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DER KLEINE ABITUR – 2005 · ABITUR – 2005 EX K U R S I O N E N, VE R A N S T A L T U N G E N,...

Date post: 24-Oct-2020
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DER KLEINE A A B B I I T T U U R R 2 2 0 0 0 0 5 5 E XKURSIONEN , V ERANSTALTUNGEN , G ESCHICHTEN UND G EDICHTE VON UNS E RLEBT , GEHÖRT , NACHERZÄHLT UND AUFGESCHRIEBEN 17 T EILNEHMER DES S ONDERLEHRGANGS 2003 – 2005 E VA -M ARIA K ÜHN / D EUTSCHLEHRERIN
Transcript
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  • Inhaltsverzeichnis Vorwort 2 Exkursions- und Erlebnisberichte 3 Hallo, liebe Leserinnen und Leser!

    Wir sind die Gruppe SL 2 eines Sonder-lehrgangs für Spätaussiedler am Studien-kolleg Sachsen. Dieser Sonderlehrgang istein zweijähriger Abiturkurs, der im Auftragdes Sächsischen Kultusministeriums seit1992 durchgeführt wird und zur Auffri-schung unserer Kenntnisse in allen Fä-chern, zum Erwerb neuen Wissens wieauch zur Vertiefung unserer Deutsch-kenntnisse dient. Warum brauchen wir diesen Kurs? Wirsind mit unseren Familien vor ca. 4 Jahrenaus den Republiken der ehemaligen Sow-jetunion nach Deutschland umgesiedelt.Obwohl wir dort die Schule beendet bzw.einige Semester studiert hatten, haben wirkein deutsches Abitur. Am StudienkollegSachsen haben wir die Möglichkeit diesesnachzuholen, um unsere Ausbildung fort-setzen zu können. Leider sind wir die letzten 17 Kursteilneh-mer, die hier ihr Abitur erwerben durftenund schließen damit eine dreizehnjährigeTradition ab. In diesem Jahrbuch haben wir kleine Be-richte über unsere Aktivitäten außerhalbdes Unterrichts, eigene Geschichten undunsere besten Aufsätze aus dem Deutsch-unterricht zusammengestellt . Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Le-sen!

    Torgau 3 Weihnachtsfeier im Dezember 2004 4 Weihnachten 5 Die vier Kerzen am Adventskranz 5 Weimar 5 Erlebnisse im Haus des Buches 6 Lesung: Adel Karasholi 7 Gedichte von Adel Karasholi 8 Sprachübungen der Kursteilnehmer 8

    Aufsätze 9 Schiller „Kabale und Liebe“ 9 Dürrenmatt „Die Physiker“ 10 Goethe „Faust“ Thema 1 11 Goethe „Faust“ Thema 2 13

    Kulturschockgeschichten 15 Der Badesee 15 Mein Kulturschock 15 Der Konjunktiv 16

    Geschichten aus dem Leben 16 Der beste Freund 16 Freundschaft und Geldgier 17 Das Gericht 17 Zwei Freundinnen 18 Der Führerschein 18 Ein paar Floskeln 19 Geschichte eines jungen Lebens 19 Aus meiner Kindheit 20 Die Bekanntschaft 21 Missverständnis 21 Mandarinen 22 Das Glasdosenexperiment 22 Der Maler 23 Parabel von einem Weisen 23 Glaubwürdigkeit 24

    Witzecke 24 Der besorgte Polizist 24 Die Gasmaske 25 Abendgebet 25

    Humorvolles 25 Stilblüten aus dem Unterricht 25 „das shönste wort von deutshe“ 27

    Gedichte 29 Meine Tochter 29 Nimm mich mit 29 Prosa und Lyrik 30 Meine Gedichte 30

    Nachwort 31

    Impressum 32

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  • EErrlleebbnniissbbeerriicchhtt -- TToorrggaauu Am 5.10.04 fuhr unsere Gruppe nach Torgau, wo die 2. Sächsische Landesausstellung stattfand. Ihr Titel war: „Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit“. Neben Dokumenten und authentischen Sachzeugen spielte Kunst in der Ausstellung eine wichtige Rolle. Zahlreiche Gemälde, Skulpturen, Urkunden und Rüstungen aus den Museen Deutschlands, Europas und sogar aus den USA wurden in Torgau an 3 Orten, im Albrechtbau des Schlosses, der Schlosskapelle und der kurfürstlichen Kanzlei, gezeigt. Unsere Exkursion begann mit einer Stadtführung durch die historische Altstadt. Torgau ist durch viele Renaissance-Bürgerhäuser sehenswert. Erster Anlaufpunkt unseres Rundgangs war der Marktplatz mit seinem Renaissance-Rathaus, das durch den schönen Erker und Skulpturen eindrucksvoll auf uns wirkte. In seinem Innenhof befindet sich die aus dem 13. Jahrhundert stammende Nikolaikirche mit ihren zwei weißen Türmen, die als Bischofsmützen bekannt sind. Im Vergleich zu den imposanten Türmen sieht das Hauptgebäude der Kirche sehr heruntergekommen aus. Die Kirche diente nach ihrer Säkularisierung als städtisches Gewandhaus, Kaufhaus, Mehlwaage und Gericht, was uns ihre unterschiedlichen Baustrukturen im Inneren deutlich machten. Weiter ging unsere kleine Gruppe zu dem Denkmal der Begegnung, das sich an der Elbstrasse befindet. Das Denkmal erinnert an das Treffen amerikanischer und sowjetischer Soldaten noch vor dem offiziellen Kriegsende an der Elbe bei Torgau im April 1945. Von hier aus war es nicht weit zum Schloss Hartenfels, einem der bedeutendsten Renaissancebauten Mitteldeutschlands. Es besitzt eine Besonderheit im Innenhof – den Großen Wendelstein. Er wird zu den schönsten Schöpfungen der deutschen Renaissance gezählt und weist eine besondere Baustruktur auf - die „Schneckentreppe“ besitzt keinen mittleren Stützpfeiler. Außerhalb des Schlosses liegt ein schöner Rosengarten. Der Haupteingang führt über eine Brücke, unter der sich ein Bärenzwinger befindet. Wenn man nach unten blickt, sieht man drei große, wunderschöne Bären, die faul herumliegen. Torgauer Bären sind untrennbar mit der Geschichte des Schlosses verbunden. Schon 1425 wurde der erste Bärenfang beim Schloss erwähnt. Sobald wir uns das Schloss von außen angeschaut und den Großen Wendelstein mehrmals bestiegen hatten, fing die Führung durch die Ausstellung im Albrechtsbau und der Schlosskapelle an. Dank unserer jungen Führerin wurde die Geschichte Sachsens für uns sehr anschaulich. Sie führte uns in die Ereignisse von der Leipziger Teilung bis zum Augsburger Religionsfrieden ein. Was mich damals besonders beeindruckte und immer noch im Gedächtnis geblieben ist, sind einige Ausstellungsstücke, wie z.B. das Triptychon der drei Kurfürsten von Sachsen von Lucas Cranach d.Ä., auf dem Johann Friedrich der Großmütige mit seinen beiden Vorgängern zu sehen ist. Der Auftrag kam von Johann Friedrich selbst, außerdem mussten die Bildnisse mit einem Text

    versehen werden, der die Verdienste für das Reich herausstellen sollte. Das zweite Bild, das mir sehr gefallen hat, war das Bild „Elias und die Baalspriester“ von Lucas Cranach d.Ä., 1545. Es schildert uns eine der Geschichten aus dem Alten Testament. Jede Episode auf dem Bild zeigt, wie intolerant und grausam eine Religion der anderen gegenüber sein kann. Das Bild schockierte mich mit seinen brutalen Szenen und ließ mich über die heutige Situation in der Welt nachdenken, wo fast jeden Tag religiöse Terrorakte passieren und wo ständig so viele Menschen dabei sterben.

    Marianne Schenk

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    Es passieren viele Dinge im Leben, die man nicht erwartet. Sie kommen einfach von selbst und bringen in unseren Alltag etwas Erfrischendes und Angenehmes, was uns manche Sorgen und Probleme kurze Zeit vergessen lässt. Manchmal muss man seine Ängste einfach wegstecken und etwas Spontanes unternehmen, ohne darüber lange nachzudenken. Oft führt es zu wunderbaren und einmaligen Erlebnissen, die viele Jahre tief in unserer Erinnerung bleiben. Auf die Idee, eine Weihnachtsfeier zu organisieren und alle unsere Lehrer einzuladen, ist unsere Gruppe kurz vor Weihnachten spontan eingegangen. Natürlich dachten wir am Anfang nicht, dass diese gemeinsame Feier uns so viel Freude und Spaß machen würde. Wir wussten einfach, dass jeder von uns einen kleinen Beitrag leisten sollte, damit am Ende ein Ergebnis entsteht. In der Vorbereitungszeit besprachen wir gemeinsam den Plan unserer Feier, packten Geschenke ein, besorgten Weihnachtskarten und luden die Lehrer ein. Am 21. Dezember, dem letzten Schultag vor den Ferien, fand unsere kleine Weihnachtsfeier statt. Obwohl alles vorbereitet war, fühlten wir uns unsicher und ein wenig nervös. Die Tische waren voll mit Süßigkeiten und Früchten; die Lehrer waren gespannt, was ihre Schüler vortragen werden. Natürlich war es nicht leicht, den Lehrerplatz vorne einzunehmen und vor der ganzen Gruppe zu sprechen, aber das war nur am Anfang so. Jeder hat seinen Teil der Arbeit gemacht, ob es nun ein Gedicht, ein Lied, ein musikalischer Beitrag oder ein Spiel war. Nach einer kurzen Zeit und einigen Vorträgen ist die Atmosphäre viel lockerer geworden und wir fingen an, unsere Unterhaltung zu genießen. Einige Lehrer leisteten auch ihren kleinen Beitrag, was für uns natürlich unerwartet, aber sehr angenehm war. Es war ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Sympathie, das sie uns schenkten. Wir saßen mit den Lehrern gemeinsam an einem Tisch und fühlten uns einander ein bisschen näher. Es war eine gute Erfahrung, unseren Lehrern etwas näher zu kommen und sie von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Die zwei Stunden Spaß und Unterhaltung vergingen so schnell, dass es am Ende schade war, uns zu verabschieden. Die Worte der Bewunderung von Seiten der Lehrer waren das beste Weihnachtsgeschenk, das wir uns nur wünschen konnten. Ein gemeinsames Foto am Ende der Feier wird uns noch lange an diese schönen Stunden erinnern. Ist es nicht fantastisch, wenn man etwas erlebt, was man überhaupt nicht erwartet hat? Ist es nicht wunderbar, auf seine geleistete Arbeit, die so vielen Leuten Freude macht, stolz zu sein?

    Elena Brug

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  • WWeeiihhnnaacchhtteenn Einmal kamen alle Tiere zusammen, um eine Weihnachtsfeier zu besprechen. Der Löwe fragte: „Was müssen wir tun?“ „Ich weiß! Ich weiß! Wir brauchen ein Weihnachtsbaum!“, sagte der Bär. „Einen großen, schön geschmückten Weihnachtsbaum! Dann können wir herumtanzen und lustig feiern! Was wäre Weihnachten ohne Weihnachtsbaum?“ Und alle Tiere stimmten ihm zu. „Und die Gans!“, sagte der Fuchs. „Wir müssen eine Gans braten! Das muss eine große, fette Gans sein! Was wäre Weihnachten ohne Gans?“ „Ja, richtig!“, stimmten alle Tiere zu. „Und saufen!“, schrie der Ochse. „Wir müssen richtig saufen bis zum Umfallen! Dann wird es ein richtiges, lustiges Weihnachten!“, fuhr er fort. „Du Ochse!“ schrie plötzlich der Esel und sprang auf. „Saufen? Gänse braten? Habt ihr nicht etwas vergessen?!“ „Na, was?“, fragte der Fuchs. „Das Kind! Ein Kind wird geboren! Das Christuskind! Daran müssen wir denken! Versteht ihr nicht! Das Kind ist das

    Allerwichtigste!“, sagte der Esel und wandte sich von den Tieren ab. Der Ochse schämte sich und der Fuchs auch und alle Tiere schwiegen. „Tatsächlich.“, sagte der Ochse ganz leise. „Tatsachlich. Das Kind ist das Allerwichtigste und daran müssen wir denken. Aber wissen das auch die Menschen?“

    Nacherzählt von Maxim Honstein

    DDiiee vviieerr KKeerrzzeenn aamm AAddvveennttsskkrraannzz Vier Kerzen brannten am Adventskranz. Es war still. So still, dass man hörte, wie die Kerzen zu reden begannen. Die erste Kerze seufzte und sagte: Ich heiße Frieden. Mein Licht leuchtet, aber die Menschen halten keinen Frieden, sie wollen mich nicht. Ihr Licht wurde immer kleiner und verlosch schließlich ganz. Die zweite Kerze flackerte und sagte: Ich heiße Glauben, aber ich bin überflüssig. Die Menschen wollen von Gott nichts wissen. Es hat keinen Sinn mehr, dass ich brenne. Ein Luftzug wehte durch den Raum und die Kerze war aus. Leise und sehr traurig meldete sich nun die dritte Kerze zu Wort. Ich heiße Liebe. Ich habe keine Kraft mehr zu brennen. Die Menschen stellen mich an die Seite. Sie sehen nur sich selbst und nicht die anderen, die sie lieb haben sollen. Und mit einem letzten Aufflackern war auch dieses Licht ausgelöscht. Da kam ein Kind in den Raum. Es schaute die Kerzen an und sagte: Aber, aber, ihr sollt doch brennen und nicht aus sein! Und fast fing es an zu weinen. Da meldete sich auch die vierte Kerze zu Wort. Sie sagte: Hab nur keine Angst! So lange wie ich brenne, können wir auch die anderen Kerzen wieder anzünden. Ich heiße Hoffnung. Mit einem Streichholz nahm das Kind Licht von dieser Kerze und zündete die anderen Lichter wieder an.

