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Der Fall von Thormain

Date post: 04-Jan-2017
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  • 2

    MYTHOR

    Der Fall von

    Thormain

    von Ernst Vlcek

    Band 06

  • 3

    Vorwort

    Liebe Leserinnen, liebe Leser, wie sehr sich die Fantasy-Literatur auch bei der klassischen

    Abenteuerliteratur bedient, knnen Sie am vorliegenden Buch ganz besonders gut feststellen: Ernst Vlcek schpft im ersten Roman, Der Fall von Thormain, natrlich aus seinem rei-chen Erfahrungsschatz als Horror-Schriftsteller, schildert aber die beengende Atmosphre in der Piratenstadt in einer Art und Weise, wie man sie auch aus verschiedenen Seeruberro-manen und -filmen kennt.

    Werner K. Giesa, der die Romane Die Ebene der Krieger und Das Turnier der Caer beisteuerte, orientiert sich auf in-teressante Art und Weise an Ritterund Abenteuerromanen, die vor allem im 19. Jahrhundert sehr beliebt waren und so als ein direkter Vorlufer der Fantasy-Literatur gelten knnen.

    Dem fantastischen Genre blieb dieser Autor brigens treu: Werner K. Giesa schrieb in den 80er und 90er Jahren zahlrei-che Fantasy-, Horror- und Science-Fiction-Romane, schreckte aber auch vor nichtfantastischen Genres wie dem Kriminalro-man nicht zurck. Besonders beliebt wurde er vor allem durch die erfolgreiche Heftromanserie Professor Zamorra, in der sich stets Horror mit Fantasy-Elementen vermischen und die auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Zigtausende von Lesern begeistert.

    Ich wnsche jetzt Ihnen, da Sie sich von dem vorliegenden Buch und den neuen fantastischen Abenteuern von Mythor, Nottr, Sadagar und Kalathee begeistern lassen!

    Klaus N. Frick

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    Die gierigen Finger des Bsen greifen wieder aus der Dunkel-zone nach der Welt der Menschen. Der Schatten des gleien-den Ringes aus kosmischen Trmmern, der die Welt in zwei Hlften teilt, beherbergt die Mchte der Finsternis. Von D-monenpriestern vorangetrieben, machen sie sich daran, den Norden der Welt zu erobern. Zu lange schon ist es her, da der Bote des Lichts mit seinem strahlenden Kometentier den Men-schen den Frieden brachte. Und der Sohn des Kometen, der mglicherweise dem Bsen standhalten kann, ist noch immer nicht aufgetaucht.

    Die uralte Nomadenstadt Churkuuhl, die seit langer Zeit auf dem Rcken gewaltiger Tiere ber die nrdliche Welt getragen wird, geht an der Kste des Meeres der Spinnen in einer furchtbaren Katastrophe unter. Aus ihren Trmmern retten sich nur wenige, darunter der junge Mann, den man Mythor nennt und dessen Herkunft unbekannt ist. Nyala, die Tochter des Herzogs von Elvinon, bewahrt Mythors Leben, denn sie glaubt fest daran, da er jener Sohn des Kometen sei, dessen Kommen vorausgesagt wurde. In einem unterirdischen Tem-pel erfhrt Mythor, da er zuerst mehrere Aufgaben zu erfl-len hat, bevor er als Kometensohn anerkannt ist.

    In Elvinon gert Mythor mitten in die Invasion durch das Kriegervolk der Caer. Die von Dmonenpriestern gefhrte Invasionsflotte erstrmt die Stadt. Mythor mu fliehen, um die erste seiner Aufgaben zu erfllen: Er soll das Glserne Schwert Alton fr sich gewinnen, das in Xanadas Lichtburg aufbe-wahrt wird. Das stellt sich als recht schwierig heraus, denn die ehemalige Lichtburg ist mittlerweile zu einem Hort der Dun-kelheit geworden und wird von einem Dmon beherrscht.

    Nur mit Hilfe einiger neuer Freunde gelingt es Mythor, bis zur Lichtburg vorzudringen und das Schwert an sich zu brin-gen. Doch die Burg wird durch den gewaltigen Nffenwurm und seine Brut vollstndig zerstrt. Durch viele Meilen lange

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    unterirdische Gnge fliehen Mythor und seine Gefhrten. Als sie wieder an die Oberflche kommen, finden sie sich in der von der Pest gebeutelten und von den Caer belagerten Stadt Nyrngor wieder, deren junge Knigin Elivara Mythor um Hil-fe bittet.

    Aber auch hier lt sich der Sieg der Caer nicht verhindern, und Mythor mu erneut fliehen. Nach Abenteuern auf dem Mammutfriedhof macht er sich auf den Weg zu Althars Wol-kenhort, um dort den Helm der Gerechten an sich zu bringen. Nach einem bernatrlichen Sturm verschlgt es die Gefhr-ten zunchst auf die von Schwarzer Magie beherrschte Insel Zuuk, dann in die Kstenstadt Lockwergen.

    Lockwergen, einst ein blhender Hafen, ist mittlerweile zur Geisterstadt geworden, in deren leeren Straen gefhrliche Banditen ihr Unwesen treiben.

    Dazu treffen Caer ein, angefhrt von dem Dmonenpriester Drundyr, der dort mit Hilfe eines Wolfsmannes die Herrschaft ergreifen will. An seiner Seite: Nyala von Elvinon, Mythors ehemalige Geliebte, die lngst in der Gewalt der Finstermchte ist.

    Nach heftigen Auseinandersetzungen gelingt es, den Wolfsmann zu besiegen und aus Lockwergen zu fliehen. Da-bei benutzen die Gefhrten einen Weg, der vor langer Zeit von den mittlerweile ausgestorbenen Titanen angelegt wurde. Auch der Wolkenhort wurde von einem alten Volk angelegt. Auf den verschiedenen Ebenen des himmelhohen Turms mu sich Mythor mit den Geistern frherer Eindringlinge ausei-nandersetzen, bis er schlielich den Helm der Gerechten errin-gen kann. Dieser Helm soll ihn knftig schtzen und ihm gleichzeitig den Weg zu anderen Sttzpunkten des Lichtboten weisen.

    Auf dem Weg zu der Piratenstadt Thormain wird Mythor mit seinen Freunden von dem mchtigen Caer-Ritter Coerl

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    OMarn gefangengenommen. Der Sohn des Kometen merkt bald, da er keinen dmonischen Feind vor sich hat, sondern einen tapferen Menschen, der sich unter Mythors Einflu von den Dmonenpriestern abwendet. Die Mnner trennen sich unweit der Piratenstadt, und Mythor begibt sich mitten hinein in turbulente Auseinandersetzungen. Thormain ist ein chaoti-scher Stadtstaat, aber irgendwo dort drinnen wartet ein Hin-weis des Lichtboten, den Mythor unter allen Umstnden ken-nen mu

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    Ernst Vlcek

    DER FALL VON THORMAIN

    Ein qualvoller Schrei drang durch die fellbehangenen Fenster des Thronsaals. Einige der am Fenster stehenden Mnner und Frauen hoben die Felle, um einen kurzen Blick auf den Richt-platz zu werfen, und wandten sich dann wieder gelangweilt ab. Was sie zu sehen bekommen hatten, war in Thormain ein alltgliches Schauspiel.

    Der Herr der Schultern ist wieder einmal am Werk, sagte Kend, der gar nicht nachzusehen brauchte, um zu wissen, was sich auf dem Platz vor dem Nest tat.

    Argur von Solth verzog angewidert sein verlebtes Gesicht. Mu Welleynn ausgerechnet jetzt eines seiner Spektakel auf-fhren? fragte der Herrscher von Thormain und hustete, als ihm Rauch in die Atemwege kam. Er schimpfte und fragte: Warum qualmt das so?

    Kein Feuer ohne Rauch, sagte Kend spttisch und meinte damit die vielen Fackeln, die den Thronsaal erhellten, und das groe Feuer im offenen Kamin, das fr Wrme sorgte. Offen-bar sind der Kamin und die Luftschchte verstopft. Ich schicke jemand aufs Dach, um sie durchputzen zu lassen.

    Kend gab Rigon einen Wink, der daraufhin verschwand. Er wrde jemanden bestimmen, der diese gefahrvolle Aufgabe bernehmen sollte. Wieder ertnte ein langgezogener Schrei.

    Wen lt Welleynn an diesem Tag schultern? wollte Argur von Solth wissen.

    Er heit Mythor, antwortete Kend. Aber der Herr der Schulter mu gleich hiersein, dann kannst du von ihm Einzel-heiten erfragen. Kend beugte sich nher zu Argur von Solth

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    und fgte mit drohendem Unterton hinzu: Und du wirst auch ber das andere mit ihm reden, nicht wahr? Oder soll ich dich nochmals an das Schicksal deines Vorgngers erinnern? Oder an das, was einst mit Jorgan passiert ist?

    La diese Anspielungen, Kend! sagte Argur von Solth klglich. Noch bin ich der Knig der Meere und bestimme, was in Thormain zu geschehen hat.

    Kend lachte bsartig und flsterte: Du hast nur etwas zu bestellen, solange du fr deine Leute sorgst. Aber es ist doch so, da schon seit Wochen keine Enterfahrt mehr stattgefun-den hat. Wann haben deine Leute die letzte nennenswerte Beute gemacht? Sag es doch!

    Ich wei, sagte Argur von Solth unbehaglich und wischte sich mit dem pelzbesetzten rmel seines Prunkgewands den Schwei von der Stirn. Ich werde mit Welleynn reden. Ich verspreche dir, da wir schon in den nchsten Tagen auf groe Fahrt gehen werden. Die Caer werden uns nicht daran hin-dern.

    Das sind groe Worte, vergi sie nur nicht, Argur, sagte Kend. Ich kann dir nur raten, zu deinem Wort zu stehen, sonst

    Kend lie die Drohung unausgesprochen. Aber vom Richt-platz erklang wieder der unmenschliche Schrei des Unglckli-chen, der an den Schultern aufgehngt worden war. Dazu l-chelte Kend vielversprechend.

    Argur von Solth atmete erleichtert auf, als die beiden groen Torflgel des Thronsaals aufgingen und darin die schwarzge-kleidete Gestalt des Scharfrichters auftauchte. Welleynn kam mit langen, schnellen Schritten herein und strebte geradewegs dem Thron zu. An seiner Seite entdeckte der Herrscher von Thormain eine zierliche Gestalt in einem wallenden weien Gewand. Das mute die Schnheit sein, die ihm der Scharf-richter versprochen hatte. Argur konnte auf diese Entfernung

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    jedoch keine Einzelheiten erkennen, weil es mit seinem Au-genlicht nicht mehr zum besten stand. Er sah nur, da die Frau in dem weien Gewand trippelnd mit Welleynn Schritt zu hal-ten versuchte und verzweifelt nach ihm griff.

    In diesem Moment erklang wieder ein Schrei. Er kam jedoch nicht vom Richtplatz, sondern vom Dach, verlor sich in der Tiefe und endete in einem dumpfen Aufprall. Argur verzog das Gesicht ob dieser Strung und beschlo, den ungeschick-ten Kaminfeger kielholen zu lassen, falls er den Sturz vom Dach berhaupt berlebt hatte.

    Welleynn erreichte mit seiner Begleiterin den Thron und verneigte sich vor der untersten Stufe. Der Scharfrichter sagte mit gesenktem Kopf und salbungsvoller Stimme: Das ist Ka-lathee, deren Schnheit ich dir gepriesen habe, mein Herr.

    Komm herauf, schnes Kind, damit ich dich nher betrach-ten kann, verlangte Argur und leckte sich die Lippen. Was er auf drei Armlngen von der Frau sah, gefiel ihm auerordent-lich.

    Sie war mittelgro, sehr schlank und so zartgliedrig, da sie geradezu zerbrechlich wirkte. Ihre tiefliegenden, dunkelbrau-nen Augen blickten verzweifelt zu ihm empor. Ihre aufge-trmte Frisur hatte sich aufgelst, und Strhnen des blonden Haares hingen ihr ins Gesicht.

    Aber du weinst ja, Herzchen, stellte Argur bedauernd fest. Was ist dir Schreckliches widerfahren, da Trnen dein Ant-litz nssen?

    Herr, kam es ber die zitternden Lippen, dann brach ihr die Stimme. Als Argur mit beiden Hnden nach ihr griff, rich-tete sie sich auf und fuhr mit flehender Stimme fort: Herr, bitte hilf mir! Man hat meinen geliebten Milchbruder zum Richtplatz geschleppt und will ihn an den Schultern zu Tode hngen. Aber er hat dir nichts getan. Was man ihm auch vor-wirft, er ist unschuldig. Wenn du, als Herrscher von Thor-

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    main, ein Wort sprichst und Mythor Gnade widerfahren lt, will ich auf ewig deine Dienerin sein.

    Na, na, machte Argur beruhigend. Er blickte zu Welleynn, schnippte mit dem Finger und sagte in befehlendem Ton: Er-lasse dem Verurteilten die Strafe und schenke ihm die Frei-heit!

    Welleynn zog sich wortlos zurck und ging zu einem der Fenster, um den Henkern ein Zeichen zu geben.

