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Der Killersatellit

Date post: 03-Jan-2017
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Expose-Redaktion: H.G. Ewers Band 58 der Fernseh-Serie Raumpatrouille

HANS KNEIFEL

Der Killersatellit Die ORION-Crew führte gemeinsam mit anderen Freiwilligen im gefähr-lichsten Gebiet des Bermuda-Dreiecks einen Risikoeinsatz durch. Mit Hilfe von drei Tauchbooten sollte herausgefunden werden, was die neue gefährliche Aktivität unheimlicher Kräfte verursacht. Der Risikoeinsatz wurde ein Fehlschlag und führte zum Verlust eines Tauchbootes und seiner Besatzung. In anderer Hinsicht erbrachte er aller-dings einen Erfolg, der zur Entdeckung einer neuen Spur führte. Bei der geheimnisvollen Festung der fünf Türme auf dem Saturnmond Titan wurden die gleichen negativen gravitatorischen Impulse angemessen wie bei den Tauchbooten im Bermuda-Dreieck. Es scheint, als gäbe es unsichtbar im Hintergrund eine Macht, die die Fäden des kosmischen Geschehens webt und miteinander verknüpft, denn es waren die Raumfahrer der ORION, die während ihrer Gefangen-schaft in der Mentorkugel über dem Saturn mit geliehenen geistigen Superkräften die Festung auf dem Titan entstehen ließen und damit vielleicht den Schlüssel zu den Geheimnissen schufen, die sich im Son-nensystem zusammengeballt haben. Als sich in einem der bislang unzu-gänglichen Türme eine Öffnung bildete, ging die ORION-Crew hindurch. Sie geriet in eine Zeitspirale und fand sich in einer Vergangenheit wieder, in der das Kosmische Inferno einem Höhepunkt zustrebte. Die Raumfah-rer schraken vor dieser Vergangenheit zurück, aber sie hatten eine Be-gegnung, die ihnen klarmachte, daß während des Kosmischen Infernos Zeitingenieure des Varunja am Werk waren. Und sie ahnten, daß die Manipulationen der Zeit zu Paradoxa führten, die sich verhängnisvoll für die Zukunft auswirken können. Mit diesen Erkenntnissen und Ahnungen kehren sie zur Erde zurück — und bald müssen sie einem neuen Rätsel auf den Grund gehen, denn über Laguna steht DER KILLERSATELLIT ...

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1. Wenn Werbeagenturen, ausgestattet mit

einem hohen Etat, Filmaufnahmen von einem Ferienplaneten zu machen hatten, flogen sie mit Modellen, Ausrüstung und gecharterten Schiffen nach Laguna. Dort gab es Strände aller Größen und aller Art. Sie bildeten eine fabelhafte Kulisse für Bademoden, Schwimmartikel, Boote und Unterwasserutensilien. Außerordentlich gern wurden auch die falschen Kanäle der Hauptstadt New Venice als Hinter-grund benutzt. Der erdgroße Planet, auf dem es keine einzige größere zusam-menhängende Landmasse gab, sah auf allen Photos, Filmen und Prospekten aus, als sei er ein Paradies mit 1,2 g. Aber La-guna war kein Paradies.

Der einzige Planet der Sonne Achird oder Eta Cassiopeia besaß eine gut atembare, aber dichtere Atmosphäre, als die Menschen sie von der Erde oder vielen anderen Kolonien gewöhnt waren. Die Bahn Lagunas um Achird und dessen rot leuchtenden Begleiter dauerte drei Erdenjahre und zweihundertneunzehn Tage.

Drei Millionen Kolonialterraner - sie selbst bezeichneten sich als Lagunaer - lebten auf den zahllosen Inseln. Eine einzige Wasserfläche bedeckte den gesamten Planeten; ein meist flaches Meer, durchbrochen von Archipelen, deren einzelne Inseln Gruppen bildeten, willkür-liche Formationen in dem Blau des Was-sers.

Die meisten der drei Millionen Einwoh-ner Lagunas wohnten allerdings nicht verstreut auf den Inseln, sondern konzen-trierten sich in den „schwimmenden Städten". Auch diese Bezeichnung war ebenso falsch wie die charakteristische Anlage von New Venice und der Ein-druck, Laguna sei eine sonnendurchflutete Landschaft voller glücklicher Urlauber.

Das Leben auf Laguna war arbeitsreich, aber nicht schlecht. Das Klima war im

langen Sommer feucht und heiß und belastete den Organismus un-mäßig, und im nur etwas kürzeren Winter, wenn die

Meeresoberflächen klirrend gefroren waren, herrschte kaltes und trockenes Klima.

Der Hauptstern des Doppelsonnen- Systems strahlte gelbweiß wie die irdische Sonne, aber Achird Alpha war

ebenso wie der Begleiter Beta ein Zwerg-stern. Jedoch leuchtete er heißer und heller als die Sonne der Erde. Die stark ellipti-sche Bahn, die Laguna inmitten von Milliarden kosmischer Trümmer aller denkbaren Größen und Umlaufbahnen durch das Zweisonnensystem beschrieb, war der eigentliche Grund für den starken Gegensatz der beiden Jahreszeiten.

Die Hauptpersonen des Romans:

Adter Kink — Bürgermeister von NewVenice.

Cliff McLane — Der Commander derORION im Psycho-Duell.

Hasso, Arlene, Helga, Mario und Atan— Crew der ORION.

Mukdim-Khan — Ein machtlüsternerRaumadmiral.

Tatjana Veever, Lojos Minvari undHarold McKinney — Vertreter terre-strischer Kolonien.

Jedenfalls führten die Lagunaer ein friedliches Leben voller Arbeit, in recht ausdrucksvollem Reichtum und in der unerschlossenen Weite ihres Wasserplane-ten.

Kink war der Erste Bürgermeister von New Venice, der Hauptstadt und dem Sitz der Planetenregierung. Er stand am Geländer der weit vorspringenden Terrasse

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des Rathauses, das ebenfalls eine Kon-struktion dieser Kolonie war; halb schwimmend, halb verankert. Am Hori-zont erschienen die angekündigten Contai-nerboote voller Mineralien.

„Endlich", sagte Kink leise zu sich selbst. „Das Zeug war schon lange fällig."

Natürlich war auch das Leben der rund hundertfünfzigtausend Stadtbewohner weitestgehend vom Wasser beeinflußt, wenn nicht abhängig. Sämtliche Sorten von delikatem Fisch und die Basisalgen stammten aus den verschiedenen Tiefen-zonen des Meeres. Aber dieses „Zeug", das Kink eben erwähnt hatte, war wich-tiger: seltene Mineralien, wertvoll und schwierig zu fördern, auf den meisten anderen Planeten entweder nicht vorhan-den oder nur noch in erschöpften, ausge-laugten Lagern zu finden, wurden auf Laguna abgebaut. Dank dieser Mineralien, die als Vorfabrikate in alle Richtungen der Raumkugel gingen, war Laguna autark.

Als Kink den Arm hob, um seine Augen vor dem Licht zu schützen, fiel kurz ein Schatten über das Gebäude und einen Teil der Stadt auf Pfeilern und Schwimmkör-pern. Es war, als flöge ein Raumschiff vor der Vormittagssonne vorbei.

Kink vermißte den Unterschallknall oder entsprechende Fluggeräusche - aber dieser Umstand fiel ihm erst ein, als alles zu spät war. Er zuckte die Schultern; kein Wölk-chen am strahlend blauen Himmel. Die Kette der selbstfahrenden Container wurde größer und deutlicher sichtbar. Lagunas Wirtschaft hatte für den Abbau aller wertvollen Bodenschätze eine eigene, hervorragende Technologie entwickelt.

Hinter ihm rief jemand: „He, Kink! Der Raumhafen will dich

sprechen!" „Ich komme", sagte er, warf einen

letzten Blick auf „seine" Stadt und ging zurück in den Schatten des Vordachs und von dort in das gekühlte, große Arbeits-zimmer.

Rund zehntausend Gebäude aller Grö-ßenordnungen - allerdings nur zwei, drei Bauwerke, die höher als zehn Stockwerke waren - gliederten sich um Venice Land, die kaum mehr sichtbare Insel. Sie diente praktisch nur der Verankerung der Gebäude. Alles andere ruhte auf dem Meeresboden, die Außenteile der Stadt waren freischwimmend ausgebildet. Der Raumhafen befand sich auf der Nachbar-insel mit dem reichlich übertriebenen Namen „Der Kontinent". Auf dem Bildschirm erkannte Kink das Gesicht von Dee Cerbis.

„Hallo“, sagte Kink überrascht. „Ein seltenes Bild auf meinem Schirm. Was verschafft uns das Vergnügen?"

Dee war die Leiterin der Raumlot-senabteilung.

„Erstens: die Kommandanten der La-stenschiffe fangen an, zu meutern. Sie sagen mit Recht, daß jeder Tag Warten sie eine Menge Geld kostet. Sie wollen von dir wissen, wann sie endlich die verspro-chene Ladung löschen können."

Kink nickte und grinste. Das Problem war alt. Es gab immer wieder Bedarfsspit-zen, und die Lagunaer hatten es noch immer nicht geschafft, größere Lager zu bauen und, was wichtiger gewesen wäre, sie auch mit Vorräten zu füllen.

„Hast du eine offene Schaltung zum Industriehafen, Dee?"

Dee war eine gutaussehende, voll-schlanke Frau. Kink schwärmte für sie, aber sie schien in ihm mehr den Bürger-meister als den Mann zu sehen. Jedenfalls verkehrte sie mit ihm in kühler Sachlich-keit.

„Ja, natürlich. Hat Ledyne etwas Neu-es?"

„Die Container sind eben aufgetaucht. Sie fahren in den Hafen und können in etwa zwei Stunden entladen werden."

„Das ist gut. Damit erledigen wir eine Reihe von Problemen sehr schnell."

Jenseits des Bildschirms glänzte die

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Platte des Schreibtisches. Rechts, fast als letzte Silhouette vor dem scheinbar endlosen Horizont, befand sich der konische Turm der Hafenverwaltung, gekrönt von der schalenförmigen Hyperan-tenne, deren zentraler Stab sich silbern in den Himmel reckte. Der Bürgermeister hatte nicht die geringste Scheu, Dee zu fragen:

„Ledyne, Astronan und ich fahren heute mit der STAR KING nach Pantaleo Eiland. Picknick und etwas fischen. Ich möchte dich einladen. Kommst du mit?"

„Einladungen während der Dienststun-den, Bürgermeister?"

„Ja. Aber der Ausflug findet außerhalb der Arbeitsstunden statt. Wir halten unsere Besprechungen oft auf dem Boot ab."

Sie nickte kurz und antwortete: „In Ordnung. Vom Meer aus ist der Pulk

in diesen Nächten besonders gut zu sehen."

Kink lachte sarkastisch auf. „Auch ein Grund, meiner Einladung zu

folgen. Ich ..." Er brach ab. Als er aufsprang, kippte der

schwere Sessel um und schlug dröhnend zu Boden. Aus dem wolkenlosen Firma-ment zuckte ein Bündel aus weißglühen-den Strahlen herunter. Zitternd vor Schreck und nicht fähig, zu erfassen, was seine Augen sahen, deutete Kink auf den Turm der Hafenverwaltung.

Der erste Strahl schlug in die Hy-perfunkantenne ein, schnitt schräg durch einen Teil der Turmspitze und schleuderte sie brennend zur Seite. Der nächste Strahl traf mehrere Hallen und zerstörte sie, glitt weiter und erzeugte im Wasser eine riesige Dampfwolke, die sich explosionsartig ausbreitete. Sie verhüllte die Wirkung der nächsten Angriffsstrahlen vollkommen. Dann ließ der Donner zahlreicher Explo-sionen die Scheiben vibrieren. Erst fünf Sekunden nach seinem ersten Blick fand Kink die Sprache wieder und brüllte auf:

„Ein Angriff! Irgendein Raumschiff.

Diese Verbrecher . . . sie schießen unsere Stadt zusammen."

Er sprang zurück zum Schreibtisch und drehte einen Schlüssel. In seiner Amtspe-riode, die nun schon drei der langen Jahre dauerte, hatte er diesen Schlüssel erst einmal benutzen müssen. Ein Fach klappte auf, ein Knopf und ein wuchtiger Einhand-funkapparat wurden sichtbar. Kink griff nach dem Gerät und drückte den Knopf.

In jedem wichtigen Raum, jedem größe-ren Schiff und allen Magazinen, Werkshal-len, Verwaltungseinheiten und ähnlichen Einrichtungen schalteten sich die Laut-sprecher ein. Alarm! Mit tonloser Stimme begann Kink zu sprechen.

„Hier spricht Adter Kink, Bürgermeister. Soeben hat ein Angreifer aus dem Welt-raum die Stadt New Venice und ihre Umgebung mit einer unbekannten Art von Strahlen beschossen. Alarmplan Eins und Zwei treten sofort in Wirkung. Wir melden uns wieder, wenn wir mehr wissen."

In seinem Büro, angefüllt mit elek-tronischen Karteien und den Terminals des städtischen Verwaltungskomputers, gab es nur sechs Frauen und Männer, die mit dem Bürgermeister arbeiteten. Mehr brauchte die Stadt nicht. Jetzt brach für wenige Sekunden die Panik aus, aber Kink hob beide Arme und schrie:

„Ruhe!" Aus dem Lautsprecher des Kom-

munikationsgeräts kam aufgeregt die helle, scharfe Stimme Dees:

„Bürgermeister! Ich rufe dich, wenn ich weiß, was vorgefallen ist. Meine Leute sitzen schon an den Schirmen und den Zieloptiken der Abwehrraketen."

„Verstanden. Paß auf dich auf, Mäd-chen."

„Wie immer!" Kink, ein Mann von fünfundvierzig

Jahren, fuhr herum und sah in die schrek-kensstarren Gesichter seiner Mitarbeiter.

„Ein solcher Angriff aus dem Raum konzentriert sich laut Kriegsberichten

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früherer Zeiten nicht auf eine einzige Stadt. Schaltet sofort die Radiokommuni-kation ein und die Verbindungen zwischen den Siedlungen. Und, ab jetzt wird alles dokumentiert. Ich habe nicht die geringste Ahnung ... wir müssen die Erde alarmie-ren. Es sind Wahnsinnige, die uns angrei-fen."

Er legte an seinem Schreibtisch einen weiteren Hebel um. Jetzt speicherte der Verwaltungskomputer auf die gleiche Weise, wie er die Sitzungen oder Wahlen aufnahm und berechnete, sämtliche Informationen aus gut zwei Dutzend ver-schiedener Geräte.

Zandra, seine Sekretärin, rannte hinaus auf die Terasse, sah sich fassungslos um und deutete dann in die Richtung der dünner werdenden Dampfwolke.

„Kink! Sie haben den Park getroffen und die Seemannsschule. Alles vernichtet!"

Als Kink aus dem Raum rannte, hörte er hinter sich einen Lautsprecher.

„Alarm in Aqua Thule! Thule wird angegriffen. Der Antennenturm ist vernichtet, das Ionisierwerk steht in Flammen. Mehrere Todesopfer auf dem auslaufenden Schürfschiff. Die Seezei-chenfabrik ist halb zerstört. Alarm für die Lagunaer in Aqua Thule...!"

Jetzt erinnerte sich Adter Kink an die blitzhafte Wahrnehmung jenes kurzen Schattens vor der Sonne. Etwas schien über dem Planeten aufgetaucht zu sein. Wenn es einen solchen Schatten hatte werfen können, mußte es sehr groß sein. Er packte Zandras Arm und zog sie mit sich zurück in das Büro.

„Hier sind wir ein bißchen sicherer. Macht die Schutzräume klar. Wir beide müssen wohl hierbleiben und versuchen, herauszubekommen, was..."

Wieder wurde er unterbrochen. Dee erschien auf dem Schirm. Ihr Ge-

sicht ließ erkennen, daß sie einen Teil der gräßlichen Wahrheit wußte. Sie sagte etwas leiser, aber erstaunlich gefaßt:

„Das ist eine offizielle Meldung des Observatoriums. Rundspruch an alle Stadtoberhäupter und an den Fernsehfunk Lagunas.

Ein riesiges Objekt ist über dieser Hemi-sphäre des Planeten aufgetaucht. Nach unseren protokollarischen Messungen kam es buchstäblich aus dem Nichts. Es gab keinerlei anmeßbare Energieemissionen. Also nachweislich kein Schiff, das aus dem Hyperraum kam. Wir haben die Muster von rund hundert einzelnen Strahlen auf den Filmen."

Eine andere Stadt meldete sich, ein anderer Bürgermeister schrie aufgeregt:

„Der erste Angriff richtete sich auf die Hyperfunkantenne. Man will uns von der Erde abschneiden . .."

„Richtig. Stimmt. Bei uns in Venice war es genauso!" schrie Kink ins Mikrophon.

Dee sprach weiter. „Erste Meldungen liegen vor. Die An-

griffe erfolgten bis auf eine Ausnahme wahllos. Die Ausnahme: jeder erste Treffer in einer Siedlung vernichtete die Hyperfunkanlage. Es ist als sicher anzu-nehmen, daß der unbekannte Angreifer aus dem riesigen Satelliten tatsächlich eine Verständigung mit der Erde verhindern ...", sie unterbrach sich, bekam von rechts eine Meldung ins Bild gereicht, las sie und rief voller Angst:

„Es geht weiter! Achtung, an alle Sied-lungen, die noch nicht angegriffen wurden. Der Satellit geht in einen Orbit, der ihn binnen kurzer Zeit über sämtliche bewohn-te Gebiete bringt. Funkt die Erde an! Gleich werden die Hyperfunkantennen zerstört werden. Die Funker sollen sich in Sicherheit bringen."

Eine harte, männliche Stimme plärrte aus einem anderen Lautsprecher:

„Zielt gut, Jungens! Zeigt es ihm! Schießt diesen Satelliten in Fetzen!"

„Soeben wurden die Raketensilos geöff-net. Der Planetare Rat hat angeordnet, die Raketen gegen den unbekannten Aggres-

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sor einzusetzen!" Wieder aus anderen Lautsprechern kam

das Geräusch startender Raketen. Kink machte eine wegwerfende Bewegung und zog seine Mundwinkel nach unten, als seine Blicke die von Dee trafen, die ver-suchte, ihre Meldungen zu sortieren.

„Die Raketen sind veraltet. Wir haben keine Chance!"

„Vermutlich", erwiderte Dee. „Eine neue Schreckensmeldung. Tiere, Pflanzen und Menschen werden durch Gewebeex-plosionen getötet. Die Zellen detonieren, weil die Flüssigkeit in ihnen sich in hochgespannten Dampf verwandelt. Meldung stammt aus dem Hospital der Seemannsschule und gilt als korrekt."

Dann vereinigten sich Meldungen aus dem gesamten Bereich des Planeten zu einem breiten Informationsstrom. Im Verlauf von nur hundertzwanzig Minuten wurden die schlimmsten Befürchtungen zur Gewißheit. Menschen starben, mate-rielle Werte gingen in Flammen auf, die Todesstrahlen hielten grausige Ernte - und zwar vollkommen wahllos. Aber überall schlug der erste Blitz in die Hyperfunkan-tenne ein.

Tausende von Abwehrraketen starteten unter ohrenbetäubendem Heulen. Sie kamen aus unterirdischen Silos, tauchten aus dem Meer auf und rasten in die Richtung des Killersatelliten. Einige Dutzende näherten sich ihm auf bedrohli-che Entfernungen und wurden von einem Hagel schneller Strahlen vorzeitig zur Detonation gebracht.

Dann schien der Killersatellit einen Abwehrschirm aufzubauen, der die Schwärme der Abwehrraketen in alle Richtungen zerstreute, neunzig Prozent von ihnen jedoch in den Raum hinausjag-te.

„Jetzt ist der Planet wehrlos!" stellte Kink fest. Seine Aufregung war der Ruhe der Resignation gewichen. Der Mörder, der diesen Satelliten steuerte, hatte die

Verbindung zur Erde oder zu anderen Planeten abgeschnitten. Mindestens zweihundert Raumschiffe, meist Frachter, waren auf Laguna festgehalten. In Kürze würde der Pirat seine Forderungen stellen. Dies war das nächste Glied der logischen Entwicklung.

Zandra reichte dem Bürgermeister einen Pappbecher mit lauwarmem Kaffeederivat.

„Es ist wie Krieg. Alle Macht ist bei diesem Satelliten", sagte sie furchtsam.

„Das ist nur teilweise richtig. Es gibt immer Mittel und Wege, eine Botschaft abzusenden. Irgendwie und irgendwann wird es einem von uns gelingen."

„Hoffst du ernsthaft darauf, Kink?" „Ja. Schon allein deswegen, weil New

Venice eine Art Zentrum ist. Hier spielt sich das meiste ab. Und hier wird auch der Pirat im Killersatelliten irgendwie sein Lager aufschlagen. Ich kann mir nur noch immer nicht denken, was er will. Wir sind keine reiche Welt, wir haben keinen Einfluß, wir sind denkbar ungeeignete Opfer."

„Angst kann aus Opfern willfährige Helfer machen."

„Möglich. Aber auch todesmutige Partisanen. Wir haben keine andere Möglichkeit, als die Entwicklung ab-zuwarten."

Der Strom der Panikmeldungen und die Bestandsaufnahme von ersten und schweren Schäden wurde dünner. Jetzt versuchten alle denkbaren Einzelpersonen und Institutionen, irgendeine Form der Erklärung zu finden. Der Satellit nahm ih-nen mitten in dieser Phase jede Arbeit ab und ließ sämtliche Spekulationen sinnlos werden:

Eine TV-Ausstrahlung, die gleichzeitig planetenweit stattfand und sämtliche anderen Berichte und Nachrichten überblendete, zeigte Filme. Es schienen von Computern hergestellte „pädagogi-sche" Anweisungen zu sein, die durch Anwendung von spezifischen Momenten

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wie Interesseweckung, Vortrag in kleinen, begreifbaren Schritten, Wiederholung und Vertiefung durch angewandte Beispiele ausdrückten, was der Insasse - oder die Gruppe, die unerkannt bleiben wollte! - von Laguna wollte.

Nachdem die Programme, vielfach variiert, vierundzwanzig Stunden lang unablässig auf den Bildschirmen zu sehen gewesen waren, hatten auch sechsjährige Kinder den Befehl des Killersatelliten voll verstanden.

Die technische Entwicklung auf Laguna mußte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln weiter vorangetrieben werden. Man sollte die Ausbesserungswerke vergrößern, um Raumschiffe bauen zu können. Dann mußte man diese Raum-schiffe in schwer gepanzerte und bewaff-nete ( die Baupläne würden in diesen Fällen aus dem Satelliten geliefert werden ) Einheiten verwandeln. Was am meisten verblüffte, war der Umstand, daß der Satellit nicht hypnotisierte oder auf andere kaum angreifbare Weise beeinflußte, sondern „nur" mit Vernichtung, Zerstö-rung und Tod drohte.

„Was wird geschehen, Dee?" fragte Stunden später der Bürgermeister. Sie sprachen miteinander über die normale Bildfunkleitung.

„Wenn du Millionen Menschen dazu bringst, sich umbringen zu lassen, wird jede Forderung des Satelliten automatisch gegenstandslos. Aber die Angst vor dem Tod wird uns bis zu einem bestimmten Punkt sehr kooperativ werden lassen."

Wahrscheinlich hatte diese unfaßbare, noch immer nicht ganz begreifbare Katastrophe Dee irgendwie geändert. Sie unterhielt sich mit Adter Kink ganz normal, als wären sie alte Freunde.

„Und es gibt keine Möglichkeit, die Erde um Hilfe zu bitten?"

„Nicht mehr. Keiner der Frachter-kapitäne traut sich zu starten. Selbst wenn sie auf der dem Satelliten abgewandten

Seite starten, bewies mir ein Kapitän, würden sie erkannt und vernichtet, ehe sie in den Hyperraum springen können. Bitter für uns alle, Kink!"

„Du hast wohl leider recht", antwortete er niedergeschlagen. Sie konnten nicht wissen, daß Sparks Chubwan seine große Stunde herankommen sah. Noch war er nicht fertig ...

2. Keiner der Anwesenden zweifelte daran,

daß Mario de Monti es ernst meinte. Mitten in die erklärenden Grafiken und die Schriftsätze hinein, die auf den Kommuni-kationsschirmen von TECOM abliefen, sagte er laut und deutlich:

„In letzter Konsequenz ist vor jedem Experiment mit der Zeit zu warnen. Immer wieder hat sich gezeigt, daß in solchen Versuchen der Keim zu gewaltigen Problemen liegt. Vielleicht könnten wir die Auswirkungen mit unserer Technik steuern, auf keinen Fall jedoch geistig verarbeiten."

Leandra de Ruyter nickte zustimmend. Da TECOMs Mikrophone noch immer eingeschaltet waren, ging das Rechenzen-trum augenblicklich auf diesen Einwand ein. Im Text korrigierten sich wie von Gei-sterhand die letzten Sätze. Die künstliche Stimme des gigantischen Computers schaltete sich ein.

