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Der seltsame Funkspruch

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Der seltsame Funkspruch

und andere phantastische Erzählungen

VERLAG KULTUR

UND FORTSCHRITT BERLIN 1969

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Russische Originaltitel: Der seltsame Funkspruch - Предупреждает «Меркурий I»

Der unsichtbare Feind - Грозный феномен Menschliches Versagen - Человеческая неполноценность

Umschlag und Illustrationen: Wolf Friedrich 4

Verlag Kultur und Fortschritt

24/1969

Lizenz-Nr. 3-285/193/69

Satz und Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden

Frank Petermann
Schreibmaschinentext
Scanned by Manni Hesse 2007
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Lew Stekolnikow

Der seltsame Funkspruch

Nach der Katastrophe

„Hier spricht das Linienraumschiff ,Sarja '! Hier spricht das Linienraumschiff ,Sarja'!

Infolge eines Zusammenstoßes mit einem unbekannten kos­mischen Körper ist nur noch der Bug des Schiffes- mit der Kabine des Piloten erhalten.

Zwei Personen sind gerettet: der Pilot der ,Sarja', Roald Petersen, und der Passagier Alexej Donzow. Über das Schick­sal der übrigen Besatzungsmitglieder und Fluggäste ist nichts bekannt. Die Katastrophe ereignetete sich um 14 Uhr Erden­zeit (Moskauer Zeit), am 20. Juli des Jahres 2064, siebzig Millionen Kilometer von der Erde und fünfundzwanzig Mil­lionen Kilometer vom Mars entfernt.

Erbitte sofortige Hilfe! Erbitte sofortige Hilfe! Gehe auf Empfang! Gehe auf Empfang!"

Der Pilot lehnte sich im Sessel zurück und lauschte ange­spannt. Eine Minute verging, die zweite, die dritte . . . Stille. Vielleicht war der Empfänger gar nicht mehr in Ordnung?

Petersen schaute auf das Schaltpult. Die bekannten, schwach blinkenden, verschiedenfarbigen Lämpchen zeigten an, däfj die Havarieautomaten arbeiteten: die künstliche Schwerkraft hielt sich im Bereich des Normalen; Luft, Wärme und Licht waren im Bug ausreichend vorhanden. Sich langsam um die eigene Achse drehend, jagte das Wrack des Raumschiffes in unbe­kannter Richtung davon.

Die Bildschirme der Aussichtsanlage waren defekt; ihre matten Ovale spiegelten lediglich die grünen, blauen, gelben und roten Lichter des Schaltpultes wider.

Auch das Radio schwieg noch immer. Seltsam! Wo doch auf der Route Erde-Mars täglich Raumfahrzeuge, Passagier- oder Frachtschiffe, starteten.

Der Pilot seufzte und zog das Mikrofon zu sich heran:

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»Hier spricht das Linienraumschiff ,Sarja '! Hier spricht das Linienraumschiff , S a r j a ' . . . ! "

Aljoscha öffnete die Augen. Er versuchte zu begreifen, wo er sich befand.

Ein sonderbares Zimmer. Der Fußboden war gewölbt wie eine Schüssel, und die Wände liefen über dem Kopf zusammen wie bei einer Pyramide. Eine transportable Lampe strahlte schwaches bläuliches Licht aus. An einem mit Geräten bedeck-* ten Tisch saß ein älterer Mann, hager, in der Uniform eines Angestellten der Raumschiffahrt. Auf dem schwarzen Ärmel glänzte ein silberner Saturn - das Zeichen eines Flugkapitäns, Eine ruhige Stimme sagte:

»Erbitte sofortige Hilfe! Gehe auf Empfang !•' Aljoscha flimmerte es vor den Augen, in seinen Ohren

dröhnte es. Petersens Stimme erklang irgendwie seitlich von dem Alten, der unbeweglich dasaß. Seltsam!

Die Gedanken verliefen sich. Aljoscha konnte sich absolut nicht konzentrieren. Genauso übel war es ihm ergangen, als Sascha Petrow den Fußball, statt ins Tor, ihm an den Kopf ge­schossen hatte. Wie waren sie alle entsetzt gewesen! Sweta hatte schnell den Rettungswagen herbeigerufen, doch Aljoscha wollte nach Hause getragen werden. Die Mutter war furchtbar, erschrocken gewesen. Aljoscha erinnerte sich genau . . . Dann verschwamm ihr Gesicht vor seinen Augen.

„Mama!" rief er leise, wobei er die Lippen kaum bewegte. Immer, wenn ihm schwer ums Herz war, rief er nach der

Mutter. Doch obwohl sie wußte, daß Aljoscha große Sehnsucht nach ihr hatte, fuhr sie oft dienstlich weg. Und immer fielen diese Dienstreisen in den Sommer. Auch dieses Jahr war sie auf den Mars geflogen, wo sie, gemeinsam mit Vater, auf der Bewässerungsanlage arbeitete. Aljoscha hatte beschlossen, sie in den Ferien zu besuchen.

Es war seine erste Reise in den Kosmos. Er hatte sich mit dem Piloten der „Sarja" angefreundet. Der Alte hatte ihn oft durch das Schiff geführt und ihm erklärt, wie ein Raumliner beschaffen ist. Hochinteressant war es, bei Petersen in der Kajüte zu sitzen und die Weltraumkarten zu betrachten . ..

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Jetzt erinnerte er sich! Er hatte die Karte auf dem Sofa aus­gebreitet, als plötzlich ein Stoß erfolgte. Er war gegen irgend etwas geprallt und hatte das Bewußtsein verloren.

„Bist du zu dir gekommen?" Der Pilot drehte dem Jungen sein längliches Gesicht zu, das von scharfen Falten durchzogen • war. Er sprach russisch, doch mit einem starken Akzent.

„Was ist geschehen?" „Wenn ich das wüßte, mein Junge! Ein Zusammenstoß.

Vielleicht ein Meteorit. Die Automatik hat uns im Stich ge­lassen, aber den Grund dafür kann ich dir nicht sagen. Nur der Bug ist noch übrig. Und, du, bist wenigstens du heil ge­blieben?"

„Ja", Aljoscha griff sich an die Schläfen, als wollte er sich vergewissern, „nur schlecht ist mir, und der Kopf tut weh."

„Da bist du noch glimpflich davongekommen. Das geht bald vorüber."

„Und die anderen?" fragte Aljoscha leise. Petersen senkte den Blick. „Es ist furchtbar. Die armen Men­

schen . . . es bestand keine Chance für sie." Sie verstummten. Nur das gleichmäßige Ticken der Uhr war

zu hören und das leise Tönen der Automaten. „Ich bekomme keine Verbindung", sagte der Pilot und trat

an den Tisch. „Wenn es uns nicht gelingt, Kontakt aufzuneh­men, sieht es böse aus."

„Man wird uns suchen." Aljoscha zitterte wie im Fieber, doch sein Kopf wurde klarer. Er erhob sich vom Sofa und ging auf den Alten zu.

„Wir haben ebensoviel Aussichten wie eine Nadel im Heu­haufen. Bist du tapfer. Junge?"

Aljoscha wußte nicht, was er auf diese unerwartete Frage antworten sollte. Es ist irgendwie peinlich, sich selbst als mutig zu bezeichnen.

„Ich weiß nicht, ich glaube nicht, daß ich ein Feigling bin." „Wir müssen sehr stark sein", fuhr Petersen fort. „Ich möchte

die Gewißheit haben, daß mir altem Mann ein junger Mensch zur Seite steht, auf den Verlaß ist. Wie alt bist du?"

„Sechzehn."

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.Na, das ist ja schon etwas." Petersen schwieg, krümmte sich zusammen und griff sich an die Brust.

„Etwas ist bei mir hier drin nicht in Ordnung - nein, es ist nichts Besonderes. Hör zu, Aljoscha, wir haben Lebensmittel für einen Monat, aber kein Wasser. Der Wassererzeuger be­fand sich im mittleren Teil. Wir haben nur noch zwei Thermos­flaschen voll."

Aljoscha verspürte sofort Durst. Er leckte sich die Lippen und half dem Piloten schweigend, das Bullauge zu öffnen. Das war eine komplizierte Angelegenheit, denn durch den Stofj hatten sich alle Rahmen verzogen. Mit vereinten Kräften ge­lang es ihnen, den Deckel und die Isolierschicht zu entfernen und schließlich auch das stählerne Rollo hochzuziehen.

Ein massives, unerträglich grelles bläuliches Licht drang in die Kajüte. Aljoscha schrie auf und wich zurück, wobei er die Augen mit den Händen bedeckte. Im gleichen Moment fühlte er, wie ihm die rauhe Hand des Piloten eine Brille aufsetzte.

„Wir sind zu schnell vorgegangen. So kann man blind wer­den."

Als sie erneut durch das Rauchglas des Bullauges schauten, bot sich ihnen ein prächtiger Anblick.

An dem schiefergrauen Himmel glitzerten Tausende und aber Tausende weißer, diamantenähnlicher Pünktchen, die in allen Regenbogenfarben schillerten. Sie durchfurchten den Weltraum, so weit man blicken konnte. Einige glitten unmit­telbar neben der „Sarja" dahin, andere wiederum funkelten, kaum noch sichtbar, in weiter Ferne. Wahrscheinlich würden ebensolche Splitter in alle Richtungen stieben, wenn man mit einem mächtigen Hammerschlag einen riesigen Diamanten zer­schlüge.

„Was ist denn das?" fragte Aljoscha. Ihm wurde schwindlig. „Warum bewegen sich diese seltsamen Sterne so schnell?"

„Das sind keine Sterne. Und wahrscheinlich drehen nicht sie sich, sondern wir tun das. Findest du nicht auch, daß es dort in der Ferne grünlich schimmert?"

„Ja, ganz schwach", antwortete Aljoscha zögernd. „Aber wo sind wir bloß? Wo ist die Erde? Und wo die Sonne?"

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„Die Erde ist dort, wo die Sonne ist. Nur kann man die Sonne bei diesem grellen Licht nicht auf Anhieb entdecken. Sie müfjte aber zu sehen sein. Auch der Mars ist in der Nähe. Unser Blickfeld ist einfach zu klein."

„Und wo sind wir?" wiederholte Aljoscha. „Wir? Allmählich begreife ich es. In einer solchen Situation

war bisher noch kein Kosmonaut. Aller Wahrscheinlichkeit nach befinden wir uns in der Gefangenschaft eines Kometen. In seinem Kopf. Genauer gesagt - in seinem Zentrum."

Aul der Jagd nach Wasser

In einem Kometen! Ein Komet hatte sie gefangengenom­men! War denn so etwas möglich? Wenn es tatsächlich stimmte, so war dieser grünliche Schimmer der Kometen­schweif. Aber was bedeuteten dann die weiften, diamanten­ähnlichen Pünktchen?

„Und wenn sie aus Eis sind, Genosse Kapitän?" Aljoscha wies auf das Bullauge.

„Daran habe ich auch gerade gedacht", antwortete Petersen langsam. „Vielleicht hat der amerikanische Astronom Whipple recht. Er nahm an, daft Teile des Kometeninnern aus verun­reinigtem Eis bestehen. Doch was wir dort sehen, muft nicht unbedingt Eis sein, aus dem sich Wasser gewinnen läfit. Koh­lensäure sieht auch wie Eis aus. Jedenfalls müssen wir es ris­kieren. Einen Raumanzug haben wir, die Ausstiegsluke ist in Ordnung . . . Der Pilot zuckte plötzlich zusammen, bifi sich auf die Lippen und hielt sich die linke Seite. Aljoscha stürzte zu ihm.

„Ist schon gut", murmelte Petersen und wischte sich den Schweift von der Stirn, „es geht gleich vorüber."

Er richtete sich auf und lächelte schwach. „Hast du dich er­schrocken? Das ist nur eine . . ."eine Verletzung. Komm, wir wollen jetzt den Raumanzug bereitmachen."

Plötzlich ertönte in der Kajüte eine heisere Bafistimme: „Hier spricht das Linienraumschiff ,Sarja'! Hier spricht das

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Linienraumschiff ,Sarja'! Infolge eines Zusammenstoßes mit einem unbekannten kosmischen Körper . . . " Und sie hörten wortwörtlich, was der Pilot über den Untergang der „Sarja" gefunkt hatte.

„Da haben wir's", sagte Petersen bitter, „das sind so die Streiche des Kometen. Wir kommen nicht durch. Die Funk­wellen werden zurückgeworfen. Aber wir versuchen es trotz­dem noch einmal."

Er setzte sich an den Empfänger, konzentrierte sich eine halbe Minute lang und begann mit ruhiger Stimme:

„Hier spricht das Raumschiff ,Sarja'! Zweite Mitteilung. Es ist der 20. Juli des Jahres 2064, 16 Uhr Erdenzeit (Mos­kauer Zeit). Wir haben das Bullauge geöffnet. Wir befinden uns im Kopf eines Kometen, in einem riesigen Schwärm von Eis- und Steinklumpen. Die erste Meldung über die Kata­strophe kam zurück, offenbar wurden die Funkwellen reflek­tiert. Ich wiederhole: Übriggeblieben ist nur der Bug des Schiffes. Zwei Personen sind gerettet: der Pilot der ,Sarja', Roald Petersen, und der Passagier Alexej Donzow.

Gehe auf Empfang. Gehe auf Empfang, Flugkapitän Roald Petersen." Der Alte erhob sich und öffnete, wobei er Aljoscha den

Rücken zukehrte, ein Schränkchen, dem er ein Arzneiröhrchen entnahm. Hastig - der Junge sollte nichts merken - schluckte er eine Tablette.

„Die Erde ist doch auch von Schichten umgeben, die Funk­wellen reflektieren", sagte Aljoscha.

„Ja, die Ionosphäre. Und sie dient uns redlich. Gäbe es sie nicht, wäre es unmöglich, eine Kurzwellenverbindung herzu­stellen. Aber das weißt du ja selbst, aus dem Unterricht. Unser Komet dagegen umgibt uns gleich einer harten Schale, die wahrscheinlich keine Wellen durchläßt."

„Aber sicher hat man doch unseren Kometen schon ent­deckt?"

„Möglich, mein Junge, möglich." Der Pilot setzte sich erneut an das Empfangsgerät und begann, es sorgfältig zu über­prüfen.

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„Du bist in Ordnung", murmelte er, nachdem er die Ein­zelteile des Gerätes untersucht hatte, „und auch du arbeitest gut. Und du . . . ja, auch du bist ganz." Petersen blickte nach­denklich zu Boden.

Aljoscha nahm wieder seinen Platz am Bullauge ein. Ja , die Sonne war immerhin sichtbar, doch sie war um vieles kleiner als die bekannte, die „Erdensonne". Die glitzernden Eisschollen kreisten nach wie vor, doch unter ihnen bemerkte Aljoscha auch dunkle Klumpen. Das waren wohl gewöhnliche steinerne Meteoriten, denen ähnlich, die zuweilen zur Erde gleiten.

Einige Minuten waren verstrichen, da hallte die Kajüte plötzlich von ohrenbetäubenden, unartikulierten Lauten wider; beide Durchsagen des Piloten waren zurückgekommen und dröhnten, sich gegenseitig übertönend, durch den Raum. Die erste Meldung klang ein wenig leiser, während sich bei der zweiten durch eine seltsame Laune unsichtbarer Naturgewalten fortwährend die stimmliche Klangfarbe änderte. In der pfei­fenden, hastigen Rede war nur schwer der ruhige Baft Peter­sens auszumachen.

„Ist das ein Durcheinander!" brummte der Kapitän. Aljoscha schwieg. Am liebsten hätte er sich die Ohren zu­

gehalten und die Augen geschlossen. „Hör mal, mein Junge", Petersen schaltete entschlossen das

Radio aus, „hast du schon einmal im Kosmos geschwebt?" „Nein, aber ich weift, daft es nicht allzu kompliziert ist. ' „Ja, wie soll ich sagen . . ." Der Pilot rieb sich sein läng­

liches Gesicht. „Ich möchte dich auf die Suche nach Wasser schicken. Glaubst du, daft du Angst bekommst?"

