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Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Date post: 03-Jan-2017
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Henry Ghost

Der Dämonenfluch des Todessmaragds

Occu

Band Nr. 09

Version 1.0 Dezember 2010

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Das Parapsychologic Department der Interpol

Das Parapsychologic Department der Interpol

Das »Parapsychologic Department« ist eine von der Interpol gegründete Spezialabteilung zur Klärung und Erforschung von Kriminalfällen, die in das Gebiet der Parapsychologie reichen. Rätselhafte und sensitive Menschen, überirdische Zeichen, okkulte Phänomene und transzendentale Erscheinungen zählen zur Alltagsarbeit dieses speziell ausgebildeten Parapsychologen. Hauptsitz des »Parapsychologic Department« ist Paris.

Joe Baxter 37 Jahre alt, schlank, hochgewachsen, muskulös, blondes gewelltes Haar, stahlblaue Augen. Ein Mann mit Intelligenz, Kraft, Ausdauer und enormer okkulter Begabung. Er ist Hauptkommissar des »Parapsychologic Department« und Hauptfigur der OCCU-Serie. Er kann in Sekunden als Medium fungieren und arbeitet bei Seancen mit dem modernen Psycho-Disc, einem Gerät, mit dem er Stimmen aus dem Jenseits auf Tonband aufnehmen kann. Er trägt niemals eine Waffe bei sich und besiegt seine Gegner nur mit medialen Kräften.

Olga Dussowa 26 Jahre alt, schlank, vollbusig, langes schwarzes Haar, Russin, direkte Nachkomme der Familie des russischen Magiers Rasputin, sehr okkult begabt, kann böse Geister bannen und als Medium weit ins Jenseits vorstoßen. Sie ist Mitarbeiterin von Hauptkommissar Baxter und begleitet ihn auf allen Reisen.

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Viola Oggi 29 Jahre alt, superblond, gertenschlank, ehemaliges Mannequin aus Rom, das durch eine Vision ihre mediale Begabung erkannte, versteht sich auf Kontaktnahme zum Hexen-Reich und auf geheimnisvolle römische Zaubersprüche gegen Lebensgefahr und Krankheiten. Spezial-Agentin und Mitarbeiterin von Hauptkommissar Joe Baxter.

Dr. Leon Duvaleux Leitender Direktor des »Parapsychologic Department« der Interpol, 48 Jahre, graumeliert, Sohn einer Pariser Wahrsagerin, entstanden aus deren transzendentalen Verbindung mit dem Propheten Nostradamus. Beherrscht die Kunst der telepathischen Nachrichtenübermittlung mit seinem Hauptkommissar.

Madame Therese Duvaleux Pariser Wahrsagerin und Kartenlegerin, weißhaarig, 72 Jahre alt, Mutter des Direktors des »Parapsychologic Department«, springt oft ein und steht dem Team mit ihren magischen Ratschlägen zur Seite.

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Der Dämonenfluch des Todessmaragds

Sie hatte eben geduscht. Jetzt stand sie vor dem großen Spiegel im Badezimmer des Appartements 707 im »Hilton Oteli« und betrachtete ihren makellosen Körper. Sie hatte mit ihrem Mann im Hotelrestaurant zu Abend gegessen und sich dann auf ihr Zimmer zurückgezogen. Ihr Mann hatte in der Bar noch mit Geschäftsfreunden zu reden.

Quendolin seufzte. Er konnte seinen Beruf als Textilkaufmann nicht einmal auf der Hochzeitsreise vergessen. Dabei hatten sie erst vor drei Tagen geheiratet. Doch sie hatte Verständnis dafür. Sie war ohnehin müde und beschloß, sich bis zur Rückkehr ihres Mannes etwas auszuruhen.

