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DER KLANG DER FAMILIE · 2014. 1. 11. · Der Klang der Familie 272 Der Berlin-Detroit-Schaltkreis...

Date post: 24-Jan-2021
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DER KLANG DER FAMILIE BERLIN, TECHNO UND DIE WENDE SUHRKAMP NOVA FELIX DENK / SVEN VON THÜLEN
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D E R K L A N G D E R F A M I L I E

BERLIN , TECHNO UND D IE WENDE

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Felix Denk, Sven von ThülenDer Klang Der FamilieBerlin, Techno und die Wende

Suhrkamp

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012© Suhrkamp Verlag Berlin 2012Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasder Übersetzung, des öffentlichen Vortragssowie der Übertragung durch Rundfunkund Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eISBN 978-3-518-75301-9www.suhrkamp.de

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Der Klang Der Familie

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für Silke und Henry

für Lili

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Inhalt

Vorwort 9

teil eins: 80er-Jahre

Der Soundtrack zum sich unverstanden Fühlen 15

Anale Randale 25 One-Way-Ticket ins All 40

Die Radioflucht 63

Der wohl bedeutendste Abend der Geschichte 71

teil Zwei: 1990-1991

Die Freaks unter den Zonis 87

Temporäre Autonome Zone 103

Die Hatz nach Platten 116

Der Osten hört mit 125

Bürgerkinder feiern Weltuntergang 135

Das große eskapistische Meisterwerk 158

Der Sommer der Liebe 182

Transmission From Detroit 195

The Biggest Rave Ever 216

teil Drei: 1992-1996

Die Musik der Zukunft 235

Die schönste Hölle der Welt 247

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Lass Dich nicht erwischen 262

Der Klang der Familie 272

Der Berlin-Detroit-Schaltkreis 301

Die Verachteten 313

Alles für den Anzeigenkunden 326

Das Techno-Hochamt 339

Hinter dem Regenbogen 371

Amusement total sans regret 381

Epilog 391

anhang

Personen 405

Orte 413

DJ-Charts 419

Bildnachweise 424

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Vorwort

Im Prinzip war es purer Zufall. Da entstand diese neue, raue, krasse Maschinenmusik, und dann fiel die Mauer. In Ostberlin kollabierte die Verwaltung, die ehemalige Hauptstadt der DDR verwandelte sich in eine »Temporäre Autonome Zone«. Plötz-lich gab es all diese Räume zu entdecken: ob eine Panzerkam-mer im staubigen Niemandsland des ehemaligen Todesstrei-fens oder Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg, ob eine stillgelegte Seifenfabrik an der Spree oder ein Umspannwerk gegenüber dem ehemaligen Reichsluftfahrtministerium – an all den Orten, die die jüngere Geschichte ausgemustert hatte, wur-de plötzlich zu einer Musik getanzt, die nahezu im Wochentakt komplett neu erfunden wurde.Natürlich, Techno ist – vereinfacht ausgedrückt – Mitte der 80er-Jahre in Detroit entstanden. Doch eine Heimat fanden die neuen elektronischen Klänge dort nicht. Es entwickelte sich keine Clubszene um die Musik, die so gezwungenermaßen zum Exportgut der krisengeschüttelten Autostadt wurde. Dass ein Großteil der Detroiter Produzenten und DJs ausgerechnet in Berlin eine zweite Heimat gefunden haben und sich ein sym-biotisches Verhältnis zwischen diesen beiden desolaten Städten entwickelte – auch das ist neben dem Einsatz und dem Enthu-siasmus einiger Musikbegeisterter zu einem großen Teil glück-licher Fügung zu verdanken. Auf eine lange Geschichte der elektronischen Musik konnte Berlin damals nicht zurückblicken. Ganz anders als Frankfurt etwa. Dort gab es bereits in den 80er-Jahren ein professionelles Netzwerk aus Clubs, Produzenten und Labels. Auch das Wort »Techno« war dort schon gebräuchlich. Westberlin dagegen war eine Rockstadt, wenn auch eine sehr experimentierfreu-

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dige. Mit Bands wie den Einstürzenden Neubauten und Bewe-gungen wie den Genialen Dilletanten gab es einen recht weiten Begriff dessen, was man unter Musik verstehen konnte. Und in Clubs wie dem Metropol schon eine kleine, aus der Disco-Zeit hervorgegangene DJ-Kultur. In Ostberlin war natürlich alles anders. Teil einer Jugendkultur zu sein, war etwas Heimliches bis Gefährliches. Die erste Ge-neration Punks wurde noch rigoros verfolgt. Insofern waren es die Jugendlichen gewohnt, sich Nischen zu suchen. Eine davon war Breakdance, der in der DDR viel länger als in Westdeutsch-land die Subkultur prägte und die besondere Begeisterung für elektronische Klänge dort erklärt.Dass Techno der Soundtrack des Ausnahmezustands nach der Wende wurde, hat drei Gründe: Die Wucht der neuen Klänge, die Magie der Orte und das Freiheitsversprechen, das in dieser Musik steckte. Plötzlich, so schien es, konnte jeder seine eigene Welt programmieren: Platten auflegen, produzieren, Magazine gründen, T-Shirts bedrucken – Techno war eine Musik, die zur Teilhabe aufrief, ein Sound der flachen Hierarchien. Nicht um-sonst hieß es in den Anfangstagen von Techno immer, diese Musik brauche keine Stars. Für sie schien es gar keinen Platz mehr zu geben. Der Mensch verschwand ja aus den Stücken. Das Künstlersubjekt löste sich auf in den Schaltkreisen der Drum Machines, den binären Codes der Sampler und den im-mer neuen Projektenamen der Produzenten. Selbst der DJ war anfangs Teil der Party, nicht ihr Fokus. Und auch nicht ihr Star – das war die Party selbst. Und mit ihr all die verlassenen, ver-fallenden Locations, die sich in Tanzflächen verwandelten – manchmal nur für eine Nacht, manchmal lange genug, dass Menschen aus der ganzen Welt dort tanzen konnten.Es gibt wohl wenige Musikrichtungen, die eine derart dispara-te Mischung an Leuten zu einem gemeinsamen Glücksgefühl gebracht haben, wie Techno. Zu den frühen Partys kamen die