    Danke, Herr. Kalathee ergriff Argurs Hand und kte sie dankbar. Er aber entzog sie ihr und hob ihr Gesicht. Es ver-schlug ihm den Atem. In ganz Thormain gab es keine Frau, die mit dieser vergleichbar gewesen wre. Er hatte schon lange nicht mehr in ein so sanftmtiges Gesicht geblickt, keine Frau mehr gesehen, bei der sich kindliche Unschuld mit Sinnlich-keit in diesem Ma paarte.

    Du sollst noch Gelegenheit bekommen, deine Dankbarkeit zu beweisen, sagte Argur. Er wrde das Gesprch mit Wel-leynn rasch zu einem Abschlu bringen und sich dann diesem schnen Kind zuwenden. Dein Milchbruder ist begnadigt, du kannst zufrieden sein. Oder? Diese Frage schlo er an, als er sah, da Kalathee den Blick betroffen senkte.

    Was willst du noch? fragte Argur mitrauisch. Ist dir das Leben deines Milchbruders nicht genug? Soll ich ihn noch in Seide und Hermelin kleiden?

    Das ist es nicht, sagte Kalathee mit kaum vernehmlicher Stimme. Aber meine Freunde Nottr und Sadagar, die auch im Kerker schmachten mssen, sind ebenso unschuldig. Wre es vermessen, auch um ihre Begnadigung zu bitten?

    Was wirft man diesen Leuten vor? fragte Argur seinen Scharfrichter, der eben zurckkam.

    Wir sind harmlose Spielleute, die nichts anderes wollen, als die Menschen mit ihrem Spiel und Gesang zu erfreuen, sagte Kalathee schnell. Wir haben nichts Verwerflicheres getan,

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    als Genug! sagte Argur, als er von Welleynn einen Wink be-

    kam. Ich werde das schon richten. Geh voraus in meine Ge-mcher, Kindchen, eine Zofe wird dich betreuen. Ich komme bald nach und werde vermutlich eine erfreuliche Nachricht fr dich mitbringen.

    Danke. Kalathee wollte offenbar noch etwas hinzufgen, aber zwei Wachen drngten sie vom Thron fort.

    Welleynn kam die Stufen zum Thron hoch und lie sich auf dem Brenfell daneben nieder.

    Was ist das fr eine Geschichte? erkundigte sich Argur stirnrunzelnd. Warum lt du diesen Mythor ausgerechnet dann schultern, wenn du mir seine Milchschwester als Bett-wrmer bringst?

    Der Scharfrichter lchelte, aber seine Augen blieben dabei kalt. Im Vertrauen, Argur, sagte er dabei, es war gar nicht Mythor, dessen jmmerliche Schreie du hrtest. Ich habe das der Frau nur eingeredet, damit du deine Gromut zeigen und sie dir auf diese Weise gefgig machen kannst.

    Ein verstehendes Lcheln zeigte sich auf Argur von Solths Gesicht. Es verschwand jedoch sofort wieder, als Welleynn fortfuhr: Allerdings habe ich nicht nur an die Befriedigung deiner fleischlichen Begierden gedacht. Die Frau und ihre Freunde scheinen mir mehr als harmlose Musikanten zu sein. Ich mchte, da du sie zum Sprechen bringst und von ihr er-fhrst, was sie wirklich in Thormain wollen.

    Was vermutest du denn? fragte Argur. Welleynn hob die Schultern. Yargh Mainer, der sie an mich

    auslieferte, hat die vier belauscht und behauptet, da sie eine Verschwrung planen. Mythor, der ohne Zweifel der Anfh-rer ist, hat Erkundigungen ber den thormainischen Brunnen eingeholt. Das erscheint mir verdchtig. Ich mchte wissen, was die vier vorhaben, und das geht am ehesten ber Ka-

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    lathee. Sie ist in deiner Abhngigkeit, du kannst alles von ihr haben.

    Ich werde sie nebenbei aushorchen, versprach Argur von Solth. Aber ich verstehe deine Befrchtungen nicht, Wel-leynn. Diese vier Leute knnen uns doch nichts anhaben. Ge-gen unsere bermacht stehen sie auf verlorenem Posten.

    Caer! sagte Welleynn, und Argur zuckte bei diesem einen Wort wie unter einem Peitschenhieb zusammen.

    Caer? wiederholte er. Du meinst, die vier knnten eine Vorhut der Caer sein? Argur lachte geknstelt. Vier Mann! Was sollen sie ausrichten knnen? Ja, wenn es wenigstens Caer-Priester wren! Aber Kalathee sieht mir nicht wie eine Dmonenpriesterin aus.

    Es knnte sich um Spione der Caer handeln, gab der Scharfrichter zu bedenken, die die Lage auskundschaften sol-len. Du und ich, wir beide wissen, da Thormain von den Caer nicht verschont bleiben wird. Eines Tages werden sie auch diese Festung nehmen.

    Steht es bereits so schlimm? fragte Argur besorgt. Er pack-te den Scharfrichter an der Schulter. Und was ist mit der Ab-machung, die du mit den Caer getroffen hast, Welleynn? Die Caer haben uns all die Jahre gewhren lassen, solange wir nicht ihre Schiffe und Siedlungen berfielen. Ja, sie haben uns sogar Hinweise gegeben, wann und wo reiche Beute zu ma-chen sei. Es ist doch so, da wir den Caer eigentlich ganz gute Dienste geleistet haben. Du selbst hast das Abkommen mit ihnen getroffen. Wir haben ihre Schiffe in Ruhe gelassen, und sie haben uns nichts in den Weg gelegt. Wieso ist das auf ein-mal anders?

    Die Caer brauchen uns nicht mehr, sie fhlen sich stark ge-nug, sich die ganze Welt aus eigener Kraft zu unterwerfen, sagte Welleynn. Ich habe seinerzeit mit caerischen Heerfh-rern verhandelt. Aber jetzt sind die Dmonenpriester an der

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    Macht. Argur hieb mit der Faust auf die Armlehne des Throns. Wir

    drfen uns das nicht lnger bieten lassen, sagte er fest. Etwas kleinlauter fgte er hinzu: Kend und seine Leute haben mich in die Enge getrieben. Wenn ich nicht bald fr reiche Beute sorge, werden sie mich strzen, und du weit, Welleynn, da dies auch dich den Kopf kosten wird. Ich mu sie auf Raubzug schicken. Das sind keine Landratten, die man hinter Mauern einschlieen kann. Sie brauchen die Seeluft und den Kampf. Wenn wir ihnen nicht dazu verhelfen, werden sie ihr Mtchen an uns khlen.

    Du hast Angst, Argur, sagte Welleynn abfllig. Aber war-te nur, bis die Caer kommen, dann wird dieses Pack genug Gelegenheit erhalten, sich im Kampf abzureagieren. Mach das Kend klar! Wir mssen darauf vorbereitet sein, Thormain zu verteidigen.

    Wie soll ich Kend das klarmachen? fragte Argur verzwei-felt.

    Das ist deine Sache, du bist der Herrscher ber Thormain, antwortete Welleynn. Aber vielleicht kannst du Kalathee zum Sprechen bringen und von ihr etwas ber die Plne der Caer erfahren.

    Ja, Kalathee, sagte Argur und sprte, wie ihn bei der Erin-nerung an dieses zarte Geschpf ein wohliger Schauer ber-kam. Was ist mit ihren Freunden? Ich kme bei ihr leichter ans Ziel, wenn ich ihr eine gute Nachricht berbringen knn-te.

    Ich werde ihre Freunde auf freien Fu setzen und sie beo-bachten lassen, sagte Welleynn. Sie drfen sich ihrer Freiheit erfreuen, zumindest so lange, bis wir die Wahrheit ber sie wissen. Aber ich werde verhindern, da sie mit Kalathee zu-sammenkommen.

    Das ist gut, sagte Argur zustimmend. Ich werde mich

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    sogleich um sie kmmern. Sie wird Wachs in meinen Hn-den.

    Der Herrscher von Thormain verstummte, als sich pltzlich eine ruige Wolke ber ihn senkte und ihn einhllte. Sofort eilten die Leibwachen herbei und holten ihn aus der Gefah-renzone.

    Es besteht weiter keine Gefahr, versuchte ihn einer der Leibwchter zu beruhigen. Das ist nur Ru, der sich beim Reinigen der Luftschchte lste.

    Aber Argur von Solth war nicht zu besnftigen. Er befahl, da der dafr verantwortliche Mann durch Rdern, Schultern, Kielholen und Vierteilen zu bestrafen sei. Dann verlie er w-tend den Thronsaal, um sich Kalathee zu widmen. Bevor er jedoch seine Gemcher betrat, wechselte er noch die Kleidung und wischte sich den Ru aus dem Gesicht.

    Als Argur von Solth sein Schlafgemach betrat, war Kalathee bereits da. Sie sa gesenkten Hauptes auf einem Stuhl, die Hnde artig im Scho gefaltet und von zwei Wachen flankiert. Argur verscheuchte die beiden Mnner, und als die Tr hinter ihnen zufiel, kniete er vor Kalathee nieder und bedeckte ihre Hnde mit Kssen. Sie lie es mit sich geschehen, ohne ir-gendeine Regung zu zeigen. Ihre groen braunen Augen wa-ren vertrumt ins Nichts gerichtet, ihre Hnde waren kalt.

    Warum so traurig, Herzchen? fragte Argur. Ich bringe dir gute Nachricht. Deine Freunde sind frei. Du kannst wieder lachen und dich dankbar erweisen.

    Danke, sagte Kalathee abwesend. Danke, Herr, fr deine Gte. Ich bin deine Sklavin.

    Argur hielt inne und beobachtete forschend ihr berirdisch schnes, aber wie entseelt wirkendes Gesicht.

    Da es deinen Freuden gutgeht, scheint dich aber gar nicht froh zu machen, sagte Argur mimutig. Glaubst du mir nicht? Zweifelst du etwa am Wort eines Argur von Solth?

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    Kalathee schttelte den Kopf. Das nicht Was dann? Mein Milchbruder, murmelte Kalathee traurig. Wenn ich

    von ihm getrennt bin, fhle ich mich wie tot. Ich mu ihn we-nigstens einmal sehen, ihn berhren knnen, sehen, da er wohlauf ist, damit ich mich am Leben wieder freuen kann.

    Das lt sich gewi einrichten, sagte Argur. Du kannst al-les von mir haben, Herzchen, wenn du dich freundlicher zeigst. Ich erwarte nur ein wenig Entgegenkommen von dir.

    Ich wei, aber zuerst mu der Bann von mir genommen werden, sagte Kalathee traurig.

    Was fr ein Bann? wollte Argur wissen. Und Kalathee erzhlte: In jungen Jahren, als wir noch nichts

    von der Liebe und vom Leben wuten, haben wir, mein Milchbruder Mythor und ich, uns innerhalb eines magischen Kreises ewige Treue geschworen. Keiner sollte ohne das Ein-verstndnis des anderen Zrtlichkeiten eines Auenstehenden an sich zulassen. Dieser Zauber wirkt noch immer. Ich habe schon einmal erlebt, wie ein Mann durch meine Umarmung von magischem Feuer verzehrt wurde. Das darf ich dir nicht antun, Argur.

    Argur von Solth lie sofort ihre Hnde los, als habe er sich daran verbrannt. Als er den ersten Schreck berwunden hatte, wurde er jedoch sofort wieder mitrauisch. Wenn du mich tuschst, Herzchen, dann sollst du mich kennenlernen, sagte er. Ehe sichs dein Milchbruder versieht, wird er sich im Ker-ker wiederfinden und du bei ihm.

    O nein, bitte nicht! rief Kalathee erschrocken aus. So grausam darfst du nicht sein, wenn du mich wirklich begehrst. Es gengt, da du mich mit meinem Milchbruder zusammen-bringst, damit er den Bann von mir nimmt. Dann kann ich dein sein.

    Das Verlangen erwachte in Argur sofort wieder. Er mute

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    dieses Mdchen besitzen, koste es, was es wolle nur vom magischen Feuer wollte er sich nicht verzehren lassen.

    Gut, es soll sein, beschlo er. Es geht aber nur unter einer Bedingung. Was denn noch? Kalathee vollfhrte eine Geste der Verzweiflung. Mythor

    und ich haben herausgefunden, da der Bann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gebrochen werden kann, sagte sie. Und es eignet sich nicht jeder Ort dafr. Aber in Thor-main gibt es einen solchen Ort, und nur darum haben wir so viele Gefahren auf uns genommen und sind hierhergekom-men.

    Was fr einen Ort meinst du? erkundigte sich Argur. Den thormainischen Brunnen. Den Brunnen? Argur frstelte unwillkrlich. Es gab kei-

    nen Piraten in Thormain, der freiwillig den sagenumwobenen Brunnen aufgesucht htte. Argur war um nichts in der Welt bereit, sich an diesen unheimlichen Ort zu begeben, nicht ein-mal fr diese begehrenswerte Frau. Aber schlielich wurde das von ihm nicht verlangt; er konnte jemanden bestimmen, der das seltsame Geschwisterpaar zum Brunnen fhrte. Den-noch war er in Sorge um Kalathee. Weit du denn berhaupt, welches Wagnis du auf dich nehmen willst? fragte er ein-dringlich.