    Weihnachten 2004

    EErrlleebbnniissbbeerriicchhtt –– WWeeiimmaarr Im Februar 2005, an einem sonnigen Wintertag, fand unsere schon seit langem geplante Exkursion nach Weimar statt. Wir hatten uns seit Wochen mit Goethe und Schiller, ihren Werken und Wirkungsstätten beschäftigt. Deshalb waren alle sehr gespannt darauf. In Weimar angekommen war unser erstes Ziel der älteste Teil der Stadt, wo sich der Jakobsfriedhof und die Jakobskirche befinden. Zur Zeit wird die Kirche restauriert und wir konnten sie nicht betreten. Aber den Friedhof haben wir besichtigt. Gleich an der Kirchenmauer befindet sich die Ruhestätte des berühmten Malers Lucas Cranach d. Ä. und weiter hinten das Kassengewölbe, in dem sich Schillers erste Ruhestätte befand. Nicht weit davon ist Christiane Vulpius, Goethes Frau, begraben. Wir entzifferten auf dem Grabstein Goethes Verse:

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  • Du versuchst, o Sonne, vergebens Durch die düstren Wolken zu scheinen: Der ganze Gewinn meines Lebens Ist, ihren Verlust zu beweinen. Auf unserem weiteren Weg durch die Stadt haben wir uns in eine kleine Seitengasse verirrt, und stießen durch Zufall auf das Wohnhaus der Familie Vulpius, in dem Christiane aufwuchs. Da wir den Film „Die Braut“ gesehen hatten, in dem es um das Leben dieser Frau geht, überkam uns ein Gefühl, als ob sie eine gute alte Bekannte wäre und wir erzählten uns einige Szenen. So eine kleine Entdeckung macht immer Spaß. Unsere auf Neues begierige Gruppe ging weiter zur Stadtkirche, vor der das Herder-Denkmal steht. Er selbst liegt in der Kirche begraben und wir bewunderten dort außerdem den prachtvollen und faszinierenden Cranach-Altar. Der Weg führte uns nun hinter das Schloss zum Musäus-Haus, in dem sich die Gedenkstätte für Albert Schweitzer befindet. Die grenzenlose Humanität dieses Mannes und seine Aufopferung für andere bewundern Menschen auf der ganzen Welt. Weimar ist nicht groß, aber man kann sehr viel besichtigen und erleben. Am Rande der Stadt befindet sich ein wunderschöner Park an der Ilm. Einer von vielen Wegen führt zu Goethes Gartenhaus, wo er und Christiane viel Zeit verbrachten. Am Park steht auch die Anna-Amalia-Bibliothek, die nach dem schrecklichen Brand gerade wieder restauriert wird. Wir gingen ein paar Schritte weiter und schon waren wir am Haus der Familie von Stein, an dem wir vorbei zum Frauenplan und weiter zum „Historischen Friedhof“ liefen. Dort befinden sich die Fürstengruft und eine russische Kapelle, die 1859 für Maria Pawlowna, die Schwiegertochter Carl Augusts, gebaut worden war. Eine schmale Steintreppe führt hinab in die Gruft der Herzoginnen und Herzöge, neben denen auch Goethe und Schiller bestattet wurden. Als Höhepunkt unserer Exkursion besuchten wir das Goethe-Haus am Frauenplan. Die Ausstattung des Museums ist wie zu Lebzeiten des großen Dichters und alle Räume, wie sein Arbeitszimmer, sein Schlafzimmer und die Bibliothek, sind original eingerichtet. Elektronische Geräte führten uns durch das Haus, sodass wir es ganz in Ruhe genießen konnten. Weimar war ein sehr schönes Erlebnis, aber leider hatten wir nicht genug Zeit, alle berühmten Stätten der deutschen Klassik zu besichtigen. Ein Grund, der ehemaligen „Kulturhauptstadt Europas“ wieder einmal einen Besuch abzustatten.

    Tatjana Sitev

    EEErrrllleeebbbnnniiisssssseee iiimmm HHHaaauuusss dddeeesss BBBuuuccchhheeesss Innerhalb der letzten zwei Jahre hat unsere Gruppe viele interessante Veranstaltungen im kulturellen und literarischen Rahmen besucht. Diese gemeinsamen Erlebnisse halfen uns, außerhalb des Unterrichts einander näher zu kommen und einander besser kennenzulernen. Ob Theaterspiele im Schauspielhaus, Dokumentarfilme im Rahmen der interkulturellen Woche in Leipzig oder Besuch des Schulmuseums - das waren alles wunderbare Erfahrungen, die noch lange in unserem Gedächtnis bleiben. Aber unser treuster Freund innerhalb dieser Zeit blieb das Haus des Buches, das uns immer herz-

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  • lich willkommen hieß. Seitdem wir dieses Haus während des Puppenspiels "Michael Kohlhaas" kennenlernten, verbrachten wir dort zahlreiche Abende im Kreise unterschiedlichster Leute, die sich für Literatur und für das Buch interessieren. Dort begegnete ich zum ersten Mal dem berühmten Schriftsteller Robert Schneider, der an einem Abend zu Gast im Haus des Buches war und für die Besucher aus seinem neuen Buch “Kristus” vorlas. Und auch über den berühmten deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche habe ich von einem Professor aus Halle, der an einem Abend einen Vortrag über ihn hielt, viel Neues erfahren. Eine der Veranstaltungen war ein Dokumentarfilm über die Fremdsprachenübersetzer und ihre schwere Arbeit an den Büchern. Der Film zeigte deutlich wie unterschiedlich, aber auch ähnlich die Sprachen und ihre kulturellen Hintergründe sind. Wir sahen immer erstaunlich viele Leute, die sich für das Lesen interessieren und zu den verschiedenen Veranstaltungen kommen. Es ist bewundernswert, dass Leute unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Berufe in einem kleinen Raum zusammenkommen und über Literatur sprechen. Und genau dieses “Wunder” konnten wir an einem Abend miterleben, als alte und junge Leute aus der Schreibwerkstatt des Hauses des Buches uns ihre eigenen Geschichten und

    Gedichte vorlasen. Jede Veranstaltung in diesem Haus motiviert die Besucher zum Lesen. Und es ist auch klar, dass keiner in dem Haus anzutreffen ist, der das Buch nicht liebt.

    Elena Brug

    EEiinn AAbbeenndd iinn ddeeuuttsscchheerr uunndd aarraabbiisscchheerr SSpprraacchhee

    Ich hätte nie gedacht, dass Gedichte in einer fremden Sprache, die in sich die Besonderheiten einer ganz anderen Kultur tragen, so wunderschön klingen können. Die Melodie dieser für mich neuen Sprache verzauberte mich völlig, indem ich die Augen schloss und mich gedanklich in ein von Sand und von Sonne vergoldetes Land versetzte, ein Land vieler zauberhafter Märchen. Am 17. März dieses Jahres besuchte unsere Gruppe eine ungewöhnliche Veranstaltung in der Rahn-Galerie, die zwei Künstler vorstellte und „Umarmung der Meridiane“ hieß. An diesem Abend begegneten wir zum ersten Mal dem bekannten syrischen Lyriker Adel Karasholi, der in den 60-er Jahren nach Leipzig kam und sich hier niederließ. Einige seiner Gedichte hatten wir schon gelesen, da wir vorher eine Unterrichtsstunde seinem literarischen Schaffen widmeten. Aber es war gefühlsmäßig etwas völlig anderes, diese Gedichte aus dem Munde des Autors zu hören und zu verstehen, was er mit seinen Worten ausdrücken wollte. Adel Karasholi schreibt in zwei Sprachen, wie auch seine Seele in zwei Kulturen lebt. Und da zu dieser Veranstaltung einige arabische Besucher gekommen waren, las er auch Gedichte in Arabisch. In diesem Moment wurde mir klar, wie viel man von Gestik und Mimik ablesen kann. Ich verstand zwar kein einziges Wort, aber sein Gesichtsausdruck sagte mir vieles. Ein anderer Höhepunkt des Abends war der Auftritt der ägyptischen Sängerin Mona Ragy Enayat, die auch schon viele Jahre in Deutschland lebt. Ihre bezaubernde Stimme, ihr gefühlvolles Singen und anziehendes Lächeln machten auf alle Besucher einen unvergesslichen Eindruck. Anschließend führte sie uns durch eine kleine Ausstellung mit Gemälden, die sie in verschiedenen Phasen ihres Lebens gemalt hatte. Die Betrachtung der Bilder war ein wunderbarer Abschluss des Abends, an dem wir auch die arabische Kultur ein wenig näher kennen lernten.

    Elena Brug

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  • Adel Karasholi „Daheim in der Fremde“ Gedichte Stimme „Ich wollte nun aus Deutschland wieder fort. Ich wollte unter diesem Volke nichts mehr... wollte nicht, daß meine Seele vollends unter solchen Menschen verblute.“ Hölderlin Entwurzelung Packe deine Koffer nicht aus Schlage keinen Nagel in die Wand Iß und trink und schlaf gelegentlich Wie die anderen mit der eigenen Frau Arbeite wie die anderen Dich nicht zu Tode Hinter dir das Meer Vor dir der Abgrund Tanze auf dem Seil zwischen Hölle Und Hölle Du bist nirgends zuhaus Sprachübung I Ich halt den Mund Ich halt mich rechts Ich halt mich links Ich halt mich an die Vorschrift An die Norm den Befehl Und die richtige Reihenfolge Ich halte nichts von der Ungeduld Ich halt mich zurück mit meiner Meinung Ich verhalt mich ruhig wie eine Maus Ich halt euch mir vom Leibe Ich halt eine Katze einen Hund Oder ein Buch II Ich halt das Feuer nicht in meinen Händen Bis sie brennen Ich behalt mir das Recht vor Mich auszuschweigen zur rechten Zeit Ich halt den Atem an Bis der Gestank vorüberzieht Ich halt mich an in meiner Raserei Ich halt mich aufrecht in Grenzen Ich erhalt mich für bessere Zeiten Ich halt mich fest An meinen eigenen Schultern III Ich halt die Stellung Ich unterhalt mich mit meinem Vorrat An Hoffnung Ich behalt mir das Recht vor zu schreien Zur rechten Zeit Ich halt den Vögeln meine Rede Unter freiem Himmel wenn`s nötig ist Ich halt wenigstens Mir gegenüber Mein Wort

    Sprachübungen der Kursteilnehmer zum Wort „halten“ Entsetzt über dein schreckliches Verhalten gehe ich weg und du darfst mich nicht aufhalten. Deine Reden kannst du anderswo halten. Ich kann sie nämlich nicht mehr aushalten. Versuche, dich von mir gefälligst fernzuhalten! Begründungen dazu sind in diesem Brief nicht enthalten. Darüber müssen wir uns nicht mehr unterhalten. Von diesem Schritt kannst du mich nicht abhalten. Willst du mich noch weiter festhalten?

    Elena Rumin

    Er hatte einen fremden Brief erhalten Und wollte ihn doch so gerne behalten. Davon war er nicht abzuhalten. Schließlich war sein unmögliches Verhalten nicht mehr auszuhalten. Man konnte sich aber nicht mit ihm darüber unterhalten, denn er hat den Brief mit den Zähnen festgehalten und seine großen Tränen waren nicht aufzuhalten. Da durfte er den Brief eben behalten.