Aljoscha schüttelte den Kopf. Wenn er Furcht hatte, dann nur die, man könnte ihn für feige halten.

Petersen öffnete schweigend einen Wandschrank und holte den Raumanzug heraus. Das war eine schwarz-weifi karierte Kombination mit magnetischen Saugvorrichtungen an den Schuhsohlen und Handflächen und einem durchsichtigen Helm mit zwei Antennen, die an kleine Ziegenhörner erinnerten. In einem Rucksack waren kleine Sauerstoffflaschen unterge-

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bracht; auf der Rückseite des Anzugs blinkte ein goldener Ring, und an dem breiten Gürtel hingen zwei Raketenpistolen.

„Ich werde dich am Seil hinauslassen", sagte Petersen und rollte eine dicke Schnur auseinander. „Du kriechst in die Schleusenkammer und legst dich auf den Rücken. Ich schließe die Luke und drücke auf diesen blauen Knopf. Du wirst dann hinauskatapultiert. Zunächst wirst du dich drehen, wie das bei den ersten Kosmonauten der Fall war. Doch du brauchst keine Angst zu haben. Wir haben jetzt die Stabilisierungseinrich­tung, die es früher noch nicht gab. Du brauchst nur diesen Drücker zu betätigen, dann hört das Herumwirbeln auf."

Der Flugkapitän prüfte den Anzug aufmerksam auf seine Undurchlässigkeit.

„Wir haben diese Raumanzüge in der Schule kennenge­lernt", sagte Aljoscha. „Im Kosmonautenkabinett haben wir sie sogar angezogen. Der da ist anscheinend für vierund­zwanzig Stunden vorgesehen?"

„Ja." Petersen breitete den Anzug vor Aljoscha aus. „Er ist dir ein wenig reichlich, doch das ist nicht schlimm. Eigentlich müßte ich ja von Bord gehen, nur . . . weißt du . . . wenn die Ausstiegskammer defekt ist, dann ist es hier in der Kajüte gefährlicher als im Kosmos. Vergiß also nicht: Wenn du essen willst, nimm das rechte Rohr, das Nahrungsrohr, in den Mund. Wird es dir zu heiß, dann blase durch das linke, dieses hier. Das Mikrofon ist am Kinn. Alles klar?"

„Jawohl, Genosse Kapitän!" „Wenn du an die nächstgelegene Eisscholle herankommst,

halte dich an ihr fest und gib aus der Raketenpistole einen Schuß in die Richtung ab, die dem Raumschiff entgegengesetzt ist. Der Rückstoß treibt dich dann mit der Eisscholle zu mir. Na, zieh dich an."

In den Raumanzug zu gelangen war ziemlich schwierig, doch mit Petersens Hilfe war Aljoscha schon nach zehn Minuten in voller Ausrüstung. Der Pilot untersuchte alle Nähte, alle Teile des Anzugs, und erst dann stupste er Aljoscha zur Luke, deren hochgezogener Deckel mit einem dumpfen Laut hinter dem Jungen zuschnappte. Aljoscha legte sich auf den Rücken.

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„Fertig?" vernahm er Petersens Stimme. „Fertig!" „Achtung! - Es geht los!" Grelles Licht schlug in die Augen. Aljoscha liefj schnell den

Lichtfilter herunter. „Nur keine Furcht", ertönte im Helm die Stimme des Piloten,

„steure die erstbeste Eisscholle an! Ich lockere das Seil!" Das Seil, mit dem goldenen Ring verbunden, der sich an

Aljoschas Rücken befand, bewegte sich. Der Junge schloß die Augen und stieß sich vom Raumschiff ab.

Das erste, was er erblickte, war der abgeschlagene Bug der „Sarja", der im All schwebte. Er ähnelte einem riesigen Fisch­kopf. Die Ähnlichkeit war um so größer, als das vom Piloten geöffnete Schiffsfenster gleich einem runden gelben Auge hell leuchtete.

Das Seil wickelte sich allmählich ab. Aljoscha war bereits an die zehn Meter vom Wrack des

Schiffes entfernt. Wo ist nun die Sonne? überlegte er. Alles ringsum blitzte

und funkelte, doch an einem Punkt, gar nicht weit rechts von der „Sarja", war das Glitzern besonders stark - dort war es, dort strahlte er, der vertraute Himmelskörper. Aljoscha spürte seine Wärme selbst durch den Lichtfilter.

Das Atmen fiel leicht, und Aljoscha beruhigte sich wieder. In der Tat, dann und wann fing er an zu „trudeln", doch mit Hilfe des Stabilisators gewann er seine Standfestigkeit schnell wieder.

Das Seil straffte sich. Aljoscha hing fast unbeweglich daran, er schlenkerte mit Armen und Beinen.

„Wie steht's. Junge?" „Alles in Ordnung, doch bis zur Eisscholle ist es noch weit." „Das Seil reicht für hundert Meter. Ist in dieser Entfernung

nichts zu sehen?" „Nichts." Der Pilot schwieg einige Augenblicke. Wahrscheinlich dachte

er nach. „Genosse Kapitän!"

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„Ja?" „Ich hake das Seil ab und versuche, ans Eis zu gelangen,

indem ich die Raketenpistole benutze." „Nein. Komm zurück. Dieses Manöver werde ich selbst

durchführen." „Aber warum denn? Gerade habe ich den Ring zwischen den

Fingern . . . hier . . . oje!" Das Seil löste sich, und Aljoscha schwebte zur Seite. Inter­

essant war, daß die gespannte Schnur im Raum hängenblieb wie ein mit dem Lineal gezogener Strich.

„Bleib ganz ruhig", sagte Petersen. „Wenn es nun schon einmal passiert ist, halte Kurs auf die Scholle, die sich am nächsten befindet."

Aljoscha drehte sich mit dem Rücken zu einer nahege­legenen Eisscholle, streckte die Hand mit der Pistole aus und drückte auf den Abzug.

Sofort zog ihn eine mächtige Kraft vom Raumschiff fort. Im ersten Moment wurde es Aljoscha unheimlich, und un­willkürlich bewegte er Arme und Beine in dem Bestreben, sich zurückzuhalten.

„Es ist alles gut so, hab keine Angst, Junge", ermunterte ihn der Pilot.

Nein, es war doch nicht alles gut. Aljoscha jagte am Ziel vorbei. Die Eisscholle schwamm in einem Abstand von etwa fünf Metern an ihm vorüber. Es war ein richtiger Eisberg, der in seinem Umriß an den Sockel des Denkmals für Peter I. in Leningrad erinnerte.

„Das macht nichts", tröstete ihn Petersen, „ziele gut und schieße noch einmal."

Gut zielen ist leicht gesagt! Man mußte es nämlich mit dem Rücken zum Ziel tun. Aljoscha streckte den Arm aus, visierte an und drückte ab.

Diesmal war er anscheinend erfolgreicher. Der Gletscher wurde größer und bewegte sich auf Aljoscha zu. Näher, immer näher. Der Junge streckte die Arme aus und klammerte sich freudig an die scharfen Kanten der Eisscholle. J a , es war wirk­lich Eis!

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Er hatte Glück. Im Gletscher befand sich eine Vertiefung, eine kleine Höhle. Aljoscha kroch hinein, blickte zurück auf das weit entfernte Wrack der „Sarja" und feuerte einen Schuß ab.

Das Ergebnis war ganz anders, als Aljoscha es erwartet hatte: die Scholle begann sich zu drehen, und zwar furchtbar schnell.

„Genosse Kapitän! Was soll ich tun? Sie fliegt nicht zu Ihnen, sondern dreht sich!" schrie Aljoscha.

„Reg dich nicht auf. Das Wichtigste ist jetzt, daß du dich konzentrierst. Überlege genau, wann du schießen mußt. Der Stoß muß senkrecht zur Oberfläche der Eisscholle erfolgen. Hast du verstanden?"

Aljoscha hatte alles begriffen, aber es war keineswegs leicht, bei einer so unförmigen Gestalt des Gletschers die Senkrechte zu finden.

Schließlich gelang es ihm doch noch, die Scholle in die ge­wünschte Richtung zu bewegen. Der „Fischkopf" näherte sich merklich. Und wenn Aljoscha nun den Schiffsbug rammte? Vor Aufregung bekam er Herzstechen.

Das gelbe Licht des Bullauges kam immer näher - eine Minute darauf waren zwei Schollen - eine stählerne, die andere aus Eis - miteinander gekoppelt.

Neue Qualen

Sie lagen einander auf schmalen Sofas gegenüber und konn­ten nicht einschlafen. Bei Aljoscha war es Müdigkeit, den Piloten hingegen quälten unruhige Gedanken.

Die Stille wurde nur vom Surren der Automaten und vom leisen Knarren der Schiffsverschalung unterbrochen, an der sich, kaum merklich, die Eisscholle rieb.

„Genosse Kapitän", Aljoscha richtete sich auf, „schlafen Sie nicht?"

„Nein, Junge. Ich überlege, wohin uns der Komet trägt: zur Sonne hin oder von ihr weg, auf einer Ellipse oder einer

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Parabel." Petersen stand auf und dehnte sich. „Ich werde ver­suchen, es von unserem Ratgeber zu erfahren."

„Ein Ratgeber?" Aljoscha sprang vom Sofa. „Ja, wir haben einen kybernetischen Berater. Zwar besitzen

wir nur wenig Daten, aber ich versuche es trotzdem", und Petersen vertiefte sich in die Berechnungen. Er holte das Bord­buch hervor, schrieb die letzten Eintragungen heraus, dann setzte er sich mit einem Winkelmesser ans Bullauge und zir­kelte lange nach dem Punkt, der am hellsten strahlte.

Der ratgebende Roboter erinnerte an eine altertümliche Wanduhr. Wenn er auch kein Pendel hatte, so vibrierten doch auf einem breiten Zifferblatt sechs verschiedenfarbige Zeiger. Petersen dirigierte sie vorsichtig auf die benötigten Abmes­sungen und schaltete den Strom ein.

Der Roboter begann zu summen und zu klicken und sagte dann metallisch klar:

„Die Geschwindigkeit liegt bei vierzig Kilometern in der Sekunde. Die Entfernung zur Sonne beträgt etwa hundert­achtzig Millionen Kilometer."

Petersen rieb sich das unrasierte Kinn. „Wir jagen der Sonne entgegen. Die Geschwindigkeit wird sich noch erhöhen. In Kürze werden wir an der Erde vorbeifliegen. Kann es denn sein, daft man uns nicht entdeckt hat? Unseren Kometen müß­ten die Astronomen doch zumindest bemerkt haben!"

Der Pilot erhob sich und packte eine Kiste voller Konser­ven, Konzentratpäckchen und Tuben mit Nahrungspaste aus -die traditionelle „Katastrophennahrung" der Kosmonauten.

„Das ist alles", sagte der Alte, „sehr wenig." „Sie haben doch aber gesagt, daß die Lebensmittel für einen

Monat reichen?" fragte Aljoscha erstaunt. „Ich wollte dir Mut machen. Die Nahrung reicht für fünf­

zehn Tage. Wir müssen sie in Rationen aufteilen. Zuerst essen wir die Konserven, die Tuben zum Schluß."

Aljoschas Herz krampfte sich zusammen. Furcht ergriff ihn und ein bitteres Gefühl der Hilflosigkeit. Doch er zwang sich mit starren Lippen zu den Worten: „Man wird uns in einigen Tagen finden."

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Nur scheinbar lieft sich Petersen von der Antwort täuschen. Er schaute Aljoscha mit traurigen, erloschenen Augen an und dachte bei sich: Deine Zuversicht möchte ich haben. Laut aber brummte er: „Das ist nun unsere Jugend: immer behält sie die Ruhe, nichts erscheint ihr ungewöhnlich. Wie sollte es auch anders sein! Von Kindheit an hört sie immer wieder: Zehn Milliarden Menschen sorgen sich um dich! Rings um dich sind Automaten. Du brauchst nur zu wollen, und du bekommst alles."

Eintönig zogen die Stunden dahin. Das Schwerste war nicht die Beschränkung, die sie sich im Essen auferlegen muftten, sondern die erzwungene Untätigkeit, das Unvermögen, aktiv gegen das Unglück anzukämpfen.

Sie kreuzten die Erdbahn und riefen vergeblich den hei­matlichen Stern. Zur Antwort dröhnten ihnen wie zum Hohn gräftliche Mißtöne entgegen. Es waren ihre eigenen Durch­sagen, die verstümmelt zu ihnen zurückkehrten.

Aljoscha bat Petersen wiederholt, im Kosmos „schwimmen" zu dürfen, doch der Pilot erlaubte es nicht.

„Schone den Raumanzug, Aljoscha. Wenn unsere Automaten versagen und man nicht mehr in der Kajüte leben kann, wird er dich retten."

„Und Sie? Wir haben doch nur einen Raumanzug.' „Ach was! Ich bin ein alter Mann. Ich habe mein Leben hin­

ter mir. Du aber stehst erst am Anfang." Aljoscha schlief, entkräftet wie er war, sehr fest und hörte

nicht, wie sich Petersen vorsichtig von seinem Lager erhob. Der Alte war aschfahl und stand lange Zeit schwankend da, die Schultern gegen die Wand gelehnt. Er ging, mühsam ein Bein vor das andere setzend, zu der Kiste mit den Lebensmit­teln, dachte einige Minuten nach und sortierte dann die Tuben und Päckchen mit den Konzentraten um. Danach holte er -offenbar hatte er einen Entschluß gefaßt - unter dem Sofa den Strahlenschutzmantel hervor und zog ihn sich über, wobei er laut mit dem rauhen Gewebe raschelte. Er trat an den schlafenden Aljoscha heran, beugte sich über ihn, flüsterte irgend etwas und öffnete gleich darauf eine kleine Wandtür

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mit der roten Aufschrift: „Eintritt ohne Schutzanzug unter­sagt. Strahlung."

Der Pilot blieb lange fort. Hinter der Tür waren seltsame Laute zu hören: Zischen, Pfeifen, abgehackte Sätze. Zwei Stunden vergingen . . .

Aljoscha öffnete die Augen. Vor ihm stand Kapitän Peter­sen, angetan mit einem gelben, durchdringend riechenden Mantel. f

„Bist du aufgewacht. Junge? Ich muß dich von einer dum­men Sache in Kenntnis setzen: Die Automaten müssen neu aufgeladen werden, andernfalls sind wir verloren. Wir müs­sen uns für einige Zeit trennen. Erschrick nur nicht! Ich bleibe ja nicht ewig weg, außerdem wirst du meine Stimme hören. Ich gehe jetzt und fange an."

Der Alte zeigte auf die Tür mit der roten Aufschrift. „Das ist eine langwierige Angelegenheit. Ich nehme Lebensmittel und Wasser mit. Sorge dich also nicht um mich. Du wirst in der Kajüte bleiben, und ich bin dort, hinter der Tür. Die Arbeit wird einige Tage dauern, und ich kann zwischendurch nicht herauskommen. Auf Wiedersehen, mein Junge."

„Warten Sie doch!" schrie Aljoscha. „Wieso denn das? Ich habe noch nicht verstanden: Warum können wir nicht zusam­men arbeiten? Ich möchte nicht allein bleiben! I c h . . . ich werde wahnsinnig! Gehen Sie nicht fort!"

Petersens Gesicht wurde streng und abweisend. „Sei still und führe den Befehl aus! Du hast mir versprochen;

tapfer zu sein, ein richtiger Mann, und du verlierst die Nerven schon bei der ersten Komplikation. Ein Kosmonaut darf die Einsamkeit nicht fürchten, daran mußt du dich gewöhnen. Ich werde ja hinter der Tür sein, ganz nahe." Petersen wandte sich brüsk von Aljoscha ab. „Leb wohl!"

Die Tür schnappte mit einem metallischen Klingen zu. Aljoscha blieb allein zurück.