    Wie anders knnte ich dir meine Dankbarkeit erweisen? fragte sie traumverloren.

    Daran war etwas Wahres. Die geringe Aussicht, da sie vom Brunnen wiederkehrte und frei fr ihn war, war besser, als sie nur ansehen zu drfen.

    Er wollte gerade seine Zustimmung geben, als die Tr auf-flog und zwei Wachen hereinstrmten. Hinter ihnen tauchte eine schwarze Gestalt mit wehendem Umhang auf. Es war Welleynn. Er brauchte nur ein Wort zu sagen, um Argur von

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    Solth in Aufruhr zu versetzen: Caer! Als der Scharfrichter den Knig der Meere erreicht hatte,

    vertraute er ihm noch flsternd an: Eigentlich wre das noch kein Grund zur Besorgnis gewesen, denn es hat sich lediglich um eine kleine Reitergruppe gehandelt. Das schlimme ist nur, da Kend und seine Bande ber den Haufen hergefallen sind. Ich wei selbst noch nichts Genaues, aber wir werden bald mehr erfahren. Es heit, da Kend zwei berlebende Caer ge-fangengenommen habe und nun im Triumphzug mit ihnen in Thormain einreite.

    Dieser Narr gehrt geschultert! sagte Argur von Solth w-tend.

    Ist das ein Befehl? erkundigte sich der Scharfrichter. Nein, das knnen wir uns nicht erlauben, es wrde zu ei-

    nem Aufstand fhren, beeilte sich Argur zu sagen. Er scht-telte in hilfloser Verzweiflung den Kopf. Das kann bse Fol-gen fr uns haben.

    Allerdings, stimmte Welleynn zu. Wenn die Kunde von diesem berfall die Caer erreicht, wird sie nichts mehr davon abhalten, Thormain dem Erdboden gleichzumachen.

    Argur packte den Scharfrichter an den Schultern und sagte eindringlich: Wir beide sollten fliehen, Welleynn.

    Ist das deiner Weisheit letzter Schlu, Argur? fragte der Scharfrichter spttisch. Wenn von Flucht die Rede ist, fllt mir immer Yargh Mainer ein, dessen viele Fluchtversuche stets gescheitert sind. Und wir haben noch bekanntere Gesichter.

    Aber was sollen wir tun? Die Caer brauchen von diesem bergriff nichts zu erfah-

    ren, sagte Welleynn. Komm mit, wir mssen uns beraten! Argur wandte sich mit einer bedauernden Geste Kalathee zu

    und verlie dann mit dem Scharfrichter sein Schlafgemach.

    *

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    Der Kerkermeister war ein glatzkpfiger Riese namens Gay-mon, der auch Knochenbrecher genannt wurde. Er trug nichts auer einem Lederschurz, der seine Brust und seine Lenden bedeckte, lederne Kraftbnder an Handgelenken und an den Fesseln und eine lederne Gesichtsmaske. Die Ledermaske hat-te Schlitze fr Augen, Nasenlcher und Mund und war be-malt, so da der Eindruck einer Dmonenfratze entstand. An-geblich trug er sie nur zum Schutz gegen die Glut, in der er seine Folterwerkzeuge erhitzte.

    Gaymon gefiel sich darin, seinen Gefangenen die ihnen be-vorstehenden Torturen in allen Einzelheiten zu schildern. My-thor und Nottr blieben unbeeindruckt, aber Sadagar wurde einmal so bel, da er sich bergeben mute. Danach erst ver-lie der Knochenbrecher den Kerker unter zufriedenem Ge-lchter.

    Als der Riese diesmal ber die steinernen Stufen gepoltert kam, sagte Sadagar ngstlich: Kleiner Nadomir, steh uns bei! Gaymon kommt, um uns zum Schultergalgen zu schleppen!

    Der Kerkermeister wurde von sechs Piraten begleitet, die kurze Krummschwerter gezckt hatten, deren Klingen fast so breit wie lang waren. Bei ihnen befand sich noch ein weiterer Pirat, der Mythors Kleider trug. Mythor hatte sich gefragt, wa-rum man ihm tags zuvor das Gewand abgenommen hatte und er nackt auf dem Strohlager liegen mute. Er nahm an, da Gaymon ihn nun aufklren wrde. Der Kerkermeister war bester Laune.

    Ich htte gerne das Gesicht der Jungfrau gesehen, rief er grlend und hieb dem Mann mit Mythors Kleidern auf die mit einem Holzgestell versehenen Schultern, da er ber die letz-ten Stufen stolperte. Was wird die gezittert und gebangt ha-ben, als sie dich an den Schultern baumeln sah und dachte, das sei ihr Milchbruder Mythor.

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    Mythor horchte auf. Aus Gaymons Worten schlo er, da Kalathee ihn als ihren Milchbruder ausgegeben hatte, und ihm wurde einiges andere klar.

    Das httet ihr erleben mssen, sagte der Kerkermeister an seine Gefangenen gewandt. Corben hat gebrllt wie am Spie, so da alle glauben muten, Welleynn htte ihn wirk-lich geschultert. Und es hielten ihn auch alle fr dich, My-thor.

    Corben warf Mythor seine Kleider zu. Nun kam das Gestell vollends zum Vorschein, das er mit Lederriemen um die Schultern gebunden hatte. Es war einer Deichsel hnlich und besa zwei Lcher, an denen er offenbar geschultert worden war. Und das war nur getan worden, um Kalathee zu ngsti-gen! Mythor ballte die Hnde zu Fausten, als Gaymon zu ihm kam.

    Nur nicht aufregen, Brschchen, warnte ihn der Kerker-meister, sonst breche ich dir alle Knochen im Leibe! Und dann wirst du mit deiner frisch gewonnenen Freiheit nicht viel anfangen knnen. Ihr habt schon richtig gehrt, Argur von Solth hat euch begnadigt.

    Gaymon ffnete Mythors Handschellen, mit denen er an die Wand gekettet war.

    Was ist mit Kalathee? fragte Mythor, whrend er sich die Handgelenke rieb.

    Statt einer Antwort begann Gaymon schallend zu lachen. Die anderen fielen darin ein, und einer der Piraten rief: Deine Milchschwester wird schon auf ihre Rechnung kommen.

    Mythor wirbelte wtend herum, aber da erhielt er von Gay-mon einen Schlag ins Genick, der ihn zu Boden gehen lie. Einen Atemzug lang konnte er sich nicht rhren.

    Ketten klirrten, als auch Steinmann Sadagar und Nottr von ihren Fesseln befreit wurden.

    Was habt ihr mit Kalathee gemacht? rief Nottr auer sich

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    vor Wut. Wenn ihr uns entlat, mt ihr auch sie freigeben. Sie bleibt als Pfand bei Argur von Solth, sagte einer der Pi-

    raten. Sei gewi, da sie keine Langeweile empfinden wird. Nottr! rief Mythor, als er sah, wie sich der Lorvaner zum

    Sprung duckte. Ruhig Blut, Kamerad! Wir werden uns schon um Kalathee kmmern.

    Nein, Mythor, sagte Nottr und schttelte den Kopf. Ich kann keine Ruhe finden, solange ich Kalathee als Gefangene dieser Hundeshne wei.

    Sadagar flsterte Nottr etwas zu, worauf sich der Lorvaner entspannte. Komm, gehen wir, bevor man es sich anders -berlegt, sagte der Steinmann dann und drngte Nottr weiter.

    Ja, verschwindet, bevor wir euch Beine machen! rief Cor-ben.

    Mythor hatte die Zeit gentzt, um sich anzuziehen. Er ergriff Nottr am Oberarm und zog ihn mit sich zur Treppe, wo sie von den Piraten in die Mitte genommen wurden. Von den Klingen in Schach gehalten, stiegen sie die Treppe hinauf.

    He, Barbar! rief Gaymon ihnen nach. Wenn du dich mit mir messen willst, dann komm heute abend in den Nffen-wurm. Wir werden beide erst dann zufrieden sein knnen, wenn wir das hinter uns gebracht haben.

    Ich werde dasein, versprach Nottr. Sie erreichten das Ende der Treppe und kamen durch einen

    dsteren Gang zu einer eisenverstrkten Tr. Sie ffnete sich, und sie wurden von den Piraten ins Freie gestoen. Hinter ihnen fiel die Tr dumpf zu.

    Mythor und seine beiden Freunde fanden sich in einem ver-wilderten Park wieder. Zwischen den Bschen und Struchern huften sich Berge von Unrat, und gerade als sie sich einen gangbaren Weg zwischen den stinkenden Haufen suchten, wurde von der Hhe der Mauer ein Sack geschleudert. Er schlug keine Armlnge vor Sadagar auf, und als er platzte,

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    quollen die Knochen irgendeines Tieres heraus. Diese stinkenden Piraten werden noch in ihrem eigenen

    Dreck ersticken, schimpfte Sadagar. Sie lieen den verwilderten Park hinter sich und kamen zu

    der Huserzeile, die ihn begrenzte. Es lungerten nur einige wenige Piraten herum, die offenbar nichts mit sich anzufangen wuten. Mythor entging nicht, da sie von den Mnnern ab-schtzend beobachtet wurden. Obwohl sie unbewaffnet wa-ren, schienen die Piraten jedoch zu der Auffassung zu kom-men, da mit ihnen nicht zu spaen sei, denn man lie sie in Ruhe.

    Mythor lotste die Freunde in eine Gasse, in der etwas mehr Betrieb herrschte, so da sie in der Menge untertauchen konn-ten.

    Was hast du Nottr gesagt, da du ihn dazu brachtest, den Kerker ohne weiteres zu verlassen? erkundigte sich Mythor bei Sadagar.

    Ich habe ihm gesagt, da Kalathee in der Stadt nur Freiwild wre und im Nest gewi besser auf gehoben sei, antwortete Sadagar. Und da wir nichts unversucht lassen werden, sie zu befreien.

    Nottr, der voranging, bahnte sich stur einen Weg durch die Menschenmenge. Als ein Pirat aufbegehrte, der von Nottr an-gerempelt worden war, legte ihm der Lorvaner eine Hand aufs Gesicht und stie ihn gegen die Wand.

    Mythor beschleunigte seinen Schritt, um zu Nottr aufzu-schlieen. Ist dein Zorn noch nicht verraucht? fragte er den Lorvaner. Ich wei, du grollst mir, weil du denkst, ich wrde Kalathee im Stich lassen. Aber das ist ein Irrtum.

    Nottr drehte den Kopf herum. Und wann strmen wir das Nest?

    Mythor seufzte. Man kann nicht immer mit dem Kopf durch die Wand, Nottr. Mir ist nicht bange um Kalathee. Sa-

  • 22

    dagar hatte recht, als er sagte, da sie im Nest sicherer sei als sonstwo.

    Um den Preis ihrer Ehre! sagte Nottr. Er blickte Mythor von der Seite an und prete hervor: Wieviel kann sie dir be-deuten, wenn du zult, da der Herrscher von Thormain sich an ihr nach Lust und Laune vergehen kann?

    Dazu gehren immer zwei, antwortete Mythor. Gegen Argur von Solths Zudringlichkeiten wird sich Kalathee besser wehren knnen, als sie es gegen die brutale Gewalt der gemei-nen Piraten in den Straen von Thormain knnte.

    Nottr nickte. Du magst recht haben du mut recht ha-ben! sagte Nottr. Kalathee darf nichts geschehen. Wann werden wir sie befreien? Willst du zuerst zum thormainischen Brunnen, Mythor?

    Es mu sein, sagte Mythor fest. Der Helm der Gerechten hat mich zu ihm gewiesen, und ich bin sicher, da er ein fr mich wichtiges Geheimnis birgt.

    Gut, ich werde dir helfen, es zu lsen, sagte Nottr. Aber danach zhlt nur noch Kalathee.

    Wre ich nicht sicher, da sie im Nest gut aufgehoben ist, wrde ich sie keinen Augenblick lnger dort lassen, versi-cherte Mythor.

    Und wie wollen wir zu diesem Brunnen gelangen? fragte Nottr.

    Unser Freund Yargh Mainer wird uns hinfhren, antwor-tete Mythor.

    Das ist gut, sagte Nottr und schlug in Vorfreude auf diese Begegnung mit der Faust in die hohle Hand.

    Sadagar bernahm es, sich nach dem Weg zu Yargh Mainers Haus zu erkundigen. Es stellte sich heraus, da er in Thormain bekannt wie falsches Geld war und es kaum einen gab, der nicht wute, wo sich sein Haus befand. Es dmmerte bereits, als sie ihr Ziel erreichten. Die ersten Laternen wurden in den

  • 23

    Straen angezndet, der Lrm, der aus den Schenken kam, wurde lauter: Thormain erwachte mit Einbruch der Nacht zum Leben.

    Da vorne ist Yarghs Haus, sagte Sadagar. Wir haben es gleich geschafft.

    Als sie sich dem Eingang nherten, wurde die Tr geffnet, und eine dickbuchige Gestalt in Frauenkleidern kam heraus. Ein schwarzer Schleier verhllte das Gesicht.

    Das ist doch! rief Nottr aus und wollte nach vorne str-men.

    Aber Mythor hielt ihn lachend zurck. Nicht so hastig, Nottr, sagte er. Wir wollen den Schleier erst lften, wenn wir an einen ruhigeren Ort kommen.