    Elena Sedych

    Ich soll mich so verhalten, dass ich meinen Mund halte. Das ist nicht durchzuhalten. Ihr könnt mich davon nicht abhalten.

    Sergius Schönfeld

    Manchmal müssen Eltern ihre Kinder festhalten, um sie von den größten Fehlern ihres Lebens abzuhalten. Eltern versuchen, sich immer richtig zu verhalten, obwohl es nicht leicht ist, manches auszuhalten. Eltern und Kinder sollten sich öfter unterhalten, um Offenheit und Ehrlichkeit zueinander zu behalten. Eine Familie kann nur dann zusammenhalten, wenn alle bereit sind, es gemeinsam durchzuhalten.

    Elena Brug

    Ich habe einmal einen Brief erhalten. Darin zeigte man mir gegenüber ein ziemlich grobes Verhalten. Ich gab mir viel Mühe, das auszuhalten und versuchte, mich von Menschen, die sich zu mir so verhalten, Abstand zu halten. Ich beabsichtige aber, den Brief trotzdem zu behalten.

    Anna Warnawska Das Wort „durchhalten“ enthält 11 Buchstaben, die sich durch ein Präfix und einen Wortstamm aneinander festhalten und sich im Satz immer wieder wie ein einziges oder trennbares Wort verhalten.

    Artjom Bergmann

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  • BB EE KK AA NN NN TT MM AA CC HH EE NN MM II TT SS CC HH II LL LL EE RR Das Jahr 2005 ist für alle Bücherfreunde ein wichtiges Jahr, weil es den Namen eines der bedeutendsten deutschen Schriftstellers des 18. Jahrhunderts, Friedrich Schiller, trägt. Fast jeder Deutsche hat irgendwann in seinem Leben etwas von Friedrich Schiller gelesen. Neben seinen großen Werken wie "Maria Stuart" und "Kabale und Liebe", die weltberühmt sind, gibt es auch viele wenig bekannte Gedichte. Und es ist völlig unbedeutend, ob er seine "Ode an die Freude" in Leipzig oder in Dresden geschrieben hat. Wichtig ist, dass seine Werke nie in Vergessenheit geraten, weil sie viel Sinn und Aktualität in sich tragen. Es war genau vor einem Jahr, als unsere Gruppe sich mit einem Werk Schillers, "Maria Stuart", bekanntmachen wollte. Das Leipziger Schauspielhaus gab im März 2004 eine letzte Aufführung von "Maria Stuart" und das war die einzige Chance für unsere Gruppe, uns dieses Schauspiel anzusehen. Die Karten wurden rechtzeitig besorgt und ich rannte in die Stadtbibliothek, um mir dieses Buch von Schiller auszuleihen. Ich wollte mich auf das Theaterstück vorbereiten, deswegen las ich dieses Werk an einem Abend und wartete ungeduldig auf die Aufführung. Im Unterricht haben wir die geschichtlichen Hintergründe bearbeitet, um Missverständnisse auszuschließen. Und endlich war der Tag der Aufführung gekommen, aber unsere Hoffnungen waren vergebens. Wegen der plötzlichen Krankheit der Hauptdarstellerin wurde die Aufführung abgesagt und unsere letzte Chance verschwand im Nebel. Unsere zweite Begegnung mit dem literarischen Schaffen Schillers war während der Bearbeitung seines Werkes "Kabale und Liebe", zu dem wir einen Aufsatz geschrieben haben. Aber an einem Nachmittag davor haben wir das kleine Häuschen in Gohlis besucht, in dem Schiller einen Sommer lang lebte. Ein gemütliches Zimmer mit einem Schreibtisch im zweiten Stock, ein kleiner Garten und eine ruhige Atmosphäre - das war alles, was der Schriftsteller für seine Arbeit brauchte. Dieses Haus, das von dem staatlichen Museum liebevoll gepflegt wird, ist ein Teilchen der Geschichte und der Stolz der Leipziger.

    Elena Brug

    FFrriieeddrriicchh SScchhiilllleerr „„KKaabbaallee uunndd LLiieebbee““ Aufsatz von Alexandra Malinowski, Kursteilnehmerin des Sonderlehrgangs am Studienkolleg Sachsen Korrigiert und leicht verändert von M. Kühn / Jan. 2005 Thema: Luises Entsagung Luise Miller zu Lady Milford: „Nur vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird – Gott wird barmherzig sein – Ich kann mir nicht anders helfen!“ Aufgabe: Bewerten Sie die Handlungsweisen der liebenden Luise. Beziehen Sie dabei die Textstelle mit ein. Das bühnenwirksame Stück wurde von Friedrich Schiller im Jahre 1782 geschrieben. Obwohl sich der Autor sehr gut mit der Situation am Hofe auskannte, ist „Kabale und Liebe“ kein autobiographisches Werk. Es ist nur beschränkt auf sein eigenes Leben bezogen. In seinem Stück übt er Kritik am absolutistischen System und der Willkür eines Herzogs. Friedrich Schiller stammt selber aus einer einfachen, bürgerlichen Familie, die der Willkür eines absolutistischen Herrschers ausgesetzt war. Er verarbeitete seine Eindrücke und Emotionen im Stück. Im Werk werden Adel und einfaches Bürgertum gegenübergestellt. Eine der Hauptfiguren ist Luise Miller. Sie ist die einzige Tochter des Hofmusikers und gehört damit zum Bürgertum. Luise ist jung und schön und in Ferdinand, den Sohn des Präsidenten von Walter, verliebt. Sie ist im Sinne der bürgerlichen Tugenden erzogen worden und sehr religiös. Der

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  • Vater erfährt von ihrer Beziehung zu einem Adligen und ist darüber wütend. Er stellt Luise gleich zur Rede, die ihm ihre Liebe zu Ferdinand gesteht. Als Bediensteter des Herzogs ist er mit den Intrigen am Hofe vertraut und weiß genau, wie einfache Mädchen von Adligen ausgenutzt und fallen gelassen werden. Miller erwartet von seiner Tochter, dass sie einen anständigen Mann aus ihrer Schicht heiratet. Die Vaterliebe spielt für Luise eine große Rolle und es ist ein Grund, warum sie Ferdinand entsagt und sich zum Vater bekennt. Luise ist kein dummes Mädchen und begreift schnell, dass sie und ihr Geliebter keine Chance auf ein gemeinsames Glück haben, weil sie verschiedenen sozialen Schichten angehören. In der Szene, wo Major von Walter zu ihr kommt und ihr vorschlägt, gemeinsam aus dem Land zu fliehen, lehnt sie seinen Vorschlag ab. Luise hat Angst vor der „ewigen Allmacht“ und Ferdinands Vater. Sie sagt, dass es ihre Pflicht als tugendhaftes Mädchen ist „zu bleiben und zu dulden“. Ferdinand geht, ohne eine Erklärung für ihr Verhalten zu bekommen. Ferdinand ist der Sohn des Präsidenten von Walter, der ihn standesgemäß erzog und ausbilden ließ und nun entsprechend verheiraten will. Als passende Partie kommt die etwas ältere Mätresse des Herzogs, Lady Milford, in Frage. Ferdinand ist damit nicht einverstanden, aber die Intrige wurde bereits in Gang gesetzt. Lady Milford ist nach einem Gespräch mit dem Major beleidigt und entsetzt, dass er sie nicht heiraten will und ihr seine Liebe zu einem bürgerlichen Mädchen gesteht. Luise wird in den Palast bestellt und dort von der Lady von oben herab behandelt. Die Mätresse will Luise beeindrucken und empfängt sie in einem prachtvollen Gewand. Sie merkt aber schnell, dass Schönheit und Reichtum das Mädchen nicht interessieren. Luise verhält sich in dieser Szene sehr sittsam und tugendhaft. Sie ist zwar keine Adlige, aber auch keine Mätresse. Luise hat ihre Unschuld bewahrt und steht dadurch über der Mätresse. Lady Milford droht und bittet Luise, Ferdinand frei zu geben. Das Mädchen entsagt, aber droht der Lady: „Nur vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuss das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird – Gott wird barmherzig sein – Ich kann mir nicht anders helfen!“ Luise kündigt an, Selbstmord zu begehen, damit sie im Jenseits mit Ferdinand glücklich sein kann. Sie hat keine Hoffnung auf ihn im Diesseits, deshalb entsagt sie abermals. Es ist der Höhepunkt der Tragödie. In der Szene, wo Präsident von Walter und seine Gerichtsdiener in Millers Haus eindringen und nach einer Auseinandersetzung den Vater in den Kerker werfen und die Frauen an den Pranger stellen wollen, richtet Ferdinand seinen Degen gegen den eigenen Vater, um Luise zu verteidigen. Das Mädchen, dass selbst eine enge Beziehung zu seinem Vater hat, kann es nicht fassen, dass ein Sohn bereit ist, seinen Vater zu verletzen oder sogar umzubringen. Der Preis ist Luise zu hoch und sie verlässt Ferdinand, der sich ihr Verhalten nicht erklären kann und durch die Intrige seines Vaters zur Eifersucht getrieben wird. Im letzten Gespräch mit dem Vater äußert Luise ihren Selbstmordgedanken und nennt sich „große Sünderin“. Luises Vater, der nur eine einzige Tochter hat, ist zutiefst erschrocken. Er will Luise überreden, es nicht zu tun, indem er sagt, dass Selbstmord eine Gotteslästerung sei. Miller weckt in seiner Tochter Schuldgefühle, denn sie ist sehr religiös und dem Vater brav ergeben. Die verzweifelte Luise bekennt sich zu ihm und damit zum Weiterleben. In dem Moment, wo sie die Vaterliebe über ihre Liebe zu Ferdinand stellt, entsagt sie Major von Walter endgültig und wird zum Opfer seiner Eifersucht. Ferdinand und Luise geraten durch den großen sozialen Unterschied in Konflikt mit der Gesellschaft und den Menschen in ihrer engeren Umgebung. Schiller zeigt, wie hoffnungslos damals die Liebe zwischen Menschen des hohen Adels und dem einfachen Bürgertum war. 2. Kursjahr 180 Minuten Schreibzeit 740 Wörter AAuuffssaattzzbbeeiissppiieell zzuu „„DDiiee PPhhyyssiikkeerr““ vvoonn FF.. DDüürrrreennmmaatttt Erarbeitet von Elena Sedych, Kursteilnehmerin des Sonderlehrgangs am Studienkolleg Sachsen Korrigiert und leicht verändert von M. Kühn / Nov. 2004 Thema: Das Scheitern eines Physikers Zitat: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ (Möbius)