Hartherzig und boshaft ist der Alte! dachte er gekränkt. Ich habe an ihm gehangen und ihn bedauert, aber er kümmert sich nicht um mich! Wahrscheinlich schließt er sich mit seinen Automaten ein, weil ich ihm langweilig geworden bin. Ich

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werde mich rächen und nicht mehr mit ihm reden. Soll er sitzen und arbeiten.

Das war leicht gesagt, doch schwerer getan. Schon nach zwei Tagen fühlte sich Aljoscha unerträglich einsam. Er schlief viel, aß und trank, ohne sich an die von Petersen genau fest­gesetzten Rationen zu halten. Oder aber er lag faul auf dem Sofa und pfiff seine Lieblingslieder vor sich hin. Lieder gab es genug, doch diese Art der Beschäftigung wurde Aljoscha bald über. Er kramte ein Heft hervor und wollte Tagebuch führen. Allerdings hätte er, um schreiben zu können, irgend etwas erlebt haben müssen, doch seit dem Tag, an dem sich Petersen in der Automatenkabine verschanzt hatte, gab es keinerlei Vorkommnisse. Hinter der Tür mit der roten Auf­schrift konnte man Seufzer, Krächzen und heisere Ausrufe hören. Von Zeit zu Zeit vernahm Aljoscha die ihm sattsam be­kannten Ratschläge Petersens, die alle darauf hinausliefen, dafj er Ruhe bewahren solle und, falls es in der Kajüte unerträglich würde, den Raumanzug anlegen müsse.

Aljoscha überraschte sich dabei, wie er immer wieder den Satz schrieb: „Was soll ich blofj tun? Wenn der Pilot doch möglichst schnell mit der Reparatur fertig würde!"

So zogen sich die Tage endlos dahin, einer nach dem anderen.

„Wir nähern uns der Sonne", sagte Petersen unerwartet laut hinter der Tür, „reg dich nicht auf, mein Junge. Die Automa­ten verringern die Temperatur, jetzt sind plus fünfundzwanzig Grad. Ich arbeite weiter. Ich habe noch sehr viel zu tun. Lang­weile dich nicht."

„Genosse Kapitän!" schrie Aljoscha, sprang zur Tür und hämmerte mit den Fäusten gegen den kalten Stahl. „Lassen Sie mich ein!"

„Reg dich nicht auf, mein Junge", röchelte Petersen zur Antwort, „ich kann die Tür nicht öffnen. Wegen der Strahlung. Du hast keinen Schutzmantel. Denke daran, wir nähern uns der Sonne. Wenn es sehr heiß wird, unerträglich heiß, zieh den Raumanzug an."

J a , es wurde heiß. Aljoscha schaute auf das Thermometer.

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Zweiunddreißig Grad! Er legte die Oberbekleidung ab, setzte sich auf den Fußboden und trank ein Glas Wasser.

Das hätte er nicht tun dürfen. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren und floß ihm sogar in die Augen.

„Nur ruhig, mein Junge", sagte Petersen wiederum, „wenn es heiß wird, unerträglich heiß, zieh den Raumanzug an. Ich arbeite weiter. Ich habe noch viel zu tun."

Das Thermometer zeigte unterdessen vierzig Grad an! Aljoscha war erschöpft. Es fehlte nicht viel, und sein Blut

würde zu sieden beginnen. „Ich kann nicht mehr!" schrie er, kroch zur Tür und preßte

das Gesicht an die Stahlplatte. Er erwartete angenehme Kühle, doch die stählerne Tür

hatte sich bereits wie ein Ofen erwärmt. „Bleib ruhig, mein Junge", krächzte die Stimme des Piloten

aus der Kabine, „wenn es heiß wird, unerträglich heiß, zieh den Raumanzug an. Ich arbeite weiter. Es gibt noch viel zu tun."

Mit schweißnassen, schwachen Händen zog Aljoscha langsam den Raumanzug über. Das imprägnierte Gewebe glitt immer wieder aus den Fingern.

Das Thermometer stand auf fünfundfünfzig Grad! Uff! Aljoscha verspürte sofort eine Erleichterung. Der An­

zug regulierte die Temperatur ausgezeichnet. Aljoscha lebte auf und nahm gierig einige Schlucke Nahrung zu sich.

Der Helm ließ keinen Laut durch, und so hatte Aljoscha mit Petersen keine Verbindung. Wie mochte der Alte bloß eine solche Hitze in der engen Automatenkabine ertragen!

Nur schnell hinaus! Aljoscha kroch in die Luke und schloß den Deckel hinter

sich. Niemand war da, der ihn katapultieren konnte, und so mußte er den Außenausstieg selbst öffnen. Recht und schlecht gelang ihm das auch. Was er im Umkreis der „Sarja" erblickte, ließ ihn für eine Weile Petersens Verschwinden und seine eigene verzweifelte Lage vergessen.

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Dicht an der Sonne

Das war eine gewaltige Sonne, vielleicht fünfmal so groß wie gewöhnlich. Auf ihrer gelblichweihen Scheibe, die von einer Unmenge blauschwarzer Punkte übersät war, stand ein blutroter Flammenwald. Es war furchterregend, sie anzu­sehen, doch man konnte die Augen unmöglich von diesem großartigen Anblick losreißen.

Alles versank in Feuer und Licht. Aljoscha schien es, als verspüre er durch den Raumanzug den mächtigen Hitzedruck ihrer Strahlen.

Aljoscha wandte sich von der Sonne ab und stellte über­rascht fest, daß die Eisschollen, die vor noch gar nicht langer Zeit den Raum um die „Sarja" durchfurcht hatten, verschwun­den waren. Der grünliche Dunstschleier hatte sich in durch­dringendes Licht verwandelt, das immer intensiver wurde und schließlich den halben Himmel überflutete.

Außerdem hing in dem hellgrauen Raum eine rötlichgelbe Scheibe, die ganz und gar mit Kraterkolonien bedeckt war.

Der Mond? Aber wie kam der Mond neben die Sonne? . Der Merkur! Natürlich, das war der Merkur! Dann müßte

es dort auch Menschen geben. Schon das zweite Jahr befand sich auf dem Nordpol dieses

Planeten eine wissenschaftliche Station, deren Hauptaufgabe in der Erforschung der Sonne bestand. Die Forscher besaßen ein kleines Raumschiff für den Fall, daß die Station unverzüg­lich evakuiert werden mußte. Wenn er sich ihnen doch be­merkbar machen könnte!

Lange blickte Aljoscha auf die kahle, gefurchte Oberfläche des Merkur. Dieser Planet hatte große Ähnlichkeit mit dem Mond. Nicht zufällig war der namhafte Selenologe Jean Lecoq zum Leiter der Station berufen worden.

Dann bemerkte Aljoscha, daß die steinernen Meteoriten -die Eisschollen waren ja verschwunden - nach wie vor um das Zentrum des Schwerpunktes kreisten.

Ja , der Komet existierte, auch wenn er einen Teil seiner Schätze abgegeben hatte. Er umflog die Sonne und würde sich

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vielleicht wieder einen Eisvorrat zulegen, wenn er sich weit ge­nug von dem wärmenden Himmelskörper entfernt hatte.

Es war unerträglich, auf die riesige, zottige Sonne zu schauen. Trotz des starken Lichtfilters mußte Aljoscha dann und wann die Augen schließen. Er kroch auf die „Schatten­seite" der „Sarja", doch der Schiffsbug drehte sich, und sehr bald schon war Aljoscha genötigt, sich erneut vor der vernich­tenden Hitze zu retten.

So vergingen einige qualvolle Stunden. Von all den unange­nehmen Geschehnissen, den anwachsenden Gefahren und den grandiosen, ungewöhnlichen Bildern drehte sich Aljoscha der Kopf. Indem er mehr dem Instinkt als dem Verstand ge­horchte, mied er die Sonne und wechselte mehrmals in den Schatten über.

Dann hob er den Deckel der Ausstiegskammer an - er konnte sich absolut nicht mehr besinnen, wie das vor sich gegangen war - und kroch wie eine Eidechse in die Luke. Dort lag er sehr lange ohne Bewußtsein. Endlich kam er wie­der zu sich.

Luft und Nahrung im Raumanzug reichen nur für vierund­zwanzig Stunden, erinnerte sich Aljoscha.

Er beschloß, die Rückkehr in die Kajüte des Piloten zu riskieren. Wenn die Automaten noch arbeiteten, so war dort ein fast unbegrenzter Vorrat an Luft. Zwar nur an heißer Luft, aber der Komet konnte sich ja nicht ewig in unmittelbarer Nähe der Sonne aufhalten.

Voller Furcht nahm Aljoscha den Helm ab. Überall Stille. Petersen schwieg. Nur die Geräte klickten. Die Temperatur war gesunken - plus vierzig Grad. Das war viel, doch es war zu ertragen.

„Genosse Kapitän!" rief Aljoscha und näherte sich der Tür mit der roten Aufschrift. „Leben Sie noch?"

„Es ist alles in Ordnung, Aljoscha. Du brauchst keine Angst zu haben", antwortete die heisere Stimme Petersens. „Ich arbeite weiter."

Bedrückt kletterte Aljoscha aus dem Raumanzug und atmete voller Abscheu die nach Gummi und Leder riechende Luft ein.

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„Wann werden Sie denn mit der Arbeit fertig sein?" fragte er und streckte sich auf dem Fußboden aus. „Ich verliere fast den Verstand vor Langerweile."

„Du brauchst keine Angst zu haben, Aljoscha", wiederholte der Pilot, „es gibt viel zu tun. Wenn die Automaten versagen, zieh den Raumanzug an!"

Aljoscha schlief ein und erwachte vor Kälte. Er sprang auf und begriff nicht gleich, warum auf dem Schaltpult der Auto­maten rote Lämpchen brannten. Das Atmen fiel schwer. Das Licht flackerte.

„Genosse Kapitän! Genosse Kapitän!" rief Aljoscha verzwei­felt und hämmerte mit den Fäusten gegen die Stahltür. „Was ist geschehen? Warum schweigen Sie?"

„Du brauchst keine Angst zu haben, Aljoscha", sagte der Pilot in schleppendem, heiserem Flüsterton, „es gibt . . . v i e l . . . zu tun. Wenn . . . die . . . Automaten . . . versagen . . .", seine Stimme ging in einen kaum hörbaren Seufzer über und verstummte.

Die Automaten haben versagt! Aljoscha stürzte zum Raum­anzug und legte sich mit zitternden Händen das schwere, eisig anzufühlende Kleidungsstück an. Er begriff, daß ihn jetzt nicht mehr die Hitze bedrohte, sondern die Kälte.

Der Komet schlug einen Bogen um die Sonne und jagte in Finsternis und Kälte davon.

Die Lampen leuchteten plötzlich hell auf, die mit Rauhreif bedeckten Wände der Kapitänskajüte erglühten. Das war der letzte Energieausbruch.

Noch einige Sekunden - und eisige Finsternis umfing Aljoscha.

Die „Merkur I"

Über dem gezackten Horizont hing am schwarzvioletten Himmel eine riesige gelbe Sonne. Überflutet von sengendem Licht und zerklüftet von Rissen, ragten die roten Berge des Merkur in die Höhe.

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Eine seltsame Welt war das! Die eine Halbkugel verküm­merte in grellem Licht und glühender Hitze, während die an­dere in ewiger Finsternis und Kälte erstarrt war. Luft gab es hier nicht. Es existierte eine spärliche Atmosphäre aus fremd­artigen Gasen, die dem Himmel diese violette Schattierung gaben.

In der breiten Schlucht eines der roten Berge, unmittelbar an der Grenze von Tag und Nacht, von Wärme und Kälte, schimmerte silbern die Forschungsstation „Merkur I". Das Gebäude bestand aus einem breiten Zylinder mit einer hohen Kuppel, der zu einem Drittel in den felsigen Untergrund ein­gegraben war. Sechs kreisförmige Kajüten blickten aus sechs erleuchteten, von mächtigen Lichtfiltern wie mit dicken Lidern überdeckten Bullaugen auf die rauhe Landschaft.

Schon zwei Jahre arbeitete die Station. Es war die mensch­liche Ansiedlung, die sich der Sonne am nächsten befand. Schwierige Aufgaben standen vor den Forschern; vor allem galt es, Erfahrungen über das Auftreten von Sonneneruptio­nen zu sammeln.

Kein einziger Kosmonaut, der sich innerhalb des Sonnen­systems, vor allem zwischen den in Erdnähe gruppierten Pla­neten, bewegte, war mit seinem Raumschiff vor einem plötz­lichen Strahlungsausbruch sicher. Im voraus darüber infor­miert zu sein, die Möglichkeit zu haben, sich vor diesem Ausbruch zu schützen, das war das Problem Nummer eins. Selbst das Kartografieren des Merkur stand bei den Forschern an zweiter Stelle.

Sechs Menschen unterschiedlicher Charaktere und Gewohn­heiten, die für lange Zeit von Verwandten und Freunden ge­trennt waren, arbeiteten, so sonderbar das klingen mag, ge­regelt und ohne Zwistigkeiten. Jeder beherrschte neben seiner Muttersprache noch mindestens zwei Sprachen. Bei den Wis­senschaftlern war ein Scherz gebräuchlich: „Wir grüßen uns, verabschieden uns und schimpfen jeder in seiner Sprache." Kurz gesagt, sie waren Freunde.

Auf dem Tisch des Leiters der „Merkur I" lag ein Verzeich­nis aller auf der Station Tätigen:

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1. Jean Lecoq - Direktor, Planetologe. 2. Hans Günther - stellvertretender Direktor, Astronom. 3. Robert Jackson - Physiker, Kybernetiker. 4. Antti Timonen - Raumschiffpilot, Funker, 5. Pjotr Orljankin - Biologe, Arzt. 6. Giacomo Trojani - Mechaniker, Koch. Zur Ausrüstung der Forscher gehörten zwei Sternenfahr­

zeuge. Eins für Exkursionen in die kalte Zone des Planeten, das zweite für Fahrten auf der heißen Halbkugel. Das eine war mit einem gewaltigen Heizsystem ausgestattet, das andere mit einer noch größeren Kühlanlage.

Für den Notfall, für eine sofortige Evakuierung stand das kleine Raumschiff „Hermes" zur Verfügung.

Das Kosmodrom, die Vorräte an Treibstoff und Lebensmit­teln, die sonstigen Reserven und schließlich die Atomanlage befanden sich auf der Schattenseite des Merkur, denn gegen die Kälte kämpft es sich leichter als gegen die Hitze.

Warnung an alle! Warnung an alle!

Jean Lecoq hatte einen unangenehmen und dummen Traum: Er stand im weißen Vorlesungssaal des Instituts für kosmische Physik und wollte über die tätigen Vulkane des Merkur sprechen. Es war knackend voll! Alle schauten ihm auf den Mund, aber er konnte absolut keinen Anfang finden. Alle lachten. Der Vorsitzende klingelte. Wieder lachten alle. Das Klingeln wurde lauter und lauter . . .

Erst jetzt öffnete Lecoq die Augen. Das Fernsehtelefon läutete.

„Wer ist dort?" fragte er heiser. „Guten Morgen, Jean." Auf dem Bildschirm erschien das

rundliche, blauäugige Gesicht Hans Günthers. „Bonjour! Du hast mich eine Stunde zu früh geweckt. Ist

irgend etwas passiert?" „Eine schlechte Neuigkeit, Jean. Ich habe meine Jahresbeob­

achtungen Robert zum Analysieren gegeben . . ."

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„Ich weifj." „Das Ergebnis liegt jetzt vor. Übrigens kann er es dir selbst

sagen." Günther verschwand, und Lecoq blickte in Jacksons längliches Gesicht mit dem markanten Kinn.

„Salut, Chef!" ertönte die Baßstimme des Physikers. „Also . . . es ist eine Chromosphäreneruption von ungewöhn­licher Stärke zu erwarten."

„Lügen deine Roboter auch nicht?" Robert zuckte die Achseln. „Es wurde zweimal analysiert. Die Resultate stimmen über­

ein." „Und wann ist die Eruption zu erwarten?" „Zwischen der hundertsten und der siebenhundertsten

Stunde." „Hm." Lecoq rieb sich die Spitze seiner langen Adlernase

und runzelte die buschigen schwarzen Brauen. Das war seine typische Geste, wenn er nachdachte. „Ruf alle zusammen! Wir müssen sofort eine Warnung losschicken."