    *

    Yargh Mainer hatte seinen siebten Fluchtversuch noch sorgfl-tiger vorbereitet. Beim letzten Mal, als er sich als Beinloser ausgab und auf einem Wagelchen aus der Stadt zu rollen ver-suchte, hatte er das Mitgefhl und die Menschenfreundlichkeit der Piraten berschtzt. Sie hatten vor nichts und niemandem Achtung, auer vielleicht vor schwangeren Frauen. Dies woll-te er sich nun zunutze machen, indem er in Frauenkleider schlpfte, seinen Bauch mit einem Strohballen ausstopfte und sich einen watschelnden Gang zulegte.

    Tatschlich blieb Yargh unbehelligt, ja, die Piraten machten ihm Platz, und einer befrderte sogar einen Betrunkenen mit einem Tritt zur Seite, um der werdenden Mutter mit dem schleierverhllten Gesicht freie Bahn zu verschaffen. Beim Verlassen des Hauses hatte er noch ein mulmiges Gefhl ge-habt, aber jetzt stieg seine Zuversicht. Zu seiner wirklich voll-endeten Tarnung kam noch der gnstige Umstand, da er sei-ne drei Peiniger Kend, Rigon und Vaughen auerhalb der

  • 24

    Stadt wute. Diesmal konnte wirklich nichts schiefgehen. Es war auch hoch an der Zeit, da er Thormain verlie. Er

    hatte nmlich gehrt, da die als Spielleute verkleideten Aben-teurer, die er an Welleynn ausgeliefert hatte, wieder auf freien Fu gesetzt werden sollten. Damit nicht genug, ging das Ge-rcht um, da die Caer einen berfall auf Thormain planten. Es war wirklich an der Zeit, von hier zu verschwinden.

    Er hatte schon eine beachtliche Strecke zurckgelegt und kam in eine enge, verlassene Gasse. Als er sich unbeobachtet fhlte, rckte er seinen Strohbauch zurecht und verschrnkte dann die Hnde davor, um ihn zu halten.

    Da traten ihm pltzlich zwei Gestalten in den Weg, die er an der Statur sofort erkannte. Die eine war gedrungen und mus-kuls, die andere dnn und mickrig. Sadagar und Nottr, der wilde Barbar!

    Yargh ri vor Schreck die Arme hoch, und da sprte er, wie der Strohballen unter seinem Kittel zu Boden plumpste.

    Was fr ein Unglck, eine Frhgeburt! sagte eine vertraute Stimme hinter ihm. Und da stand Mythor. Seine starke Hand erschien vor Yarghs Gesicht und entfernte den Schleier. Dabei stellte er hohntriefend fest: Der Schmerz ber den Verlust des Kindes steht der armen Frau ins Gesicht geschrieben. Wie herb ihre Zge sind, wie leichenbla die Haut!

    Yargh brachte keinen Ton ber die Lippen. Nottr kam heran und gab dem Strohballen einen Tritt. Sadagar sagte: Was fr ein seltsames Kindlein aus Stroh. Ich dachte, solches habe un-ser Freund nur im Kopf.

    Was was wollt ihr? stammelte Yargh. Ich habe euch nichts getan. Ihr knnt alles haben, nur

    Ich nehme dich beim Wort, Yargh, unterbrach ihn Mythor und packte ihn mit Daumen und Zeigefinger an der Nase. Du wirst uns den Gefallen tun und uns zum thormainischen Brunnen fhren.

  • 25

    Nein! rief Yargh entsetzt aus. Das knnt ihr nicht von mir verlangen. Nur das nicht!

    Auch gut, sagte Nottr gleichgltig. Dann mache ich das Hebammenspiel mit dir.

    Was ist das? Ich werde dir den Bauch aufschlitzen und nachsehen, ob du

    nicht noch einen Zwilling in dir trgst, sagte Nottr und bleck-te sein Gebi.

    Ich gebe mich geschlagen, sagte Yargh ergeben. Ich fhre euch zum thormainischen Brunnen.

    Das ist ein Wort, sagte Nottr anerkennend und fgte dro-hend hinzu: Aber wenn du uns wieder hintergehst, werde ich dir auch das andere Ohr abbeien!

    Yargh wurde daraufhin noch blasser, als er schon war. Schnell versicherte er: Ihr knnt euch auf mich verlassen. Diesmal werde ich genau das tun, was ihr von mir verlangt. Wann wre es euch denn recht? Morgen? Oder vielleicht -bermorgen?

    Noch in dieser Nacht, bestimmte Mythor. Aber zuerst kehren wir beim Nffenwurm ein.

    Warum denn das? fragte Yargh verstndnislos. Wenn Dhalin, der Wirt, erfhrt, da ihr es wart, die seinen Weinkel-ler geplndert haben, reit er uns alle in Stcke.

    Vor allem dich, denn du hast uns dazu angestiftet, erinner-te Sadagar. Im Fall eines Falles werden wir ihm das gewi nicht verhehlen. Und jetzt marsch, marsch, sonst macht dir Nottr Beine.

    Yargh setzte sich in Bewegung. Dhalins Schenke lag nur drei Straen weiter in einer belebteren Gegend. Dennoch fand Y-argh keine Gelegenheit zur Flucht, denn Nottr hatte ihm den Arm um die Hfte gelegt, als sei er seine Geliebte.

    Dhalins Schenke war durch einen Drachen aus Stein gekenn-zeichnet, der wohl einen Nffenwurm darstellen sollte. Aber

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    Mythor sah keine hnlichkeit mit dem Ungeheuer, mit dem er es in Xanadas Lichtburg zu tun gehabt hatte.

    Wollen wir nicht eine andere Wirtschaft aufsuchen? schlug Yargh vor. Der Nffenwurm ist eine gar ble Spelunke.

    Aber es gibt nur von hier einen Verbindungsgang zum thormainischen Brunnen, sagte Mythor. Auerdem hat Nottr hier eine Verabredung mit dem Knochenbrecher. Es w-re etwas anderes, wenn Nottr davon Abstand nhme.

    Nie! Oder willst du mich einen Feigling schimpfen? rief Nottr aus. Er drngte mit Yargh im Arm durch die Tr.

    Sie muten eine steile, schlecht beleuchtete Treppe hinunter-steigen, ber die sie in ein verrauchtes Gewlbe kamen, in dem ein unbeschreiblicher Lrm herrschte. Da sie keinen frei-en Tisch fanden, stiegen sie ber eine weitere Treppe in ein tiefer liegendes Gewlbe hinab. Dieses war grer und nicht so voll. Ein Buckliger mit nur einem Auge, dem die speckige Lederschrze bis ans Kinn reichte, kam dienstbeflissen heran und fhrte sie zu einem Tisch, an dem zwei Piraten ihren Rausch ausschliefen. Der Bucklige kippte die Betrunkenen von den Sthlen, um fr sie Platz zu machen.

    Mythor berlie es Nottr, die Bestellung aufzugeben. Der Lorvaner verlangte fr jeden einen Krug Wein vom besten und dazu Schinken und Brot. Der Bucklige, zweifellos Dhalin persnlich, wand sich und druckste herum, bevor er es wagte, sich nach der Zahlungsfhigkeit seiner Gste zu erkundigen.

    Das geht alles auf Kosten des gromuligen Gaymon, er-klrte Nottr. Wenn es sein mu, werde ich die Goldstcke aus ihm herausprgeln. Und jetzt spute dich, Wirt!

    Dhalin hatte es auf einmal eilig, sich von ihrem Tisch zu ent-fernen. Gewi hatte er auch nichts Eiligeres zu tun, als die Nachricht zu verbreiten, da da ein Lebensmder sei, der sich mit dem gefrchteten Kerkermeister anlegen wollte. Denn -ber das Gewlbe senkte sich bald ein betretenes Schweigen,

  • 27

    und man warf ihnen von allen Seiten scheue Blicke zu. Der Wirt kam mit der Bestellung, stellte das groe Tablett

    chzend ab und entlud es dann umstndlich. Offenbar lag ihm irgend etwas auf der Zunge, was er loswerden wollte.

    Schlielich nahm er sich ein Herz und sagte zu Mythor: Es ist mir eine groe Ehre, da so hochwohllbliche Herren wie ihr zu Gast in meinem Hause sind. Aber wollt ihr nicht ein andermal wiederkommen? Morgen vielleicht? Ihr knnt dann trinken und essen, was ihr wollt, und es wird euch keinen Kupferling kosten.

    Nottr schlug die Faust auf den Tisch, da der Bucklige zu-sammenzuckte. Wir sind Gaymons Gste, sagte der Lorva-ner. Und wenn du es nicht glaubst, dann warte nur, bis er kommt. Ich werde ihn dazu bringen, vor mir zu knien und es zu besttigen.

    Ich glaube es auch so, edler Herr, sagte Dhalin unbehag-lich. Die Sache ist nur die, da Gaymon heute gar nicht kommen wird.

    Doch, er wird kommen, versicherte Nottr. Er hat es mir selbst gesagt. Und jetzt verschwinde!

    Bevor sich Dhalin zurckziehen konnte, ergriff ihn Mythor in einer pltzlichen Eingebung am Oberarm und zog ihn zu sich. Hast du berhaupt noch gengend Wein in deinem Kel-ler? fragte Mythor. Mir ist zu Ohren gekommen, da man deine Vorrte geplndert habe.

    So, woher weit du das? erkundigte sich Dhalin mitrau-isch.

    Mythor deutete auf Yargh Mainer und sagte: Von dieser ehrbaren Dirne hier. Sie wei auch, wie die Diebe in deinen Keller gelangt sind. Willst du, da sie es dir zeigt?

    Dhalin berlegte und blickte prfend zu Yargh, der sich an der Tischkante festhalten mute, um seines Zitterns Herr zu werden. Er sagte mit verstellter Stimme: Ihr seht, Dhalin will

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    es gar nicht wissen. Er wird vorgesorgt haben, da es nicht wieder passieren kann.

    Es ist mir in der Tat ein Rtsel, wie die Diebe in den Keller gelangt sind, sagte der Bucklige. Und es wre mir schon et-was wert, diesen Schleichweg kennenzulernen.

    Dann fhre uns in den Keller! verlangte Mythor. Dhalin sagte, da er nur den Schlssel holen wolle, und ent-

    schwand. Als sie unter sich waren, sagte Mythor: Gaymon wird hof-

    fentlich nicht so schnell kommen. Und sollte er auftauchen, ehe ich zurck bin, haltet ihn solange hin. Sadagar, ich mache dich dafr verantwortlich, da Nottr sich nicht zu einer Unbe-sonnenheit hinreien lt.

    Ich brauche in dieser Sache deine Hilfe nicht, Mythor, sag-te Nottr. Ich werde mit dem Knochenbrecher alleine fertig.

    Darum geht es nicht, versetzte Mythor. Ich mchte nur dabeisein, um dir den Rcken zu decken. Gaymon hat sicher Freunde, die ihn angesichts einer drohenden Niederlage un-tersttzen werden.

    Nottr billigte diese Begrndung, und Sadagar sagte etwas klglich: Aber beeile dich, Mythor! Er wollte noch etwas hinzufgen, doch da kam Dhalin mit einem groen Schlssel-bund. Mythor zog Yargh, der sich immer noch an den Tisch klammerte, einfach hoch und stie ihn hinter Dhalin her.

    Der Wirt fhrte sie in einen Raum hinter dem Ausschank, sperrte eine eisenverstrkte Tr auf und fhrte sie ber eine Treppe in den Weinkeller, den Mythor nur zu gut kannte. Dort wurden sie von drei verwilderten Gestalten erwartet, die nicht mehr ganz nchtern waren.

    Die beiden Mnner, die Mythor bei seinem ersten Besuch berwltigt hatte, waren nicht darunter. Dhalin schickte die drei Wachen nach oben und wollte dann, da ihm Mythor den geheimen Zugang zeigte.

  • 29

    Mythor deutete zu einem dunklen Loch hinauf, durch das sie eingedrungen waren, und erklrte wahrheitsgetreu, da es von Yargh Mainer eine unterirdische Verbindung zum Wein-keller gebe.

    Dhalin verfluchte Yargh und sagte, da er ihn von Anfang an verdchtigt habe und auch von Kend gewarnt worden sei. Ich werde den Geheimgang zumauern lassen, beschlo er sodann.

    Und die gestohlenen Vorrte willst du nicht wiederhaben? wunderte sich Mythor und machte dem Wirt den Vorschlag, die Beute zurckzuholen. Er bot sich an, dies zusammen mit der ehrbaren Dirne zu erledigen, knpfte jedoch die Bedin-gung daran, da Dhalin inzwischen fr den Schutz seiner bei-den zurckgebliebenen Freunde sorge.

    Wie stellst du dir das vor! rief Dhalin. Ich bin doch nicht lebensmde, mich mit Gaymon anzulegen.

    Du brauchst ihm doch nur etwas in den Wein zu tun, was ihn einschlfert, meinte Mythor, und dann lachten sie beide. Er fgte hinzu: Ich sehe, wir sind uns einig. ber den Lohn sprechen wir spter.