Quendolin Margie schlüpfte in den Frotteemantel, ließ sich auf dem Bett nieder, angelte sich das Telefon und wählte die Nummer der Hotelbar. Als der Barkeeper abhob, meldete sie sich und bat: »Kann ich bitte meinen Mann Mr. John Margie sprechen?« Sekunden später meldete er sich: »Was gibt's, mein Liebling? Langweilst du dich da oben? Es wird bei mir nicht mehr lange dauern, und dann verspreche ich dir, daß ich den ganzen Urlaub keine einzige geschäftliche Besprechung mehr einschalten werde.«

»Ist gut, ich freue mich auf dich!« flüsterte Quendolin Margie in die Sprechmuschel, sandte ihrem frischvermählten Ehemann ein Küßchen und legte auf.

Sie erhob sich und blickte sich gelangweilt im Zimmer um. Dann leuchteten ihre Augen auf. Endlich hatte sie Zeit, sich den wunderbaren Smaragdring anzusehen, den ihr John zur Hochzeit geschenkt hatte. Der Stein dieses Ringes war

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traumhaft schön und schimmerte in einem magischen Grün. Quendolin Margie holte sich den Ring aus ihrem Reisekoffer.

Dann warf sie sich auf das breite Doppelbett, hielt das kostbare Schmuckstück hoch und betrachtete es ganz verzaubert.

Ob sie wollte oder nicht: Sie mußte den grünen Stein des Ringes anstarren. Sie konnte plötzlich keinen Blick mehr davon wenden.

Und dann merkte sie, daß dieser Stein eine Anziehungskraft besonderer Art auf sie ausübte. Sie lag wie gelähmt auf dem Bett, die Augen starr auf den Ring gerichtet. Der Stein in ihrer Hand schien sich zu drehen. Grünes Feuer sprühte um sie herum.

Der Kopf begann Quendolin zu schmerzen. Sie verspürte ein heißes Stechen in ihren Augen. Verzweifelt versuchte sie, sich vom Bett zu erheben. Aber sie war dazu nicht mehr fähig. Krampfhaft umklammerte sie den Ring mit dem Smaragd. Aus dem Inneren des Steines schienen seltsame Dämpfe zu steigen.

Aus den Dampfschwaden formten sich grausige Männergesichter und Frauenleiber. Sie schwebten um Quendolin herum, bekamen spinnenartige, lange Arme und monströse Hände. Sie begannen, nach der blonden Engländerin zu greifen.

Endlich fand Quendolin in ihrer Angst die Kraft, sich vom Bett zu erheben. Sie taumelte zum Toilettentisch und blickte in den Spiegel. Ihr Gesicht war aschgrau. Die sonst so lockigen Haare hingen in klebrigen Strähnen auf ihre Schultern herab.

»Ich habe Angst«, flüsterte Quendolin und erkannte im Spiegel hinter sich viele unheimliche Gesichter, die schwere und traurige Melodien sangen.

Die Britin griff sich an den Kopf, drehte sich um und kreischte: »Laßt mich in Ruhe und verschwindet!«

Höhnisches Gelächter drang an ihr Ohr. Sie preßte die Augen zusammen und drückte sich mit beiden Händen den

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Smaragdring gegen die Stirn. Die fremden Stimmen und Laute um sie herum wurden immer greller und unheimlicher.

Dazu stellten sich unerträgliche Schmerzen in der Brust und im Rücken ein.

Mit rotumrandeten Augen starrte Quendolin Margie verzweifelt um sich.

Sie bekam keine Luft mehr. Ihre Lippen waren ganz trocken, die Zunge war wie gelähmt, und die Beine versagten ihren Dienst.

Quendolin stürzte der Länge nach hin, schrie auf, wollte sich wieder aufrichten und fiel erneut zu Boden.

Ein heißer Schmerz durchzuckte sie. Ringsum ertönte ein Singen, Musizieren und Lachen. Quendolin wußte: Das waren die unheimlichen Geistergestalten.

Oder waren sie alle nur Einbildung, die Folge der unsagbaren Schmerzen?

