wollte den Zapfhahn öffnen. Und in diesem Moment stutzte er. Er kniete sich hin, probierte eine Weile, und dann drehte er sich um und sah mich an. Er war totenblaß und daran erkannte ich, daß er eine schlimme Entdeckung gemacht haben mußte. �Howard", sagte er, und er bemühte sich dabei, sei Stimme ihren gewohnten ruhigen Klang zu verleihen, �der Hahn war offen, das Faß ist möglicherweise ausgelaufen." Ich erschrak zutiefst. �Ausgelaufen, Sir?" Und vor Schreck vergaß ich in diesem Moment sogar, indem ich meinen Freund mit �Sir" anredete, daß er mir noch an Bord der �Black Devil" erlaubt hatte, statt �Sir" einfach �Mister" zu ihm zu sagen. Statt einer Antwort erhob sich Mister Bunk." �Die Axt, Junge, gib mir die Axt!" sagte er. �Ich werde die Keile losschlagen, und du löst die Taue. Dann werden wir rasch sehen, wieviel Wasser sich noch im Faß befindet." Hawkins, der an der Ruderpinne saß, was das alles natürlich nicht entgangen. Er richtete seinen dürren, ausgemergelten Körper auf. �He, was soll das heißen, das Wasserfaß ist ausgelaufen." Deutlich sah ich seine schwarzen Zahnstummel, als er sprach. Sein spitzes Rattengesicht schien sich noch mehr zusammengezogen zu haben als sonst. Seine Augen hatten einen lauernden, irgendwie schielenden Ausdruck. Er starrte Mister Bunk an. �Ich will eine Antwort, verdammt nochmal!" keifte �Oder glaubt ihr, ich bin so blöd, daß ich nicht weiß, was es bedeuten würde, wenn das Faß wirklich ausgelaufen wäre?" Mister Bunk drehte sich zu ihm herum. �Wir werden nachsehen", antwortete er. �Dann wissen es!" Hawkins sprang auf.

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�Der verdammte Rotzlöffel Bonty soll das Ruder to nehmen. Ich will selber sehen, was da für eine Schweinerei passiert ist ..." �Du bleibst am Ruder, Hawkins", versetzte Mister Bunk, und unüberhörbar schwang Ärger in seiner Stimme mit. �Und gewöhne dir gefälligst ab, von dem Jungen in diesem Ton zu sprechen. Nimm zur Kenntnis, daß er unter meinem persönlichen Schutz steht, du solltest das eigentlich schon von der ,Black Devil' her wissen." Er wandte sich wieder um und gab mir ein Zeichen die Taue zu lösen. Dann schlug er mit der Axt die Keile heraus, hob das Wasserfaß an. Und diesmal sah ich, wie er zusammenzuckte. �Leer, bis auf ein paar Tropfen leer, Howard", stieß hervor. �Verdammt, wie konnte das passieren?" Hawkins war abermals aufgesprungen. Er ließ, die Ruderpinne fahren und balancierte mit einer Behändigkeit, die ich diesem Mann niemals zugetraut hätte, zu uns nach vorne in den Bug. Er packte das Faß, hob es ebenfalls an, und sein Gesicht wurde grün. �Leer!" kreischte er. �Kein Tropfen mehr da, jetzt sind wir geliefert! Wir werden jämmerlich verrecken, und das ist allein deine Schuld, du verfluchter Bastard!" Er packte mich an meinem Segeltuchhemd und zog mich mit einer Kraft, die ich ihm ebenfalls niemals zu getraut hätte, zu sich heran. Sein stinkender, faulig: riechender Atem schlug mir ins Gesicht. �Lassen Sie mich los, Hawkins!" sagte ich und weh mich gegen seinen Griff mit aller Kraft. Mister Bunk war, als Hawkins das Ruder einfach fahren ließ, sofort nach achtern geeilt. Er wußte, wie gefährlich es für uns alle werden konnte, falls das Boot querschlug, und es hatte bereits damit begonnen, aus dem Ruder zu laufen. �Hawkins, laß den Jungen los ..." Der Koch packte nur noch fester zu. �Loslassen? Diesen Bengel?" schrie er außer sich vor Wut. �Ich werfe dieses Miststück über Bord, er hat den verdammten Zapfhahn nicht zugedreht, er hat uns durch seine Schlamperei alle auf dem Gewissen. He, wissen Sie denn überhaupt, wie das ist, wenn man Durst halb wahnsinnig anfängt, Salzwasser zu saufen? ich habe das schon mal erlebt, ich sage Ihnen, das ist die Hölle ..." Mir riß die Geduld, mit einem gewaltigen Ruck befreite ich mich aus seinem Griff.

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�Wagen Sie ja nicht, noch einmal zu behaupten, daß ich den Zapfhahn nicht zugedreht habe, Mister Hawkins. Ich habe keinen einzigen Becher Wasser gezapft, aber Sie haben die ganze Nacht über vorne im Boot unmittelbar bei dem Wasserfaß gelegen. Ich will es nicht behaupten, aber ich traue Ihnen ohne weiteres zu, daß Sie sich heimlich Wasser gezapft und dann den Hahn nicht wieder zugedreht haben ..." Hawkins stieß einen Wutschrei aus. Dann drang er mit beiden Fäusten auf mich ein. �Was, du verfluchter Lümmel wagst es, mir das zu sagen? Ha, jetzt weiß ich, daß du es warst! Oder hast du etwa nicht in der Nacht lange neben dem Faß gekniet, angeblich, um Tomaten aus der Vorpiek zu holen? Du hast den Hahn heimlich aufgedreht, um mir eins auszuwischen!" Das war zuviel, das war so ungeheuerlich, daß ich nur noch rot sah. Es war wie eine blutrote Welle, wie ein roter Nebel von Haß und Wut, der plötzlich mein Bewußtsein überflutete. Ich hörte noch den Zuruf Mister Bunks. �Halt, auseinander ..." Aber er kam zu spät. Ich schlug zu. Und ich legte alle Kraft in diesen Schlag. Ein schwächlicher Junge war ich noch nie gewesen, das hatte allein schon die harte Arbeit in der Seilerei meines Vaters mit sich gebracht. Hawkins war so überrascht, daß er es nicht mehr schaffte, meiner Faust auszuweichen. Er mußte den Schlag voll nehmen und flog der Länge nach ins Boot. Krachend schlug er zwischen die Duchten, dann lag er still und rührte sich nicht mehr. Ich ließ die Arme sinken. Erst in diesem Moment ebbte die blutrote Welle in mir ab, und ich begriff, was ich getan hatte. �Howard, ans Ruder, ich werde mich um. Hawkins kümmern!" rief Mister Bunk, und er bedachte mich mit einem Blick, wie er es noch nie getan hatte. Ich balancierte nach hinten. �Mister, ich wollte es nicht, aber der Kerl hat mich � seine Lüge, ich hätte ..." �Ich habe alles gehört, Junge", sagte Mister Bunk �Los, ans Ruder mit dir, über alles andere unterhalten wir uns nachher. Ich habe gewußt, daß dieser Hawkins nur Scherereien machen würde!"

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Er stieg über die Ducht zu Hawkins hinüber drehte ihn um. Der Koch kam eben wieder zu sich, Blut lief über sein Gesicht. Wahrscheinlich hatte er es s beim Sturz aufgeschlagen. Einen Augenblick lang stierte er um sich, aber d begann er plötzlich laut zu jammern. �Er hat mich geschlagen! Mister! Mich, Daniel Hawkins, hat so ein lausiger, hinterhältiger Taugenichts von einem Schiffsjungen zu Boden geschlagen!" Unerwartet schnell sprang er auf. Sein Gesicht, zerrte sich vor Wut, und er riß sein Entermesse aus dem Gürtel. �Ich werde es dir besorgen, du Mistkerl, ich ..." Mister Bunk hatte zugepackt, er bog Hawkins die Arme auf den Rücken, und der Koch ließ vor Sch und Schreck das Entermesser fallen. Es klirrte z den. �Schluß jetzt, Hawkins, und das gilt auch für dich Howard!" sagte Mister Bunk streng. �Unsere Lage ist schlimm genug, es hilft uns gar nichts, wenn wir obendrein auch noch gegenseitig umbringen. Aber eines sage ich jetzt und hier, Hawkins: Der Junge hat den Zapfhahn nicht geöffnet, und schon gar nicht, um jemanden damit eins auszuwischen. Daß er dich zu Boden geschlagen hat, hast du dir selber zuzuschreiben, auch wenn ich das Verhalten Bontys nicht billige." �Was, wollen Sie damit vielleicht sagen, daß ich den Hahn auf ..." Hawkins' Stimme überschlug sich fast, aber Mister Bunk hielt ihn eisern fest. �Ich will damit nichts anderes sagen, als daß Bonty es bestimmt nicht getan hat. Ich kenne den Jungen, und ich kenne dich, Hawkins. Und falls du dich unterstehen solltest, Bonty noch einmal anzufassen, kriegst du's mit mir zu tun. Was das heißt, solltest du noch von der �Black Devil' her wissen." Er ließ Hawkins los, der vor Wut ganz grün im Gesicht war. Er warf mir einen tückischen Blick zu, drehte sich dann aber zu Mister Bunk herum. �Halten Sie nur zu diesem Bastard, Mister", sagte er haßerfüllt. �Ich fahre schon lange zur See und kenne solche Typen wie ihn. Sie werden schon noch sehen, was das für einer ist, falls wir die nächsten Tage überleben!� Damit wandte er sich ab und setzte sich in den Bug. Mister Bunk und mir drehte er den Rücken zu, und so blieb er für die nächsten Stunden sitzen.

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Was soll ich über die Tage, die dann kamen und gingen, berichten? Die Sonne brannte auf uns herab, der Wind blies auch weiterhin aus Ost. Damit wir nicht weiter und weiter auf See hinausgetrieben wurden, steuerte Mister Bunk, so gut es ging, Südkurs. Der Durst wurde sehr rasch quälend, und unser Vorrat an Tomaten schmolz zusehends zusammen. Hawkins sprach weder mit mir noch mit Mister Bunk ein Wort. Hin und wieder brach er in wüste Beschimpfungen und in lautes Gejammer aus, das dann darin gipfelte, daß ihn besser die Kannibalen hätten erschlagen sollen, dann hätte er es wenigstens endlich alles hinter sich. Was mich anbetrifft, so bin ich heute noch davon überzeugt, daß Hawkins sich im Verlauf der Sturmnacht heimlich Wasser gezapft und dann vergessen hatte, den Zapfhahn wieder zu schließen. Das auslaufende Wasser konnte dabei weder von ihm noch von uns bemerkt werden, denn während des Sturms nahm unser Boot soviel Wasser über, daß es bei jedem Roller und bei jeder unter uns hindurch laufenden Woge auf dem Schiffsboden hin und her schwappte. Bewiesen ist das nie worden, aber ich weiß, daß auch Mister Bunk die Sache so sah. Die Tage verstrichen in quälender Langsamkeit, und je größer der Durst wurde, je härter er uns peinigte, desto unerträglicher wurde für uns alle der Anblick der grünblauen, sauberen See um uns herum. Um mich abzulenken, erzählte Mister Bunk mir an einem diese Tage seine Geschichte, wie es ihm gelungen war, wieder an Bord der �Black Devil" zu gelangen. Ich will sie hier in aller Kürze wiedergeben, weil sie ein Licht auf diesen Mann wirft, der noch heute mein engster und bester Freund ist, und den mir auch ganz bestimmt nie irgendjemand wird ersetzen können. Die Piraten hatten die �Black Devil" besetzt. Sie waren so sehr in der Übermacht, daß es schon an ein Wunder grenzte, daß die Mannschaft des Viermasters überhaupt so lange hatte Widerstand leisten können. Als sich der kleine Rest von insgesamt acht Mann, darunter auch Mister Bunk, schließlich ergaben, um weiteres Gemetzel zu vermeiden, sortierten die Piraten die Starke und halbwegs Gesunden sofort aus, das waren fünf. D anderen drei, alle erheblich verletzt, töteten sie sofort an Deck der �Black Devil", ohne jedes Erbarmen. Mit seinen vier Leidensgefährten wurde Mister Bunk an Bord des Piratenschiffes verschleppt, dann legte die Piraten-Galeone sofort ab.

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Und soweit ihre Takelage durch das Feuer der �Black Devil" unversehrt blieben war, wurden auch alle verfügbaren Segel der gesetzt. Mister Bunk und seine Gefährten mußten sich zu diesem Zeitpunkt, streng bewacht von den Piraten, auf dem Geschützdeck aufhalten. Dabei sah Mister Bunk auch, daß das Piratenschiff erhebliche Schäden erlitten hatte. Kurz darauf begann das Verhör. Die Piraten � überwiegend wüste Gesellen arabischer Herkunft � fackelten nicht lange. Wer ihre Fragen nicht zur Zufriedenheit zu beantworten wußte, sie hatten einen Mann an Bord, der der englischen Sprache einigermaßen mächtig war, starb sofort. Mister Bunk hat mir nie erzählt, auf welche Weise. Heute, da ich die Grausamkeit jener arabischen Piraten kenne, kann ich mir vorstellen, welche grauenhaften Szenen sich an Bord der Piraten-Galeone abgespielt haben müssen. Mister Bunk wußte, daß die Reihe auch an ihn kommen würde. Er war fest entschlossen, sich lieber von den Haien fressen zu lassen als den Piraten zu ihrem blutigen Vergnügen zu dienen. Denn daß sie sowieso keinen der Gefangenen am Leben lassen würden, das war Mister Bunk längst klar geworden. Sie versuchten soviel wie möglich über die Ostindien Company zu erfahren, über ihre Schiffe, über die Routen, die sie befuhren, über die Ladungen. In einem Moment, als die Aufmerksamkeit der Piraten dadurch abgelenkt wurde, daß eines der ebenfalls zum Teil erheblich beschädigten Segel des Fockmastes aus dem Liek knallte und wild zu schlagen begann, sprang Mister Bunk über Bord. Wildes Wutgeheul der Piraten begleitete seinen Sprung, Musketenschüsse knatterten hinter ihm her, aber Mister Bunk war längst weggetaucht. Er wußte, daß die Piraten versuchen würden, ihn wieder einzufangen, er hatte sich daher seinen Plan schon vorher zurechtgelegt. Mister Bunk gehört zu den besten Schwimmern, die ich kenne. Es gelang ihm, das Ruderblatt des noch langsam segelnden Piratenschiffes zu erwischen. Er hielt sich eisern daran fest, zog sich langsam an die Wasseroberfläche empor, um dort Luft zu schöpfen. Mister Bunk wußte, daß man ihn hinten am Ruderer von Bord des Piratenschiffes nicht entdecken konnte, außerdem rechnete er damit, daß man ihn dort auch am wenigstens suchen würde. Stattdessen würden die Pf raten die umliegende See beobachten, weil sie ja

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wußten, daß er einmal wieder auftauchen mußte, wenn e nicht ertrunken war oder wenn ihn nicht einer der Haie sofort erwischt hatte. Die Piraten warteten vergebens, denn Mister Bunk blieb wo er war, bis sie die Suche aufgaben und sich wieder anderen Dingen zuwendeten. Mister Bunk ließ das Ruder fahren und tauchte sofort weg: Er schwamm auf die �Black Devil" zu, die er an der Kimm gerade noch erkennen konnte. Anfang tauchte er immer wieder, kam nur an die Oberfläche, um Luft zu schöpfen. Später, als die Piraten-Galeone schon weiter entfernt war, schwamm er zügiger. Wie durch ein Wunder erreichte er die �Black Devil" nach mehreren Stunden, ohne daß er von einem der in diesen Gewässern sehr zahlreichen Haie angefallen worden wäre. Er enterte an Bord, aber er war so erschöpft, daß er auf der Stelle in einen tiefen Schlaf verfiel. Ich muß mich zu dieser Zeit schon weit vom Schiff entfernt auf meiner Gräting befunden haben, die von einer Strömung auf die Kannibaleninsel zugetrieben wurde. Ich weiß, daß Mister Bunk mir damals einiges verschwiegen hat, und er tat es bestimmt nur deshalb, um mich nicht unnötig zu beunruhigen. Und ich deute mir heute auch seine besorgten Blicke, die er immer wieder über die See gleiten ließ, anders als damals. Damals glaubte ich, daß er lediglich nach einem Segler Ausschau hielte, der allein unsere Rettung sein konnte, nachdem wir nicht einmal mehr Wasser besaßen. Heute weiß ich, daß er ganz sicher ebenso von Sorge erfüllt gewesen sein muß, daß uns eines der Piratenschiffe, die sicher vor dieser Küste zahlreich waren, aufspüren könnte. Hawkins hörte sich die Geschichte ebenfalls an, aber er sagte kein Wort. Mister Bunk fragte ihn schließlich, wie er denn zu dem Beiboot der �Black Devil" gekommen sei. Hawkins warf ihm einen tückischen Blick zu, dann erklärte er unwillig: Das Boot habe der Kapitän klarmachen lassen, um mit seinem Passagier � ich erinnerte mich deutlich an diesen Mann � heimlich die �Black Devil" zu verlassen. Er, Hawkins, habe den Auftrag bekommen, das Boot mit Wasser, Proviant, Segel und anderen Dingen auszurüsten. Dabei habe es sich losgerissen, und er habe keine Möglichkeit mehr gefunden, an Bord der �Black Devil" zurückzukehren. Außerdem habe er sich sofort auf den Boden des Bootes gelegt, um nicht von den Piraten erwischt zu werden. Er habe sich unter dem Segel, das sich bereits an Bord des Bootes befunden hätte,

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verkrochen. Schließlich sei ihm absolut klar gewesen, was der ganzen Besatzung der �Black Devil" von seiten der Piraten im Falle einer Niederlage drohe. Und so verrückt sei er nun wirklich nicht, sich freiwillig von dieser Brut massakrieren zu lassen... Es kann sein, daß die Geschichte des Kochs stimmt. Ich vermute aber, daß er mit dem Boot vorsätzlich die Flucht ergriffen hat, um seine Haut zu retten. Aber das sagte ich ihm nicht, denn unser Verhältnis war nachgerade gespannt genug. Fünf Tage trieben wir durch die See, bei glühender Hitze, zuletzt vor Durst halb wahnsinnig. Längst hatte Mister Bunk alle Waffen, die sich an Bord unseres Bootes befanden, eingesammelt und unter Verschluß genommen. Er traute Hawkins nicht, er wußte aber auch, daß in so einer Situation jeder durchdrehen konnte. Zum Beispiel, wenn er unvorsichtig und wahnwitzig genug sein sollte, die Beherrschung zu verlieren und Salzwasser zu trinken. Und so dämmerte der Morgen des sechsten Tages herauf.