„Mario de Monti hat vollkommen recht. Die Versuche, die Zeit oder die Vergan-genheit zu manipulieren, können sehr schnell und ungewollt zu einem Zeitpara-doxon führen. Viele Paradoxa aber führen mit mathematischer Sicherheit zu einer Labilität des Raum-Zeit-Gefüges. Dadurch ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung gefährdet. Nicht einmal ich kann mir vorstellen, was geschieht, wenn Wir-kung zur Ursache wird. Chaos ist noch die mildeste Umschreibung hierfür."

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„Vor einigen Tagen ist es jedenfalls noch einmal gutgegangen", sagte Han Tsu-Gol und zog die Schultern hoch. „Der Tropfen Zeit des ORION-Titan-Abenteuers hat die Schale nicht überflie-ßen lassen."

„Indessen schmeckte der Trank recht bitter", fügte Cliff hinzu. „Außerdem pflegt es immer gutzugehen, wenn die ORION-Crew etwas mit Überlegung und Entschlossenheit angeht."

„Das ist richtig!" sagte begeistert Ere-threja, die Vorthanierin, und strahlte Mario an.

„Eines Tages werden Sie Ihren großen, klassischen Mißerfolg haben. Was dann?" erkundigte sich der GSD-Chef Katsuro sarkastisch.

„Dann", meinte Atan, „werden wir uns mit dem Balsam Ihrer Klugheit einreiben und uns in den Schutz des gütigen Han Tsu-Gol flüchten."

Die ORION-Crew, ihre unmittelbaren Vorgesetzten und einige Wissenschaftler der Regierung befanden sich seit einigen Stunden in einem Terminalraum von TECOM. Dieses Mal standen sie nicht in einem der zahllosen Räume auf dem Grund des Carpentariagolfes, sondern zwi-schen den getönten Scheiben eines riesigen Dachapartments, das sich über dem langgestreckten Regierungsgebäude in Strandnähe befand.

Nachdem sich das Gelächter gelegt hatte, erklärte die Computerstimme abermals:

„Dies war die erste mögliche Analyse. Ich muß warten, bis ich mehr Information über Sigbjörnsons Türme habe. Jedenfalls sollte die Menschheit jedem weiteren, von ihr beeinflußten ZEITEXPERIMENT aus dem Weg gehen. Es gibt niemanden, der mit diesen Folgen fertig werden kann.

Im Augenblick kann keine exaktere Analyse des Zeitabenteuers abgegeben werden. Ende und aus."

„Sind wir einer Meinung?" fragte Cliff.

„Ich hätte gern einige Sekunden Freizeit genommen. Eines Tages werden wir Ihnen eine Überstundenrechnung präsentieren, die mindestens zwei Prozent des irdischen Sozialprodukts ausmacht."

„Scherzbold", erwiderte Han Tsu-Gol. „Sie alle wissen ganz genau, daß eine solche Analyse nicht ohne Ihre Mitwir-kung vor sich gehen kann."

„Wir werden wieder wichtig, Com-mander!" lästerte Hasso. „Sind wir fertig? Ohne Ironie diesmal."

Katsuro und Han Tsu-Gol sahen sich unentschlossen an, dann nickten sie fast gleichzeitig und sagten:

„Kein Einwand. Wir brauchen nicht zu betonen, daß Sie sich bitte in Bereitschaft halten sollen. Was bedeutet, daß Sie keine interplanetarische Reisen unternehmen sollen bis zu einem möglichen neuen Einsatz. Wir danken Ihnen!"

Arlene schüttelte fassungslos den Kopf. „Gestern noch verurteilt, heute als

Objekt des Dankes. Das Leben ist hart, wie auch immer."

Sie verabschiedeten sich von Han und den anderen und marschierten langsam auf die Lichtflutbarriere zu.

*

Endlich schien Sparks Chubwan am Ziel

zu sein. Er betrachtete sein Werk mit Wohlgefal-

len und Todesangst. Auf einer großen Kunststoffplatte befanden sich die einzelnen Teile des Hyperfunksenders, verschraubt und miteinander verbunden durch Kabel verschiedenen Querschnitts, verschiedener Isolierung oder durch blanke Flachverbindungen aus Edelmetall. Viele Teile waren in Handarbeit herge-stellt, andere wieder waren von der Erde importiert worden, aber eine ganze Menge hatte Sparks aus Raumschiffen und de-fekten Altgeräten ausgebaut. Bisher hatte Sparks seine Konstruktion noch nicht

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testen können, aber mit dem begründeten Eigensinn des erfahrenen Bastlers wußte er, daß der Sender funktionieren würde.

„Der einzige Sender auf dem ganzen Planeten Laguna!" flüsterte er hingerissen.

Er nahm den kleinen Recorder, trennte dessen Verbindung zum noch nicht angelaufenen Sender und überlegte, wie er den Notruf an Terra formulieren sollte. Kurz mußte er sein, und alles sollte er aussagen.

„Planet Laguna an Terra", sagte er langsam und deutlich. „Ein Killersatellit hat uns angegriffen. Es gab viele Tote und viele Zerstörungen. Wir werden gezwun-gen, schwere Kampfraumschiffe herzustel-len. Alle Hypersender wurden zuerst vernichtet. Bitte, helft uns. Ich wiederhole: Das ist ein Notruf vom Planeten Laguna im System Eta Cassiopeia. Wir werden von einem Killersatelliten unbekannter Herkunft tödlich bedroht und gezwungen, ihm und seinen Forderungen zu gehor-chen."

Er ließ das Band zurücklaufen, hörte den Text kritisch ab und spulte abermals zurück. Dann nahm er seine Schaltungen und Einstellungen vor. Das Energienetz wurde angezapft, ein Transformer lief winselnd an, die provisorische Antenne reckte sich draußen auf der nächtlichen Terrasse in die Richtung des rund achtzehn Lichtjahre fernen gelben Sterns, in die Richtung der irdischen Sonne.

„Der Sender muß gleich mit voller Kraft arbeiten!" murmelte Sparks. Er war ein sommersprossiger Bursche mit breiten Schultern und kurzsichtigen Augen. Funktechnik in aller Art war sein Hobby, und natürlich war er von der Idee begei-stert, daß sein Sender vielleicht Laguna retten konnte.

Er wußte, daß der erste Angriff den Hyperfunksendern gegolten hatte.

Er wußte auch ganz genau, daß Se-kunden nach Anlaufen seines Senders der Killersatellit diese Anlage anpeilen und

zerstören würde. Aus diesem Grund die automatische Übermittlung seines Notrufs. Er hatte dann noch Zeit, sich zu retten.

Drei Sekunden brauchte der Sender, um sich zu erwärmen. Dann schaltete sich das Band ein, und der Notruf wurde abge-strahlt. Neunundzwanzig Sekunden lang dauerte der gesprochene Text. Wenn auch nur die Hälfte klar verständlich durchkam, konnte Laguna gerettet werden.

Noch einmal überprüfte er gewissenhaft sämtliche Verbindungen und besonders die Zeitschaltung. Dann zog er die mechani-sche Uhr auf und gab dreißig Sekunden Vorlauf. Er hatte einen einfachen Impuls ins Ende des Bandes geschaltet; wenn sämtliche Schaltungen funktionierten, würde von der Terrasse ein Glocke zu hören sein.

Sparks holte tief Luft, löste die Sperre und hörte die ersten tickenden Geräusche. Er rannte die Wendeltreppe hinunter, stolperte und prallte gegen die Wand. Aber er rannte weiter, während oben das Uhrwerk ablief. Die Furcht vor den Strahlen des Satelliten beschleunigte seine Schritte, als er über den Schwimmsteg auf sein Boot zulief. Er sprang direkt auf den Fahrersitz und startete die Doppelmaschi-ne. Der erste Versuch schlug fehl. Wieviel Sekunden waren jetzt schon abgelaufen?

Beim zweiten Startversuch heulten die Maschinen auf.

Sparks Wohnhaus, in Wirklichkeit der bewohnbare Oberstock eines Mi-neralienspeichers mit Aufberei-tungsanlage, befand sich direkt an den schwimmenden Kais aus Hohlkörpern, Plastik, Stahl und Gitterkonstruktionen.

Als er beide Fahrthebel nach vorn stieß, bäumte sich das Boot vorn auf und schoß los. Nach vier Metern wurde es hart gestoppt, weil Sparks vergessen hatte, die Achterspring zu lösen.

Das Tau straffte sich, dehnte sich und gab einen bösartig summenden Ton von sich. Alles geschah in rasender Eile. Dann

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siegte die Kraft der Maschinen und der rasend wirbelnden Schrauben. Das Tau riß eine Handbreit hinter dem Poller, ringelte sich wie eine Peitsche zusammen und knallte durch die Luft. Gleichzeitig machte das Boot einen Satz nach vorn und legte sich dann in eine Rechtskurve.

Das Seil traf Sparks mit der Wucht eines Knüppels in den Nacken, als er gerade den Halt verlor und in die Plicht zurückfiel. Er war nicht tot, sondern nur bewußtlos, als der Bug des Schiffes einen der röhrenför-migen Haltemasten der Hafenanlage rammte. Aber dann, nach elf Sekunden Sendezeit, hatte der Satellit den Sender ausgemacht.

Aus dem Orbit peitschte ein rötlich schimmernder Laserstrahl herunter, traf den Sender und zerschnitt den Wohnraum und die Terrasse.

Die schwere Konstruktion löste sich in einer Reihe von Explosionen aus den Befestigungen, während der Rest des Senders zusammen mit dem Wohnraum sich in brennendes Gas auflöste.

Die Trümmer stürzten auf das Boot, zermalmten Sparks Chubwan und rissen einige Löcher in den Bootsboden.

Mit rasenden Maschinen und einem Toten an Bord ging das Boot im Hafen unter, während irgend jemand die Sirene auslöste und Alarm gab.

Jetzt war auch der letzte Sender auf Laguna für immer stumm.

*

Vor dem Regierungsgebäude blieb

Arlene stehen und deutete auf den kleinen, aber starkmotorigen Robog.

„Cliff und ich wollen einige Klei-nigkeiten einkaufen. Kommt jemand mit nach Villa Point?"

„Nicht heute", erklärte Helga. „Ich werde schlafen, zuvor aber einige Musik-bänder hören und ein gutes Buch lesen."

Mario nahm Erethrejas Hand. „Gilt mehr

oder weniger auch für uns beide." Hinter Leandra de Ruyter, die eben die

breite Treppe des Eingangs herunterkam, rannten zwei Ordonnanzen aus der Tür und schrien aufgeregt:

„Oberst McLane! Der Oberbefehlshaber muß Sie und Ihre Crew dringend sprechen. Nicht wegfahren!"

Die Ordonnanzen hatten die Gruppe erreicht. Auch Leandra war ste-hengeblieben. Die Aktion schien be-deutungsvoll zu sein. Cliff wandte sich beunruhigt an die zwei Männer und erkundigte sich:

„Wissen Sie etwas? Warum werden wir zurückgerufen? Was ist passiert, und wissen Sie, wo?"

„Wir haben nur etwas von einem Hyper-funkspruch gehört. Sonst nichts. Aber Han Tsu-Gol und Katsuro sind sehr aufgeregt."

„Gehen wir", entschied der Commander. Kurze Zeit später passierten sie alle,

einschließlich der Admiralin, die Posten und die Lichtflutbarriere vor dem Regie-rungsbüro. Han kam ihnen entgegen und winkte.

„Kennen Sie Eta Cassiopeia und einen Planeten namens Laguna?"

„Flüchtig. Wir waren irgendwann bei den ersten Kolonisationsarbeiten dabei. Das ist nach meiner Erinnerung ein Planet voller Inseln und mit nur einem riesigen, flachen Meer. Etwa zwanzig Lichtjahre entfernt."

„Sie haben recht", stimmte Han Tsu-Gol dem Astrogator zu. „Das hier kam vor wenigen Minuten von der Hyperfunk-überwachung herein."

Er ging zurück zum Schreibtisch, drück-te einen Knopf, und die überspielte Aufnahme wurde abermals abgespielt. Störungen knisterten und rauschten. Es war Helga Legrelle und Cliff augenblick-lich klar, daß die Senderleistung verblüf-fend gering gewesen sein mußte und bis fast zur Unverständlichkeit verstärkt worden war.

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„Planet Laguna an Terra. Ein Kil-lersatellit hat uns angegriffen. Es gab viele Tote und viele Zerstörungen. Wir werden gezwungen, schwere .. ."

„Aus. Mehr haben wir nicht", sagte Katsuro. „Ein Killersatellit. Entweder ist es ein ausgesucht schlechter Scherz, oder aber wir haben eine neue, völlig unbekannte Gefahr vor uns. Oder hat schon jemand von Ihnen etwas von einem Killersatelliten gehört?"

„Nicht als Realität", meinte Cliff nach-denklich. „Kann ich die Aufnahme noch einmal hören? Und . .. ist TECOM noch eingeschaltet?"

„Arbeitsbereit!" sagte die Automa-tenstimme.

„Bitte sämtliche verfügbare Daten und die Kursangaben für die betreffenden Sonnen und den Planeten. Außerdem die damit zusammenhängenden Informationen über Laguna und die umliegenden Kolonien. Schnell."

„Verstanden. Auswertung in Arbeit." Tunaka Katsuro schwieg. Er machte den

Eindruck eines Mannes, der gern etwas sagen wollte, aber genau überlegte, um nicht ein falsches Wort oder ein Wort zuviel zu sagen. Er lehnte sich an den Schreibtisch und wartete, bis der unvoll-ständige Funkspruch ein zweites Mal und dann noch einmal abgelaufen war. Dann meldete er sich zu Wort.

„Der Galaktische Sicherheitsdienst ist darüber informiert, daß es in der Nähe von Laguna zu gären beginnt. Die Aureolaner aus dem Alderamin-System sind sozusa-gen die unmittelbaren Nachbarn von Lagu-na. Sie rüsten seit einiger Zeit mächtig auf. Noch intensiver ist ihre Hetze gegen die Erde und unsere Verwaltung."

„Aus welchem Grund?" fragte die Ad-miralin. Offensichtlich hielt der GSD seine Informationen wirklich geheim.

„Sie sind sicher, daß die Erde die Kolo-nialwelten ausbeutet und bevormundet. Zu fünfundsiebzig Prozent ein nicht gerecht-

fertigter Vorwurf. Es könnte mit allen Vorbehalten denkbar sein, daß die recht kriegerischen Aureolaner den Planeten besetzt haben, um uns zu einem Gegen-schlag zu provozieren."

„Den sie dann für ihre Argumentation den anderen Kolonien gegenüber entspre-chend aufbauschen könnten", warf Hasso nachdenklich ein.

„Dies könnte Krieg bedeuten. Oder zumindest eine Verhärtung der Lage."

Cliff stieß ein sarkastisches Lachen aus und erklärte voller Verwunderung:

„Diese Informationen hätten vielleicht auch etwas früher ans Licht der Sonne kommen können. Trotzdem bin ich sicher, daß die Leute von Aureola keinen Killersatelliten gebaut haben."

„Bekanntlich ist die Lage gespannt. Die Erdregierung hat die meisten Besatzungen ihrer Raumschiffe ausgetauscht. Früher, zu Orcunas Zeiten, waren es Kolonisten. Jetzt sind es Terraner, denn die Wirkung von Fluidum Pax ist abgeklungen. Insofern haben wir uns mit Stellungnahmen drastisch zurückgehalten, um das Problem nicht allzu laut werden zu lassen."

Han Tsu-Gol verteidigte seinen Kolle-gen vom GSD. Inzwischen hatte TECOM einige Listen ausgedruckt und eine Masse von Informationen zusammengetragen, die sich allesamt mit diesem Problemkreis be-faßten.

Cliff hob einen Bogen hoch und fragte: „Und was jetzt? Freizeit für die ORION-

Crew und eine Flotte nach Laguna?" „Dies wäre eine schlechte Idee", sagte

Han Tsu-Gol. „Selbst eine Herde der klügsten Elefanten verursacht, trampelt sie den Dschungel nieder, einen höllischen Lärm, der den Tiger verstört."

„Der Vorschlag mit der Flotte kam nicht von uns. Wir verwendeten ihn nur. Sie sind doch sonst so sehr gegen Aktionen einzelner, bestimmter Schiffe oder Besatzungen", erläuterte Arlene scheinhei-lig.

Page 13: Der Killersatellit

Auch die Admiralin mußte lachen. Schnell wurden sie alle wieder ernst. Der Regierungschef zuckte hilflos die Schul-tern.

„Wir können und wollen nichts anord-nen, Oberst McLane. Wir können Sie nur bitten. Ich weiß aus den alten Akten, daß Sie so gut wie niemals Urlaub machten. Aber es wäre tatsächlich das Riskanteste, eine Flotte dorthin zu schicken. Ein ein-zelnes Schiff mit ausgekochten Spe-zialisten ist sicherer und unauffälliger."

Atan schnappte: „Die ORION natürlich, wie?" „Es lebt sich völlig ungeniert, ist der Ruf

erst einmal ruiniert", reimte Katsuro unbeholfen.

Han Tsu-Gol brachte wieder Würde und Gelassenheit in die Diskussion, indem er sagte:

„Also, Oberst McLane! Die Regierung bittet Sie und Ihre Freunde, mit der ORION Neun zum Krisenherd Laguna zu fliegen und dort nachzusehen, was los ist. Sie sind sicher mit folgender Regelung einverstanden: wenn es wirklich einen Killersatelliten und die vorgeblichen Toten und Zerstörungen gibt, dann verständigen Sie schnellstens T.R.A.V. Ist das akzep-tierbar?"

„Sicher. Und was sagt die Admiralin dazu?" wollte Cliff wissen. „Wir sind berühmt dafür, unsere eigenen Wege zu suchen."

„Die Admiralin schließt sich der Bitte Han Tsu-Gols an", sagte Leandra de Ruyter mit einem fast bewundernden Lächeln. Seit ihrem unfreiwilligen Geständnis nach dem ersten Kontakt mit Phantom-Baby hatte sich einiges im gegenseitigen Verhältnis entkrampft. „Aber sie bittet, im Fall ernsthafter Gefahren rasch verständigt zu werden."

„Ihnen kann ich es ja versprechen", versicherte Cliff zweideutig. „Wann sollen wir fliegen?"

Han Tsu-Gols Gebärde drückte Hilflo-

sigkeit aus. Er antwortete: „Gestern, Oberst." „Vorsicht, Weltall, wir kommen", mur-

melte Hasso Sigbjörnson verdrießlich. Die Crew erhielt ihre Unterlagen, einen von TECOM ausgearbeiteten Kurs, den Startbefehl und eine Menge hoffnungsvol-ler Händedrucke. Fünf Stunden später war das Schiff im Raum und raste der Über-lichtgeschwindigkeit entgegen.

3. „Achird", las Helga leise und blickte mit

einem Auge auf die grün und ruhig leuchtenden Anzeigen des Funkpults, „auch Eta Cassiopeia, Stern im Sternbild C, ein Doppelsonnensystem mit nur einem Planeten und unzähligen kosmischen Trümmern, vermutlich den Resten anderer Planeten besetzt. Hauptstern 3.6 Magnitu-dine, Spektralklasse F 8, gelb leuchtend. Der kleinere Begleiter umläuft Achird oder Eta in fünfhundert Erdjahren einmal, leuchtet rot, Spektralklasse M o. Die Bahn des Planeten Laguna ( siehe dort) schwankt zwischen 168 und 234 Millionen Kilometern; dabei verzögert der kleinere Begleiter die Umlaufgeschwindigkeit partiell. Achird hat acht Zehntel des Durchmessers von SOL und zwei Zehntel mehr Leuchtkraft. Beide Sterne dieses Doppelsystems sind also Zwergsonnen."

Sie las schweigend weiter. Die Charak-teristik von Laguna, seiner Bevölkerung und den Handelsgütern, Ausfuhrzahlen, Geschichtliches, politische Autarkie, relativ bescheidene Industrie, die nur geringen Überschuß für den Export er-zeugte, bisher völliges Desinteresse, sich irgendwelchen Machtkonzentrationen anzuschließen. Die Angelegenheit wurde immer rätselhafter. Trotzdem hatte Helga keineswegs das Gefühl von Gefahr.

Etwas anderes war es mit den Be-wohnern des siebenten Planeten von

Page 14: Der Killersatellit

Alderamin, also Alpha Cepheus. Schon die ersten Zeilen der Cha-

rakteristik hatten der Crew gezeigt, daß dies Kolonisten waren, mit denen man besser sehr vorsichtig umging.

Helga nahm bedächtig einen Schluck Fruchtsaft und versuchte abermals, irgendwelche Zusammenhänge zwischen dem Auftrag und den vermutlichen Hauptakteuren zu erkennen. Falls der Killersatellit tatsächlich von den Bewoh-nern Aureolas gestartet worden war, gab es jede Menge Ärger.

„Allerdings Ärger mit dem die Flotte recht schnell fertig werden könnte", sagte sich die Funkerin.

Alpha Cepheus, Spektralklasse Az, zwanzigmal heller als die irdische Sonne, war rund 50 Lichtjahre von Terra entfent, die Distanz zu Achird betrug 74.98 Lichtjahre. Von den vierzehn Planeten der großen Sonne war überhaupt nur Aureola zu besiedeln gewesen, und dies nur des-halb, weil die ersten Untersuchungen und Katalogisierungen oberflächlich durchge-führt worden waren. Dreizehn Welten blieben leer, abgesehen von wenigen halbautomatischen Stationen und einigen Außenposten.

Aurola: Ein Planet der Extreme: Eineinhalbfache

Größe der Erde. Oberflächenschwerebe-schleunigung über ein Drittel höher als auf Terra. Luftdruck der an Edelgasen reicheren Atmosphäre fast genau das Doppelte des Normwerts. In der heißesten Jahreszeit erreichte der Planet die Wärme eines grönländischen Sommers. Fast sämtliche menschlichen Ansiedlungen befanden sich in der Nähe von teilweise aktiven Vulkanen. Deren Emissionen erwärmten die Luft, heizten die bunkerar-tigen Gebäude und die Treibhäuser, er-zeugten giftige Gerüche und bedrohten die Menschen. Fast ununterbrochen vibrierte der Boden, ständig erfolgten Vulkanaus-brüche, und alles, was der Mensch

errichtete, wurde häufig zerstört. Nach einigen Generationen hatten sich

die Siedler angepaßt. Diejenigen, die überlebten, wurden härter und wider-standsfähiger. Da sie in ständiger Lebens-gefahr aufgewachsen waren, lag die Angstschwelle für sie erheblich höher. In der Mehrzahl waren die Leute von Aureola hart gegen sich und andere, stolz auf ihre Erfolge und darauf, daß sie überlebten.

Sie suchten die Gefahr. Zuerst im Kampf gegen die Naturgewalten ihres Heimatplaneten, dann richtete sich ihr Kräfteüberschuß gegen andere Menschen. Zweifellos waren die Aureolaner eine Art Elite. Aber nicht unbedingt in geistiger Hinsicht, sondern in körperlicher. Jeden-falls gab es von Zeit zu Zeit einen Planeta-rier mit napoleonischen Anwandlungen, dessen Bestreben es war, alle Menschen der Raumkugel in einem militärisch straff geführten Imperium zusammenzuschlie-ßen, das seine Direktiven vom Vulkanpla-neten direkt erhielt.

Anschließend wollten sie den Rest der Galaxis mit diesen Hilfstruppen erobern. Für Helga und, bis auf wenige Ausnah-men, auch die übrigen Menschen innerhalb der riesigen Raumkugel waren dies bestenfalls Sozialutopien, über die man lächelte. Aber nicht so für die Aureolaner. Eine der Personen von Aureola, die in der letzten Zeit Reden des eben geschilderten Inhalts gehalten und zum schnellen Handeln aufgerufen hatte, nannte sich Mukdim-Khan.

Helga sah auf Instrumente und las die Zeitangabe vom Autopiloten ab. Ihre Wache war bald vorüber.

„Noch zwei Stunden. Dann werden wir sehen, welche der vielen Wahrheiten zutrifft."

Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. Das Ziel des Patrouillenflugs war zwar das Achird-System, aber der Ort, an dem die ORION in den normalen Welt-raum zurückkehren sollte, lag weit

Page 15: Der Killersatellit

außerhalb der Bahn des Begleitsterns. Sie wollten kein Risiko eingehen.

Langsam und ereignislos verstrichen rund neunzig Minuten. Die ORION bewegte sich mit dem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit durch den Hyper-raum. Nur das leise Vibrieren der Maschi-nen und das Knistern, Summen und Klicken der arbeitenden Instrumente waren zu hören. Die Crew schlief in ihren Kabinen. Erethreja war auf der Erde in Marios Wohnung zurückgeblieben; von dort konnte sie über eine Dauerverbindung TECOM - Unandat ihrem Volk helfen. Helga schaltete von der Steuerkanzel aus die Robotküche ein und weckte nachein-ander die fünf Freunde.

„Keinerlei besondere Vorkommnisse", waren ihre ersten Worte.