»Einen Arzt, bitte, schnell einen Arzt«, flüsterte die Engländerin. Dann kroch sie zum Telefon.

Aber sie hatte nicht mehr die Kraft, abzuheben und die Zentrale des Hotels zu wählen. Ohnmächtig sank sie in sich zusammen. Die entsetzlichen Schmerzen im ganzen Körper hatten ihr die Sinne geraubt …

*

Eine schwüle Sommernacht lag über Istanbul. Im »Hilton Oteli« herrschte Hochbetrieb. Der kleine, dicke

Türke mit dem roten Fes auf dem Kopf hatte alle Hände voll zu tun. Eben war eine Reisegruppe mit vier Bussen angekommen.

Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich eine langhaarige Blondine vor ihm. Ihre hellblauen Augen strahlten ihn freundlich an. Sie legte ihre schönen Hände auf den Tresen und sagte:

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»Ich bin noch nicht müde und habe beschlossen, noch auszugehen.«

Dann drehte sie sich um und steuerte dem Ausgang des Hotels zu. Als sie bereits auf der Straße war, hastete der Türke an der Rezeption hinter seinem Pult hervor und eilte ihr nach. Laut rief er: »Einen Augenblick, bitte! Sie haben vergessen, mir den Appartementschlüssel zu geben …«

Ein Page rannte hinter dem Chef der Rezeption her. »Das ist die Dame von 707. Ich habe sie sofort erkannt. Sie heißt Quendolin Margie und ist die Frau des englischen Kaufmanns, der gestern angekommen ist.«

»Ja, ich kenne sie«, pustete der kleine Türke. »Ich muß hinter ihr her. Sie hat ihren Schlüssel mitgenommen. Ihr Mann sitzt mit Geschäftsfreunden noch in der Bar. Er kann sonst nicht ins Zimmer.«

»Vielleicht hat sie ihm den Schlüssel gegeben«, warf der Page ein und eilte ein Stück neben dem Chef der Rezeption her.

Der nickte. »Das muß ich sie eben fragen.« Der Page blieb zurück. Der kleine Türke hastete auf dem Bürgersteig hinter der

bildschönen Blondine her, die mit raschen Schritten einer Straßenkreuzung zustrebte.

»Mrs. Margie!« rief der Türke. Aber sie wandte sich nicht um. Und plötzlich war sie spurlos verschwunden – wie vom

Erdboden verschluckt. Der Türke hatte sie beinahe zum Greifen nahe vor sich gehabt, aber jetzt konnte er sie weit und breit nicht mehr erblicken.

Er schüttelte den Kopf, drehte sich um und ging zum Hotel zurück. Irgend etwas kam ihm an der Geschichte seltsam vor …

*

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Der Londoner Textilkaufmann John Margie fühlte sich etwas brummig im Kopf, als er sich in der Bar des »Hilton Oteli« von seinen beiden türkischen Geschäftsfreunden verabschiedete. Er war müde, quälte sich zu einem höflichen Lächeln und sagte: »Jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen. Meine Frau wartet. Als Jungverheirateter Ehemann hat man immerhin seine Verpflichtungen.«

Er erhob sich, verneigte sich und schritt durch die Bar hinaus auf den Korridor. In der Empfangshalle steuerte er direkt auf die Rezeption zu.

Der kleine Türke hatte im Augenblick nicht allzuviel zu tun und verneigte sich.