    Yargh wollte diesen Moment, da er sich unbeobachtet glaub-te, ntzen, um sich ber die Treppe zu entfernen. Aber Mythor packte ihn im Genick und holte ihn zurck.

    Dhalin berlie ihnen zwei Laternen und sah zu, wie sie -ber die Wand nach oben stiegen und hinter dem Vorsprung in dem dunklen Loch verschwanden. Dann rief er die Wachen und befahl ihnen, die ffnung augenblicklich zuzumauern.

    Ohne Waffen sind wir hier unten verloren, jammerte Y-argh, whrend er vor Mythor den Schacht in das unterirdische Gewlbe hinabstieg. Du hast keine Ahnung von den Gefah-ren, die hier unten lauern.

    Du zitterst so, da du dich mit einer Waffe nur selbst ver-letzen wrdest, spottete Mythor. Auerdem habe ich bereits

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    einige der Bewohner der Stadt unter Thormain kennengelernt. Ich fand sie recht umgnglich.

    Sie erreichten das Gewlbe, in dem Mythor ihre Ausrstung in einem Spalt zwischen den Felsblcken versteckt hatte. My-thor schob Yargh in eine Ecke und stellte beide Laternen in Hhe seines Gesichts ab, so da er von ihrem Schein geblendet wurde. Er befahl ihm zustzlich, mit dem Gesicht zur Wand zu stehen. Dann begab er sich zu dem Versteck und holte den Helm der Gerechten hervor.

    Mythor berzeugte sich, da Yargh ihm den Rcken zukehr-te, dann setzte er den Helm auf. Sofort vernahm er wieder das Wispern in seinem Kopf, das sich noch verstrkte, als er sich in die Richtung wandte, in der der thormainische Brunnen liegen sollte. Das war die endgltige Besttigung dafr, da ihm der Helm mit seinen Einflsterungen den Weg dorthin wies. My-thor wollte nicht mehr lnger warten, um dieses Geheimnis zu ergrnden.

    Was treibst du denn? fragte Yargh mit bebender Stimme. Kann ich mich endlich umdrehen?

    Mythor nahm den Helm ab und verstaute ihn wieder in dem Versteck. Dabei stieen seine Hnde auf das Pergament. Kurz entschlossen holte er es hervor und entfaltete es. Wie immer, wenn er auf das Bildnis der darauf abgebildeten Frau blickte, berkam ihn eine seltsame Erregung. Er htte stundenlang in dieser Betrachtung versinken knnen, ohne mde zu werden und ohne sich satt zu sehen.

    Mythor hatte sich schon oft die Frage gestellt, was fr ihn vorrangiger war: die restlichen Fixpunkte des Lichtboten zu finden oder diese Frau, die ihm so hnlich sah und zu der er sich wie magisch hingezogen fhlte. Er kannte die Antwort darauf nicht, und er hoffte, da er nicht vor diese Entschei-dung gestellt wrde, sondern da sich eines nach dem ande-ren von selbst ergab.

  • 31

    Ein Laut, der aus Yarghs Richtung kam, lie ihn in die Wirk-lichkeit zurckfinden, und schweren Herzens schob er das Pergament wieder in das Versteck zurck. Er erhob sich, rich-tete sich auf und gab Yargh die Erlaubnis, sich wieder umzu-drehen.

    Ist es dir noch ernst damit, auf diesem Weg zum thormaini-schen Brunnen zu gelangen? fragte Yargh. Ich mache dir einen besseren Vorschlag. Ich habe in einem Versteck meines Hauses ein kleines Vermgen angesammelt. Eigentlich wollte ich es zurcklassen und es mir irgendwann spter holen. Aber wenn du willst, teile ich mit dir. Es ist genug

    Yargh verstummte, als er Mythors unerbittlichen Ge-sichtsausdruck sah. Du fhrst mich jetzt zum thormainischen Brunnen, oder du erblickst das Licht der Oberwelt nicht mehr, sagte Mythor und nahm die eine Laterne an sich.

    Daran glaube ich sowieso nicht, meinte Yargh resignie-rend, raffte mit der einen Hand seinen Kittel und setzte sich in Bewegung.

    Mythor ging voran, denn der Weg bis zu Yarghs Haus war ihm vertraut. Er war leicht zu finden, da Sadagar ihn mit Ru-nenzeichen markiert hatte. Diesmal war von den Unbekann-ten, die das Licht scheuten, weil sie nach eigener Aussage ei-nen viel zu abscheulichen Anblick boten, nichts zu sehen. My-thor war also ganz auf Yargh angewiesen.

    Bist du sicher, das dies der Weg zum thormainischen Brun-nen ist? erkundigte er sich zwischendurch, nachdem sie in unbekannte Regionen vorgedrungen waren und er die Fh-rung Yargh berlie. Wieso kennst du dich berhaupt aus, wenn du noch nie hier unten warst?

    Ich habe nur gesagt, da mich keine zehn Drachen hier he-runterbringen wrden, antwortete Yargh. Aber frher einmal mute ich eine Zeitlang in der Unterwelt leben, weil mir der Boden in Thormain zu hei geworden war. Es hat sich jedoch

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    bald gezeigt, da ich oben meines Lebens trotz allem sicherer war.

    Hast du damals auch welche kennengelernt, die das Licht scheuen und mit rauher, kaum verstndlicher Stimme ein fremdartiges Gorgan sprechen? erkundigte sich Mythor, whrend er Yargh durch die Irrwege zwischen den berein-andergetrmten Steinblcken folgte.

    Es ging mal aufwrts, dann wieder hinab und kreuz und quer durch die Unterwelt. Manchmal gelangten sie in grere Hohlrume, die sie in aufrechter Haltung durchqueren konn-ten, dann wiederum muten sie auf allen vieren kriechen, ber im Wege liegende Felsen klettern und ber tiefe Spalten und Klfte springen. Yargh erwies sich als berraschend behende und geschickt, so da sie rasch vorwrts kamen.

    Hier unten scheuen alle das Licht, sagte Yargh. Aber dei-ne Beschreibung knnte auf die Aurogaer passen. Das sind ehemalige Nomaden aus dem tiefen Sden, die von den Pira-ten nach Thormain verschleppt wurden. Der Schmutz der Stadt ist ihnen nicht bekommen. Sie bekamen den Aussatz und flohen in die Unterwelt. Du bist doch nicht mit ihnen in Berhrung gekommen?

    Nein, log Mythor. Ich habe nur einige aus der Ferne ge-sehen. Aber sie flohen den Schein meiner Laterne.

    Dann sei froh, sagte Yargh erleichtert. Sicher waren sie vermummt, sonst wtest du, da es Ausstzige sind. Sie bie-ten keinen schnen Anblick.

    Vor ihnen war das Rauschen von Wasser. Mythor glaubte schon, da dies vom thormainischen Brunnen stamme. Doch Yargh erklrte ihm, da es sich dabei um die Abwsser der Stadt handle, die einfach in die Unterwelt abgelassen wrden. Es begann bestialisch zu stinken, und Yargh machte einen groen Bogen um dieses Gebiet.

    Sie kamen in einen Gang, dessen Boden und eine Wand aus

  • 33

    gewachsenem Fels bestanden, und dann erreichten sie eine Mauer aus kleineren Steinen und gebranntem Lehm.

    Das sind bereits die Grundmauern thormainischer Hu-ser, erluterte Yargh, die rund um den Brunnen stehen. Der Brunnenschacht ist geradewegs durch den Fels geschlagen worden. Es gibt von hier unten keinen Zugang. Wir mssen hinauf.

    Worauf wartest du denn noch? fragte Mythor ungeduldig, als Yargh zgerte.

    Ich mchte dir Gelegenheit geben, es dir nochmals zu ber-legen, sagte Yargh. Vergi den Brunnen, er bringt Unglck ber jeden, der ihm zu nahe kommt. Nicht umsonst sind alle Huser in seiner Nhe verlassen. Nicht einmal die Verfemten suchen hier Unterschlupf.

    Mach schon, Yargh! drngte Mythor. Sonst mu ich mich daran erinnern, da du uns an Welleynn verraten hast.

    Das machte Yargh Beine. Er stieg ber eine halb verfallene Treppe hinauf, duckte sich und schlpfte durch einen niedri-gen Durchla. Mythor folgte ihm und kam hinter ihm in eine schmale, berdachte Gasse, die weiter oben nach zehn Schrit-ten vor halb verfallenen Hauswnden endete und in Stufen nach unten fhrte. Dort gabelte sie sich nach zwanzig Schrit-ten. Yargh duckte sich furchtsam und schlich scheu in der Mit-te der Gasse dahin, verstohlen zu den dunklen, trlosen Hauseingngen blickend. Er schrie entsetzt auf, als aus einem Hausflur ein Gerusch ertnte und dann ein Rudel schwarzer Schatten herausstrmte und ihren Weg querte. Er beruhigte sich auch nicht, als Mythor ihm versicherte, da es sich nur um aufgescheuchte Ratten handle.

    Sie erreichten die Abzweigung. Yargh brachte vor Angst keinen Ton ber die Lippen und deutete stumm nach links. Mythor sah, da die Strae nach dreiig Schritten auf einen greren Platz mndete. Als er die Laterne hob, konnte er un-

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    deutlich ein Stck eines runden Aufbaus aus behauenem Stein erkennen und den hlzernen Sttzpfeiler fr ein steiles Schin-deldach.

    Ist das der thormainische Brunnen? fragte Mythor. Yargh kam noch dazu, dies mit einem Nicken zu besttigen.

    Aber bevor er ein Wort hervorbrachte, tauchten aus einem Hauseingang pltzlich mehr als zehn bewaffnete Gestalten auf und umzingelten sie.

    Im Namen Argur von Solths, ihr seid festgenommen, rief eine befehlsgewohnte Stimme. Leistet keinen Widerstand, sonst machen wir euch nieder.

    Wir sind unbewaffnet, sagte Mythor und zeigte seine lee-ren Hnde. Ihr mt euch irren, denn Argur von Solth hat uns gerade erst freigelassen.

    Das hat schon seine Ordnung, sagte der Anfhrer der Pira-ten. Du bist der, den wir erwartet haben. Und wen haben wir denn da? Ist das nicht Yargh Mainer? Machst du also auch schon mit Spionen der Caer gemeinsame Sache?

    Ich habe nichts mit diesem Kerl zu tun, beteuerte Yargh. Er hat mich gezwungen, ihn zum thormainischen Brunnen zu fhren.

    Das kannst du Welleynn erzhlen, wenn du am Schulter-galgen hngst, sagte der Anfhrer der Piraten, und einige seiner Leute stimmten ein gezwungen klingendes Gelchter an.

    La uns endlich von hier verschwinden! sagte einer der Mnner und sprach damit vermutlich das aus, was sie alle dachten. Mann, werde ich mich besaufen, wenn ich dem Brunnen heil entkomme!

    Mythor bekam einen Sto in den Rcken. Jemand nahm ihm die Laterne ab. Er warf einen letzten Blick zurck. So nahe war er dem geheimnisvollen Brunnen schon gewesen, und trotz-dem war es ihm nicht vergnnt, ihn zu erforschen. Die Klin-

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    gen, die ihn in Schach hielten, lieen ihn jeden Gedanken an Flucht vergessen. Und da war auch noch Kalathee, die sich in der Gewalt des Argur von Solth befand. Die Sorge um sie tat ein briges, da er sich dazu entschlo, keinen Widerstand zu leisten.

    *

    Argur von Solth war ein groer, stattlicher Mann, der seine Mnnlichkeit durch kostbare Gewnder noch besser zur Gel-tung brachte. Aber bei genauerem Hinsehen zeigte sich, da die Haut seines Gesichts schlaff und teigig war, und sein brei-ter Grtel teilte seinen Wanst in zwei Fettwlste. Seine Hnde hatten verlernt, eine Waffe zu gebrauchen, die Bewegungen der ringgeschmckten Finger waren geziert. Mythor war ein zu guter Beobachter, um nicht zu erkennen, da er einen Mann vor sich hatte, der vor lngerer Zeit die rauhe Seeluft und die Schiffsplanken gegen ruhigere Palastluft und hfi-sches Parkett vertauscht hatte. Aber so verweichlicht, wie sein bertriebenes Gehabe glauben machen sollte, war er gewi nicht.

    Kalathee sa neben seinem Thron auf dem Brenfell, und als sie Mythors ansichtig wurde, zuckte sie zusammen. Sie erhob sich halb, wie ihm entgegenzueilen. Aber da trat ihr eine schwarzgekleidete Gestalt gebietend entgegen, und Kalathee sank wieder zurck.

    Sei tapfer, meine Milchschwester, sagte Mythor, um ihr zu zeigen, da er wute, als was sie sich ausgegeben hatte. Keine Gewalt dieser Welt ist in der Lage, die Bande zu durchtrennen, die uns zusammenhalten.

    Eine Klinge schafft das noch allemal, sagte eine bekannte Stimme aus den Reihen der Piraten, die den Thronplatz um-standen. Mythor wute, da es Kend war, noch bevor er ihn

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    sah. Es fragt sich, ob du jemals wieder eine Waffe tragen wirst,

    herrschte ihn Welleynn an. Du scheinst nicht ermessen zu knnen, wann du davon Gebrauch machen darfst.