Kurz darauf waren alle Mitarbeiter der Station im Gemein­schaftszimmer versammelt.

„Tim", wandte sich Lecoq an einen rothaarigen, grünäugi-gen Riesen, „eine eilige Durchsage!" Und er verlas den Text, wobei er jedes Wort deutlich artikulierte: „Warnung an alle! Warnung an alle! Hier Station ,Merkur I ' l Hier Station ,Mer-kur I ' :

An alle Kosmonauten, an alle Monteure auf Kosmosstatio­nen, an alle Planetologen, die eines natürlichen Schutzes durch die Atmosphäre beraubt sind!

Auf der Sonne ist eine Chromosphäreneruption von unge­wöhnlicher Stärke zu erwarten. Es ist notwendig, Schutzmaß­nahmen zu treffen. Die Raumschiffe müssen auf ihre Stütz­punkte zurückkehren. Mit der Eruption wird nicht vor der hundertsten und nicht nach der siebenhundertsten Stunde ge­rechnet.

Hier Station .Merkur I ' l Warnung an alle! Hier Station .Merkur I ' !"

„Sind alle mit diesem Text einverstanden?"

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Page 27: Der seltsame Funkspruch

„Bene, bene, maestro!" antwortete der kleine, kräftige Mechaniker Giacomo Trojani, dessen Wangen ungeachtet der täglichen Rasur schwärzlich schimmerten, und wie er hatten auch die anderen nichts einzuwenden.

Der seltsame Funkspruch

„Und es ist trotzdem bemerkenswert!" rief der „jüngste Mensch auf dem Planeten" aus, so nannten die Kameraden den fünfundzwanzigjährigen Petja Orljankin.

Lecoq zog die Stirn kraus. „Bemerkenswert?" „Natürlich! Das ist einmalig in der Geschichte der Erde!

Versteht ihr? Einmalig! Der Mensch hat eine Eruption auf der Sonne vorausgesagt! Wir sind schon Kerle! Ich bin stolz auf unsere Station!"

„Na, ist das nicht etwas verfrüht?" antwortete Lecoq. „Un­sere Prognose kann ungenau sein. Noch schlimmer wäre es, wenn wir mit unserer Warnung zu spät kämen. Vielleicht gibt es jetzt gleich, in diesem Augenblick, einen Knall auf der Sonne."

Orljankin verstummte, doch nur für kurze Zeit. „Ich stelle mir vor, wie nach unserer Warnung der Kosmos

vereinsamt. Die Linien zum Mond, zum Mars und zur Venus werden bis auf weiteres gesperrt. Wieviel unvorhergesehene Trennungen das mit sich bringt!"

„Hoffentlich wird unser Frachtschiff nicht aufgehalten", sagte Trojani aufgeregt, „unsere Fleischvorräte sind fast er­schöpft. Wir möchten nicht unbedingt auf Tubennahrung über­gehen."

„Übrigens, es ist Zeit zum Frühstücken", mahnte Jackson. „Es gibt doch hoffentlich heute nicht wieder Makkaroni?"

„Nein, grimmiger Australier, du bekommst ein Steak mit Zwiebeln" - Trojani begann, mit Töpfen und Tiegeln zu hantieren.

Das Frühstück näherte sich dem Ende, und alle wunderten sich, dafi Timonen noch nicht da war.

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„Gibt er etwa noch immer die Warnung durch?" fragte Lecoq. „Hast du ihn gerufen, Giacomo?"

„Ja, natürlich. Und zur Antwort bekam ich . . . wie war das gleich? - Perkele! Finnisch kann ich zwar nicht, aber dieses Wort ist mir, seit ich unseren Tim kennengelernt habe, ein Begriff."

Alle lachten-. „Unser Funkmaestro fängt irgendeine Nachricht aus dem

Kosmos auf", fuhr Trojani fort, „und was er dabei für ein Gesicht zieht! Wahrscheinlich hat er Bekanntschaft mit einem hübschen Mädchen aus der Welt des Alpha Centauri ge­schlossen."

„Ein Hilferuf!" unterbrach ihn Timonen, der in diesem Augenblick hereingekommen war. Er legte das geöffnete Log­buch vor Lecoq hin.

„Hier spricht das Raumschiff .Sarja'! Zweite Mitteilung. Es ist der 20. Juli des Jahres 2064, 16 Uhr Erdenzeit (Moskauer Zeit). Wir haben das Bullauge geöffnet", las Lecoq zunächst leise, dann immer lauter werdend. „Wir befinden uns im Kopf eines Kometen, in einem riesigen Schwärm von Eis- und Stein­klumpen. Die erste Meldung über die Katastrophe kam zu­rück, offenbar wurden die Funkwellen reflektiert. Ich wieder­hole: Übriggeblieben ist nur der Bug des Schiffes . . . " Lecoq las den Schluß und schaute Timonen fragend an. „Hast du geantwortet?"

„Ja. Aber es funkt niemand zurück. Vielleicht sind sie . .. umgekommen ? "

„Das wäre ja furchtbar!" „Man muh auf der Erde nachfragen!" „Ich kannte Petersen. Armer Alter!" Die Wissenschaftler sprachen alle durcheinander. Zu ihrer

Verwunderung war Lecoq nicht im geringsten erregt. „Beruhigt euch, Kameraden! Da will uns jemand hinters

Licht führen. Der dumme Scherz eines Funkers, den das lange Alleinsein im Kosmos übermütig gemacht hat. Habt ihr nicht auf das Datum geachtet? Es war der 20. Juli. Demnach hätte uns der Funkspruch erst nach zwanzig Tagen erreicht! Von wo

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wurde er dann aber abgeschickt? Vom Transpluto? Oder von einer benachbarten Galaxis?"

„Moment mal, Jean", schaltete sich Günther ein, „das Datum kann beim Empfang verwechselt worden sein. Tim, war die Verbindung gut?"

„Sehr schlecht, Hans. Viele Störungen, die Worte waren kaum verständlich. Aber das Datum habe ich deutlich gehört", sagte Timonen entschieden.

„Funkwellen sind schließlich kein Fleisch und kein Gemüse, das man zwanzig Tage lang konservieren kann!" bemerkte Lecoq ärgerlich. „Unser nächstes Gespräch mit der Erde ist in drei Stunden. Ich denke, wir werden dann erfahren, daß die ,Sarja' wohlbehalten auf dem Mars gelandet ist."

„Wir dürfen aber keine drei Stunden warten!" rief Orljan­kin.

„Das ist ein besonderer Fall! Wir müssen sofort mit der Erde sprechen!" unterstützten ihn alle.

Lecoq ließ den Blick über die Kameraden schweifen. „Wenn ihr meint. . . Also gut. Wir rufen sie. Komm, Tim!" Und er verschwand mit dem Funker in dessen Kabine.

„Ich gehe inzwischen ins Observatorium." Günther erhob sich. Über eine Wendeltreppe gelangte er zur Kuppel, wo sich sein Arbeitszimmer befand.

„Wo habe ich nur die Koordinaten?" murmelte der Astro­nom, wobei er in den Schubladen wühlte.

Einige Minuten später schwenkte das Fernrohr, von einem tiefen Brummton begleitet, zum Mittelpunkt der Kuppel, die sich mit einem leichten Klingen öffnete. Nachdem sie das Rohr in den oberen Teil des Observatoriums, der ausschließlich für Beobachtungen bestimmt war, eingelassen hatte, schloß sie sich wieder.

Günther saß am Tisch und betätigte das Schaltpult, während der Suchautomat den kürzlich entdeckten Kometen ausfindig machte, der die Bezeichnung „Günther 2063" erhalten hatte.

Die Zahl bedeutete das Entdeckungsjahr.

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Was ist zu tun?

„Nun, was ist los?" „Was sagt die Erde?" Orljankin, Trojani und Jackson umringten Lecoq. Der aber

schaute finster drein und zögerte mit der Antwort. „Die Erde hat, genau wie wir, den Funkspruch der ,Sarja'

empfangen", sagte Lecoq langsam, fast unwillig. „Die Erde glaubt, daft die ,Sarja' tatsächlich zerschellt ist. Man hat ver­sucht, das Raumschiff ausfindig zu machen, aber ohne Erfolg. Es wurde aus der Liste der Kosmosflotte gestrichen."

„Aber was ist mit Petersen und Donzow?" fragte Orljankin. „Ebenso wie wir kann auch die Erde nicht verstehen, warum

der Funkspruch der ,Sarja' zwanzig Tage gebraucht hat. Das ist unerklärlich. Doch selbst wenn der Kapitän und der eine Passagier unmittelbar nach der Katastrophe noch gelebt haben, so sind sie wahrscheinlich ums Leben gekommen, als der Komet mit ihnen zur Sonne jagte."

„Und die Erde entsendet kein Suchschiff?" fragte Orljankin entsetzt.

„Nein", entgegnete Lecoq. „Und warum nicht? Das ist doch unmenschlich!" „Es geht nicht, weil wir selbst eine Warnung in den Kosmos

geschickt haben. Habt ihr das vergessen? Die Sonneneruption! Man darf kein Menschenleben in der vagen Hoffnung aufs Spiel setzen, irgendwo in Sonnennähe ein Wrackteil der ,Sarja' mit zwei Leichen zu finden. Und wo soll man überhaupt suchen?"

„Hol's der Teufel!" Jackson lachte bitter. „Unsere alte Mut­ter Erde ist zum Erschrecken logisch. Ja , in der Tat, wer sagt uns, um welchen Kometen es sich handelt und wo er sich jetzt befindet."

„Ich werde es euch sagen", ertönte von oben eine Stimme. Alle hoben die Köpfe. Auf der Treppe stand Günther. „Es war mein Komet", erklärte er, wobei er einigen Nach­

druck auf das Wort „mein" legte. „Der Komet .Günther 2063 ' . Sein Kern ist von einem besonders starken elektromagneti-

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sehen Feld umgeben, deshalb konnte kein einziges von Peter­sens Signalen zu uns gelangen."

„Aber wir haben sie dennoch vernommen", erwiderte Orljankin.

„Ja, weil der Komet seine Panzerung verloren und sich überhaupt um einiges verändert hatte, nachdem er um die Sonne gebogen war. Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Kometen ,Bely' 4m Jahre 1872 oder mit dem berühmten Ko­meten ,Enke', der den Meteorenschwarm der Tauriden hervor­gebracht hat, ähnlich verhielt es . . ."

„Komm zur Sache, Hans!" rief Lecoq. „Ich spreche ja zur Sache. Mein Komet hat seinen elektro­

magnetischen Panzer verloren, sich dafür aber einen üppigen Schweif zugelegt", und Günther legte ein Foto auf den Tisch.

„Was? Diese geschweifte Schönheit ist dein Komet?" fragte Trojani erstaunt.

„Genau. Als ich ihn entdeckte, war er nur ein verblichener Fleck mit einem grellen Punkt - dem Kern. Jetzt ist er nicht wiederzuerkennen."

„Wenn aber kein elektromagnetisches Feld mehr vorhanden ist", bemerkte Orljankin, „dann müßten wir doch mit Petersen und Donzow, sollten sie noch am Leben sein, Verbindung aufnehmen können!" '

Der Astronom nickte. „Eines allerdings ist unverständlich -das Datum. Funkwellen kann man unmöglich konservieren. Das ist rätselhaft. Es wäre gut, wenn wir zu dem Kometen fliegen könnten; er ist uns jetzt verhältnismäßig nah - zehn Millionen Kilometer. Diese Entfernung wird sich einige Tage lang halten. Seine Umlaufbahn und die des Merkur haben sich angenähert. Danach wird er einen Bogen um uns machen und sich sehr weit in seitlicher Richtung entfernen."

„Und seine Geschwindigkeit?" „Etwa vierzig Kilometer in der Sekunde." „Man könnte das Schiff einholen, die Geschwindigkeit an­

gleichen und begann Jackson, doch er wurde von Timo-nens Ausruf unterbrochen: „Die .Sarja' ist gefunden! Die .Sarja' hat geantwortet!"

X

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Autruhr

„Wer hat dir geantwortet, Tim? Der Kapitän?" „Ja. So ein heiserer Bafi. Er konnte gerade noch sagen: .Hier

spricht die »Sarja«, gehe auf Empfang', dann rifj seine Stimme ab."

Alle schauten sich an-. „Irgend etwas ist dort wieder passiert!" Lecoq schritt am

Tisch auf und ab. „So ein verhextes Raumschiff!" „Vielleicht haben sie keine Luft?" „Oder sie verhungern?" „Jean!" Günther wandte sich an den Leiter der Station.

„Warum schweigst du? Man muß ihnen zu Hilfe eilen. Sag, wer fliegen soll!"

Lecoqs Gesicht hatte einen bedrückten und zugleich mürri­schen Ausdruck.

„Niemand wird fliegen", antwortete er dumpf und wandte sich kaum merklich ab.

„Die Eruption! Ihr habt die Eruption vergessen. Hin- und Rückflug nehmen mehr als hundert Stunden in Anspruch. Ich kann euch nicht in den sicheren Tod schicken."

„Warum gleich in den Tod?" erwiderte Günther. „Es ist zwar ein Wagnis, aber schließlich ist jeder Flug in den Kosmos riskant. Die Eruption kann auch erst in siebenhundert Stun­den erfolgen."

„Ich habe gesagt nein!", und Lecoq drehte sich brüsk um. „Dann, Chef . . .", begann Timonen und verstummte, doch

der Italiener sprach den Satz zu Ende: „. . . fliegen wir ohne deine Erlaubnis."

„Was?" Lecoq runzelte die Brauen. Timonen ging entschlossen zum Ausgang. „Timonen, du bleibst!" schrie Lecoq. „Was soll das bedeu­

ten? Wo bin ich denn? Auf einem Piratenschiff oder auf einer Forschungsstation in der Mitte des 21 . Jahrhunderts? Warum schweigt ihr? Seid ihr auf seiner Seite?"

„Versteh doch, Jean", sprach Günther sanft auf ihn ein, „wenn wir ihnen nicht helfen, wie können wir das vor unserem

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Gewissen verantworten? Du hast nicht das Recht, uns die Menschlichkeit zu verbieten."

„Ich blockiere das Kosmodrom!" Lecoq stürmte zum Schalt­pult und stieß mit Jackson zusammen.

„Du wirst dich, hoffe ich, nicht mit mir prügeln?" sagte der Australier spöttisch.

„Versteht doch", brüllte Lecoq verzweifelt, „ich habe die Verantwortung für euch! Es ist meine Pflicht! Pflichterfüllung ist auch ein Ausdruck der Menschlichkeit. Was werde ich den Menschen auf der Erde sagen? Alle zehn Milliarden werden von mir behaupten: Er hat seine Kameraden umgebracht! Er hat sie bewußt in den Tod geschickt!"

„Aber was werden diese zehn Milliarden uns vorwerfen?" schaltete sich Orljankin ein. „Was werden sie sagen, wenn wir uns nicht bemühen, zwei Menschenleben zu retten?"

„Zum letzten Mal", fragte Günther gepreßt, „gibst du deine Einwilligung?"

„Nein, nein und nochmals nein! Oder - handelt ohne mein Einverständnis!" Lecoq verließ den Raum, wobei er laut die Tür hinter sich zuschlug.

„Nun", Günther zuckte die Achseln, „dann geschieht alles auf meine Verantwortung. Hier also mein erster Befehl: Timonen fliegt zur ,Sarja'. Wer begleitet ihn? Die Vorschriften gestatten keinen Einzelflug."

„Ich!" antworteten alle zugleich. Günther lächelte. „Ich denke, der Schiffskommandant sollte

sich seinen Kopiloten selbst aussuchen." Alle waren einverstanden, und als Timonen bereits im

Kosmonautenanzug erschien, schlug ihm Günther vor, sich einen Begleiter zu wählen.