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  • Aufgabe: Erörtern Sie, warum der Versuch des Physikers Möbius, seine Forschungsarbeiten geheim zu halten, scheitert und er zu einer absurden Figur wird. Die Kriminalkomödie „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt entstand in den 60er Jahren, als die internationale Politik vom Koreakrieg, Mauerbau und der Kubakrise geprägt wurde. Atomare Auseinandersetzungen schienen fast unvermeidbar. Das Stück spielt irgendwo in der Schweiz in einem privaten Nervensanatorium, wo die bekannte Psychiaterin Dr. Mathilde von Zahnd drei Kernphysiker – angeblich harmlose, liebenswerte Irre – behandelt. Einer von ihnen ist der geniale Forscher Möbius, der sich freiwillig in dieses Irrenhaus begibt, indem er gesteht, dass ihm König Salomo erscheine. Der Physiker versucht, seine für die Menschen gefährlichen Forschungen geheim zu halten. Als einzige Alternative zu einer glänzenden wissenschaftlichen Karriere sieht er den vorgetäuschten Wahnsinn. Möbius glaubt, in der Heilanstalt von den Politikern nicht ausgenutzt zu werden. Doch schon mit seiner ersten genialen Dissertation hatte er zwei mächtige Geheimdienste auf sich aufmerksam gemacht. Zwei gleichfalls Wahnsinn spielende Physiker versuchen nun – jeder aus anderen ideologischen Gründen – Möbius Weltformel zu erobern. Im Irrenhaus, das ihm die Sicherheit garantieren sollte, wird Möbius außerdem von der hinterlistigen, buckligen Ärztin, die ihn längst durchschaut hat, betäubt und bespitzelt. Von Anfang an wusste Möbius, dass seine Forschungen für die Menschheit tödlich sein können. Aus Gründen der Verantwortung und um die Welt zu retten, entscheidet er sich für die Narrenkappe. Aber wie jeder geniale Wissenschaftler trägt er „Forscherleidenschaft“ in sich. So beginnt er im Sanatorium mit weiteren Forschungen. Damit besteht die Gefahr, dass sein „System aller möglichen Erfindungen“ in die falschen Hände gerät. Er will den Untergang der Erde vermeiden, doch unter Umständen führt er die Menschheit ihrer Vernichtung entgegen. Die einzige Möglichkeit zu fliehen und sich so der gefährlichen Situation in der Anstalt zu entziehen, zerstört Möbius selbst, indem er die Krankenschwester Monika Settler, die ihm ihre Liebe gesteht, tötet. In seiner Naivität glaubt er, damit weitere grausame Morde zu verhindern, die seine Weltformel – falls sie in die Öffentlichkeit gerät – hervorrufen könnte. So bringt sich Möbius selbst um die Freiheit, ist aber davon überzeugt, dass er die einzig richtige Entscheidung getroffen hat. Während Inspektor Voss eine Untersuchung der Morde an drei Krankenschwestern im Nervensanatorium durchführt, verbrennt der Physiker all seine Manuskripte. Es ist die ganze harte Arbeit von 15 Jahren, für die er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie geopfert hat. Leider konnte er nicht ahnen, dass die machtbesessene, grausame Ärztin schon längst alle Fäden des Geschehens in den Händen hält. Sie betäubte den „Patienten“ die ganzen Jahre und hat seine Manuskripte rechtzeitig photokopieren lassen. Damit gerät dessen Geheimnis in den Besitz einer verrückten Frau, der tatsächlich der „Goldene König Salomo“ erscheint. Der Versuch des Physikers, seine Weltformel zu verheimlichen, missglückt. Nachdem Möbius die ersten Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlicht hatte, machte er bereits die Fachwelt auf sich aufmerksam. Durch seinen Rückzug ins Irrenhaus glaubte er, seine Meinung zurückziehen zu können. Nun muss er selbst erkennen, dass das, was einmal gedacht wurde, nicht mehr zurückgenommen werden kann. Seine Selbstaufopferung ist umsonst, sein Versuch allein die Welt zu retten, misslingt, seine einfältige Illusion wird zerstört und verschwindet. Er bleibt im Angesicht der grausamen Realität allein und gefangen zurück. Es tritt also genau das Gegenteil seiner Absicht ein, was ihn letztendlich zu einer absurden, bedauernswerten Figur macht. 2. Kursjahr 180 Minuten Schreibzeit ca. 500 Wörter AAuuffssaattzz 11 zzuu GGooeetthheess „„FFaauusstt““ EErrsstteerr TTeeiill Verfasser: Sergej Nesterov Schreibzeit: 180 Minuten Korrektur: M. Kühn

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  • Zitat: Mephistopheles: Ich will mich h i e r zu deinem Dienst verbinden, Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; Wenn wir uns d r ü b e n wieder finden, Sollst du mir das Gleiche tun. Faust: Und Schlag auf Schlag! Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn! Aufgabenstellung: Warum geht der Gelehrte Faust einen Pakt mit dem Teufel ein und welche Bedeutung hat diese Verbindung für den Fortgang der Handlung in „Faust“ Teil I? Fast 60 Jahre seines Lebens hat Johann Wolfgang von Goethe seinem Werk „Faust“ Teil I und II gewidmet. Diese Tragödie gehört zur Epoche der deutschen Klassik und ist deren bedeutendste Dichtung. Goethe erzählt uns die Geschichte eines ruhelosen und immer strebenden Universalgelehrten des Mittelalters, der sich in einem Zustand der Verzweiflung befindet. Sein Erkenntnisdrang treibt ihn in die Sphären des Überirdischen und er schließt mit dem Teufel eine Paktwette, um Antworten auf seine Fragen zu finden. Faust ist ein überdurchschnittlich intelligenter Gelehrter, der sein ganzes Leben der Wissenschaft gewidmet hat. Er hat vieles studiert. Seine Zeit verbringt er in einem engen, gotischen Studierzimmer über seinen Büchern sitzend. Doch nun merkt er, dass er durch seine Studien nichts erreicht hat. Tief enttäuscht entscheidet er, sich der schwarzen Magie zu ergeben. In ihm steckt ein starkes Verlangen nach „göttlichem“ Wissen. Er ruft den Erdgeist und hofft, die Antworten auf seine Fragen in dieser magischen Welt zu finden. Doch der Geist nennt ihn einen „Wurm“ und weist ihn ab. Faust fühlt sich noch verzweifelter und verlorener. Er sieht jetzt nur noch eine Lösung für sein Problem. Die Suche nach dem Sinn des Lebens und der unendlichen Natur bringt ihn auf Selbstmordgedanken. Dadurch glaubt er, das Wissen, nach dem er strebt, in der Welt der Geister erwerben zu können. Er entscheidet, sich das Leben zu nehmen, aber plötzlich hört er einen Chorgesang und wunderschöne Osterglocken, was ihn vom Selbstmord abhält. Der alte Gelehrte geht mit seinem Schüler in die Natur hinaus und sieht, dass die Wissenschaft nicht das Wichtigste im Leben ist. Er wünscht sich, einmal den Genuss des Lebens zu empfinden. Auf dem Heimweg folgt ihnen ein schwarzer Pudel, der magische Anziehungskraft hat, und Faust nimmt ihn mit in seine Stube. Dort verwandelt sich der Hund in den Teufel. Faust beschwört ihn und weicht zurück. Doch Mephisto, der mit dem Herrn eine Wette um Fausts Seele abgeschlossen hat (Prolog im Himmel), bietet sich Faust als „Diener“ an, indem er sagt: „Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, ...“. Aber Faust stellt eine Bedingung. Nur wenn es dem Teufel gelänge, sein Streben ein einziges Mal zu befriedigen, sei er bereit, ihm in die Hölle zu folgen. Mephisto ist einverstanden und der verzweifelte Gelehrte, der wegen seiner Triebe keine Ruhe mehr finden kann, schließt mit dem Teufel eine Paktwette mit den Worten: „Und Schlag auf Schlag! ...“. Für Faust ist dieser Pakt, der mit Blut besiegelt wird, die letzte Chance, höhere Erkenntnisse zu erwerben. Außerdem erwartet er vom Teufel die Erfüllung aller seiner irdischen Wünsche, vor allem die Befriedigung seiner Liebeslust. Für Faust und Mephisto beginnt eine Weltreise, ein Leben voller Tiefen und Höhen, wodurch die Handlung vorangetrieben wird. Der Teufel versucht, den alten Gelehrten zu verführen und erfüllt ihm alle seine Wünsche. In der Hexenküche wird er verjüngt und anschließend zu einem Saufgelage in Auerbachs Keller entführt. Doch Faust befriedigt das nicht und er gibt sein Weiterstreben nicht auf. Auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen und der höchsten Lust zerstört Faust auch das Leben eines jungen, unschuldigen Mädchens. Zum ersten Mal in seinem Leben lernt der Universalgelehrte, der schon am Rande des Wahnsinns war, die große Liebe kennen, die ihn die Wissenschaft völlig vergessen lässt. Doch der Zauber der Liebe vergeht ziemlich schnell und er sagt nicht zu dem Augenblick: „Verweile doch! du bist so schön!“. Faust tötet ungewollt Margaretes Mutter und ihren Bruder und muss fliehen. Das arme Mädchen bleibt allein zurück, wird zur Kindsmörderin und hingerichtet.

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  • Obwohl Faust von der Schuld am Tod des Mädchens gequält wird, kann er auf seinem Wege nicht anhalten. Sein Drang und sein Streben werden ihn nicht ruhen lassen. Selbst dem Teufel ist es nicht gelungen, den Gelehrten zu befriedigen. Alle seine Verführungskünste sind gescheitert. Er hat nicht damit gerechnet, dass es so schwierig werden wird, die Seele eines kleinen Menschen zu gewinnen. AAuuffssaattzz 22 zzuu GGooeetthheess „„FFaauusstt““ EErrsstteerr TTeeiill Verfasserin: Elena Brug Schreibzeit: 180 Minuten Korrektur: M. Kühn Zitat: Gretchen: „Doch alles – was mich dazu trieb, Gott! war so gut! ach war so lieb!“ Aufgabenstellung: Untersuchen Sie, warum Gretchen das Opfer dieser Tragödie wird. Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832), einer der bedeutendsten deutschen Dichter, hat den größten Teil seines Lebens der Arbeit an „Faust“ Teil I und II gewidmet. Das Werk gehört zur Epoche der deutschen Klassik und gilt als die größte Dichtung in der deutschen Sprache. Darin bearbeitet der Autor die Problematik der guten und der bösen Seite der menschlichen Seele und deren Einfluss auf das Schicksal im Leben. Manchmal fallen Menschen diesem Streit zwischen dem Guten und dem Bösen zum Opfer. Das geschieht in Goethes „Faust“ Teil I dem 14jährigen Mädchen Margarete, auch Gretchen genannt, das aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammt. Es lebt mit seiner Mutter in einem kleinen Haus, das ihnen der Vater hinterließ. Seine Mutter ist die einzige Person, die sich um die Erziehung des Kindes kümmert, denn der ältere Bruder ist Soldat. Margarete ist sehr sittsam und religiös erzogen, was gleich bei ihrer ersten Begegnung mit Faust auf der Straße deutlich wird. Sie lehnt seine Begleitung schroff ab. Faust ist ein Universalgelehrter, der, nachdem er sein ganzes Leben der Wissenschaft gewidmet hat, wegen seines Strebens und seiner höheren Dranges nach Erkenntnis einen Pakt mit dem Teufel schloss. In der Hexenküche ließ er sich durch einen Zaubertrunk für seine Abenteuer verjüngen. Obwohl Faust bei den ersten Begegnungen mit Gretchen im Garten der kupplerischen Nachbarin als junger, kräftiger Mann erscheint, spürt sie intuitiv dessen große Lebenserfahrung und Gelehrsamkeit an seiner Redensart und bewundert ihn. Margarete weist ihn zuerst ab und ihr Benehmen ist sehr bescheiden und zurückhaltend, aber genau dadurch wird sie für ihn noch anziehender. Ihre natürliche Schönheit und Jugendfrische bezaubern den Mann, der in ihr etwas „Heiliges“ und „Seligmachendes“ sieht. Für Margarete ist Faust der Mann, auf den sie gewartet hat und der ihren Seelenfrieden zerstört. Ihre Neugierde ist geweckt und ihr Herz klopft unruhig, weil sie reif und bereit für ihre erste Liebe im Leben ist. Dafür belügt sie sogar ihre Mutter und begibt sich in die Hände der listigen Nachbarin. Für eine erste Liebeserfahrung braucht man ein junges Herz, das frisch, unschuldig und offen ist. Und genau das hat Faust nicht, weil er nicht von der Unschuld der Jugend, sondern von Begierde und Liebeslust getrieben wird. Das Niedrigste spricht aus seiner Seele und, obwohl er an der Zerstörung der unschuldigen Welt dieses Kindes fast verzweifelt, gewinnen bei ihm Trieb und Tatendrang die Oberhand. Trotz Margaretes Jugendlichkeit hat sie schon viel arbeiten und ertragen müssen. Die schwere Krankheit der Mutter und der Tod des Schwesterchens, um das sie sich sehr liebevoll gekümmert hatte, prägten ihr Leben und ihre Gefühlswelt sehr stark. Diese schwere Last und Überforderung haben die Kräfte des Mädchens so erschöpft, dass es nicht stark genug für eine neue Belastung ist. Unter diesen Umständen ist es verletzlich, zerbrechlich und mit Schmuck und schönen Worten leicht zu verführen. Margarete gibt Faust keine Schuld an ihrem Unglück, weil sie selbst in diese neue Welt der Liebe zu einem Mann eindringen wollte. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen und er erwidert ihre Gefühle.