    Kend wandte sich verchtlich von dem Scharfrichter ab und sagte zu Argur von Solth:

    Der Scharfrichter kommt mir wie ein ngstliches Weib vor. Er verurteilt mich und meine Leute, weil wir eine Kriegerhor-de im Kampf geschlagen haben. So kann nur ein Feigling den-ken.

    Diese Krieger waren Caer, und die Caer sind unsere Freun-de, sagte Argur von Solth mit einem Seitenblick zu Mythor, den dieser nicht verstand.

    Ach, la doch diese Heuchelei, Argur! sagte Kend wtend. Du weit so gut wie ich, da wir von den Caer nichts Gutes zu erwarten haben. Das sind mir schne Freunde, die versu-chen, uns in Thormain auszuhungern. Gib der Wahrheit die Ehre, und gestehe deinen Ha gegen sie ein. Du brauchst vor den caerischen Spionen nicht zu heucheln, denn sie werden Thormain nicht lebend verlassen.

    Halte deine Zunge im Zaum, Kend! rief Argur von Solth wtend. Noch habe ich das Wort, und ich sehe die Caer als unsere Verbndeten an.

    Mythor sprte wieder den heuchlerischen Blick des Herr-schers von Thormain auf sich und begann zu begreifen. Offen-bar glaubte man, da er von den Caer entsandt worden sei. Das gefiel ihm gar nicht, denn es trug keineswegs zur Verbes-serung seiner Lage bei.

    In der Menge entstand eine Bewegung. Jemand sagte: Da sind die beiden anderen. Gleichzeitig wurde Sadagar in den freien Raum vor dem Thron gestoen, und eine reglose Gestalt wurde zu Boden geworfen. Es war Nottr, und er lag wie tot da.

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    Der Barbar wurde von Dhalin mit einem Schlaftrunk auer Gefecht gesetzt, erklrte der Pirat, der Nottr abgeladen hatte. Das war sein Glck, denn der Knochenbrecher schickte sich gerade an, ihn auseinanderzunehmen.

    Mythor atmete auf. Die Erleichterung darber, da Nottr noch am Leben war, berwog seinen Zorn ber die Hinterlist des buckligen Wirtes.

    Argur von Solth schnitt bei Nottrs Anblick eine Grimasse und wandte sich dann wieder Kend zu. Wie kannst du dein Verhalten rechtfertigen? fragte er ihn. Wie ist es berhaupt zu der Auseinandersetzung mit den Caer gekommen?

    Ganz einfach, sagte Kend. Meine Leute und ich waren auf einem Streifzug auerhalb der Stadt, da kamen uns etwa ein Dutzend Reiter entgegen. Als wir erkannten, da es sich um Caer handelte, forderten wir sie in Gte zum Halten auf. Aber sie erffneten grundlos die Feindseligkeiten und griffen uns an. Wir wehrten uns natrlich und besiegten sie. Die letz-ten beiden berlebenden haben wir gefangengenommen. Es drfte Welleynns Folterknechten nicht schwerfallen, sie zum Reden zu bringen und von ihnen zu erfahren, welchen Auf-trag sie hatten.

    Ich habe etwas anderes gehrt, sagte Welleynn. Demnach waren die meisten Caer verwundet und so abgekmpft, da sie sich kaum im Sattel halten konnten. Nur deshalb getrautet ihr euch, ber sie herzufallen und sie niederzumetzeln.

    Von Waschweibern und Feiglingen lasse ich mich nicht be-leidigen, sagte Kend, ohne den Scharfrichter anzublicken. Nicht ber meine Handlungsweise soll gerichtet werden, sondern ber diese Caer-Spione. Und dazu gehrt dieses Dmchen, das dir schne Augen macht, Argur. Merkst du denn nicht, da sie dir den Kopf verdreht, damit du nicht durchschaust, was wirklich gespielt wird?

    Es ist genug, Kend! sagte Argur von Solth scharf und er-

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    hob sich halb in seinem Thron. Er schnippte mit den Fingern und befahl: Man bringe die beiden Caer fr die Gegenber-stellung mit den Gefangenen.

    Mythor merkte Sadagars fragenden Blick und zuckte als Antwort nur mit den Achseln. Er wute ebensowenig wie der Steinmann, was hier eigentlich vor sich ging. Aber er sah der Gegenberstellung mit den Caer ruhigen Gewissens entgegen. Man konnte ihnen alles mgliche vorwerfen, aber nicht, da sie mit den Caer paktierten.

    Unter den Piraten entstand wieder eine Bewegung, als die Wachen sich einen Weg durch die Umstehenden bahnten. My-thor sah dem Auftauchen der Gefangenen ohne groe Erwar-tung entgegen. Um so berraschter war er, als auf einmal Coerl OMarn und Nyala von Elvinon vor den Thron traten.

    OMarns schulterlanges, angegrautes Haar war wirr und blutverkrustet, an der linken Schlfe hatte er eine Schramme. Sonst wirkte er unverletzt, sein Gang war aufrecht, sein Schritt fest. Den Helm mit dem Federbusch hatte er abgenommen und trug ihn unter dem Arm. Nyala an seiner Seite wirkte da-gegen abwesend, was Mythor darauf zurckfhrte, da sie sich noch nicht ganz von der Beeinflussung durch Drundyrs Dmon erholt hatte.

    Als OMarn ihm das Gesicht zuwandte, hielt Mythor fr ei-nen Moment den Atem an. Aber in den grauen, kalten Augen des Ritters zeigte sich kein Erkennen. Mythor atmete auf. OMarn schien die Situation begriffen zu haben, denn er schenkte auch Sadagar und Kalathee keine weitere Beachtung.

    Bei Caers Blut! schleuderte OMarn dem prunkvoll geklei-deten Argur von Solth entgegen. Was fllt euch rudigen Pi-raten ein, wie Wegelagerer ber einen Ritter der Caer herzufal-len, der euch die unverdiente Ehre erweisen will, eurer Stadt einen Besuch abzustatten? Das wird noch Folgen haben. Fr jeden meiner Leute werden hundert von euch fallen.

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    Ich bedaure zutiefst, was vorgefallen ist, sagte Argur von Solth, aber es lt sich nicht mehr ungeschehen machen. Ich baue doch sehr auf deine Nachsicht und hoffe, da du uns den bedauerlichen Irrtum verzeihst. Da uns dein Besuch nicht an-gekndigt wurde, nahmen meine Leute an, da ihr euch auf Schleichwegen Zugang nach Thormain verschaffen wolltet.

    Das hat der Ritter Coerl OMarn nicht ntig, sagte OMarn wrdevoll.

    Du bist der wackere Coerl OMarn? staunte Argur von Solth, aber in seiner Stimme lag nicht nur Hochachtung, son-dern auch ein lauernder Unterton. Wenn du nach Thormain geschickt wurdest, so mu das einen bedeutungsvollen Grund haben. Willst du ihn uns nicht nennen?

    Ich bin nicht in einer besonderen Mission unterwegs, son-dern wollte Thormain einfach einen Besuch abstatten, ant-wortete OMarn.

    Ohne dich der Lge bezichtigen zu wollen, mu ich das doch bezweifeln, edler Ritter, sagte Argur von Solth. Caer befindet sich im Kriegszustand, und da soll ein Kmpfer wie du die Mue haben, seinen persnlichen Launen nach-zugeben?

    Wenn du mir nicht glaubst, was glaubst du denn? erkun-digte sich OMarn.

    Kennst du diese Frau? wollte der Herrscher von Thormain wissen und hob Kalathees Hand.

    Nein, ich habe sie noch nie gesehen, antwortete OMarn. Und diese beiden Mnner? fragte Argur von Solth und

    deutete auf Mythor und Sadagar. OMarn drehte sich langsam um und betrachtete Sadagar

    und Mythor eingehend. Mythor erwiderte seinen Blick und versuchte in seinen Augen zu lesen, aber sie waren ausdrucks-los. OMarn wandte sich wieder Argur von Solth zu und sagte: Mit solch heruntergekommenen Leuten pflege ich keinen

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    Umgang. Vielleicht wrdest du sie eher kennen, wenn sie caerische

    Kriegerkleidung trgen, mischte sich da Kend ein. Er trat vor den Ritter hin und fuhr fort, bevor ihm Argur von Solth das Wort verbieten konnte: Diese Leute sind als Musikanten ge-kommen, aber keiner, der sie hrte, nahm ihnen ab, da sie das wirklich seien. Sie fielen zudem durch ihr neugieriges Be-nehmen auf, so da sie eigentlich nur Spione sein knnen. Dein Erscheinen hat schlielich den letzten Beweis erbracht. Denn ohne Zweifel habt ihr euch verabredet, und du wolltest von deinen Spionen hren, was sie inzwischen in Erfahrung gebracht haben.

    Auf diese Beleidigung kann es nur eine Antwort geben! rief Coerl OMarn zornig und griff nach seinem Schwert. Da man ihn nicht entwaffnet hatte, zeugte deutlich davon, da man seine Ritterwrde achtete. Aber da OMarn ttlich wer-den wollte, nahmen die Piraten keine Rcksicht mehr auf sei-nen Stand.

    Whrend sich Kend durch einen Sprung in Sicherheit brach-te, strzten sich die umstehenden Mnner auf Coerl OMarn und begruben ihn unter sich. Nyala von Elvinon stand reglos daneben und beobachtete das Geschehen mit ausdruckslosem Gesicht.

    Wenn der Ritter entwaffnet ist, lat von ihm ab! rief Argur von Solth.

    Welleynn war der Menschentraube ber OMarn ausgewi-chen und kam nun zu Argurs Thron hinauf. Die beiden unter-hielten sich kurz miteinander. Obwohl Mythor nichts davon verstehen konnte, zeigte ihm ein Blick zu Kalathee, die offen-bar mithrte, da bei dem Gesprch nichts Gutes herauskam.

    Das Menschenknuel ber OMarn lste sich auf. Dem Ritter waren die Waffen abgenommen worden. Zwei Piraten bogen ihm die Arme auf den Rcken und hielten ihn fest. Zwei ande-

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    re bedrohten ihn mit kurzen Spieen. Das werdet ihr noch ben! drohte OMarn wtend. Du wirst keine Gelegenheit bekommen, deine Rachegelste

    zu stillen, sagte Argur. Dein Verhalten hat gezeigt, da du nicht wrdig bist, wie ein Ritter behandelt zu werden. Aber du wirst im Kerker Gelegenheit bekommen, uns die Wahrheit zu erzhlen. Scharfrichter Welleynns Folterknechte verstehen sich darauf, selbst Steine zum Reden zu bringen. Und wir werden auch von den angeblichen Spielleuten erfahren, ob sie deine Spitzel sind oder nicht. Darauf kannst du dich verlassen.

    Kalathee stie einen erschrockenen Laut aus, doch der Pira-tenherrscher strich ihr beruhigend bers Haar. Keine Angst, schnes Kind, du darfst dich auch weiterhin meiner Gast-freundschaft erfreuen, sagte Argur von Solth heuchlerisch. Und dein Milchbruder Mythor braucht ebenfalls nicht zu frchten, in den Kerker geworfen zu werden.

    Wie kann ich dir das nur danken, Herr, sagte Kalathee scheinbar unterwrfig, aber mit einem bangen Unterton. Of-fenbar kannte sie den Herrscher von Thormain gut genug, um hinter seinen Worten eine Arglist zu vermuten. Sie fgte hin-zu: Wenn ich meinem Milchbruder nicht den magischen Schwur geleistet htte, wrde ich wissen, wie ich mich er-kenntlich zeigen knnte.

    Daran mute ich eben denken, sagte Argur. Ich habe nicht nur von dir gehrt, da dein Milchbruder verzweifelt bemht ist, den thormainischen Brunnen aufzusuchen auch meine Leute haben es mir zugetragen. Sein Wunsch soll in Er-fllung gehen. Er hob den Kopf und befahl mit erhobener Stimme: Werft ihn in den Brunnen!

    Kalathee schrie auf. Mythor wurde gepackt, bevor er Gele-genheit hatte, sich mit Sadagar oder Coerl OMarn durch ir-gendein Zeichen zu verstndigen. Er wehrte sich mit aller Kraft gegen die Gefangennahme, aber die bermacht war zu

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    gro. Zwei Piraten hielten ihm vorne die Hnde zusammen, ein dritter fesselte sie mit einem starken Strick.

    Wenn du nicht stillhltst, binden wir dir auch die Beine zu-sammen und werfen dich so in den Brunnen, wurde ihm an-gedroht. Mythor sah ein, da ihm Widerstand nichts einbrach-te, und wehrte sich nicht mehr.

    Ich verstehe nicht, warum du dich so gebrdest, sagte ei-ner seiner drei Bewacher, die ihn aus dem Thronsaal brachten. Wir tun dir doch nur einen Gefallen, wenn wir dich zum Brunnen bringen. Ist es nicht so?

    Mythor schwieg. Im Grunde hatte der Pirat recht. Der Unter-schied war nur der, da er nicht als freier Mann zum thormai-nischen Brunnen gelangen wrde.