* Hawkins lag apathisch am Bug. Sein dürrer Körper schien völlig ausgetrocknet zu sein, seine Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in den Höhlen. So zornig ich auf diesen Mann auch gewesen war, so wenig ich ihn mochte, er war ein Bild des Jammers, und er tat mir leid. Hawkins hatte seit Tagen kaum noch ein Wort gesprochen. Seine Stimme klang heiser, und in Gegensatz zu der Zeit auf der �Black Devil", wo er voller Schlechtigkeiten und Gemeinheiten gesteckt hatte, wirkte er jetzt nur noch wie ein Mann, der auf den Tod wartet und auch zum Sterben kaum noch die Kraft hat. Mister Bunk hatte sich ebenfalls verändert. Bartstoppeln bedeckten � genau wie bei Hawkins � seine Wangen. Auch seine Augen lagen tief in den Höhlen � aber apathisch war er noch nicht. Er versuchte immer wieder, uns ein wenig aufzumuntern, was bei mir w auch verdammt nötig war. Der Durst setzte uns höllisch zu. Und rings um uns her versprühte grünblaues Wasser seine Gischt, Wasser, das in Hülle und Fülle da war, das uns aber unsere Pein nicht erleichtern konnte, im Gegenteil! Der Wind blies immer noch stetig aus Ost, eine sei ne Sache für diese Gegend, meinte Mister Bunk. Da Segel leuchtete in der Sonne, es

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spendete ein wenig Schatten, aber nicht viel. Wenn die Sonne im Zenit stand, dann konnten wir es im Boot kaum noch aushalten, und da half auch die frische Brise nicht viel, die immerhin etwas Kühlung brachte. An diesem Morgen gab Mister Bunk die letzten Datteln aus. Bananen und Tomaten waren alle, Pökelfleisch brachten wir schon lange nicht mehr runter. Meine Mundhöhle war trocken und pelzig, die Zunge geschwollen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich diesen Tag, diese lange Zeit, in der die Sonne auf uns niederbrannte, überstehen sollte. Der Sonnenball erschien über dem Horizont, er vertrieb rasch den Dunst und ein paar Wolkenschleier, die sich an der Kimm ausgebreitet hatten. Hawkins verweigerte jede Nahrung, und auch ich quälte mir die Datteln nur herunter, weil Mister Bunk darauf bestand. Ich wußte, daß nach diesen süßen Früchten der Durst nur noch schlimmer werden würde. Wie sehnsüchtig dachte ich in diesen Tagen an jenes Gewitter, das mich schon am ersten Abend auf der Kannibaleninsel mit wolkenbruchartigem Regen überschüttet hatte! Aber nichts dergleichen geschah. Am frühen Vormittag, noch brannte die Sonne nicht wo erbarmungslos auf uns herab, ging plötzlich ein Ruck durch Mister Bunk. Ich hatte vor mich hingedöst, unklare Erinnerungsbilder meiner Kindheit waren vor mir abgerollt, in denen meine Mom immer wieder die Hauptrolle spielte. Der Ruck, der durch Mister Bunks Körper ging, riß mich aus meinen Träumen. Und das, was er im nächsten Augenblick zu mir sagte, riß mich hoch. �Howard, Junge, ein Schiff! Dort achtern, es segelt uns auf!" Ich wandte mich um und starrte über die See. Richtig, Ich sah es auch, kein Zweifel, dort zeichneten sich deutlich Segel und Masten eines großen Schiffes ab! �Hawkins, wach auf ! Ein Segler hält auf uns zu, wir sind gerettet!" rief Mister Bunk dem Koch zu. Aber Hawkins schien bereits zu sehr entkräftet. Er antwortete nicht einmal. �Junge, übernimm mal das Ruder, aber laß mir den Segler nicht aus den Augen, ich werde mich um Hawkins kümmern." Er ging nach vorne und rüttelte den Koch wach. Nur mit Mühe gelang es Mister Bunk, Hawkins wieder sich zu bringen. �Ein Schiff?" fragte er und setzte sich ruckartig auf - also stand es wohl doch nicht so schlimm um ihn.

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Hawkins starrte nach achtern, dann sprang er plötzlich auf, taumelte ein paar mal gefährlich hin und her, so daß ich glaubte, er werde jeden Moment über Bord fallen, aber Mister Bunk hielt ihn fest. �Ja, dort, ich sehe es jetzt auch! Sie haben recht, Mister, ein großer Segler, glaube ich!" Der fremde Segler näherte sich uns ziemlich rasch, aber dann, als wir schon glaubten, er habe uns bemerkt, änderte er plötzlich den Kurs nach Backbord. Hawkins, der das sah, begann sofort zu jammern. Sein Gejammer ging in nutzloses Geschimpfe und Getobe über. �Diese Faulpelze dort drüben!" heulte er. �Diese nichtsnutzigen Bilgenratten, sind die denn mit Blindheit geschlagen? Oder interessieren sie sich gar nicht dafür, daß hier drei Menschen fast verdurstet mit dem Tode ringen? Man sollte den Fockgast auf der Stelle kielholen lassen, diese schäbige Kombüsenkakerlake!" Hawkins schwieg erschöpft, seine Stimme hatte heiser geklungen, daß ich seine Schimpfereien kaum noch verstanden hatte. Selbst in dieser Situation wunderte ich mich � wie vorher auch schon oft � darüber, wie der Mann sich auszudrücken verstand. Woher mochte Hawkins stammen, wie war er auf ein Schiff zur See geraten? Mir blieben für weitere Überlegungen keine Zeit. Denn der Segler entfernte sich nun bedrohlich schnell wieder von uns. Mister Bunk sah das, und er handelte sofort. Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat, aber plötzlich stand unser Segel lichterloh in Flammen. Hawkins kreischte auf, auch ich starrte in das Feuer, und ich erinnere mich, daß ich im ersten Augenblick dachte: Jetzt ist alles aus, jetzt ist auch mein Freund, Mister Bunk übergeschnappt... Mister Bunk hielt den tobenden Hawkins fest � und dann geschah das Wunder dieses Morgens. Der fremde Segler, der das Feuer und die Qualmwolke, die über unsrem Boot in den Himmel stieg und vom Wind nach Westen gedreht wurde, wohl gesehen hatte, änderte abermals seinen Kurs. Diesmal lief er direkt auf uns zu. Mister Bunk stand keuchend neben mir, immer noch hielt er Hawkins fest. �Ein tüchtiger Kapitän, Howard, eine erfahrene Mannschaft", sagte er. �So schnell manövriert ein Schiff dieser Größe, ich schätze es auf rund dreihundert Tons, nur, wenn die Leute, die auf ihm fahren, tüchtig und mit ihrem Schiff vertraut sind!" Mir war das natürlich gar nicht aufgefallen, ich hatte nur offenen Mundes dagestanden, ohne richtig zu begreifen.

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Aber dann packte es mich. Ich fiel Mister Bunk um den Hals, und wenn überhaupt noch genügend Flüssigkeit in meinem ausgezehrten Körper gewesen wäre, ich hätte vor Freude bestimmt geheult. �Ist ja gut Junge, ist ja gut, jetzt sind wir gerettet. Wir sollten unserem Herrgott danken, Howard." Der Segler drehte bei. Mister Bunk schob mich von sich, und auch Hawkins ließ er los. Die brennenden Fetzen unseres Segels wehte der Wind in die See. �An die Riemen, mein Junge, zeigen wir denen da drüben, daß wir auch keine schlechten Seeleute sind!" Ich nickte, sogar Hawkins spurte diesmal. Ohne von Mister Bunk extra dazu aufgefordert zu werden, übernahm er die Ruderpinne. Miste Bunk und ich legten uns in die Riemen, und schon bald schoren wir am Bug des Schiffes vorbei längsseits. �Sea Cloud� � den Namen, der am Bug in goldenen Lettern prangte, hatte ich deutlich gelesen. Das ganze Schiff machte überhaupt einen sehr ranken und schlanken Eindruck, bestimmt war es ein schneller Segler, Ein paar Männer warfen uns von Deck aus ein Tampen zu, dann stieß unser Boot auch schon gegen die Bordwand der �Sea Cloud". Zuerst bat Mister Bunk um einen Tampen für Hawkins, aber der lehnte ab und turnte zu meinem Erstaunen selbst an Deck. Ich folgte ihm, dann, als letzter, Mister Bunk.

* Das Deck der �Sea Cloud" machte einen sehr guten Ei druck. Alles war klariert, alles blitzsauber, es gab nicht die geringste Unordnung. Die Crew der �Sea Cloud" bildete einen Halbkreis um uns. Die Männer starrten uns an, aber keiner fragte was. Bis ein schmächtiger, aber drahtiger Mann auf uns zutrat und uns eine große Pütz Wasser reichte. �Na, Jungs", sagte er, �das sieht der alte Cookie sofort, daß euch die Sonne ganz schön gehörig ausgedörrt hat. Na, nun trinkt erstmal was, alles andere sehen wir dann schon." Hawkins griff nach der Pütz. Voller Gier schüttete o das Wasser in sich hinein, aber schon nach ein paar Schlucken nahm jener schmächtige Mann, der sich selber Cookie nannte und deshalb wohl der Schiffskoch war, ihm die Pütz wieder ab.

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�He, du", sagte er, und dabei sah er Hawkins vorwurfsvoll an, �also in deinem Alter sollte man schon ein wenig Bescheid wissen, was einem guttut und will nicht. Also, wenn Kerls solange gedurstet haben wie ihr, dann sollten sie hübsch vorsichtig und nur in gang kleinen Schlucken trinken, sonst bekommt's nämlich nicht. Ich kenne mich da aus!" Er reichte mir die Pütz. �Trink du, und dann er", dabei wies er auf Mister Bunk. Ich setzte die Pütz an und richtete mich auch nach den Anweisungen von Cookie. Ich glaube, dieser erste Schluck Wasser war der herrlichste in meinem Leben. Ich reichte die Pütz an Mister Bunk weiter, und Mister Bunk trank ebenfalls vorsichtig und in kleinen Schlucken. �Ja, du kennst dich aus, Fahrensmann", sagte Cookie, �und aus dem Jungen wird auch mal was, das sehe ich. Aber du, Fahrensmann, du bist schon fast von Kindesbeinen an auf einem Schiff, stimmt's? Mann, wer hätte sonst den Mut gehabt, das eigene Segel in Brand zu stecken, du erlebst so was nicht zum erstenmal!" Cookie nickte uns zu. Ich mochte diesen Mann von Anfang an, auch wenn er viel redete. Und gerade Cookie sollten Mister Bunk und ich noch viel besser kennenlernen. In den Halbkreis der Männer kam Bewegung. Ein riesiger Kerl mit einem breitflächigen Gesicht und kleinen, aber wachsam blickenden Augen trat auf uns zu. Er hatte ein starkes Kinn, breite Schultern, dabei bewegte er sich aber mit fast katzenhafter Gewandtheit. Jeder Muskel seines hünenhaften Körpers schien durchtrainiert zu sein. Und noch bevor der Mann was sagte, wußte ich, daß ich mich vor ihm hüten mußte. Ich hätte das nicht unbedingt begründen können, aber ich wußte, ich fühlte das. �He, ihr da" fuhr er die Mannschaft an, �haltet nicht Maulaffen feil, sondern bringt das Schiff wieder in den Wind. Oder glaubt ihr, wir können hier für die nächsten Wochen vor Anker gehen?" Die Männer starrten ihn an, aber dann zogen sie sich zurück. Nicht einmal zu murren wagten sie. Nur Cookie Irrste den Hünen an. "Hast wohl wieder deinen schlechten Tag, was, Mister Abott?" Und zu uns gewendet fuhr er fort: �Das ist der Bootsmann dieses Schiffes. Ihr werdet sicher noch eure helle Freude an ihm haben!" Mister Abott langte blitzartig zu. �Du auch, Cookie, wenn du nicht endlich dein gottverdammtes Schandmaul hältst. Ich habe dich gewarnt Zum letzten Mal, Cookie, noch eine solche Bemerkung, und du bist reif!"

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Er stieß den Koch zurück, daß er über das Deck taumelte. Cookies Gesicht hatte sich verändert, seine Auge glühten vor Wut. �Ich habe dich auch gewarnt, Mister Abott! Wen du nicht siehst, daß diese drei da fertig sind, weil sie lange gedurstet und vielleicht auch gehungert haben,, dann laß dir das vom Master erklären, der hat ein Auge für so was. Und wenn ich du wäre, dann würde ich die drei zum Achterdeck bringen, bevor der Master dich. erst rufen muß!" Cookie verschwand, und über das Gesicht des Bootsmannes zuckte es wie Ärger. �Los, zum Master mit euch. Er wartet nicht gern. Und ihr da, ihr seht zu, daß ihr endlich das Boot an Bord hievt, oder ich werde euch Beine machen!" brüllte er ein paar Männer an, die eben eine Talje an der Großrah klarierten. Mister Bunk, Hawkins und ich folgten dem Bootsmann zum Achterdeck, und dort sah ich zum erstenmal den Master. Master Habakuk Pratt, wie ich später erfuhr. Er stand an der Schmuckbalustrade und blickte uns an. �Aufentern!" befahl er, und neben ihm stand ein braunhäutiges Mädchen, wie ich noch keines gesehen hatte. Zierlich, schlank, aber hochgewachsen und für meinen Geschmack sehr hübsch. Sie hatte kohlschwarze Augen, pechschwarzes schulterlanges Haar und trug eine Art Haik oder Burnus von safrangelber Farbe, der von einem roten Gürtel zusammengehalten wurde. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich all dies wirklich in den ersten Minuten registrierte, die wir uns an Bord der "Sea Cloud" befanden, aber mir ist es so in Erinnerung. Daß sie Nunumi hieß, von de- Elfenbeinküste stammte und welche Rolle sie an Bord überhaupt spielte, das erfuhr ich erst später. Jedenfalls muß ich sie angestarrt haben wie ein Wunder, denn sie lächelte mir zu, daran erinnere ich mich deutlich, und ich glaube auch nicht, bestärkt durch die späteren Ereignisse, daß ich mich irrte. Master Habakuk Pratt, der Kapitän der �Sea Cloud", sah uns der Reihe nach an, als wir auf dem Achterdeck vor ihm standen. Dann wandte er sich, ohne zu zögern, an Mister Bunk. �Sie werden mir meine Fragen beantworten, Name?" �Jeremias Bunk, Decksältester der ,Black Devil', Viermast-Galeone der Ostindien Company unter dem Kommando von Kapitän Sir Josuah Potter."

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Master Pratt nickte. Er war ein großer Mann, er maß sicher an die sechs Fuß, dabei war er stämmig und untersetzt. Seine Augen hatten einen scharfen, alles durchdringenden Blick. Ich hatte gleich das Gefühl, daß er an Bord seines Schiffes ein sehr strenges Regiment führte und ganz bestimmt nichts durchgehen ließ. Mister Bunk deutete auf Hawkins, dann auf mich. �Daniel Hawkins, Schiffskoch der ,Black Devil`, Howard Bonty, Schiffsjunge." Er ließ meine Geschichte weg, absichtlich, wie er mir später erklärte, sie hätte auf einen Mann wie Master Pratt ohnehin keinen Eindruck gemacht. �Was ist mit der ,Black Devil` geschehen?" fragte Master Pratt. Mister Bunk berichtete knapp und präzise, was passiert war. �Piraten" Master Pratt stieß dieses Wort hervor, als gäbe es nichts Verächtlicheres auf der Welt. Dann ging er eine Weile auf dem Achterdeck auf und ab. Wir, Mister Abott, der Bootsmann der �Sea Cloud", Mister Bunk, Hawkins und ich standen unweit der Schmuckbalustrade und rührten uns nicht. �Sie drei sind die einzigen Überlebenden?" fragte er dann, nachdem er unmittelbar vor Mister Bunk stehengeblieben war. Mein Freund bestätigte das. �Soweit wir wissen, ja, Sir." �Gut. Verstehen Sie ein Schiff zu steuern, Mister Bunk?" fragte er dann. Zu meinem Erstaunen nickte mein Freund. �Ja, Sir, ich bin schon als Zweiter Steuermann gefahren, aber das ist eine Weile her." Ich hatte das gar nicht gewußt, und darüber geredet hatte Mister Bunk mit mir auch nie. �Sehr gut. Mein Zweiter Steuermann wurde kurz nach Verlassen Englands bei einem schweren Sturm über Bord gewaschen, bei dem Wetter war jeder Versuch, ihn zu retten, aussichtslos. Sein Schicksal teilten unser Stückmeister, Mister Moore, und unser Schiffsjunge, James Horward. Ich hatte strikte Order gegeben jeder Mann sich ausreichend zu sichern habe, diese drei haben ihren Ungehorsam sehr hart gebüßt. Sie, Mister Bunk, werden die Positionen sowohl des Zwei ten Steuermanns als auch die des Stückmeisters ausfüllen. Ich wette, Sie verstehen hervorragend, mit Kanonen umzugehen. Wir haben davon insgesamt zehn an Bord, acht Zwanzigpfünder auf dem Hauptdeck, zwei Drehbassen achtern. Mister Hawkins wird neben seemännischer Arbeit an Deck unseren Schiffskoch unterstützen.

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Unsere Besatzung zählt fünfzig Mann. Mister Bonty wird unseren Schiffsjungen ersetzen." Master Pratt schwieg einen Moment, dann winkte einen Mann heran, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Er war nicht sonderlich groß, machte aber einen sehr kompakten Eindruck und hatte sehr groß schwere Fäuste. �Das ist Mister Harper Williams, mein Erster Steuermann. Mit ihm werden Sie zu tun haben.� Abermals unterbrach er sich, schien jemand zu suchen, und dann hatte er ihn entdeckt, als er gerade den Niedergang zum Achterdeck aufenterte. Mit ein paar Schritten war der Mann heran. Er hatte kühle, abschätzende graue Augen, war von schlanker, drahtiger Figur, hatte eine von Wind, Sonne und Meer gebräunte, lederartige Haut. Auffallend war seine schlichte, aber äußerst und bis ins letzte Detail korrekte Kleidung. �Das ist Mister Rodney, mein Erster Offizier. Sie Werden einander kennenlernen. Die ,Sea Cloud` fährt m Auftrag der �African Company of Merchant Adventurers`, jeder Mann an Bord erhält eine anständige Heuer, ausreichende Verpflegung und hat nichts auszustehen, sofern er seine Pflicht erfüllt. Auf meinem Schiff herrscht Ordnung, und zwar bis ins letzte Detail. Irgendwelche Schlampereien dulde ich nicht, sie werden hart bestraft. Das wäre alles." Er wandte sich an Mister Abott. �Bootsmann, bringen Sie die drei zur Kombüse. Sie sollen ausreichend verpflegt werden, das soll Cookie persönlich übernehmen. Ich wünsche, daß alle drei morgen früh wieder bei Kräften sind. Vor Dienstbeginn tragen sich alle drei in die Musterrolle ein, auch in dieser Beziehung herrscht bei mir Ordnung. Mister Rodney, Sie veranlassen morgen früh alles Nötige. Wegtreten!" Master Pratt nahm seine Wanderung an Deck wieder auf, wir schienen für ihn nicht mehr zu existieren. Der Bootsmann scheuchte uns aufs Deck hinunter. Im Abentern fing ich noch einen Blick des dunkelhäutigen Mädchens auf. Zwar schlug sie sofort ihre Augen nieder, als ich sie ansah, aber ich hatte das Gefühl und wurde es auch die folgenden Stunden nicht wieder los, daß uns ihr Interesse auf ganz besondere Weise galt. Mister Abott überstellte uns Cookie, der sich sofort um unser leibliches Wohl zu kümmern begann. Und zwar auf eine Art, wie ich das noch nie

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erlebt hatte. Dann verschwanden wir unter Deck. Und noch während wir den Niedergang hinabstiegen, fiel mir plötzlich auf, daß Cookie sich ganz im Gegensatz zu vorher während er uns versorgte, außerordentlich schweigsam verhalten hatte. Vielleicht lag das aber auch daran, daß Mister Abott sich ständig in unserer Nähe aufhielt. Wir erreichten das Zwischendeck, und plötzlich blieb Mister Bunk wie angenagelt stehen. Seine Züge schienen zu versteinern, das erkannte ich im Licht der Schiffslaterne, die Cookie hielt. Und dann sah ich auch den Grund, denn immerhin war ich in einer Hafenstadt aufgewachsen. Wir befanden uns auf einem Sklavenfänger.