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Breakdancer vom Alexanderplatz, Fußball-Hooligans, ehema-lige Ost-Punks und Radiojunkies. Sie trafen auf ein Westber-liner Gemenge aus Schöneberger Schwulenszene, Kreuzberger Hausbesetzern, Studenten, Künstlern, englischen Soldaten auf Freigang und amerikanischen Ex-Pats, die der billigen Mieten wegen nach Berlin gekommen waren. Gegensätze, so schien es eine Weile, zählten nicht mehr. Woher man kam und was man anhatte, zählte auch nicht. Solange man mitmachte. Alles kon-zentrierte sich auf die Musik und das neue Miteinander auf und neben der Tanzfläche. Und diese überschwängliche, wider-sprüchliche Gemeinschaft, die sich da jedes Wochenende zu-sammenfand, sah sich tatsächlich als Familie – zumindest in den ersten Jahren.Die Geschichte dieser Wahlfamilie erzählt dieses Buch. Von den subkulturellen Anfängen bis zu dem Moment, als einzelne Vertreter der ersten Generation die Charts stürmten und zu Stars wurden und ebenjene Regeln und Marktmechanismen, die zu Anfang nicht mehr zu gelten schienen, auch in diese neue Kultur Einzug hielten. Natürlich waren Techno-Hits wie Marushas »Somewhere Over The Rainbow« nicht der Schwa-nengesang auf elektronische Musik – ganz im Gegenteil, in im-mer neuen Formen hat diese Musik bis heute auch die letzten pop-kulturellen Winkel erobert und prägt wie keine andere das Bild Berlins –, aber sie läuteten doch das Ende des anarchi-schen Anfangs ein. Aus einer Subkultur wuchs eine Kultur.Wir waren damals nicht dabei. Der Klang der Familie entstand aus rund hundertfünfzig Interviews, die innerhalb des letzten Jahres von uns geführt wurden (lediglich die Interviews mit Mike Banks und Ron Murphy wurden bereits 2007 für De:Bug geführt, das Interview mit Blake Baxter entstand im Zusam-menhang einer Detroit-Reportage für das Groove-Magazin). Allen Beteiligten möchten wir für das entgegengebrachte Ver-trauen danken und dafür, dass sie sich so viel Zeit genommen

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haben, ihre Erinnerungen mit uns zu teilen. Wir hoffen, mit dem Buch etwas zurückgeben zu können. Danke auch an die Personen, die trotz Interview leider nicht den gebührenden Platz im Buch fanden, insbesondere Moritz von Oswald, Kay Itting, Sandra Molzahn und Frank Schütte. Besonders danken möchten wir Carola Stoiber, Arne Grahm, Stefan Schvanke, Mijk van Dijk, Jürgen Laarmann und Dimitri Hegemann für ihre organisatorische Hilfe. Sowie den DJs Tanith, Rok, Clé, Jonzon, Terrible, Zappa und Dr. Motte für ihre Playlists. Jür-gen Teipel lieferte mit Verschwende Deine Jugend eine wichtige Inspiration und stand uns mit Ratschlägen zur Seite. Jan Rikus Hillmann hat so viele fabelhafte Cover entworfen, dass man aus diesem Buch eine Serie machen könnte. Ohne Sebastian Leber vom Tagesspiegel hätten wir unseren Agenten Marko Jacob von Landwehr & Cie. nicht kennengelernt, ohne ihn nicht unseren Lektor Thomas Halupczok, der immer den Blick für das Wesentliche bewahrt hat, wenn er uns schon längst abhanden gekommen war.

Felix Denk Sven von Thülen Berlin, Januar 2012

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teil eins80er-Jahre

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Der Soundtrackzum sich unverstanden Fühlen