Zehn Minuten vor dem Zeitpunkt befan-den sie sich alle in der Steuerkanzel, schienen relativ frisch und ausgeschlafen, aber Cliff machte noch immer einen mürrischen Eindruck. Er schaltete zuerst die Schutzschirme ein und knurrte dann:

„Sicher ist sicher. Freizeit auf Laguna soll zumindest landschaftlich schön sein, den Prospekten nach zu urteilen, die ich vor dem Einschlafen ansah."

Vor jedem der sechsköpfigen Crew stand einer der bekannten, großvolumigen Kaffeebecher.

„Ich habe einen ganz verrückten Traum gehabt. Er hat mich geweckt. Ich träumte, wir würden auf Laguna einen Querschnitt aus unserer Zeit der Raumpatrouille wieder treffen. Ich meine, alle geschicht-lich relevanten Personen, die wir bekämpf-ten."

Auf der Zentralen Bildplatte begann der Autopilot in großen Zahlen rückwärts zu zählen.

„Noch eine Minute. Bitte anschnallen. Mario, du machst dich bitte bereit, in den Werferstand zu rennen, falls wir verdäch-tige Ortungen haben. Atan - Achtung, ja?"

„Verstanden."

„Elektronisches Logbuch ein", erklärte Helga und setzte sich die Kopfhörer auf. Die Gurtverschlüsse klickten.

„Zwanzig Sekunden." Cliff lehnte sich zurück, kontrollierte die

Stellung der Linsen und legte seine Hände auf die Manuellsteuerung. Sie warteten in vollkommener Ruhe, bis das Schiff aus dem Hyperraum glitt, sich kurz schüttelte und dann abgebremst wurde. Mehrere Sekunden vergingen, und dann rief der Astrogator alarmiert:

„Neun . .. zehn . .. zwölf Objekte rund um uns. Moment! Es sind eindeutig Raumschiffe. Wir sind mitten in einem Schiffsverband herausgekommen."

Auf den Bildschirmen leuchtete voraus eine gelbliche Sonne.

„Es sieht wie eine Falle aus", fügte Atan Shubashi nach einigen Sekunden hinzu. Die ORION raste mitten in einen Ring von zwölf Schiffen hinein, die aber nicht auf einer Ebene schwebten.

„Mario! Schnell!" stieß der Commander hervor. „Werferstand."

„Schon unterwegs." Cliff sagte sich, daß Angriff in vielen

Fällen die beste Verteidigung war. Außerdem war die ORION als T.R.A.V.-Schiff automatisch stellvertretend für die Erdregierung hier. Er gab Helga einen Wink, die Funkverbindung herzustellen. Dann rief Cliff aufgebracht:

„Hier Schneller Kreuzer ORION Neun von Terra. Identifizieren Sie sich, ehe ich das Feuer eröffnen lasse. Commander McLane spricht."

„Wenn Sie feuern, ist es Ihr Todesurteil. Vierundzwanzig Werfer sind auf Ihr Schiff gerichtet. Hier ist Raumadmiral Mukdim-Khan an Bord des Flaggschiffs FLAME OF AUREOLA. Ich fordere Sie auf, sofort zu kapitulieren."

Cliff lächelte kalt. „Junger Freund", erwiderte er. „Sie

machen das zwar recht eindrucksvoll, aber ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig. Die

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Erde und die Terrestrischen Raumaufklä-rungsverbände haben derlei Bühnendonner nicht gern. Reden Sie bitte vernünftig und hören Sie augenblicklich auf, ein offiziel-les Erdschiff zu bedrohen. Sie handeln sich damit eine Unmenge Ärger ein."

Helga flüsterte: „Dialog wird mitgeschnitten. Hy-

persender eingeschaltet. Wir sind sendebe-reit."

Cliff, noch immer ohne Bildfunk-verbindung, machte das Ausgezeichnet-Zeichen und bat mit einer Handbewegung, noch etwas zu warten. Die Antwort, die aus den Lautsprechern schlug, ließ sie alle betroffen zusammenzucken.

„Der Grund, weswegen wir hier sind, ist der Verlust eines Aufklärungsschiffs von Aureola. Terranische Schiffe haben ihn abgeschossen, als er in dieses System hier einflog."

Cliff lachte auf. Inzwischen befand sich die ORION im Zentrum der fremden Schiffe. Der Commander kippte den Diskus über die Kante und rechnete sich die Chancen für eine Art Tauchmanöver aus. Sie waren nicht besonders gut, aber auch alles andere als schlecht. Er mußte die Leute dort drüben besser kennenlernen und hinhalten.

„Erstens war hier seit Monaten kein Schiff der T.R.A.V. Das wissen wir, weil wir direkt von der Erde kommen. Und zweitens hätten wir nicht den geringsten Grund, auf Ihre Schiffe zu schießen. Wir sind wegen eines Notrufs von Laguna hier. Und in dem Augenblick, da Sie uns daran zu hindern versuchen, beschwören Sie eine Krise ersten Ranges hervor. Noch etwas: von wem stammt eigentlich der Titel Admiral, Herr Admiral?"

Stolz vibrierte in Mukdim-Khans Stim-me, als er entgegnete:

„Vom tüchtigen, starken und kampfbe-reiten Volk der Aureola-nei."

„Ach so", sagte Cliff. Die Bedeutung ließ erkennen, was er von Titeln auf dieser

Basis hielt. „Ich dachte schon, es wäre eine echte

Auszeichnung", provozierte Cliff weiter und glaubte, im Hintergrund eine Frauen-stimme lachen zu hören. „Haben Sie Ihre werten Geschütze ausgeschaltet?"

„An Bord sind mehrere Verbin-dungsoffiziere von anderen Kolonien. Nur aus Rücksicht gegenüber den Beobachtern der jeweiligen Raumflotten nehme ich den Feuerbereitschaftsbefehl zurück."

„Verbindlichen Dank", erklärte Cliff verdrossen. „Das verhindert wirksam Ihren neuen Status als Strafgefangener. Darf ich erfahren, wen Sie an Bord haben? Und warum? Und aus welchem Grund Sie kein Bild senden?"

Die ORION war etwas langsamer ge-worden und driftete jetzt mit laufenden Maschinen auf ein Schiff zu, das sich langsam näherte. Es schien die FLAME OF AUREOLA zu sein.

„Einen Augenblick." „Wenn das stimmt, daß die Vertreter der

anderen Kolonien an Bord sind, sollten wir ebenso diplomatisch vorgehen wie der Admiral", schlug Hasso leise vor. Cliff nickte zustimmend. Das Bild baute sich auf mehreren Monitoren auf. Die Crew starrte in das dunkle, breitflächige Gesicht eines Mannes von rund fünfzig Jahren. Die Augen des Admirals, der einen golden glänzenden Schmuckreifen um die Stirn trug, funkelten Cliff an.

„Ich begrüße Sie, Admiral", sagte Cliff und bemühte sich um eine ironiefreie Unterhaltung. „Wurde tatsächlich hier im Achird-System eines Ihrer Schiffe abgeschossen?"

„Ja. Und zwar so überraschend, daß nicht einmal ein Funkspruch richtig durchkam."

„Darf ich Ihre Gäste begrüßen?" fragte Cliff und setzte sein liebenswürdigestes Lächeln auf. Innerlich war er gespannt.

„Natürlich. Das ist Vizeadmiral Harold McKinney vom Planeten Geldern."

Page 17: Der Killersatellit

Ein hagerer Mann mit schmalem Gesicht und großen, ständig blinzelnden Augen schob sich vor die Linsen. Er trug eine schneidige, weiße Uniform mit dem Emblem seines Planeten auf der rechten Brustseite.

„Und dies ist Vizeadmiral Lojös Minvari von Kershan."

Cliff nickte auch dem jungen Mann mit dem kantigen Gesicht und den vielen Falten darin zu. Blaue Augen hefteten sich nachdenklich auf den Commander. Der Junge wirkte klug, aber unsicher. Er war das genaue Gegenteil des Raumadmirals vom Vulkanplaneten; dieser schien mit Selbstsicherheit geradezu aufgeladen zu sein. Schließlich schob sich eine gutausse-hende Frau von rund achtundzwanzig ins Bild; ein ovales Gesicht, umgeben von Tausenden goldfarbener Löckchen. Sie sah ausgesprochen lieblich aus, wie einer der Engel, die trompetend die Rahmen von Barockbildern füllten. Allerdings trug sie im Gegensatz zu diesen eine zweckmäßige Bekleidung.

„Tatjana Veever, Vizeadmiralin, Planet Tareyton."

Cliff erinnerte sich schlagartig. Bis auf Arlene entsannen sich auch die anderen Crewmitglieder.

„Moment!" sagte Cliff. „Der Planet von Archer's Tears. Tareyton. Sind Sie verwandt mit Titus Veever?"

„Mein Urgroßvater", bekannte sie. „Damals, unter Konsul Halvorsen."

„Wir entsinnen uns", erklärte der Com-mander mit einem milden Lächeln voller falscher Herzlichkeit. „Er wollte die Erde mit giftigen Pilzen erpressen. Ich verhafte-te ihn unter dramatischen Umständen. Hoffen wir, daß wir beide eine weniger strafgesetzliche Basis des Verkehrs finden können!"

„Ganz gewiß. Keiner von uns hat vor, der Erde zu schaden. Wir sind hier, weil wir sicher waren, daß ein Gefecht zwi-schen terrestrischen Schiffen und einem

Aufklärer von Aureola stattfand." Cliff hüstelte anerkennend, hob dann die

Hand und blickte nacheinander auf die vier Gesichter, die vor ihm gestaffelt hinterein-ander im holographischen Monitorbild standen. Er sagte nach kurzem Nachden-ken:

„Um zu beweisen, daß wir koope-rationsbereit sind, schlage ich eine Zusammenarbeit angesichts des Problems Laguna vor. Die Erde wurde verständigt, daß ein Killersatellit Laguna erpreßt und tyrannisiert. Untersuchen wir den Fall gemeinsam. Ich bin bereit, den Kreis der schönen und interessanten Würdenträger auf der prächtigen FLAME durch meine Anwesenheit zu vergrößern. Oder meinet-wegen, wenn Admiralin Veever mit einigen hundert Raumsoldaten auf die ORION kommen will, dann kann sie hier praktisch meinen Platz einnehmen. Oder beides. Was schlagen Sie vor, Admiral?"

„Ich bin nur Vizeadmiralin", schränkte Tatjana ein.

„Auch gut, in dem Alter!" rief Shubashi respektlos und vermittelte ihr einen Vorgeschmack von dem, was sie in der ORION erwartete.

Mukdim-Khan ging ungebremst in Cliffs Falle. Er nickte heftig und rief:

„Ausgezeichnet. Jegliches Mißtrauen wird zerstreut. Ein Vorschlag von Raum-fahrer zu Raumfahrer. Sie meinen es ehrlich, wie, McLane?"

Cliff korrigierte säuerlich: „Oberst Cliff Alistair McLane, Sir. Zu

Diensten. Ich vertrete die Erde, und da steht meine Meinung zurück. Ja, die Erde meint es ehrlich. Um Ihrerseits Ehrlichkeit zu dokumentieren, wird die bisher geführte Unterhaltung zu einem Kurzimpuls ver-dichtet und per Hyperfunk nach Terra abgestrahlt, wo jener alsbald anlangt und - jetzt gerade geschah's! - schnell dechif-friert wird. Han Tsu-Gol weiß genau, wie lieb wir miteinander gesprochen haben. Und gleich vier Admirale, ts, ts."

Page 18: Der Killersatellit

„Ich bin nur Vizeadmiralin", murmelte die junge Frau. „Gut. Ich komme mit vier Gardisten an Bord der ORION."

„Helga und Arlene bitten um mindestens zwei amüsante, gut aussehende Burschen, die trinkfest sind!" rief Cliff lachend und entkrampfte damit die Situation. „Ich fliege dann mit der FLAME-LANCET zurück. Einverstanden?"

„Sie überzeugen uns von der auf-richtigen Politik der Erdregierung!" verkündete Raumadmiral Mukdim-Khan. Cliff strahlte ihn an und antwortete:

„Zu spät. Der Funkspruch ist schon weg. Aber mit dem nächsten wird Ihr Statement gesendet."

Jetzt begannen die Crewmitglieder in der ORION laut zu lachen. Für den Augenblick waren die zwölf fremden Schiffe keine Bedrohung mehr. Der Austausch fand schnell und überraschend gekonnt statt. Ehe Cliff die Steuerkanzel verließ und Mario seinen Platz einnahm, sagte der Commander leise:

„Freunde, ich rechne fest damit, daß es euch gelingen wird, Tatjana und ihre Myrmidonen anhand geschichtlicher Beispiele, faszinierender Dialoge und entspannenden Alkohols von der Sinnlo-sigkeit neuer Konflikte zu überzeugen. Im übrigen denke ich, daß der goldreifge-schmückte Admiral tatsächlich nichts vom Killersatelliten weiß. Viel Vergnügen."

Er streifte seine Handschuhe über, hob einen kleinen raumfesten Koffer auf und schloß die Tür des kleinen Lifts.

Als er, etwas später, die Steuerkanzel der FLAME OF AUREOLA betrat, wußte er, daß sein Sieg nur ein halber war. Trotzdem war Mukdim-Khan, der rück-sichtslosere und entschlossenere der Kolonisten, perfekt in der Maske des friedliebenden Kämpfers für die Freiheit der Kolonialwelten ohne kämpferische Aktionen gegen die Erde.

Man würde sehen ...

4.

Mukdim-Khan war einen guten Kopf

kleiner als Cliff, aber breiter in den Schultern. Die Oberschenkel und die Oberarmmuskeln schienen den gleichen, erstaunlichen Durchmesser zu haben. Auch der Hals war kurz und gedrungen. Es ging, stellte Cliff fest, tatsächlich eine Strahlung der Stärke und Entschlossenheit von Khan aus. Der Commander ließ sich aus dem Raumzug helfen und meinte schließlich:

„Es freut einen alten Raumfahrer, wenn er sieht, daß sämtliche Raumschiffe innen einander sehr ähnlich sind."

„Es gibt, das wissen Sie genau, nur wenige Raumschiffswerften außerhalb der Erde!" rief der Admiral. Er hatte kurzge-schnittenes graues Haar unter seinem schillernden Reifen.

„Aus gutem Grund. Fangen wir an: Sie sind also der festen Überzeugung, daß Laguna von Erdtruppen besetzt ist?"

Cliff ahnte, daß der Aureolaner ein falsches Spiel versuchte. Aber es war nicht mehr als eine Ahnung; Cliff hatte noch nicht einen einzigen Beweis.

„Wir wissen es. Schließlich bat uns Laguna um Intervention."

„Das ist ein fairer Grund, mit einem Dutzend Schiffe hierher zu kommen. Fliegen wir also gemeinsam ins Achird-System hinein. Eine Unglückszahl! Dreizehn Schiffe. Irgend jemand wird wohl Pech haben."

Er wußte es schon: es würde sicher wieder seine Crew sein.

„Einverstanden?" Der Raumadmiral warf einen ungeduldigen Blick auf die beiden Beobachter.

Sie nickten schweigend. Ihre Sicherheit wuchs ganz sicher nicht. Der Admiral gab knappe, militärisch eindeutige Komman-dos ab. Der Schiffsverband, die ORION im Zentrum der zwölf anderen Diskus-

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schiffe haltend, setzte sich in Bewegung und flog auf den Standort des Planeten Laguna zu. Cliff blickte die Instrumente an, dann entschloß er sich, die Mannschaft dieses Schiffes zuerst fachlich zu verunsi-chern. Da die Funkkanäle weit geöffnet waren, hörten auch alle anderen Beteilig-ten dieser Angelegenheit mit. Also sagte er mit hervorgekehrter Überlegenheit:

„Sie kennen dieses schutzbedürftige System schon länger, Raumadmiral?"

„Natürlich", schnappte Khan. „Sonst hätten sie uns wohl kaum gegen die Erde um Schutz gebeten."

„Verständlich. Wir von Terra jedenfalls wissen genau, daß die Schiffe beim Einflug in dieses System die Schutzschir-me einschalten und auf höchste Kraft fahren müssen. Schätzungsweise eine Million kosmischer Trümmer rasen auf irregulären Bahnen um die beiden Sonnen herum. Stellen Sie sich vor, Ihre ganze ehrgeizige Mission scheitert, nur weil ein Felsbrocken das Schiff perforiert. Ts, ts, ts. Als Admiral sollte es Ihnen nun wirklich nicht passieren!"

Mukdim-Khan wirbelte herum und starrte Cliff an, als wolle er ihn mit bloßen Händen erwürgen. Der Commander befand sich inzwischen im Reservesitz neben dem Komputerterminal, lehnte sich dort an und streckte die Beine aus. Er hob einen Finger und sagte:

„Nur ein Tip zur praktischen Arbeit an Bord. Entschuldigen Sie. Ich bin immer so vorlaut. Aber es wäre doch schade um die blitzsaubere FLAME OF AUREOLA, nicht?"

Mit der Miene eines zufriedenen Famili-envaters lehnte er sich wieder entspannt zurück. Mit heiserer Stimme gab der Admiral die einschlägigen Anweisungen. Die ORION hatte die Schirme nach dem Wechsel der Besatzungen sofort wieder aktiviert. Jetzt folgten auch die anderen Schiffe nach.

Fünf Minuten vergingen.

Ciiff versuchte, die beiden Verbin-dungsleute richtig einzuschätzen. Der jüngere Mann, Minvari vom Planeten Kershan, würde nur mit klugen, sachlich korrekten Argumenten zu überzeugen sein. Harold McKinney schien von der Ehrlich-keit der Absichten des Raumadmirals noch überzeugt zu sein. Cliff sagte sich, daß es sinnvoller sei, seinen zweiten Angriff auf den Mann von Geldern zu konzentrieren. Er nickte McKinney zu und fragte:

„Hatten Sie viele Widerstände zu über-winden, als Sie sich entschlossen, zur Wahrheitsfindung beizutragen? Ich meine, als Sie vorschlugen, zur Kontrolle an Bord der FLAME zu gehen? Ich kann mir vorstellen, daß die Kolonialflotte von Geldern mit ihren noch nicht ganz bezahlten Schiffen der Erde - alles außer Dienst gestellte Schnelle Kreuzer -behutsam umgehen muß. Es sind nur fünfzehn Stück."

Unbewegten Gesichts, aber voll stiller Freude, registrierte Cliff, daß sein Pfeil nur knapp neben dem winzigen Ziel zitterte, das er anvisiert hatte.

Harold McKinney zuckte zusammen. Die Wahrheit, erkannte er jetzt, war immer so brutal wie derjenige, der sie aussprach. Cliff hatte das Wesentliche herausgearbei-tet und alle Verschönerungen bewußt vergessen.

„Der Admiral hat mich aufgefordert, nach Laguna zu fliegen. Geldern hat keinerlei kriegerische Überlegungen. Aber natürlich", beeilte er sich zu versichern, „werden wir einem Planeten beistehen, wenn die Erde ihn überfällt und ausbeu-tet."

McLane war ganz sicher, was Teil-gebiete der Innenpolitik betraf, ein harter und wissenschaftlich geschulter Pragmati-ker. Aber immer wieder verblüfften ihn die Überlegungen anderer Menschen, die elf und elf zusammenzählten und aus unbegreiflichen Gründen einundzwanzig oder dreiundzwanzig herausbekamen.

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„Und wenn sich wider alles Erwarten herausstellen sollte, daß die Erde Laguna keineswegs angegriffen hat, daß sie darüber hinaus Laguna wirklich nicht besetzt hätte, und, was wichtiger ist, daß die ruhmreiche neunte ORION nur deshalb hier ist, weil ein fremder Killersatellit den Planeten irgendwie schädigt ... in welche Richtung, Vizeadmiral McKinney, werden Ihre Überlegungen dann verlaufen?"

Jetzt starrten nicht nur die Besat-zungsmitglieder, sondern auch der Admiral mit dem goldenen Reif und der Vertreter des Planeten Geldern den Commander an. McKinney war unsicher, Khan war wütend. Aber noch schwieg er.

„Ich höre!" erinnerte Cliff halblaut. „Nun, ich bin sicher ...", begann McKin-

ney. Cliff winkte ab und erklärte katego-risch:

„Ein schlechtes Zeichen. Ein guter Raumfahrer ist immer unsicher. Sicherheit ist Trugschluß, Unsicherheit kennzeichnet den Vorsichtigen. Nichts ist so dringend auf Vorsicht angewiesen wie das Weltall. Was wollten Sie sagen, Vizeadmiral von stolzen fünfzehn Schiffen?"

McKinney hatte, um es deutlich zu sagen, keine Ahnung. Was er wußte, wußte er von Mukdim-Khan.

„Noch immer warte ich! Aber ich höre noch immer nichts", lächelte der Com-mander.

„Sie behaupten, der Killersatellit sei schuld?" fragte McKinney. Der Admiral und der junge Mann verhielten sich - noch! - schweigend.

„Ich behaupte nur, daß die Erde und deren Raumschiffe Laguna nicht besetzt haben. Es gibt kein Interesse, diesen Planeten zu versklaven. Wir haben inzwischen in den irdischen Meeren wieder genügend eigene Fische. Und Lagunas Mineralien können wir leicht kaufen und bezahlen."

„Und ... dieser Satellit? Ist er meine Erfindung?" brüllte Khan aufgebracht und

stierte McLane an. „Ich habe es niemals behauptet. Was ich

sagte, ist korrekt. Aber in kurzer Zeit werden wir ja alles sehen und daraus unsere Schlüsse ziehen können. Sie gestatten, daß ich aus gutem Grund weiterhin skeptisch bleibe?"

Der Admiral grunzte nur, drehte sich herum und betrachtete den Bildschirm, als würde dort die Wahrheit in großen Buchstaben ausgedruckt werden. Inzwi-schen schien der schweigende junge Mann von Kershan sich zu einem Entschluß oder einer Stellungnahme durchgerungen zu haben.

„Wo, zum Teufel, liegen die Garantien? Was ist sicher, was ist die Wahrheit, und wo sind die Spekulationen?" rief er. Cliff gönnte ihm ein zweites großväterliches Lächeln und erwiderte:

„Ich garantiere Ihnen, daß Sie im Orbit über Laguna und auf dem Planeten selbst keinerlei terranische Machtaktionen oder was auch immer finden werden. Das ist sicher. Das einzige Flottenschiff in diesem Sektor ist die ORION Neun, und die fliegt, von den Gardisten überwacht, in diesem Pulk mit. Spekulationen sind alle anderen Überlegungen. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß der sogenannte Killersatel-lit weder mit der Erde noch mit den Kolonien etwas zu tun hat, sondern viel eher etwas mit dem Rudraja."

Mukdim-Khan sagte in kompromißloser Härte:

„Niemand von uns kennt diesen Herrn." Cliff lächelte barmherzig. „Zitieren Sie bitte nicht die schwachen

Scherze, die ich schon vor neunundsechzig Jahren machte. Das Rudraja ist... aber es würde zu weit führen, Ihnen das zu erklären. Aber auch ich kann mich irren. Wir werden es nicht eher wissen, als bis daß wir den bisher unsichtbaren Satelliten sehen. Jedenfalls stammt er nicht von der Erde."

„Es gibt keinen Satelliten! Es gibt nur

Page 21: Der Killersatellit

eine terranische Besatzung und aggressive terranische Flottenschiffe!" grollte der Raumadmiral. Cliff zuckte die Schultern. Die dreizehn Schiffe flogen mit rund halber Lichtgeschwindigkeit offen in das System ein. Die Besatzung arbeitete an den Pulten, und die vier Hauptakteure warteten und überlegten. Cliff war zu neunzig Prozent sicher, daß es im Orbit von Laguna einen Satelliten dieser Art gab, aber noch war das Objekt nicht geortet worden.

Falls der Astrogator die Ortung ausrief, schwor sich der Commander, würde er abermals versuchen, die beiden Vizeadmi-rale zu verunsichern.

Als ob es nicht auf der Erde genügend ernsthafte, drohende Probleme gäbe! dachte Cliff und schloß die Augen.

Die Lage im Bermuda-Dreieck war völlig undurchsichtig. Es gab tausend Theorien und keinen einzigen Beweis. Da Menschen im Augenblick nur dann gefährdet waren, wenn sie sich innerhalb der fraglichen Grenzen bewegten, war das Dreieck nach wie vor für jede Art Verkehr gesperrt.

Die Erkenntnis, daß es zur Zeit des Kosmischen Krieges auf dem zerbro-chenen Planeten Vritru zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter ein Hilfs-volk des positiven Varunja gegeben hatte, das die Zeitreise beherrschte, ängstigte noch jetzt die Gemüter der Verantwortli-chen. Vermutlich gab es die Raum-Zeit-Labilität noch immer, wenn auch unter Umständen nicht gerade im irdischen Raum. Die Zeitingenieure hatten dieses Problem erschaffen, weil sie ununterbro-chen Zeitparadoxa herbeiführten. Viel-leicht, dachte Cliff, fanden die zur Geheimhaltung verpflichteten Wissen-schaftler mit TECOMs intensiver Hilfe etwas heraus. Vielleicht war das Problem gelöst, wenn die Crew von Laguna zurückkam.