* Mister Bunk stand eine ganze Weile in dem nur spärlich durch die Schiffslaterne erleuchteten Raum. E sah genau wie ich die Pritschen, die Ketten, die Hals-, Hand- und Fußeisen, die man schon zum Anschließen, der Sklaven vorbereitet hatte. �African Company of Merchant Adventurers", wiederholte Mister Bunk die Worte des Kapitäns. Dann sah er mich an. �Ich habe von dieser Company schon mal gehört, Howard, das fällt mir jetzt wieder ein. Sie befaßt sich ausschließlich mit Sklavenhandel, verfügt über gute und schnelle Schiffe und zahlt auch gute Heuer.� Er verstummte, aber Hawkins brach das Schweigen. �Na und", sagte er. �Sklaven oder etwas anderes. Ladung ist schließlich Ladung, und jeder Reeder, jede Schiffseigner und jeder Kapitän will seinen Gewinn. Ich heuer an, das steht fest. Es ist ein gutes Schiff, und mir ist, wie gesagt, die Ladung völlig schnuppe. Gute Heuer, gutes Essen, ein gutes Schiff, basta." Hawkins fuhr sich mit den Händen über den Leib, er hatte sich beim Essen an Deck ganz hübsch voll gestopft, und getrunken hatte er gegen den Rat von Cookie für drei. Cookie sah ihn eine ganze Weile an, aber er sagte nichts. �Und Sie, Mister Bunk, was werden Sie tun?" fragte er nach einer Weile, und erst viel später erfuhr ich, daß er diese Frage weder ohne Grund noch ohne Absicht geteilt hatte. Mister Bunks Züge wirkten hart und verschlossen. �Ich werde mich nicht in die Musterrolle eintragen, Cookie. Ich fahre nicht auf einem Sklavenfänger, das verstößt gegen meine Auffassung vom Leben. Ich war Allezeit ein ehrlicher Fahrensmann, ich will nicht

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am Leid anderer und an ihrem Unglück verdienen. Ich habe Master Pratt gesehen, ich weiß auch, welche Sorte von Mann er ist. Ein harter, guter Seemann, der Schiff und Leuten das Letzte abverlangt. Aber auch ein Mann, der absoluten Gehorsam fordert. Wer ihm den verweigert, muß mit den entsprechenden Konsequenzen rechnen." Cookie sah Mister Bunk, meinen Freund, den ich in diesem Moment noch tiefer ins Herz schloß, nur an. �Sie sind ein mutiger Mann, Mister Bunk. Ich wünschte, es gäbe viele von Ihrer Sorte. Aber Sie werden hier an Bord dieses Schiffes Ihren Mut auch brauchen, wenn Sie Ihrem Standpunkt treu bleiben. Und du, Bonty, wirst dich, wie ich dich sehe, Mister Bunk anschließen. Aber denke diese Nacht darüber nach, es wird hart für dich, Junge, Master Pratt versteht in solchen Dingen keinen Spaß, und Mister Abott erst recht nicht!� Cookie wandte sich ab und brachte uns in eigentliche Logis. Die Kojen des Zweiten Steuermanns, des Stückmeisters und des Schiffsjungen waren frei. Sie uns zugewiesen. Hawkins verzog sich sofort, aber vor mir blieb er noch mal stehen. �Mir kann es ja egal sein, was dein Mister Bunk für Torheiten begeht. Er ändert die Welt und die Mensch nicht. Aber es würde mich freuen, wenn du Hundesohn genau so dämlich wärst wie er, damit es dir hier an Bord so richtig dreckig geht. Denn der Schlag ist nicht vergessen, Howard Bonty, den zahle ich dir noch heim!� Hawkins lachte meckernd, dann kroch er in seine Koje. Mister Bunk starrte ihm nach. Er hatte sich nicht eingemischt, und jetzt sah er mich an. �Was wirst du tun, Howard?" fragte er. �Du mußt dich selbst entscheiden. Ich würde dir nicht übel nehmen, wenn du dich in die Musterrolle einträgst, denn hast noch nie ein Sklavenschiff gesehen, du weißt nicht was für Teufel in Menschengestalt diese Sklavenfänger sind. Du mußt nur eines wissen: Wer eine Musterrolle unterschreibt, der geht einen Vertrag ein, den er nie mehr brechen darf, gleich, ob es ihm gefällt oder nicht Ich werde dieses Schiff bei der ersten sich bietende Gelegenheit wieder verlassen, ich will nicht auf ein Sklavenfänger fahren. Das werde ich morgen früh auch Master Pratt erklären, und ich kann nur hoffen, daß er ein Mann ist, der solche Gründe, die mit dem Gewiss eines Mannes zu tun haben, zu respektieren weiß. Vor Gott, Howard, sind alle Menschen gleich, so steht in der Heiligen Schrift, und daran halte ich mich."

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Mister Bunk war erregt, so erregt, wie ich ihn nur selten gesehen hatte. �Ich habe in Bristol schon mal mit Leuten gesprochen, die auf Sklavenfängern gefahren waren", sagte ich. �Es war sehr schlimm, was sie erzählten, aber habe ihnen nie recht geglaubt. Stimmt es, daß man ganze Dörfer überfällt, daß man die Alten und die Kinder umbringt und nur die mitnimmt, die jung, stark und kräftig sind?" Mister Bunk legte mir die Hände schwer auf die Schultern. �Ja, es stimmt, Howard. Genauso geschieht es immer wieder, und genauso wird es geschehen, wenn die Männer dieses Schiffes auf Fang ausgehen. Sie wissen schon, welches Dorf sie überfallen werden. Ich habe mir vorhin das Zwischendeck, die Pritschen, die Halseisen, die Fußeisen und die Ketten ziemlich genau angesehen. Die ,Sea Cloud` wird ungefähr zweihundert Sklaven an Bord nehmen. Sie wird für jeden einzelnen dieser Bedauernswerten eine Hölle sein, die schrecklicher für ihn ist, als alles, was er bis dahin erleben konnte. Dieser Master Pratt versteht sein Handwerk, das habe ich an der Einrichtung des Zwischendecks sofort erkannt. Er ist vielleicht auch nicht einmal der Typ, der die Sklaven unnötig quälen läßt, aber er ist ein Mann, der hart durchgreift, der jeden Widerstand im Keim erstickt. damit mußt auch du rechnen, Howard, falls du dich nicht in die Musterrolle einträgst. Ich will, daß du das weißt, Junge, wie immer du dich morgen entscheiden wirst. Gute Nacht!� Mister Bunk drehte sich um, entkleidete sich und legte sich in seine Koje. Ich fühlte mich in diesem Moment sehr allein. Ich hätte gerne noch länger mit Mister Bunk geredet, ich hätte gerne seinen Rat gehört, und fast war ich in diesem Moment ein wenig enttäuscht von ihm. Heute weiß ich, daß es richtig und notwendig war, mich mit meinem Problem allein zu lassen, mich auf diese Weise zu zwingen, selbst eine Entscheidung zu treffen, so schwer das auch war. Ich gebe es zu: Ich hatte Angst vor diesem Master Pratt. Aber ich hatte eine noch größere Angst davor, Mister Bunk zu verlieren. Musterte ich an, dann würde mich, sobald er dieses Schiff wieder verließ, nicht mitnehmen können, weil er es niemals dulden würde, daß ich mein einmal durch Unterschrift gegebenes Wort wieder brach. Und dann war ich allein, ohne meinen Freund, und das konnte und wollte ich mir lieber erst gar nicht vorstellen. Ich wußte nicht, daß Mister Bunk mich niemals Stich gelassen hätte. Denn meine Unterschrift in der Musterrolle wäre vor dem Gesetz nicht

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gültig gewesen. Aber er wollte, daß ich lernte, mich wie ein Mann zu benehmen, und das, was ich tat, auch selber zu verantworten. Ich beschloß in dieser" Nacht, nicht anzumustern, gleich was mit mir geschehen würde. Zwar dachte ich dabei an die Sklaven, aber das war nicht der eigentliche Grund, wenn ich ehrlich bin. Ich wollte Mister Bunk nicht verlieren, auf gar keinen Fall. Und ich wußte wenn Mister Bunk etwas zu tun ablehnte, dann hatte er dafür auch seinen schwerwiegenden Grund, also mußte der Sklavenhandel auch etwas durch und durch Schlechtes sein. Über diesen Gedanken schlief ich ein. Mein Körper forderte nach all den überstandenen Strapazen endgültig sein Recht.

* Als Mister Bunk mich wachrüttelte, hatte ich einen Augenblick lang das Gefühl, höchstens eine halbe Stunde geschlafen zu haben. Ich brauchte auch einen Moment, bis ich wirklich begriff, wo ich mich überhaupt befand. Die Strapazen der letzten Zeit wirkten sich aus. �Los, raus mit dir, Howard, oder du hast den Bootsmann auf dem Hals!" Ich sprang von meinem Lager auf und eilte zusammen mit Mister Bunk an Deck. Cookie erwartete uns schon, er hatte für diejenigen der Crew, die jetzt ihren Dienst antraten, ein prächtiges Frühstück hergerichtet. Mister Bunk und ich aßen in Ruhe, erst dann tauchte Mister Rodney, der Erste Offizier der �Sea Cloud", bei uns auf. Aus seinen kühlen grauen Augen sah er uns an. wollte etwas sagen, aber Mister Bunk kam ihm zuvor. �Ich bitte darum, den Master sprechen zu dürfen", sagte er. Mister Rodney hob die Augenbrauen leicht an. �Es gibt nichts zu reden, Mister", sagte er. �Sie werden sich jetzt alle drei in die Musterrolle eintragen und dann ihren Dienst an Bord beginnen." Ich warf Hawkins einen gedankenschnellen Blick zu, und ich sah, daß dieser schmierige Kerl schadenfroh grinste. Weiter vorne an Deck brüllte der Bootsmann rum, nichts schien ihm schnell genug zu gehen, keiner schien ihm etwas recht machen zu können. �In fünf Minuten sind Sie, der Schiffsjunge und Hawkins achtern in meiner Kammer, Mister. Klar?"

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Der Erste Offizier wollte sich abwenden, aber Mister Bunk hatte sich erhoben. �Ich habe mich wahrscheinlich nicht klar genug ausgedrückt, Sir! Ich verlange den Kapitän in einer wichtigen, persönlichen Angelegenheit zu sprechen. Ich sehe Ihnen an, Sir, daß Sie auf Kriegs-Galeonen Ihrer Majestät gefahren sind, genauso, wie das für Master Pratt zutreffen dürfte. Ich verweise deshalb auf das Bordreglement, das mir das Recht einräumt, den Kapitän zu sprechen. Über Wichtigkeit oder Unwichtigkeit entscheidet der Master dann selber." Mister Rodney blickte meinen Freund einen Moment lang überrascht an. Dann mich, dann Hawkins. �Noch jemand, der den Kapitän zu sprechen wünscht?" fragte er dann, und in seiner Stimme schwang unüberhörbare Ironie mit. Ich hatte meinen Entschluß ebenfalls gefaßt. Und so schwer es mir auch wurde, aber das, was Mister Bunk am Abend vorher zu mir gesagt hatte, war auf frucht baren Boden gefallen. Ich trat vor. �Ich möchte den Kapitän ebenfalls sprechen, Sir�, sagte ich, und meine Stimme muß dabei gezittert haben, denn Hawkins begann plötzlich meckernd zu lachen. Mister Rodney fuhr herum. Er sah Hawkins nur einmal aus seinen grauen Augen an, und der Koch verstummte auf der Stelle. In diesem Moment tauchte Mister Abott, der Bootsmann, auf. Mit einem Blick erkannte er, daß sich Schwierigkeiten mit den Neuen anbahnten. Er trat auf mich zu. �Soll ich diesen Rotzlöffel zur Räson bringen, Sir?" fragte er. Der Erste drehte sich nicht einmal nach dem Bootsmann um. �Wenn Sie benötigt werden, Bootsmann, werde ich Sie das wissen lassen. Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre Arbeit, solange ich Sie mit nichts anderem beauftrage. Ich habe vorhin gesehen, daß die achtere Nagelbank an Steuerbord sich in einem saumäßigen Zustand befindet. Und ich werde mich an Sie halten, Bootsmann, wenn sich das nicht schnellstens ändert!" Mister Abott stand wie erstarrt, Mister Bunk und mir warf er einen tückischen Blick zu, dann verschwand er ohne ein weiteres Wort. Mister Rodney wandte sich Hawkins zu. �Und Sie, wünschen auch Sie den Kapitän zu sprechen?" fragte er, und wieder schwang beißende Ironie in seiner Stimme mit. Gleichzeitig

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bedachte er Hawkins mit einem Blick aus seinen kühlen Augen, der den Koch augenblicklich in sich zusammenkriechen ließ. ,,Nein Sir, auf gar keinen Fall, Sir", stotterte Hawkins voller Entsetzen. �Ich werde mich hüten, mit diesen beiden Kerlen dort gemeinsame Sache zu machen. Ich kenne die beiden von der ,Black Devil` her, Sir, die geborenen Meuterer, Sir ..." Hawkins verstummte, denn Mister Rodney warf ihm abermals einen Blick zu, der nichts Gutes verhieß. �Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gebeten, Hawkins. Hier an Bord haben Sie nur dann zu reden, wenn Sie gefragt werden, ist das klar? Sie werden sich jetzt in die Musterrolle eintragen, um die beiden anderen Herren wird sich der Kapitän auf ihren eigenen Wunsch hin persönlich kümmern. Ich weiß nur nicht, ob den beiden das sonderlich gut gefallen wird. Vorwärts marsch!" Mister Rodney drehte sich um und ging über das Hauptdeck davon in Richtung Achterkastell. Mister Bunk folgte ihm, dann ich, dann Hawkins. �Du warst tatsächlich so blöd, wie ich gehofft hatte, Bonty!" zischte Hawkins mir zu. �Jetzt wirst du mal erleben, was die mit dir und deinem verdammten Mister Bunk anstellen werden!" Ich spürte den Haß, den Hawkins auf mich hatte, fast körperlich. Und ich gebe auch zu, daß mir ziemlich mulmig zumute war. Schließlich konnte ich mir denken, daß Master Habakuk Pratt nicht der Mann war, der in solchen Dingen Spaß verstand. Und das sollte sich sehr rasch bestätigen. Der Kapitän stand auf dem Achterdeck. Unweit der Schmuckbalustrade, das schien sein Lieblingsplatz zu sein, denn von dort konnte er das Schiff bis zur Back überblicken. Mister Rodney enterte auf, vor dem Kapitän blieb er stehen und machte ihm Meldung. Mir fiel in immer stärkerem Maße auf, wie militärisch es auf der �Sea Cloud" zuging, und das stimmte mich noch bedenklicher. Master Pratt hörte sich die Meldung seines Ersten Offiziers mit völlig unbewegtem Gesicht an, dann wandte er sich Mister Bunk und mir zu. Hawkins schien er garnicht wahrzunehmen, er schien für ihn nicht zu existieren. Unwillkürlich suchten meine Augen nach dem dunkelhäutigen Mädchen, das gestern neben Master Pratt gestanden hatte, aber es war nicht da. Daß es uns, Mister Bunk und mich, in diesem Moment genau beobachtete, erfuhr ich erst später von ihr.

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�Also, warum wollten Sie mich sprechen?" fragte der Kapitän, und dabei hatte er die merkwürdige Angewohnheit, uns scheinbar beide gleichzeitig anzusehen obwohl er unmittelbar vor uns stand. Der Erste Offizier war mit Hawkins wieder verschwunden. Mister Bunk redete nicht lange um den heißen Brei herum. �Sie fahren einen Sklavenfänger, Sir. Mit meiner Einstellung verträgt es sich nicht, auf einem Schiff dieser Art anzumustern, ich lehne das aus Gewissensgründen ab, und deshalb werde ich mich nicht in die Musterrolle einschreiben. Sie haben meine Kameraden und mich aus der See gefischt, Sie haben uns praktisch das Leben gerettet, dafür bin ich Ihnen dankbar, Sir. Des halb werden Mister Bonty und ich ..." �Lassen Sie den Schiffsjungen gefälligst aus dem Spiel, an Bord dieses Schiffes hat jeder Mann für sich selbst zu sprechen. Mit Bonty unterhalte ich mich später. Also weiter � was gedachten Sie gütigerweise zu tun, nachdem ich Sie aufgefischt habe, wenn Sie nie anmustern wollen?" Die Stimme Master Pratts klang bedrohlich. Dieser Mann stand unmittelbar vor einem Zornesausbruch das spürte ich überdeutlich. Außerdem erschrak ich über diese kühle, völlig gefühllose Art, in der er Mister Bunk zurechtgewiesen hatte. �Ich werde alle mir aufgetragenen Arbeiten an Bord erledigen, Sir, bis wir den nächsten Hafen erreichen. Dort verlasse ich das Schiff. Das ist alles, Sir." Master Pratt sah ihn an, aber ich hatte das Gefühl, blickte durch uns hindurch. Dann richtete er den Blick plötzlich voll auf mich, und nie wieder habe. ich in meinem Leben in so zwingende, beherrschende, Augen geblickt. �Und Sie, Bonty, haben Sie mir das gleiche zu sagen?" fragte er. Ich mußte schlucken, aber dann nahm ich all meinen Mut zusammen. �Jawohl, Sir, genau das gleiche", erwiderte ich und hörte mich dabei selber nur wie aus der Ferne, so, als ob ein anderer mir völlig fremder Mensch das gesagt hätte. Master Pratt schwieg. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, dann, ohne Mister Bunk oder mich eines Blickes zu würdigen, sagte er: �Als ich Ihnen gestern sagte, daß Sie sich :heute morgen in die Musterrolle dieses Schiffes einzutragen hätten, war das ein Befehl. Sie haben sich meiner Anordnung beide widersetzt, und ich diskutiere meine Befehle nicht. Wegen Ihrer Widersetzlichkeit werden Sie beide mit je zehn Schlägen mit der neunschwänzigen Katze bestraft. Im