kati sChwind Als ich 1981 nach Westberlin gezogen bin, hab ich erst mal nur in besetzten Häusern gewohnt. Das war ganz normal in Kreuzberg. Damals waren ja ganze Häuser züge be-setzt. Clé Wenn man da aus dem U-Bahnhof rauskam, war das echt spooky. Man stand inmitten rußiger, verlassener Straßenschluch-ten. Überall roch es nach Kohleöfen. der würfler Man hatte damals das Gefühl, dass der Krieg noch nicht zu Ende sei.kati sChwind Alles in Westberlin war von vorne bis hinten sub-ventioniert. Bis Ende der 70er gab es sogar ein Begrüßungsgeld für alle, die zuzogen, weil die Stadt so überaltert war. Diese Rundumversorgung hat deutlich auf die Bewohner abgefärbt. Die Lebenshaltungskosten waren gering, und die Sorgen, wie man die nächste Miete zusammenkratzen kann, hielten sich sehr in Grenzen. So hatte man ganz viel Zeit, seine Macken und Schrullen künstlerisch auszuleben. dimitri hegemann Ich habe damals an der Freien Universität Mu sik studiert und bin zu Feldforschungen in die Nacht ge-zogen. Es gab ja nicht so viel. Das Risiko war ein besonderer Ort, da hab ich Birthday Party mit Nick Cave kennengelernt. Im Dschungel war ich nicht so oft, da ließen sie mich meist nicht rein. 1982 habe ich dann ein Festival im SO 36 veranstal-tet. Das hieß Atonal. Wir wollten eingefahrene Hörgewohn-heiten brechen und Neues zeigen – in Bild und Ton. Da haben viele Bands mit tollen Namen gespielt: Malaria!, Sprung aus den Wolken, Die tödliche Doris und die Einstürzenden Neu-bauten. Als die Neubauten auf die Bühne kamen, fingen die

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direkt an, die Rückwand zu durchbohren. Die Funken flogen, und der Betreiber des SO 36, der vorne Dosenbier verkaufte, rannte wild durch die Gegend. Ich saß backstage, und plötzlich kam neben mir der Bohrer durch die Wand. Ein Jahr später hatten wir Psychic TV da. Genesis P-Orridge trug da schon Glatze mit Zopf und kam wie ein Sektenführer mit acht Leuten im Schlepptau, die aussahen wie Hare Krishnas. Bei ihrem Auftritt haben die einen Film gezeigt, in dem eine Anakonda ein Kaninchen frisst. mark reeder Die Berliner Punk-Szene war erst mal erfrischend anders, nicht so kommerzialisiert, wie ich das aus England kannte. Da war das ja schon 1978 Rock. Ich hatte in Manches-ter in einem Plattenladen gearbeitet und war mit Leuten wie Tony Wilson, Daniel Miller und Ian Curtis befreundet. In Ber-lin war ich dann der Vertreter von Factory Records. Ich hab ein paar Gigs für Joy Division organisiert und Bands kennen-gelernt wie die Neubauten, die mit Müll spielten, oder P1/E, eine elektronische Band, in der Alexander Hacke gespielt hat. Die frühen House- und Techno-Sachen waren für mich später ganz ähnlich radikal. 3phase Durch Punk hatte man die Idee bekommen, dass selber Krach machen eine tolle Sache ist. Bands wie Throbbing Grist-le haben scheinbar alles vom Toaster bis zum Küchenmixer zum Musikmachen verwendet. Es war egal, ob man ein Instru-ment spielen konnte. Wichtig war nur, dass es interessant klingt und was Eigenes ist. mark reeder Das Geniale Dilletanten-Festival zum Beispiel war sehr humorvoll und kreativ. Man konnte einfach mitma-chen. Niemand konnte vernünftig spielen. Bands wurden nur für den Abend gegründet. Und die Leute haben etwas gehört, das sie nicht kannten. CosmiC baby So mit sechzehn habe ich angefangen, rauere Sa-chen zu hören: Throbbing Gristle, Der Plan oder Pyrolator. Ich

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habe dann viel experimentiert: im Radio das Rauschen aufge-nommen, zu laufenden Platten gespielt oder mit zwei Kasset-tenrekordern hin und her aufgenommen. Ich hatte eine Roland 606 Drum Machine, die habe ich stundenlang laufen lassen und spielte auf dem Klavier Sequenzen dazu. Das fanden na-türlich alle langweilig – ist ja immer das Gleiche, die Stimme fehlt, es kommen keine anderen Instrumente –, aber ich war sehr glücklich. Ich habe die Wiederholung geliebt. Die hatte für mich immer was Euphorisches. jonzon Ich war Schlagzeuger in einer Band. Wir hießen Zato-pek und spielten Punk-Funk und irgendwie auch ein bisschen NDW. Wir trugen alle spitze Schuhe und Loden-Janker und hatten sogar einen Plattenvertrag bei Polydor. Ich kann mich noch genau erinnern, wie wir 1983 auf Tour gegangen sind und mir jemand ein Tape mit einem Mitschnitt einer Radiosen-dung von Frankie Crocker zugesteckt hat, einem DJ aus New York. Das Tape habe ich sehr ausgiebig mit meinem Walkman gehört. Da waren Sachen drauf wie D Train oder Peech Boys. Das war schon Proto-House. Der straighte Maschinenbeat, den ich da gehört habe, hat mich fasziniert. Ich merkte, dass man mit einer Drum Machine Sachen programmieren konnte, die man als Schlagzeuger gar nicht spielen konnte. Das Tape war richtig gut gemixt, und ich habe versucht, es zu analysie-ren: Wie viele Platten laufen gerade gleichzeitig? Wo hört das eine Stück auf, und wo fängt das nächste an? Welche Elemente gehören zu welcher Platte? Wann kommt was dazu? Wann geht was raus? Ich wusste gar nicht, was man mit zwei Platten-spielern alles machen kann.stefan sChvanke Bei mir drehte sich immer alles um Musik. Mein erster Techno-Moment war »Los Ninos Del Parque« von Liaisons Dangereuses. Sequenzen, die vorwärtsgehen, auf ei-nem Vierviertel-Beat. Dieses Rastlose, das ich in mir gespürt habe, musste ich auch in der Musik spüren.