Laguna!

Hier schienen gleichzeitig zwei ver-schiedene Probleme auf Kosten der Orion und des Planeten miteinander zu ringen.

Rund zehn Minuten vergingen, als der Astrogator der FLAME OF AU-REOLA aufgeregt ausrief:

„Admiral! Der Commander hat recht... hier, sehen Sie das Bild!"

Cliff setzte sich gerade hin, um das Bild auf dem Monitor klar erkennen zu können. Er schwieg, aber er selbst war zutiefst überrascht.

Auf dem Bildschirm zeichnete sich smaragdgrün ein schüsselförmiges Objekt ab. Nach den Entfernungs- und Maßlinien des Monitors zu urteilen, betrug der Durchmesser dieser flachen Schüssel rund elftausend Meter.

„Abstand Objekt zu Laguna fünf-zehntausend Kilometer!" sagte der Astrogator unruhig durch. Cliff fragte scharf: „Admiral Mukdim-Khan?" „Commander?"

„Glauben Sie, daß die Erde ein solch riesiges Objekt konstruiert und hierher schleppt? Halten Sie Ihre Vorwürfe noch immer aufrecht? Betrachten Sie dieses grünliche Riesending einmal ganz genau. Das entstammt keiner irdischen Technolo-gie!"

Zögernd erklärte der Raumadmiral: „Ich bin genauso überrascht wie Sie.

Aber nichts ist unmöglich. Es muß nicht aus Stahl sein, es kann sich auch um aufblasbare Plastikteile handeln. Was sagt die Ortung?"

„Es ist eine gigantische Ansammlung aus Stahl und anderen Metallen", versi-cherte der Astrogator. Cliff sah den Admiral mit einem Blick an, der den anderen Mann noch stärker verunsicherte. Minvari und McKinney waren mißtrauisch geworden.

„Also kein Plastikballon. Dort ist er, der Killersatellit. Warten wir ab, was gesche-hen wird."

Eine minimale Kursänderung wurde

Page 22: Der Killersatellit

durchgeführt. Die kleine Armada steuerte auf den Satelliten zu und wurde etwas langsamer. Die Schiffe boten für jedes Ortungsgerät eine Masse idealer Ziel-scheiben. Cliff begann sich zu wünschen, den Raumanzug nicht ausgezogen zu haben. Aber noch blieb er ruhig sitzen und sah die verschiedenen Vergrößerungen an, die der Astrogator auf die Bildschirme brachte.

Die Vertiefung dieser ungewöhnlichen Erscheinung, in der sich das Licht der Sonne Achird brach, betrug etwa einein-halbtausend Meter. Auf dem Boden der flachen Schüssel erhob sich eine Halbku-gel aus demselben Material oder wenig-stens mit einer Oberfläche derselben Farbe. Sonst war absolut nichts zu entdecken; keine Luke, keine Antenne, keine Öffnungen oder Bullaugen. Die offene Seite dieses Satelliten deutete wie ein gigantischer Parabolspiegel auf den winzigen Planeten. Die Entfernung der Schiffe zu Satellit und Planet schrumpfte. Jetzt trennten noch etwa dreihundertfünf-zigtausend Kilometer die Armada von La-guna.

Immer wieder flammten die Schutz-schirme auf, wenn kleinere kosmische Trümmer von den Strahlen zerglüht wurden. Die größeren Objekte erzeugten langwellige Vibrationen, wenn sie von den Feldern abgelenkt und wieder ins All zurückgeschleudert wurden. In der Kanzel herrschte ein unbehagliches Schweigen.

McLane wartete, bis dieses Unbehagen nach seiner Meinung einen besonders hohen Punkt erreicht hatte, dann schaltete er sich wieder ein.

„Vizeadmiral Lojos Minvari", begann er, „sind Sie auch der Überzeugung, daß die Erde einen solchen Giganten gebaut hat, um Laguna einzuschüchtern und einen besseren Preis für Trockenfisch und Komputerkristalle herauszuschlagen? Preisnachlaß Faktor Eins, Baukosten Faktor Hundert? Oder könnten Sie sich mit

der Vorstellung anfreunden, daß der Satellit eine Gefahr aus einer noch unbekannten Ebene ist?"

Mukdim-Khan hob die Hand und schrie: „Hören Sie auf, meine Freunde gegen

mich aufzuhetzen! Noch nichts ist bewiesen. Gefahr aus einer unbekannten Ebene - daß ich nicht lache!"

„Ich hetze nicht", antwortete Cliff gleichmütig. „Ich stelle nur offensichtliche Dinge zur Diskussion. Oder wissen Sie besser als ich, was der Bau dieser Station gekostet hat?"

„Ich weiß es natürlich nicht. Diese Waffe ist so konstruiert, daß sie nicht nur auf Laguna eingesetzt werden kann, sondern sämtliche Kolonialplaneten versklaven wird."

Cliff antwortete halblaut: „Ein Handelsembargo und der Stopp

sämtlicher wissenschaftlicher Erkenntnis-se, die die Erde an die Kolonien weiter-gibt, ist die beste Fernwaffe, die wir haben, Vizeadmiral McKinney! Ich glaube, wir sind alle überrascht. Selbst Admiral Khan kann nicht verbergen, daß der grüne Satellit nicht in sein Konzept paßt.

Ich versichere Ihnen, daß diese Kon-struktion nicht von der Erde stammt. Ein Vorschlag, Admiral Khan: Setzen Sie einen Funkspruch ab und verlangen Sie Erklärungen.

Ich bin sicher, daß Sie eine Antwort bekommen."

„Die einzige Möglichkeit ist, das Ding in Fetzen zu schießen!" schrie Mukdim-Khan. Seine beiden Gäste beobachteten alle seine Reaktionen jetzt sehr genau. Die Glaubwürdigkeit des Aureolaners hatte schwer gelitten. Cliff war mit seinem Erfolg recht zufrieden und entgegnete:

„Versuchen Sie's, Admiral." Im gleichen Moment ergriff der

Killersatellit die Initiative. Noch befand sich eine mittelstarke Vergrößerung des Satelliten auf den Bildschirmen. Cliff

Page 23: Der Killersatellit

wurde durch winzige Lichterscheinungen innerhalb des Bildes aufmerksam, sprang auf und deutete auf den Monitor.

„Achtung!" schrie er. „Der Satellit scheint zu feuern."

Noch während er schrie, wurden aus den winzigen Lichtblitzen lange, grellweiße Feuerstrahlen. Sie blieben unglaublich eng gebündelt, rasten durch den Weltraum und verwandelten sich in Impulse von kurzer Dauer.

Der Angriff richtete sich eindeutig gegen die Raumschiffe.

Es dauerte nur wenige Sekunden. Aus nicht sichtbaren Geschützen oder Projekto-ren in den Wandungen des Killersatelliten stachen die nadelfeinen Strahlen nach den Schiffen, ließen die Schirme grell auf-flammen und veränderten durch ihre hohe Aufschlagenergie den Flugwinkel der Diskusse. Aus den Lautsprechern drangen klirrende und kreischende Geräusche, vermischt mit den verschiedenen Alarmsi-gnalen aus den anderen Schiffen.

„Zurück!" brüllte Mukdim-Khan von der Zentralen Bildplatte her und riß an den Fahrthebeln. „Wir sind noch außer Gefechtsdistanz. Schnell, auseinander und zurück!"

Die anderen Kommandanten schienen nur darauf gewartet zu haben. Sie handel-ten mit großer Geschwindigkeit. Aber noch immer schlugen die Strahlen in die Schirme ein und durchbrachen sie an mehreren Stellen. Cliff erkannte, daß Ma-rio de Monti mit der erwarteten Sicherheit steuerte.

Die ORION beschleunigte und flog einen Kurs, der eine Art Mischung zwischen einer dreidimensionalen Spirale und Zickzack mit wechselnden Geschwin-digkeiten darstellte. Das Schiff, dessen Schirme immer nur an den Rändern von den Gefechtsstrahlen gestreift wurden, überschlug sich, rollte entlang zweier Achsen und schoß in einem kühnen Bogen aus dem Kreis der anderen Diskusse

hinaus. Dann flüchtete die ORION Neun in Richtung auf Achird.

„Das läßt hoffen!" flüsterte der Com-mander voller Erleichterung. Dann, als der Sicherheitsabstand zwischen dem Satelli-ten und der FLAME OF AUREOLA wiederhergestellt war, meldeten sich drei der anderen Schiffe und sagten durch, daß sie zwar noch manövrierfähig, aber zum Teil erheblich beschädigt wären. Es hatte weder Verletzte noch Tote gegeben, aber zwei der getroffenen Raumschiffe waren unfähig, in den Hyperraum einzufliegen.

„Jetzt haben wir alle gesehen, wer den Aufklärer der Aureolaner abgeschossen hat", erklärte Cliff unbehaglich. „Falls es einen solchen Aufklärer gegeben haben sollte."

Ohne daß McLane es merkte, drückte der Admiral auf einen Knopf. Hinter Cliff fuhr die Tür des Lifts zurück, zwei Gardisten stürzten herein.

„Festnehmen!" donnerte der Admiral. „Fesselt den Commander an den Sessel."

Cliff schätzte innerhalb der einen Se-kunde, in der die wuchtigen Männer den Raum zwischen dem Lift und ihm über-wanden, seine Chancen ab. Ein Kampf war sinnlos. Er beschränkte sich darauf, die Arme abzuwinkeln und zu sagen:

„Sie scheinen ein wahrer Pazifist zu sein, Admiral. Ich werde mich an-gelegentlich daran erinnern."

Mit einigem Entsetzen sahen die beiden Vizeadmirale zu, wie die Gardisten Cliffs Arme nach hinten rissen und eine Art Stahlseil um seine Handgelenke schlan-gen. Die anderen Enden legten sich um die Armlehnen des Sessels. Ein Schalter klickte hart, die Fesseln strafften sich.

„Möchten Sie mich auch knebeln, oder darf ich wenigstens noch ein bißchen sprechen?" fragte Cliff sarkastisch. „Sie verwenden eine überzeugende Form der Argumentation, Herr Raumadmiral."

Die Schiffe flohen, ohne sich zu wehren. Einige Schüsse, die der Satellit hinterher

Page 24: Der Killersatellit

feuerte, gingen ins Leere. Der Satellit blieb in seiner Position im Orbit um Laguna. Cliff registrierte voller stiller Freude, daß die ORION den Augenblick der Ver-wirrung ausgenutzt und sich abgesetzt hatte. Wenn Mario wollte, befand sich das Raumschiff binnen weniger Minuten so weit von den Kolonie-Schiffen entfernt, daß es für jede Verfolgung zu spät sein würde.

Aber Mario de Monti wußte, daß Cliff in der FLAME weniger ein Gast als ein Gefangener war. Die ORION würde nicht flüchten, sondern hartnäckig bleiben, wie immer.

5. Arlene stützte sich gegenüber Mario de

Monti auf den Rand der Zentralen Bild-platte, blickte Tatjana Veever durchdrin-gend an und sagte halblaut:

„Tatjana, Sie haben den Funkverkehr mitgehört. Sie haben eben gesehen, daß der Killersatellit seinem Namen alle Ehre macht. Und wir haben Ihnen wohl bewiesen, daß es tatsächlich alle denkba-ren Hinterlassenschaften aus dem Kosmi-schen Krieg zwischen Varunja und Rudra-ja gibt. Wir hier an Bord der ORION sind überzeugt, daß auch der Satellit zu diesem Komplex gehört. Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß die Aureolaner und der Admiral falsch spielen?"

„Ich bin nicht sicher. Ich weiß nicht, wem ich glauben soll", sagte leise die Vizeadmiralin. „Auch die Argumente Mukdim-Khans klangen stichhaltig. Natürlich glaube ich Ihnen auch. Wo liegt die objektive Wahrheit?"

Mario de Monti deutete mit ausge-strecktem Zeigefinger nach unten.

„Auf Laguna." „Wir sind nicht auf Laguna, und so wie

es jetzt aussieht, kommen wir auch nicht zu einer Landung. Wir werden vernichtet,

ehe wir die Lufthülle erreicht haben", schränkte die Vizeadmiralin kopfschüt-telnd ein.

„Das muß nicht sein", erklärte Shubashi. „Es gibt nur wenige Tricks, die wir nicht kennen."

Tatjana Veever zog die Schultern hoch. Sie war unsicher, und die schlagartige Abwehr oder der blitzschnelle Angriff des Killersatelliten hatte ihr die Gefahr gezeigt, in der sich jeder befand, der sich Laguna nähern wollte. Helga Legrelle schob einen Regler nach oben, und die Crew hörte gebannt und erregt zu, wie der Admiral Cliff verhaftete und an den Sessel fesseln ließ.

„Ich sehe das als Schuldeingeständnis an!" sagte Hasso laut.

Helga hatte sämtliche Mikrophone ausgeschaltet. Die Crew hörte alles, aber man hörte nichts aus der Steuerkanzel der ORION.

„Das ist schon fast eine klassische Reaktion", ließ sich Mario vernehmen. „Ich hoffe, Cliff provoziert diesen Admiral nicht zu sehr."

„Nur dann, wenn es uns gelingt, auf Laguna zu landen, kennen wir die Wahr-heit", meinte einer der Gardisten zur Überraschung der Mannschaft.

„Richtig. Wenn ich versuchen würde, die Bürgermeister oder den Planetaren Rat des Planeten mit Normalfunk zu erreichen, dann würde der verdammte Satellit vermutlich die Antennen zerstören, und gleichzeitig mit ihnen auch die Gebäude, auf denen die Antennen angebracht sind."

„Kurzum", sagte Arlene, „die Lage ist verfahren. Aber ich erkenne an Marios funkelnden Augen, daß er eine Möglich-keit sieht."

„Ja. Aber wir brauchen dazu die Mitwir-kung der kleinen Flotte dort hinten, und der Admiral macht mit Sicherheit nicht dabei mit. Der Versuch ist bekannt als antipodisches Manöver."

„Ich verstehe", schloß Hasso. „Werten

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wir noch ein wenig. In solchen Situationen ändert sich erfahrungsgemäß die Lage alle Stunden."

Vizeadmiralin Veever stützte sich schwer auf die Bildplatte. Sie war verwirrt und ein wenig verängstigt. Ihr Weltbild war abermals ins Wanken geraten. Was sollte sie tun? Das, was ihr während der letzten Stunde die Crew erzählt hatte, entsprach wohl der Wahrheit.

Wenn nicht nur auf der Erde, sondern an scheinbar sinnlos verteilten anderen Punkten der Milchstraße verschiedene, aber jedesmal außergewöhnlich gefährli-che Reste aus dem Kosmischen Krieg auftauchten, warum nicht auch hier?

Aber woher kam der Killersatellit, wenn er nicht von der Erde stammte?

Drei Schiffe waren beschädigt und fielen vermutlich für alle weiteren Operationen aus. Nach einigen Minuten, in denen Tatjana über alles nachgedacht hatte und noch immer unentschlossen war, sagte sie leise:

„Habe ich das Recht, unentschie-denzubleiben?"

Arlene dachte an Cliff und antwortete: „Vorläufig noch. Aber jenseits eines

bestimmten Punktes müssen Sie Partei ergreifen. Ich bin allerdings sicher, für wen Sie sich entscheiden werden, Admira-lin."

„Ich bin nur Vizeadmiralin", sagte Tatjana. „Und ich wünschte, ich wäre auf meinem Planeten geblieben."

„Mitgeflogen, mitgehangen", murmelte Hasso Sigbjörnson. „Ich bin sicher, daß die Gegenpartei auf der FLAME nicht ahnt, welche Zeitzünderbombe sie mit unserem Commander an Bord genommen hat."

Wie ganz richtig vermutet, änderte sich die Situation rasch. Admiral Mukdim-Khan dachte sich einen neuen Schachzug aus und führte ihn auch gleich durch.

*

Cliff lächelte zuerst den Jüngeren an,

dann nickte er McKinney zu und fragte schließlich:

„Habe ich Redeverbot, Admiral?" „Was wollen Sie sagen?" „Ich möchte einen Vorschlag machen.

Sie glauben an eine Teufelei der Erde. Ich glaube an eine echte Notlage der Lagu-naer. Wir alle wissen nicht, woher der Killersatellit kommt und was sein Zweck ist. Die Leute auf Laguna können uns die Wahrheit sagen, Warum fragen wir sie nicht?"

„Wie wollen Sie das machen, McLane?" „Zwei Verfahren. Erstens funken, zwei-

tens landen." Der Funker mischte sich ein und sagte,

als bäte er um Verständnis: „Wir haben es versucht. Sie antworten

nicht. Vermutlich hat man die Antennen zerstört, oder die terranische Besatzung hat sämtliche Funkgeräte beschlagnahmt."

Cliff schüttelte den Kopf und knurrte verblüfft:

„Das Zeitalter des Unglaubens scheint wieder hereinzubrechen. Meinetwegen, glauben Sie an eine Besatzung terranischer Raumstreitkräfte. Aber ich muß mich davon überzeugen. Ich habe einen Plan: wir täuschen in sicherer Entfernung eine wilde Serie von Angriffen auf den Satelliten vor. Er wird von den vielen Abwehrmaßnahmen verwirrt, und zwi-schenzeitlich können wir mit einer LANCET auf der antipodischen Seite zu landen versuchen. Wir müssen alle sicher sein, was überhaupt auf Laguna vorgeht. Übrigens sollten Sie mich entfesseln, Admiral, denn es ist nicht auszudenken, welche Scherereien Sie bekommen wer-den."

„In meinem Flaggschiff bestimme ich, was geschieht, ist das klar?" schrie Mukdim-Khan.

„Völlig klar. Es geht Ihnen wie mir", antwortete Cliff. „Nur binde ich Sie in der

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ORION nicht an den Stuhl." „Ihr Vorschlag", brummte der Admiral,

„wird abgewiesen. Sie wollen nur, daß die FLAME OF AUREOLA und sämtliche Würdenträger an Bord in die Gefangen-schaft Ihrer terranischen Kriegstreiber geraten. Laguna ist besetzt, und deshalb wollen Sie landen. Und auch noch mit einer LANCET, die sich nicht richtig ver-teidigen kann."

„War nur ein Vorschlag", sagte Cliff. „Und wie soll es jetzt Ihrer Meinung nach weitergehen? Wollen nicht die Vizeadmi-rale Vorschläge machen? Oder haben Sie, Khan, schon die Leitung sämtlicher Kolo-nieflotten übernommen?"

Wieder mußte sich Mukdim-Khan beherrschen, um Cliff nicht anzuspringen.

„Ich werde Ihnen gleich zeigen, wie es weitergeht", rief er. „Funker!"

„Sir?" „Ein Hyperfunkspruch über die Relais-

kette. Ich will die Stationen aller vierhun-dert Kolonialwelten erreichen. Wie lange brauchen Sie?"

„Drei Minuten, Sir!" „Sie schaffen es in zwei Minuten. Los!" Lojos Minvari hob die Hand und näherte

sich mit einigen schnellen Schritten dem Funkpult. Der junge Mann schien sich endlich entschlossen zu haben, etwas zu unternehmen. Blinzelnd sah ihm McKin-ney zu.

„Halt, Admiral Mukdim-Khan. Der Fall ist keineswegs so akut, daß vierhundert Regierungen alarmiert werden müßten. Sie denken offensichtlich in zu großen Dimensionen."

Der Funker arbeitete ruhig weiter. Ir-gendwie, fand Cliff, machten die Besat-zungsangehörigen des Schiffes den Eindruck, als würden sie lieber unter einem ganz anderen Kommando fliegen. Aber keiner wagte es, seinen Mißmut offen zu zeigen. Natürlich waren außer McKinney und Minvari alle anderen Männer wuchtige Gestalten vom Planeten

Aureola, in Uniformen von hartem, militä-rischen Schnitt gekleidet.

„Was wollen Sie eigentlich erreichen?" erkundigte sich der Mann in der weißen Uniform.

„Soweit die Kolonieregierungen Flotten haben, sollen sie die Schiffe schnellstens hierherschicken. Wir können ein gemein-sames Oberkommando bilden und dann den Planeten von der terranischen Herr-schaft befreien."

Cliff stimmte ein überaus herzliches Lachen an. Wütend drehte sich der Admiral herum und funkelte Cliff an.

„Natürlich ein Oberkommando, das Sie leiten, Admiral."

„Sie sind nicht gefragt!" schnappte Khan. Der Vizeadmiral der kleinen Flotte Gelderns machte einige beschwichtigende Bewegungen.

„Sie können nicht einfach über unsere Köpfe hinweg entscheiden", sagte er mit einer Stimme, die fest und kompromißlos klingen sollte. Selbst Khan merkte, daß sein Partner unsicher war. Aber Khan durfte seine Vertrauten nicht verärgern, weil sie schließlich seine Vasallen werden sollten.

„Das wollte ich auch nicht. Aber jemand muß schließlich handeln und es der Erde zeigen, daß wir uns nicht alles bieten lassen."

Cliff erklärte überzeugend: „Wenn die Kolonien Ihnen glauben, daß

Laguna von Terra besetzt ist, dann werden sie sich hüten, auch nur mehr als eine altersschwache LANCET zu schicken. Die meisten Kolonien haben nämlich Grund zu der Annahme, daß sich die Erde gegen einen ihr von Ihnen, Khan, aufgezwunge-nen Krieg sehr schnell und ebenso energisch wehren wird. Dann haben Sie sich lächerlich gemacht und trotzdem keinen Erfolg gehabt. Rufen Sie die Flotte von Aureola. Da dort alle Raumfahrer so kühn sind, wird es Ihnen ein leichtes sein, den Satelliten und Laguna zu erobern, zu

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befrieden oder was auch immer." „Der Commander hat ziemlich recht!"

unterstützte Lojos Minvari Cliff nach-drücklich.

„Meistens wenigstens", knurrte McLane. „Wenn Sie laut und deutlich über Hyper-raumfunk verkünden, die Erde habe eine neuartige Fernwaffe, mit der sie reihen-weise Planeten versklavt, besonders so arme Kolonien wie Laguna, dann erleben Sie eine Erschütterung des Hyperraums durch ein hundertfaches Gelächter."

„Was Geldern betrifft, muß auch ich den Commander unterstützen. Außerdem sollten Sie ihn wirklich von seinen Fesseln befreien."

„Sicher ist sicher. Also werde ich die Regierungen nur von dem Tatbestand informieren und keinerlei Spekulationen aussprechen."

„Das können Sie tun, Admiral." Der Funker war schon bereit. Der Admi-

ral nahm das Mikrophon und starrte McLane an, während er sprach. Er schilderte ziemlich wahrheitsgetreu die Vorfälle der letzten Stunden und erwähnte, daß McLane ihn davon zu überzeugen versuche, daß die Erde den Planeten Laguna nicht annektiert habe.

Erschloß: „Ich befehle der Flotte von Aureola,

hierherzukommen. Wir werden diesen Fall allein untersuchen und lösen."

„Ende?" „Jawohl. Und jetzt wird mir gleich etwas

einfallen", sagte der Admiral und rieb sich die Hände. „Zufrieden?"

Die beiden Männer nickten. Plötzlich fiel Mukdim-Khan ein, daß es noch einen dritten Vizeadmiral gab. Er warf Cliff abermals einen irritierten Blick zu, fuhr herum und blickte auf den großen Bild-schirm. Flüchtig zählte er die Echos und die Bilder der nächststehenden Diskus-schiffe. Schließlich bemerkte er am äußersten Rand der Bildplatte einen Punkt, der sich rasend schnell entfernte.

Er schrie wütend auf. „Die ORION! Wo ist sie? Sie flüchtet ...

dort hinten. Oder ist es ein anderes Schiff?"

Aus den Lautsprechern kam sofort die Antwort.

„Nein. Hier spricht Mario de Monti, Stellvertretender Kommandant der ORION. Wir haben uns eine eigene Mission ausgesucht. Wir hoffen, wenn wir in Kürze zurückkommen, unseren Com-mander heil und in bester Laune vorzufin-den."

„Admiral Veever! Sie sind überwältigt worden ..."

Ein Klicken unterbrach die Verbindung. Cliff hatte eine solche oder ähnliche Entwicklung voraussehen müssen. Was plante Mario wirklich?

Der Admiral schäumte förmlich vor Wut. Nur die Anwesenheit der beiden Beobachter hielt ihn davor zurück, sich auf den wehrlosen Commander zu stürzen. Einige Sekunden lang überlegte der Aureolaner, dann stieß er hervor:

„Ihre Crew hat unser Prisenkommando überwältigt. Vermutlich ist Tatjana tot oder verletzt! Und jetzt flüchten Ihre Leute und lassen Sie feige im Stich!"

„Es steht Ihnen frei, die ORION zu verfolgen", empfahl Cliff noch immer ruhig.