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  • Bei einem Treffen im Garten der Nachbarin gestehen sie sich ihre Liebe und fühlen sich füreinander bestimmt. Aber Gretchen denkt dabei an eine zufällige, wahre Liebe, während Faust die Hintergründe des Geschehens kennt. Er liebt in der Tiefe seines Herzens, weiß aber auch, dass er diesen Gefühlen nie nachgeben darf, weil er dann den Pakt mit dem Teufel nicht weiterführen könnte. Von Faust betrogen und verlassen gibt sich Margarete selbst die Schuld an ihrem Untergang, da sie diese Liebe wollte. Sie ist einsam und verzweifelt, weil sie niemanden hat, der ihr helfen könnte. Auch Glaube und Gebete helfen ihr nicht in ihrer Not. Sie beschuldigt sich des Mordes an ihrer Mutter, der sie Fausts Schlafmittel gegeben hat, um sich ungestört mit ihm treffen zu können. Sie fühlt sich schuldig am Tod des Bruders, der von Faust getötet wurde, weil er seine Ehre verteidigen wollte. Die Menschen in ihrer Umgebung grenzen sie aus und wenden sich von ihr ab, weil sie Schande über ihre Familie gebracht hat. Sie weiß nicht, wohin sie mit ihrem neugeborenen Kind fliehen soll und bringt es im Wahnsinn um. Gretchen fällt den Umständen seines Lebens und der Begierde Fausts zum Opfer. Ein unschuldiges, liebenswertes und schönes Mädchen wird „geopfert“, weil es sich nicht zu schützen weiß. Aber trotz allem, was sie zu ertragen hat, bedauert sie nichts. Diese kurzen Momente des Glücks sind ihr die schlimmsten Qualen der Seele wert. Und in dem Augenblick, als sie ihren Untergang spürt, gesteht sie sich selbst:

    „Doch – alles, was mich dazu trieb, Gott! war so gut! ach war so lieb!“

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  • KKUULLTTUURRSSCCHHOOCCKKGGEESSCCHHIICCHHTTEENN

    DDeerr BBaaddeesseeee DDeerr BBaaddeesseeee Wenn man plötzlich in eine neue Welt mit ganz anderen Sitten und Bräuchen gerät, erlebt man quasi einen Kulturschock, der für immer im Gedächtnis eines Menschen bleibt. Man stößt auf eine ganz andere Denkweise und gerät manchmal in peinliche Situationen. Solch eine eher lustige seelische Erschütterung ist uns während der ersten Monate des anfangs „düsteren“ Lebens in Deutschland in einem Dorf passiert.

    Wenn man plötzlich in eine neue Welt mit ganz anderen Sitten und Bräuchen gerät, erlebt man quasi einen Kulturschock, der für immer im Gedächtnis eines Menschen bleibt. Man stößt auf eine ganz andere Denkweise und gerät manchmal in peinliche Situationen. Solch eine eher lustige seelische Erschütterung ist uns während der ersten Monate des anfangs „düsteren“ Lebens in Deutschland in einem Dorf passiert. In der Nähe des Wohnheims, in dem wir damals „hausten“, gibt es kleine Seen. Sie werden vor allem für die Fischzucht von den Dorfbewohnern benutzt. Ein See ist aber für Touristen angelegt. Ein Hotel liegt günstig an diesem See. Man kann dort verschiedene Wasserfahrzeuge ausleihen und die schöne Natur genießen.

    In der Nähe des Wohnheims, in dem wir damals „hausten“, gibt es kleine Seen. Sie werden vor allem für die Fischzucht von den Dorfbewohnern benutzt. Ein See ist aber für Touristen angelegt. Ein Hotel liegt günstig an diesem See. Man kann dort verschiedene Wasserfahrzeuge ausleihen und die schöne Natur genießen. Eines Tages - genauer gesagt am Geburtstag meines Cousins - entschieden wir uns zu diesem See zu gehen, um unser alltägliches graues Leben zu verschönern. Wir waren ca. 15 junge Leute. Dass wir in diesem Gewässer überhaupt nicht baden dürfen, wäre uns nie in den Sinn gekommen. In kleinen Flüssen oder auch Seen zu schwimmen war für uns in Russland eine ganz natürliche Angelegenheit gewesen. Uns Kinder hatte nie interessiert, dass diese Gewässer so schmutzig waren, dass nicht einmal Fische dort überleben konnten. Und in einer kleinen Stadt nah bei Novosibirsk gab es selten ein sauberes Schwimmbad. Das waren meistens private Einrichtungen, die nur Touristen zur Verfügung standen. Die heißen Sommertage waren jedoch für uns Kinder ohne Baden nicht auszuhalten. Wir liehen uns also Wassertreter aus und erreichten genau die Mitte des Sees. Wir sprangen zuerst der Reihe nach, dann auch alle zusammen ins Wasser. Der See war sehr schmutzig und voller Algen. Es fiel uns gar nicht ein, dass am Ufer im Hotelrestaurant die Menschen ganz anderer Meinung sein könnten als wir. Dort in der Ferne erschienen uns die „rätselhaften“ Handbewegungen des Wirts sehr freundlich und harmlos.

    Eines Tages - genauer gesagt am Geburtstag meines Cousins - entschieden wir uns zu diesem See zu gehen, um unser alltägliches graues Leben zu verschönern. Wir waren ca. 15 junge Leute. Dass wir in diesem Gewässer überhaupt nicht baden dürfen, wäre uns nie in den Sinn gekommen. In kleinen Flüssen oder auch Seen zu schwimmen war für uns in Russland eine ganz natürliche Angelegenheit gewesen. Uns Kinder hatte nie interessiert, dass diese Gewässer so schmutzig waren, dass nicht einmal Fische dort überleben konnten. Und in einer kleinen Stadt nah bei Novosibirsk gab es selten ein sauberes Schwimmbad. Das waren meistens private Einrichtungen, die nur Touristen zur Verfügung standen. Die heißen Sommertage waren jedoch für uns Kinder ohne Baden nicht auszuhalten. Wir liehen uns also Wassertreter aus und erreichten genau die Mitte des Sees. Wir sprangen zuerst der Reihe nach, dann auch alle zusammen ins Wasser. Der See war sehr schmutzig und voller Algen. Es fiel uns gar nicht ein, dass am Ufer im Hotelrestaurant die Menschen ganz anderer Meinung sein könnten als wir. Dort in der Ferne erschienen uns die „rätselhaften“ Handbewegungen des Wirts sehr freundlich und harmlos. Man kann sich einfach nicht vorstellen, wie sich 15 dumme junge Leute damals amüsiert haben. Wir sind in einem Gewässer, in das kein normaler Mensch in Deutschland hineingeht, geschwommen und getaucht wie „Delphine“.

    Man kann sich einfach nicht vorstellen, wie sich 15 dumme junge Leute damals amüsiert haben. Wir sind in einem Gewässer, in das kein normaler Mensch in Deutschland hineingeht, geschwommen und getaucht wie „Delphine“. Schließlich kam der Fährmann mit seinem Boot und holte uns alle ans Ufer. Damals war uns vollkommen unverständlich, warum uns dieser Mann höflich gebeten hat, heimzugehen und besser nie wieder zum See zu kommen. Erst Monate später, als wir uns wesentlich besser integriert hatten, wurde uns klar - und das war auch sehr peinlich - dass wir in eine unangenehme Situation geraten waren und uns dumm benommen hatten.

    Schließlich kam der Fährmann mit seinem Boot und holte uns alle ans Ufer. Damals war uns vollkommen unverständlich, warum uns dieser Mann höflich gebeten hat, heimzugehen und besser nie wieder zum See zu kommen. Erst Monate später, als wir uns wesentlich besser integriert hatten, wurde uns klar - und das war auch sehr peinlich - dass wir in eine unangenehme Situation geraten waren und uns dumm benommen hatten.

    Anna Warnawska Anna Warnawska

    MMeeiinn KKuullttuurrsscchhoocckk Als ich im Jahre 2001 nach Deutschland eingereist bin, habe ich einen Kulturschock erlebt. Für mich war sehr ungewöhnlich, wie man hier Weihnachten und Ostern feiert. Weihnachten in Deutschland ist etwas Besonderes. Nie gibt es so viele Menschen auf den Straßen, in den Geschäften und Supermärkten wie vor den Weihnachtstagen. Alle kaufen Geschenke für ihre Freunde und Verwandten. In jeder Stadt gibt es einen Weihnachtsmarkt, wo viele Menschen verschiedene, leckere Kleinigkeiten essen und Glühwein trinken können. Man kann auch einfach nur dorthin zum Bummeln gehen. Was mir besonders gefällt, ist, dass man die Straßen und Gebäude sehr schön schmückt. Aber schon vor dem Heiligen Abend wird auf den Straßen alles wieder abgebaut. In Russland feiert man Weihnachten nicht so. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es dort Tannenbaum, Väterchen Frost und Geschenke zu Silvester. Und zu Ostern schmücken die Menschen in Deutschland Zweige und Büsche mit künstlichen oder ausgeblasenen und bemalten Eiern. Für mich war das sehr interessant, weil es in Russland so etwas nicht gibt. Noch ein weiterer Kulturschock war für mich, dass in den Supermärkten die Verkäufer mit den Kunden sehr nett sind. Sie sagen immer „Guten Tag“, „Auf Wiedersehen “ und wünschen jedem einen schönen Tag.

    Xenia Zakurdaev

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  • DDeerr KKoonnjjuunnkkttiivv

    Als ich vor anderthalb Jahren nach Deutschland kam, habe ich sofort bemerkt, dass die Deutschen gerne den Konjunktiv gebrauchen. Ich formulierte meine Wünsche mit den Worten: „Ich will...“ oder „Ich brauche...“ und merkte bald, dass sich die anderen irgendwie fremd und abweisend verhielten. Hier hört man gerne: „Ich möchte bitte...“, „Ich bräuchte...“ oder „Ich hätte gern...“. Von dem Menschen, der sich so äußert, denkt man, er sei höflich, was aber sehr oft nicht der Fall ist.

    Artjom Bergmann GGEESSCCHHIICCHHTTEENN AAUUSS DDEEMM LLEEBBEENN

    Der beste Freund Fast jedes Kind wünscht sich in seinem Leben irgendwann einmal ein eigenes Haustier. Es mag ein Hund, eine Katze oder auch ein kleiner Hase sein, aber die Kinder brauchen ein Tierchen, um sich so liebevoll wie möglich um dieses hilflose Wesen zu kümmern und ihm ihre ganze Zuneigung schenken zu können. Auch ich träumte als Kind von einem kleinen Hündchen. Was habe ich nicht alles versucht, meine Eltern zu überreden, mir ein Hündlein zu kaufen. Aber alle meine Bemühungen waren vergeblich. Ich hätte wirklich bald die Hoffnung aufgegeben, aber die Eltern erbarmten sich meiner. Eines Tages kam ich nach Hause und sah einen kleinen Hund in der Ecke liegen. Da unsere Nachbarn genauso eins hatten, waren meine ersten Gedanken: „Was macht denn ihr Kleiner bei uns?“ Aber ich irrte mich, denn dieses hübsche, niedliche Kerlchen, das seine kleinen Äuglein noch kaum öffnen konnte, gehörte nicht unseren Nachbarn, sondern war mein eigenes. Ich kann wirklich nicht beschreiben, wie ich mich freute. Ich fühlte mich, als wäre ich das glücklichste Kind auf der ganzen Welt, weil sich der größte Traum meines Lebens erfüllt hatte. Seit jenem Tag veränderte sich mein Leben völlig. Ich fing an, mich liebevoll um meinen vierbeinigen Freund zu kümmern und machte alles, damit es ihm immer gut ging. Viele meiner Interessen vergaß ich, denn ich hatte jetzt neue. Meine ganze Freizeit verbrachte ich mit meinem Hund. Wir gingen oft spazieren und konnten endlos lange miteinander spielen. In diesen Momenten dachte ich an überhaupt nichts anderes mehr als an meinen neuen Freund. Eine andere Welt existierte für mich nicht. Ich genoss die Zeit so wie sie war und war absolut sorglos. So vergingen einige Jahre. Das niedliche Hündlein wuchs zu einem schönen klugen Hund heran. Mit der Zeit hatte ich mich an ihn so gewöhnt, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, wie mein Leben ohne ihn aussehen würde. Doch eines Tages habe ich meinen vierbeinigen Freund beinahe verloren. Ich war bei ihm und sah in seine sich immer seltener und seltener öffnenden Augen, als der Arzt versuchte ihm sein Leben zu retten. Die Chancen, dass der arme Hund am Leben blieb, waren sehr gering, aber er hat es doch geschafft und nach ein paar Wochen konnte er wieder laufen. Dieses Ereignis erschütterte mich unheimlich stark. Ich hatte sehr große Angst, meinen Freund zu verlieren. Das Leben nahm langsam wieder seinen gewohnten Lauf und ich vergaß dieses unangenehme Ereignis. Alles war wie zuvor und ich freute mich über jede Minute, die ich mit meinem Hund verbrachte. Doch es sollte nicht ewig dauern. Einmal passierte das, wovor ich Angst hatte. Wir durften nach Deutschland übersiedeln, aber unseren Hund konnten wir nicht mitnehmen. Ich glaube, es war der schrecklichste und grausamste Tag meines Lebens, an dem ich mich von dem Hund, der zu meinem besten Freund geworden war, verabschieden und ihn verlassen sollte. Ich bin sicher, dass der Schmerz, den ich damals empfand, noch lange in meinem Herzen und der Hund in meinen Erinnerungen bleiben wird. Heute verstehe ich natürlich, warum die Eltern meinen Wunsch nicht erfüllen wollten und was sie befürchteten, aber damals dachte ich nicht daran und es machte mir überhaupt keine Sorgen. Ich kann nicht sagen, wie ich reagieren würde, wenn ich in die gleiche Situation geriete wie meine Eltern. Aber ich möchte später einmal meine Kinder vor solch einem Stress schützen, den ich damals erlebte.