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übrigen verwarne ich Sie. Sie erhalten Bedenkzeit bis zum nächsten Ankergrund, widersetzen Sie sich dann weiterhin, werde ich das als Meuterei auffassen und Sie in Ketten legen lassen." Er wandte sich an seinen Ersten Offizier, Mister Rodney, der sich inzwischen wieder auf dem Achterkastell befand. �Mister Rodney, der Profos soll die Bestrafung sofort vornehmen. Veranlassen Sie alles Notwendige. Wegtreten!" Einen Augenblick spürte ich, wie meine Knie weich wurden. Ich dachte an die gräßliche Szene, die ich an Bord der �Black Devil" hatte mit ansehen müssen, als der Kapitän der �Black Devil", Josuah Potter, Hawkins durch Auspeitschen bestrafen ließ. Ich hatte gesehen, wie die Neunschwänzige einen Mann zurichten kann. Ich fing einen Blick Mister Bunks auf, aber ich wusste ihn nicht zu deuten. Nur soviel begriff ich in diesen Moment, daß an der Sache nichts mehr zu ändern war, Und als der Profos, Mister Coogan, wie ich später e fuhr, aufenterte und uns abführte, erblickte ich Hawkins, der sich die Hände rieb und mich hämisch angrinste. Ja, dieser Kerl tat sogar noch mehr, er wieselte auf irgendeine Weise bis in meine Nähe. Ich roch seinen stinkigen Atem, als er sagte: �Das geschieht dir recht, du verfluchter Lümmel. Ich wünschte, man würde mir die Peitsche in die Hand drücken, dann solltest du alle Engel im Himmel pfeifen hören!" Der Profos mußte das mitgekriegt haben, ohne ein Wort zu verlieren, zog er Hawkins eine über, daß der einen Luftsprung machte und in lautes Gejammer ausbrach. Aber der Profos sagte kein Wort Hawkins, sondern trieb uns zum Großmast auf dem Hauptdeck. �Hemden runter!" befahl er. Dann griff er nach mir. �Du zuerst!" Ich erschrak bis ins Mark, und ich muß wohl auch eine heftige Abwehrbewegung gemacht haben, als man mich an den Großmast band. �Sei vernünftig, Junge", sagte er. �Das habt ihr euch eingebrockt, daran ist nichts zu ändern. Oder willst etwa erst zuschauen, wie ich es deinem Freund besorge?" Ich habe später erst zwei Dinge begriffen: Mister Coogan war keineswegs jener rohe und gefühllose Henkersknecht, wie man sie auf vielen Schiffen findet. hatte mich ganz bewußt zuerst an den Mast binden lassen, um mir die wahnsinnige Angst zu ersparen, die mich bestimmt befallen hätte, hätte ich der Bestrafung meines Freundes zusehen müssen. Gleichzeitig erreichte er damit aber auch, daß ich die

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Auspeitschung Mister Bunks gar nicht mehr so genau mitzuerleben vermochte, weil Cookie mich gleich hinterher in Empfang nahm und mich verarztete. Ich will mich kurz fassen. Der erste Hieb war noch zu ertragen, auch noch der zweite und dritte, Aber alle anderen, die dann auf meinen Rücken knallten, waren entsetzlich. Ich weiß nur noch, daß ich die Zähne zusammenbiß und keinen Laut von mir gab. Dabei wußte ich in diesem Moment gar nicht, daß der Profos keine große Kraft in seine Schläge legte, weil ihm derartige Bestrafungen, zumal noch die eines Jungen, gänzlich zuwider waren. Master Pratt hatte ihn für dieses Amt bestimmt, weil er es bei der Kriegsflotte Ihrer Majestät bereits durch völlige Fehleinschätzung seiner Persönlichkeit seitens eines Vorgesetzten hatte ausüben müssen. Coogan war ein gerechter, vielleicht sogar innerlich in weicher Mann, wie ich später einsehen sollte. Als der letzte Schlag gefallen war, wurde ich losgebunden. Cookie war sofort zur Stelle. �Nur ruhig, mein Junge", sagte er. �Mister Coogan hat dich sehr sanft behandelt, das kannst du mir glauben, ich verstehe mich darauf. Ich werde dir jetzt den Rücken mit Öl einreiben, damit es keine Narben gibt. Komm schon, Junge, nimm dich zusammen!" Ich riß mich zusammen. Und ich war wieder ein ganzes Stück erwachsener geworden. Mister Bunk begegnete ich später an Deck. Er war auf dem Weg zum Achterkastell, wo bereits der Erste Steuermann auf ihn wartete. Er blieb kurz stehen. �Ich bin stolz auf dich, Howard Bonty. Besser als du hätte sich kein Mann auf keinem Schiff halten können, mein Junge!" sagte er und fuhr mir übers Haar. Ganz kurz nur, ganz unauffällig, keiner bemerkte es. Dann ging er fort. Wenn er Schmerzen spürte, so zeigte er sie nicht. Und auch ich spürte sie in diesem Augenblick kaum mehr. Der Tag ging vorüber. Mister Bunk und ich hatten gemeinsam Freiwache und saßen zusammen auf Back. Die Auspeitschung erwähnten wir mit keinem Wort, und von Hawkins sahen wir nicht einmal die Nasenspitze. Den hatte Cookie unterdessen in die Mangel genommen, und Hawkins hatte bei ihm nichts zu lachen. Er kriegte von Cookie alles zurück, was er mir einst an Bord der �Black Devil" angetan hatte.

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Hin und wieder warf der Bootsmann, Mister Abott, uns einen galligen Blick zu. Aber er hatte nicht die geringste Möglichkeit, sein Mütchen an uns zu kühlen, darauf achtete der Erste Offizier der �Sea Cloud". Die Freiwache wurde nur bei plötzlich notwendig werdenden Segelmanövern hochgepfiffen oder wenn für das Schiff Gefahr in Verzug war. Der Abend legte sich über die See. Ich hatte darauf verzichtet, meine Koje aufzusuchen, denn liegen hätte ich nicht können, Schlaf gefunden hätte ich ebenso wenig. Die �Sea Cloud" hatte jeden Fetzen Leinwand gesetzt, den ihre Masten tragen konnten. Mit rauschender Bugwelle pflügte sie durch die See. Ein gutes und schnelles Schiff, ich hätte vielleicht sogar, gemessen. unserer bisherigen Situation, zufrieden sein können. Aber mich verließ das Gefühl nicht, daß Mister Bunk und mir an Bord dieses Schiffes noch weiteres Unheil drohte, und darin irrte ich mich leider auch nicht. , Ich teilte Mister Bunk meine Befürchtungen mit. Er hörte mir schweigend zu, dann sah er mich an, und dieser eine Blick gab mir Ruhe und Gelassenheit. �Warten wir es ab, Howard", sagte er. �Wir haben schon eine ganze Menge zusammen erlebt, wir schaffen dies auch noch. Auf vielen Schiffen, auf denen ich früher Dienst getan habe � bei der Flotte, meine ich � war vieles noch schlimmer." Ich schwieg eine Weile und dachte über die letzten Worte Mister Bunks nach. Er hatte noch nie über jene Zeit gesprochen, das war die erste Bemerkung von Mister Bunk über diese Zeit überhaupt. �Aber wenn Master Pratt uns wirklich in Eisen legen läßt, wenn er uns wirklich wie Meuterer behandelt, weil wir nicht auf einem Sklavenfänger anheuern wollen, was ist dann?� unterbrach ich unser Schweigen schließlich. Mister Bunk hob die Schultern. �Warten wir's ab, Howard", sagte er. �Du kennst meint. Einstellung, an ihr wird sich auch dann nichts ändern. Und im übrigen gilt auch in dieser Sache das, was ich dir immer wieder gesagt habe � nichts ist wirklich so schlimm, wie es zunächst den Anschein hat, man darf sich nur nicht selbst aufgeben!" Eine halbe Stunde später begann unsere Wache. Mister Bunk ging ans Ruder, und darum beneidete ich ihn glühend, denn ich hätte nur zu gerne einmal ein solches Schiff gesteuert. Ich wurde Cookie in der Kombüse zugeteilt, nachdem Hawkins plötzlich hohes Fieber

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bekommen hatte und in der Koje lag. Wenn ich ehrlich bin ich habe die ganzen nächsten Tage nicht einmal nach ihm geschaut, Mister Bunk übrigens auch nicht. Hawkins hatte den Bogen dessen, was wir eben noch hinzunehmen gewillt waren, beträchtlich überspannt, und genau das ließen wir ihn nun trotz seines Gejammers spüren. Der einzige, der ihn besuchte, war Mister Abott, der Bootsmann. Und der tat es nur, um festzustellen, ob er ihn nicht endlich wieder an Deck jagen konnte, denn die �Sea Cloud" brauchte jede, aber auch wirklich jede Hand, denn es begann merklich aufzubrisen. In dieser zweiten Nacht an Bord hatte ich dann jene Begegnung, die so weit reichende Folgen für Mister Bunk und mich haben sollte, wie keiner von uns das je hätte voraussehen können.

* Gegen Ende meiner Wache, ich weiß nicht, warum, begann mein Rücken wieder zu schmerzen. Zwar hatte ich die Folgen der Auspeitschung mit der Neunschwänzigen den ganzen Tag gespürt, aber es war nach den ersten paar Stunden doch wenigstens zu ertragen gewesen. Mister Bunk mochte ich nicht mit dieser Sache behelligen, schließlich hatte er über seine Schmerzen, die er bestimmt ebenso spürte wie ich, kein Wort verloren. Also nahm ich mir vor, Cookie in seiner Kombüse auf zusuchen, sobald meine Wache um war. Der kannte sich offenbar mit derartigen Dingen aus. Cookie empfing mich freundlich. �Hallo, Bonty, was führt dich denn noch so spät zu mir?" fragte er, und ich hatte dabei das Gefühl, daß er sich über mein Kommen freute. Ich sagte es ihm. Cookie nickte. �Laß mal sehen, Junge", sagte er, und half mir, das Hemd auszuziehen. Das schmerzte höllisch, denn es war festgeklebt. Eine Weile sah sich Cookie die Striemen an. �Na", sagte er dann, �das haben wir gleich. Passiert oft, daß so was erst später zu schmerzen beginnt. Blei mal stehen, ich hole etwas." Cookie verschwand, und kaum hatte er die Kombüse verlassen � ich stand mit dem Rücken zum Kombüsenschott �, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Es war eigentlich mehr wie ein Luftzug.

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Ich drehte mich herum, und ich blickte Nunumi in dir schwarzen Augen. Jenem Mädchen, das ich schon am ersten Tage neben dem Master gesehen hatte. Aber ehe ich etwas sagen konnte � sie muß das grenzenlose Erstaunen, das ihr plötzliches Erscheinen in mir auslöste, an meinem Gesicht erkannt haben �, legte sie einen Finger auf ihre Lippen. Dann trat sie an mich heran, ihre Fingerspitzen fuhren über die Striemen auf meinem Rücken, tasteten sie sorgfältig ab. Erst in diesem Moment fiel mir auf, daß Nunumi sich in ein nachtschwarzes Gewand gehüllt hatte, in dem man sie bei Dunkelheit an Bord bestimmt nicht so leicht entdecken würde, wenn sie es nicht wollte. Ich weiß nicht mehr, wie das alles in diesem Augenblick geschah, aber mir wurde schlagartig klar, daß Nunumi nicht zufällig in die Kombüse gekommen war, sondern wahrscheinlich beobachtet hatte, daß ich Coole noch einmal aufsuchte. Sie wollte also mit mir sprechen, sie suchte Verbindung zu Mister Bunk und mir. In diesem Moment zog Cookie das Kombüsenschott auf und trat ein. Daß Nunumi es hinter sich geschlossen haben mußte, und zwar auf eine mir unbegreiflich lautlose Art, registrierte ich erst jetzt. Cookie erblickte Nunumi, und sofort zog er das Schott wieder hinter sich zu. �Nunumi, ist das nicht ein wenig leichtsinnig von dir, daß du jetzt noch zu mir kommst?" Cookie hatte das in Englisch gesagt, also mußte das Mädchen auch der englischen Sprache mächtig sein, und das wunderte mich. Nunumi schüttelte den Kopf. �Niemand mich gesehen", antwortete sie in zwar gebrochenem, aber sonst gut verständlichem Englisch. "Master schläft jetzt", sie machte die Gebärde des Trinkens, gleichzeitig verschattete sich ihr hübsches Gesicht. Cookie starrte das Mädchen an. �Hat er wieder ...?" fragte Cookie, und auch seine Züge verfinsterten sich. Nunumi nickte, und ich verstand nicht, wovon die beiden miteinander redeten. Ich begriff lediglich soviel, daß es sich um eine schlimme Sache handeln mußte, die Nunumi betraf. Cookie starrte eine Weile vor sich hin.

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�Das wird schlimm die nächsten Tage, Nunumi", sagte er schließlich. �Ich fahre lange genug auf der ,Sea Cloud`, ich kenne das, wenn er diese Touren kriegt." Wieder starrte Cookie vor sich hin, dann wandte er sich wie in einem plötzlichen Entschluß mir zu. �Wenn der Master zu trinken beginnt, Junge, dann muß man auf der Hut sein. Er tut das immer, kurz bevor die ,Sea Cloud` ihr Ziel erreicht und kurz bevor er wieder zu einer Sklavenjagd aufbricht. Warum, weiß ich nicht, vielleicht will er mit dieser elenden Sauferei den letzten Rest Menschlichkeit in sich abtöten, bevor er wieder ein Dorf der Schwarzen überfällt und alle ermorden läßt, die nicht mehr jung und nicht mehr stark genug sind, um gute Sklaven abzugeben." �Wir bald da", bestätigte Nunumi und zog zu Cookie größter Überraschung ein Stück Papier aus ihrem Gewand. �Da, Dorf Mogambo", sagte sie und wies auf einen Punkt, etwa zehn Meilen hinter der Küste einer langgestreckten Bucht. �Ich diesmal verhindern, nicht wollen, daß wieder viele Menschen tot. Nunumi jetzt oft genug gesehen, Master ein Teufel!" Ich war über das, was ich da hörte, verwirrt. Was hatte das alles zu bedeuten? Und was hatte denn dieses Mädchen mit alledem zu tun? Was wollte sie von Cookie? Cookie mußte mein ratloses Gesicht gesehen haben. Er sah Nunumi an. �Ich werde dein Jungen alles erklären, Nunumi", sagte er. �Er ist zuverlässig, und ich glaube auch, daß er und Mister Bunk dir helfen werden. Mister Bunk, sein Freund, bleibt nicht auf der ,Sea Cloud`, er und Bonty haben nicht angemustert, deswegen wurden sie ausgepeitscht." Nunumi nickte. �Nunumi wissen, deshalb hier. Versprechen Freiheit gegen Hilfe. Müssen Dorf Mogambo warnen. Erzählen du, ich mich um Bonty kümmern, um Rücken!" Cookie blickte zum Kombüsenschott hinüber. �Mister Abott?" fragte er. �Schläft, auch getrunken.� �Rodney?" �Achterdeck, nichts merken, nicht dürfen in Nunumis Kammer. Keine Angst, Nunumi vorsichtig!" Cookie nickte.

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�Gut. Aber du weißt, was passiert, wenn sie uns erwischen. Und du, Junge, solltest das auch wissen." Ich sah Cookie nur an, aber ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, daß hier etwas vor sich ging, das wichtiger war, als meine persönliche Sicherheit. Zugleich stellte ich mir auch wieder die Frage, wie Mister Bunk sich an meiner Stelle verhalten hätte. Und ich wußte, er würde nicht gekniffen haben. Nunumi begann, mir den Rücken mit irgendetwas einzureiben. Sie tat das so geschickt, daß ich kaum Schmerzen, aber schon sehr bald Linderung verspürte. Cookie kam ohne Umschweife zur Sache. �Welche Fracht für die ,Sea Cloud` vorgesehen ist, weißt du", sagte er. �Aber du weißt trotzdem nicht, was ihn; bedeutet, was diese bedauernswerten Schwarzen für ein Los erwartet, sobald sie gefangen und an Bord dieses Schiffes verbracht worden sind." Cookie langte in irgendein Schapp hinter sich und holte eine Flasche Rum hervor. Er nahm einen Schluck, reichte sie mir, und bei Cookie trank auch ich einen Schluck, weil ich sicher war, daß er mich nicht wie da Hawkins auf der �Black Devil" hereinlegen würde. Ich reichte die Flasche zurück. �Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren, Junge", fuhr der Koch der �Sea Cloud" fort. �Aber ich habe hier an Bord dieses Schiffes schon so viele Scheußlichkeiten mitansehen müssen, daß es auch mir mittlerweile reicht. Nach dieser Reise mustere ich ab." �Warum haben Sie das nicht längst getan?" fragte ich, und es war mir unmöglich, diese Frage zu unterdrücken. Cookie warf mir einen eigentümlichen Blick zu. �Diese Frage habe ich von dir erwartet, Bonty", erwiderte er, �und sie ist auch berechtigt. Ich will sie dir beantworten. Aus zwei Gründen befinde ich mich noch immer an Bord der ,Sea Cloud`. Der eine: Die Company zahlt sehr gute Heuer. Ich brauche das Geld, weil ich in England eine Frau und einen zehnjährigen Junge habe. Wir wollen uns eine Kneipe kaufen, ich bleibe nach der nächsten Reise an Land, meine Frau soll nicht dauernd ohne Mann und mein Junge nicht ohne Vater sein. Ich habe gespart, nach dieser Reise langt das Geld. Der zweite Grund: Solange ich der Koch an Bord der ,Sea Cloud` bin, kann ich für die armen Teufel von Sklaven etwas tun. Ich sorge dafür, daß sie anständig verpflegt werden, und ich achte darauf, daß unnötig Schikanen unterbleiben. Sogar Master Pratt hat eingesehen, daß meine Methode auch für ihn von Nutzen ist, denn an Bord der ,Sea

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Cloud` gibt es in der Regel weder kranke Sklaven noch Ausfälle durch Tote. Und indes ich dafür sorge, tu ich nichts Schlechtes, wenn ich en Bord eines Sklavenfängers bleibe." Cookie schwieg einen Moment, und Nunumi sah mich plötzlich aus ihren schwarzen Augen an. �Cookie sprechen Wahrheit, Bonty", sagte sie. �Noch zwei oder drei Freunde an Bord, die denken wie er, viel leicht uns helfen, wenn nötig." Cookie blickte mich ernst an. �Du steckst also schon mitten drin, Bonty", stellte fest, und dabei ließen mich seine Augen nicht los. �Aber du solltest wissen, worauf du dich einläßt, besonders dann, wenn du deinen Freund in diese Sache auch noch mit hineinziehst. Und wir werden verdammt vorsichtig sein müssen, denn eure Flucht darf keinerlei Verdacht auf mich werfen, oder ich bin erledigt!" Wieder schwieg Cookie eine Weile. �Nun zu Nunumi. Der Master hat sie auf einer seiner Reisen gekauft. Für sich, als seine persönliche Sklavin. Er betrachtet Nunumi als sein persönliches Eigentum. Sie muß ihm in allen Dingen jederzeit zu Willen sein, Bonty, falls du weißt, was ich damit meine. Nunumi ist ein sehr hübsches junges Mädchen von der Elfenbeinküste." Cookie sah mich prüfend an. Doch, ich wußte, was er meinte. In Bristol hatte ich die Seeleute oft genug über diese Dinge reden hören, wenn sie betrunken waren. Wahrscheinlich wurde ich bei diesem Gedanken rot, denn Nunumi fuhr mir plötzlich durchs Haar, sah mich abermals an. �Du wissen. Du aber auch wissen, wie schlimm für Nunumi? Master Pratt sehr schlimm für Nunumi, du noch nicht verstehen, Bonty, aber glauben Nunumi, ja?" Ich nickte, und irgendwo in meiner Brust breitete sich ein Gefühl aus, das ich bis dahin noch nie erlebt hatte. Ich war jedoch nicht fähig, irgendetwas zu sagen. �Das genügt, Junge, mehr brauchst du jetzt nicht zu wissen. Was Nunumi will, ist folgendes: Sobald wir vor der Küste Afrikas ankern, will sie von Bord, um die Bewohner des Dorfes zu warnen. Aber sie kann das nicht alleine, sie braucht Hilfe. Sie hat deinen Freund und dich genau beobachtet, du solltest mit Mister Bunk darüber reden, Junge. Du hast die beste Gelegenheit dazu, und bei dir ist es auch am unauffälligsten. Ich glaube, daß Mister Bunk sofort zustimmen wird, denn an Bord der ,Sea Cloud` kann er nicht bleiben, du auch nicht.