John Margie trat an ihn heran: »Wenn jemand noch nach mir fragen sollte, so sagen Sie, daß ich wieder auf meinem Appartement bei meiner Frau bin. Aber am liebsten wäre mir, wenn ich nicht mehr gestört werden würde.«

Schon drehte sich der Engländer um und ging zum Lift. Etwas atemlos stand sofort der Türke an seiner Seite. Er

blickte verlegen vor sich hin und stammelte dann: »Ja, Mr. Margie. Da ist so eine Sache! Sie wissen von Ihrer Frau …?«

»Was soll ich denn von Ihr wissen«, fragte der Brite erstaunt. Wieder stotterte der Türke herum. »Nun ja, Sie werden nicht

in Ihr Appartement können. Sie hat den Schlüssel mitgenommen.«

John Margie starrte den Chef der Rezeption entgeistert an. »Sie hat den Schlüssel mitgenommen? Ja, wohin denn?«

»Mr. Margie, Ihre Frau ist vorhin weggegangen.« »Weggegangen? Das ist doch unmöglich. Wann ist sie denn

aus dem Hotel?« »Es wird eine halbe Stunde her sein.« John Margie schüttelte den Kopf. »Sie müssen sich geirrt

haben. Das ist unmöglich. Zu dieser Zeit war sie erst ein paar

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Minuten auf dem Zimmer. Ich habe ja viel später noch mit ihr von der Bar aus telefoniert.«

Der Türke überlegte: »Vielleicht hat Sie von anderswo angerufen.«

Mißtrauisch murmelte Margie: »Das kann ich mir nicht gut vorstellen. Wo ist sie denn hingegangen? Hat sie etwas gesagt?«

Der Chef der Rezeption schüttelte den Kopf. »Bedaure, Mr. Margie. Sie hat nichts gesagt. Ich weiß nicht einmal, in welche Richtung sie gegangen ist. Ich lief ihr noch nach, um sie um den Schlüssel zu bitten, aber sie verschwand vor meinen Augen spurlos.«

Rasch fragte der Engländer: »War es wirklich meine Frau? Vielleicht liegt eine Verwechslung vor. Wie sah die Dame aus?«

»Blonde, lange Haare, eine schöne Figur, blaue Augen, lange Finger …«

»Eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock?«, erkundigte sich der Ehemann.

Der Türke nickt. »Ich muß sofort in unser Zimmer«, stammelte John Margie.

»Da muß irgend etwas Unvorhergesehenes geschehen sein. Vielleicht ein unangenehmer Telefonanruf, eine Drohung. Vielleicht wurde sie auch in eine Falle gelockt, und man will mich erpressen. Bitte, schließen Sie mir das Appartement auf. Vielleicht hat Quendolin eine Nachricht hinterlassen.«

Der Türke schloß auf. John Margie drängte ihn aufgeregt zur Seite, um nach einem

Zettel oder einem Brief von seiner Frau zu suchen. Schließlich blickte er auch ins Schlafzimmer. Ein erstickter Schrei entrang sich seiner Brust. John taumelte zurück und griff sich ans Herz. Seine Augen

starrten geweitet zu Boden, dorthin, wo ganz in der Nähe auf

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dem Nachttisch das Telefon stand. Seine Frau Quendolin lag verkrampft auf dem Teppich. Ihre

rechte Hand umklammerte den Ring mit dem Smaragd. Die weitaufgerissenen Augen der schönen Blondine waren gegen die Zimmerdecke gerichtet.

Das Gesicht spiegelte Schrecken und panische Angst. Quendolin Margie war tot …

*

Inspektor Azim Karahan von der Kriminalpolizei in Istanbul, Abteilung Mordkommission, reichte John Margie mit ernstem Gesicht die rechte Hand: »Mein aufrichtiges Beileid zum Tod Ihrer Frau!«

Das Gesicht des Briten war blaß, als er sich räusperte und fragte: »Woran ist sie gestorben? Sie hatte keine Leiden und war kerngesund.«

Inspektor Azim Karahan schritt im Appartement 707 des »Hilton Oteli« auf und ab. Dann lehnte er sich an den Türrahmen zum Schlafraum und fragte den Polizeiarzt, der sich gerade über die Leiche beugte: »Können Sie schon etwas Konkretes sagen?«

Dr. Djemal blickte auf. »Ich sehe nicht das geringste Anzeichen einer gewaltsamen Einwirkung. Noch darf man nicht von Mord sprechen. Wir müssen unbedingt obduzieren. Vielleicht ist die Frau vergiftet worden.«

»Und wie erklären Sie sich Ihr erschrecktes Totengesicht?« wollte der Inspektor wissen.