    Sergej Nesterov

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  • Freundschaft und Geldgier In meiner ehemaligen Heimatstadt lebten - und leben noch heute - viele Russlanddeutsche, die während des Zweiten Weltkrieges von der Wolga nach Kasachstan oder nach Sibirien verbannt wurden. Ende der 80er Jahre, als Deutschland für diese Menschen und ihre Familienangehörigen die Grenze öffnete, siedelten viele von ihnen nach Deutschland über. Um eine solche Familie und deren Freund wird es in meiner Geschichte gehen. Diese Familie war, wie so viele andere, groß. Sie bestand aus einem Ehepaar mit seinen Eltern und drei Kindern, einem Sohn und zwei Töchtern. Der Junge hatte einen Freund und die beiden waren seit dem Kindergarten Busenfreunde. Sie besuchten die gleiche Schule, waren in einer Klasse und saßen auf einer Bank. Sie machten einfach alles zusammen. Dazu muss man noch sagen, dass beide sehr ruhige und artige Kinder waren. Sehr oft übernachtete einer bei seinem Freund. Ihre Eltern freuten sich sehr über diese Freundschaft und behandelten den Freund ihres Sohnes wie ihr eigenes Kind und es war, als ob jeder vier Elternteile hätte. Aber eines Tages erhielt die deutsche Familie die Erlaubnis, in die Heimat ihrer Vorfahren überzusiedeln. Die Freunde waren sehr traurig darüber, denn nun mussten sie bald Abschied voneinander nehmen. Von diesem Tag an trennten sie sich kaum mehr. Wie üblich musste die Familie ihren ganzen Besitz verkaufen, um ein neues Leben an einem anderen Ort anfangen zu können. So kam es, dass sie vor der Abreise sehr viel Geld im Hause hatten. Ivan – so hieß der Freund des Sohnes – wusste natürlich auch davon. In der Nacht vor dem Auswandern blieb er nach dem Abschiedsfest wie so oft zum Übernachten. Als alle ruhig schliefen, ist er aufgestanden, nahm ein Beil und tötete die ganze Familie – einen nach dem andern. Das Geld brachte dem Mörder aber kein Glück, denn schon nach zwei Tagen wurde er in einer Kneipe der nächsten Stadt verhaftet und starb 3 Jahre später im Gefängnis an Tuberkulose. Dieser Mord erschütterte unsere ganze Kleinstadt. Man sprach noch sehr lange darüber und ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben gehört, dass aus Geldgier eine ganze Familie „abgeschlachtet“ wurde. Als meine Familie fünf Jahre später nach Deutschland übersiedelte, hatten meine Eltern noch immer Angst, dass mit ihnen das Gleiche passieren könnte.

    Dietrich Schmidt

    Das Gericht Es passierte ungefähr im Jahre 1990. Drei junge russische Wissenschaftler gingen auf eine Dienstreise nach Deutschland. Geld musste man damals sparen, obwohl sie den großen Wunsch hatten die Stadt zu besichtigen. Und deutsches Bier zu kosten war natürlich ein absolutes „Muss“. Deshalb gingen die drei gut befreundeten Kollegen in ein kleines Restaurant, um sich etwas zu amüsieren und einen angenehmen Abend zu verbringen. Keiner von ihnen beherrschte die deutsche Sprache. Aber das Wort „Bier“ kann doch jeder aussprechen. Was sie trinken wollten, war schon klar. Aber was essen? Das Menü erforschte man hauptsächlich in dem Bereich, wo die Preise standen. Und da sie, wie schon gesagt, nicht gerade eine Menge Geld dabei hatten, beschloss man etwas Preiswertes zum Essen auszusuchen. Die drei Freunde starrten beschäftigt die Preise an. Und sie hatten Glück! Irgendein Gericht kostete nur 50 Pfennig! Als die Kellnerin kam, bestellten sie mit den Worten: „Das bitte!“ Die Kellnerin hat die drei Männer etwas komisch angeschaut, verschwand aber dann schnell hinter den Türen der Küche. Das Bier kam rasch, aber das Essen ließ etwas auf sich warten. Etwa nach 10 Minuten kam die Kellnerin zurück und brachte drei heiße Warmhalteplatten mit, die nichts weiter als 50 Pfennig je Stück kosteten. Nachdem die Kellnerin weg war, haben die Freunde einander schweigend angeschaut. „Jetzt weiß ich, was eine Warmhalteplatte ist“, dachte der eine. „Guten Appetit, Freunde!“, dachte der andere. Der dritte zog eine Zigarette heraus, zündete sie an der Warmhalteplatte an und sagte: „Ein Feuerzeug für nur 50 Pfennig! Ist doch ein Schnäppchenpreis, oder?“

    Maxim Honstein

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  • Zwei Freundinnen Es war ein sonniger Vormittag im Frühsommer vor ca. 50 Jahren. Zwei Mädchen, die ungefähr 13 Jahre alt waren, hatten Sommerferien, und freuten sich sehr darüber. Eines der beiden Mädchen bekam von seiner Mutter ein Geschenk für das erfolgreich abgeschlossene Schuljahr. Es waren weiße Stoffschuhe, die es sich schon lange gewünscht hatte. Das Mädchen wollte unbedingt die neue Anschaffung seiner besten Freundin zeigen. Es zog die weißen Schuhe gleich an und ging aus dem Haus. Bevor es das Haus verließ, sagte ihm seine Mutter, dass es vorsichtig sein soll. Die Freundinnen trafen sich und gingen zusammen zum Spielplatz. Die Sonne stand hoch und die Mädchen waren froh, den ganzen Tag spielen zu können. Sie trennte nur noch eine Straße vom Spielplatz. In der Mitte der Straße war durch den Regen eine große Pfütze entstanden. Um auf die andere Seite zu kommen, musste man in die Lache treten oder sie umgehen. Eine der Freundinnen trat – ohne viel darüber nachzudenken - in die Pfütze, und kam schnell auf die andere Seite. Das andere Mädchen jedoch zögerte, weil es Angst hatte, seine neuen weißen Schuhe zu beschmutzen. Es stand zuerst ganz unentschlossen da, aber plötzlich stürzte es auf die Gegenseite. Als sich ihre Freundin nach ihr umdrehte, sah sie, wie ihre Freundin von einem Auto angefahren wurde. Das Mädchen starb neben der Lache, bevor der Rettungswagen ankam. Jede Hilfe kam zu spät. Das Paradoxe daran war, dass ihre Schuhe völlig blütenweiß und unbefleckt geblieben waren.

    Alexandra Malinowski

    Der Führerschein Das ist eine wahre Geschichte, die mit einem Bekannten passiert ist. Kurz vor seiner Übersiedlung nach Deutschland hat Alex - so heißt der Mann - seinen Führerschein gemacht. Als er nach Deutschland kam, meldete er sich sofort bei einer Fahrschule an, in der der Fahrlehrer auch ein Aussiedler ist und sehr gut Russisch spricht. Ein paar Monate später gratulierten wir Alex zu seinem deutschen Führerschein. Nach einigen Tagen rief er an und lud uns zu einer Spazierfahrt ein. Er sagte, dass seine Familie Besuch aus Bayern habe und dass sein Onkel ihm erlauben würde, mit seinem Auto eine Runde zu fahren. Wir nahmen das „coole“ Angebot sofort an. Stolz, dass ihm das Auto anvertraut wurde, holte Alex uns ab. Zum ersten Mal ohne Fahrlehrer daneben! Das machte ihn so glücklich und gleichzeitig sehr nervös. Aber die Straßen waren ihm schon aus der Zeit der Fahrschule bekannt, die Atmosphäre im Auto locker, die Stimmung gehoben und die Musik aus dem Radio laut. Langsam entspannte sich unser „Held“. Nach einer halben Stunde zielloser Rundfahrt durch die Stadt entschlossen wir uns zum Bowling zu fahren. Um aber zum Bowlingklub zu gelangen, muss man ein Stückchen auf einer Autobahn fahren. Als unser Auto auf die Autobahn auffuhr und Alex Vollgas gab, wurden wir sofort von der Polizei angehalten. Zwei Polizisten kamen von beiden Seiten zu unserem Auto, checkten es von außen und schauten ganz streng in den Innenraum. Im Auto herrschte tiefes Schweigen und im Kopf von Alex Chaos. Er erinnerte sich an die ganze Fahrt und fand nichts, wofür er bestraft werden könnte. In diesem Moment verlangten die Polizisten seinen Führerschein und die anderen Papiere für das Auto. Zitternd und schwitzend vor Aufregung suchte Alex in seiner Geldbörse. Als er den Führerschein nicht fand, sagte er nach Worten ringend – wir sprachen damals alle kaum Deutsch – und fast weinend: „Das Auto ist von meinem Onkel. Und meinen Führerschein habe ich zu Hause gefressen.“ Eine Minute lang schwiegen alle, die Polizisten sahen einander fragend an, dann brachen sie in ein gewaltiges Gelächter aus. Wir wälzten uns vor Lachen, aber Alex saß ganz bestürzt da. Diesmal kam er mit einem blauen Auge davon. Einer der beiden Polizisten sagte zum Abschied nur: „Fressen Sie Ihren Führerschein nicht noch einmal. Er kostet viel Geld.“

    Elena Rumin

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  • Ein paar Floskeln Es war um 1970, zur Zeit des Aufschwungs der ehemaligen Sowjetunion. Überall in unserer Stadt hingen Porträts des ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei L. I. Breschnjew und seine kommunistischen Parolen, wie „Schaffen wir den Fünfjahrplan in vier Jahren!“. Und alle warteten auf die frohe Zukunft. Auch in den Schulen wurde Propaganda gemacht, damit die Kinder keinen Zweifel am bestehenden System hegten. Meine Tante ging damals noch in die Grundschule. Dort fand jeden Dienstag, 15 Minuten vor dem Unterricht, eine sogenannte „politische Aufklärung“ statt. Es wurden ein paar Nachrichten besprochen, aber der Sinn der Sache war natürlich die Propaganda des „richtigen Denkens“, wie man diese „Hirnwäsche“ nannte. An so einem Dienstag hatte der Lehrer in der Klasse meiner Tante erzählt, dass das sozialistische System das beste sei und sie sich dem Kommunismus nähern würden, in dem es kein Geld mehr gäbe und alle glücklich werden würden. Es waren nur ein paar Floskeln, ohne verständlichen Inhalt für kleine Kinder, die gar nicht darüber nachdachten. Aber meine Tante sagte plötzlich zu dem Lehrer: „Mein Vater und Onkel Sascha sagen, dass es Kommunismus nie geben wird, weil es eine Utopie ist...“ Nach dem Unterricht befragte der Lehrer das Kind näher, wann und mit wem sein Vater solche Gespräche führe und noch am selben Abend kamen KGB-Leute (Staatssicherheitsdienst) und nahmen den Vater meiner Tante mit. Das Gericht verurteilte ihn zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen konterrevolutionärer Propaganda. Nachdem er anderthalb Jahre im Gefängnis gesessen hatte, kam eine Amnestie. Mein Großvater hatte so viele Monate den Himmel nur noch durch ein Gitter gesehen, weil er es gewagt hatte, die bittere Wahrheit laut zu äußern.