Timonens grünliche Augen glitten über die angespannten Gesichter der Wissenschaftler und verharrten auf dem des Italieners.

„Oh, grazie, grazie, Radiomaestro!" rief Trojani freudig aus. „Tim", Günther zog einige eng beschriebene Blätter aus der

Tasche, „den Flug werde ich korrigieren. Doch wenn du dich dem Kometen näherst, nimm die Führung selbst in die Hand.

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Dort werden die Verhältnisse kompliziert sein, glaube ich. Handle so, wie du es für nötig befindest."

Alle außer Lecoq, der in seine Kajüte gegangen war, dräng­ten sich hinter Günthers Rücken. Auf dem Hintergrund des weißen Bildschirms sahen sie das von Scheinwerfern hell er­leuchtete Kosmodrom und zwei Gestalten, die emsig die enge Leiter zur Einstiegsluke der „Hermes" emporklommen. Das Bild wechselte und zeigte Timonen und Trojani, wie sie in den Kosmonautensesseln lagen.

„Wie ist die Verbindung, Tim?" Günther blickte angestrengt auf den Bildschirm. „Hier ist alles verschwommen. Ja , jetzt wird es besser."

„Alles in Ordnung, Hans. Gib das Kommando", sagte Timonen.

„Fertigmachen zum Start", sagte Günther mit ruhiger Stimme.

Timonens Finger legte sich auf den Schaltknopf . . . Auf dem Tisch klirrte das Geschirr. Das zylinderförmige

Gebäude erbebte. Der Boden zitterte unter den Füßen. Günther zählte leise die Sekunden: „Eins, zwei, drei . . . alles in Ord­nung. Sie fliegen."

„Hermes" verfolgt den Kometen

Die „Hermes" - ein kleines Raumschiff für nur sechs Mann Besatzung - war in einem Punkt unzulänglich, genauer gesagt, unbequem: sie besaß keine künstliche Gravitation. Dieses komplizierte Anpassungsverfahren steckte noch in den An­fängen und hatte bisher nur bei großen Passagierlinern An­wendung gefunden, zu denen auch die „Sarja" zählte.

Dafür war die „Hermes" stark automatisiert. Es gab Auto­maten für die künstliche Wassererzeugung, für die Luft­erneuerung und -reinigung, Wärme- und Lichtautomaten, die alle vom Atomherz des Raumschiffes gespeist wurden.

In der Pilotenkabine stand an gut sichtbarer Stelle ein kleiner Roboter. Trojani liebte es, ihn zu necken, indem er

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ihm die sonderbarsten Aufgaben zur Lösung vorlegte. Bei­spielsweise: Welcher Name paßt besser zu einem Kosmonau­ten - Jean, Robert, Hans, Pjotr, Antti oder Giacomo?

Die arme Maschine summte und klickte lange in dem ehr­lichen Bemühen, irgendeinen Sinn in den genannten Namen zu entdecken, dann antwortete sie schließlich mit heller Stimme: „Zu wenig Fakten!"

Als die „Hermes" eine Geschwindigkeit von fünfzig Kilo­metern pro Sekunde erreicht hatte, wurden die Motoren ab­geschaltet, und die Kosmonauten mußten sich an die Schwere­losigkeit gewöhnen.

„Wir legen vier Millionen dreihunderttausend Kilometer in vierundzwanzig Stunden zurück." Timonen rieb sich die Wange, die von rötlichen Stoppeln bedeckt war. „Das ist zuwenig, um den Kometen in einigen Tagen einholen zu können."

„Dann beschleunigen wir eben das Tempo", schlug Trojani vor, der über dem Pilotensessel hing.

„Das ist riskant." „Für uns?" „Wegen des Treibstoffs. Wir brauchen sehr viel zum Brem­

sen und für die Suchmanöver." „Aber wir gehen ein noch größeres Risiko ein, wenn wir

langsam fliegen. Hast du etwa die Eruption vergessen, Tim?" „Nun gut", Tim griff zum Hebel, „mach dich bereit, gleich

kracht es." Die „Hermes" erzitterte, und Giacomo, der es nicht geschafft

hatte, sich am Sessel festzuschnallen, flog schimpfend mit den Beinen in die Höhe.

Timonen lachte. „Macht nichts, dafür haben wir sechzig Kilometer in der Sekunde herausgeholt. So bewältigen wir in vierundzwanzig Stunden fünf Millionen hundertvierundacht-zigtausend Kilometer. Morgen haben wir den Kometen er­reicht."

Am nächsten Tag fand folgendes Gespräch mit der „Mer­kur I" statt:

„Guten Tag, Tim! Wie ist die Verbindung?"

3 Funkspruch 33

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„Terve, Hans. Gut und stabil." „Ich sehe, du bist unrasiert. Dafür bekommst du einen Ver­

weis. Na, wie ist es, habt ihr den Kometen eingeholt?" „Wir sind an der berechneten Stelle, doch von der ,Sarja' ist

nichts zu sehen." „Habt ihr sie schon gesucht?" „Die Aussichtsbildschirme sind eingeschaltet. Giacomo läßt

sie nicht aus den Augen, doch von der .Sarja' fehlt jede Spur." „Und was seht ihr?" „Hier in der Nähe haben wir Steinklumpen bemerkt. Ganz

verschiedenartige. Manche haben die Größe eines Pflaster­steins, andere die Ausmaße eines Felsens. Das Manövrieren fällt schwer; ich habe Angst, mich den Automaten anzuver-' trauen."

Günther dachte kurz nach und sagte: „Ich wußte, daß es schwierig sein würde, die ,Sarja' zu

finden. Bereits im vorigen Jahrhundert bezeichnete man die Kometen als ein ,sichtbares Nichts'. Euer Komet hat aber seinen Kern verloren und ist im Grunde nichts weiter als ein Schwärm von Staubteilchen. Glücklicherweise hat er auch sein elektromagnetisches Feld eingebüßt, sonst wären wir ohne Verbindung. Hör zu, Tim, womöglich habt ihr das Wrack der ,Sarja' mit einem Steinklumpen verwechselt?"

„Na, weißt du!" ereiferte sich Trojani. „Gut", sagte Timonen, „wir werden von Zeit zu Zeit das

Raumschiff verlassen. Und was gibt es bei euch? Was macht Jean?"

„Er sitzt in seiner Kajüte und schmollt." „Verstanden. Gruß an alle. Setzen die Suche fort." Der Bildschirm erlosch. Trojani brummte vor sich hin und überprüfte die Aussichts­

bildschirme. Nichts war zu sehen als die unendliche Weite mit der zottigen Sonne und den Sternenpünktchen. Wie eine alter­tümliche Kupfermünze schwebte die Scheibe des Merkur im All. Die grellweiße Sichel der Venus blendete Trojani, und seine Augen fingen an zu tränen.

Was aber, wenn wir das Wrack der „Sarja" wirklich über-

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sehen, wenn wir dem Bildschirm zu sehr vertraut haben? dachte er. Die Augen ermüden so, daß . . . Halt, da taucht etwas am äußersten Rand auf!

„Gib den Raumanzug her!" wandte er sich an den Piloten. Nach einer Viertelstunde schwamm der Italiener wie ein

Fisch in die Schleusenkammer. „Ich bin bereit!" vernahm Timonen, der inzwischen den

Kopfhörer angelegt hatte. Trojani krümmte sich zusammen und preßte sich mit dem

ganzen Körper gegen die blaugraue Verschalung der „Her­mes". Ihm wurde übel. Schon lange war er nicht mehr mit sich und dem Kosmos allein gewesen.

„Na, wie geht es dir?" fragte Timonen. „Warum sagst du nichts?"

„Ich passe mich an", antwortete Trojani unbestimmt.

Trojani sucht die „Sarja"

Als Trojani nach einem kurzen Schwächeanfall wieder zu sich gekommen war, kroch er auf allen vieren ziemlich schnell davon, wobei er den Erfinder der magnetischen Saugköpfe segnete, die sich an Fußsohlen und Handschuhen des Raum­anzuges befanden. Eine Minute später war er bereits vom Anblick des ihn umgebenden Alls gefesselt.

„Nun, was gibt es?" fragte Timonen erneut. „Warum drängst du so? Laß mich doch erst Umschau

halten." Interessant, dachte er, wir sind tatsächlich im Kometen-

innern. Eine grünliche Aureole ist zu sehen, ein blasser Schimmer besonders an der Seite, die der Sonne abgewandt is t . . . Nanu, was glänzt denn dahinten?

„Tim!" „Ja?" „Laß mal Tempo ab. Mir scheint, der Komet fliegt langsamer

als wir. Ich habe da etwas entdeckt, aber es bleibt hinter uns zurück."

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„Dann bewege dich rückwärts." „Warum?" „Durch das Beharrungsvermögen wirst du nach vorn ge­

schleudert und bist schneller am Schiff." Mit einer Flinkheit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte,

schlängelte sich Trojani in die Schleusenkammer und klappte den Deckel hinter sich zu.

Das Raumschiff erzitterte. Aus den engen Düsen schoß eine grüne Flamme. Einige Minuten vergingen.

„Steig aus!" befahl Timonen. „Warte, hetz mich nicht so." Trojani kroch ächzend wieder hinaus. Wo war der Gegen­

stand geblieben . . .? Aha, da war e r ! Ähnlich einem Fisch, dem man den Kopf abgerissen hatte. Santa Maria! Das war doch . . .!

J a , es war die „Sarja". Der wuchtige Zusammenprall hatte das Raumschiff wie mit einem riesigen Messer gespalten. Trojani erstarrte vor Schreck. Er begriff, daft der Tod Pas­sagiere und Mannschaft der „Sarja" in Sekundenschnelle ereilt haben muftte. Die ausgedorrten, vereisten Mumien dieser Menschen waren für immer in jenen Posen erstarrt, in denen sie die Katastrophe überrascht hatte. Zwei spielten Schach; einer las, bequem auf dem Sofa liegend. Ein Besatzungsmit­glied bediente gerade den künstlichen Wassererzeuger.

„Tim", rief Trojani heiser, „schau mal ins linke Bullauge. Siehst du was?"

Ja , Timonen konnte alles sehen. Die „Hermes" flog jetzt mit der gleichen Geschwindigkeit wie die „Sarja", und lange Zeit stand den Kosmonauten das grauenerregende Bild vor Augen.

„Ich kann nicht mehr", flüsterte der Italiener. Seine Hände zitterten, und nur mit Mühe gelangte er in die

Luke. Einige Minuten später riefen sie die „Merkur I". Günther hörte sich den knappen Bericht Timonens an und

schüttelte betrübt den Kopf. „Ich verstehe, es fällt euch schwer, aber ihr müftt den Kopf­

teil der ,Sarja' suchen. Er kann nicht weit sein."

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Page 39: Der seltsame Funkspruch

„Und was gibt es bei euch?" fragte Timonen. „Ich habe einige neue Beobachtungen gemacht. Vielleicht

gelingt es Robert mit Hilfe seiner Roboter, den Zeitpunkt der Sonneneruption zu präzisieren."

„Und was macht Jean?" „Jean überprüft die Geräte und bereitet sich auf die Erup­

tion vor." „Auf Wiedersehen, Hans!"

„Auf Wiedersehen, Tim! Auf Wiedersehen, Giacomo!"

Gefunden

Nach einigem Manövrieren entfernte sich die „Hermes" von der verunglückten „Sarja". Immer häufiger kamen Steinbrok-ken mit den eigentümlichsten Umrissen ins Blickfeld. Manche ähnelten riesigen grünlichschwarzen, mit Bläschen bedeckten Gurken; andere erinnerten an rosafarbene Muscheln, wie sie sich in tropischen Gewässern finden. Sie alle glitzerten so stark, daß die Kosmonauten mehrmals glaubten, den Bugteil der „Sarja" gefunden zu haben. Doch bei genauerem Hinsehen war es immer nur ein großer Meteorit.

Die Manöver beanspruchten eine Menge Treibstoff und viel Zeit. Diese Tatsache beunruhigte Timonen in zunehmendem Maße, und er beschloß daher, sich mit der „Merkur I" zu beraten.

„Kommt zurück, Tim", sagte Günther, „ihr habt alles getan, was ihr konntet. Gebt die Suche auf. Die Roboter haben neue Fakten analysiert und vorausgesagt, daß die Eruption" - der Astronom schaute auf die Uhr - „in fünfundfünfzig Stunden erfolgen wird."

In diesem Augenblick machte Trojani, der förmlich am Bildschirm klebte, eine heftige Bewegung und rief: „Da ist er! Ich habe ihn entdeckt!"

Timonen warf einen flüchtigen Blick ins Bullauge. Dort sah er tatsächlich den Bug des Raumschiffes, einem Fischkopf gleich, vorbeiziehen.

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„Ich werde euch nicht stören", verabschiedete sich der Astronom und schaltete die Verbindung ab, nachdem er den beiden Kosmonauten viel Erfolg gewünscht hatte.

„Diesmal lasse ich dich am Seil hinaus", sagte der Pilot und half dem Italiener in den Raumanzug. „Näher kann ich das Schiff nicht heranführen. Aber warum zögerst du denn?"

„Mich hat in den letzten Tagen eine Krankheit befallen -die Raumangst", antwortete Trojani.

„Wann hast du es denn geschafft, dich damit zu infizieren?" Timonen lachte. „Ich würde ja selbst gehen, aber ich traue mich nicht, dir die .Hermes' zu überlassen."

„Wenn es so ist!" Trojani stülpte sich eilig den Helm über, während der Pilot sorgfältig prüfte, ob der Raumanzug dicht war.

„Mach's gut! Und wenn ich dir einen Rat geben darf, ge­stikuliere im Kosmos nicht soviel mit den Armen, wenn du sprichst. Das kann gefährlich werden."

Timonen schloß die Schleuse hinter dem Freund und setzte sich ans Bullauge.

„Uff!" hörte er. Das war der Italiener, der sich vom Raum­schiff abstieß und auf den Bug der „Sarja" zusteuerte. Anfangs klappte alles gut, doch Trojani hatte vergessen, den Stabili­sator einzuschalten, und fing nun an zu trudeln, wobei sich das Seil um ihn wickelte. Er wirbelte sich in entgegengesetzter Richtung herum, befreite sich von dem Strick, feuerte einen Schuß aus der Raketenpistole ab und jagte schließlich auf sein Ziel zu.

„He!" rief er und vergaß, daß er einen Helm auf dem Kopf hatte. „Ist dort jemand?"

„Schrei nicht herum, sondern schau lieber durchs Fenster", riet der Pilot.

„Das Bullauge ist geschlossen. Ich werde versuchen, durch den Notausgang hineinzukommen."

Einige Minuten verstrichen; Timonen hörte nur das schwere Atmen des Italieners, dem das Eindringen offenbar Mühe bereitete.

„Nun, was gibt es dort?"

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Trojani antwortete nicht. Die Tür gab seinem Druck endlich nach, und das Seil hinter sich herziehend, kroch er in den Jnterbau.

In der Kabine des Kapitäns herrschte kosmische Kälte. Neben den zerstörten Funkapparaturen lag ein Mensch im Raumanzug. Trojani wälzte ihn auf den Rücken und blickte unter den heruntergelassenen Lichtfilter.

„Tim! Ich habe Donzow gefunden!" „Lebt er?" „Ob er lebt oder tot ist, weiß ich nicht. Ich suche jetzt

Petersen." Wieder einige Minuten Schweigen. „Bring Donzow sofort hierher!" befahl Timonen. „Was

trödelst du herum?" „Ich bringe ihn. Mach dich bereit!" Als Timonen den Geretteten vorsichtig von dem Raumanzug

befreite, sah er einen etwa sechzehnjährigen Jungen vor sich, dessen Gesicht abgemagert und bläulichweiß verfärbt war.

„Das Herz arbeitet", sagte Timonen. „Handeln wir entsprechend den Weisungen Doktor Orljan-

kins", antwortete der Italiener. Schnell und sicher spritzte er Donzow ein konzentriertes Stärkungsmittel ein.