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Master Pratt wird seine Drohung wahrmachen, er wird euch beide in Ketten legen lassen, wenn ihr euch nicht in die Musterrolle eintragt. Dein Freund wird das wissen, und ich wette mit dir, daß er sich schon etwas überlegt hat, wie er mit dir die ,Sea Cloud` verlassen kann. Habt ihr aber Nunumi dabei, warnt ihr das Dorf Mogambo, dann werden euch die Schwarzen weiterhelfen. Das ist auf einem Kontinent wie Afrika nicht nur wichtig, sondern nur dann habt ihr überhaupt eine Chance, zu überleben." Cookie trank abermals einen Schluck Rum, aber diesmal reichte er mir die Flasche nicht. Nunumi war mit meinem Rücken fertig, ganz vorsichtig streifte sie mir das Hemd wieder über. �Morgen schon viel besser", sagte sie. Dann sah sie mich wieder aus ihren schwarzen Augen an. �Du helfen Nunumi, du mit Mister Bunk sprechen?� fragte sie. Ich hatte mich längst entschlossen. �Ja", sagte ich. �Gleich morgen, ich verspreche es. Nunumis Augen leuchteten auf, sie hauchte mir eine Kuß auf die Wange. �Danke, Bonty!" hörte ich sie noch sagen, dann war sie verschwunden. In ihrem schwarzen Gewand tauchte sie in der Dunkelheit des Decks unter, nachdem sie das Kombüsenschott wieder so lautlos geöffnet und geschlossen hatte wie vorher. �Du solltest dich jetzt noch aufs Ohr legen, Junge", meinte Cookie. �Ich glaube, du hast dich richtig entschieden. Sprich aber keinesfalls unter Deck mit deinem Freund über unsere Pläne, das könnte gefährlich werden. Und hütet euch vor diesem Hawkins, dieser Kerl ist eine ganz lausige Ratte. Er hat schon bei mir versucht, euch ständig anzuschwärzen. Dieser Dreckskerl � dabei habt ihr ihm das Leben gerettet! Wer ist dieser Hawkins eigentlich, erzähle mir noch rasch et was über ihn!" Ich berichtete Cookie von meiner Zeit an Bord der �Black Devil", von Bristol, von meiner Strandung auf der Kannibaleninsel. Cookie hörte mir zu, ohne eine Frage zu stellen. �Gut, daß du mir das alles mal erzählt hast, Junge, Jetzt kenne ich dich, deinen Freund Mister Bunk und diese Ratte Hawkins schon viel besser. Es war bestimmt ganz schön hart für dich, oh, verdammt, ich weiß nur zu gut noch, wie es bei mir gewesen ist. Hau dich jetzt hin, Junge. Und wenn du mit Mister Bunk geredet hast, dann sag mir's. Ich

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werde dafür sorgen, daß du morgen außer Kombüsendienst auch ein paar Stunden an Deck zu tun hast." Cookie öffnete das Kombüsenschott, und ich trat an Deck. Es hatte weiterhin aufgebrist, die �Sea Cloud" arbeitete schwer in der See. Immer wieder brachen sich gischtende Seen donnernd an ihrem Bug und überschütteten das Vorkastell mit ihrem Wasser. Aber das alles beeindruckte mich nicht mehr sonderlich, daran hatte ich mich längst gewöhnt. Außerdem wußte ich, daß die �Sea Cloud" ein schnelles und ein starkes Schiff war. Auf dem Achterdeck erkannte ich undeutlich die Silhouette Mister Rodneys, des Ersten Offiziers. Er ging dort auf und ab. Wenig später lag ich in meiner Koje. Meinen Rücken spürte ich kaum noch nach der Behandlung durch Nunumi. Mir ging vieles durch den Kopf. Lange vermochte ich nicht einzuschlafen. Immer wieder blickten mich Nunumis schwarze Augen an, immer wieder sah ich ihr Lächeln, spürte ich ihren Kuß, den sie mir auf die Wange gehaucht hatte. Und irgendwie machte mich der Ge- danke an dieses Mädchen glücklich. Es war ein Gefühl in mir, wie ich es noch nie erlebt hatte. Mit diesen Gedanken schlief ich ein. Ich würde Nunumi auf jeden Fall helfen, das stand für mich fest.

* Auch am Morgen blies noch immer die steife Brise. Ein Blick nach oben zeigte mir, daß Master Pratt jeden Fetzen Tuch hatte setzen lassen, den die Rahen trugen. Der Wind blies etwa aus West, und unter seinem Druck krängte die �Sea Cloud" stark nach Steuerbord. Ein Umstand, der für ein späteres Ereignis noch äußerst wichtig werden sollte. Cookie hatte Wort gehalten. Wie er das bewerkstelligte, weiß ich nicht, ich wurde gleich zum Dienst an Deck eingeteilt. Natürlich brannte ich darauf, mit Mister Bunk über das zu sprechen, was ich von Cookie und Nunumi erfahren hatte. Doch zunächst ergab sich dazu keine Gelegenheit, denn Mister Bunk löste den Ersten Steuermann der �Sea Cloud" ab, und damit war er für mich unerreichbar, weil sich das Ruder auf dem Achterdeck befand. Auf dem Achterdeck hatte ich jedoch nichts zu suchen, dort stand Master Pratt und beobachtete die Arbeiten an Deck. Mister Rodney lag wahrscheinlich längst in der Koje.

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Wenn der Kapitän am Vorabend getrunken hatte, so merkte man ihm das nicht an. Das Unheil nahm an diesem Morgen seinen Anfang, als Mister Abott an Deck auftauchte. Ich sah ihm sofort an, daß er übelster Laune war. Sein ohnehin breites und brutales Gesicht wirkte aufgedunsen, seine kleinen Augen wieselten hin und her. Der Bootsmann suchte ein Opfer, an dem er sein Mütchen kühlen konnte. Denn ganz im Gegensatz zum Master schien er Alkohol nur schlecht zu vertragen. Im stillen wunderte ich mich, daß Mister Abott überhaupt wagte, zu trinken, aber später erfuhr ich, daß Master Pratt dazu eine bemerkenswerte Einstellung hatte. Wer Geld hatte, sich Alkohol, also Rum, zu kaufen, der konnte das tun. Wer trinken wollte, konnte das während seiner Freiwache tun. Aber ihn holte der Teufel, wenn er betrunken zum Dienst an Deck erschien. Das galt auch für den Fall, daß plötzlich Manöver erforderlich wurden, bei denen auch die Männer der Freiwache benötigt wurden. Wie der einzelne dieses Problem löste, blieb ihm selber überlassen, fest stand jedoch, daß jeder Mann unbarmherzig hart bestraft wurde, der betrunken zum Dienst an Deck erschien. Der Bootsmann fand sein Opfer schon bald. Ein Decksmann, den alle nur Hank nannten, klarierte eine Nagelbank an Steuerbord. Ich weiß nicht, welche Schwierigkeiten es dabei gab, denn ich war mit ein paar anderen Männern damit beschäftigt, das Hauptdeck zu schrubben. Master Pratt war ein Sauberkeitsfanatiker, er hat seine Gewohnheiten, die er noch von der Kriegsflotte Ihrer Majestät besaß, nie aufgegeben oder auch nur vernachlässigt. Ich rutschte zusammen mit vier anderen Männern also auf den Knien über die Decksplanken und scheuerte sie mit dem sogenannten �Holy Stone", einem Scheuerstein, der zusammen mit Sand und Seewasser verwendet wird. Eine üble Knochenarbeit, an die man sich nur sehr langsam gewöhnt und die einen ganz gehörigen Muskelkater zur Folge hat. Aber gerade dieser Arbeit schenkte Master Pratt seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Und daß genügend Scheuersand an Bord war, dafür sorgte er vor jeder neuen Ausreise. Plötzlich erscholl hinter mir an Steuerbord ein wüstes Gebrüll. Es war die Stimme des Bootsmannes, der wilde Flüche ausstieß. Erschrocken fuhr ich herum, ohne zu bedenken, dass ich mich damit ebenfalls möglicherweise einer harten Bestrafung aussetzte. Denn niemand an Bord durfte unaufgefordert eine einmal begonnene Arbeit

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unterbrechen. Über dieses ungeschriebene Gesetz an Bord der �Sea Cloud" sollte ich noch eingehend belehrt werden. Ich sah, wie der Bootsmann sich auf jenen Decksmann stürzte, den die anderen immer nur Hank nannten. Mit brutalen Faustschlägen trieb er ihn von der Nagelbank vor sich her über das Hauptdeck. Hank versuchte gar nicht erst, sich zu wehren. Den Grund dafür erfuhr ich auch erst später, es wäre ihm als Widersetzlichkeit gegen einen Vorgesetzten ausgelegt worden. Mister Abott schlug auf sein Opfer ein. Er verfügte über gewaltige Kräfte, und es dauerte nicht lange, bis der Decksmann unter seinen Schlägen zusammenbrach und an Deck liegenblieb. Wieder brach der Bootsmann in wüstes Gebrüll aus. �Los, hoch mit dir, du Hund, oder du erlebst die Höhle!" hörte ich Mister Abott brüllen. �Ich werde dir beibringen, wie man eine Nagelbank klariert, du Dreckskerl!" Aber Hank rührte sich nicht. Ich weiß nicht, ob er wirklich bewußtlos war � was ich durchaus für möglich halte �, oder ob er einfach nur liegenblieb, um den Fäusten Mister Abotts zu entgehen. Ich warf einen Blick zu meinem Freund Mister Bunk hinüber und bemerkte, wie er mit zusammengezogenen Brauen auf die Szene blickte, die sich da vor seinen Augen an Deck abspielte. Unterdessen hatte Mister Abott sich einen Eimer Seewasser geben lassen. Er schüttete ihn Hank über den Kopf. Dann ließ er den Eimer fallen und packte den Decksmann an der Kleidung. Mit einem Ruck riß er ihn hoch, gab ihm einen Stoß in Richtung Steuerbordschanzkleid. Der Decksmann taumelte auf die Want des Großmastes zu. �Über die Toppen mit dir, oder ich mach dir Beine brüllte der Bootsmann, rannte auf den Decksmann zu und verpaßte ihm abermals einen heftigen Stoß. �Damit du Dreckskerl endlich wach wirst und nicht noch bei der Arbeit die Klüsen dicht hast!" brüllte er weiter. Hank schien zu sich gekommen zu sein, jedenfalls lief er taumelnd zum Großwant hinüber und enterte auf,. Er war bereits am Ende der Unterwanten angelangt, als die �Sea Cloud" plötzlich stark nach Steuerbord krängte. So stark, daß die See für einen Moment gurgelnd über das Schanzkleid schoß und das Hauptdeck fast bis zu Mitte überspülte. Ich hörte nur einen Schrei, sah etwas aus den Wanten stürzen, und ich wußte noch im selben Augenblick, daß Hank abgestürzt war. Nur der

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starken Krängung nach Steuerbord verdankte er es, daß er nicht an Deck stürzte, sondern in die See. Ein paar Männer schrien auf. Sie ließen ihre Arbeit fuhren und rannten nach Steuerbord. Auch Mister Abott tat das. Im gleichen Moment geschah jedoch noch etwas anderes. Rein zufällig blickte ich zu Mister Bunk hinüber und sah gerade noch, wie er Master Pratt mit einem Ruck ans Ruder riß und dann sofort über Bord sprang. Der Kapitän stand einen Moment lang wie erstarrt. Ich glaube, er begriff in diesem Moment gar nichts mehr, denn so etwas, daß ein Mann der Crew es wagte, ihn anzufassen, war ihm sicherlich noch nie widerfahren. Auch ich war aufgesprungen. �Mister Bunk!" schoß es mir durch den Kopf. Mein Gott, wußte er denn nicht, daß die �Sea Cloud" bei dem herrschenden Wind so hohe Fahrt lief, daß er im Nu weit abgetrieben sein würde? So weit, daß es höchst fraglich war, ob er in den hochgehenden Wogen überhaupt noch zu entdecken war? In diesem Moment stürzte der Erste Steuermann an Deck, er mußte die lauten �Mann-über-Bord-Rufe" gehört haben. Er löste Master Pratt sofort am Ruder ab. Auch Mister Rodney, der Erste Offizier, erschien notdürftig bekleidet an Deck. In diesem Moment zeigte Master Pratt, welch ein hervorragender Seemann er war. Er gab ohne Hast alle notwendigen Kommandos, die �Sea Cloud" drehte in den Wind. �Mister Abott!" rief er dann schneidend, �wenn schon durch Ihr Verschulden ein Mann über Bord geht, dann sorgen Sie jetzt gefälligst dafür, daß ein Boot zu Wasser gefiert wird." Der Bootsmann zuckte zusammen, ich konnte richtig sehen, daß er sich unter den schneidenden Worten Master Pratts duckte wie ein Hund unter der Schelte seines Herrn. Aber dann brüllte er wieder los, trieb die Männer an, und tatsächlich, sie brachten ein Boot so schnell zu Wasser und bemannten es, wie ich das noch nie gesehen hatte. �Mister Bunk nach Anbordkommen sofort zu mir!" hörte ich Master Pratt noch rufen, und Mister Abott salutierte, ehe er ins Boot sprang und dort das Ruder übernahm. Es dauerte eine ganze Weile, ehe das Boot mit Miste Bunk und dem von ihm geretteten Decksmann zurückkehrte. Erst jetzt sah ich, daß Hank aus einer Kopfwunde ziemlich stark blutete.

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Mister Bunk stieg als erster an Bord, ihm folgte der verletzte Decksmann, dann erst erschien Mister Abott über dem Schanzkleid. Cookie lehnte im Kombüsenschott. An seinem Gei sicht erkannte ich, daß meinem Freund bestimmt nichts Gutes bevorstand. Und so war es auch. Der Kapitän beorderte alle Mann aufs Hauptdeck, auch die Freiwache von der sich aber sowieso schon nahezu jeder Mann an Deck befand. Mister Bunk warf mir einen kurzen, und wie mir schien, mahnenden Blick zu. Cookie schob sich neben mich. �Keine Dummheiten jetzt, Junge!" raunte er mir zu, �Du kannst die Lage deines Freundes nur noch verschlechtern, von deiner eigenen ganz abgesehen!" Ich begriff in diesem Moment wirklich nichts mehr, Hatte Mister Bunk nicht eben einen Mann der Besatzung der �Sea Cloud" gerettet? Wieso konnte er den dafür auch noch bestraft werden? Ich erfuhr es ziemlich rasch, und ich sollte darüber hinaus später noch auf anderen Schiffen erfahren, daß viele Kapitäne so dachten und empfanden wie Master Pratt. Mister Bunk wurde von dem Bootsmann und dem Profos, Mister Coogan, die wenigen Stufen zum Achterdeck hinaufgeführt. Unmittelbar an der Schmuckbalustrade, die das Achterdeck zum Hauptdeck hin abschloß, erwartete der Kapitän die drei Männer. Mister Abott, der Bootsmann, entfernte sich sogleich wieder und enterte aufs Achterdeck ab. Der Profos hingegen trat lediglich einen Schritt zurück, so daß Mister Bunk jetzt allein dem Kapitän gegenüberstand. Eine Weile lang starrte Master Pratt meinen Freund an. Seine Blicke schienen meinen Freund zu durchbohren, und mir lief ein Schauer über den Rücken. Denn ich rechnete damit, daß ich, noch während die �Sea Cloud" beigedreht in der See lag, einer erneuten Auspeitschung Mister Bunks zusehen mußte. Ich glaubte auch zu wissen, daß sie härter ausfallen würde als die vorangegangene. Ich wußte auch, daß ich das einfach nicht durchstehen würde, ohne durchzudrehen. Cookie schien meine Gedanken zu erraten, er packte mich jedenfalls so fest am Oberarm, daß es schmerzte. Er sagte jedoch kein Wort, blickte mich auch nicht an. Master Pratt straffte sich. Es sah aus, als wenn ein Bunk durch seine große Gestalt ging.

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�Ich habe Sie als Zweiten Steuermann auf diesem Schiff eingesetzt. Sie haben es nicht nur gewagt, das. Ruder während Ihres Dienstes ohne Befehl zu verlassen n, sondern Sie sind gegen mich, gegen Ihren Kapitän, handgreiflich geworden, indem Sie mich ans Ruder zerrten." Während Master Pratt sprach, schien sein Blick durch meinen Freund hindurchzugehen. Master Pratt hatte nicht übermäßig laut gesprochen, aber seine Stimme hatte einen so scharfen Klang, daß ihn jeder Mann an Deck verstand. Und der Tonfall verhieß ganz und gar nichts Gutes. �Ich habe Ihnen gesagt, daß auf meinem Schiff Disziplin und Ordnung herrscht", fuhr er fort, und wieder ging sein Blick durch meinen Freund hindurch, so, als sei er in diesem Moment gar nicht vorhanden. �Ich hin nicht gesonnen, eine derartige Disziplinlosigkeit hinzunehmen. Auch dann nicht, wenn Sie unter Einsatz Ihres eigenen Lebens einen Mann meiner Besatzung gerettet haben.� Master Pratt richtete seinen Blick in diesem Moment plötzlich voll auf meinen Freund. Gleichzeitig winkte er Mister Coogan, den Profos der �Sea Cloud", zu sich heran. �Profos, dieser Mann wird in Eisen gelegt. Er wird, aber weiterhin seine Arbeit als Zweiter Steuermann verrichten. Zu diesem Zweck wird ihm lediglich das Halseisen abgenommen, Hand- und Fußeisen trägt er auch während seines Dienstes. Daß ich auf die sonst übliche Strafe, vierundzwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen, verzichte, verdankt er lediglich seinem mutigen und selbstlosen Einsatz in der Absicht, einem Mann das Leben zu retten. Abführen, die Strafe wird sofort vollstreckt. Sie wird in dem Augenblick beendet sein, in dem der Verurteilte die Musterrolle unterschreibt." Ich erschrak. Mein Freund in Eisen! Und dieser Teufel von einem Kapitän hatte sogar noch verfügt, daß ihm die Hand- und Fußketten auch dann nicht abgenommen werden durften, wenn er seinen Dienst am Ruder versah. Ich begriff das alles in diesem Moment nicht, was hatte Mister Bunk denn eigentlich getan? Nein, für die Härte und Grausamkeit des Masters gab es keine Entschuldigung, und wenn er hundertmal auf Kriegsgaleonen gefahren war. Ich wußte damals noch sehr wenig von den Zuständen, die an Bord der meisten Schiffe herrschte, gleich, ob Handelsfahrer oder Kriegsgaleone. Mein Freund wurde vom Profos abgeführt. Er ging dicht an mir vorbei. Sein Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt zu sein. Er blickte mich nur kurz an. Ganz knapp nickte er mir zu, sonst nichts.