    Artjom Bergmann

    Geschichte eines jungen Lebens Todesangst, Hilflosigkeit und Verzweiflung, all diese Gefühle haben ihr kleines Herz an diesem Abend fast zerrissen, als sie aus dem Krankenhaus nach Hause kam. Ihre glückliche, mit den schönsten Wünschen gefüllte Welt war auf einmal wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Sie war vierzehn. Nach fast einem Jahr schrecklichen Leidens, starb ihre Großmutter, die ihr ganzes Leben für sie immer da gewesen war und sie im Sinne von Liebe, Hoffnung und Gerechtigkeit großgezogen hatte. Und nun traf sie das Schicksal mit einem weiteren harten Schlag, als ob sie noch nicht genug gelitten hätte. Sie hatte ihre Hoffnung verloren. Der Arzt im Krankenhaus, ein kräftiger Mann mit eisernem Gesicht, hatte sich hart und deutlich ausgedrückt: „Während der Operation haben wir festgestellt, dass ihre Mutter Rückenmarkkrebs hat, dessen Auswirkungen sich auf das gesamte Bewegungssystem des Körpers ausgebreitet haben. Sie wird nie mehr im Leben laufen können und sie wird nur noch drei Monate leben.“ Dieses Gespräch kam ihr wie ein schrecklicher Alptraum vor. Das Gesicht des Arztes zeigte keine Gefühle, er hatte nun seine Aufgabe erledigt. Für ihn war es ein Fall von vielen, für sie war es das Zerbrechen ihres ganzen Lebens. Auf dem Nachhauseweg spürte sie die salzigen Tränen auf den Lippen und die zärtlichen Hände ihres Vaters auf ihren Schultern. Sein Gesicht war bleich und hohlwangig, seine Hände zitterten. Nach acht Jahren Pause hatte er wieder angefangen zu rauchen. Eine Woche später wurde ihre Mutter mit dem Krankenwagen nach Hause gebracht. Plötzlich wollte sich kein Arzt mehr um die Kranke kümmern, außerdem hatte das Krankenhaus keinen Platz für ihre Mutter. Und sie, ein vierzehnjähriges Mädchen, wurde auf einmal erwachsen, weil sie so viele schwere Entscheidungen treffen musste. Die ganze Hauswirtschaft mit Garten und Viehstall dazu und die Pflege ihrer schwerkranken Mutter hatte sie mit ihrem Vater zu erledigen. Nebenbei musste sie ja auch noch die Schule besuchen. Nach wenigen Wochen hatte sie gelernt, wie oft ihre Mutter welche Medikamente brauchte, und wie man eine Spritze gibt. Ohne Hilfe ihres Vaters hätte sie diese Zeit nicht überstanden. Sie hat oft darüber nachgedacht, ob wirklich jeder Mann so viel Geduld und Liebe hätte, um bei seiner todkranken Frau zu bleiben und ihr zu helfen. Sie war stolz auf ihren Vater, sie war stolz, seine Tochter zu sein. Heute, fast acht Jahre nach diesem entscheidenden Gespräch mit dem Arzt, kehrt sie in ihren Erinnerungen nicht gern zu diesen Tagen zurück. Oft fragt sie sich, ob es wirklich sie war, die so

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  • vieles überstanden hat. Sie und ihr Vater hatten lange und aufopfernd um das Leben ihrer Mutter gekämpft und ihre Tränen und die schwere Arbeit waren nicht umsonst gewesen. Obwohl ihre Mutter jetzt im Rollstuhl sitzt, lebt sie und ist - entgegen der damaligen Aussage des gefühllosen Arztes - glücklich. Wer war dieser Arzt, der ihr keine Chance auf eine gute Zukunft gab, der alle ihre Hoffnungen auf einmal zerstört hat, ohne mit ihr Mitleid zu haben? Und wo waren überhaupt alle Ärzte, die den Hippokratischen Eid geleistet haben, als sie sie so nötig hatte? Sie stellt sich diese Fragen immer noch, obwohl die Bitterkeit in ihrem Herzen nicht mehr so stark ist. Sie ist schon lange kein vierzehnjähriges Mädchen mehr.

    Elena Brug

    Aus meiner Kindheit Meine Kindheit war schön, aber woran ich mich noch immer lachend erinnere ist eine Begebenheit im Dorf meines Vaters. Alle 2-3 Wochen fuhr mein Vater übers Wochenende zu meinen Großeltern ins Dorf und im Sommer verbrachten wir, meine Schwester und ich, zwei schöne Wochen dort. Zu dieser Zeit kamen unsere Cousinen und Cousins auch dorthin. Und unsere kleine Clique machte das Dorf unsicher. Wir konnten dort alles machen, was uns gefiel und bekamen fast nie Ärger. Bei einem solchen Besuch passierte Folgendes. Mein Cousin Jabrail bekam zu seinem 14.Geburtstag ein Fahrrad. Es war wirklich schön und wir waren alle wild darauf. Aber unser Cousin erlaubte uns nur eine Runde und nur einmal am Tag damit zu fahren. Ansonsten schloss er das Fahrrad ab und versteckte den Schlüssel. Aber meine ältere Schwester, eine verwöhnte Prinzessin, war nicht besonders glücklich. Sie bekam immer alles, was sie wollte. Nun sollte sie um etwas bitten! Und sie hat sich entschlossen mit dem Fahrrad in Abwesenheit meines Cousins zu fahren. Eines Tages, als mein Cousin Jaba den Schlüssel wieder versteckte, beobachtete sie ihn dabei. Als er weg war, holte sie den Schlüssel. Sie rannte damit triumphierend zu uns, prahlte und machte sich wichtig. Sie schlug uns vor ein bisschen zu fahren. Wir hatten etwas Angst vor dem möglichen Ärger, gingen aber trotzdem mit ihr und dem Fahrrad auf eine Wiese hinter dem Haus. Ich muss noch dazu sagen, dass wir alle sehr schön sauber und festlich angezogen waren. Wir sollten zu irgend einem Fest gehen. Am schönsten war unsere Madlen angezogen. Sie hatte weiße Strümpfe und ein weißblaues Kleid mit Blümchen an und eine große Schleife in den Haaren. Als wir an auf die Wiese kamen, wollte jeder von uns sofort das Fahrrad besteigen und losfahren. Aber wir machten es dem Alter nach. So kam unsere Madlen zuerst aufs Fahrrad. Als jeder eine Runde gedreht hatte, wollte Madlen noch eine machen. Wir haben alle versucht, sie davon abzuhalten, weil schon die Zeit heran war, wo Jabrail zurückkommen musste. Aber sie war fest entschlossen. Also bestieg sie das Fahrrad und raste los. Sie wollte uns unbedingt beeindrucken und fuhr auf einen Hügel. Ihr Pech war, dass der Pfützen auf beiden Seiten hatte. Als sie oben war, bremste sie plötzlich und wollte uns einen Trick zeigen. Sie hat ihr Gleichgewicht verloren und fiel mit dem Gesicht in eine der Pfützen. Als sie aufstand, war sie völlig verdreckt. Aber wir lachten nicht, weil wir alle erschrocken waren und ein großer Ärger erwartete uns. Um diesen zu vermeiden, entschlossen wir uns, die Kleidung und Madlen zu waschen. Also gingen wir nach Hause. Aber auf dem Rückweg sahen wir unseren Onkel. Wir wussten nicht, was wir machen sollten, denn er durfte auf keinen Fall Madlen in so einem Zustand sehen. Also musste sie mit dem Rücken zu ihm nach Hause gehen. Als wir den Onkel los waren, rannten wir in die Küche. Wir nahmen zwei große Schüsseln, eine für die Kleidung und eine für Madlen und schrubbten beides gründlich. Trotz all unserer Bemühungen konnten wir unseren kleinen Frevel nicht geheim halten. Wir bekamen Ärger mit unserer Tante, bei der wir alle wohnten. Aber sie hat dem Sohn nichts gesagt. Und als er sein Fahrrad in so einem erbärmlichen Zustand sah, konnte er sich nicht denken, wer das gemacht hat. Wir gaben es auch nicht zu. Aber wir haben so etwas nie wieder getan. Es war eine gute Lehre für uns.

    Marianne Schenk

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  • Die Bekanntschaft Es war ein sonniger Abend. Ich saß zu Hause und langweilte mich, als jemand leise ans Fenster klopfte. Ich öffnete es und schaute hinaus. Meine Freundin Natalie und ihr Mann standen draußen. Sie kamen, um mich herzlich zum Abendessen einzuladen. Aus Angst, dass ich mich noch zu Tode langweilen würde, sagte ich zu, obwohl ich das sichere Gespür für etwas Unheilvolles hatte. Auf Natalies Verlangen habe ich mich schön angezogen und meine Lippen rosa geschminkt. Danach fuhren wir zu ihnen nach Hause. Nach einem üppigen Mahl saßen wir gemütlich in der Küche, tranken Wein und unterhielten uns, als jemand mehrmals an die Tür klopfte. Natalie öffnete und ein Unbekannter trat ein. Er war ungefähr zwischen 30 und 35, groß und kräftig. Während ich ihn erstaunt anblickte, lächelte meine Freundin und ihre Augen blitzten. Ich sollte mich nicht umsonst geschminkt und passend angezogen haben. Schnell lernten wir uns kennen, denn der Unbekannte erzählte mir mit wenigen Worten seine Lebensgeschichte. Zwei Jahre lang war er im Krieg in Afghanistan gewesen. Dazu muss ich sagen, dass ich schon immer ein Pazifist war und Mitleid mit den Männern hatte, die in den Krieg zogen. Der Unbekannte trank mit uns Wein - vielleicht ein bisschen mehr, als er vertragen konnte - und sprach über den Krieg. Mit seinen merkwürdigen Berichten ging er mir mit der Zeit auf die Nerven, und ich bat ihn schließlich so höflich wie möglich das Thema zu wechseln. Ich sagte spontan: „ Der Krieg ist doch vorbei und es wäre sinnvoll ihn endlich zu vergessen, statt immer wieder davon zu reden.“ Meine Worte bereute ich sofort. Der Mann sprang wie ein Verrückter auf und kam auf mich zu. Seine Augen sahen mich prüfend an und er fragte hart: „Weißt du, welche Farbe das frische menschliche Gehirn hat? Denkst du, es ist grau?“ Ich schwieg und hatte Angst. Alle schwiegen. Als ich aber in seine Augen blickte, in denen ein an Wahnsinn grenzender Schmerz und eine große Enttäuschung zu sehen waren, hatte ich keine Angst mehr - nur noch Mitleid. Er verlangte nach einer Antwort. Ich brachte kein Wort heraus. Dann antwortete er selbst: „Es ist rosa, rosa wie deine Lippen. Und wenn es aus dem Kopf eines toten Freundes quillt, dann… Wie kann ich das vergessen?“ Einen Augenblick lang schwieg er und ging schließlich ohne Abschied zu nehmen. In dem Moment spürte ich eine innerliche Erleichterung, aber auch ein starkes Schuldgefühl. Ich fühlte mich schuldig an den Leiden dieser Menschen und dachte darüber nach, was mit mir geschehen wäre, wenn ich das frische menschliche Gehirn gesehen hätte – rosa wie meine Lippen.

    Elena Sedych

    Missverständnis

    An einem sonnigen Morgen bekamen wir einen Brief aus Weißrussland. Darin lagen die Fotos von der Hochzeit meiner Cousine. Sie trug ein schönes weißes Brautkleid und strahlte vor Glück und Freude. Ich strahlte auch vor Begeisterung, als ich die Fotos ansah. Den ganzen Tag konnte ich an nichts anderes mehr denken als an die Hochzeit. Ich war so beeindruckt, dass ich sogar selbst heiraten wollte und davon schwärmte. Am Abend desselben Tages sah meine Mutter im Fernsehen eine Sendung über Gorillas an. Die paarten sich. Genau in dem Moment bewunderte ich wieder die herrlichen Hochzeitsbilder und sagte träumerisch: „Ist das nicht das wunderschönste Paar, das es gibt?“ Meine Mama blickte mich lächelnd an und antwortete: „Ja, definitiv! Besonders nach dem Paaren, wenn sie sich gegenseitig lausen.“

    Elena Sedych

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  • Mandarinen Das Folgende geschah meiner Oma, als sie ein schönes zwanzigjähriges Mädchen war und in einer Fabrik arbeitete. Zur Arbeit ging sie immer zu Fuß, weil es damals noch keine Busse auf dem Lande gab. Abends, wenn es dämmerte, begleitete sie ständig ein „Schutzengel“ in männlicher Gestalt nach Hause. Aus Angst abgewiesen zu werden, ging der „Engel“ nur in respektvoller Entfernung zu dem Mädchen und sprach es nie an. Meine Oma war bereits im Begriff, mit einem anderen Mann Freundschaft zu schließen, als der Unbekannte zu ihr ins Haus kam, wo sie mit ihrer Tante wohnte. Um der Geliebten eine Freude zu machen, hatte er eine Kiste voll Mandarinen mitgebracht. Dazu muss ich sagen, dass es damals einen großen Mangel an Mandarinen gab und der gute Mann dafür mindestens die Hälfte seines monatlichen Gehaltes ausgegeben hatte. So stand er vor der Haustür des Mädchens mit der Absicht, ihm die begehrte Kiste zu schenken und damit seine Aufmerksamkeit zu wecken. Nachdem sie sich begrüßt hatten, warf meine spottlustige Oma einen kurzen Blick auf die Kiste und fragte: „Wollen Sie mir nun die Mandarinen verkaufen, gnädiger Herr?“ Mein künftiger Opa wurde sofort schamrot im Gesicht und antwortete die Augen niederschlagend: „ Nein, es soll ein Geschenk für Sie sein.“ Nun verabredeten sie sich zu einem Rendezvous und er ging. In seiner Aufregung nahm er aber die Kiste wieder mit. Das arme Mädchen warf noch einen traurigen Blick auf die Kostbarkeit und dachte die ganze Nacht an den schüchternen Mann. Am nächsten Morgen, als meine Oma wieder zur Arbeit ging, sah sie die Mandarinenkiste vor der Haustür stehen. Auf einem kleinen Zettel stand: „Lass es dir gut schmecken!“