Aljoscha öffnete die Augen. „Wo ist Petersen? Hörst du uns? Wo ist Petersen?" fragte

Trojani. „Der Kapitän . . . ist . . . hinter der Tür", flüsterte Aljoscha. „Hinter welcher Tür?" „Automatenkabine . . . Strahlung", brachte der Junge müh­

selig hervor. Timonen schaute auf die Uhr. Bis zur Eruption blieben noch

fünfzig Stunden. Jede vergeudete Minute konnte ihnen zum Verhängnis werden. Er sah den Italiener an - und Trojani verstand. Er setzte sich erneut den Helm auf.

Nach einer halben Stunde kehrte er zurück. „Tot", warf er kurz hin. Dann schüttelte er die Sauerstoffflaschen an Donzows

Raumanzug. Sie waren fast leer.

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„Hier sind wir noch zur rechten Zeit gekommen." Bis zur Eruption waren es noch neunundvierzig Stunden und

fünfzehn Minuten.

Werden sie es schaffen?

Timonen setzte sich an das Schaltpult und warf sich im Pilotensessel zurück. Neben ihm, im zweiten Sessel, lag Donzow.

„Er ist noch immer nicht bei vollem Bewußtsein", bemerkte Trojani.

„Das ist sogar gut, denn jetzt wird es eine starke Überbe­lastung geben. Leg auch du dich hin."

„Überbelastung ist mir lieber als Schwerelosigkeit", ant­wortete der Italiener, wobei er in der Luft umherschwebte.

„Das sagst du, weil du noch keine echte Überbelastung erlebt hast. Halt dich fest!"

Aus der rechten Vorderdüse schössen grüne Flammenzun­gen. Die „Hermes" wendete langsam und nahm Kurs auf den Merkur.

„Ich beginne zu beschleunigen!" Das Raumschiff raste davon. Giacomo wurde zu Boden ge­

worfen. Die Sprungfedern des Pilotensessels drückten sich quietschend bis zum äußersten zusammen. Aljoscha stöhnte.

„Wie lange noch?" brachte Trojani mit vor Anstrengung heiserer Stimme hervor. „Wie lange dauert das noch? Diavolo!"

Die Augen des Piloten waren blutunterlaufen, doch er wandte keinen Blick von dem Geschwindigkeitsmesser, dem Treibstoffanzeiger und der Uhr. Aljoscha stöhnte erneut.

Plötzlich ließ der Druck nach. Trojani „flog" zum Pult. „Nun, schaffen wir es?" Timonen antwortete nicht, sondern sah ihn nur kurz an, und

Trojani begriff, daß die Gefahr nicht gebannt war. In diesem Augenblick herrschte in der Gemeinschafts­

kajüte der „Merkur I" ausgelassene Stimmung-. „Sie haben ihn gerettet!" wiederholte Günther mehrfach.

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„Hip-hip-hurra!" brüllte Jackson. „Hurra! Das sind Kerle!" unterstützte ihn Orljankin. „Gerettet? Es ist noch zu früh, sich zu freuen", brummte

Lecoq. „Jean", sagte Günther, „wir müssen diese gute Nachricht

der Erde übermitteln, besser noch, zuerst dem Mars. Denn auf dem Mars arbeiten Donzows Eltern. Sie glauben, der Junge sei nicht mehr am Leben, und sind wahrscheinlich halbtot vor Kummer."

„Willst du sie vielleicht ein zweites Mal unglücklich machen?"

„Freude bringt niemanden um." „Versteh doch, sollte der Junge wirklich wohlbehalten hier

landen, werde ich der erste sein, der den Mars ruft. Aber je tz t . . ., muh man euch das noch erklären! Wir haben Donzow gerettet - damit er an der Strahlenkrankheit stirbt."

Alle verstummten. „Die Strahlenkrankheit kann man heilen", sagte Orljankin. „Aber nicht unter diesen Umständen." Günther schaute auf die Uhr. „Ich bin überzeugt, daß sie zur

rechten Zeit kommen werden." „Wozu der Selbstbetrug!" schrie Lecoq. „Sie haben zuwenig

Treibstoff. Sie brauchen viel zum Bremsen. Sie . . . sie sind verloren!" rief er und verlieft den Raum.

Orljankin trat seinen Dienst in der Funkerkabine an, wäh­rend Günther und Jackson ihre Raumanzüge anlegten und nach draußen gingen. Sie mußten sich auf die Eruption vor­bereiten.

Die Station „Merkur I" hatte ein merkwürdiges Aussehen angenommen. Sie hatte sich mit einer Vielzahl von Fernrohren und Antennen gewappnet. Die durchscheinenden Schalen der Radioteleskope schaukelten sanft, wie phantastische Blumen.

„Weißt du, Hans, woran mich unsere Station heute erinnert?" sagte Jackson. „In den alten Filmen über den letzten Krieg habe ich eine Verteidigungsstellung gesehen. So ähnlich sieht es hier aus, findest du nicht?"

„Ja, wenn an Stelle der Teleskope Kanonen wären und statt

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der Radioteleskope Radargeräte und Scheinwerfer", antwortete Günther. „Aber du hast schon recht. Das hier ist unsere Ver-teidigungs- und Angriffsstellung - alles in einem."

Die Eruption

Am nächsten Tag versah Jackson den Dienst im Funkraum. Orljankin wurde beauftragt, die „Hermes" zu empfangen, Lecoq und Günther arbeiteten im Observatorium.

Timonen hatte das Raumschiff in die Umlaufbahn des Pla­neten gebracht und verminderte die Geschwindigkeit. Die Sonneneruption hatte er völlig vergessen. Nur eine Frage be­schäftigte ihn in diesen Minuten: Wird der Treibstoff für die Landung ausreichen? Er warf einen kurzen Blick auf den roten Zeiger, der sich langsam, doch unerbittlich dem Nullpunkt näherte.

Das Raumschiff verlor weiter an Tempo. Timonen beauf­tragte Trojani, Aljoscha den Raumanzug anzulegen. Dann hal­fen sie sich gegenseitig beim Anziehen.

Noch eine Minute - und es war soweit. Aus den Seitendüsen sprühten grüne Funken. Der vordere

Teil des Schiffes hob sich, und langsam nahm die „Hermes" eine vertikale Stellung ein.

Die gigantische Zigarre ging senkrecht auf das hellerleuch­tete Kosmodrom nieder. Aus der unteren Düse schoß eine dicke grüne Feuersäule und schlug in den Felsengrund ein. Drei Stützen, die an Adlerkrallen erinnerten, schoben sich aus dem Schiffskörper, bereit, sein Gewicht auf sich zu nehmen.

Immer tiefer ging die „Hermes", es blieb nur noch eine ge­ringe Entfernung, vielleicht zehn oder fünfzehn Meter. In die­sem Augenblick sank der rote Zeiger auf Null - der Treibstoff war aufgebraucht. Schwer fiel das Raumschiff mit seinem rie­sigen Gewicht auf die sich biegenden Stützen, erzitterte und verharrte in Reglosigkeit.

Orljankin lief ungeachtet der Vorsichtsmaßregeln zum Landeplatz, obgleich der steinige Untergrund im Umkreis der

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„Hermes" noch dampfte. Das Raumschiff lag unbeweglich und still, ganz so, als wollte es nach dem beschwerlichen Weg aus­ruhen.

Doch plötzlich öffnete sich lautlos die untere Luke, und eine leichte, doch stabile Leiter wurde heruntergelassen. Zwei Ge­stalten in Raumanzügen erschienen. Sie winkten, und Orljan­kin hörte in seinem Helm die Stimme Trojanis: „Wer kommt uns da entgegen? Ich kann nichts erkennen. Nachts sind alle Katzen grau, und Leute in Raumanzügen sehen einer wie der andere aus."

„Ich bin es!" Orljankin zerrte einen Karren mit einer Trage hinter sich her.

„Ah! Doktor Orljankin und der .Rettungswagen'!" Der Italiener lachte.

Langsam stieg Timonen die Treppe hinunter, wobei er Aljoscha vorsichtig stützte.

Als sie den Eingang zum ersten Unterbau der Station bereits passiert hatten, fragte Timonen:

„Und die Eruption? Hat sie schon stattgefunden?" „Wir erwarten sie", antwortete Orljankin. In dieser Sekunde

wurde der schwarzviolette Himmel von regenbogenförmigen Nadeln zerrissen, am Firmament tanzten rosafarbene Schlei­fen und breiteten sich aus. Sonnenstrahlen von kolossaler Stärke drangen in die dünne Atmosphäre des Merkur ein.

„Das haben wir ja gerade noch geschafft!" Orljankin zog kräftig die dicke Tür des zweiten Unterbaues hinter sich zu.

Schlußbemerkung

Lecoq hörte die fröhliche Unterhaltung der Kameraden im Nebenzimmer, mitunter vernahm er auch die schwache Stimme Aljoschas.

Nach der Rückkehr der „Hermes" waren einige Tage ver­gangen. Alles war wieder ins Geleise gekommen, doch Lecoqs Verhältnis zu den „Merkurianern" blieb gespannt.

Er wünschte sich sehr, daft alles so wie früher wäre. Heute

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feierte die Station Donzows Rettung, heute auch würde diese frohe Botschaft auf den Mars übermittelt werden. Wie gern hätte er an der allgemeinen Freude teilgehabt. Doch irgend etwas hinderte ihn daran, lächelnd und mit ruhigem Gewissen vor die Kameraden zu treten. War es gekränkte Eigenliebe? Wohl kaum. Aber was war es dann? Das Prestige des Wissen­schaftlers? Auch nicht. Seine Autorität als Gelehrter war nicht angetastet.

Ein unerwarteter Gedanke brachte plötzlich tiefe Verwir­rung über ihn: Hatte er sich nicht wie ein Feigling benommen?

Formal gesehen, war er im Recht gewesen. Ein Vorgesetzter hat nicht die Befugnis, Untergebene in den fast sicheren Tod zu schicken, außerdem hatte die Erde alle kosmischen Flüge bis auf weiteres untersagt. Dennoch - verbarg sich hinter all dem nicht die Angst vor der Verantwortung?

Er, Jean Lecoq, der zielstrebige, kräftige, mutige Mann, hatte weniger Stärke bewiesen als der weichherzige, schüch­terne Günther. Er hatte sich auch schwächer gezeigt als der derbe, tapfere Jackson, als der begeisterungsfähige Orljankin, als der Spaßvogel Trojani und der bedächtige, schweigsame Timonen. Alle waren sie bereit gewesen, die Verantwortung auf sich zu nehmen, nicht nur ihr eigenes Leben zu riskieren, sondern auch das der Freunde.

Solche Vorwürfe machte sich Jean Lecoq, während das Stim­mengewirr aus dem Nebenzimmer an sein Ohr drang.

„Was meinst du, warum gelangte euer Hilferuf erst nach zwanzig Tagen zu uns?" fragte Günther den Jungen. „Hast du gesehen, wie Petersen gefunkt hat?"

Aljoscha dachte nach. „Ja, das habe ich. Es war am Tag der Katastrophe. Er hat jeden Funkspruch zweimal durchgegeben. Als ich dann allein war, kam es mir ein paarmal so vor, als hörte ich, wie Petersen ins Mikrofon sprach: Aber da habe ich mich wohl getäuscht."

„Du hattest dich doch sicher mit dem Piloten angefreundet, Aljoscha", fragte Günther weiter. „Wie erklärst du dir, daß er dich für so lange Zeit allein gelassen hat? Er ist dort auch gestorben, der arme Alte!"

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„Er hatte mir gesagt, dafj er die Automaten neu aufladen müsse."

„Das ist Unsinn", brummte Jackson, „ein einzelner Mann ist nicht imstande, die Automaten aufzuladen. Das ist eine Aus­rede gewesen. Aber der Hauptgrund is t . . . der Teufel soll mich holen, wenn ich den wahren Grund kenne!"

„Kameraden!" schaltete sich Trojani ins Gespräch ein. „Es ist Zeit, das Tüpfelchen aufs i zu setzen, wie man so sagt. Weißt du, Aljoscha, warum Petersen dich allein gelassen hat?"

„Er hat mich nicht ganz allein gelassen. Er hat sich noch mit mir unterhalten und mir Ratschläge gegeben."

Trojani schüttelte den Kopf. „Der Pilot ist am selben Tag gestorben, an dem er sich von

dir verabschiedet hat. Er wußte, daß er sterben würde, und wollte dir auf diese Weise den traurigen Anblick ersparen."

„Ich habe doch aber mit ihm gesprochen!" schrie Aljoscha. „Ich habe ihn gehört!"

„Das war die automatische Anlage, die gesprochen hat. Petersen hatte seine Ratschläge auf Tonbänder aufgenommen. Hier sind sie. Ich habe sie in der Automatenkabine gefunden. Und den Hilferuf sandte uns schon nicht mehr der Pilot, son­dern gleichfalls der Automat."

Aljoscha erinnerte sich, wie gekränkt und verärgert er gewesen war, als sich der Pilot in der Kabine eingeschlossen hatte. Verlegen blickte er zu Boden.

Orljankin, der während dieses Gesprächs geschwiegen hatte, wartete, bis Aljoscha hinausgegangen war. Dann machte er den Freunden ein Zeichen. „In Aljoschas Beisein wollte ich nicht sprechen. Es wäre denkbar, daß Petersen nicht einfach gestorben ist, sondern - Selbstmord begangen hat."

„Das kann nicht sein!" entgegnete Günther. „Er war ein Kämpfer, einer der mutigsten Kosmonauten unserer Zeit. So etwas sieht ihm nicht ähnlich!"

„Versteht doch! Zu zweit wären sie verhungert. Sie hatten sehr wenig Lebensmittel. Durch seinen Tod hat Petersen den Jungen gerettet. Roald war ein guter, ein tapferer Mann. Zu einer solchen Tat war er durchaus fähig."

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A. Chlebnikow

Der unsichtbare Feind

Eine phantastische Spielerei

Hoch über Artans Kopf rauschten Kiefern in ihren Wipfeln. Leise knarrten die trockenen Äste. Am blauen Septemberhim­mel schwebten weifje Wölkchen. Artan rekelte sich behaglich, er war wunschlos glücklich. Plötzlich schreckte ihn ein un­angenehmes, drohendes Summen direkt über seinem Gesicht auf. Hol dich der Teufel, dachte der Kybernetiker, wollte die vermeintliche Wespe mit einer Handbewegung verscheuchen -und erwachte.

Erstaunt blickte er um sich. Von Kiefern und blauem Him­mel keine Spur. Nur blitzsaubere weifje Möbel, medizinische Geräte und Apparaturen umgaben ihn. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Artan begriff, daß er in der Krankenabteilung lag. Er sah gerade noch, wie der elektronische Wecker zur Seite kroch und den Impulsgeber einzog. Das Gerät hatte seine Aufgabe erfüllt, der Mann war aufgewacht.

„Schöne ,Wespe'", murmelte der Kybernetiker, „hätte sich auch was anderes einfallen lassen können, dieser elektronische Dummkopf. Einen so aufzuschrecken . . ."

Alle Glieder taten ihm weh, als hätte er Zentnerlasten ge­schleppt. Aber zum Glück war alles noch gut ausgegangen, es hätte schlimmer sein können. Wie lange hatte er ohne Be­sinnung gelegen? Eine Stunde, einen Tag, eine Woche? Wo waren seine Freunde? Sie muhten doch wissen, wann er auf­wachte. Eine unbestimmte Angst beschlich ihn. Irgend etwas Unheilvolles mußte geschehen sein. Er stand auf, ging zur Tür, öffnete sie. Der Korridor lag im Dunkeln, das Laufband war ausgeschaltet. Artan kannte sich in dem Raumschiff aus wie in seiner eigenen Wohnung. Schnell ging er durch den langen Flur auf die Steuerzentrale zu. Plötzlich hörte er ein Trappeln wie von vielen kleinen Füßen, die ihm entgegen­kamen. Sein Herz stockte. Sollte das Raumschiff von fremden

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Wesen erobert und die Besatzung umgebracht worden sein? Es war sinnlos, sich zur Krankenabteilung zurückzuziehen, man würde ihn bis dahin eingeholt haben. Artan tastete mit der Hand zum Lichtschalter, der für Alarmfälle vorgesehen war. Im nächsten Moment war der tunnelförmige Korridor in gleißendes Licht getaucht. Eine seltsame Gruppe bot sich dem Kybernetiker dar.