„Genau das werde ich tun! Funker!" Die Aufforderung war unnötig gewesen;

noch immer waren sämtliche Kanäle auf der Korrespondenzfrequenz geöffnet. Die elf anderen Kommandanten hörten mit. Schon jetzt löste sich der erste Kreuzer aus dem weit auseinandergezogenen Verband.

„Holt die ORION ein! Und wenn es nicht anders geht, vernichtet das Schiff! Schnell! Zeigt es ihnen, Kommandanten."

Vermutlich, dachte Cliff, versuchte Mario dasselbe, was er auch getan hätte. Verwirrung und Chaos, Zerstreuung der Flotte und Ablenkung des Satelliten und seiner technischen Einrichtungen - und

Page 28: Der Killersatellit

dann die Landung auf der Rückseite, genauer: der dem Satelliten gegenüberlie-genden Hemisphäre des Planeten.

Aber ... der Satellit würde ein Objekt dieser Größe ohne Schwierigkeiten entdecken und vernichten.

Das zweite Schiff beschleunigte und raste schräg auf Laguna zu, hielt sich aber in sicherer Entfernung vom Killersatelli-ten. Der Admiral packte die Schultern seines Piloten und zog ihn aus dem Sessel, warf sich selbst hinein und griff nach den Hebeln der manuellen Steuerung.

Jetzt heulten die Maschinen der FLAME OF AUREOLA auf. Das Schiff, der gleiche Typ wie die ORION, nur nicht so modern, ruckte an und beschleunigte. Wie gebannt starrten McKinney und Minvari auf den Bildschirm. Sie versperrten Cliff die Sicht, so daß er nicht sah, welche Manöver Mario mit dem Schiff ausführte und wie sich die Verfolger verhielten.

„Die drei Havaristen bleiben hier. Schont eure Maschinen und versucht, die Zerstörungen auszubessern!" schrie der Admiral. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt.

„Verstanden, Raumadmiral!" kam es dreimal aus den Lautsprechern.

Die Verfolgung der ORION durch insgesamt neun Raumschiffe durch das Gebiet zwischen den Sonnen, auf der Bahnkurve von Laguna, durch die ziellos dahintreibenden Trümmerstücke, vorbei am Killersatelliten und auf beiden Seiten des Planeten hatte angefangen. Cliff kauer-te in dem Sessel und versuchte, aus den Reaktionen der wie besessen arbeitenden Männer zu erkennen, wie die Jagd stand.

Als der Admiral zwei der Gardisten in die Werferkammern schickte, schien die Lage für die ORION hoffnungslos zu werden.

6. Hasso Sigbjörnson verzog schmerzhaft

das Gesicht, als er spürte, welchen Belastungen Mario die Maschinen der ORION aussetzte. Wie ein Lichtstrahl raste die ORION Neun in einer weit ausgezogenen Kurve auf einen imaginären Punkt weit jenseits des Planeten zu. Unwillkürlich klammerte sich jeder an Bord fest. Ununterbrochen loderten und blitzten die Schirme auf; Partikel des Weltraums schlugen ein und verglühten.

„Etwas weniger dramatisch, Mario!" bat Hasso.

„Geht nicht anders. Für das, was wir vorhaben, brauche ich Lichtge-schwindigkeit - und das sehr schnell."

Atan rief: „Es funktioniert. Das erste Schiff löst

sich aus der Halteposition. In Kürze wird der Admiral zu toben anfangen!"

Tatjana schluckte und ließ sich von einem ihrer Gardisten in den Raumanzug helfen. Die Crew hatte die Leute von Tareyton überzeugen können, hauptsäch-lich deswegen, weil sie sich überzeugen lassen wollten.

„Und wenn wir nicht recht haben .. .", murmelte einer der Männer von Tareyton unschlüssig.

„Dann bekommen Sie auf Terra Asyl. Aber Sie können ganz sicher sein, daß kein einziger Raumsoldat auf Laguna zu finden ist und daß diese grünbläuliche Schüssel nicht von der Erde stammt."

Tatjana lächelte ihn an, er hob die Schul-tern und vergaß seine Skrupel. Er beschäf-tigte sich weiter mit den breiten Ver-schlüssen an Tatjanas Raumanzug.

Dann donnerte die aufgeregte Stimme des aureolanischen Admirals durch die Kanzel. Mario antwortete, ohne die Hände von den Hebeln und Reglern der Steue-rung zu nehmen. Der Autopilot war ausgeschaltet, der Computer arbeitete summend, und Mario begann zu schwit-zen. Er hoffte, keinen einzigen Fehler zumachen.

„Da! Das Werkzeug des Rudraja!" sagte

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Arlene plötzlich. Auf dem Schirm sahen sie es deutlich.

Eines der Verfolgerschiffe war dem Satelliten um einige tausend Kilometer zu nahe gekommen und wurde von Serien schneller Lichtblitze beschossen. Aber es schien keinen Treffer zu geben. Das Schiff änderte in einem gewagten Winkel seinen Kurs und entfernte sich auf dem anderen Ast der Hyperbel wieder von dem Killersatelliten.

„Das Ding schaltet unheimlich schnell!" flüsterte bewundernd der Astrogator.

„Stichwort schaltet schnell!, erinnerte die Funkerin. „Hat einer von uns schon daran gedacht, daß dieser Satellit vielleicht ein vollcomputerisiertes Gerät sein könnte, das ein Programm abwickelt?"

„Nein. Verschieben wir die Gedanken. Hasso, Arlene, Vizeadmiralin ... bereit für die LANCET?" fragte Mario.

„Noch nicht ganz." „Können Sie eine LANCET absolut

sicher und auf Zuruf starten und hundert-prozentig dafür sorgen, daß die Startanlage wieder verschlossen wird?" fragte Mario weiter und deutete auf einen der Gardisten, die offensichtlich fasziniert vom perfekten Zusammenspiel der Crew waren.

„Ich denke schon!" „Ich will nicht wissen, was Sie denken!

Ja oder Nein ? Es geht unter anderem um das Leben Ihrer Admiralin!"

„Ich bin noch immer nur Vizead-miralin", widersprach Tatjana und sicherte die Waffen in den Taschen des silberfar-benen Raumanzugs.

„Ja." „Dann sind Sie verantwortlich für die

Ausschleusung. Atan ... fünf Prozent unter Lichtgeschwindigkeit, Ab jetzt fliege ich Kurse und Kurven mit engsten Radien. Festhalten, festschnallen und so weiter. Klar?"

Mario blinzelte. Der Schweiß lief durch die Brauen in seine Augen.

„Meine Maschinen! Ich werde sie als

geschmolzenen Schrott wiedersehen", sagte Hasso.

Zwei der Schiffe feuerten hinter der ORION her. Es war mehr ein halbherziger Versuch, Eifer und Schnelligkeit zu demonstrieren; ein Könner in der Ziel-kammer hätte nicht einmal einen Gedan-ken angesichts der Entfernung und der Ge-schwindigkeit daran verschwendet. Die Laserstrahlen kreuzten sich irgendwo in unschädlicher Verdünnung ihrer sonst vernichtenden Energie.

„Achtung!" sagte Mario heiser. Die ORION glitt, sich leicht schüttelnd,

in den Hyperraum. Augenblicklich führte der Erste Offizier eine beängstigend harte Kursänderung durch. Mario flog eine enge Aufwärtskurve nach links, drückte abermals einen Schalter und schlüpfte weit im Rücken der Verfolgerschiffe, mehr als eine Astronomische Einheit von Laguna entfernt, wieder in den Normalraum zurück.

„Bravo!" kommentierte Atan. Das Schiff wurde mit fast voller Licht-

geschwindigkeit in eine weite Kurve gesteuert. Für die Verfolger war der Nachvollzug eines solchen Manövers sinnlos, und bevor sie gewendet hatten und die Verfolgung wieder aufnehmen konnten, befand sich die ORION an einem anderen Ort, den niemand vorausbestim-men konnte. Allerdings vermochte auch Mario nicht genau zu sagen, wo das Schiff wieder auftauchte. Er durfte immer nur kurze Zeit im Hyperraum bleiben.

„So!" sagte er. „Einige Minuten Ruhe. Atan - wenn wir während eines solchen Manövers hinter dem Planeten, von dem Satelliten aus gesehen, auftauchen, höre ich vor allem anderen deine Ansage. Verstanden?"

„Astrogator an Stellvertretenden Kom-mandanten: verstanden", murmelte Atan in falscher Fröhlichkeit.

„Die LANCET-Besatzung in LAN-CET-Schacht Eins!" kommandierte Mario

Page 30: Der Killersatellit

weiter. „Alle Nachrichtengeräte einschal-ten. Mit ihnen halte ich Verbindung über die Bordkommunikation. Hasso ist am Steuer, nicht wahr?"

Die drei Raumfahrer, die das Abenteuer einer Blitzlandung mit dem Beiboot riskierten, befanden sich voll ausgerüstet in den getesteten Raumanzügen. Alles, was sie an Ausrüstung brauchen würden -unter anderem einen transportablen Hyperfunksender -, befand sich bereits im Beiboot Nummer Eins. Hasso und Arlene hatten gründliche Arbeit geleistet.

„Ja. Ich werde das Ding schon sicher herunterbringen. Ich brauche rund dreißig Sekunden Vorgabe, aber das weißt du ja. Kommt, Freunde."

Arlene nahm Tatjana an der Hand und zog sie mit sich. Der kleine Lift brachte die vier Leute in den oberen Teil des Diskus. Die LANCET wurde besetzt, die Raumfahrer gurteten sich an, breiteten die Karten von Laguna aus und machten das Beiboot startklar. Der Gardist zog sich in die Kammer zurück und legte einige Reihen Schalter um. Mehrere Monitoren flammten auf und zeigten Bilder von Mario, dem Kanzelinnern und dem Weltraum. Durch eine raumsichere dicke Scheibe sah der Gardist direkt vor sich die LANCET und hinter deren halbkugeligen Bullaugen die drei wartenden Personen.

„Mut haben sie, alle drei...", murmelte er anerkennend und schaltete Mikro und Lautsprecher ein. Er spürte ein Zittern, der Monitor Nummer drei erlosch und zeigte ein wallendes, stumpfes Grau.

Wieder war die ORION im Hyperraum.

* Etwa eine Stunde lang, in insgesamt

siebzehn Sprüngen, hetzte Mario die Verfolger kreuz und quer durch die weiten Grenzen dieses Sonnensystems. Immer wieder kamen die Schiffe des Admirals dem Satelliten nahe, wurden beschossen

und flüchteten. Einige rasten im Zickzack und in Lichtgeschwindigkeit zwischen Planet und Satellit hindurch, und schließ-lich schrie der Kybernetiker:

„Achtung. Ich bremse. Wir sind auf der Rückseite Lagunas!"

Gleichzeitig begann die ORION wild zu vibrieren. Hasso aktivierte die Maschinen der LANCET und verständigte sich durch mehrere Gesten mit dem Gardisten.

„Ich bin bereit!" erklärte der Mann. „Verstanden." „Noch zwanzig Sekunden mit diesem

Wert bremsen. Kurs um vierzehn Strich nach Sektor Beta Grün ändern", sagte Atan Shubashi klar und deutlich. „Noch vierzehn... zehn ... fünf ... drei, zwei, eine Sekunde. LOS!"

Der Gardist drückte den ersten Knopf, fast gleichzeitig den zweiten. Die stählerne Irisblende sprang auseinander, die Treibladung schob die LANCET in den Führungsschienen wie ein Geschoß aus der ORION hinaus, dann sagte Hasso:

„Ausgezeichnet freigekommen!" Der dritte Knopf schaltete die Be-

leuchtung und die Antigravanlage aus, der vierte verschloß das Schiff. Alle vier Anzeigefelder blinkten in beruhigendem Grün. Der Gardist atmete aus und sagte:

„Ausschleusungsvorgang ordnungsge-mäß beendet. LANCET im Weltraum, Schiff sicher abgeschlossen."

„Danke, verstanden. Kommen Sie bitte wieder zu uns herunter."

„Alles klar." Die ORION raste weiter. Linsen richte-

ten sich genauer ein. Die LANCET kam als deutliches Echo auf die Bildschirme. Die angemessenen Energien bewiesen, daß Hasso die LANCET kühn auf den Kopf gestellt und sämtliche Triebwerke auf Volllast geschaltet hatte. Das Beiboot raste senkrecht auf die blaue Oberfläche des Planeten hinunter. Zufällig befand sich die ORION in der Zone der Tag- und Nacht-grenze.

Page 31: Der Killersatellit

„Hasso?" Mario wartete mit gerunzelter Stirn auf

die Antwort. Jetzt verkehrten sie auf einer so selten benutzten Frequenz, daß die Gefahr der Entdeckung abermals geringer wurde.

„Alles klar. Ich versuche, möglichst schnell hinunterzukommen. Alle Systeme arbeiten einwandfrei."

„In Ordnung. Wir funken euch an, verhaltet euch möglichst still, und nach jedem Funkkontakt bitte den Sendeort wechseln."

„Langweile mich nicht", war die Aus-kunft. „Ende und Aus."

Klick. Wieder schob Mario sämtliche Fahrthebel nach vorn, änderte die Flug-richtung und blieb möglichst lange im Sichtschatten des Planeten. Noch immer war der Killersatellit nicht hinter der Krümmung der Planetenoberfläche aufge-taucht. Aber die Schiffe beziehungsweise deren Echos schwirrten im System umher wie Motten vor einer Glühbirne. Als die ersten Impulse auf Atans Schirmen zu sehen waren und sich die Schüssel hinter Laguna hervorschob, sprang die ORION wieder zurück in den Schutz des Hyper-raums und entfernte sich in eine Richtung, in der keinerlei Gefahr des Kollidierens bestand.

„Wir haben erstens eine Pause verdient, zweitens werden uns Khans Schiffe nicht folgen, nicht so weit jedenfalls, und drittens bleiben wir an einer Stelle, an der wir so gut wie unsichtbar und trotzdem handlungsfähig bleiben", sagte Mario.

Die Crew hatte nicht mehr gesehen, daß der Killersatellit einen wahren Hagel von verschiedenfarbigen Strahlen hinter ihnen herfeuerte.

Aber in der Nacht und im Gebiet, wo es langsam Morgen wurde, „unten" auf Laguna, sahen die Kolonisten und die fluchenden Frachterkommandanten seltsame Lichterscheinungen zwischen den Sternen.

Die Kolonisten waren von jeder Art der Information abgeschnitten; niemand konnte sich erklären, was diese Flammen-bahnen in verschieden leuchtenden Farben zu bedeuten hatten. Rund drei Millionen Menschen arbeiteten nach den An-weisungen des Killersatelliten.

Sie waren über Nacht zu Sklaven ge-worden.

*

„Solange wir nicht auf dem sicheren

Boden stehen oder wenigstens schwim-men, kann uns der Satellit ausmachen und vernichten", sagte Hasso.

Die LANCET stürzte sich jetzt nicht mehr kopfüber dem Planeten entgegen, sondern war um hundertachtzig Grad gedreht worden, so daß die Wasserflächen und die Inseln unter den Sohlen der Raumfahrerstiefel auftauchten.

Drei gelbe Kabel steckten in einem winzigen Kasten. Man sprach über kabelgebundenen Funk miteinander. Ein offenes Funkgespräch wäre verräterisch gewesen wie eine riesige Metallmasse. Hasso hatte sämtliche Parameter beachtet und steuerte jetzt das Beiboot zwar lang-samer, aber in derselben Richtung, wie sich der Satellit bewegte, nämlich von Westen nach Osten - grob ausgedrückt. So gewann oder besser hielt er den Vor-sprung. Bis zur Landung sollte sich die Masse des Planeten zwischen dem Satelliten und der LANCET befinden und das Beiboot unsichtbar machen.

Noch funktionierte das gewagte Unter-nehmen. Hasso versuchte auch nicht zu orten, denn die Impulse würden wie ein Feuerleitstrahl wirken.

„Abstand?" „Siebzig Kilometer. Wir sind schneller

als Freier Fall." „Danke. Verdammt schnell!" „Nichts zu sehen vom Killersatelliten!" Vielleicht würde er, wenn er aus der

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Nachtseite Lagunas heraustrat, einen blinkenden Reflex werfen - so wie die LANCET jetzt, aber nicht für das freie Auge. Die Indikatoren zeigten die ersten schwirrenden Gaspartikel an. Noch flogen sie ungebremst, schräg und schnell auf die Inseln zu.

„Weiß jemand, wo wir sind?" fragte Hasso und umklammerte die Steuerhebel. Sie würden in wenigen Minuten zu rütteln beginnen.

„Etwa hier!" Arlenes Handschuhfinger deutete auf

eine Stelle weit westlich der Insel, die als Raumhafen genannt war. Rechts davon, also südlich, lag New Venice, angeblich die wichtigste Stadt.

„Kann sein, daß wir dort irgendwo herunterkommen", meinte Hasso.

Sie warteten schweigend. Immer wieder starrte Tatjana aufwärts und nach Westen. Nichts geschah, nichts schoß hinter ihnen her. Unter ihnen wurde es heller und heller, und die Pracht des Sonnenaufgan-ges verwandelte die Landschaft und blen-dete in den Augen. Je tiefer sie kamen, desto diffuser wurden Licht und Farben. Irgendwann später sagte Arlene:

„Zwanzigtausend Meter." „Noch immer verdammt hoch. Ich

verringere den Winkel. Macht euch auf alle Fälle auf eine Gewaltlandung gefaßt!" sagte Hasso.

Durch das relativ dünne Material der Hülle hörten Tatjana, Arlene und Hasso das Gurgeln und Winseln der ersten atmosphärischen Spuren in nennenswerter Konzentration. Hinter dem Boot konden-sierten die Partikel zu einem dünnen, aber deutlich sichbaren Streifen. Hasso ließ die Bremstriebwerke kurz aufheulen und spürte, wie die LANCET mehr sank als glitt. Das Heulen wurde stärker und schauriger, je tiefer sie kamen. In wenigen Minuten erreichten sie die wirklich dichten Luftschichten.

„Der Satellit?"

„Noch nichts zu sehen. Aber ich bin sicher, daß wir ihn jetzt nicht mehr erkennen würden."

Eineinhalbtausend Kilometer waren eine beachtliche Entfernung. Das kleine Ortungsinstrument würde die riesengroße Masse des Satelliten exakt erfassen können, aber sie dachten nicht daran, es zu riskieren. Leise und stockend fragte Tatjana:

„Sind Sie sicher, Sigbjörnson, daß Sie die LANCET gut landen können?"

„Ja", erklärte Hasso beruhigend. „Wenn uns nicht der Killersatellit in letzter Sekunde einen Strich durch die Rechnung macht."

Menschliche Besatzungsmitglieder würden sich vermutlich weiterhin durch die Verfolgerschiffe ablenken lassen. Da Hasso seinerseits einigermaßen sicher war, daß der Satellit zumindest weitgehend aus Computern und Rechnern bestand, konnte der Ingenieur ebenso sicher annehmen, daß sich die Maschinen nicht ablenken lassen würden. Sie mußten praktisch die LANCET entdecken, solange sie noch in der Luft war. Aber er hütete sich, die beiden jungen Frauen damit zu beunruhi-gen.

„Elf Kilometer!" Jetzt wuchs das Heulen und Kreischen

um das Beiboot zu einem Geräuschorkan an. Die Konstruktion begann zu vibrieren. Hasso beobachtete unausgesetzt die wenigen, für die Landung wichtigen Instrumente.

Zwischen Geschwindigkeit, Fallwinkel und der Energiemenge für die Bremsma-növer mußte innerhalb sehr enger Grenzen eine präszise Übereinstimmung bestehen. Hasso kannte die einzelnen Werte genau, und immer wieder dröhnten die Maschinen auf.

„Neuntausend!" „Achttausend!" Die gelbe Sonne schob sich über den

Horizont und strahlte immer wieder

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blendend in die LANCET hinein. Hasso klappte das Visier herunter und schaltete den Flüssigkristallfilter ein. Wieder wurde die LANCET scharf abgebremst, der Sturzwinkel änderte sich abermals.

„Sechstausend." Unter ihnen lag das sonnenüberstrahlte

Meer. Die Wellen, von hier nur als Muster zu erkennen, bildeten langgezogene Strukturen. Sie wurden nur unterbrochen von den weißen, unregelmäßigen Bran-dungswellen, die an den Inselstränden ent-standen. Winzige, unbewohnte Inselchen tauchten auf und schienen unter dem Beiboot vorbeizurasen. Dann schob sich wie ein gekrümmter Zeigefinger eine große Insel heran.

Arlene deutete auf die klar erkennbare Formation und sagte:

„Wir sind jetzt etwa zweihundert Kilo-meter von New Venice entfernt. In gerader Linie; meinst du, daß wir es bis dorthin schaffen?"

„Möglich!" sagte Hasso und bewegte die Hebel der Steuerung. Immer wieder fauchten die Triebwerke auf. Jetzt mußten sie fast schreien, um sich verständlich machen zu können. Viertausend Meter betrug der Abstand bis zum Boden.

„Macht die Notausrüstung klar!" sagte Hasso nach einigen Minuten. Dröhnend und stark vibrierend jagte das Beiboot in dreitausend Metern Höhe auf die ferne Insel zu. Es war ein Zufall, daß sie gerade diesen Winkel auf dieser Hemisphäre ein-geschlagen hatten, aber selbstverständlich ein solcher Zufall, der von ihnen sehr begrüßt wurde.

„Cliff ist noch immer in der Gewalt dieses kraftstrotzenden Admirals", sagte Arlene laut. „Dort vorn, seht! Es sind Schiffe oder Lastkähne."

„Kann nur bedeuten, daß die Lagunaer weiterhin arbeiten und nicht ernsthaft gefährdet worden sind."

Tatjana rief: „Was werden sie sagen, wenn wir lan-

den?" „Mit einiger Sicherheit sind sie froh

darüber, denn sie haben ja die Erde um Hilfe gerufen", erklärte Hasso und schob den Bremshebel ganz weit nach vorn. Die leuchtenden Zeichen und Buchstaben des Höhenmessers standen bei Zweitausend.

„Und warum behauptet dann Admiral Mukdim-Khan, daß es hier von terrani-schen Raumtruppen wimmelt?"

„Weil es vermutlich in sein Konzept paßt. So, Schluß mit der Unterhaltung. In kurzer Zeit setzen wir auf."

Die Insel und die schwimmende Stadt tauchten direkt voraus auf. Kubische Gebäude in vielen hellen Farben, schwimmende Riesentröge voller Ge-wächshäuser und offenen Gärten mit winterfesten Erdbäumen, sich sanft bewegende Hafenanlagen, teilweise an wuchtigen Grundkonstruktionen verankert, teilweise auf der Insel befestigt oder schwimmend. Noch sahen die drei Raumfahrer nichts, das auf Krieg, Überfall oder Zerstörungen hindeutete. Sie zogen die Gurte nach und aktivierten die ver-schiedenen aktiven Rettungsanlagen. Das Lärmen der rasenden Luftmassen hatte nachgelassen, aber jetzt heulten die Maschinen wie wild.

„Wir schaffen es", rief Hasso. Die Fluglage der LANCET stabilisierte

sich. Wie die Kiefer einer geöffneten Zange schoben sich die Ränder der Stadt dem Beiboot entgegen. Die Raumfahrer schwiegen und bereiteten sich auf einen schweren Aufprall vor. Der Killersatellit schien sie nicht bemerkt zu haben. Oder aber er schlug mit seinen Laserstrahlen jetzt noch zu, in dreihundert Metern Höhe und zwei Kilometern Abstand vor den ersten Bauwerken von New Venice. Die LANCET war noch zu schnell. Sie raste in einem Winkel von dreißig Grad auf das Wasser vor der Stadt zu, dorthin, wo undeutlich irgendwelche Hafen- oder Entladeanlagen zu erkennen waren. Hasso

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bremste mit der vollen Kapazität sämtli-cher Triebwerke. Die drei Raumfahrer verkrampften sich und warteten auf den Moment des Aufpralls.

„Bodenschleuse auf!" sagte Hasso scharf.

Arlene kippte einen Schalter und lehnte sich zitternd zurück.

7. Die Müdigkeit steigerte die Gereiztheit,

die nervösen und wütenden Männer machten mehr und mehr jener winzigen Fehler, die addiert sich zu einer Katastro-phe entwickeln konnten. Nach zweistündi-gen Versuchen, die alle Schiffe kreuz und quer durch das System gehetzt hatten, gab die FLAME OF AUREOLA zuerst auf. Eine Unmenge rasend schnell aufeinander-folgender Sprünge mit Lichtgeschwindig-keit in den Hyperraum, die Versuche, unterhalb dieser Grenze zu operieren und die ORION zu fangen oder raumflugunfä-hig zu schießen, einige Beinahe-Zusammenstöße, einige Gefechte bezie-hungsweise Angriffe; der Killersatellit hatte jedes Raumschiff, das sich auch nur vorübergehend in seine Nähe wagte, mit den bekannten Strahlen angegriffen.