    Elena Sedych

    Das Glasdosenexperiment Eines Tages kam ein Philosophieprofessor mit einer großen Kiste zur Vorlesung. Er nahm eine Glasdose heraus, füllte sie mit Steinen und fragte seine Studenten, ob die Dose voll sei. Die Studenten antworteten mit „Ja“. Dann nahm der Professor eine Packung Erbsen und schüttete sie in das Glas. Die Erbsen füllten den Raum zwischen den Steinen. Und der Professor stellte die gleiche Frage. Die Studenten sagten wieder „Ja“. Der Professor nahm schweigend eine Schachtel mit Sand aus der Kiste, schüttete ihn in die Dose und fragte die Studenten erneut: „Ist die Glasdose voll?“. „Ja!“ antwortete ein Student, „Jetzt ist sie wirklich voll!“. Der Professor lächelte, packte eine Flasche Bier aus und goss das Bier darüber. Der Sand saugte es auf und die Studenten lachten laut. „Diese Glasdose ist wie ihr Leben.“, sagte der Professor. „Die Steine sind die wichtigsten Dinge darin - Familie, Gesundheit und Freunde. Es ist das, was Sie brauchen, damit ihr Leben erfüllt bleibt, wenn alles andere verloren geht. Die Erbsen sind für Sie z.B. ihre Arbeit, ihr Haus oder ihr Auto. Und der Sand sind alle Kleinigkeiten, die das Leben versüßen. Wenn Sie die Dose zuerst mit Sand füllen, dann wird es darin keinen Platz mehr für Steine und Erbsen geben. Deswegen vergeuden Sie nicht Ihre Zeit mit Kleinigkeiten, sondern tun Sie das, was wirklich glücklich macht. Spielen Sie mit Ihren Kindern! Verbringen Sie mehr Zeit mit Ihren Partnern! Treffen Sie Ihre Freunde! Alles andere ist nur Sand!“ Ein Student hob die Hand und fragte: „Und was bedeutet das Bier?“ Der Professor lachte. „ Ich bin froh, dass Sie das fragen. Damit wollte ich Ihnen nur beweisen, dass es gleichgültig ist, wie „voll“ Ihr Leben ist. Es gibt darin immer noch Platz für eine Flasche Bier“, antwortete der kluge Professor.

    Valentina Schmidt

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  • Der Maler Schon als kleines Kind zeigte er großes malerisches Talent. Seine Eltern und Großeltern sagten stolz: „ Das Kind ist begabt. „Er bekam Zeugnisse und Ehrenurkunden; ihm wurden viele Preise verliehen. In seinem Innersten war er schon ein großer Künstler und die ihn umgebenden Menschen waren bedeutungslos geworden. Dann kam die Gelegenheit, sich als richtiger Maler zu zeigen. Bald würde er seine Kunst der Prüfungskommission vorführen, deren Mitglieder berühmte Professoren, Kritiker und Maler waren. Sie müssten ihn als neues Genie anerkennen. Aber statt der erwarteten Ovationen beim Fanfarenklang las der Vorsitzende ganz trocken den Beschluss vor. Seine Arbeiten wurden als ausdrucksarm und mittelmäßig empfunden. Auf einmal war für ihn die ganze Welt in eine tiefe Finsternis getaucht. Enttäuscht und innerlich zerrissen ging er hinaus. Draußen stolperte er über eine Baumwurzel und fiel hin. Die Kühle der Erde brachte ihn allmählich wieder zu sich. Er öffnete die Augen. Über ihm hingen Äste einer sehr alten mächtigen Eiche. Die unteren waren stark und hart, aber sie trieben kaum einen Spross. Ganz oben wuchsen grüne Zweige, die neuen Lebensmut schöpften und sich der Sonne zuwandten. Die Sonne beleuchtete die Erde, das Gras, in dem er lag und die kleinen Insekten, die wirr um ihn herum wimmelten. Jedes von ihnen erledigte seine wichtige Aufgabe, jedes lebte. Ein starkes Gefühl der Zärtlichkeit beherrschte ihn plötzlich. Er dachte zurück, erinnerte sich an seine Bilder und an seine Mitmenschen. Von einem großen Glücksgefühl erfüllt kehrte er nach Hause zurück und malte weiter. Er malte, aber nicht mehr um als großes Genie anerkannt zu werden, sondern für sich selbst und für diejenigen, denen seine Kunst Freude bereitete.

    Nikolai Schäfer Die Geschichte, die ich hier erzählen möchte, begleitet mich schon lange durch mein Leben. Ich kann nicht mehr sagen, woher ich sie kenne, ob ich sie von jemandem gehört oder irgendwo gelesen habe. Aber ich habe sie im Gedächtnis und versuche mich an ihre Lehre zu halten. Hier ist die Geschichte.

    Parabel von einem Weisen

    Es lebte einmal ein alter Weiser in einem Dorf, das sehr bescheiden war, aber sein Ruf verbreitete sich weit in der Umgebung. Viele Leute kamen in schweren Tagen zu dem Alten und jedem wusste er mit einem Rat, einer Ermutigung oder einfach mit einem Wort zu helfen, wovon den Unglücklichen ganz warm ums Herz wurde. Aber wie so oft im Leben gab es auch Menschen, die ihn um seine Berühmtheit und Weisheit beneideten. So einer wohnte in einem nahe gelegenen Ort. Jedes Mal, wenn er ein Lob über den Weisen hörte, fluchte er und dachte: „Ich bin doch genau so alt wie er. Auf meinen ständigen Reisen habe ich die Welt gesehen, bin viel klüger als er! Wieso? Wieso legen manche Leute so lange Strecken zurück, nur um ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen? Und mich kennt niemand. Das ist doch ungerecht!“ Der Mann hatte so oft solche Gedanken, dass er vor Neid schon krank wurde. Eines Morgens wachte er mit einem Plan auf. „Heute beweise ich allen, dass er in Wirklichkeit gar nicht so weise ist, wie er tut“, dachte der Mann. „ Ich fange einen Schmetterling, schließe ihn in meiner Faust ein und gehe zu dem Weisen. Ich werde ihn fragen, ob der Schmetterling in meiner Hand schon tot oder noch lebendig sei.“ So machte er sich auf und ging fest entschlossen zum Haus des weisen Mannes. Er fragte ihn, was mit dem armen kleinen Schmetterling wohl sei, ob er noch lebe oder schon gestorben wäre? Und in seinem Inneren lachte der dumme Mann und feierte schon seinen Triumph. Aber der Weise sah ihn freundlich an, lächelte und sagte: “Mit deinem Neid hast du dir selbst schon genug geschadet, schade nicht noch anderen. Die Antwort kennst nur du. Es liegt alles in deiner Hand.

    Elena Rumin

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  • Glaubwürdigkeit

    Es ist schon so, dass sehr viele Menschen sehr gern an etwas Merkwürdiges oder Unglaubliches glauben wollen. Und wenn das außerdem noch in einer Zeitung oder gar in einem Buch steht, dann ist das schon eine umstrittene Wahrheit. Während meines Studiums hatte ich entweder in Archäologie oder Ethnografie ein Praktikum zu absolvieren. Da die Ausgrabungen in der Taiga ( sibirischer Urwald ) stattfanden und ich mich vom Großstadtleben ein bisschen erholen wollte, hatte ich mich für Archäologie entschieden. Das war eine sehr gute Zeit, eine der schönsten in meinem noch kurzem Leben: Wir hausten in Zelten an einem kleinen Fluss, kochten unser Essen am Lagerfeuer und waren für einen Monat von der Außenwelt abgeschlossen, da die nächste Siedlung fünf Kilometer entfernt war. Und das genossen wir trotz harter Arbeit. Aber die Idylle dauerte nicht sehr lange. Genauer gesagt bis zu dem Zeitpunkt, als ein Journalist in einem Artikel in der Zeitung veröffentlichte, dass Archäologen einen dreißig Meter unter der Erde liegenden weißen Tempel ausgegraben hatten. Von dem Tag an hatten wir keine Ruhe mehr. Täglich strömten Menschenmassen heran, um dieses "Wunder" mit eigenen Augen zu sehen, und sie wollten uns nicht glauben, dass es keinen weißen Tempel gibt, denn die Information hatten sie ja aus der Zeitung. Außerdem waren einige von ihnen so ungeschickt, dass sie hier und da etwas zerstörten, was uns natürlich wütend machte. Anfangs versuchten wir den "Besuchern des weißen Tempels", wie wir sie nannten, zu erklären, dass sie von einem Journalisten, der ein bisschen Geld verdienen wollte, in die Irre geführt worden waren. Aber da das keine Resultate brachte, hatten wir uns für diese Besucher eine eigene Geschichte ausgedacht: In Wirklichkeit hatten wir nicht einen weißen Tempel, sondern die erste kommunistische Stadt der Erde mit einem siebzig Meter hohen Lenin-Denkmal ausgegraben. Es gab tatsächlich Leute, die sogar an diesen Unsinn glaubten. Was ich mit dieser Geschichte sagen will? Nur eins. Glauben sie nicht an alles, was Sie lesen oder hören, sondern denken Sie nach! Vielleicht ist auch diese Geschichte nur ausgedacht und hat nichts Wahres an sich.

    Dietrich Schmidt

    Der besorgte Polizist

    Russland, Stadt M. Ein Polizist hält ein Auto an, das viel zu schnell fährt und fragt den Fahrer nach seinen Papieren. Da dieser ein vielbeschäftigter Mann ist, der seine Zeit nicht verschwenden will, besticht er den Polizisten mit 100 US Dollar. Danach verabschieden sich die beiden fröhlich von einander. Am nächsten Tag wiederholt sich die Geschichte und am Tag danach, bis sich der Polizist daran gewöhnt hat, an jedem Tag einen Hunderter zu „verdienen“. Aber nach einiger Zeit verschwindet plötzlich sein „Arbeitgeber“. Der Polizist macht sich Sorgen um den Fahrer, er denkt sich alles Mögliche aus, was seinem „Freund“ zugestoßen sein könnte. Nach einem Monat steht er blass und besorgt aussehend - was verständlich ist, da sein Lohn kaum zum Überleben reicht – an der selben Stelle und sieht seinen wie immer zu schnell fahrenden Fahrer. Fast platzend vor Freude rennt unser besorgter Polizist zum Auto und erkundigt sich danach, was dem Mann zugestoßen sei und ob es ihm gut gehe. „Alles in Ordnung! Ich war im Urlaub“, antwortet der Fahrer ruhig. Nach kurzem Überlegen schreit der besorgte Polizist: „Was? Ich kann hier um dich besorgt kaum essen und schlafen, und du fährst auf meine Kosten in Urlaub?!!“

    Nacherzählt von Dietrich Schmidt

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  • Die Gasmaske Nach vielen Jahren gemeinsamen Lebens merkte eine Frau, dass ihr Mann nicht mehr sehr aufmerksam zu ihr war. Natürlich wollte sie das möglichst schnell ändern. Am nächsten Tag kaufte sie sich ein neues Kleid und zog es beim Abendessen an. Aber der Mann merkte nichts. Am folgenden Tag ließ sie sich eine neue Frisur machen, wieder keine Reaktion. So ging es noch eine Weile. Nachdem sie schon alle Mittel, wie ein neues Parfüm, sein Lieblingsessen, Kerzen, romantische Musik und viel anderes, ausprobiert und ihr Mann immer noch nichts gemerkt hatte, rastete die Frau aus. Als ihr Mann eines Abends nach Hause kam, zog sie ein altes Hauskleid an und setzte eine Gasmaske auf. Sie kam ins Wohnzimmer und setzte sich neben ihn, während er f


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