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dr. motte Ich war damals richtig süchtig nach allem Neuen. Es gab damals die Radiosendung von Barry Graves auf RIAS2. Da liefen immer Mixe aus New York. Ein DJ, den er gespielt hat, hieß Paco. Und den hat er immer so ganz besonders ange-sagt: »Jetzt wieder ein Pacoooosssssuper-Mix.« Der hat immer eigene Edits gespielt. Stücke wie »Walking On Sunshine« hat er neu zusammengeschnitten und verlängert. Ich hab dann auch versucht, mit meinen zwei Kassettendecks solche Versio-nen zu basteln. Mit denen konnte ich irgendwann punktgenau editieren. Aus »Radio Gaga« hab ich dann »Radio Gag« ge-macht. Mit der Stopptaste hab ich das »a« weggeschnitten. Ich bin dann durch die Kneipen in Kreuzberg gezogen und hab die Kassetten verkauft.jonzon Motte war mein Nachbar in der Lübbener Straße in Kreuzberg. Wir haben damals beide Tapes gemacht, mit so be-scheuerten Namen wie »Das Güldene Herrentape«. Es gab ei-nen Wettbewerb zwischen uns, auf wessen Tape die Leute mehr tanzen. Ich hab meine Tapes mit bescheidenen Mitteln zusam-mengebastelt – mit einem Plattenspieler und einem Kassetten-rekorder. Mit der Pausetaste konnte man Stücke aneinander-cutten. Das waren dann fast schon Edits. Man konnte damit auch wie mit einem Sampler Stakkato-Effeke herstellen. dr. motte Eine Weile habe ich vom Kassettenverkaufen gelebt. Ich hatte immer welche dabei. Musikalisch war das Soul, Funk, Post-Punk. Ich habe nebenher nichts anderes gemacht. Das ging. Meine Wohnung kostete hundertzwanzig Mark. Das Ar-beitsamt hat versucht, mir einen Job zu vermitteln, aber ich hab mich immer mit allen möglichen Strategien verweigert.thomas fehlmann Mit Palais Schaumburg war ich Anfang der 80er-Jahre zweimal in New York und habe da die aufkeimende Electro-Szene mitbekommen. Ein einschneidendes Erlebnis war, Afrika Bambaataa im Roxy auflegen zu sehen. Ich interes-sierte mich sehr für Club-Musik, oder Disco, wie es damals

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genannt wurde. Insbesondere, wenn sich Experimente und Tanzbares trafen. Ich fand die Berührung zwischen Punk und Hip-Hop spannend. Und Disco war für mich und auch die an-deren bei Schaumburg kein Schimpfwort. Chic oder Michael Jackson fanden wir alle ohne Einschränkungen toll. der würfler Durch Disco rückte schwules Nachtleben zum ers-ten Mal ein bisschen in den Fokus des Mainstreams. Dass Schwule und Heteros gemeinsam feierten, war ja total unty-pisch. Ende der 70er, zur Hochzeit der Disco-Welle, war ich Tänzer. Ich bin sogar im Studio 54 mit Liza Minelli, Diana Ross und Gloria Gaynor aufgetreten. In der Zeit hab ich auch angefangen, in Läden wie dem Dschungel, dem Metropol oder dem Cha Cha aufzulegen. Das Metropol sollte das Studio 54 Berlins sein, da gab es riesige Spiegelkugeln, die hatten so zwei Meter Durchmesser. Und diese Kugeln wurden von Lasern be-schossen, das sah damals noch aus wie bei Star Wars. Als ob Neonröhren durch die Luft fliegen würden. Über der Tanzflä-che vorne hing ein Ufo, aus dem Seifenblasen und Glitzer raus-kamen. westbam Das Metropol war als schwuler Laden bekannt, es waren aber nicht nur Schwule da. Man kann es mit dem Ur-christentum vergleichen. Da gab es den jüdischen Tempel, der war in der Mitte, und außen durften auch die Griechen rum-laufen, die sich da anschließen mochten. Im Metropol waren in der Ecke die Schwulen. So richtig hardcore mit Leder und Ket-ten. Vorne waren die schrägen Berliner Vorstadtkids. Die wa-ren sich vielleicht noch nicht sicher, ob sie schwul waren. Oder die fanden das einfach toll. So wie ich, als ich mit siebzehn Jahren zum ersten Mal da reinkam und im Hawaiihemd zwi-schen diesen Kettentypen stand. Es roch nach Poppers, der neue Beat kam rein, und alle schrien rum. Die Energie, die Sub-kultur, das Hardcore-Ding, das Martialische – das war krass. der würfler 1984 war die Disco-Ära des Metropol eigentlich