Raumadmiral Marcel Ch. Mukdim-Khan befand sich vor der endgültigen Detonati-on. Er kochte. Sein Gesicht war kalkweiß und schweißüberströmt. Er saß erschöpft im Kommandantensessel und sah ein, daß der Erste Offizier der ORION viel besser war als der Kommandant eines Flagg-schiffs. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte er sich um und winkte seinen Gardisten.

„Macht ihn los!" Cliff zuckte die Schultern und ant-

wortete: „Verbindlichen Dank, Admiral. Was hat

Ihren plötzlichen Sinneswandel herbeige-führt?"

„Es ist Nachsicht und Großzügigkeit.

Außerdem haben Sie selbst miterlebt, wie es uns ergangen ist. Der Verband ist zerstreut, einige Schiffe sind angeschla-gen, und dieses verdammte Ding rast weiter im Orbit um Laguna."

„Denken Sie im Ernst immer noch, daß dieser Satellit ein Erzeugnis der terrani-schen Waffenschmiede ist?"

„Ja. Natürlich. Es ist nicht anders denk-bar. Und Ihr famoser Erster Offizier hat alles unternommen, um uns in die Nähe des Killersatelliten zu bringen."

„Das ist nicht wahr", sagte Cliff, diesmal sehr ernst und ohne jede Spur von Ironie. „Der Satellit ist plötzlich aufgetaucht. Ich habe Ihnen allen berichtet, was wir in den letzten Monaten erlebt haben. Ich bin sicher, habe allerdings keine Beweise dafür, daß es ein verirrtes Überbleibsel des Kosmischen Krieges ist."

„Ich kann Ihnen sehr genau sagen", flüsterte Mukdim-Khan heiser vor Haß und Wut, „was Sie mit Ihrem Kosmischen Krieg tun können."

„Was immer Sie vorschlagen, es wird nicht funktionieren", sagte Cliff. „Es ist kein Erzeugnis der Erde."

„Und die ORION? Ihr Schiff? Ihr Stell-vertreter hat alles unternommen, um uns in tödliche Gefahr zu bringen."

Harold McKinney schüttelte den Kopf und sagte mit Entschiedenheit: „Sie haben befohlen, Admiral, daß die ORION verfolgt werden soll. Sonst niemand. Für die demolierten Schiffe tragen Sie allein die Verantwortung, Admiral. Versuchen Sie nicht, die Schuld dem Commander in die Stiefel zu schieben."

„Aber! Aber!" rief der Admiral. Er schaltete blitzschnell. Er hatte erkannt, daß Widerstand unter seinen zukünftigen Verbündeten ausbrechen konnte. Ein Umstand, der zu vermeiden war. „Ich habe nur meine unausgegorenen Gedanken zu laut ausgesprochen."

„Beim kreiselnden Asteroiden", warf Cliff ein und gähnte. „Mein Wort. Das

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haben Sie!" Er wartete, bis die Gardisten die Fesseln

mit Hilfe eines einfachen Kodeschlüssels geöffnet hatten. Dann rieb er sich demon-strativ die Handgelenke, gähnt ein zweites Mal und erklärte:

„Danke. Die ORION hat sich lediglich nachdrücklich zurückgezogen. Wie wir alle sahen, mit Erfolg. Ich kenne meine Mannschaft, und ich weiß, daß über alles Vorgefallene sehr genau in Richtung Erde hypergefunkt wird. Was halten Sie da-von?"

„Nichts!" sagte Mukdim-Khan wahr-heitsgetreu.

„Recht so", meinte der Commander. „Und welche Überlegungen foltern Sie jetzt, Admiral?"

„Lediglich die Überlegung, was wir tun, bis die Flotte von Aureola hier ankommt und uns in unserem Freiheitskampf hilft."

„Ich schlage vor, wir erholen uns, nach-dem sich die traurigen Reste der Flotte hier in diesem Teil des Weltraums gesammelt haben", sagte Minvari. Cliff freute sich, erkennen zu müssen, daß beide Beobachter nunmehr voller Mißtrauen und Skepsis waren, was Khan betraf. In weniger als vierundzwanzig Stunden, schätzte er optimistisch, würden sie erkennen, daß ihre Skepsis berechtigt gewesen war.

Er stand auf und bewegte seine Arme und Schultern.

Aus dem Augenwinkel sah er, daß der Funker unruhig wurde. Der gedrungene Mann hatte die riesigen gedämpften Kopfhörer über den Ohren, schob jetzt den Bügel in den Nacken und sagte:

„Admiral! Die STROMBOLI NOVA meldet sich. Sie hat eine interessante Beobachtung gemacht und will Ihre Stellungnahme dazu hören."

„Durchschalten!" schnarrte Mukdim-Khan.

„Selbstverständlich." Cliff erinnerte sich, daß bei der verrück-

ten Jagd nach der ORION mehrere Schiffe in rasender Geschwindigkeit zwischen dem Killersatelliten und dem Planeten Laguna vorbeigeflogen waren. Er massier-te weiter seine Handgelenke und wartete geduldig ab. Im Augenblick sorgte schon die Erschöpfung der gesamten Besatzung dafür, daß die Lage einigermaßen ent-spannt war.

„Admiral? Hier spricht Vilyom von Bord der STROMBOLI NOVA. Wir haben sehr seltsame Signale aufgefangen."

Der Admiral zuckte zusammen. Sein Gesicht färbte sich dunkelrot, und er stieß hervor:

„Dann reden Sie nicht darüber, Mann, sondern sagen Sie uns, was los ist! Welche Signale? Woher stammen sie? - Kommen sie von den Raumtruppen, die Laguna besetzt halten? Reden Sie endlich!"

Cliff lachte kurz. „Sie machen mit einer bewunde-

rungswürdigen Perfektion wirklich alles, was Sie falsch machen können, so gründlich falsch, daß es schon fast unbegreiflich ist."

Jetzt explodierte Mukdim-Khan. Er klammerte sich an seinem Kom-mandantensessel fest und schrie heiser:

„Halten Sie den Mund, Commander! An Bord meines Schiffes haben Sie mir nichts zu sagen. Funker! Überspielen Sie die Signale. Schnell, sonst stehen Sie vor einem Disziplinargericht."

Ein kosmischer Choleriker, dachte Cliff zugleich beruhigt und beunruhigt. Beru-higt deswegen, weil er mit instabilen Charakteren besonders leicht und problem-los verfahren konnte, und beunruhigt, weil gerade diese explosiven Menschen höchst unberechenbare Reaktionen zeigten.

„Sofort, Admiral", erwiderte der Funker unterwürfig, aber in einem Tonfall, der dem Kenner verriet, daß er mehr als wütend war. „Band läuft ab."

Etwa fünfzehn Minuten lang herrschte Schweigen. Das Raumschiff überspielte

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die Impulse, die während des Durchfluges aufgenommen worden waren. Als Cliff das Zählwerk anblickte, registrierte er, daß die Sendung genau dreizehn Minuten zehn Sekunden dauerte. Auf einem Kontroll-monitor erschienen die übermittelten Bilder, und die Lautsprecher gaben eine Mischung zwischen Programmusik und Geräuschkulisse wieder, die lebhaft an die akustische Untermalung eines jener drastischen, aber leicht verständlichen Zeichentrickfilme erinnerte, die Cliff in seiner frühesten Jugend so sehr bewundert hatte.

„Hm", machte Cliff, als der Schirm wieder hell wurde. „Nunmehr ist für mich alles klar. Die von Ihnen definierten Raumtruppen sind ausnahmslos Idioten. Und sie versuchen, ebensolchen Idioten wichtige Nachrichten zu übermitteln. Ihre scharfsinnige Theorie, Admiral Mukdim-Khan, löst sich soeben in lauter bunte Konfettischnipsel auf."

Er registrierte, daß alle anderen Anwe-senden in der Steuerkanzel des Flagg-schiffs hundertprozentig seiner Meinung waren.

*

Hasso, Arlene und Tatjana hatten das

Gefühl, in einem weißglühenden Meteori-ten zu sitzen. Dieser Eindruck war richtig. Die LANCET raste auf das Wasser zu, die Antriebselemente tobten laut und dröh-nend, die Zelle des Beiboots zitterte und bebte. Die ersten „Häuserfronten" kamen näher, als würden sie auf einem Bild-schirm rasend schnell projiziert. Niemand sprach, die Raumfahrer hielten sich fest und warteten auf den donnernden Schlag, auf die Wasserfontänen und das Chaos des Aufpralls.

„Jetzt!" schrie Hasso. Fauchend fuhren aus dem Unterteil der

LANCET die Landestützen aus. Der Luftzug klappte die runden Auflageteller

hoch. Noch zweihundert Meter bis zu den ersten Anlagen und den großen, grünen und roten Hafenlichtern! Mit einem kurzen, harten Schlag arretierte Siegbjörn-son die Hebel der Bremstriebwerke und sah kurz Arlene und Tatjana an. Dann drückte er mehrere Knöpfe in das Armatu-renbrett hinein. Zwei Landestützen berührten das Wasser, erzeugten beim Gleiten zwei riesige, weiße und gischtende Fontänen und überschütteten den Körper der LANCET mit Tropfen und Schaum. Die Raumfahrer sahen, wie sich die verschiedenen, kubusförmigen Rettungs-blasen mit Preßluft füllten und den Innenraum der LANCET verdunkelten. Dann schlug der runde Körper ins Wasser, raste fünfzig Meter wie ein Gleitboot dar-über hinweg und bremste seine überschüs-sige kinetische Energie ab. Rauschend und zischend brachen sich die Wellen an dem Metall.

Eine Woge drängte durch das offene Bodenschott hinein. Jetzt zeigten die Instrumente, ehe die Feuchtigkeit einen jähen Kurzschluß erzeugte, ausnahmslos Null an. Mit letzter Kraft drehte Hasso den Zentralschalter herum und desaktivierte sämtliche Anlagen. An der Außenseite des Beiboots klappten Fächer auf. Zwei große Schlauchboote wurden herausgeschleudert und prall aufgeblasen.

Arlene riß die Verbindungskabel der Funkverbindung aus den Anschlüssen heraus, als sich die Luftsäcke entleerten.

Dann sprengte eine Notschaltung über ihnen die halbe Kugel der LANCET weg. Inzwischen stand das Wasser bereits einen halben Meter hoch im Innenraum.

„Die Koffer!" schrie Arlene, packte einen Griff und stieß sich ab.

Sie schwamm halb, und halb kletterte sie nach oben, schwang sich über den Rand des Notausstiegs und warf ihr Gepäck in eines der beiden gelben Schlauchboote. Sie bemerkte flüchtig, daß sich weit vor ihr von den Hafenanlagen zwei Boote

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lösten und mit schäumenden Bugwellen auf die LANCET zujagten.

Ihre Füße fanden schlüpfrigen Halt an irgendwelchen Griffen oder Stahlverbin-dungen. Sie langte nach innen und zog Hasso zu sich herauf, wuchtete dessen Koffer neben sich aus der Luke und beförderte ihn in das andere Boot. Zu-sammen mit Sigbjörnson holte sie Tatjana Veever aus der sinkenden LANCET und schaffte es auch noch, das dritte Ge-päckstück zu fassen und hochzuzerren.

„Ausgezeichnete Arbeit!" bemerkte Hasso, nickte Arlene zu und hechtete gekonnt ins Meer. Mit drei Schwimmzü-gen im aufgeblähten Raumanzug war er am Boot und zog sich mit strampelnden Bewegungen ins Innere.

„Hierher, Tatjana", keuchte Arlene und ließ sich mit der anderen Frau an der Wandung der sinkenden LANCET heruntergleiten. Einige Sekunden später saßen sie in zwei Booten, hatten die Plastikkoffer vor sich und rissen die Paddel aus den Halterungen.

„Wir sind ... tatsächlich lebend ... gelan-det!" staunte Vizeadmiral Tatjana Veever und schlang einen hervorragenden Kreuzknoten, der die Tauenden der beiden Boote miteinander verband.

„Und was noch schöner ist", bemerkte Hasso. „dort vorn kommen bereits die Eingeborenen, um uns zu begrüßen."

Fast gleichzeitig schalteten sie die Anzugsversorgungen aus, klappten die Helme zurück und sahen dann schweigend zu, wie das Beiboot sank. Als sich das Wasser schäumend über dem herausge-sprengten Notluk schloß, konnten sie sicher sein, daß der Killersatellit sie nicht mehr als unbefugte Eindringlinge definie-ren und beschießen würde. Die beiden Boote waren nur noch einen Bogenschuß weit entfernt.

„Hasso, mein Kompliment", sagte Arlene laut. „Wir sind tatsächlich gut gelandet, wenn auch unser Vorgesetzter

eine neue Schadensmeldung unterschrei-ben muß. Die LANCET ist ein für allemal hin."

„Der verdammte Satellit. Ich habe ihn wohl überschätzt. Wir waren einfach zu schnell, aber vermutlich hat es uns das Leben gerettet."

Tatjana kommentierte bleich: „Ich habe nicht geglaubt, daß wir noch

landen können, ohne quer durch ein Haus zu fliegen oder zu explodieren."

„Jedenfalls wurden wir während der letzten Landungsphase wohl exakt beobachtet. Hier sind unsere Gastgeber."

Es war klar, daß es auf einem Planeten der riesigen, flachen Ozeane mehr Seefahrer und Bootskundige gab als auf jeder anderen Welt. Und natürlich existier-ten auch mehr Boote aller Größen. Die beiden offenen Schalen kurvten heran, die Buglängsstringer kippten ins Wasser, und drei Lagunaer beugten sich an verschiede-nen Stellen der Boote über die Bordwände. Hasso hatte seinen Sinn für wirkungsvolle Effekte nicht verloren und rief nach links:

„Sie funkten die Erde um Hilfe an. Wir sind Terraner. Hier sind wir. Wo sind die Probleme?"

Was auch immer geschah, welchen Schwierigkeitsgrad die Angehörigen der ORION-Crew auch vorfanden - sie hatten ihren Sinn für kaltschnäuzige Bemerkun-gen nicht verloren. Arlene winkte nach rechts hinüber und registrierte, daß am Steuer des Bootes ein breitschultriger, gut aussehender Mann mit warmen, freund-lichen Augen saß und sehr irritiert die beiden lächelnden und das schreckensge-zeichnete Gesicht anstarrte.

„Sie dürfen uns in Ihren Hafen schlep-pen, Käpten!" rief sie. „Tatsächlich kommen wir von Terra, wenn auch auf Umwegen und nach einigen dramatischen Flugmanövern. Übrigens: die LANCET können Sie haben. Sie gehört Ihnen, wenn Sie sie bergen können."

„Eine Kleinigkeit", rief der betreffende

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Mann und bugsierte mit wenigen kurzen Motormanövern sein Boot längsseits an das Gummiboot heran. „Hier haben wir in zehn Metern den festen Grund. Eine Bergung ist eine Kleinigkeit. Aber ... verraten Sie mir eines!"

„Ja?" Hasso warf gekonnt eine aufgeschossene

Leine über Bord des ersten Bootes. „Wie kamen Sie hierher, ohne vom

Satelliten entdeckt zu werden?" Jetzt schien auch Tatjana ihre Fassung

wiedergewonnen zu haben, denn sie rief über das Wasser:

„Mit viel List und Tücke. Und mit tausend Tricks. Neunhundertneunzig stammen von diesem exzellenten Raum-fahrer dort."

Die Enden wurden an den Pollern der beiden Boote festgemacht und exakt belegt, mit Webleinsteks, wie Hasso fröhlich bemerkte. Ihn hatte eine trügeri-sche Euphorie überkommen, denn jetzt wußte er, daß die unsichtbare Gefahr nicht mehr zuschlagen würde. Der Killersatellit hatte ihre Landung offensichtlich nicht beobachtet.

Nacheinander reichten sie ihr Gepäck nach oben und stiegen aus den Gummibooten. Der erste Eindruck, den sie hatten, als sie das Niveau des Hafens erreichten, war der einer übertriebenen Tätigkeit. Die beiden Männer, die ihre Boote gesichert hatten, blieben vor den Raumfahrern stehen. Einer von ihnen streckte Hasso die Hand entgegen und sagte: „Sie kommen wirklich von der Erde? Danke, daß Sie gekommen sind. Aber drei Raumfahrer werden uns nicht helfen können."

„Sie werden verblüfft sein, was wir alles können. Was geht hier vor?"

„Kommen Sie erst einmal herein. Sie haben einen gräßlichen Flug gehabt. Wer hat gesteuert?"

„Ich. Der Satellit saß uns im Nacken." „Ich bin Kink, der Bürgermeister dieses

versklavten Irrenhauses hier. Bitte, kommen Sie mit uns."

Nur wenige Neugierige hatten sich versammelt. Alle anderen schienen zwar mißmutig, aber angestrengt irgendeiner Tätigkeit nachzugehen. Der Bereich der schwimmenden Stadt, den sie bisher gesehen hatte, machte einen bösen Eindruck: etwa so mußte es wirken, wenn ein Fluch auf einer Siedlung lag, dachte Arlene. Planetarier hoben die Gepäck-stücke auf, und bald darauf befanden sie sich in einer geräumigen Wohnung, die Kink als sein Studio bezeichnete. Nach und nach versammelte sich eine Menge Lagunaer hier. Es schienen wichtige Frauen und Männer zu sein. Ihnen allen war gemeinsam, daß sie sorgenvoll drein-sahen und von einer innerlichen Wut erfüllt schienen. Die Raumfahrer zogen die Anzüge aus und entspannten sich bei einem starken Kaffee.

„Arlene, willst du ...?" fragte der Bord-ingenieur.

„Ja. Also: wir sind Besatzungsmitglieder der ORION Neun. Das Schiff steht außerhalb des Systems und wartet. Wir haben nur einen Teil des Notrufs gehört; offensichtlich hat ihn ein schwacher Sender abgegeben .. ."

Arlene schilderte die Erlebnisse aus der Sicht der ORION und berichtete genau, was alles vorgefallen war. Mit steigender Aufmerksamkeit hörten die etwa fünfund-zwanzig Kolonisten zu. Sie schienen nur sehr langsam neue Hoffnungen schöpfen zu können, denn sie erkannten, daß der Vorfall nicht nur sie persönlich betraf, sondern bereits politische Kreise zu ziehen begann. Arlene, nur selten von Hasso und Tatjana unterbrochen, endete mit der Gewaltlandung und ihrer Furcht, vom Satelliten unter Beschuß genommen zu werden.

„Wir haben Hypersender dabei und können mit der ORION per Kurzimpuls verkehren", sagte die Vizeadmiralin.

Page 39: Der Killersatellit

„Übrigens: Ich bin die Leiterin des kleinen Flottenverbandes von Planet Tareyton. Also auch Kolonist", fügte sie mit einem matten Lächeln hinzu.

Adter Kink trat vor und stellte einige wichtige Personen vor. Dann erklärte er:

„Wir werden versklavt. Der Satellit verlangt von uns, Werften zu errichten und dann in ihnen schwerbewaffnete und gepanzerte Raumschiffe zu bauen."

Sofort fragte Hasso: „Auf welche Weise spricht die Be-

satzung mit Ihnen?" Kink schnippte mit den Fingern und

sagte halblaut: „Dee, bitte die Bänder abspielen." Kopfschüttelnd und fassungslos flüsterte

Hasso: „Werften, Raumschiffe, Bewaffnung ...

ich sehe nicht, worauf dies alles zielt." „Wir auch nicht", bekannte Kink. „Aber

um uns zu Gehorsam und schnellerer Arbeit anzutreiben, verwüstet der Satellit von Zeit zu Zeit einige Inseln oder läßt ein paar Kubikkilometer Wasser in unmittel-barer Nähe einer Stadt verdampfen. Wir haben hunderteinundvierzig gemeldete Tote und Verwundete."

Ein großer Bildschirm wurde hell. Dann lief die merkwürdigste Sendung ab, die Hasso zeit seines Lebens gesehen und gehört hatte. Gebannt blickten die drei Raumfahrer auf die schematischen Darstellungen, auf die Strichmännchen, die Trickdarstellungen und die geschickt eingesetzten Farben. Das Ganze war mit einem geradezu überwältigenden Aufwand an Arbeit gestaltet worden, und selbst die feinsten Nuancen der halb musikalischen und durch ein breites Spektrum verschie-dener Geräusche ausgedrückten akusti-schen Unterstreichung wirkten zusammen, um Befehle und Anordnungen bei schärf-ster Strafandrohung durchzusetzen.

Hasso wandte sich an die Vizeadmiralin. „Ich glaube, daß eine menschliche

Besatzung im Killersatelliten es einfacher

hätte, ihre Vorstellungen durchzusetzen." „Ich bin ganz sicher. Es war wohl rich-

tig, was Sie vermuteten, Hasso. Der Satellit wird von einem großen Rechenge-hirn geleitet und gesteuert."

„Für diese Tatsache spricht auch, daß sich dieser dämliche Rechner ausgerechnet diesen Planeten ausgesucht hat. Seit der Gründung der Kolonie sind hier keine zweihundert Raumschiffe gebaut worden", sagte Arlene. „Richtig, Bürgermeister?"

„Richtig. Wir bauten bisher nur Frach-ter, aus eigenem Interesse und aus Notwendigkeit."

Ledyne schob sich nach vorn und er-klärte:

„Hektische Bautätigkeit ist ausge-brochen. Wir haben unsere gesamte Wirtschaft schlagartig auf dieses Ziel ausrichten müssen, um weitere Zerstörun-gen und Tote zu vermeiden. Wir errichten Werften auf einsamen Inseln, und das bringt technische Probleme aller Art. Der ganze Planet wird ruiniert."

Hasso stand auf, ging an ein Fenster und blickte hinaus. Dann sagte er:

„Ich muß allein sein und nachdenken. Während ich dies tue, was aufgrund meines Alters und der geringen Kapazität länger dauern wird, sollte Arlene unseren Gastgebern die Geschichte des Kosmi-schen Krieges, des Rudraja und des Varunja erzählen."

„Wird gemacht." Nichts paßte zusammen. Der Admiral

hatte vollkommen unrecht. Auf der Erde hatte niemand mit einem solchen Zwi-schenfall rechnen können. Und der Killersatellit war kein Erzeugnis dieser Welt. Die Ausgangsbasis dieses tödlichen Überfalls mußte ein gräßlicher, aber er-klärbarer Irrtum sein!

8.

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Ein Teil der Mannschaft war aus-gewechselt worden. Cliff, der Admiral und McKinney saßen in der Steuerkanzel der FLAME OF AUREOLA und starrten wortlos auf den Bildschirm, auf dem zum zehntenmal die zufällig aufgefangene Sen-dung ablief.

„Und wenn Sie jetzt wieder Ihre klugen Sprüche abspielen, Commander - ich verstehe absolut nichts."

Cliff, halb schlafend, fragte mürrisch: „Angenommen, Sie würden diesen

Killersatelliten befehligen, Admiral Khan. Würden Sie dann nur zur Tarnung solche Muster, Zeichnungen, Musikbeispiele und ähnliches herstellenlassen?"

„Ganz sicher nicht. Ich würde klipp und klar sagen, was ich will. Militärische Exaktheit schließt Irrtümer weitestgehend aus."

„Genau das würde die Erde auch tun. Also ein weiterer Beweis dafür, daß der Satellit tatsächlich ein Teil der hinterlasse-nen Waffen des Kosmischen Krieges ist. Und ganz sicher würde sich die Erde nicht zur Herstellung von Großbauten und, wie wir vermuten, Raumschiffswerften oder gar Raumschiffen einen Planet der Fischer und Mineraliensucher auswählen. Oder geben Sie mir nicht recht dabei?"

„Vermutlich. Aber ich glaube Ihnen diesen Unsinn von Rudraja und Varunja nicht!"

In den vergangenen Stunden hatte Cliff dem Admiral und den beiden Vizeadmira-len einen flüchtigen Überblick über die verschiedenen Vorkommnisse gegeben, die auf der Erde und an anderen Orten bei allen Verantwortlichen das Wort vom Kosmischen Krieg zu einer Horrorvokabel gemacht hatten. Minvari und McKinney hatten Cliff fast alles geglaubt. Wenn der Admiral es auch geglaubt hatte, dann verbarg er dies gekonnt. Jedenfalls tat er noch immer so, als ob sowohl der Satellit, die angebliche Besetzung des Planeten und alles andere nur der machthungrigen Erde

zuzuschreiben war. „Dann glauben Sie, daß der Satellit von

der Erde hierher geschafft worden ist?" erkundigte sich der Commander am Ende seiner Beherrschung.

„Ich habe Zweifel", knurrte der Admiral und gähnte.

„Immerhin etwas. Glauben Sie noch immer, daß wir den Killersatelliten erobern können?"

„Nein. Das glaube ich nicht." Cliff spielte seinen nächsten Köder aus.

Er war jetzt restlos überzeugt, daß dieses mörderische Gerät ein Überbleibsel des Rudraja war.

„Ich bin einigermaßen sicher, daß ich Ihnen einen Weg zeigen kann, in den Satelliten hineinzukommen. Zumindest, ihn irgendwie zu beeinflussen."