Der Arzt zuckte mit den Schultern: »Vielleicht wurde sie gezwungen, Gift einzunehmen … oder … aber …!«

»So reden Sie schon, Doktor!« »Nun ja, die Frau könnte auch von überirdischen

Erscheinungen bedroht und getötet worden sein.«

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Inspektor Karahan fluchte und machte eine verächtliche Handbewegung. »Oh, Allah, jetzt kommen Sie schon wieder mit Ihren Gespenstergeschichten. Dr. Djemal, Sie wissen, daß ich davon nichts halte. Also bitte, benehmen Sie sich wie ein Polizeiarzt und nicht wie ein Märchenerzähler.«

John Margie taumelte zurück und mußte sich setzen. Er verdeckte mit beiden Händen sein Gesicht und begann, haltlos zu schluchzen.

»Was ist denn plötzlich mit Ihnen los«, fragte der Inspektor. John Margie blickte hoch. Aus tränennassen Augen schaute

er Azim Karahan an und flüsterte: »Himmel! Ich hatte nicht daran gedacht! Der Todessmaragd! Natürlich, die Katastrophe kann nur mit dem Todessmaragd zusammenhängen.«

»Was für ein Todessmaragd?« erkundigte sich der Inspektor unwillig.

Versteinert starrte der englische Kaufmann auf die rechte Hand seiner Frau.

»Dort, der Ring. Er trägt den berühmten Todessmaragd des indischen Maharadschas Mohini III ….!«

»Allah ist mächtig und groß. Er beschütze uns vor dem Fluch des Steines«, sprudelte der Polizeiarzt hervor und verneigte sein Haupt vor dem Ring.

Inspektor Karahan beugte sich herab und nahm der Toten den Ring mit dem grünen Stein aus der Hand. Dann hielt er das Schmuckstück hoch und fragte lauernd: »Und das soll ein gefährlicher Stein sein?«

Der englische Kaufmann nickte: »Jetzt weiß ich, daß er gefährlich ist. Ich wollte es ja auch nicht glauben, als mich alle davor warnten. Aber meiner Frau gefiel der Smaragd sosehr. Darum kaufte ich ihn vor drei Tagen hier in Istanbul bei einem Antiquitätenhändler. Alle warnten mich und betonten, es wäre der Todessmaragd …!«

Spöttisch fragte der Inspektor: »Mr. Margie, Sie sind doch

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Europäer und ein vernünftiger Mann. Sie werden doch solche Hirngespinste nicht glauben.«

Der Kaufmann nickte nachdenklich: »Ich habe schallend gelacht, als mir jemand sagte: Der Smaragd des Maharadschas Mohini III. bringt dem Besitzer den Tod. Wenn du ihn deiner Frau schenkst, dann wird sie nicht mehr lange leben. Jeder, der den Stein bisher besaß, starb einen schrecklichen Tod. Ich konnte es nicht glauben. Jetzt weiß ich, daß diesem Schmuckstück tatsächlich ein Fluch anhaftet, der jeden Menschen vernichtet, der den Ring besitzt oder trägt.«

Dr. Djemal schloß seine Arzttasche. Er winkte den Trägern und sagte: »Sie können die Tote wegbringen. Ich werde noch heute die Obduktion vornehmen.«

Dann wandte er sich an den Inspektor: »Wenn ich auch keine inneren Spuren einer Gewaltanwendung feststellen kann und wenn kein Gift im Spiel war und keine natürlichen Todesursachen zu erkennen sind, dann waren hier Geister oder Dämonen am Werk, die durch den Smaragd freigeworden sind.«