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schon vorbei. Stattdessen lief Hi-NRG, eine Musik, die ganz direkt vor allem schwule Männer angesprochen hat. Parallel war das auch die Zeit von New Wave und New Romantic. Der Laden war gemischt, was die sexuelle Orientierung anging. Man konnte anziehen, was man wollte, und man konnte sich auch mal schminken.stefan sChvanke Ich bin mit vierzehn, fünfzehn schon ins Met-ropol, das war ein Familienersatz. Zu Hause gab es oft Schlä-ge, eine Zeit war ich im Heim. Ich hab schon früh geschaut, so wenig Zeit wie möglich zu Hause zu verbringen. Tagsüber ha-be ich an der Gedächtniskirche rumgesessen. Da hingen immer junge Punks und Waver rum. Nachts bin ich aus dem Fenster abgehauen. In Westberlin hat auch keiner gefragt, wie alt ich bin. In den ganzen Underground-Läden hat das niemanden ge-kümmert. disko Das Metropol war berühmt für die Fächertunten. Die tanzten mit Dayglo-Fächern schwanenhafte Choreografien und waren bis an die Augenbrauen mit Poppers bewaffnet. Das hatte ein bisschen was von Voguing und von Rave. stefan sChvanke Die trugen so hellblaue Jeans, kurz abgeschnit-ten, enge Oberteile, schon mal bauchnabelfrei, kurze Frisur, dieses nach vorne gewachste Tuntenhörnchen. Die haben zu viert in einer Reihe gestanden. Hans, Leo, Tamazs und Lutz waren die prominentesten. Die ersten drei sind an Aids gestor-ben. In der Ecke waren die Lederschwulen. Und auf der ande-ren Seite der Tanzfläche waren die New Wave-Kids. Da stand ich. westbam Mir war damals schon völlig klar, wo das musikalisch hinläuft. Das habe ich damals aufgeschrieben in dem Frankfur-ter Avantgardeblatt Der Neger. Der Text hieß: »Was ist Re-cord Art?« Das sollte ein Manifest sein. Da habe ich geschrie-ben, dass die neue elektronische Musik von den DJs erschaffen wird.

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jonzon Ich war öfter mal im Dschungel, da hat Juri aufgelegt. Der hat schon gemixt, auch wenn die Mixe immer sehr kurz waren, und auch mit zwei Kopien von derselben Platte einzelne Passagen verlängert.westbam Damals gab es keine Platten, auf denen ewig ein Beat lief. Deshalb nahm man zweimal die gleiche Platte und verlän-gerte den kurzen Teil, in dem nur der Beat lief, indem man diese Stelle immer hin und her cuttete. Im Hip-Hop wurde das gemacht, um darüber zu rappen. Aber ich wollte das, um einen neuen minimalistischen Dance-Style zu schaffen. Das war da-mals das, was der späteren Techno-Kultur am nächsten kam. Eine ewige Wiederholung einer bestimmten Linie mit Uptempo-Beat. Das lief natürlich nicht die ganze Nacht. Das waren Fa-cetten. Mal kam »I Feel Love«, dann gab’s wieder so eine Mix-Nummer mit zweimal der gleichen Platte. Natürlich war das noch nicht Techno, aber die Ansätze waren da. Diese Idee – eigentlich brauche ich nur einen Beat, ein Strobo und Leute, die schreien – konnte man schon in einigen Momenten hören. thomas fehlmann Westbam hat schon gute Platten gespielt. Aber im Metropol lief auch mal Modern Talking. stefan sChvanke Nach der Hi-NRG-Zeit fand ich musikalisch EBM toll, aber das war eher Konzertmusik. Da haben die Leu-te nur diese Drei-Schritte-nach-vorne-drei-Schritte-nach-hin-ten-Tänze gemacht. EBM im Tanzkontext war total von dieser Szene besetzt. Im Gegensatz zu Hi-NRG gab es da kein Auf-der-Tanzfläche-Ausflippen, keinen Exzess. Ich bin trotzdem oft zu Konzerten nach Westdeutschland getrampt. mark reeder Ab 1985 stagnierte Berlin. Es entstand nichts Glü-hendes mehr. Die Frische war weg, das Spontane. Ich war frus-triert. Immer mehr Leute sind in einen Drogensumpf abgeglit-ten. Dazu floss der Schnaps in Strömen. Im Ex ’n’ Pop oder im Cri du Chat liefen damals vor allem solche Sachen – Birthday Party, Sisters Of Mercy und The Cult. Dunkler Rock. Mein

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musikalischer Geschmack war anders. Wenn ich im Ex ’n’ Pop gesagt habe, dass ich Disco mag, wurde ich dafür schief ange-guckt. Das war ja ein Schimpfwort. Die Musik, die da lief, klang für mich wie ein Hass auf Synthesizer.kati sChwind Mitte der 80er war ich anderthalb Jahre in den USA. Als ich wieder zurück nach Berlin kam, total begeistert von Hip-Hop, was in den USA allgegenwärtig war, traf mich fast der Schlag. Ich dachte nur, was ist denn hier passiert? In dem Dunstkreis der Neubauten lief nur noch Sisters Of Mercy, alles war freudlos und deprimierend. 3phase Das Risiko und das Ex ’n’ Pop waren Underground-Treffs für Lederjackenpunks und Avantgardekünstler. Diese Szene war damals fast komplett auf Speed. Es ging das Gerücht um, dass die gelben Kristalle aus der DDR eingeschleust wur-den, um die Kreuzberger Anarchos auf Trab zu bringen. Das Album »Halber Mensch« von den Neubauten, das zu der Zeit entstand, kann man da fast als dokumentarisch ansehen. Dar-auf war ein Trinkerlied, und der Rest dreht sich um die Neben-wirkungen des permanenten Speedkonsums und Schlafent-zugs. tanith Als ich 1986 in Berlin ankam, war das Gefühl: Alles ist vorbei. Punk war längst ein sinnloses Abhängen, eine einzige Saufbrigade. Und die Industrial-Leute haben nur noch Johnny Cash gehört in ihrem Heroinrausch. stefan sChvanke Denen ging es nur noch darum, wer was hat und wie sie über die Woche kommen. tanith Jeder war da ein Künstler – und oft nie erkannt worden, weil viel zu genial. Für die war Musik weniger was zum Tan-zen als was zum Leiden, ein Soundtrack zum sich unverstan-den Fühlen.CosmiC baby Zu dem Zeitpunkt schien elektronische Musik nicht gerade das zu sein, worauf die Stadt gewartet hat. Der Zeitgeist waren Nick Cave und Blixa Bargeld, das waren Hel-