Er rechnete mit folgender Überzeugung des ehrgeizigen Admirals: der Feind, versinnbildlicht durch den Killersatelliten, war weder mit einem Dutzend Raumschif-fe zu besiegen, noch mit der doppelten oder fünffachen Anzahl. Wenn es jeman-dem gelang, diesen Satelliten zu be-herrschen oder zu steuern, dann würden die technischen Geheimnisse und die eindeutige Überlegenheit der Waffen ein Mittel der Herrschaft sein.

Wenn Aureola diesen Satelliten besaß, würde der Planet die Raumkugel beherr-schen. Der Admiral mußte förmlich darauf brennen, diesen Satelliten zu besitzen.

„Sie sind der geborene Märchener-zähler!" sagte der Admiral, aber seine Stimme verriet, daß er sich zu interessie-ren begann.

„Ein Los, das manchen Gefangenen auszeichnet", erwiderte Cliff. „Im Ernst. Was bekomme ich, wenn ich die Möglich-keit preisgebe?"

„Ich glaube nicht daran!" „Hören Sie zu", sagte Cliff langsam und

mit schwerer Zunge. „Heute geht nichts mehr. Außerdem bin ich Ihr Gefangener. Packen Sie die Schiffe zusammen und

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fliegen Sie irgendwohin, wo der Satellit uns nicht mehr orten kann. Dort schlafen wir aus und überlegen uns, wie wir den Satelliten knacken. Ich sage Ihnen: einige Stunden Überlegung, ein paar Tricks, und schon sind wir im Zentrum der Macht. Einverstanden?"

„Einverstanden!" sagte zu seiner großen Erleichterung der Mann von Aureola.

Cliff war außerstande, klare Gedanken zu fassen. Er verließ, ohne belästigt zu werden, die Steuerkanzel und suchte sich eine leere Kabine. Sie war so luxuriös wie eine Schreibtischplatte, aber McLane schlief tief, lange und erholsam. Als er wieder aufwachte, hatte sich der Flotten-verband weit aus dem Sonnensystem entfernt und wartete in einer Position, in der ihr der Killersatellit nicht mehr gefährlich werden konnte.

Aber der Terror auf Laguna ging weiter.

* Nach etwa einem halben Tag, kurz vor

Mittag, hörte Hasso zu diskutieren auf und sagte entschlossen:

„Sie arbeiten also wie die Verrückten, um irgendwann Raumschiffe herstellen zu können?"

„Richtig. Überproduktion an Duropla-sten, rasende Suche nach Metallen, sämtliche Verhüttungsanlagen laufen, und so weiter. Die Produktion ziviler Güter ist innerhalb der kurzen Zeit zusammenge-brochen. Mit einigen Laserschüssen hat der verfluchte Satellit nachgeholfen, daß wir unser Übersoll übererfüllen."

„Trefflich", erwiderte Sigbjörnson. „Er geht von ganz falschen Voraussetzungen aus."

„Was unsere gesamte Bevölkerung dazu gebracht hat, halb krank vor Angst zu sein. Sie würden am liebsten den Satelliten mit bloßen Händen auseinandernehmen."

Hasso nickte langsam. „Was ich wiederum sehr gut verstehen

kann. Ich bin sicher, daß der Satellit ein Werkzeug des Rudraja ist. Er hält sich nicht an die Realitäten, die auf Laguna herrschen. Der Satellit hält den Planeten Laguna für eine ganz andere Welt."

Zandra, Kinks Sekretärin, warf kopf-schüttelnd ein:

„Aber es gab in diesem System, nach allem, was wir wissen, niemals einen zweiten Planeten."

„Das könnte bedeuten, daß früher-darunter verstehe ich eine sehr weit zurückliegende Zeit - der Planet Laguna einen anderen Namen hatte, anders aussah, eine andere Bedeutung hatte. Vielleicht gab es hier ein Hilfsvolk des Rudraja."

„Das wäre eine Erklärung!" stöhnte der Bürgermeister auf. „Was meinst du, Dee?"

Die große, gutaussehende Frau warf Sigbjörnson einen verzweifelten Blick zu. Die Dimensionen, in denen hier argumen-tiert wurde, verließen die Bezugsebene ihrer Vorstellungen.

„Als Gedankenexperiment überzeugt es mich", sagte sie nach einer Pause. „Der Killersatellit kam hierher und hält uns jetzt für ein Hilfsvolk, das es zu strafen gilt, weil es keine Raumschiffe baut. Wir büßen also für ein Planetenvolk, das es nicht mehr gibt."

„Das ist die Lösung, die ich anbieten kann", sagte Hasso. „Außerdem sollten wir alle wichtigen Nachrichten auf ein Band zusammenschneiden, verdichten und an die ORION zur Weitergabe auf die Erde absenden. Wo ist der Killersatellit jetzt?"

„Über unserer Hemisphäre. Vor dem späten Abend ist jede Sendung ein selbstmörderisches Unterfangen", erwider-te Dee.

„Dann warten wir bis zur Dunkelheit!" meinte Arlene. „Wie mag es Cliff gehen? Er ist in der Gewalt dieses hochnäsigen, ehrgeizigen Admirals."

Tatjana Veever schien nicht verstehen zu können, warum Hasso leise lachte.

„So wie ich Cliff kenne, hat er in-

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zwischen den Admiral und Ihre beiden Kollegen, Tatjana, derart verwirrt und verunsichert, daß sie nur noch auf seinen Rat hören. Und darüber hinaus bin ich vollkommen sicher, daß Cliff zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist wie wir hier unten."

„Hoffentlich hat er eine Möglichkeit, seine Kenntnisse anzuwenden!"

„Wenn er eine sieht, dann wird er ganz sicher zuschlagen", erklärte Sigbjörnson ohne Zögern. „Helfen Sie mir, Dee, bei der Sendung?"

„Selbstverständlich."

* Mit kalten Augen und einem grimmigen,

verschlossenen Gesichtsausdruck sah Admiral Khan den Commander an. Minvari und McKinney hatten sich von Cliff überzeugen lassen, obwohl sie ebensowenig vom Kosmischen Krieg und dessen verstreuten Hinterlassenschaften wußten wie Mukdim-Khan. Der fünfte Mann war der Chefkybernetiker und Erste Offizier der FLAME OF AUREOLA. Sie warteten auf Cliffs Vorschlag.

„Ich bin sicher, daß ich recht habe", wiederholte Cliff. „Der Killersatellit ist so dumm oder so klug wie ein Computer. Sie und ich", er deutete auf den Kybernetiker, „wissen, wo die schwachen Stellen selbst bei TECOM liegen, dem besten Rechner, den es je gab."

„Sie haben völlig recht, Commander!" Irgendein Gedanke plagte Cliff McLane.

Er sollte sich eigentlich an ein ganz besonderes Erlebnis erinnern, an eine Stimmung, eine Empfindung, aber immer wieder wurde er abgelenkt, oder er lenkte sich selbst ab.

„Wir haben folgende Ausgangspo-siton", sagte Harold McKinney, dessen weiße Uniform zerknittert und ungepflegt wirkte. „Kein Raumschiff befindet sich mehr im Ortungsbereich des Killersatelli-

ten." „Einschließlich der ORION", meinte

Cliff. „Wir sind also aus dem Rech-nergedächtnis als vorhanden gestrichen oder gelöscht."

„Aber noch gespeichert. Wir müssen eine neue Situation schaffen", erklärte Minvari zurückhaltend. „Wenn wir als einzelnes Schiff unter veränderten Bedingungen im Achird-System auftau-chen und das tun, was Sie vorschlagen, haben wir diese Situation."

„Einverstanden. Und wie schaffen wir es, den Satelliten zu erobern?" fragte Khan. Er hatte nicht ganz begriffen, was McLane und der Kybernetiker vorhatten.

„Wir haben die Sendung analysiert, natürlich mit Hilfe des Bordcomputers. Sie wissen, die Sendung des Satelliten nach Laguna. Danach entwickelten wir be-stimmte Signalgruppen. Mit ein wenig Glück erkennt uns der Satellit als Befehls-geber an, als seinesgleichen sozusagen. Er wird - immer vorausgesetzt, daß wir richtig überlegt haben - uns für eine Schiff von Verbündeten halten. Wir sind ein Hilfsvolk des Rudraja, beziehungsweise eine Gruppe aus diesem Volk. Damit rechne ich."

„Ich kann es noch immer nicht glauben, daß der Satellit Laguna mit einem Planeten ganz anderer Bedeutung verwechselt."

Der Admiral war alles andere als ein dummer Mann, aber die Überlegungen Cliff McLanes konnte und wollte er nicht bedingungslos akzeptieren. Sein Ehrgeiz aber sagte ihm, daß dieser Mann recht haben konnte, daß die Chance für Aureola und für ihn, mit Hilfe dieses Stückes Technik auf der Vergangenheit die Herr-schaft zu gewinnen, von McLanes Ideen abhing. Nur deshalb war Cliff kein Gefangener mehr, sondern auf merkwür-dige Weise ein Partner.

„Wenn Sie sich vorstellen, daß der Satellit aus einer fernen Vergangenheit kommt...", begann Cliff. Jetzt erinnerte er

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sich: die Zeitverschiebung in den Sigb-jörnson-Türmen auf Titan.

„Wie?" „Vielleicht kommt der Satellit aus einer

anderen Zeit. Eine Zeitverschiebung, ein Zeitsprung, was weiß ich. Das würde alles erklären. Fangen wir an?"

Der Admiral griff nach dem Mikrophon und sagte laut:

„Mukdim-Khan an alle. Wir fliegen den Satelliten an. Raumanzüge anlegen, die Enterkommandos machen sich bereit, wir kämpfen für den Ruhm von Aureola."

„Verstanden." Die FLAME OF AUREOLA ver-

ständigte sich mit den zurückbleibenden Schiffen, dann nahm das Raumschiff Fahrt auf und schlug einen gekrümmten Kurs ein. Voller Spannung machte sich die Besatzung bereit. Raumanzüge wurden aus den Schränken genommen und angezogen. Waffen wurden überprüft, die kleinen Triebwerke der Flugaggregate gecheckt, die technische Ausrüstung zurechtgelegt. Das Schiff wurde schneller, beschrieb eine Gerade durch den Weltraum und schlüpfte in den Hyperraum. Nach einem kurzen Flug, einer winzigen Kursänderung und einigen scharfen Kommandos sprang die FLAME zurück.

„Band ab!" sagte Cliff. Der Funker steuerte die Antenne aus,

während er den Schalter drückte. Die Sendung, die der Kybernetiker und Cliff zusammengestellt hatten, jagte aus der Antenne. Auf der Zentralen Bildfläche tauchte das erste scharfe Echo des sma-ragdfarbenen Killersatelliten auf. Alle Besatzungsmitglieder blickten mit ange-haltenem Atem auf die Bildschirme.

Seit dreißig Sekunden hämmerten die Computersignale in die Empfangsantennen des Killersatelliten. Die lichtschnelle Fahrt der FLAME wurde abgebremst, und langsam näherte sich das Schiff jenem Punkt, an dem die Gefechtsstrahlen des Satelliten wirksam wurden und zielgenau

treffen würden. „Achtung!" sagte der Funker. Mehrere

Monitoren waren aktiviert. Auch Cliff war innerlich bis zum Zerreißen gespannt. Würde das Täuschungsmanöver wirken? Der Bordcomputer und die beiden Männer hatten lange und schwer gearbeitet, um die Zahlengruppen, die umgestalteten Impulse und die Art der Übermittlung zu manipu-lieren. Cliff hatte versucht, dem Satelliten folgendes zu erklären:

Wir sind ein Schiff des Rudraja-Hilfsvolks. Wir wurden während einer Raumschlacht beschädigt und während der Repartur von einem Energiesturm in eine unbekannte Region des Alls verschla-gen.

Dreimal wiederholte sich die Meldung. Der Satellit konnte auf dreierlei Weise

reagieren. Entweder würden wieder seine Strahlen durch den Weltraum blitzen und die FLAME treffen, oder er reagierte überhaupt nicht und schwieg, oder er gab irgendeine Form von positiver Antwort.

Der Commander, bereits im Raumanzug, aber mit geöffnetem Helm, fühlte in seinem Magen einen harten Klumpen. Sein Herz schlug schneller, er merkte, daß seine Finger unruhig zu werden begannen. Einige Sekunden vergingen ereignislos und dehnten sich zu einer kleinen Ewigkeit aus.

Und dann reagierte der Fremdkörper. Aus den Lautsprechern kamen Ge-

räusche und Kodegruppen. Auf den Bildschirmen zeigten sich zweidi-mensionale Bilder. Cliff und der Ky-bernetiker beugten sich gespannt vor und versuchten, einen Sinn in der Antwort zu erkennen. Natürlich wurde die Sendung augenblicklich gespeichert und zur Berechnung und Analyse an den Computer weitergeleitet.

„Nun?" keuchte der Raumadmiral auf. Seine Hände umklammerten die Steuerhe-bel. Er war bereit, die FLAME in wildem Zickzackkurs und steigender Geschwin-

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digkeit umzusteuern und aus der Gefah-renzone zubringen.

„Es scheint, als ob wir gewonnen hät-ten!" flüsterte McKinney fassungslos.

„Wir werden nicht beschossen!" staunte der junge Minvari. „Der Commander hat tatsächlich recht gehabt!"

„Nicht zu voreilig", brummte Cliff. Der Satellit wurde größer, aber nichts

änderte sich. Die Signale aus seinem Innern rissen ab. Unendlich langsam drehte sich die schüsselartige Form, so wie sie sich in den vergangenen Tagen im Orbit um Laguna verhalten hatte. Cliff ergriff abermals ein merkwürdiges Gefühl, eine Mischung zwischen Furcht und Mißtrauen. Was würde der Computer aus der Antwort des Satelliten herausanalysie-ren?

„Noch rechnet die Maschine", ant-wortete der Kybernetiker, ohne gefragt worden zu sein. „Wir müssen noch warten."

„Ich halte das nicht mehr aus!" schrie der Admiral plötzlich wütend. Cliff hob beschwichtigend beide Hände.

„Keine unsinnige Aufregung. Sie wer-den Ihre Energie noch brauchen, Khan."

Vom Terminal des Computers der FLAME kam ein Signal.

Dann erschienen Schriftzüge und Bilder auf den Bildschirmen.

Analyse: das fragliche Objekt bestätigt, daß es zur technischen Ausstattung des sogenannten RUDRAJA gehört.

Es wird ferner akzeptiert, daß Ereignis-se wie die eben beschriebenen eintreten können.

Das Objekt erteilt folgende Befehle: l. Das havarierte Schiff soll an einer

markierten Stelle des Objekts anlegen. 2. Die Besatzung des Schiffes muß sich

einer Konditionsauffrischung unterziehen. 3. Das Schiff wird anschließend auf

Derkola landen. Dort entstellten in-zwischen umfangreiche Werftanlagen und Reparaturmöglichkeiten. Auf Derkola wird

das Schiff wieder instand gesetzt. McLane entspannte sich und atmete auf. „Jetzt habe ich den Beweis dafür, daß

der Killersatellit tatsächlich die Kolonie Laguna mit der ehemaligen Rudraja-Welt Derkola verwechselt. Herr Admiral! Alle Vorwürfe gegen die Erde sind mit dieser Information hinfällig geworden."

Mit grimmigem Lachen versicherte Mukdim-Khan:

„Alles unsere Irrtümer! Wir werden in diesen Satelliten eindringen und ihn nach Aureola transportieren. Sie sind ganz gerissen, Commander!"

„Man sagt es", erwiderte Cliff. Trotzdem sah er den nächsten Schritten

des Admirals mit starker Unruhe entgegen. Ebenso souverän, wie Mukdim-Khan die politischen Feinheiten überging und vergaß, ebenso stur würde er sein, wenn Cliff ihn warnte. Mit Erleichterung hörte er, wie McKinney und Minvari verlangten, mit Begleitung ebenfalls beim Betreten des Killersatelliten dabei zu sein. Sie warnten und sagten, der Satellit sei weder Eigentum Mukdim-Khans noch des Planeten Aureola.

9. Langsam trieb das Schiff auf die scha-

lenförmige Konstruktion zu. Das Licht der Sonne lag voll im „Innenraum" des Killersatelliten und schuf ein geheimnis-volles Strahlen. Die Konstruktion war jetzt nur noch einhundert Kilometer entfernt. Die wahre Größe wurde deutlich, die smaragdgrüne, hin und wieder bläulich schimmernde Hülle schien völlig glatt zu sein und wirkte wie Glas, war aber völlig undurchsichtig. Elftausend Meter betrug der Durchmesser, der scharfe Schatten der FLAME OF AUREOLA glitt über den Rand des Wulstes. Plötzlich blinkten am rechten Bildrand Scheinwerfer auf, erloschen sofort und wurden nicht wieder

Page 45: Der Killersatellit

eingeschaltet. „Die Kommandos sollen sich fer-

tigmachen. Vielleicht öffnet sich dort eine Luke, die so groß ist, daß das Flaggschiff hineingeht und landen kann."

Cliff packte den Admiral am Schulter-stück des Raumanzugs und sagte warnend:

„Ich würde dieses Kommando nicht geben. Wenn das Schiff innerhalb des Satelliten ist, gibt es keinen Rückzug mehr. Fliegen Sie nicht in den Killersatel-liten hinein."

Khan sah ihn verblüfft über den Rand des Halsschutzes an.

„McLane hat recht. Tun Sie's nicht. Wir gehen nicht mit", erklärte Minvari kategorisch.

„Meinetwegen. Bisher gibt es noch keine Öffnung dort vorn."

„Warten wir es ab", sagte McLane. Das Schiff bewegte sich wieder und ging

sehr langsam näher heran. Die Werfer-stände waren bemannt und schußbereit. Als sich die FLAME bis auf dreitausend Meter dem runden Rand nahegekommen war, reagierte der Satellit wieder. Nicht ein einziger Funkimpuls war nach dem ersten Informationsaustauch gewechselt worden.

„Aha!" schrie der Admiral plötzlich begeistert auf.

Der Grund seines begeisterten Schreies war deutlich auf der Zentralen Bildplatte zu sehen. Genau in der Krümmung, dort, wo die konkave in die konvexe Hälfte überging, öffnete sich ein rechteckiges Schott. Obwohl nur die Linien und Markierungen auf dem Schirm etwas über die wahren Größenverhältnisse aussagten, wußten alle Raumfahrer sofort, daß die FLAME nicht durch die Öffnung paßte.

„Also eine Mission im freien Flug von der Schleuse bis zum Satelliten!" bestimm-te der Admiral und steuerte das Schiff bis auf hundert Meter heran.

Das Schiff hing dann scheinbar unbe-weglich, wie an einem starren Tau, über der offenen Luke. Der Innenraum war

nicht zu erkennen, und der Astrogator erkannte mit Hilfe seiner Geräte auch nur eine Temperaturdifferenz gegenüber dem Weltraum, was zu erwarten gewesen war.

Der Admiral zeigte seine Ungeduld jetzt offen. Cliff schätzte Khan richtig ein und wußte, daß Minvari, McKinney und er in dem Moment ernsthaft gefährdet waren, da sie alle innerhalb des Satelliten schwebten oder sich bewegten. Der Rausch des Besitzes eines solch unüberwindlichen Machtmittels würde ihn mitreißen.

„Zweite Besatzung bleibt im Schiff. Wir benutzen die obere Schleuse. Keiner prescht vor, wir bleiben alle am Flagg-schiff und fliegen erst hinüber, wenn wir vollzählig sind. Alle Beteiligten schließen die Anzüge, stellen die Funkgeräte auf Frequenzmarke Vier und halten ihre Waffen und Ausrüstungsgegenstände bereit. Es geht los!" donnerte es in jedem Raum aus den Lautsprechern.

Cliff warf einen letzten Blick auf das offene Schott, das nach den Meßlinien eine lichte Weite von zehn auf drei Meter hatte, dann aktivierte er sorgsam die einzelnen Teile der Versorgungsanlage, zuckte die Schultern, als er die leere Waffentasche sah, schaltete die Funkanla-ge ein und schloß den Helm.

Minvari half ihm und blickte ihm, als der Admiral abgelenkt war, warnend in die Augen. Cliff nickte unmerklich.

„Wir brechen auf." In der Oberschale des Flaggschiffs gab

es eine Luke für Ladearbeiten im schwe-benden Zustand. Viezeadmiral McKinney mit zwei bewaffneten und ausgerüsteten Begleitern, dann Minvari ebenfalls mit zwei Gardisten und der Admiral mit fünf schwerbewaffneten Leibgardisten ver-schwanden, Cliff mit sich zerrend, in dem Laderaum, in dem nur ein paar Kisten vertäut waren. Hinter ihnen schloß sich das schwere Sicherheitsschott; Tiefstrahler schalteten sich ein, die Männer warteten. Schließlich murmelte der Raumadmiral

Page 46: Der Killersatellit

befehlend: „Niemand rührt etwas an! Wir müssen

dem Rechner in dem Ding dort gefallen. Keine Eigenmächtigkeiten!"

„Verstanden." Wie Khan es anstellen wollte, den

Satelliten nach Aureola zu schleppen, entzog sich Cliffs Vorstellungen. Jetzt glitten die Segmente des Schotts auf und ließen dahinter die smaragdene Fläche erkennen. Ein Seil mit Handgriffen wurde ausgebracht und am Rand der Luke einge-klinkt, dann ertönte das Kommando:

„Ich zuerst, dann folgen mir einer nach dem anderen die Kommandos. Es ist ein Augenblick historischer Größe für Aureola ..."

„Und ebenso für Geldern, Tareyton und Kershan!" sagte McKinney scharf. Mukdim-Khan ging auf den berechtigten Einwand überhaupt nicht ein und fuhr fort:

„... und ich hoffe, daß sich jeder von euch richtig und entschlossen verhält."

„Selbstverständlich, Admiral!" murmelte es aus den Innenlautsprechern.

Nacheinander glitten die Männer, nach-dem die künstliche Anziehungskraft in diesem Bereich des Schiffes ausgeschaltet worden war, durch die Luke in den Weltraum hinaus. Die Schutzschirme des Schiffes erloschen schlagartig. Die Männer hielten sich mit jeweils einer Hand an den Schlaufen fest und umklammerten die Kombigriffe der Flugaggregate mit der anderen. Auch Cliff, als vorletzter, stieß sich vom Boden ab und nahm einen Platz in der Reihe der auseinandertreibenden und kreiselnden Raumfahrer ein. Er schwieg und beobachtete kühl die Aktion. Er war sicher, eine Möglichkeit zubinden - wie schon mehrmals vorher.

Jedenfalls hatte er nicht die geringste Lust, seine Kondition vom Killersatelliten auffrischen zu lassen, was immer die Maschine darunter verstand.

Schließlich war er kein Bewohner des geschichtlich nicht mehr existenten

Planeten Derkola. Einige Sekunden vergingen, dann

schnarrte die Stimme des Aureolaners: „Vorwärts, Leute. Wir dringen ein!" Er stieß sich von seinen Nachbarn ab,

drehte sich langsam herum und zündete das Rückentriebwerk, als er sich in der richtigen Position befand. Mit winziger Stichflamme trieb er genau in das Zentrum der Luke hinein. Mit eingeschalteten Scheinwerfern folgten ihm seine Leute und die beiden Vizeadmirale. Die Raum-anzüge waren sehr unterschiedlich ge-kennzeichnet, aber Cliff entdeckte schnell die Zeichen der drei verschiedenen Planeten. Er selbst trug nur den Schriftzug und die große Nummer 1 auf seinem Anzug. Die Raumfahrer der Planeten waren gut ausgebildet; es gab keine Pannen, keine Zusammenstöße. Cliff steuerte seinen kurzen Flug aus, drehte sich herum, bremste die Fahrt ab und merkte, wie er langsam auf den Rand des Schottes zugetrieben wurde. Als er sich etwa zwei Meter innerhalb des Hangars oder der großen Schleuse befand, zog ihn eine Schwerkraft von ziemlich genau einem g hinunter auf einen schwarzen, stark geriffelten Belag, der wie Kunststoff aussah.

„Wir sind eingedrungen, Männer. Lang-sam vorwärts!"

Die Stimme des Admirals war un-verkennbar. Das runde Dutzend Raumfah-rer ging zögernd geradeaus. Die Schein-werferstrahlen erhellten das Innere dieser Anlage. Sie war ohne jede Unterbrechung, lediglich ein Raum aus fünf glatten, schwarzen Flächen. Im Hintergrund war deutlich ein Mannschott zu sehen.

Cliff blieb stehen und bewegte sorgfältig seinen Scheinwerfer. Er suchte Boden und Wände nach einer Schaltung oder Hebeln ab, mit denen man das Tor in der smarag-denen Hülle öffnen konnte.

„Nichts!" sagte er leise. Augenblicklich meldete sich Khan.

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„Was murmeln Sie da, Commander McLane?"

„Ich stellte gerade fest, daß es für uns keine Möglichkeit gibt, den Satelliten dann zu verlassen, wenn das kybernetische Zentrum es nicht gestattet. Kein Hebel, kein Schalter, nur glatte Flächen."