Etwa dreißig drei- bis fünfjährige Kinder, durch das grelle Licht plötzlich geblendet, standen für den Bruchteil einer Sekunde unbeweglich da. Als sie Artan erkannten, stürzten sie freudestrahlend auf ihn zu, umringten ihn und klammerten sich an seinen Raumanzug. Artan, der auf so eine stürmische Reaktion nicht gefaßt war, schwankte, zumal er noch recht schwach auf den Beinen war.

„Kinder, laßt mich los", bat er. Die Jungen gehorchten, konnten sich aber nicht beruhigen und überschütteten ihn von allen Seiten mit Fragen.

Der Kybernetiker versuchte krampfhaft zu begreifen, was vorgefallen war. Ein Junge, der die anderen um Kopflänge überragte und älter zu sein schien, fiel ihm auf. Er stand etwas abseits und sprach zornig erregt auf einen kleinen Knirps ein, dem die Tränen über das Gesicht rannen.

„Was habt ihr?" fragte Artan. „Kommt mal beide her zu mir."

Die Kindergruppe, die Artan umringt hatte, schwieg und machte den beiden Platz.

„Was hackst du auf dem Jungen herum? Wie heißt du?" fragte Artan den größeren der beiden.

„Ich bin Nick Wirt, der Kommandant des Raumschiffes", erwiderte dieser.

„Ausgezeichnet", spottete der Kybernetiker, dem das würde­volle Betragen des Jungen allmählich Spaß machte. „Du imi­tierst deinen Namensvetter nicht schlecht. Und der Kleine ist wohl der Chefnavigator, wie?"

„Das ist Stepka Dug, der Chefmechaniker", erwiderte der kleine „Kommandant" ernsthaft. „Er hat selbst schuld und weint auch noch obendrein. So eine Heulsuse! - Wer hat ohne

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meine Erlaubnis die Handsteuerung betätigt? Wer hat die Motoren vom Lauf band durchbrennen lassen?" fuhr er den Jungen an.

„Ich wollte doch nur, daß wir schneller zu Artan . . . Nick, sei mir bitte nicht böse. Ich will's nie wieder tun", schluchzte der „Chefmechaniker".

„Warum weint er denn so?" fragte der Kybernetiker den Jungen, der sich Nick Wirt nannte.

„Ich hab ihn degradiert. Und so werde ich mit jedem ver­fahren, der meine Anweisungen nicht befolgt", wandte sich der „Kommandant" mit strenger Stimme an die still geworde­nen Kinder.

Bin ich etwa noch nicht aufgewacht? Träume ich? fragte sich Artan. Da drängte sich ein etwa fünfjähriger Junge energisch zu dem Kybernetiker vor.

„Alek Tant, Navigator", stellte er sich vor. „Dringende An­gelegenheit: Wie wird ein Reserveintegrator in den Flug­betrieb eingeführt?"

Also, bei mir scheint wirklich noch nicht alles in Ordnung zu sein, überlegte Artan. Auf Grund meiner beruflichen Inter­essen haben sich anscheinend hartnäckige akustische und visuelle Halluzinationen bei mir eingeschlichen.

„Alles an die Plätze!" befahl Wirt den Kindern. Während sie auseinanderliefen, wandte er sich an Artan. „Ich hab's satt mit ihnen. Sie hören einfach nicht mehr auf mich. Immer nur spielen wollen sie und vergessen darüber alles. Ich bin doch der einzige, der weifj, daft wir schon früher einmal erwachsen waren."

„Red keinen Unsinn", unterbrach ihn Artan unwirsch. „Die Entwicklung des Menschen kann nicht rückwärts gehen, und die Zeit läßt sich auch nicht zurückdrehen, mein lieber Freund."

„Aber wir sind doch anders geworden!" rief der Junge auf­gebracht. „Nur Sie sind so geblieben, wie Sie waren."

„Kann sein, dafj ich noch nicht ganz gesund bin, aber meine fünf Sinne habe ich beisammen", erwiderte der Kybernetiker herablassend.

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„Ja, aber erkennen Sie mich denn nicht?" fragte der Junge, den Tränen nahe.

Wahrhaftig, Artan konnte eine gewisse Ähnlichkeit mit sei­nem alten Freund nicht leugnen. Wenn das nun alles Wirklich­keit und kein Spiel der Phantasie war? Heftige Erregung packte den Kybernetiker. Er beugte sich zu dem Jungen hin­unter, legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte, sich mühsam beherrschend: „Gut, nehmen wir an, ein Wunder sei geschehen. Wie lange hat es denn gedauert, bis ihr zu Kindern geworden seid?"

„Alles ist passiert, während Sie in- der Anabiose lagen, also innerhalb von zwei Monaten."

Artan erbleichte. Wenn auch das Raumschiff mit unzähligen automatischen Geräten und Apparaten ausgestattet war, so wurde doch alles vom Menschen beherrscht und gesteuert, sogar das große Elektronengehirn. Und nun standen Kinder an den Steuerpulten.' Was würde geschehen, wenn sie das ganze Navigationsprogramm durcheinanderbrächten? Die „Altai" würde niemals mehr ins heimatliche Sonnensystem zu­rückkehren.

Der Kybernetiker lief in die Steuerzentrale. Als er vor dem Zentralpult stand, beruhigte er sich ein wenig. Es zeigte sich, daß der kleine Kommandant außerordentlich intelligent und aufgeweckt war. Er konnte zwar nicht dreißig erwachsene Raumfahrer ersetzen, aber er hatte die schlimmsten Fehler zu verhindern gewußt, die die Jungen zu begehen drohten.

„Du bist ein sehr guter Kommandant", lobte Artan den Jungen.

Wirt wehrte ab. „Das Elektronengehirn hat mir geholfen, es hat mich angeleitet."

„Dann habe ich euch beiden zu danken. Und jetzt erzähl mir, was sich auf dem Schiff zugetragen hat, als ich in der Krankenabteilung lag. Warum hat sich die ganze Besatzung in Kinder verwandelt?"

„Ich weiß nicht", antwortete der Junge ausweichend. „Was bist du für ein Kommandant, wenn du nicht einmal

weißt, was sich auf deinem Schiff abspielt?"

4 Funkspruch 49

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Wirt errötete, Tränen traten ihm in die Augen. „Ich weiß es nicht", wiederholte er hartnäckig.

„Na, dann nicht. Wenn du nicht sprechen willst, werde ich eben das Elektronengehirn fragen", entgegnete Artan.

„Das wird Ihnen nur sagen: Auf dem Raumschiff hat die biologische Entropie ihre Richtung verändert. Mehr nicht."

Mein Lieber, du hast mir mehr verraten, als notwendig war, wollte Artan sagen. Wenn das Elektronengehirn wirklich sol­chen Unsinn behauptet, ist es entweder defekt, oder es gibt absichtlich falsche Informationen. Und das bedeutet, daß ich mich erst ganz zuletzt an den Automaten wenden kann, wenn ich sämtliche Archive durchsucht habe . . . Statt dessen sagte er kühl: „Du kannst gehen, Kommandant. Ich werde mir selbst Klarheit verschaffen."

An der Tür wandte sich Wirt noch einmal um. „Was ist Entropie?" fragte er schüchtern. „Würden Sie es mir erklären? Darf ich noch einmal zu Ihnen kommen?"

Weiß er wirklich nicht, was los ist? Vielleicht scheint es mir nur so, als verheimliche er etwas vor mir? dachte Artan und bereute ein wenig, daß er den Jungen so abweisend behandelt hatte. „Natürlich. Sowie ich fertig bin, ruf ich dich", sagte er versöhnlich.

Was ist mit der Besatzung geschehen? grübelte er, als er allein war. Vielleicht sind unbekannte Viren vom „Planeten des erloschenen Geistes" in das Raumschiff eingeschleppt wor­den? Aber das ist doch ausgeschlossen. Nach der Rückkehr an Bord sind die Leute mitsamt ihren Ausrüstungen dreifach untersucht worden. Ich muß mir unbedingt das Bordbuch an­sehen . . .

Auf dem Stereobildschirm rollten vor Artans Augen in um­gekehrt chronologischer Reihenfolge Bilder vom Leben auf dem Raumschiff während der Krankheit des Kybernetikers ab.

. . . Stepan Dug, der Chefmechaniker, sitzt auf dem Fuß­boden und schneidet aus breiten Magnetbändern kleine Männ­chen aus.

. . . Der Navigator Alek Tant sitzt auf dem Sternkartentisch und läßt Seifenblasen steigen. Das Raumschiff befindet- sich

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bereits in der Bremsphase, Schwerkraft ist schon vorhanden, und die bunten Seifenblasen schweben zur Begeisterung der zuschauenden Jungen an die Decke, wo sie zerplatzen.

. . . Kleine Raumfahrer sitzen in der Bibliothek inmitten von Bücherbergen. Sie versuchen verzweifelt, das ihnen entglei­tende Wissen im Gedächtnis zu behalten.

. . . In der Steuerzentrale weint bitterlich der Koordinator. Ihm ist soeben klar geworden, dafj er nicht mehr in der Lage ist, das Programm zu berechnen.

Wo aber blieb der aktive Kampf der Besatzung gegen die Kräfte, die sie überwältigt hatten? Im Bordbuch war keine Rede davon. Ein weiterer seltsamer Umstand ließ Artan auf­merken. Es gab Anhaltspunkte, dafj eine Woche, nachdem er in die Krankenabteilung eingeliefert worden war, eine Be­ratung der gesamten Besatzung stattgefunden hatte. Sie hatte genau eine Stunde und zwanzig Minuten gedauert. Aber auch von diesem so wichtigen Ereignis fand er kein Videophono-gramm im Bordbuch. Mehrere Stunden lang suchte der Kyber­netiker fieberhaft in den Archivmaterialien, aber er fand nichts, was ihn hätte weiterbringen können. Auch das Elek­tronengehirn wiederholte über den allgemeinen Kommunika­tionskanal immer nur das, was Artan von Wirt bereits er­fahren hatte.

Es blieb nur ein letztes Mittel. Artan mußte alle Filter um­gehen, die sich unter der Kontrolle der übrigen Besatzungs­mitglieder, einschließlich des Kommandanten, befanden, und direkten Kontakt zu dem Elektronengehirn aufnehmen.

Das war ein besonderes Privileg des Kybernetikers, von dem die anderen nichts wußten. Artan hatte nie zuvor davon Ge­brauch gemacht. Solch ein Kontakt erforderte außerordentlich hohe nervliche Anspannung, und nur in Ausnahmefällen nahm man Zuflucht dazu. Der Kybernetiker wählte ein Geheimzei­chen, öffnete eine kleine Nische in der Täfelung des Steuerpults, entnahm ihr einen Kontakthelm und setzte ihn auf. Nachdem er die Kontaktbänder an den Handgelenken befestigt hatte, schloß er die Augen und konzentrierte sich. Als der Rhythmus seiner Bioströme mit der vorgegebenen Einstellung des Elek-

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tronengehirns übereinstimmte, hörte das kaum zu ertragende Brummen in seinen Ohren auf.

„Guten Tag, Artan", ertönte eine metallene Stimme. „Ich freue mich, daft du gesund bist und dich nicht verändert hast."

Der Kybernetiker glaubte Wärme in der Stimme des Elektronengehirns zu hören. Aber er verwarf sofort diesen Gedanken. Er wuftte sehr genau, daft das Elektronengehirn lediglich über Rudimente von Bewußtsein verfügte und zu komplizierten Emotionen nicht fähig war. Der Automat war ja unter seiner Anleitung konstruiert worden.

„Sag mir, warum es im Bordbuch kein Videophonogramm von einer Beratung gibt, die eine Stunde und zwanzig Minuten gedauert hat", fragte Artan ohne Umschweife.

„Die Besatzung wollte nicht, daft du es siehst. Man hat mir befohlen, es auszulöschen."

„Stell es sofort wieder her", forderte Artan. „Ich gehorche", erwiderte das Elektronengehirn. Ein paar Sekunden später fühlte sich der Kybernetiker in

die Messe der Raumfahrer versetzt. Neja Rink, die Ärztin, sprach mit erregter Stimme:

„Aus alten Chroniken wissen wir, daft vor vielen, vielen Jahren, als noch die langsamen Schraubendampfer über die Ozeane der Erde fuhren, häufig Brände auf ihnen ausbrachen. Eine Feuersbrunst mitten auf dem Meer war damals die schlimmste Katastrophe, die man sich denken konnte. Auch wir haben jetzt eine solche Katastrophe an Bord. Aber uns bedroht nicht das Feuer, sondern ein viel schrecklicherer Feind. Er wütet unsichtbar und geräuschlos. Er friftt unser Fleisch und Blut, unsere Nerven, unser Wissen. Er zerstört unsere Gegenwart, er zerrt uns unwiderruflich und mit rasender Geschwindigkeit in die Vergangenheit zurück. Sein Name ist - negative Entropie, ein unheilvolles Geschenk des toten Planeten. Folgendes ist geschehen. Auf diesem Planeten wurde Wolodja Artan dem Einfluft eines Biofeldes ausgesetzt, das auf der Erde unbekannt ist. Wolodjas Körper wurde zum Träger dieses Feldes. Es gibt der biologischen Entropie auf dem Schiff eine negative Entwicklung. Merkwürdigerweise

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bildet Artan selbst eine Ausnahme und ist davon nicht be­troffen. Ein Strahlenbunker bietet keinen Schutz vor dem Bio­feld. Wir sind ihm vollkommen ausgeliefert und haben auch keine Möglichkeit, irgendeinen Gegenschutz zu schaffen. Wir werden uns somit, Wolodja ausgenommen, immer weiter zu Kindern zurückentwickeln. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Da Form und Inhalt bekanntlich eine Einheit bilden und in Wechselwirkung zueinander stehen, bleibt uns auch nicht einmal die Hoffnung, dafj wir in der neuen körper­lichen Hülle unseren Intellekt erhalten . . . "

„Schaffen wir es, zur Erde zurückzukehren, bevor wir zu Keimzellen geworden sind?" fragte unvermittelt der Navi­gator.

„Ja. Das Elektronengehirn behauptet, daß wir als zwei Monate alte Säuglinge auf der Erde landen werden."

„Und dann?" „Dann werden wir auf einer Orbitalstation der üblichen

Quarantäne unterworfen. Wolodja muß einige Zeit unter der Obhut von Robotern auf einer unbemannten Station ver­bringen, bis die Experten ein wirksames Gegenmittel für das Biofeld gefunden haben. Sobald wir von Wolodja getrennt sind, kehren wir zur normalen Entropie zurück.'

„Kann ich mir unmöglich vorstellen!" „Ist vielleicht das Lichtquant vorstellbar?" „Ruhig, Freunde", mahnte der Kommandant, „Neja hat noch

nicht das Wichtigste gesagt. All das können wir umgehen, wenn wir das Objekt, das mit rasender Schnelligkeit dieses Biofeld erzeugt, von Bord entfernen."

„Aber das ist doch Wolodja!" rief jemand empört. „Was haltet ihr von dieser Variante, Genossen?" fragte der

Kommandant unerbittlich. Ein Sturm der Entrüstung wurde laut. Der Kommandant hob die Hand. „Ruhe, Freunde! Ich bin verpflichtet, euch auf das vorzu­

bereiten, was uns erwartet, wenn Wolodja auf dem Raumschiff bleibt. Aber ich habe keine andere Reaktion erwartet. Ich freue mich über euren Beschluß und teile ihn voll und ganz.

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Einen Rückzug gibt es nicht. Wir werden kämpfen. Vor uns liegt sehr viel Arbeit. Wir müssen Roboterammen konstruieren. Wir müssen das Schiff zur unbemannten Landung vorbereiten, denn Säuglinge werden Wolodja eine schlechte Hilfe sein."