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den und Idole. Aber so sah ich leider weder aus, noch spiegel-ten sie mein Lebensgefühl wider. Ich war zu dünn, nicht hero-inabhängig und hatte auch keine schwarzen Haare. Überhaupt fühlte ich mich, als ich 1986 von Nürnberg nach Berlin gezo-gen bin, zu klein, zu zart, zu versponnen und zu uncool für diese Stadt.tanith Läden wie der Dschungel, die mal vorne waren, sind total beliebig geworden. Da lief so Chartsoße, die ironisch ge-meint war. Die Position, die die Anfang der 80er-Jahre hatten, war weg. Es herrschte eine komische Anti-Haltung: Eigentlich finde ich es scheiße, aber weil du es auch scheiße findest, finde ich es wieder cool.kati sChwind Es wurde immer alberner. Da lief fürchterlicher Funk und so schlechter Soul-Pop. Von Avantgarde war keine Spur mehr. Es gab am Adenauerplatz eine G. I.-Disko, da bin ich sehr gerne hingegangen, weil die Musik da extrem gut war und ich immer gerne getanzt habe. Das war immer ein kleiner Ausflug in eine andere Welt. dimitri hegemann In der Szene, in der ich mich bewegte, gab es viele Selbstmorde. Ich war in einer schweren Krise. Mit dem Atonal-Festival hatten wir einen Break, und ich hatte keine Wohnung, kein nichts. Ein Freund hat mir dann ein Zimmer in der Lübbener Straße besorgt. Im fünften Stock. Es war arsch-kalt, ich musste immer Kohlen schleppen. Eines Morgens sah ich in der Wrangelstraße einen Laden mit beschlagenen Fens-tern, in dem eine Frau an einem Bollerofen saß und Schuhe reparierte. Da bin ich rein, und wir sind ins Gespräch gekom-men. Irgendwann meinte sie, sie gehe weg. Ich könne aber den Laden haben – für zweihundert Mark. Dann hab ich mit einem Freund ein Rednerpult gebaut und das Fischbüro eröffnet, das war so ein Dada-Club. Samstags traf sich da immer eine ver-rutschte Intelligenz, die verrückte Dinge besprach. kati sChwind Das Fischbüro war erst in der Wrangelstraße und

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dann in der Köpenicker Straße. Dimitri war zu Wrangelstra-ßen-Zeiten so abgebrannt, dass er da auf einer Pritsche ge-schlafen hat. dimitiri hegemann Alles war auf Frau Fisch angemeldet – Tele-fon, Post, die Räume, Strom. Frau Fisch war aber nie zu fassen, die gab es natürlich gar nicht. Im Prinzip sollte es ein Umerzie-hungslager sein: vom Konsumenten zum Produzenten. Ich ha-be das moderiert und Leute motiviert mitzumachen. Es war toll. Die kamen dann auf die Bühne, meist erst ganz schüch-tern, und dann klatschten schon alle. Käthe Be, ein Aktions-künstler, las aus seinem Adressbuch vor. Eine Frau erzählte was über ihre Garderobe – woher sie die einzelnen Teile hatte, wie teuer sie waren und so weiter. Einmal haben wir das Fisch-büro gewogen. Zwischen den einzelnen Rednern gab es immer kurz Musik, dann ging es mit Applaus wieder los und so weiter bis 23 Uhr. Dann war Schluss mit der »Fortbildung« – so nannten wir die Veranstaltungen. Im Grunde ging es uns dar-um, wieder miteinander zu reden und nicht mehr irgendwo Schlange zu stehen, zehn Mark zahlen, um eine Blutperfor-mance zu sehen, die man nicht verstand, und dann wieder al-leine nach Hause zu gehen. Im Fischbüro dagegen waren wir wie Kids. Alles war selbstgemacht. Wir waren neugierig, ver-spielt und sehr peaceful, wie in einem Ashram. Irgendwann haben wir dann angefangen, im Keller Acid-House-Partys zu veranstalten.