    Whrend ihn seine Hscher ber Treppen nach unten in den engen Innenhof brachten und von dort durch ein Tor aus dem schlohnlichen Gebude, das sie Nest nannten, versuchten sie ihn zu ngstigen, indem sie ihm erzhlten, welches Schicksal er zu erwarten habe. Das reichte von fleischfressenden Fi-schen, die den Brunnen bewohnten, bis zu Wassergeistern, die ihre Opfer in die Tiefe hinabzogen und ihnen dann qualvoll langsam das Leben aussaugten.

    Das alles konnte Mythor jedoch nicht beeindrucken. Er wu-te, da der Brunnen ein anderes Geheimnis bergen mute, von dessen Entschlsselung fr ihn viel abhngen konnte. Der Helm der Gerechten hatte es ihm verraten.

    Mythor wurde auf demselben Weg in den verlassenen Stadt-teil gebracht, auf dem er zusammen mit Yargh Mainer von dort ins Nest gebracht worden war. Seine Hscher verknde-ten lauthals, was mit ihrem Gefangenen geschehen wrde, so da ihnen bald eine grere Menschenmenge folgte. Aller-dings blieben die Neugierigen an der Grenze zum unbewohn-ten Stadtteil zurck. Mythors Bewacher wurden auf einmal sehr schweigsam, und ihr Schritt war auch nicht mehr so

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    forsch. Ihr knnt hier zurckbleiben, und ich verspreche euch, da

    ich den thormainischen Brunnen freiwillig aufsuchen werde, schlug Mythor ihnen vor.

    Das knnte dir so passen, sagte einer und hieb ihm die Faust in die Seite. Wir fhren unseren Auftrag aus.

    Mythor wurde auf den freien Platz gefhrt, in dessen Mitte der Brunnen stand. Die Einfassung des Brunnens war kreis-rund und erhob sich eineinhalb Schritt ber dem Boden. Dar-ber stand ein hlzernes Gestell, das giebelfrmig berdacht war. Das Holz wirkte uralt und wie versteinert. Es gab auch eine Winde, doch hatte diese kein Seil.

    Die Hscher fhrten ihn bis zur Mauereinfassung und waren darauf bedacht, hinter ihm zu bleiben, als frchteten sie sich davor, einen Blick in die Tiefe zu werfen.

    Deine Hnde, sagte einer der Mnner. Mythor streckte sie ihm hin, und der Pirat durchschnitt die

    Fesseln mit seinem Dolch. Im selben Moment wurde Mythor von den beiden anderen gepackt und ber den Rand gestoen.

    Er glaubte von oben Gelchter und schnell enteilende Schrit-te zu hren, whrend er in die Tiefe strzte. Er dachte noch voll Schreck daran, da der Brunnen vielleicht leer sei und er an seinem trockenen Grund zerschellen wrde. Aber da er-folgte der Aufschlag im Wasser, und das eiskalte Na schlug ber ihm zusammen. Ich bin am Ziel meiner Wnsche, dachte er.

    Er tauchte auf und durchschwamm den Brunnen mit fnf Sten. Demnach ma er etwa drei Mannslngen im Durch-messer. Als er hochblickte, sah er weit ber sich den helleren Kreis des Brunnenrandes, gut vier Mannslngen hher.

    Das Wasser war kalt; Mythor begann zu frsteln. Er schwamm entlang der gebogenen Schachtwand und suchte nach einem Halt. Aber die Mauer war fast fugenlos, es gab keine gengend groen Vorsprnge oder Vertiefungen, an

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    denen er sich festhalten konnte. Irgendein glitschiges Zeug, das sich an der Brunnenwand festgesetzt hatte, machte diese aalglatt.

    Er versuchte einige Male vergeblich, sich hochzuziehen. Einmal konnte er seinen Krper halb aus dem Wasser ziehen, rutschte aber sofort wieder ab und tauchte unter. Prustend brachte er sich wieder ber Wasser. Er wute bald nicht mehr, wie oft er entlang der runden Schachtmauer geschwommen war und wie viele Versuche er unternommen hatte, die senk-rechte Mauer hinaufzuklettern.

    Seine Fingerspitzen, mit denen er halbwegs Halt in den Mauerritzen gefunden hatte, waren bald gefhllos. Er trat Wasser und sprte, wie ihm die Klte in den Unterleib kroch. Irgendwann wrden seine Arme und Beine so klamm sein, da er sie nicht mehr bewegen konnte. Dann wrde er unwei-gerlich ertrinken.

    Bevor es jedoch soweit war, wollte er versuchen, zum Grund des Brunnens zu tauchen. Er holte tief Atem, schnellte sich herum und stie mit dem Kopf voran in die Tiefe.

    Um ihn war Dunkelheit, kein Lichtschein erhellte das finste-re Wasser. Mythor tauchte, so tief er konnte, bis ihm die Luft ausging und er meinte, es wrde ihm den Brustkorb sprengen.

    Aber er fand keinen Grund, nicht einmal eine ffnung oder Vertiefung in der Brunnenwand. Er unternahm einige Tauch-versuche, alle mit dem gleichen Erfolg. Bald war er zu schwach, um sich gengend lange unter Wasser zu halten, und er gab es auf.

    Es galt nur noch, sich so lange wie mglich ber Wasser zu halten und auf ein Wunder zu hoffen, das ihm die Rettung brachte. Er dachte an seine Freunde und an den Ritter Coerl OMarn. Vielleicht gelang diesem die Flucht aus der Gefan-genschaft, so da er zum thormainischen Brunnen kommen konnte, um ihn herauszuholen. Aber das war zu unwahr-

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    scheinlich. Warum war OMarn nach Thormain gekommen, anstatt sich

    zu seinen Leuten durchzuschlagen? Der Ritter htte wissen mssen, da er mit seiner Handvoll verwundeter und ge-schlagener Krieger nichts gegen die bermacht der Piraten ausrichten konnte. Wenn er beabsichtigte, zu den Piraten -berzulaufen, dann htte er dies gegenber Argur von Solth gestanden. Aber da er es nicht getan hatte, mute es einen an-deren Grund geben.

    Nyala! OMarn hatte seine Zuneigung fr die Herzogstochter von

    Elvinon nie verhehlt. Steinmann Sadagar hatte sogar angenommen, da sich

    OMarn Nyalas wegen gegen den Caer-Priester Drundyr ge-wandt habe, dem er zu Gehorsam verpflichtet gewesen wre. Wenn der Ritter das fr Nyala getan hatte, mute er sich klar darber sein, da er dafr von der caerischen Priesterschaft Bestrafung zu erwarten hatte.

    Bei diesen berlegungen kam Mythor ein Gedanke, der ihm jedoch selbst als zu abwegig erschien: Hatte Coerl OMarn sei-ne Leute vor Thormain absichtlich geopfert, um alle Zeugen loszuwerden? Die Antwort darauf konnte nur der Ritter selbst geben, aber der wrde schweigen.

    Mythor sprte, wie ihn das bleierne Gewicht seines Krpers unter Wasser zog. Seine Arme und Beine waren schon so steif, da er sie kaum mehr bewegen konnte. Er schluckte Wasser und schlug verzweifelt um sich, um wieder aufzutauchen.

    Kaum bekam er den Kopf ber Wasser, da fiel etwas auf ihn. Ein weiches, nachgiebiges Etwas traf ihn auf den Kopf, und sofort griff er danach.

    Es war ein Seil! Das Wunder, auf das er gehofft hatte? Oder steckte nur eine

    Gemeinheit der Piraten dahinter? Mythor zog an dem Seil, bis

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    es sich gestrafft hatte. Als er nach oben blickte, sah er, da sich einige Schatten ber den Brunnenrand beugten. Eine Stimme rief ihm irgend etwas zu, das er jedoch nicht verstehen konnte.

    Mythor versuchte, sich an dem Seil hochzuziehen. Aber er hatte dazu nicht mehr die Kraft. Er war froh, sich berhaupt daran festhalten zu knnen.

    Da ging ein Ruck durch das Seil. Es wurde nach oben gezo-gen, und Mythor glitt daran aus dem Wasser. Unter Aufbie-tung seiner letzten Krfte hielt er sich an dem Seil fest, wh-rend dieses langsam immer hher gezogen wurde. Ein kalter Lufthauch strich ber seinen Krper und lie ihn erschauern. Jetzt wurde er sich noch mehr der Klte bewut, die sich bis tief in seine Knochen gefressen hatte.

    Endlich erreichte sein Kopf den Brunnenrand. Hilfreiche Arme streckten sich nach ihm aus, bekamen ihn an den Schul-tern zu fassen und holten ihn endgltig ins Freie.

    Er sprte die Wrme eines rauhen Stoffes, den man um ihn wickelte. Mythor wurde vllig darin verpackt, so da er ber-haupt nichts sehen konnte. Aber das war ihm egal. Er fhlte sich geborgen, er war dem nassen Tod entronnen.

    Die Unbekannten hoben ihn hoch und trugen ihn. Nach ei-ner Weile wurde er abgesetzt und aus der wrmenden Decke gerollt. Fr einen Moment blendete ihn flackernder Feuer-schein, und dann strich eine wohlig wrmende Woge ber seinen Krper dahin. Vor ihm brannte eine offene Feuerstelle, um die einige vermummte Gestalten kauerten und standen. Sie trugen Kapuzen mit Augenschlitzen. Die Kutten reichten bis zum Boden herunter, so da nicht einmal ihre Zehen her-vorragten. Die Hnde hatten sie in den weiten, losen rmeln versteckt.

    Ausziehen, warm! sagte eine kehlige Stimme. Mythor wurde sofort an jene Unbekannten erinnert, die er bei seinem ersten Vorsto in die Unterwelt getroffen hatte und die Yargh

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    Mainer als Aurogaer und Ausstzige bezeichnete. Jemand warf ihm eine Kutte zu, und Mythor entledigte sich

    schnell seiner nassen Kleider. Dabei fragte er: Kennt ihr mich noch? War jemand dabei, als ich einige von euch traf? Ich habe gesagt, da ich den thormainischen Brunnen suche. Und ihr nanntet mir einen Namen. Wamdon! Ist einer von euch Wam-don?

    Die Vermummten schwiegen. Mythor schlpfte in die Kutte, ohne sich darber Gedanken zu machen, da sie wahrschein-lich von einem Ausstzigen stammte. Als er den Kopf durch den Halsausschnitt steckte, stellte er fest, da sich die Ver-mummten immer noch nicht rhrten.

    Seid ihr denn keine Aurogaer? fragte Mythor. Kennt ihr Wamdon nicht?

    Doch, sagte da eine helle Stimme aus dem Hintergrund. Eine vermummte Gestalt trat in den Kreis, die kleiner war und zierlicher wirkte als die anderen. Wamdon ist unser Anfh-rer. Und wir kennen dich. Wir sind froh, da wir dir helfen konnten.

    Mythor sah, wie sich der Arm des Vermummten hob und ei-ne schmale Hand den Zipfel der Kapuze packte und diese lf-tete.

    Darunter kam das Gesicht eines Mdchens zum Vorschein. Unter der Kapuze quoll dichtes, halblanges Haar hervor, das im Feuerschein rtlich schimmerte. Das Gesicht des Mdchens war makellos. Die groen grnlichen Augen blickten Mythor sanft an, der Mund mit den vollen Lippen lchelte.

    Ich bin Royna, sagte das Mdchen. Und auer Wamdon die einzige unserer Gemeinschaft, die Gorgan einwandfrei be-herrscht. Ich bin keine Aurogaerin, sondern stamme aus Thormain. Wenn es sich ergibt, werde ich dir meine Geschich-te erzhlen. Aber unterhalten wir uns zuerst ber dich. Bist du der Sohn des Kometen?

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    Mythor verschlug es ob dieser Frage die Sprache. Wie wie kommst du darauf? fragte Mythor verblfft, als er sich wieder gefat hatte.

    Das soll Wamdon dir erklren, entgegnete das Mdchen. Aber beantworte zuerst meine Frage.

    So einfach kann ich das nicht beantworten, sagte Mythor vorsichtig. Er berlegte fieberhaft, wie er sich in dieser Situati-on verhalten sollte, entschlo sich dann aber fr die Wahrheit. Er fuhr fort: Es gibt einige, die mich fr den Sohn des Kome-ten halten, aber ich selbst bin mir im unklaren. Ich habe bereits drei Sttzpunkte des Lichtboten aufgesucht, aber auch dort keine eindeutige Besttigung erhalten. Nun befinde ich mich auf der Suche nach den weiteren Fixpunkten und bekam dabei einen Hinweis auf den thormainischen Brunnen. Er zgerte kurz und fragte dann: Kannst du mir sagen, ob ich hier rich-tig bin, Royna?

    Das ist Wamdons Sache, sagte das Mdchen. Er ist ver-stndigt und wird bald eintreffen. Inzwischen knnen wir uns ber andere Dinge unterhalten. Willst du nicht wissen, wie ich zu den Aurogaern gestoen bin?

    Doch, sagte Mythor. Das Mdchen setzte sich neben ihn ans Lagerfeuer und er-

    griff seine Hnde, whrend es ihm in die Augen blickte. My-thor wurde hei, und er rckte etwas vom Feuer ab. Royna miverstand diese Bewegung, lie sofort seine Hnde los und sagte: Du brauchst nicht zu befrchten, da ich dich anstecke. Du siehst doch, da ich keinen Makel an mir habe. Auch die Aurogaer, wiewohl sie Ausstzige sind, knnen dir nichts an-haben. Ihre Krankheit ist nicht bertragbar, ich mu das wis-sen. Sie haben dieses Gercht nur in Umlauf gebracht, um von den Piraten gemieden zu werden.