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Aber der Master war noch nicht fertig. �Mister Abott, zu mir!� befahl er knapp. Unwillkürlich drehten sich die Männer um. Auch ich. Wir sahen, wie der Bootsmann zusammenzuckte, wie er den Kapitän aus seinen kleinen Augen anstarrte. Aber dann ging er los, enterte auf. Für einen winzigen Moment wirkte das Ganze lächerlich auf mich, denn Mister Abott, dieser Riese von Gestalt, dieser brutale Leuteschinder, schien bei jedem Schritt, den er sich Master Pratt näherte, mehr zusammenzuschrumpfen. Dann stand er vor ihm, mit hängenden Schultern und herabbaumelnden Armen. Der Kapitän blickte durch ihn hindurch. �Mister Abott, ich begrüße es, wenn Sie an Bord meines Schiffes für Disziplin und Ordnung sorgen. Aber Ich mißbillige es, wenn Sie das auf eine Weise tun, die mich zwingt, beizudrehen und wertvolle Zeit zu verlieren. Ganz davon abgesehen, daß es mich beinahe einen Decksmann gekostet hätte. Ich erteile Ihnen hiermit vor versammelter Mannschaft einen strengen Verweis. Sollte sich ein derartiger Vorfall wiederholen, werde ich Sie durch einen anderen geeigneten Mann ersetzen. Wegtreten!" Mister Abott war immer weiter in sich zusammengekrochen. Jetzt wandte er sich um und schlich sich wie ein geprügelter Hund den Niedergang hinab. Das schien Master Pratt jedoch zu mißfallen. �Bootsmann, muß ich Sie erst darum bitten, das Schiff wieder an den Wind zu bringen? Wir haben genug Zeit verloren!" Sofort kam Leben in Mister Abott. Er wuchs zu seiner alten Größe auf und brüllte die notwendigen Befehle. Die Männer flitzten an die Fallen und Brassen, wenig später luvte die �Sea Cloud" an und nahm wieder Fahrt auf. Ein paar Minuten später, ich scheuerte bereits wieder das Deck, erwartete mich ein Anblick, der mir fast das Herz abdrückte. Mister Bunk trat an Deck. Seine Hand- und Fußgelenke steckten in schweren Eisen, die durch etwa zwei Fuß lange Ketten miteinander verbunden waren. Aus seiner Kleidung troff immer noch das Wasser. Als er an mir vorbeiging, klirrten seine Ketten, und ich sah, wie der Mann, den er gerettet hatte, sich bekreuzigte. Erst in diesem Moment erblickte ich Hawkins. Ich hatte vor lauter Aufregung gar nicht auf ihn geachtet. Er klapperte vor Fieber mit den Zähnen, aber sein Rattengesicht hatte sich zu einer schadenfrohen Grimasse verzerrt.

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�Hoffentlich wirst du verdammter Bastard eines Tages noch kielgeholt!" zischte er mir zu. �Und hoffentlich ersäufst du dabei oder wirst von den Haien geholt!" Irgendetwas explodierte in diesem Moment in mir. Mir war alles völlig gleichgültig, ob man mich auspeitschen würde oder kielholen oder hängen. Ich hob meinen Scheuerstein und schleuderte ihn nach Hawkins, Und ich traf. Hawkins brach mit einem Schrei zusammen, wälzte sich jammernd an Deck herum und schrie laut um Hilfe. Im Nu war der Bootsmann heran, seine Augen richteten sich auf mich, aber ihm blieb keine Zeit, an mir ein Exempel zu statuieren. Mister Rodney, der Erste Offizier, tauchte hinter ihm auf. Einen Moment lang sah er mich aus seinen grauen, kühlen Augen an. Dann stahl sich so etwas wie Lächeln, kaum wahrnehmbar zwar, aber für mich eben doch erkennbar, um seine Mundwinkel. Er trat auf Hawkins zu, packte ihn am Kragen und riß ihn hoch. �Sie scheinen wieder gesund genug zu sein, Hawkins", sagte er. �Ab sofort nehmen Sie wieder Ihren Dienst in der Kombüse auf. Und falls Sie zu einer vom Kapitän verhängten Strafe wieder mal etwas zu sag haben, dann wenden Sie sich an mich!" Hawkins brach in lautes Gejammer aus. Aber das half ihm nichts, denn Cookie, der alles gehört hatte, packte ihn und schleifte ihn in die Kombüse. �Los, an die Arbeit, Bonty!" befahl Mister Rodney mir noch, ehe er ging, und damit machte er zum zweitenmal das Eingreifen des Bootsmanns überflüssig. Ich befand mich in einer entsetzlichen Stimmung. Mister Bunk stand in seinen Ketten auf dem Achterdeck am Ruder. Die Ketten ließen ihm genug Spielraum, sich zu bewegen. Irgendwann tauchte an Deck auch Nunumi auf, sie warf mir einmal einen Blick zu, den ich mir nicht zu deuten wußte. Am frühen Nachmittag, kurz vor Ende meiner Wache, blieb der Profos neben mir stehen. Er sah mich ein paar Sekunden an. �Der Master hat nicht verboten, daß du deinen Freund in deiner Freiwache im Zwischendeck besuchst, Bonty", sagte er. �Ein mutiger Mann, dein Freund, Respekt!"

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Damit ging der Profos weiter. Ich blickte ihm nach, und ich wußte, daß dieser Mann mein Feind nicht war und auch nicht der meines Freundes.

* Nach Beendigung meiner Wache lief ich, so schnell ich konnte, ins Zwischendeck. Ich bemerkte, daß der Kapitän mich dabei beobachtete, aber er sagte nichts. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß das Verhalten Mister Bunks ihm irgendwie imponierte, und darin täuschte ich mich auch nicht. Der Anblick, den mein Freund bot, war ein neuer Schock für mich. Er lag auf einer der Pritschen. Angeschlossen an Händen und Füßen, außerdem trug er zusätzlich noch ein Halseisen, das mittels einer Kette in einem Augbolzen hing, der wiederum fest in einer dicken Bohle der Schiffswand verankert war. Cookie, der ebenfalls bemerkt haben mußte, daß ich ins Zwischendeck eilte, stand plötzlich neben mir. Er sah, daß mir die Tränen über die Wangen rannen, und nicht einmal Mister Bunk war es gelungen, mich zu beruhigen. �Na, na, Junge!" sagte er. �Das Geheule nützt nichts. Erzähl deinem Freund jetzt lieber, was Nunumi, du und, ich gestern besprochen haben. Aber beeil dich, ich gebe solange acht, daß euch keiner belauscht. Und sprich leise, mein Junge, es geht um unser Leben. Ich kriege deinen Freund hier schon wieder raus, wenn's soweit ist laß das mal meine Sorge sein." Mister Bunk hatte sich, soweit das ging, aufgerichtet,, Er blickte Cookie und mich fragend an, und so etwas wie ein Hoffnungsschimmer leuchtete in seinen Augen auf. �Los, fang schon an, Bonty, ewig kann ich nicht hier unten bleiben!" Cookie ging zum Niedergang. Er kannte die �Sea Cloud" genau, er wußte, woher Gefahr drohen konnte. Ich verlor tatsächlich keine Zeit, sondern berichte was in der zweiten Nachthälfte zwischen Nunumi, dem Koch und mir besprochen worden war. Mister Bunk hörte aufmerksam zu. Ein paarmal nickte er. �Ich bin dabei, Howard. Es ist unsere einzige Chance. Du hast gehört, was Master Pratt gesagt hat, und dieser Mann meint das genauso, wie er es sagt. Außerdem ist gut, wenn wir das Dorf warnen. Leider kann

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ich euch nicht helfen! Du mußt mit Cookie und Nunumi alles vorbereiten. Wie Cookie mich hier rauskriegen will, weiß ich nicht, aber er ist ein Mann, der genau weiß, was geht und was nicht. Ich vertraue ihm." Mister Bunk überlegte eine Weile. Dann sah er mit plötzlich an. �Was hat es vorhin mit Hawkins gegeben, Howard?' fragte er dann. Ich sagte es ihm. Mister Bunk nickte ein paarmal. �Ich habe gar nicht gewußt, daß dieser Feigling eines solchen Hasses fähig ist. Nur, weil du ihn im Boot einmal niedergeschlagen hast. Ich glaube, wir sollten uns vor ihm höllisch in acht nehmen. Er wird dich beobachten, Howard. Wenn er herauskriegt, was wir planen, dann verpfeift er uns, das traue ich ihm ohne weiteres In diesem Punkt irrte sich Mister Bunk gründlich. Hawkins war noch viel gerissener, als wir glaubten, aber das merkten wir erst, als es bereits viel zu spät war, dagegen etwas zu unternehmen. Cookie hatte gehört, was Mister Bunk zu mir gesagt hatte. Er trat näher. �Ich werde auf diesen Hawkins ein Auge haben, Mister!" sagte er. �Ehe der uns alle an die Rahnock bringt, ist es aus mit ihm. Sie können sich auf den alten Cookie verlassen. Es freut mich, daß Sie bereit sind, Nunumi zu helfen. Zwar wird das nicht viel nützen, denn Master Pratt wird ein anderes Dorf überfallen, ohne Sklaven segelt er bestimmt nicht zurück. Immerhin wird ihm das eine empfindliche Lehre sein, und Sie, Bonty und Nunumi werden frei sein." Cookie sah meinen Freund an. �Ich bringe Ihnen jetzt etwas zu essen und zu trinken. Ich werde dafür sorgen, daß Sie bei Kräften bleiben. Der Master muß sie trotz allem irgendwie mögen oder respektieren, sonst hätte er eine wesentlich härtere Strafe verhängt. Reizen Sie ihn um Himmels willen nicht unnötig. Wenn bei dem Mann der Jähzorn einmal durchbricht, dann ist er zu allem fähig. Ich habe das schon erlebt, Mister." Mister Bunk nickte. Später erzählte er mir, daß er sich im Moment des Überbordspringens nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht habe, ob er dafür bestraft werden würde oder nicht. Er hätte nur einen Gedanken gehabt: den armen Teufel, der über Bord gegangen sei, zu retten. �Und jetzt geh wieder an Deck, Howard. Es ist nicht, gut, wenn du zu lange bei mir hier unten bleibst. Der Erste Offizier scheint uns

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freundlich gesonnen zu sein, Mister Coogan wahrscheinlich auch. Aber wir sollten das nicht zu sehr ausnutzen." Er wandte sich an Cookie. �Unterrichten Sie das Mädchen, Cookie?" Der Koch nickte. �Das muß ich sogar rasch tun, in längstens zwei Tagen haben wir die Küste Afrikas erreicht. Wir können nur beten, daß das am Abend geschieht. Dann bleibt die Nacht, um Sie zu befreien und um die Flucht von euch dreien zu bewerkstelligen. Überlassen Sie das alles mir, Bonty, Nunumi und noch jemand werden mir dabei helfen." Wir verließen Mister Bunk. Als wir an Deck gelangten, lauerte Hawkins in der Nähe des Niederganges her. um. Er warf mir einen tückischen Blick zu, aber Cookie jagte ihn ziemlich unsanft in die Kombüse. �Wenn du noch einmal ohne meine Anweisung die Kombüse verläßt, Hawkins, dann melde ich dich Mistet Rodney. Der hat sowieso schon einen Piek auf dich. Den Rest kannst du dir ja denken. Ist das jetzt endgültig klar?" Hawkins sagte nichts, er brach nicht einmal in sein sonst übliches Gejammer aus. Ich hielt das für ein schlechtes Zeichen. Der Mann führte etwas gegen Mister Bunk und mich im Schilde. Ich nahm mir vor, höllisch auf der Hut zu sein.

* Das Wetter besserte sich zusehends. Die steife Brise, die für ein paar Stunden fast zu einem handfesten Sturm geworden war, ließ nach. Master Pratt stand stundenlang an Deck. Im stillen bewunderte ich diesen Mann. Seinen scharfen Augen entging nichts. Immer wieder ließ er die Stellung der Segel korrigieren, und manchmal fluchten die Männer ganz erbärmlich über die ständige Schinderei. Mister Pratt störte das überhaupt nicht. Jedermann an Bord konnte fluchen wie er wollte. Wenn er nur seine Arbeit tat, und zwar gründlich, schnell und gut. Die �Sea Cloud" führte an Segeln alles, was ihre Masten zu tragen vermochten, und sie lief gute Fahrt. Mister Bunk würde die erste Nachthälfte am Ruder stehen, ich hatte dann meine Freiwache. Vorn Wetter her zu schließen, würde sie vermutlich auch nicht gestört werden. Ich hatte mir vorgenommen, meine Freiwache bei Cookie zu verbringen. Vielleicht wagte Nunumi es, noch einmal in die Kombüse

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zu kommen, und sei es unter dem Vorwand, für den Master noch etwas holen zu müssen. Kontrollieren konnte das außer dem Master sowieso niemand, außerdem kümmerten sich die übrigen Männer an Bord der �Sea Cloud" herzlich wenig um das Mädchen. Aus gutem Grund übrigens, denn in diesem Punkt verstand Master Pratt keinen Spaß, das war jedem bekannt. Gewiß, ich hatte die Männer bei gelegentlichen Blicken beobachtet, die sie dem bildhübschen und vor allen Dingen sehr gut gewachsenen Mädchen nachschickten. Schließlich befanden sich diese Männer oft Monate auf See, hatten nicht die geringste Gelegenheit, überhaupt Kontakt zu weiblichen Wesen aufzunehmen. Aber mehr geschah nicht, und selbst die Blicke schickten sie Nunumi nur dann nach, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. Etwas anderes war das mit Cookie. Er war außer mir, aber davon wußte ja von der Besatzung niemand etwas, der einzige, mit dem Nunumi schon mal ein paar Worte wechselte. Das ergab sich schon daher, daß sie doch öfter in die Kombüse mußte, um für Master Pratt etwas zu holen. Ansonsten verhielt sich Nunumi aber sehr zurückhaltend, und meist hielt sie sich nur auf dem Achterdeck auf, zu dem von der Besatzung ohnehin niemand Zutritt hatte, wenn er dort nicht irgendeine Arbeit verrichten mußte, oder wenn er nicht von Mister Rodney oder dem Master selber dorthin befohlen wurde. Und darauf verzichtete jeder gerne, denn etwas Gutes bedeutete das nie. Ich erzähle das nur, um klarzumachen, wie sich das Leben an Bord der �Sea Cloud" normalerweise abspielte. Umso erstaunter war ich, als Mister Rodney mich am späten Nachmittag aufs Achterdeck befahl. Noch während ich aufenterte, überlegte ich fieberhaft, was ich wohl angestellt oder womit ich wohl sein Mißfallen erweckt haben konnte. Aber nichts von alledem traf zu. Mister Rodney empfing mich in der ihm eigenen Kühle. �Bonty, der Kapitän gibt heute abend anläßlich einer Besprechung mit mir und dem Ersten Steuermann ein Essen. Der Master wünscht, daß du den Kajütdienst versiehst. Laß dir von Cookie erklären, was du zu tun hast. Und gib dir Mühe, verstanden?" �Jawohl, Sir!" erwiderte ich und wollte das Achterdeck verlassen. Aber Mister Rodney hielt mich noch zurück. �An deiner Stelle würde ich noch einmal darüber nachdenken, ob du bei deiner Weigerung bleibst, dich in die Musterrolle einzutragen. Wir erreichen morgen gegen Abend die afrikanische Küste. Spätestens am

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nächsten Morgen werden Mister Bunk und du eure endgültige Entscheidung fällen müssen. Laß dir von mir sagen, daß es sehr unangenehm ist, die Heimreise in Eisen unter Deck und zwischen nahezu zweihundert Sklaven anzutreten. Hat Master Pratt aber einmal so entschieden, dann gibt es für euch kein Zurück mehr. Nach unserer Ankunft in England werdet ihr dann dem Gericht als Meuterer übergeben, und wenn ihr Pech habt, dann droht euch sogar der Galgen. Denk drüber nach, Bonty, und du solltest auch mit deinem Freund von der ,Black Devil' darüber reden. Ich meine es gut, du bist zu jung für den Galgen, und aus dir könnte einmal ein guter Seemann werden." Mister Rodney wandte sich ab. Ich war sehr erstaunt, daß er seine Zeit damit verschwendete, sich über mich Gedanken zu machen, über mich und über das mir drohende Schicksal. Aber ich lernte bei dieser Gelegenheit, daß man Menschen, die sich äußerlich sehr hart geben, vielleicht auch nur, weil die Pflicht es so von ihnen verlangt, sehr schnell völlig falsch einschätzt. Ich weiß auch nicht, ob ich nicht doch noch versucht hätte, Mister Bunk zum Nachgeben zu überreden, wenn nicht gerade an diesem Abend noch etwas sehr Einschneidendes geschehen wäre. Ich enterte vom Achterdeck ab und lief, so rasch ich konnte, zu Cookie. Er war allein in der Kombüse, er kannte wahrscheinlich den Begriff der Freiwache für sich selber überhaupt nicht. Hawkins hatte seinen Dienst beendet, ich konnte ihn auch nirgends entdecken. Cookie hörte sich meinen Bericht schweigend an. �Mister Rodney meint es gut, Junge. Ich kenne ihn schon eine ganze Weile. Er ist ein guter Seemann. Er achtet mit großer Strenge auf Ordnung und Disziplin, aber er ist jedem Mann gegenüber sehr gerecht. Ich bin überzeugt davon, daß er Männer wie Mister Abott nicht ausstehen kann, und manchmal zeigt er das ja auch. Aber wie ist es denn nun mit dir � kippst du um, oder stehst du nach wie vor zuverlässig zu unserem Plan? Ich meine, wirst du Nunumi helfen?" Ich schwieg eine ganze Weile. Die Worte Mister Rodneys hatten bei mir ihre Wirkung nicht verfehlt. Beim bloßen Gedanken daran, in England am Galgen zu enden, kriegte ich eine Gänsehaut. Und wenn ich gar daran dachte, daß Mister Bunk, meinem einzigen Freund, den ich hatte, dasselbe Schicksal drohte, dann war ich meiner Sache plötzlich gar nicht mehr so sicher. Cookie spürte das.

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�Gut, Junge. Ich laß dir Zeit. Aber bis morgen früh mußt du dich entschieden haben." �Verachten Sie mich jetzt?" fragte ich, und in meiner Kehle saß ein so dicker Kloß, daß ich kaum zu sprechen vermochte. Cookie schüttelte den Kopf. �Nein, Junge, gar nicht. Eine solche Entscheidung in deinem Alter zu treffen, ist verdammt schwer. Nein, es ist mir sogar lieber, daß du über alles noch einmal ganz genau nachdenkst und dann noch einmal mit Mister Bunk darüber sprichst. Denn was ihr vorhabt, ist keine leichte Sache. Geht nur das geringste schief, seid ihr geliefert. Der Master würde euch nicht erst lange in Eisen legen, sondern euch mitsamt Nunumi an der Großrah aufknüpfen lassen, und er wäre sogar im Recht." Ich erschrak zutiefst. �Nunumi auch?" fragte ich mit bebender Stimme. �Das kann er doch nicht, sie ist doch ein Mädchen, sie ist doch ..." Cookie legte mir die Hände auf die Schultern, sah mich eine Weile sehr ernst an. �Junge, du mußt noch viel lernen. Männer wie Master Pratt machen in solchen Fällen keinerlei Unterschiede. Doch, um das ganz klar zu sagen, auch Nunumi würde hängen. So, und jetzt laß dir erklären, was du heute abend zu tun hast, hör mir genau zu, wenn du Fehler machst, wird es unangenehm für dich ..." Cookie erklärte mir alles haargenau. Ich weiß nicht, wie gut ich ihm damals zugehört habe, und vielleicht hatte ich es auch nur Mister Rodney zu verdanken, daß alles gut ablief, denn er gab mir manchen Wink, wie ich dem Master das Essen zu servieren hatte, wie ich Wein oder Rum nachschenken mußte, wann ich welche Speisen aus der Kombüse zu holen hatte. Natürlich merkte der Kapitän ganz genau, daß der Erste Offizier mir ständig half, aber er sagte nichts. Nunumi nahm an dem Mahl teil, und während die Herren speisten, unterhielten sie sich über völlig belanglose Dinge, auf die ich nicht einmal sonderlich achtete. Denn erstens hatte ich mit mir selber genug zu tun, zweitens verwirrte mich, daß ich auch Nunumi zu bedienen hatte, und drittens ging mir ständig durch den Kopf, was Mister Rodney und was Cookie mir anschließend gesagt hatte.