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Anale Randale

wolle xdp Johnnie hab ich so 1983 kennengelernt. Er wollte mir immer auf die Fresse hauen. Weil ich Popper war, so mit Tolle.johnnie stieler Dieser Bewegung hab ich mich nicht so zugehö-rig gefühlt. Ich war Punk. Dass wir uns kennengelernt haben, lag am Alexanderplatz. Der war so groß, dass da alle Platz hatten, ohne dass Gebietsansprüche verletzt wurden. Die Leu-te, die da rumhingen, hatten keine Bindung an andere Szenen. Die kamen alleine oder zu zweit. Abends sind wir in dieselben Diskotheken gegangen. Da kommt man sich zwangsläufig nä-her.wolle xdp Ich weiß noch, wie wir auf dem Alex standen und ich »Buffalo Gals« von Malcom McLaren auf meinem Ghetto-blaster gespielt habe und Johnnie gemeint hat: »Wie kommt ihr Popperschweine denn jetzt dazu, so eine Musik zu hören?« Irgendwann haben wir uns dann angefreundet.arne grahm Wolle habe ich im Alex-Treff kennengelernt. Wir standen auf Kraftwerk und Afrika Bambaataa.wolle xdp Je elektronischer die Musik war, desto besser fand ich sie. Rap fand ich ganz lustig, aber Electro-Funk viel toller. Dancebeats mit den Sounds von Jean Michel Jarre und Tange-rine Dream. Als Breaker war das das Beste.zappa Johnnie und ich sind im FDJ-Schulungslager am Wann-see richtig Freunde geworden. Da war ich der Lagerdiskothe-ker, und er hat so eine Art Breakdance-Kurs gegeben.wolle xdp Breakdance war eine kleine Revolution im Osten. Das kam fast gleichzeitig wie im Westen. Es gab angeblich ein paar Leute, die sich bei Honecker dafür stark gemacht haben, dass Beat Street von Harry Belafonte im Kino laufen konnte.

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Der Film spielt eine ganz entscheidende Rolle. Man hat Break-dance als antiimperialistische Revolutionskultur verkauft. Es gab 1984 im Frühjahr die erste inoffizielle DDR-Breakdance-Meisterschaft. Ich hab den dritten Platz gemacht.dj jaUChe Beat Street lief im Osten überall. Nachdem ich den Film zum ersten Mal gesehen hatte, wusste ich sofort, dass ich DJ werden will. Ich war auch Breaker, aber nie Teil einer Crew. Ich habe einfach mit ein paar Freunden getanzt. Zu Hause ha-ben wir den Teppich im Wohnzimmer weggeräumt und losge-legt. Wolle kannte ich vom Sehen. So ziemlich alle Breaker ha-ben auf dem Alexanderplatz abgehangen. Da musste man dann zeigen, was man draufhat. Im Vergleich zu den Punks wurden Breaker eher in Ruhe gelassen. Wir sahen ja auch aus wie Pop-per.wolle xdp Breakdance war so ein Ding, in den DDR-Gegeben-heiten eine Nische zu finden. Wir haben in der Disko getanzt und auf der Straße, das war schon so ein bisschen Subkultur. Dazu lief die Musik, die ich mochte. Ich mochte diese Welt raum-ästhetik. Das war eine Weltraum-Zukunft-Science-Fiction-Welt. Für mich war der Ausgangspunkt eine Reportage, die ich über die Flughafendisko in Frankfurt gesehen habe. Wie diese Popper – die Typen mit Stehkragen-Hemd, die Mädels mit Popperlocken – zu Kraftwerk so einen Robot-Dance gemacht haben. Das sah so super aus. Dann hab ich angefangen, das vor dem Spiegel zu üben. Als in einer Disko mal Electro-Funk kam, hab ich das vorgemacht – krebsrot und ziemlich hampe-lig.thomas elias Ich war in der Automatic Crew. Wolle war prak-tisch unser Breakdance-Feind. Wir haben öfters mal gebattelt auf dem Alex. Wolle war schon gut. Der konnte sich krass komisch bewegen. Aber nur oben, weil der so schlaksig ist. Ich war am Boden besser. Das konnte Wolle gar nicht.dieta berliner Wenn bei uns zu Hause mal wieder die Teppiche

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vom Moonwalk-Üben durchgewetzt waren, hat meine Mutter geschimpft. Aber Übung musste sein. Jeden Tag. Einmal hatten wir sogar einen Auftritt bei einer NVA-Gala, irgendwo in der Wallachei. Wir wurden richtig angesagt: »Und jetzt die Auto-matic-Crew aus Berlin.« Dann ging’s los.arne grahm Ich habe nicht wirklich getanzt. Ich habe nur imi-tiert und versucht, mit so angedeuteten Moves in der Nähe stehende Mädchen zu beeindrucken. Ich war eher dafür ver-antwortlich, dass das ganze Geld, das beim Breakdancen rein-kam, bei Wolle beziehungsweise bei uns ankam. Wir liefen da mit Nunchakus aus Besenstielen rum und wurden aufgrund unserer Babyfaces chronisch unterschätzt.thomas elias Auf dem Alex durfte man eigentlich nicht brea-ken. Das war nicht gern gesehen. Die Polizei konnte ein Auge zudrücken, aber in den meisten Fällen haben sie was gesagt. Wenn man Pech hatte, haben die einem den Kassettenrekorder eingezogen. Den musste man am nächsten Tag in der Keibel-straße mit Bitten und Betteln wieder abholen.arne grahm Wenn wir auf dem Alexanderplatz getanzt haben, waren da ratzfatz hundert Leute. Wir haben damit gespielt, dass das Ganze überwacht wurde. Die Stasi-IMs und die Zivil-bullen hat man immer an ihren Frisuren und Handgelenkta-schen erkannt, wie sie da ganz unauffällig rumstanden. Lustig wurde es, wenn wir Gewalt simuliert haben. Mit Diplomaten-kindern haben wir Prügeleien inszeniert. Da kamen die Zivis wie die Ratten aus ihren Löchern und haben versucht uns ein-zufangen, und wenn sie uns gestellt hatten, zeigten unsere Freunde ihre roten Diplomatenausweise und drohten den Zi-vilbeamten damit, in Zukunft den Verkehr regeln zu müssen. Deren Ratlosigkeit klang dann in meist stark sächselndem Be-amtendeutsch so: »Wir haben ein Problem, es gibt hier leider geenen Keschädischten!«dj jaUChe Leute, die in der DDR Breakdance getanzt und Hip-