Der Inspektor wurde blaß vor Zorn. Er erklärte: »Ihr macht es euch aber sehr einfach. So kann man keinen Kriminalfall klären. So ein Blödsinn! Geister, Gespenster, die aus einem Ring kommen und töten! Von einem britischen Kaufmann hätte ich derartige Albernheiten nicht erwartet!«

Da fuhr John Margie den Inspektor an: »Versetzen Sie sich in meine Lage. Ich habe meine Frau geliebt und war mit ihr glücklich. Sie hat sich den Smaragd des Maharadschas Mohini III. gewünscht. Ich habe ihn ihr trotz Warnungen anderer gekauft und geschenkt. Und jetzt stirbt sie diesen mysteriösen Tod. Ich bin von der Wirkung des sagenhaften Fluchs voll und ganz überzeugt. Ich bedaure es nur zutiefst, daß meine Erkenntnis zu spät kommt. Mein Leben ist bereits zerstört …«

Er brach schluchzend ab und preßte sein Gesicht gegen die

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Zimmerwand. Der Polizeiarzt trat an den Inspektor heran und klärte ihn mit

leiser Stimme auf: »Es stimmt, Karahan. Ich kenne die Zeitungsmeldungen. Jeder, der bisher im Besitz des Smaragds war, mußte sterben. Auf dem Stein liegt ein uralter Fluch mit geheimnisvollen zerstörerischen Kräften.«

»Quatsch!« rief Inspektor Karahan aus. Er hielt den Ring mit dem Smaragd hoch und erklärte dem

Briten: »Mr. John Margie. Ich muß dieses Schmuckstück leider im Interesse der polizeilichen Ermittlungen beschlagnahmen. Ich nehme ihn vorübergehend in Gewahrsam. Sie bekommen ihn wieder, wenn der Tod Ihrer Frau einwandfrei geklärt ist.«

John Margie nickte und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen.

Dr. Djemals Augen blitzten streitsüchtig, als er auf den Inspektor zutrat: »Es freut mich, daß Sie in diesem Fall den Smaragd-Ring nicht ganz außer acht lassen. Darf ich Sie jedoch fragen, ob Sie sich seit der Beschlagnahme auch als Besitzer des Ringes fühlen?«

»Von mir aus«, lächelte Inspektor Karahan. »Wenn Ihnen damit leichter ist. Sie wollen mit der Frage ja nur testen, ob ich Angst vor dem Fluch des Steines habe. Und darauf gebe ich Ihnen klipp und klar die Antwort: Ich habe keine Angst. Nicht die geringste. Der Glaube an diesen angeblichen Todesfluch ist reinste Idiotie!«

Damit verneigte sich der Inspektor und verließ mit raschen Schritten das Appartement. Er strebte dem Lift zu und stieg in eine offene Kabine. Dr. Djemal kam knapp hinter ihm und rief: »Ich möchte auch noch mitfahren …«

Zu spät. Die Lifttür schloß sich bereits. Die Kabine surrte abwärts.

Dr. Djemal drückte den Knopf für den Lift daneben und wartete.

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Die beiden Träger des gerichtsmedizinischen Instituts kamen gerade mit der Leiche im Metallsarg an ihm vorbei.

Plötzlich blieben sie jäh stehen und ließen den Sarg fallen. Doktor Djemal zuckte zusammen.

Ein gellender Schrei jagte den Liftschacht zu ihm herauf und brach sich an den Wänden des Hotels. Unmittelbar darauf folgte ein Heulen und Bersten, ein Krachen und Donnern. Es hörte sich wie eine Explosion an.

Das ganze Hotel erzitterte. »Was ist geschehen?« John Margie kam aus seinem Appartement geeilt und starrte

den Polizeiarzt an. Dr. Djemal schluckte und leckte sich mit seiner Zunge über

die trockenen Lippen. Außer Atem antwortete er: »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, im Liftschacht ist eine Katastrophe geschehen.«

Dann eilten die Männer, so schnell sie konnten, die Treppen hinunter. Ein Stockwerk nach dem anderen.