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Master Pratt trank an diesem Abend sehr viel. Ich mußte daran denken, was Cookie mir über den Kapitän erzählt hatte. Daß er nämlich immer zu trinken begann, kurz bevor er wieder auf Sklavenjagd ging. Ich war zu jung, um die Zusammenhänge zu verstehen, außerdem hatte ich noch nie einer Sklavenjagd beigewohnt. Ich wußte damals noch nicht, wie grausam es dabei zuging. Das soll weder den Sklavenhandel noch Master Pratt, der damit praktisch ein reicher Mann wurde, entschuldigen. Aber ebenso wenig kann ich an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbeireden. Es gab Sklavenfänger, und es gab auch Menschen, die diesen entsetzlichen Beruf ausübten. Und Master Pratt war einer von ihnen. Mir fiel auf, während ich immer wieder Rum oder Wein nachschenken mußte, daß Mister Rodney sich sehr zurückhielt. Später wußte ich, warum: Er hatte anschließend die Wache auf dem Achterdeck. Der Erste Steuermann hingegen sprach dem Rum reichlich zu, und Master Pratt erlebte ich in einer Stimmung, wie ich sie bei ihm nie für möglich gehalten hätte. Immer wieder langte er nach Nunumi und zog sie auf seinen Schoß. Mister Rodney beobachtete ihn dabei unauffällig, das sah ich deutlich. Manchmal zuckte es um seine Mundwinkel, wenn der Master es gar zu toll trieb. Schließlich stand der Kapitän auf. Er ging, noch völlig Herr seiner Bewegungen, zu einer Kommode, die aus kostbarem Holz gefertigt war. Einen Augenblick lang überlegte er, dann zog er eine der Schubladen auf und entnahm ihr eine kleine, seltsam geformte Trommel. Jedenfalls glaubte ich, daß es eine war. In diesem Augenblick zuckte Nunumi zusammen. Ihr Gesicht verlor mit einem Schlag alle Farbe, mir schien es, als kröche sie auf ihrem Stuhl in sich zusammen. Master Pratt war das nicht entgangen. Er lachte nur, warf ihr die Trommel kurzerhand zu und sagte dann ein paar Worte in einer Sprache zu ihr, die ich nicht verstand. Nunumi wurde noch bleicher, soweit das bei ihrer Hautfarbe möglich war. Ihr Gesicht wurde eigentlich mehr grau, ich hatte dergleichen noch nie gesehen, aber ich spürte, daß etwas ganz Schlimmes geschehen würde. Nunumi, die mich den ganzen Abend kaum angesehen hatte, warf mir einen verzweifelten Blick zu, dann Mister Rodney.

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Ich weiß heute, daß Mister Rodney ihre Not genau verstand und daß er auch sicher alles das, was dann geschah, nicht billigte. Jedenfalls wandte er sich mir zu dann Master Pratt. �Mit Ihrem Einverständnis, Sir, aber im Moment benötigen wir Bonty nicht mehr. Ich werde ihn rufen lassen, sobald wir seiner bedürfen." Master Pratt, dessen Augen den sonst so durchdringenden Blick längst verloren hatten, schien für einen Moment wieder klar zu werden. Ich konnte das beurteilen, denn schließlich hatte ich meinen Dad oft genug erlebt, wenn der dem Schnaps mehr zugesprochen hatte, als gut für ihn war. Master Pratt sah mich an. �Du kannst verschwinden, Bonty", sagte er dann. �Sobald ich dich brauche, werde ich dich rufen lassen. Ab mit dir!� Ich warf Nunumi einen Blick zu, aber sie sah mich nicht an. Stattdessen ergriff sie die Trommel und stand langsam auf. Ich verließ die Kapitänskammer fast fluchtartig. Ich hatte einfach Angst vor dem, was dort geschehen würde. Und ich wußte auch, daß es irgendwie mit Nunumi zusammenhängen mußte. In diesem Augenblick haßte ich den Kapitän so glühend wie noch niemals jemand zuvor. Ich verließ das Achterkastell durch den Gang, der zum Hauptdeck führte und von dem auch die Türen zu den anderen beiden Kammern abzweigten. Die eine davon, die unmittelbar neben der des Masters lag, bewohnte Nunumi, die andere Mister Rodney, das wußte ich. Cookie warf mir einen besorgten Blick zu, als er erkannte, in welchem Zustand ich mich befand. �Was ist los mit dir, Bonty?" fragte er nach einer Weile, in der ich wahrscheinlich schweigend und mit allerfinsterster Miene in der Ecke neben dem Herd gesessen hatte. Ich faßte mir ein Herz und erzählte es ihm. �Nicht so schlimm, Junge. Der Master läßt Nunumi tanzen. Ihr geschieht dabei nichts. Das tut er manchmal, meist, bevor er auf Sklavenjagd geht. Jedermann an Bord weiß davon." Tanzen? dachte ich. Und warum hatte Nunumi dann alle Farbe verloren, warum hatte sie erst mich und dann Mister Rodney so hilfeflehend angesehen? Ich wußte es nicht. So sehr ich in Cookie zu dringen versuchte, er blieb bei dem, was er gesagt hatte. Nur eines fügte er nach einer Weile, als ich mich ganz und gar nicht beruhigen wollte, noch hinzu.

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�Hör zu, Bonty: Nunumi ist die Sklavin des Masters. Sein ganz persönliches Eigentum. Er hat sie gekauft, so wie jeder Sklave von irgendjemand gekauft wird. Nunumi muß alles tun, was der Master von ihr verlangt. Wenn er also will, daß sie für ihn tanzt, dann muß sie tanzen, und sie weiß das auch. Nur besteht zwischen Nunumi und anderen, die zu Sklaven wurden, ein Unterschied: Sie hat ihren Stolz nie verloren, sie leidet unter der Schmach, eine Sklavin zu sein. Deshalb will sie fliehen. Sie muß sogar fliehen, denn sonst geschieht eines Tages vielleicht sogar ein Unglück, Junge." Cookie drehte sich um. Ich spürte, daß er über dies Dinge einfach nicht mehr weiterreden wollte. Ich grübelte über seine Worte nach, und so verging die Zeit. Dann irgendwann in dieser Nacht, schickte Mister Rodney nach mir. Er tat das durch den Ersten Steuermann, Mister Williams, der auch einen stark angetrunkenen Eindruck machte, aber wie gewöhnlich freundlich und umgänglich blieb. �Du sollst die Kapitänskammer aufräumen und den Tisch reinigen, Bonty. Aber sei leise, Junge, der Master schläft schon, und er wird fuchsteufelswild, wenn man ihn in diesem Zustand weckt!" Ich rannte los. Auf dem Achterdeck erblickte ich Mister Rodney, er hatte die Wache übernommen und patrouillierte an Deck auf und ab. Unweit von ihm stand Mister Bunk am Ruder. Ich erkannte ihn bei der herrschenden Dunkelheit daran, daß seine Ketten leise klirrten, wenn er sich bewegte. Ich hielt mich nicht lange auf, sondern schlüpfte durch die Tür, die vom Hauptdeck ins Achterkastell führte. Innerhalb weniger Augenblicke hatte ich die Kapitänskammer erreicht. Es stimmte, der Master lag im Bett und schlief bereits fest. Leise räumte ich die Flaschen und die Gläser fort, schaffte sie zu Cookie in die Kombüse. Dann nahm ich mir einen Lappen und rannte zurück, um auch den großen Tisch sorgfältig abzuwischen. Ich wußte ja, wie genau Master Pratt es mit derlei Dingen nahm. Auch das war schnell geschafft, und ich trat wieder auf den Gang hinaus. Im selben Moment blieb ich stehen. Zu mir heraus drang heftiges Schluchzen, so, wie ich es von meiner Mom immer gehört hatte, wenn Dad uns verprügelt hatte, wenn er völlig betrunken aus der Seilerei in die Wohnung zurückkehrte. Ich blieb stehen. Dann schlich ich mich auf Zehenspitzen weiter, und vor der nächsten Tür, die zu Nunumis Kammer gehörte, horchte ich.

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Kein Zweifel, Nunumi war es, die dort so heftig und so herzzerbrechend weinte. Ich wußte damals genau, welches Risiko ich einging. Aber ich war mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem mir alles gleichgültig wurde, an dem mich weder die Neunschwänzige noch das Aufknüpfen an der Großrah schreckte. Ich drückte gegen die Tür, und sie ließ sich öffnen. Leise trat ich ein, aber Nunumi hatte mich dennoch gehört. Sie lag in ihrer Koje, aber in diesem Moment setzte sie sich ruckartig auf, und ich sah, daß sie so gut wie unbekleidet war. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich hatte noch niemals ein fast nacktes Mädchen gesehen, und schon gar nicht ein so hübsches wie Nunumi. Zwei brennende Kerzen spendeten genügend Licht, um den Raum in eine weiche Helligkeit zu tauchen. �Bitte, entschuldigen Sie, ich hörte nur, daß Sie weinten, da wollte ich ..." Ich wußte vor Verlegenheit gar nicht, was ich eigentlich sagen wollte, aber Nunumi ließ mich auch gar nicht weiter zu Wort kommen. Sie glitt aus ihrer Koje und schloß mich in die Arme. Eine ganze Weile standen wir so, und ich spürte, wie sie immer heftiger zu weinen begann. Ich wußte nicht, was ich tun konnte oder sollte, um sie zu beruhigen, ich preßte sie nur an mich und verhielt mich still. Schließlich löste sich Nunumi aus meinen Armen. Im Kerzenlicht sah ich ihre dunklen Augen, die einen ganz eigenartigen Glanz hatten. �Gut, du kommen, Bonty!" sagte sie. �Schlimmer Abend für Nunumi. Müssen wieder tanzen vor Männern, nackt. Und dann, Master..." Wieder preßte sie sich an mich. Ihr Körper bebte unter dem heftigen Schluchzen. Als sie sich wieder aus meinen Armen löste, sah sie mich abermals aus ihren dunklen Augen an, aber sie wirkte in diesem Moment viel ruhiger. �Nunumi nie wieder für Master tanzen, Bonty. Morgen fliehen, oder Nunumi bringen sich und Master um." Sie sagte es sehr leise, aber ich verstand sie doch. Und ich wußte, daß sie es ernst meinte. Sie war fest entschlossen, zu fliehen oder den Master und sich umzubringen. Ich verstand nur ungefähr, um was es ging, als sie noch hinzufügte: �Nunumi keine Sklavin. Ertragen nicht länger, Schande. Du Nunumi helfen, morgen, wenn abends ankern? In der Nacht fliehen, Nunumi

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wissen wie, haben heute genug gehört. Mister Bunk frei, morgen. Du helfen?" Ich nickte nur. �Ja, Nunumi", sagte ich. �Ich helfe dir. Und mein Freund, Mister Bunk hilft dir auch. Und Cookie auch.� Plötzlich spürte ich Nunumis Lippen auf meinen. �Danke, Bonty, danke. Gehen jetzt. Master schlafen, aber Mister Rodney nachsehen, wenn Bonty zu lange im Achterkastell!" Sie schob mich aus ihrer Kammer, hauchte mir noch einen Kuß auf die Lippen und war verschwunden. Ich blieb im Gang zurück. Völlig verwirrt, meiner Gefühle nicht mehr Herr. Ich wußte in diesem Moment nur eins: Ich würde Nunumi helfen, wieder frei zu sein, und wenn mir zehnmal die Großrah drohte. Als ich das Kombüsenschott öffnete, lehnte Cookie am Herd. Er sah mich an. �Ich werde Nunumi helfen zu fliehen", sagte ich. Irgendetwas in meiner Stimme, vielleicht auch etwas in meinem Gesichtsausdruck, irritierte Cookie. �Junge, was ist passiert?" fragte er. Aber ich sagte es ihm nicht. Ich habe das Erlebnis mit Nunumi nicht einmal meinem Freund Mister Bunk erzählt. Ich habe es als Geheimnis bewahrt, als etwas, von dem nur ich und das Mädchen von der Elfenbeinküste wußten. �Es bleibt dabei, Cookie: Ich werde Nunumi helfen. Ich habe von ihr erfahren, daß wir morgen abend vor der Küste Afrikas ankern werden. Wir müssen Mister Bunk also morgen nacht befreien." Wieder starrte Cookie mich an. Die Entschlossenheit in meiner Stimme war ihm wahrscheinlich nicht ganz geheuer. Aber dann stieß er sich plötzlich vom Herd ab, ging auf mich zu. �Ich wußte es, Junge, daß du dich so entscheiden würdest. Ihr drei werdet es schaffen, und mir wird es leichter werden, auch noch die Rückreise auf diesem verdammten Sklavenfänger auszuhalten. Weißt du, Junge, mir war es in meinem ganzen Leben immer sehr wichtig, mich nicht selbst einen Lumpen oder Schweinehund nennen zu müssen." Cookie schwieg einen Moment, dann sah er mich an. �Hör zu, Bonty, der Schiffszimmermann ist ebenfalls mit im Bunde. Er wird euch, Nunumi und dir, die Werkzeuge besorgen, mit denen ihr die Eisen deines Freundes öffnen könnt. Er haßt den Master, weil der ihn total besoffen an Bord der ,Sea Cloud' verschleppen ließ und ihm erst

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viel zu spät sagte, daß er auf einem Sklavenfänger angeheuert hatte. Es ist Dolan O'Neill, ein ganz verdammt dickschädeliger Ire, der sich auf sein Handwerk versteht. Er kann dir, deinem Freund und Nunumi aber so wenig helfen wie ich selber, weil er wie ich für die Zeit eurer Flucht nachweisen können muß, daß er mit irgend jemand zusammengesessen hat, falls euch nicht mehr die Zeit bleiben sollte, das Werkzeug wieder an den von ihm genannten Ort zu hinterlegen. Er wird dann sagen, daß ihr das Werkzeug gestohlen habt. Ihr seid also morgen nacht im entscheidenden Moment völlig auf euch selber angewiesen. Sage das deinem Freund, damit er sich darauf einrichten kann. Nunumi weiß Bescheid." Cookie gab mir die Hand. �Viel Glück, Junge. Hoffentlich sehen wir uns in diesem Leben noch einmal wieder, würde den alten Cookie freuen. Also, wenn du mal nach London kommst, dann frag in der Hafengegend nach mir." Ich drückte Cookies Hand. Ich habe ihn später einmal wiedergesehen, aber darüber sollten noch Jahre vergehen. Ich verließ die Kombüse, und als ich das Schott aufdrückte, war mir, als husche ein Schatten davon. Ich war zu sehr in Gedanken, um meiner Wahrnehmung genügend Bedeutung beizumessen. Ein schwerer Fehler, wie sich am nächsten Tage herausstellen sollte. In meiner Koje wälzte ich mich noch lange unruhig von einer Seite auf die andere. Ich wurde mit all den Dingen, die mich bestürmten, einfach nicht fertig. Immer wieder sah ich Nunumi vor mir, spürte, wie ihr ganzer Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde, das sie einfach nicht mehr unterdrücken konnte. Ich spürte Nunumi noch in meinen Armen, und ich spürte ihren Kuß auf meinen Lippen. Als Cookie mich weckte, war ich schweißgebadet. Aber ich sprang sofort aus der Koje. Dieser Tag würde über Tod und Leben von Mister Bunk, von Nunumi und mir entscheiden. Daran gab es für mich keinen Zweifel.

* Der Nachmittag verlief bereits anders, als es eingeplant war, und ich merkte, wie sich eine unerträgliche Spannung in mir ausbreitete. Als Mister Bunks Dienst am Ruder beginnen sollte, holte ihn niemand. Weder der Profos noch der Erste Steuermann ließen sich blicken, um ihn loszuschließen. Stattdessen übernahm Williams selbst das Ruder.

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Master Pratt ließ sich ebenfalls nicht an Deck blicken, an seiner Stelle führte Mister Rodney das Kommando über die �Sea Cloud". Auch Nunumi, die sich sonst meist in den frühen Nachmittagsstunden auf dem Achterdeck sehen ließ, zeigte sich ebenfalls nicht. Stattdessen trieb der Bootsmann uns alle zu hektischer Betriebsamkeit an. Das Zwischendeck, in dem sich Mister Bunk auf seiner Pritsche befand, wurde einer gründlichen Reinigung unterzogen. Mister Bunk blieb aber angeschlossen. Hände und Füße, die lediglich in Eisen steckten, verbunden durch zwei Fuß lange Ketten, konnte er frei bewegen. Aber das half ihm wenig, denn das Halseisen, das seine Bewegungsfreiheit am stärksten einschränkte, war an den schweren Augbolzen angeschlossen, der wiederum in einer dicken Bohle am Kopfende seiner Pritsche verankert war. Auch ich wurde zur Reinigung des Zwischendecks eingeteilt, und mir entging nicht, daß Mister Bunk über diese unvorhergesehene Entwicklung ebenfalls beunruhigt war. Es war eine Mordsschinderei, das Zwischendeck so sauber zu kriegen, wie Mister Abott sich das vorstellte, und er trieb uns immer wieder mit Gebrüll und manchmal sogar mit Faustschlägen an. Aber schließlich hatten wir es doch geschafft, der Bootsmann trieb uns, nachdem Mister Rodney das Zwischendeck inspiziert hatte, an Deck. Ich sah, daß der Blick des Ersten Offiziers eine Weile bei meinem Freund verharrte, aber er sagte nichts, und Mister Bunk stellte auch keine Frage. Die �Sea Cloud" lief unter vollen Segeln immer noch gute Fahrt, und meine Unruhe wurde immer stärker. Am späten Nachmittag, die Sonne stand schon tief am Horizont, wurde ich endlich zum Kombüsendienst eingeteilt. Ich konnte es gar nicht erwarten, mit Cookie allein zu sein, weil ich nicht wußte, ob diese Einteilung eine Wende zum Guten bedeutete. Hawkins, den ich ablöste, grinste mich tückisch an. �In ein paar Stunden ankern wir", sagte er. �Nicht mehr viel Zeit für dich und Mister Bunk, euch in die Musterrolle einzutragen. Aber vielleicht habt ihr ja auch ganz andere Pläne, wie? Bei euch kann man ja nie wissen!" Er lachte meckernd, und mir war, als hätte ich einen Schlag mit dem Belegnagel auf den Schädel gekriegt. Als Hawkins endlich draußen war, starrte ich Cookie nur an.