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Hop gehört haben, waren keine Ost-Pocken. Denen ging es nicht darum, besonders systemtreu zu sein. Man konnte tan-zen, und um einen herum wussten die Leute nicht, wie sie dar-auf reagieren sollten. Die Polizei zum Beispiel. Die fanden das nicht gut und haben das beobachtet. Aber was sollten sie ma-chen. Wir haben ja nur getanzt. Auch wenn die gespürt haben, dass wir mit unserem Tanzen ausdrücken, dass wir etwas an-deres wollen als das, was es in der DDR gibt. Die Diplomaten-kinder haben für frische Musik gesorgt. Und manchmal haben sie auch einen Ghettoblaster mitgebracht.thomas elias Wir wurden oft im SEZ an der damaligen Dimi-troffstraße in Friedrichshain engagiert. Für vierzig Ostmark pro Auftritt. Einmal haben wir stolze hundertzwanzig Mark bekommen – das Monatsgehalt eines Lehrlings. Für fünf Minu-ten tanzen. Wir hatten sogar eine Managerin und waren DDR-weit unterwegs.dieta berliner Wir waren sogar mal in einer Ausgabe von »Dei-ne Gesundheit« − das war so was wie »Fit For Fun«. Mit Bild. Wir hatten so BMX-Caps aufgehabt, die wurden dann wegre-tuschiert.wolle xdp Meistens lief das mit den Auftritten über die Disko-theker. Der, mit dem ich unterwegs war, hieß Peter Niedziella. Ein Rundfunkmoderator, der auch oft bei Betriebsfesten ge-bucht wurde. Der hatte durch seinen Job bei der Stimme der DDR einen bekannten Namen. Seine Sendung »Die Musikali-sche Luftfracht« war eine der wenigen, wo West-Musik lief. Der hat die Stücke auch immer ausgespielt, so dass andere Dis-kotheker mitschneiden konnten. Und er hat uns öfter mitge-nommen. Keine Ahnung, wie der das mit der Abrechnung ge-macht hat. Nach der Verordnung der Volkskunstschaffenden hätten wir 2,50 bekommen dürfen. Wir hatten ja keine Einstu-fung, keine Pappe. Der hat das einfach so gemacht. Selbst im SEZ, das eine Ministerratseinrichtung war, hab ich vierzig Mark bekommen.

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arne grahm Punk und diese Popper- und Breakdance-Nummer gingen immer Hand in Hand. Die subkulturellen Szenen waren in der DDR nicht so getrennt. spezial Ich war Punk der ersten Stunde. Das war im Osten ja realer als im Westen. Nach Punk war es eine normale Entwick-lungsstufe, Skin zu werden. Als Punk sind im Osten viele in den Knast oder wurden zur Armee geschickt. So haben die ver-sucht, den Kern der Szene zu zersplittern. Mit achtzehn haben die mich auch gleich geholt. Als ich wiederkam, waren viele meiner Kollegen schon Skins. Das war auch keine politische Sache. Die Frage hat sich gar nicht gestellt. Es ging nur darum, bist du Skin oder Punk?arne grahm Ich hatte damals Feinripp-Netzhemden mit schräg runterhängendem goldenem Gürtel und spitzen Schuhen an. Manchmal auch Rüschenhemden. Und dazu so ein New-Ro-mantic-Krähennest auf dem Kopf. Meine Eltern dachten, ich sei schwul.wolle xdp Wir haben uns Klamotten selber gebastelt. Natür-lich wollten wir aussehen wie Wessis. Das war für jeden Ossi ganz wichtig.arne grahm Mit meinem Outfit bin ich sowohl breaken gegan-gen als auch auf Punk-Konzerte oder zu Fußballspielen vom BFC. Als Hooligan. Dabei sahen wir aus wie schwule Popper. Ich hatte rote italienische Lederschuhe, das waren, glaube ich, sogar Damenschuhe, aber so genau konnte man das nicht iden-tifizieren. Dazu eine rosa Bundfaltenhose, Ringelshirts und ei-ne riesige Popperlocke. Wir hatten auch oft Transparente da-bei. Da stand zum Beispiel drauf: »Sachsen, zeigt euren Lulli-mann!« Die haben wir im Stadion geschwenkt und dazu ganz tuckig getanzt. Die Leute sind fast ausgeflippt. Und nach dem Spiel haben sie noch von uns auf die Fresse bekommen. Dabei handelte es sich fast immer um einvernehmliche Gewalt.spezial Als Hools haben wir vor allem provoziert. Und womit


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