Mit kalter Entschiedenheit erklärte Mukdim-Khan:

„Sie vergessen unsere schweren Waffen und die Fähigkeiten meiner hervorragend ausgebildeten Männer. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram."

„Dies werde ich im entscheidenen Augenblick tun", erwiderte Cliff.

Der Satellit öffnete das Mannschott. Dahinter gab es eine beleuchtete, geradezu für Menschen entworfene Schleuse. Wieder stiegen die Raumfahrer hindurch und versammelten sich in dem großen Raum. Mildes Licht strahlte von der Decke. Das Mannschott war sogar mit schweren Nothebeln und einem zentralen Handrad ausgestattet. Aber keines der mechanischen Elemente bewegte sich, als sich die Platte lautlos wieder schloß. Über die Außenmikrophone hörten die Raum-fahrer, wie Luft in den Raum hineinström-te, wie sich das Licht veränderte. Die Gardisten schalteten ihre Armband-indikatoren ein, die nach zwei Minuten erstklassige Werte zeigten.

„Ausgezeichnet!" kommentierte der Admiral. „McKinney! Minvari! Das hätten Sie nicht erwartet, wie?"

„In der Tat", antwortete Minvari, und jetzt glaubte Cliff Enttäuschung und Abwehr aus der Stimme herauszuhören. „Zumal die Voraussetzungen bei Anfang unserer Mission ganz anders waren."

„Ich bin der Meinung meines Kollegen", warf plötzlich McKinney ein. Er hatte bis jetzt wenig gesagt und niemals richtig Stellung genommen. Jetzt schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben. „Und ich warne Sie, Admiral, hier allzu diktatorisch vorzugehen. Wir sind eine Gruppe von

mindestens vier Interessenten. Und Sie sind nicht unser Anführer."

Diszipliniert schwiegen die aureo-lanischen Gardisten, obwohl jeder jedes gesprochene Wort hörte.

„Ich habe nicht die Absicht, Sie hintan-zustellen", schrie Mukdim-Khan wütend. „Aber ich bin in solchen Kommandoange-legenheiten der beste Mann hier. Da, sehen Sie auf den Schirm. Er erteilt uns eine Gebrauchsanweisung für sich selbst!"

Über mehreren Vierecken aus vertieften Rillen in der Rückwand der Schleuse erhellte sich ein Bildschirm. In denselben Trick- und Schemadarstellungen erklärte das Rechengehirn des Satelliten, daß die Luft atembar sei und die Helme geöffnet werden sollten, wo sich die Zentrale und der Regenerationsraum befand. Die Raumfahrer sollten zuerst den Konditio-nierungsraum aufsuchen. Kurz darauf öff-nete sich eine Reihe von sieben großen Türen und ließ einen kleineren Korridor dahinter erkennen, der leicht abwärts führte und dessen Boden wohl der äußeren Form des Killersatelliten folgte. Mit Mukdim-Khan an der Spitze stürmten seine Männer hinein, öffneten die Anzüge und unterhielten sich leise über die hervorragende Qualität der Atemluft.

Neben Cliff war plötzlich McKinney. Er fragte leise, aber mit deutlichem Unterton von Panik:

„Sie sind sicher, daß er uns alle aus-schalten will? Nicht gerade umbringen, aber.. ."

„Wir können nur in einer Hinsicht völlig sicher sein", flüsterte Cliff und drückte den Unterbrecherknopf seiner Funkanlage, „daß er alles tun wird, um den Satelliten in seinen alleinigen Besitz zu bringen. Und drei Monate, nachdem das passiert ist, gibt es Krieg zwischen den Kolonien und der Erde. Nett, nicht wahr?"

„Eine Aussicht, die Minvari, Tatjana und mich erschreckt."

„Mich nicht minder."

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Die Gardisten waren ausnahmslos wirk-lich hervorragend trainiert. Die Tatsache, daß sie sich in der einer fremden Wissen-schaft entstammenden Anlage befanden, irritierte sie nicht sonderlich. Binnen zwanzig Minuten waren mehrere Gänge entdeckt, eine kleine, aber bedeutungsvoll aussehende Nebenanlage erschlossen und der Konditionierungsraum besetzt.

Die dreizehn Raumfahrer befanden sich in einem runden Raum, dessen Decke und Wände aus einer riesigen Masse von verschieden langen, sehr spitzen Kegeln in allen denkbaren Farben bestanden. Es gab nur einen Eingang und einen Ausgang, an-sonsten starrten den Raumfahrern die nadelfeinen Spitzen aus allen Richtungen entgegen. Jeder hatte jetzt den Eindruck, sich in Gefahr begeben zu haben.

„Ich weise darauf hin", hörten sie Cliff laut sagen, „daß dies der Konditionie-rungsraum ist. Die Bewohner von Derkola sollen konditioniert werden, nicht Men-schen von Kolonien oder der Erde."

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als der Satellit dieselbe Feststellung machte.

Ein mißtönendes Geräusch, am ehesten noch einem Summen vergleichbar, schien von allen Seiten auf die Raumfahrer einzudringen. Dann ertönte eine ferne Detonation, und ein Heulen und Fauchen setzte sich durch Gänge und Korridore fort.

Cliff erkannte dieses Geräusch und deutete die Zeichen richtig. Das einsetzen-de Ziehen in seinen Lungen war der letzte Beweis.

„Sofort die Helme zu!" schrie er. Die Stimmhöhe begann sich bereits zu verändern. „Der Satellit entlüftet!"

Die Männer handelten mit fast un-bewußten Reflexen. Die Helme wurden in rasender Eile heruntergeklappt und verriegelt, jeder half seinem Nachbarn, aus den Lautsprechern ertönten Flüche, keuchende Laute und das Pfeifen geöffne-

ter Ventile. Der Raum füllte sich für we-nige Sekunden mit einem weißlichen Nebel, der sich in Richtung auf den Ausgang davonbewegte und auflöste.

„Danke, Commander", keuchte Minvari und drehte die letzte Klemme fest. Keiner der Männer war zu Boden gegangen. Cliff jedoch fühlte sich benommen.

„Das Gehirn hat gemerkt, daß wir keine Derkolaner sind", rief der Raumadmiral.

„Und es hat schnell versucht, uns durch einen uralten Trick zu töten. Sie sollten sinnvoll handeln, Herr Admiral", empfahl ihm Cliff.

Ein Gardist von Geldern ging mit gezo-gener Waffe durch den Ausgang hinaus, bog nach rechts und rief:

„Wir sollten vielleicht eine Selbst-vernichtungsanlage suchen und in die Zentrale vordringen. Der Satellit hat uns durchschaut."

„Das ist klar", kommandierte Mukdim-Khan, der sich sehr schnell gefangen hatte. „Los! Ihr wißt, wo die Zentrale ist. Schnell, ehe dieses kybernetische Mon-strum wieder zuschlägt."

„Selbstverständlich, Admiral!" Mit einer bewundernswürdigen Selbst-

verständlichkeit befahl der Admiral einem seiner Gardisten, mit den beiden Männern von Kershan die möglicherweise vorhan-dene Selbstvernichtungsanlage des Kil-lersatelliten zu suchen, zu finden und zu entschärfen. Die Männer rannten davon. Womöglich würden sie sogar Glück haben, dachte Cliff, denn der Satellit würde sich wegen dreizehn schlecht zu identifizierender Raumfahrer kaum selbst auseinandersprengen. Da sie in etwa den Weg zur Zentrale kannten, brauchten die anderen genau fünfundzwanzig wilde Minuten, um das Gehirn dieses Satelliten zu entdecken.

Fünfundzwanzig Minuten in einem Labyrinth aus Farben, Tunnels, Treppen, Rampen und Korridoren, kleinen und großen Lifts, die nach unbekannten

Page 49: Der Killersatellit

Prinzipien funktionierten. Niemand nahm sich die Zeit, etwas genauer zu untersu-chen.

Sie stießen zuerst tiefer in den Satelliten vor, also in die gekrümmte Mitte des schüsselförmigen Hauptteils. Dann, als sie nach etwa viertausend oder viereinhalbtau-send Metern Anlagen und Konstruktionen erreichten, die eindeutig darauf hinwiesen, daß etwa hier die Halbkugel innerhalb des konkaven Teiles begann, rannten sie schräg aufwärts. Hin und wieder entdeck-ten sie ein laufendes Band, auf dem Transporte unidentifizierbarer Güter stattfanden.

Innerhalb des Satelliten herrschte ein ununterbrochenes Summen und das Knistern unzähliger Schaltvorgänge. Die Raumfahrer sahen in gewaltige Lagerräu-me hinein, in denen unbekannte Dinge gestapelt waren. Sie bemerkten hallenarti-ge Räume; dort arbeiteten blitzende und farbig verkleidete Maschinen. Schwebende Roboter oder halbselbständige Ver-längerungen des Großrechners machten sich an diesen Maschinen zu schaffen.

„Das sind vermutlich die Energie-erzeuger, denen wir die kräftigen Laser-strahlen verdanken!" rief der Raumadmi-ral. Er befand sich immer an der Spitze der Männer; war es Mut oder blinder Ehrgeiz, der ihn derart auszeichnete? Feige schien er wirklich nicht zu sein, mutmaßte der Commander.

Dann, etwas langsamer geworden, liefen sie eine flache Rampe aufwärts und wußten, daß sie im Zentrum des kompu-tergesteuerten Satelliten standen. Außer ihnen befand sich kein lebendes Wesen innerhalb des Killersatelliten.

Riesige Bildschirme waren in Tätigkeit und zeigten gestochen scharfe, unglaublich intensive und informative Ansichten von der Oberfläche des Planeten Laguna.

Mindestens vierhundert übermannshohe Würfel voller Schaltelemente und Speicher erfüllten in Reihen gesammelt den Boden

der riesigen Halle. Die Bilder wechselten unaufhörlich, und ganz langsam gingen die Raumfahrer zwischen den Elementen auf den Mittelpunkt der Halle zu. Sie war identisch mit dem obersten Stück der bekannten Halbkugel. Als die Schaltanlage - die zwar Bedienungs- und Anzeigepulte in wahrhaft riesiger Menge enthielt, aber nicht einen einzigen Sessel, - erreicht war, meldete sich das kleine Kommando und sagte aus, daß sie erstens einen Plan gesehen und daraufhin eine Selbstzerstö-rungsanlage gefunden und zweitens diese dadurch außer Kraft gesetzt hatten, daß sie die Energiekabel zerschossen hatten.

„Ausgezeichnet!" sagte der Raum-admiral und starrte verzückt auf die Pulte vor ihm. „Jetzt ist Aureola am Ziel aller Wünsche. Sie alle sind Zeugen dieses Triumphs."

Cliff lehnte an einem der Würfel und hielt die Augen geschlossen. Er fühlte etwas, das er als geistigen Fieberanfall bezeichnete. Ein schwer definierbares Gefühl, eine Unruhe der Nerven, und zwar so etwas wie eine Ahnung. Ein Tier mochte so fühlen, ehe ein Erdbeben, eine Sonnenfinsternis oder eine Flutkatastrophe ausbrach. Er kannte dieses Empfinden, denn es war damals so stark und warnend gewesen wie hier und jetzt.

Damals? Ja. Vor nicht allzu langer Zeit. Im Innern von Sigbjörnsons Türmen, die der Bordingenieur erschaffen hatte, als die Mentorkugel ihm für kurze Zeit übernatür-liche Kräfte und Fähigkeiten verliehen hatte.

„Das ist das Ende für uns alle", flüsterte Cliff, als er die Konsequenzen erkannte. Dann stieß er sich ab und sprang auf den Admiral zu, der wie ein Schlafwandler auf das größte Schaltpult zuging. „Halt!" schrie Cliff.

10.

Page 50: Der Killersatellit

Mukdim-Khan wirbelte herum und hatte bereits seine Waffe in der Hand. Der Projektordorn zielte auf Cliffs Helmvisier. Obwohl es hier ein Gebiet mit Atmosphäre gab, öffnete keiner von ihnen den Helm. Durch die Spezialgläser funkelten sich die beiden Männer an.

„Sind Sie wahnsinnig geworden?" brüllte Mukdim-Khan.

„Wir müssen sofort alle hier heraus. So schnell wie möglich. Es kann jetzt bereits zu spät sein."

„Kommt nicht in Frage. Wir sind an unserem Ziel. Und das mit Ihrer Hilfe. Warum wollen Sie weg?"

„Dieser Killersatellit", sagte Cliff und bemühte sich verzweifelt, jedem seiner Worte eine große Bedeutung zu geben, „ist nicht aus dem Hyperraum gekommen. Er hat einen Zeitsprung vollführt."

„Das wissen wir schon." „Und er wird nicht in dieser Zeit blei-

ben. Er pendelt hin und her. Ich kann es Ihnen hier nicht erklären, aber ich habe ein Schlüsselerlebnis. Es kostet uns nichts, wenn wir fliehen. Die Alternative für uns ist gräßlich: verschollen in einer unbe-kannten Zeit. Der Satellit kam aus einer unendlich fernen Vergangenheit. Wollen Sie wieder dorthin?"

Für einen Augenblick kam Unsicherheit in die Augen des Admirals. Aber dann besiegte er seine eigene Angst mit einer Überreaktion.

„Ich stehe vor der Entschleierung der Geheimnisse dieses herrlichen Satelliten. Ich werde bis zum letzten Atemzug hierbleiben und dieses Gerät für Aureola retten und dorthin bringen. Sie können gehen. Bitte! So schnell wie möglich. Das gilt auch für Sie, McKinney und Minvari."

Mit zitternder Stimme fragte der junge Vizeadmiral:

„Ist das wahr, was Sie berichten, McLa-ne? Woher haben Sie diese gespenstische Gewißheit?"

„Die ORION-Crew war vor kurzer Zeit

genau in derselben Lage. Dabei empfan-den wir alle dasselbe wie ich jetzt. Gut, halten Sie mich für einen Feigling . .. aber ich gehe. Meine Gefangenschaft ist aufgehoben, Admiral?"

„Ich gehe mit. Kommt, Freunde!" sagte blitzschnell Minvari. „Das übersteigt meine Lust am Risiko. Ich bin kein Selbstmörder."

„Ja! Gehen Sie! Damit verzichten Sie offiziell auf jedes Recht an diesem Satelliten!" schrie der Admiral und drehte sich brüsk um. Cliff spürte plötzlich den eiskalten Stachel der panischen Angst; ein Gefühl, das ihn stärker warnte als alle anderen Überlegungen. Er spannte seine Muskeln und rannte los.

„He! Wartet", hörte er, als er zwischen den Würfeln auf die abwärts führende Rampe zujagte, „die Delegation von Geldern kommt auch mit."

Er kümmerte sich um nichts mehr, sah auch nicht, wie einer der Gardisten dieses Planeten seinen Gürtel im Laufen ab-schnallte und wegwarf. Je weiter sie sich von den Schaltbänken entfernten, desto schneller wurden sie.

Siebzehn Minuten lang dauerte der Wettlauf. Er verlangte ihnen alles ab, denn hier herrschte normale Schwerkraft. Aber die Angst bewirkte, daß sie ihre letzten Reserven einsetzten und den Weg zurück-rannten, den sie gekommen waren. Das Gefühl, das Cliffs letzte Reaktionen bestimmt hatte, wurde stärker und stärker.

Cliff spornte sich noch einmal selbst an, obwohl ihm seine Lungen schwer zu schaffen machten. Er hechtete aus der Öffnung des Satelliten in den Raum hinaus, schaltete das Aggregat ein und rief keuchend:

„McLane spricht. Ich bin auf dem Weg ins Schiff."

Nacheinander meldeten sich von der letzten Fünfhundert-Meter-Strecke einzelne Gardisten und die beiden Vize-admirale, schließlich sogar die Männer des

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kleinen Suchtrupps, als Cliff das Ende des schleifenförmig umherdriftenden Taues packte.

Mit sieben, acht ineinandergreifenden Bewegungen hangelte er sich der Luke entgegen und schwebte in den Laderaum hinein.

Er blieb am Rand der Luke und half dem ersten Gardisten, der hart gegen die Kante schlug.

„Schnell, in die Kanzel. Sie haben mitgehört. Sie sollen einen Schnellstart vorbereiten."

„Mache ich, McLane." Zu aller Überraschung meldete sich

noch ein Gardist. Jetzt befanden sich nur noch Mukdim-Khan und einer seiner Leute innerhalb des Satelliten. Es gab ein Gedränge in der Luke, das erst aufhörte, als ein Raumfahrer endlich den Hebel zog, der die künstliche Schwerkraft wieder einschaltete.

In dem Augenblick, als Cliff das Tau ergriffen hatte, war das warnende Gefühl vollkommen verschwunden.

Jetzt zweifelte Cliff wieder an seiner Intuition. Aber er würde sich im Zweifels-fall gern von allen als Feigling beschimp-fen lassen.

„Halt. Nicht starten! Wartet auf mich!" schrie jemand durch sein Funkgerät. Die letzten Gardisten ließen sich durch die Luke fallen. Unten stand McKinney und fing die Männer auf, so gut er konnte. Es gab keine Panik, aber sie befanden sich im Griff einer Massenpsychose.

Die zwölfte Meldung! „Wo sind Sie?" fragte Cliff durch das

Murmeln zahlreicher Gespräche. Keu-chend kam die Auskunft:

„In der verdammten Schleuse. Die kleine Tür ist zu. Ich ... versuche ... ah! Endlich."

Cliff zitterte stellvertretend für den Gardisten mit. Dann hörte er dumpfe Geräusche und begriff, daß es nicht sein Herzschlag war, sondern die Vibrationen

der Schritte jenes angstgepeinigten Mannes dort drüben. Er zog sich in der Luke hoch und spähte hinüber. In majestä-tischer Langsamkeit schlossen sich die beiden, wie breite Kiefer wirkenden Hangarplatten. Als zwischen ihnen nur noch ein kleiner Spalt war, sah der Commander die stechende Flamme des Triebwerks. Buchstäblich im letzten Augenblick hatte der Mann den Weltraum erreicht. In Schlangenlinien zuerst, dann im stabilen Flug, kam er näher und wurde von Cliff förmlich mitsamt dem Tau in den Laderaum gerissen.

Mit der Faust schlug Cliff den Schalter hinein. Viel zu langsam schloß sich das Luk. Cliff schrie:

„Schnellstart! Weg vom Satelliten." Sechs Sekunden lang dröhnte und vi-

brierte das Schiff, dann packte eine unsichtbare Faust die Insassen und schleuderte sie in einen Winkel. Cliff wußte nicht, ob es der Satellit gewesen war oder die ruckartig einsetzende Beschleunigung. Aber als er, mit einem Haufen menschlicher Körper in Rauman-zügen zusammen eingekeilt, die Bewe-gungen der FLAME registrierte, wußte er mehr.

Der Diskus überschlug sich, rotierte, kippte und rollte. Gleichzeitig tobte der Antrieb. Eine halbe Minute lang dauerte dieser Horrorstart, dann beruhigte sich das Schiff, wurde ausgesteuert und abge-bremst, flog aber dennoch mit beachtlicher Geschwindigkeit weiter. Die Männer standen fluchend und lachend auf.

„Achtung. Hier Kommandokanzel. Wir fluten den Laderaum. Der Satellit ist verschwunden; es gab eine Explosionswir-kung ohne jeden optischen Effekt. Ich glaube, wir sind davongekommen."

Die Besatzungsmitglieder waren routi-nierte Raumfahrer und erledigten die notwendigen Handgriffe schweigend und schnell. Sie verließen den Laderaum, schlossen das Schott, zogen die Anzüge

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aus und verstauten die Ausrüstung, und nach und nach versammelte sich die ge-samte Besatzung in der Kanzel.

Sie sahen einander mit kreideweißen Gesichtern an. Dann fragte Cliff, der sich etwas besser fühlte:

„Der Killersatellit ist plötzlich ver-schwunden, nicht wahr? Von einem Augenblick zum anderen?"

Der Astrogator hob den Arm und sagte mit zitternder Stimme:

„Wir haben alles aufgenommen. Dort, auf Schirm vier."

Es war völlig undramatisch. Das Band zeigte den letzten Gardisten und wie er in der offenen Luke verschwand, dann den Killersatelliten, der sich zu bewegen schien, als das Schiff startete. Und im nächsten Moment gab es dort, wo er sich eben noch befunden hatte, nur die Sterne des Weltraums, die einen Sekunden-bruchteil später einen wahnsinnigen Reigen aufführten, zusammen mit der Halbkugel des Planeten und den beiden hellen Sonnen.

„Mukdim-Khan ist mit dem Satelliten in der Vergangenheit oder vielleicht sogar in der Zukunft verschwunden. Hoffentlich", sagte Cliff wie im Selbstgespräch, „kann er mit diesem gewaltigen Potential nicht an Stellen, die wir nicht kennen, riesiges Unglück anrichten."

Tonlos antwortete McKinney: „Sicher nicht. Mein Offizier hat eine

Zeitbombe auf zehn Stunden Vorlaufzeit eingestellt, eine terranische Flotten-Anti-materiebombe nämlich. Auf meinen Befehl. Als ich merkte, daß Khan diese Waffe als seinen persönlichen Besitz betrachtete, und als ich wußte, daß er sie zum Kampf gegen Menschen benutzen wollte, habe ich den Befehl gegeben."

Der weggeworfene Gürtel! Dachte der Commander. In zehn Stunden detonierte irgendwo und - irgendwann in der Ver-gangenheit oder Zukunft- der Killersatellit.

„Es hätte Krieg gegeben", murmelte

Minvari. „Wir sollten später darüber sprechen, wenn wir aus dem Schock heraus sind. Was jetzt?"

Cliff tippte dem Chefkybernetiker, der an der Steuerung saß, auf die Schulter-stücke der Bordkombination.

„Sie sind der Chef hier?" „Notgedrungen. Ich bin Erster Offizier

und Khans Vertreter." „Ich schlage Ihnen folgendes vor: wir

funken die ORION Neun an, die anderen Schiffe und auch Laguna. Dann landen wir dort und erklären ihnen, daß sie wieder fischen und Mineralien sammeln können. Vorher müssen sie aber noch unsere ver-schiedenen Schiffe notdürftig flicken und fernflugfähig machen. Ist dies ein akzep-tabler Vorschlag?"

Ein Gardist von der Vulkanwelt flüsterte hingerissen:

„Auf Laguna soll es ewigen Sonnen-schein, klares, warmes Meerwasser und viele hübsche Kolonistinnen geben. Ich denke, Sie sind ein Mann von hervorra-genden Ideen, Oberst McLane."

Cliff erwiderte hustend, da ihm seine Lungen plötzlich verstärkt zu schaffen machten:

„Ihr oberster Kriegsherr war anderer Auffassung. Aber ich stimme mit Ihrer Meinung überein."

Der Funker kippte einen Schalter, und Shubashis Stimme war deutlich zu vernehmen.

„Hier ORION Neun. Wir befinden uns nach Ortung im Anflug auf die Havaristen-flotte. Wir rufen die FLAME OF AUREOLA. Wir haben ein Ultimatum zu stellen. Die Erdregierung verlangt die sofortige Auslieferung von Commander Cliff Alistair McLane ..."

Cliff griff zum Mikrophon und antwortete:

„Atan! Cliff hier. Sofortige Rich-tungsänderung. Wir alle fliegen zu Hasso, Tatjana und ..."

Er unterbrach sich mitten im Satz und

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krümmte sich zusammen, ein heiseres Röcheln kam aus seinem Mund, zusam-men mit einigen dunkelroten Blutstropfen. Als zwei Männer besorgt hinzusprangen,

war er bereits bewußtlos. Den überstürzten Rückflug zur Erde machte er unter einem improvisierten Sauerstoffzelt mit und kam In der Basis 104 sofort ins Hospital.

ENDE

Während der Auseinandersetzungen mit den gefährlichen Hinterlassenschaften des Kosmischen Infernos trat eine neue Gefahr auf den Plan: die Gefahr eines Bruderkrieges zwischen den Menschen der Erde und den Menschen, die auf den vor langer Zeit besiedelten Planeten der von Menschen erforschten Raumkugel leben. Der Killersatellit fachte den bis dahin unter der Oberfläche schwebenden Konflikt an und drohte ihn zur Flamme des Krieges auflodern zu lassen. Die Raumfahrer der ORION sahen sich vor die schwierige und gefährliche Aufgabe gestellt, den Menschen der Kolonialwelten zu beweisen, daß der Killersatellit kein Machtin-strument der Erde war. Sie entledigten sich dieser Aufgabe mit Bravour und diplomatischem Fin-gerspitzengefühl. Der Frieden wird, wenn auch nur fürs erste, gerettet. Doch schon bahnen sich Ereignisse an, die weitreichende Folgen für alle Menschen haben werden. Wie die Menschheit mit dem Vorläufer einer ganzen Kette bedroh-licher Geschehnisse konfrontiert wird, das erzählt Harvey Patton im ORION-Roman der nächsten Woche mit dem Titel

DIE MAGISCHEN SPIEGEL


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