    Du hast mich miverstanden, versuchte sich Mythor zu rechtfertigen.

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    Aber das Mdchen winkte ab. Ich will auch sonst nichts von dir, sagte sie. Dafr achte ich dich zu sehr. Ich glaube auch, da du der Sohn des Kometen bist und viel zu schade fr mich, die Tochter einer Piratenkurtisane. Als ich in das Al-ter kam, wollte mich meine Mutter an Argur von Solth ver-schachern. Aber ich floh aus dem Nest in die Unterwelt und stie zu den Aurogaern. Hier blieb ich und vermummte mich, um als eine der Ausstzigen zu gelten. Ich habe Gefallen an diesem Leben gefunden. Freilich, manchmal sehne ich mich nach Licht und Sonne. Aber ich bekam schnell genug von dem freien Leben auf der Oberwelt, wenn ich die Grausamkeiten und Gemeinheiten der oben lebenden Menschen mit ansehen mute.

    Nicht alle sind so verwerflich wie die Piraten, warf Mythor ein.

    Die Aurogaer sind besser. Royna lchelte verbittert. Aber das ist meine Sache, damit will ich dich nicht belasten. Wie lautet eigentlich dein Name? Der Name des Kometensohnes wird in den alten Schriften nirgends genannt.

    Mythor, sagte er. Meine Zieheltern haben mich so ge-nannt, als sie mich beim Schrei des Bitterwolfs fanden, weil meine Herkunft im dunkeln liegt.

    Mythor erzhlte in knappen Worten seine Geschichte, sein Leben bei den Marn, die mit ihrer Nomadenstadt durch Sal-amos und Tainnia nach Norden zogen, wo sich die Yarls nach einem rasenden Lauf mit ganz Churkuuhl ber die Klippen von Elvinon ins Meer der Spinnen gestrzt hatten. Er verga nicht zu erwhnen, da die Yarls von Churkuuhl zweifellos von den dunklen Mchten der Schattenzone besessen gewesen waren.

    Mythor bemerkte, da ein weiterer Vermummter in den Kreis kam, schenkte ihm aber weiter keine Beachtung. Jetzt sagte der neu Hinzugekommene: Auch wir Aurogaer sind

  • 50

    mit einer Nomadenstadt in den Norden gekommen. Unsere Yarls whlten jedoch den Weg durch die Wildlnder, so da ihre Zahl von den Barbaren stark verringert wurde. Wir er-reichten schlielich nur mit drei Yarls die Kste von Eislan-den. Dort griffen uns Piraten an. Sie plnderten unsere wan-dernde Stadt, tteten die Yarls und nahmen uns gefangen. Man brachte hundert von uns als Sklaven nach Thormain. Hier wurden wir Opfer einer geheimnisvollen Krankheit, die einige von uns dahinraffte. Die berlebenden flohen in die Stadt unter der Stadt. Die meisten der Aurogaer, die du hier siehst, sind Nachkommen dieser berlebenden, sie haben die krperlichen Makel von ihren Vtern und Mttern geerbt. Ich war beim Untergang von Auroga dabei. Ich war einer der Y-arl-Fhrer. Ich bin Wamdon.

    Mythor sprang auf und eilte auf den Vermummten zu. Die-ser gebot ihm jedoch mit abwehrend vorgestreckten Armen Einhalt.

    Handle nicht voreilig! sagte Wamdon. Bei der ersten Be-gegnung mit meinen Leuten vor wenigen Tagen hast du ge-sagt, da dir ihre Hlichkeit nichts ausmache. Stehst du noch dazu?

    Ich urteile nicht nach uerlichkeiten, sagte Mythor fest. Fr mich zhlen andere Werte.

    Das sind schne Worte, die du beweisen mut, sagte Wamdon. Wenn du dich meinem Anblick gewachsen fhlst, dann komm her, Mythor, und nimm mir die Kapuze ab.

    Mythor trat ohne Zgern vor Wamdon hin und zog ihm die Kapuze vom Kopf. Der Anblick, der sich ihm bot, erschreckte ihn im ersten Augenblick doch mehr, als er erwartet hatte, und es kostete ihn Mhe, sich nicht entsetzt abzuwenden. Aber er empfand nicht eigentlich Ekel, sondern es war mehr die ber-raschung vor dem Unerwarteten, denn das, was er sah, war unmenschlicher und hlicher, als er befrchtet hatte.

  • 51

    Wamdon hatte anstelle eines Gesichtes nur einen formlosen Klumpen Fleisch, in dem die Augen nach links und rechts ver-schoben und nach unten versetzt waren. Der Mund mit den rissigen und beulenbesetzten Lippen bildete mit den Augen eine Linie. Die Nasenlcher lagen darber und in einem knor-peligen Auswuchs. Der Schdel bestand aus einer Aneinan-derreihung von unfrmigen Wucherungen und war haarlos.

    Ist mein Anblick auch nicht zuviel fr dich? erkundigte sich Wamdon.

    Ich knnte mich daran gewhnen, sagte Mythor lchelnd. So spricht nur der Sohn des Kometen, flsterte Royna ehr-

    frchtig. Vielleicht, sagte Wamdon. Wie kommt ihr eigentlich darauf, mich fr den Sohn des

    Kometen zu halten? erkundigte sich Mythor. Das ist ganz einfach, sagte Wamdon und brachte unter

    den weiten rmeln seiner Kutte zwei verkrppelte Hnde zum Vorschein. An der rechten Hand fehlten zwei Finger, die restlichen sahen aus wie knorrige, morsche Wurzeln.

    Wamdon griff mit beiden Hnden nach Mythors Gesicht, der ob der zu erwartenden Berhrung die Augen schlo. Er sprte die Rechte sanft seine linke Gesichtshlfte erfassen und die Linke hinter sein rechtes Ohr wandern. Dort verweilte sie kurz, bevor die Fingerkuppen die Narbe betasteten.

    Es ist so, wie mir meine Leute berichtet haben, sagte Wamdon und zog die Hnde zurck. Mythor ffnete wieder die Augen und suchte den Blick seines Gegenbers, was nicht leicht war, denn die Augen lagen weit auseinander. Wamdon fuhr fort: Du hast die kreisrunde Narbe hinter dem rechten Ohr, Mythor, an der man den Sohn des Kometen erkennen soll. Die Zeit ist schon lange reif, und wir haben dein Kommen erwartet.

    Die Hand Wamdons legte sich auf Mythors Schulter und

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    drckte ihn wieder zu Boden. Sie setzten sich an die Feuerstel-le. Mythor wurde sich erst jetzt bewut, da er sich nicht zwi-schen den mchtigen Steinblcken der Unterwelt befand, son-dern in einem gemauerten Raum, der vermutlich zu einem der verlassenen Huser rund um den thormainischen Brunnen gehrte.

    Woher habt ihr euer Wissen? erkundigte sich Mythor. Ich habe die alten Schriften bereits erwhnt, warf Royna,

    an Wamdon gewandt, ein. Der winkte ab. Alles der Reihe nach, sagte er. Du wirst

    schon gehrt haben, Mythor, da Thormain auf einer uralten Gigantenstadt errichtet wurde. Du warst selbst schon in der sogenannten Stadt unter der Stadt. Hier mssen einst Riesen gelebt haben, vielleicht dieselben, die den Titanenpfad erbaut haben. Aber das werden wir nie genau erfahren. Ich habe zwar Aufzeichnungen der Ureinwohner gefunden, aber daraus geht nur hervor, da sie die groen Steinblcke als Wehr um den thormainischen Brunnen gebaut haben. Das wiederum zeigt, da der Brunnen viel lter als selbst die Stadt unter der Stadt ist. In langer, mhevoller Arbeit gelang es mir, diese alten Schriften zu entziffern. Leider sind sie nicht vollstndig erhal-ten, so da mein Wissen lckenhaft ist. Aber ich erfuhr genug, um mir ein ziemlich klares Bild zu machen und die Zusam-menhnge zu erfassen.

    Wamdon machte eine kurze Pause und strich sich mit dem rmel bers Gesicht. Mythor schwieg gebannt; er war neugie-rig, wie die Geschichte weitergehen wrde, und konnte es kaum erwarten, bis die Sprache auf den Sohn des Kometen kam.

    Endlich fuhr Wamdon fort: Nach allem, was ich erfahren habe, haben die Ureinwohner die Wehr um den Brunnen im Dienst der dunklen Mchte aus der Schattenzone errichtet. Sie wollten damit verhindern, da der Sohn des Kometen bis zu

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    diesem vordringen konnte. Von ihm geben die Schriften eine recht genaue Beschreibung, die gut auf dich pat, Mythor. A-ber als eindeutiges Merkmal wird eine kreisrunde Narbe hin-ter dem rechten Ohr genannt, wie du sie hast. Und daran habe ich dich erkannt. In den Schriften steht auch, da eine Reihe von Abwehrmanahmen gegen das Vordringen des Kometen-sohns vorbereitet wurden und die Riesen sich selbst als Wch-ter zur Verfgung stellten. Aber seit damals mu unendlich viel Zeit vergangen sein. Die Ureinwohner sind verschwun-den, auf den Trmmern ihrer Wehr entstand Thormain. Die Gefahren, die hier einst lauerten, sind nur noch Legende. Nur der Brunnen hat die Zeiten wirklich berdauert.

    Wamdon machte wieder eine Pause. Mythor wartete eine Weile ab, aber als der Aurogaer nicht weitersprach, fragte er: Und welches Geheimnis der Brunnen birgt, steht nicht in den Schriften?

    Doch, aber nichts Genaues, antwortete Wamdon. Es heit, da tief im Brunnen ein Stein verborgen liege, der

    einst vom Himmel fiel. In diesem Himmelsstein sei das Ge-heimnis eingeschlossen, das nur der Sohn des Kometen entrt-seln knne. Alles Weitere liegt nun an dir, Mythor.

    Dann mu ich in den Brunnen hinabsteigen, sagte Mythor. Aber wie soll ich das bewerkstelligen? Ich wrde wie schon beim erstenmal Gefahr laufen zu ertrinken.

    Wir knnen dir helfen, sagte Wamdon. Mythor blickte den Aurogaer hoffnungsvoll an und fragte:

    Besitzt du magische Krfte, Wamdon? Nein, ich habe keine Beziehung zum bernatrlichen. Aber

    dafr kann ich mir die Gesetze der Natur zunutze machen. Ich will dir nicht verhehlen, da wir selbst schon versucht haben, das Geheimnis des Brunnens zu erforschen. Fr diesen Zweck habe ich eine Vorrichtung gebaut. Aber bis jetzt sind alle Ver-suche gescheitert. Komm mit, Mythor, meine Leute mten

  • 54

    inzwischen die Glocke ins Freie geschafft haben. Wamdon erhob sich. Mythor blickte zu Royna. Diese schenk-

    te ihm ein Lcheln und bot ihm ihre Hand. Mythor ergriff sie und folgte mit ihr dem Anfhrer der Aurogaer.

    Sie kamen durch einen langen Flur ins Freie, und Mythor fand sich auf dem Platz mit dem Brunnen wieder. Von dem flackernden Schein der offenen Feuerstelle war hier nichts zu sehen.

    Was ist denn das? rief Mythor beim Anblick des seltsa-men, mannsgroen Gebildes aus, das neben dem Brunnen auf einem halben Dutzend Rundhlzern stand.

    Die Glocke, mit der man in den Brunnen tauchen kann, erklrte Wamdon nicht ohne Stolz.

    Die Vorrichtung hatte wirklich eine gewisse hnlichkeit mit einer riesigen Glocke. Sie war jedoch nicht aus Metall gegos-sen, sondern bestand aus einem hlzernen Gestell, das mit di-cken Huten berzogen und mit einer Teerschicht bestrichen war. An der oberen Rundung befand sich ein eiserner Ring, an dem die Vermummten gerade ein dickes Tau befestigten. Sie berprften den Knoten, indem sie sich gegen die Glocke stemmten und mit vereinten Krften zogen. Erst danach war-fen sie das Tau ber die Winde und hievten die Glocke hoch.

    Mythor erkannte nun, da die Glocke unten offen und innen hohl war. Zwei Holzbalken sttzten an der unteren ffnung den Rahmen, und ber die Sttzbalken war ein Sitzbrett gena-gelt.

    Damit soll man in den Brunnen gelangen knnen? fragte Mythor unglubig.

    Die Glocke ist abgedichtet, es kann kein Wasser eindrin-gen, erklrte Wamdon.

    Aber unten ist sie offen! gab Mythor zu bedenken. Von unten kann das Wasser die Luft nicht verdrngen und

    also nicht in die Glocke eindringen, behauptete Wamdon,

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    und als er Mythors zweifelnden Blick sah, fgte er hinzu: Das hat nichts mit Magie zu tun. Du kannst mir vertrauen, wir ha-ben die Glocke schon ausprobiert. Allerdings und das darf ich dir nicht verschweigen


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