Im Parterre drängten sich vor der Lifttür die neugierigen Menschen. Zwei Bedienstete des Hotels hatten die Lifttür gewaltsam aufgebrochen.

Dr. Djemal drängte sich vor und starrte in den Schacht. Einige Meter unter ihm waren die Trümmer der Liftkabine zu sehen. Sie war während der Abwärtsfahrt aus ihrer Verankerung geraten und abgestürzt.

Inmitten der Metallteile und zerrissenen Kabelfetzen lag mit blicklosen Augen Inspektor Azim Karahan.

Dr. Djemal erschrak, als er nach der rechten Hand des Inspektors suchte. Er erkannte an einem Finger den Ring mit dem Smaragd. Inspektor Karahan hatte das Schicksal herausgefordert und sich das Schmuckstück demonstrativ angesteckt.

Der kleine Türke von der Rezeption schlug die Hände über

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dem Kopf zusammen. »So ein Unglück. Vermutlich war es ein Erdbeben, das den Lift abstürzen ließ. So ein schlimmes Unheil …«

Dr. Djemal sah den Mann ernst und mit durchdringenden Augen an: »Lieber Freund, das darf man nicht Unglück nennen. Das war der Fluch des Todessmaragds. Hier ist nicht Allah am Werk, sondern es sind böse Geister und Dämonen.«

Zwei Polizisten drängten sich an den Polizeiarzt heran. Sie blickten ratlos drein. Dann fragte einer: »Was ist zu tun, Doktor?«

Dr. Djemal antwortete gefaßt: »Fahren Sie ins Präsidium und melden Sie den Tod von Mrs. Margie und das Ableben von Inspektor Karahan. Alles weitere werde ich dann mit den zuständigen Herren aushandeln. Ich habe nämlich das bestimmte Gefühl, daß es hier nur eine einzige richtige Entscheidung gibt. Der Fall ist nichts für die türkische Polizei in Istanbul. Es ist besser, es schaltet sich das Parapsychologic Department der Interpol ein …!«

*

Ein schriller Schrei gellte durch den großen Saal der Universitätsbibliothek von Istanbul.

Viola Oggi taumelte gegen die Wand. Um sie drehte sich alles in schillernden Farben. Ein jäher Schmerz jagte ihr bis in den Kopf.

Besorgt standen Joe Baxter und Olga Dussowa sofort neben ihr.

»Was ist passiert?« erkundigte sich Hauptkommissar Baxter vom Parapsychologic Department der Interpol.

Viola Oggi verdrehte die Augen und krähte: »Das kommt davon, wenn Polizeibeamte der Interpol zu Bücherwürmern und Leseratten umfunktioniert werden …!«

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»Was war?« wollte nun auch Olga Dussowa wissen. »Gar nichts«, konterte Viola Oggi und deutete auf den

Boden, wo ein dickes, uraltes Buch lag. »Dieser Wälzer ist mir auf den Fuß gefallen. Mann, der hat

vielleicht ein Gewicht.« »Und wir dachten schon, du wirst von einer unsichtbaren

Macht bedroht«, atmete Joe Baxter auf. Er hob das Buch auf und schleppte es zu einem der Tische.