Die Raumfahrer erhoben sich von ihren Plätzen und standen Schulter an Schulter, eine stumme Mauer der Entschlossenheit.

Die Aufzeichnung war beendet. Der Kybernetiker sank kraftlos in seinen Sessel zurück.

„Elektronengehirn", fragte er heiser, „stimmt deine Pro­gnose, dafj die Leute als zwei Monate alte Säuglinge zur Erde zurückkehren?"

„Nein", ertönte die dumpfe Stimme des Elektronengehirns. „Ich habe die Raumfahrer belogen, weil ich fürchtete, sie wür­den dich über Bord werfen."

„Warum hast du das getan?" „Du bist doch mein Schöpfer!" rief das Elektronengehirn

mit feierlicher Stimme.

Als Wirt in die Kajüte trat, safj Artan am Schreibtisch und diktierte gerade: „Längere Zeit unbeschäftigt, begann das Elektronengehirn sich selbst zu vervollkommnen. Es schlug aber einen falschen Weg ein. Die Persönlichkeit, die es sich schuf, hat eine Tendenz zum Egozentrismus. In kritischen Situationen ist es in der Lage, dem Menschen seinen eigenen Willen entgegenzusetzen. Das kann gefährliche Folgen haben. Man mufj . . . " Als Artan den Jungen erblickte, schaltete er das Diktiergerät aus.

„Sie hatten mir versprochen zu erklären, was Entropie ist", erinnerte ihn Wirt.

„Warum interessiert dich das denn so?" „Es ist sehr wichtig für mich." „Na gut, ich werde versuchen, es dir mit einfachen Worten

klarzumachen." Artan erhob sich und ging im Raum auf und ab. „Die Dichter früherer Zeiten waren imstande, mit wenigen Worten die kompliziertesten Erscheinungen zu erfassen. Vor einigen Jahrhunderten hat zum Beispiel Puschkin gesagt: .Die Tage fliegen dahin, und jede Stunde trägt ein Stückchen Sein

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davon . . .' Spürst du, wieviel Bitternis in diesen Worten steckt? Die Zeit ist erbarmungslos gegenüber dem Menschen, und schuld daran ist die biologische Entropie, das heißt die Ab­nutzung. In der Natur nutzt sich alles mit der Zeit ab, die Sterne, die Steine, jedes Lebewesen. Der Mensch aber wird a l t . . . Wir Kybernetiker drücken das so aus: Überall und stän­dig ist die Entropie im Wachsen begriffen. Aber der lebende Organismus kämpft dagegen an, er läßt sie nicht wachsen. Er wendet seine stärkste Waffe gegen sie an, nämlich den Stoff­wechsel. In unserem Körper, Wirt, tobt ein heftiger Sturm der Selbsterneuerung. Er wird als .metabolisch' bezeichnet. Wird er schwächer, tritt der Tod ein. Warum dieser metabolische Sturm eines Tages erlahmt, brauchst du jetzt nicht zu begreifen. Mach dir nur eins klar: In euren Körpern ist dieser Sturm gleichsam

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ins Gegenteil verkehrt, er tobt in der entgegengesetzten Rich­tung. Und den normalen Verlauf habe ich gestört. . ."

„Das hat dir das Elektronengehirn verraten, das ist gemein!" rief der Junge zornig aus.

„Schimpf nicht auf das Elektronengehirn, Nick. Du weifjt doch, gute Kinder haben keine Geheimnisse vor ihren Eltern. Und ich habe doch den Automaten konstruiert. Im Gegenteil, ihr habt nicht fair gehandelt, denn ihr habt mir eure Beratung verschwiegen."

Der Junge blickte verlegen zu Boden. Artan trat zu ihm und legte ihm den Arm um die Schultern. „Schon gut, du Ver­schwörer, ich bin ja nicht böse. Nun komm, wir wollen mit­einander beraten, was zu tun ist. Weißt du, ich habe nämlich ein ausgezeichnetes Mittel gegen das Biofeld gefunden. Mein Körper wird dadurch wieder neutral. Aber ich muß lange Zeit, möglicherweise noch bevor wir auf die Erde zurückkehren, in Anabiose versenkt werden."

Der Junge blickte den Kybernetiker erwartungsvoll an. „Und was ist das für ein Mittel?" „Transmutale Stufe des asynchronen Berns-Feldes mit nega­

tivem Ablauf." „Damit kann ich nichts anfangen", seufzte Wirt. „Hab ich

also auch schon vergessen", fügte er schuldbewußt hinzu. „Nick, du bist von nun an verantwortlich für die Kinder und

den erfolgreichen Ablauf des Expeditionsprogramms. Wirst du es schaffen?"

„Muß ich'nun wieder allein bleiben?" fragte der Junge er­bleichend.

„Es muß sein, Kommandant", erwiderte Artan. Da straffte sich die kleine Gestalt des Jungen, er schien

größer zu werden. „Was ist mit der Landung?" fragte er ernst, sich seiner Verantwortung über das Raumschiff bewußt.

„Ihr hattet eine unbemannte Landung geplant, bei der ich mitwirken sollte. Ich habe das Programm geändert. Sobald die „Altai" Erdnähe erreicht hat, wird sie von Rettungsraumschif­fen empfangen, die sie ins Schlepptau nehmen."

Der Junge nickte zustimmend.

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„Hast du noch Fragen?" „Ja, ich möchte noch etwas über die negative Entropie wis­

sen. Was soll bloß werden, wenn wir sie auf die Erde ein­schleppen?"

„Ach, jetzt begreife ich. Deswegen bestehst du so darauf, mehr darüber zu erfahren. Tja, Kommandant, das ist keine einfache Frage. Angenommen, ich wüßte keine Antwort dar­auf?"

Artan blickte den Jungen forschend an. „Dann müssen wir den Kurs zur Erde vergessen", sagte Wirt

mit fester Stimme. Der Kybernetiker beugte sich nieder, strich dem Jungen

übers Haar und sagte: „Nein, das ist nicht notwendig, Kom­mandant. Haltet den richtigen Kurs zur Erde ein. Die negative Entropie ist nur dann lebensgefährlich, wenn sie spontan auf­tritt, so wie jetzt auf unserem Raumschiff. Ich bin überzeugt, die Menschen auf der Erde werden sie auf Grund der Angaben, die sich bei uns im Analysator befinden, beherrschen lernen. Wenn es notwendig wird, werden sie in der Lage sein, die negative Entropie in eine normale zu verwandeln. Und dann, mein Freundchen, kann jeder, wann immer er es wünscht, seine Jugend wiedererleben . . . "

„Aber Pflanzen werden doch hoffentlich nicht davon betrof­fen, oder?" fragte Wirt besorgt.

„Nein." „Das ist prima. Sonst würde es ja kein Kompott mehr geben.

Stellen Sie sich vor, Pflaumen und Äpfel würden nicht mehr reif werden!"

Was für ein großes Kind, dachte der Kybernetiker zerstreut. Sorgt sich um das Schicksal der Menschheit und um sein Kom­pott. Artan hätte sich gern noch ein wenig mit Nick unter­halten, und sei es nur, um in sein verständiges Gesicht zu blicken. Aber es durfte nicht sein. Die Zeiger der Uhr waren unerbittlich. Jede Sekunde stahl den Kindern ein weiteres Stückchen Leben. Der Kybernetiker schickte den Jungen fort. Schnell diktierte er noch ein paar letzte Anweisungen und sprach dann seine Abschiedsworte ins Diktiergerät. „Mein klei-

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ner Kommandant", sagte er. „Halt dich tapfer und vergiß nicht, auf dem Schiff bist jetzt du der Älteste."

Das kleine Raumschiff, das für kurze Erkundungsflüge vor­gesehen war, stand zum Start bereit. Die Einstiegsluke ließ sich leicht öffnen. Artan hatte vorsorglich alle Kommunika­tionskabel blockiert, über die das Elektronengehirn Wider­stand leisten könnte. Bevor Artan den Einsitzer bestieg, sah er sich noch einmal um. Er war allein, niemand begleitete ihn. Blendendes Licht fiel auf die ausgestorbene Startrampe. Unter dem niedrigen Deckengewölbe wehte ein leichter Wind. Artan spürte ihn wie eine letzte Liebkosung der Erde

Als die Startfläche wieder leer dalag, erfüllte schauerliches Sirenengeheul die Wohnkajüten der Raumfahrer. Das Elek­tronengehirn hatte endlich Alarm schlagen können. Vielleicht aber weinte es auch nur . . .

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A. Chlebnikow

Menschliches Versagen

Vor Schreck war sie wie gelähmt. Die Kabinenwand ver­schwand plötzlich. Bodenlose Tiefe gähnte unter ihren Füßen. Dann stieg - durch das augenblickliche Gefrieren des Wasser­dampfes - ein weißer Explosionspilz auf, und eine Luftblase schoß hinaus in die kosmische Leere: Ein heftiger Stoß schleu­derte Dana in das schwarze Nichts, weit vom Raumschiff weg. Im Fall drehte sie sich um die eigene Achse. Dabei schien es ihr, sie stehe still und um sie herum kreise ein riesiges Feuer­rad, ein schwarzer Reif, dicht besprenkelt mit gelben, roten und violetten Sternschnuppen. In der Ferne glitt ein Schatten über das Sternenfeld - die schwache, kaum erkennbare Silhouette des Raumschiffes. Es zog einen hellroten Funken­schweif hinter sich her - und entschwand.

Dana flog weiter, ein einsames, hilfloses Stäubchen, zum Untergang verurteilt.

„Lat!" schrie das Mädchen verzweifelt, als die Benommen­heit wich. „Lat, mich hat's rausgeschleudert!"

„Verlier nicht die Nerven, Dana", vernahm sie die ruhige Stimme des Kapitäns, „halte durch, Z-El rettet uns."

„Wo bist du, Lat?" „Nicht weit von dir." „Was ist passiert?" „Meteoriteneinschlag. Antimaterie wahrscheinlich. Beide

Wände - Schutzmantel und Innenwand - sind durchlöchert." Der Kapitän verstummte. „Sag was, Lat, sprich doch was, nur schweig nicht!" flehte

Dana. Sie flog durch das unendliche All, und die Stimme des Kapitäns war das einzige, was sie mit den Menschen verband.

„Wenn wir wieder auf der Erde sind, Dana, legst du dann das Examen für Raumfahrtkybernetik ab?"

„Ja."

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„Astrobiologe und Kybernetiker in einer Person - das wäre großartig. Aber nimm den Mund nicht zu voll. Nachher läßt du unseren Erztransporter im Stich und gehst auf ein Passagier­raumschiff."

„Lat, lügst du auch nicht? Glaubst du bestimmt, daß wir zur Erde zurückkommen?"

„Bestimmt. Die Hechte finden uns." Der Kapitän sagte absichtlich nicht die Wahrheit. Die kleine

Rettungsrakete, bei den Astronauten „Hecht" genannt, weil sie in Not geratene Raumfahrer „schlucken", das heißt an Bord nehmen konnte, vermochte nur einen Menschen zu retten und kehrte dann sofort zum Raumschiff zurück, womit ihre Ener­gien erschöpft waren.

Der Anzahl der Besatzung entsprechend, führte die „Kristall" zwei Hechte mit. Aber der Kapitän wußte, daß sich die Halte­rung des einen Hechts an der zertrümmerten Stelle der Bord­wand befunden hatte.

„Bestimmt sind sie gleich da", klang die überzeugende Stimme des Kapitäns herüber, nun aber schon viel leiser. v

„Warum bist du so schlecht zu hören, Lat?" „Wir wurden in verschiedene Richtungen geschleudert. Die

Entfernung wird immer größer." „Kannst du deine Richtung nicht ändern?" „Nein, leider nicht. Ich hab's nicht mehr geschafft, die Gurt­

düse umzuschnallen. Z-El hat zu spät Alarm gegeben. Gott sei Dank haben wir noch die Raumanzüge . . . Dana, hörst du mich?"

Die Stimmendes Kapitäns entfernte sich immer mehr. „Ja-a-a . . ." „Jetzt sind wir so weit auseinander, daß die Verbindung

gleich abreißen wird. Hab keine Angst! Ist deine Funkbake in Ordnung?"

„Natürlich." „Also, halt dich tapfer, Dana. Alles Gu . . ." Die Stimme des

Kapitäns riß ab. Aus den Kopfhörern kam nur noch ein Rau­schen, endloses, unaufhörliches Rauschen - die Sprache der Sterne.

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Page 63: Der seltsame Funkspruch

Kaum hatte sich der Explosionsnebel verzogen, wurde die Einschlagstelle bereits von einem sich rasch verhärtenden Film bedeckt. Prüfroboter untersuchten den äußeren Schutzmantel des Raumschiffs und bestimmten Art und Ausmaß der Beschä­digung. Dann regten sich die Elektroschweißroboter in ihren Zellen und machten sich zum Austritt bereit.

Z-El, das zentrale Elektronengehirn, arbeitete blitzschnell und vor allem fehlerfrei. In seinen Analysationsblock liefen pausenlos umfassende Mitteilungen der in allen Räumen und Sektionen des Raumschiffs untergebrachten Sensoren ein.

Z-El erkannte sofort, daß die Besatzung das Raumschiff nicht auf normalem Wege verlassen hatte. Sie brauchte also Hilfe. Z-El erfuhr auch vom Ausfall des einen Hechts. Der zweite aber war unversehrt. Auf Befehl von Z-El öffnete sich das Luk, der funktionsfähige Hecht rückte in Ausgangsposition und fuhr die Antennen aus. Die Kontrolle übernahm K-El, das kleine Elektronengehirn.

„Zwei Objekte sind im Kosmos. Welches soll gerettet wer­den?" befragte es Z-El.

„Der Kapitän, Objekt Alpha. Wenn nicht ausführbar, dann Objekt Delta."

Z-El konnte keine andere Entscheidung fällen. Der Haupt­punkt des ihm von den Menschen eingegebenen Programms lautete: „Maximaler Einsatz für die Sicherheit des Raumschiffs und die Funktionstüchtigkeit all seiner Systeme." Unter diesem Gesichtswinkel rangierte der verantwortliche Kybernetiker natürlich vor dem Biologen.

„Mund aufmachen, Mund aufmachen, Mund aufmachen . . ." Dana erwachte aus der Ohnmacht. Sie lag in der Kranken­

kabine des Raumschiffs. „Lat!" rief sie. Ein Metallarm drückte ihr behutsam eine Trinkflasche an

die Lippen. „Trinken, trinken . . .", hämmerte die Stimme des Sanitäts­

roboters. „Lat!" rief das Mädchen und wandte den Kopf weg.

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„Ruhig werden, ruhig werden . . .", mahnte der Roboter. Außer ihm war niemand in der Kabine.

„Sani, ruf Z-El!" „Ausruhen, ausruhen, die Aufgabe dann, die Aufgabe

dann . . . " „Ich befehle es!" Der Roboter gehorchte. Auf seinem halbkreisförmigen Kopf

flammte das grüne Auge auf. „Z-El hört." „Wo ist der Kapitän?" „Der Kapitän ist umgekommen." „Das kann nicht sein! Wir haben zwei Hechte!" „Z-El spricht immer richtig. ,Kristall' hat nur noch einen

Hecht."

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Page 65: Der seltsame Funkspruch

„Warum hast du dann mich gerettet und nicht ihn?" „Der Kapitän hat seine Funkbake ausgeschaltet." „Warum hat er das getan?" rief Dana tränenerstickt! „Ich erläutere: menschliches Versagen. Roboter handeln

nicht so", erwiderte Z-El gleichmütig. Dana weinte, das Gesicht ins Kopfkissen gepreßt.

Page 66: Der seltsame Funkspruch
Page 67: Der seltsame Funkspruch

Inhalt

Lew Stekolnikow

3 Der seltsame Funkspruch

Aus dem Russischen von Aljonna Möckel

A. Chlebnikow

46 Der unsichtbare Feind

Aus dem Russischen von Ingeborg Subert-Kolinko

A. Chlebnikow

59 Menschliches Versagen

Aus dem Russischen von Ilse Krätzig


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