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�Hat Hawkins etwas gewußt?" fragte ich und fühlte, wie mir das Herz bis zum Hals schlug. �Kann diese Ratte etwas gewußt und uns verpfiffen haben, Cookie?" Der Koch starrte vor sich hin. �Unmöglich, ich hätte ihn bemerkt, wenn er uns nach spioniert hätte. Ich habe diesen Dreckskerl kaum aus den Augen gelassen." Cookie hob die Schultern, lehnte sich gegen den Herd. �Alles andere ist in Ordnung. Der Schiffszimmermann hält Wort, wir erreichen die Küste genau zum vorgesehenen Zeitpunkt, Nunumi ist bereit. Es kann einfach nichts schief gehen, Junge!" Ich versuchte krampfhaft, mich zu beruhigen, und unterdessen senkte sich die Abenddämmerung über die �Sea Cloud". Es war schon fast dunkel, als endlich der Ruf �Land in Sicht" erscholl. Sofort stürzten die Männer zur Back, und Mister Rodney ließ sie gewähren. Zwei Stunden später rauschte der Anker aus. Die Segel waren geborgen, die �Sea Cloud" lag still. Meine Nerven waren zu diesem Zeitpunkt bis zum Zerreißen gespannt. Ich hatte zwar noch Gelegenheit gefunden, mit Mister Bunk zu reden, aber er konnte mir meine Frage, warum er den ganzen Tag über nicht losgeschlossen worden sei, auch nicht beantworten. Mister Rodney verlor keine Zeit, die notwendigen Vorbereitungen für den nächsten Morgen, an dem die Männer zur Sklavenjagd aufbrechen sollten und nur eine kleine Mannschaft an Bord des Seglers zurückblieb, zu treffen. Master Pratt hatte sich den ganzen Tag nicht auf dem Achterdeck gezeigt, und er zeigte sich auch an diesem Abend nicht. Boote wurden zu Wasser gefiert, ausgerüstet, Musketen kontrolliert, geladen und wieder unter Verschluß genommen. Mister Rodney kontrollierte alles peinlich genau, und dann, als alle Arbeiten erledigt waren, teilte der Bootsmann die Wache ein, und der Erste Offizier ließ für jeden Mann eine Quart Rum ausgeben. Cookie hatte inzwischen ein kräftiges Essen zubereitet, und so herrschte auf der �Sea Cloud" ganz allgemein allerbeste Stimmung. Ich mußte alle meine Beherrschung aufbieten, um mir meine ungeheure Nervosität nicht anmerken zu lassen. Vergeblich hielt ich nach Hawkins Ausschau, aber diese Ratte ließ sich nicht blicken, und es gab auch keinen Mann an Bord, der ihn vermißte oder auch nur nach ihm gefragt hätte. Denn Hawkins war fast noch unbeliebter als Mister Abott, und das wollte schon etwas heißen.

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Die erste Nachthälfte verstrich. Viele der Männer schliefen bereits, die Wachen dösten vor sich hin. Auf dem Achterdeck hielt ein Mann Wache, den ich zwar des öfteren an Bord gesehen hatte, den ich sonst aber nicht weiter kannte. Ich saß mit Cookie an Deck. Wir waren beide ziemlich ratlos. Ohne Nunumi konnten und durften wir nichts unternehmen. Ich enterte einmal zu Mister Bunk ab ins Zwischendeck. Aber auch er hob nur die Schultern. �Abwarten, Howard", sagte er. �Ich habe nicht das Gefühl, daß wir verraten worden sind, ich glaube daran, daß es klappt. Du wirst sehen, Howard, ich werde recht behalten!" Später einmal gestand er mir, daß er keineswegs mehr so optimistisch war wie er sich gab, aber er wollte mich nicht noch unruhiger machen, als ich ohnehin schon war. Und es gelang Mister Bunk auf diese Weise sogar, mich etwas zu beruhigen. Die zweite Nachthälfte war angebrochen. An Deck rührte sich nichts mehr, Cookie und ich hatten Warteposition in der Kombüse bezogen, denn es ging nicht an, daß wir allein irgendwo an Deck herumsaßen. Plötzlich öffnete sich das Kombüsenschott und Nunumi huschte herein. Sie trug einen Segeltuchsack in der Hand, und an der Art, wie sie ihn hielt, sah ich, daß er ziemlich schwer sein mußte. Ich nahm ihn ihr sofort ab. �Werkzeug", flüsterte sie. �Nunumi spät, Zimmermann nicht konnte eher geben Werkzeug, Bootsmann bei ihm. Nunumi hat Karte von Dorf Mogambo Master gestohlen, Master schläft, aber nicht betrunken. Rasch, Mister Bunk frei, dann fort!" sagte sie und zog mich mit sich zum Kombüsenschott. Cookie sah uns an. Trauer war in seinen Augen. �Macht's gut, viel Glück! Grüßt Mister Bunk von mir, sagt ihm vom alten Cookie, daß er einer der prächtigsten Kerle ist, die je auf einem Schiff zur See gefahren sind. Das kleine Boot ist ausgerüstet mit Proviant und Wasser, denkt daran, nehmt nicht das falsche! Es liegt an Backbord, mittschiffs!" Er drückte uns die Hand, Nunumi umarmte er, dann schob er uns aus der Kombüse. Nunumi erwies sich als äußerst umsichtig. Sie hatte das Deck genau beobachtet, und so gelangten wir ungesehen zu dem Niedergang, der ins Zwischendeck hinabführte. Wir kauerten uns einen Moment hin, ehe wir in den Niedergang hinabhuschten, und bei dieser Gelegenheit

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sah ich, daß Nunumi einen Dolch in ihrer Rechten hielt. Ich hatte als einzige Waffe ein Entermesser im Gürtel. Im Zwischendeck brannte nur eine Schiffslaterne, aber ihr Schein reichte aus. Wir redeten kaum etwas miteinander, Mister Bunk gab mir lediglich die notwendigen Anweisungen, wie ich sein Halseisen öffnen konnte. Es war ein hartes Stück Arbeit, denn die Eisen bestanden aus allerbestem englischem Material, aber Mister Bunk kannte sich aus. Nach angstvollen Augenblicken, in denen mir der Schweiß nur so über den Körper lief, gab es nach und sprang auf. Ich wollte als nächstes die Hand- und Fußeisen öffnen, aber stattdessen zog Nunumi unter ihrem Gewand einen Lederbeutel hervor, in dem sich eine ganze Anzahl von Lappen befanden, die sie in mühseliger Arbeit eingefettet hatte. �Keine Zeit für Eisen", flüsterte sie. �Später, in Boot oder an Land, Werkzeug mitnehmen. Jetzt fort ..." Mister Bunk nickte, er wollte etwas sagen, aber in diesem Moment polterten Schritte die Stufen des Niedergangs herunter, und Sekunden später stand Master Pratt im Zwischendeck. Er blieb ruckartig stehen, er war über unsere Anwesenheit offenbar genauso erstaunt, wie ich entsetzt war über sein plötzliches Erscheinen. Aber er überwand seine Schrecksekunde sehr schnell. Mit einem Ruck riß er seine Pistole aus dem Gürtel und richtete sie auf uns. Dann spannte er auch schon die beiden Hähne. Deutlich hörte ich, wie die Hähne knackend einrasteten. Aus! dachte ich voller Verzweiflung. Mir schoß durch den Kopf, was Mister Rodney und was Cookie mir gesagt hatten. Master Pratt starrte uns an. Sein Gesicht blieb völlig unbewegt, dann kam er langsam auf uns zu. �So ist das also!" sagte er nur. �Die Herrschaften wünschen sich in aller Stille zu empfehlen! Hat mich mein ungutes Gefühl also doch noch gerade zur rechten Zeit ins Zwischendeck getrieben, wo ich eigentlich nur eine Routine-Kontrolle vornehmen wollte. Außerdem wollte ich Sie, Bunk, fragen, ob Sie sich die Sache mit dem Anmustern überlegt haben. Aber das erübrigt sich jetzt ja wohl." In seiner Stimme schwang beißende Ironie mit. Er trat abermals zwei Schritte näher. �Keine Bewegung", warnte er, �ich schieße sofort. Sie, Bunk, und Sie, Bonty, erwische ich mit meinen beiden Kugeln. Nunumi dürfte dann

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auch kein Problem mehr für mich darstellen. Also, Hände hoch, aber schnell! Meine Geduld ist jetzt zu Ende!" Ich sah, wie Mister Bunk die Hände hob, und dann passierte es. So schnell, daß ich auch heute nicht sagen kann, wie mein Freund das geschafft hat. Eine Kette pfiff durch die Luft. Sie schlug dem völlig überraschten Master Pratt die Pistole aus der Hand, die irgendwo hinten im Zwischendeck auf die Planken schlug und sich gottlob nicht entlud. Der Krach hätte uns sofort die Wache auf den Hals gehetzt. Master Pratt erhielt keine Gelegenheit mehr, sich von seinem Schreck zu erholen, denn Mister Bunk schlug zum zweitenmal zu. Diesmal traf seine Kette den Kapitän schwer. Er stürzte zu Boden wie ein gefällter Baum. Einen Augenblick lang standen wir da wie erstarrt. Atemlos vor Entsetzen und vor Angst, daß der schwere Fall des Kapitäns an Deck gehört worden sei. Aber nichts rührte sich. Mister Bunk bückte sich, untersuchte Master Pratt nur kurz. �Er lebt, aber er wird eine ganze Weile brauchen, bis er wieder zu sich kommt. Rasch, die Lappen, Nunumi, dann nichts wie weg!" Nunumi und ich halfen Mister Bunk, die Ketten zu umwickeln, damit sie uns durch ihr Klirren nicht verraten konnten. Dann schlichen wir den Niedergang hoch, immer die Angst im Nacken, daß der Master sein Bewußtsein vorzeitig wiedererlangen könnte. Aber nichts dergleichen geschah. Wir erreichten das Deck, schlichen uns zum Schanzkleid an Backbord. �Du zuerst, Howard, dann Nunumi, zum Schluß ich", sagte mein Freund. Ich sah, daß er gerade noch etwas sagen wollte, aber da blieb ihm buchstäblich das Wort im Halse stecken. Denn aus dem Dunkel, wie ein Gespenst, tauchte Hawkins vor ihm auf. Ich war so erschrocken, daß ich mich kaum zu rühren vermochte, und dann hörte ich auch schon seine widerliche Stimme. �Das könnte euch so passen, einfach abzuhauen und den alten Hawkins auf diesem verdammten Kahn von einem Sklavenfänger zurückzulassen!" zischte er. �Ihr werdet mich mitnehmen, oder ich lasse euch alle hochgehen. Die ganze saubere Kumpanei, die diesen Fluchtplan ausgeheckt hat." Hawkins fuhr sich mit der Hand über den Nacken, eine Bewegung, die ich kannte. Das tat er nur, wenn ihm der Schweiß ausbrach.

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Mister Bunk verlor die Nerven, er packte zu. Hawkins stieß einen Wehlaut aus. Vergeblich versuchte er sich aus dem eisernen Griff Mister Bunks zu befreien. �Ich lasse euch platzen, hochgehen lasse ich euch alle, wenn ihr mich nicht mitnehmt. Und wenn ihr mich jetzt niederschlagt, dann werden es Cookie und O'Neill zu büßen haben, oder glaubt ihr etwa, der alte Hawkins wüßte nicht, was hier für ein Spielchen gelaufen ist? Für wie dämlich haltet ihr mich denn?" Mister Bunk ließ den Kerl fahren. Er hatte erkannt, daß an dieser Drohung Hawkins' etwas Wahres war. Der Kerl war tatsächlich zu so einer Schurkerei imstande! Niemand von uns zweifelte daran, nicht einmal Nunumi, die Hawkins am wenigsten kannte. Hawkins ließ uns auch gar keine Zeit mehr zum Überlegen. Er sauste an dem Tampen, der in unser Boot hinabhing, herunter. Damit hatte er gewonnen, wir mußten ihn mitnehmen, ob wir es wollten oder nicht. Denn der geringste Lärm konnte die Deckswache alarmieren. Ich enterte ab, Nunumi folgte mir, dann Mister Bunk. Er brauchte länger als wir, weil er höllisch darauf achten mußte, daß ihn die Ketten nicht durch ihr Klirren verrieten. Ich habe mir später noch oft überlegt, was Hawkins damals wohl bewogen haben mag, mit uns das Risiko einer Flucht einzugehen, anstatt sich an Bord unwissend zu stellen. Unheimlich ist mir auch stets geblieben, daß Hawkins trotz unserer Vorsicht dennoch über alles bestens informiert war. Wie das geschehen konnte, habe ich nie ergründen können, denn er schwieg sich darüber aus. Ich nehme an, daß Hawkins in panischer Furcht vor Master Pratt lebte, vielleicht auch vor dem äußerst brutalen Bootsmann und Mister Rodney, der zweifellos einen gehörigen Piek auf Hawkins hatte. Genau weiß ich es nicht � aber jedenfalls hatten wir Hawkins wieder auf dem Hals, und ich wußte, daß er uns, genau wie früher schon, nichts als Unglück bringen würde. Hawkins sprach kein Wort, nachdem auch Mister Bunk abgeentert war. Stattdessen löste er mit bebenden Händen die Taue, an denen das Boot noch hing. Dann pullten wir, jedes unnötige Geräusch sorgsam vermeidend, in die Dunkelheit hinaus. Wir hatten Glück. Gesprochen wurde kein Wort, und auf der �Sea Cloud" blieb alles ruhig.

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Bis zur Küste waren es höchstens zwei Meilen, die konnten wir schnell hinter uns bringen. Der Wind hatte gedreht, er stand jetzt von See her auf die Küste zu. Etwa eine viertel Stunde mochte vergangen sein, wir waren schon ein gutes Stück von der �Sea Cloud" entfernt, da wurde es an Deck plötzlich lebendig. Schiffslaternen flammten auf, ein Böllerschuß löste sich und dröhnte über die See. Wir ließen unsere Ruder für einen Moment sinken, starrten uns an. �Master erwacht!" sagte Nunumi, und wir wußten, daß sie recht hatte. Ich konnte mir vorstellen, was jetzt, in diesem Augenblick, an Bord der �Sea Cloud" geschah. Undeutlich drang das wüste Gebrüll des Bootsmannes zu uns herüber. Er trieb bestimmt die Männer an, das zweite Boot zu bemannen, um uns wieder einzufangen. Und ebenso sicher würde Master Pratt sich in dem Boot befinden, und zwar an der Ruderpinne. Mister Bunk riß sich als erster aus seiner Erstarrung. Er griff nach seinen Rudern, und ich folgte seinem Beispiel. Hawkins wollte in sein übliches Gejammer ausbrechen, aber ein zweiter Böllerschuß schnitt ihm das Wort ab. Mister Bunk beugte sich vor und packte Hawkins am Hemd. Er zog ihn dicht an sich heran. �Du kannst dich jetzt aus der Sache nicht mehr herauslügen, wenn Pratt uns erwischt. Er wird uns wieder an Bord der ,Sea Cloud� zurückbringen und dich dort im Morgengrauen genauso aufknüpfen lassen, wie jeden von uns. Darauf kannst du dich verlassen. Pull um dein Leben, das ist das einzige, was dir und uns allen jetzt noch helfen kann!" Mister Bunk zog ihn noch dichter an sich heran. �Solltest du allerdings eine krumme Tour versuchen, um deine Haut auf unsere Kosten zu retten, dann bringe ich dich eigenhändig um, damit du so brave Kerle wie. Cookie oder den Schiffszimmermann O'Neill nicht mehr an den Galgen bringen kannst. Und das ist mein Ernst! Merk dir das!" Hawkins zuckte zusammen. Ich weiß nicht, ob Mister Bunk seine Drohung wirklich wahrgemacht hätte, aber für möglich halte ich das durchaus. Denn Hawkins war genau der Typ, der, um sein eigenes erbärmliches Leben zu retten, ohne Bedenken jeden anderen dem Henker auslieferte. Hawkins begann zu jammern, aber da hielt ihm Nunumi plötzlich ihren Dolch unter die Nase.

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�Ich nicht so viel Geduld wie Mister Bunk, Hawkins!" sagte sie, �Wenn Master mich fangen, Nunumi nicht nur aufhängen, für Nunumi viel schlimmer, du nicht wissen. Nicht kennen Master Pratt. Du wollen mit, jetzt pullen, oder Nunumi dich erstechen!" Ihre Stimme vibrierte vor Zorn, und ich konnte Nunumi durchaus verstehen. Wir hatten es so gut wie geschafft, wir waren frei, wir würden die Bewohner des Dorfes Mogambo warnen können � das durfte an diesem erbärmlichen Hawkins nicht scheitern! Was Mister Bunk bei Hawkins mit seiner Drohung nicht erreicht hatte, das schaffte Nunumi mit ihrem Dolch. Er begann plötzlich wie ein Irrer zu pullen. Aber es war schon fast zu spät. Master Pratt und seine Männer führten im Bug ihres Bootes eine Laterne mit. Ich konnte sehen, wie sie ablegten und in die Bucht hineinpullten. Mister Bunk erkannte die Gefahr sofort. Das Boot war viel stärker bemannt, es verfügte über mehr Riemen als unseres. Durch Pullen allein hatten wir von dem Moment an keine Chance mehr, in dem sie uns entdeckten. Mister Bunk entschloß sich schnell. Er zog das zum Boot gehörige Segel am bereits eingesetzten Mast empor. Der Wind stand günstig für uns, das kleine Boot nahm augenblicklich Fahrt auf, und Mister Bunk nahm den Platz an der Ruderpinne ein. Hawkins und ich pullten trotzdem aus Leibeskräften weiter, und dabei merkte ich, daß Hawkins wohl von Natur aus ein jämmerlicher und hinterhältiger Feigling sein mochte � aber ein Schwächling war er jedenfalls nicht. Mein Blick streifte Mister Bunk. Er saß im Heck des Bootes. Seine schwere, große Hand hielt die Ruderpinne, und er wirkte völlig ruhig. Mit der freien Hand winkte er mir zu, während ich neben Hawkins wie ein Besessener pullte. Und da dachte ich wieder an seinen alten Spruch: Es ist nichts so schlimm, wie es anfangs aussieht. Man wird mit allem fertig, solange man sich nicht selbst aufgibt... Wir kämpften mit vereinten Kräften in dieser Nacht um unser Leben, aber ob wir gegen Master Pratt und die ganze Meute, die uns auch an Land erbarmungslos hetzen würde, wirklich eine Chance hatten, mußte sich erst noch zeigen. Denn für Master Pratt und seine Männer stand weit mehr auf dem Spiel, als uns wieder einzufangen und abzuurteilen. Es ging für sie um das Dorf Mogambo. Denn Master Pratt war bestimmt klar, daß Nunumi versuchen würde, ihre schwarzen Leidensgefährten vor den Jägern der �Sea Cloud" zu warnen.

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Ich warf einen Blick zu Nunumi hinüber. Im schwachen Licht der Sterne, die hoch über uns an einem fremden Firmament funkelten, erkannte ich die wilde Entschlossenheit in ihren Zügen. Sie würde nicht aufgeben, solange auch nur noch ein Funken Leben in ihr war. So wenig, wie sie trotz aller Demütigungen durch Master Pratt auch nur für einen einzigen Augenblick ihren stolz verloren hatte. Und darin glich sie meinem Freund Mister Bunk. Plötzlich wußte ich, daß wir es schaffen würden, daß die Frauen, die Kinder und die Alten des Dorfes Mogambo nicht sterben würden und daß den jungen Männern das entsetzliche Schicksal, in die Sklaverei verschleppt zu werden, erspart bleiben würde. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, und als ich aufblickte, sah ich in Nunumis dunkle, brennende Augen.

E N D E


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