Joe Baxter, Viola Oggi und Olga Dussowa setzten sich. Viola Oggi rieb sich mit den Fingern die Zehen ihres Fußes

und brummte unwillig: »Einen Aufenthalt in Istanbul hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Ich dachte, ich würde etwas von der Stadt zu sehen bekommen: das Goldene Horn, den Bosporus, das Topkapi, die Fatith Cami mit dem Mausoleum Sultan Mehmets II. Aber nein, wir vergraben uns hier seit zwei Tagen in der Universitätsbibliothek!«

Joe Baxter lehnte sich lächelnd in seinem Sessel zurück und trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf den Tisch. »Ist aber sehr wichtig. Ihr wißt, daß wir offiziell von der türkischen Polizei im Todesfall Quendolin Margie und in der Affäre Inspektor Azim Karahan noch nicht um Mithilfe gebeten worden sind. Doch das steht unmittelbar bevor. Wenn Inspektor Karahan noch leben würde, wäre es allerdings anders. Er hätte uns längst aus dem Land geworfen. Er glaubte nicht an parapsychologische Phänomene.«

Olga Dussowa lachte. »Ich weiß. Dem konnten die Gespenster auf der Nase herumtanzen, und er schwor darauf, daß es sie nicht gibt!«

Viola Oggi hatte sich einigermaßen beruhigt und verspürte im Fuß keinen Schmerz mehr. Sie seufzte: »Jetzt habe ich aber ein Recht zu erfahren, was uns hier in Istanbul eigentlich erwartet. Vor allem nach meinem Arbeitsunfall in der Bibliothek.«

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Joe Baxter schmunzelte: »Die Sache ist ziemlich klar. Ein britischer Kaufmann, der in Istanbul lebt, heiratet eine schöne junge Engländerin. Sie wünscht sich einen ganz besonders wertvollen Schmuck, und er bekommt bei einem Antiquitätenhändler in der Stadt etwas Exquisites angeboten: einen Ring mit einem riesigen Smaragd. Die Bekannten und Freunde warnen ihn. Es ist nämlich ein Todessmaragd, der mit einem Fluch belastet ist. Wer ihn besitzt, muß sterben!«

»Und warum wälzen wir seit Stunden alte Bücher aus der Universität?«

»Meines Erachtens finden wir hier den Anhaltspunkt für die beiden rätselhaften Todesfälle im ›Hilton Oteli‹. Wir wissen nicht viel über diesen Smaragd. Angeblich handelt es sich um jenen Todessmaragd, den seinerzeit Maharadscha Mohini III. besessen hat. Er steckte den Ring seiner Frau an, und sie starb. Daraufhin verschenkte er den Stein an einen Sklaven. Der starb ebenfalls bald darauf. Auf rätselhafte Weise gelangte der Stein dann in den Besitz des persischen Adeligen Hradscha Said. Der schenkte ihn der Reihe nach sieben Frauen. Alle starben auf rätselhafte Weise. Darum ging der Stein eigentlich auch als Todessmaragd des Hradscha Said in die Geschichte ein.«

»Alles gut und schön«, meinte Viola Oggi. »Aber wenn du das ohnehin alles weißt, warum müssen wir uns dann alte Bücher auf die Zehen fallen lassen?«

»Ich kenne nicht die Ursache für die Todesfälle im Zusammenhang mit dem Stein. Ich möchte wissen, ob ein Fluch eines Toten daran hängt oder ob die Macht von Dämonen in ihm wohnen. Beides ist möglich. Ehe wir aber die unheimliche Macht des Steins bekämpfen, um weitere Todesfälle zu verhindern, müssen wir genau informiert sein. Am ehesten kann man Details aus alten Aufzeichnungen erfahren.«

Olga Dussowa blätterte in einem dicken Werk. Plötzlich

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jubelte sie laut auf und legte den Finger ins Inhaltsverzeichnis ihres vergilbten Bandes: »Ich hab's, Freunde, ich bin die Größte. Olga Dussowa hat euch wieder alle geschlagen.«

Joe Baxter und Viola Oggi schauten ihrer Kollegin über die Schultern.

Olga Dussowa las laut: »Der verfluchte Smaragd des Maharadscha Mohini III., auch Todessmaragd des Hradscha Said genannt – Seite 356!«

Hastig blätterte die Russin in dem dicken Buch. Endlich hatte sie die gesuchte Seite aufgeschlagen.

Erstaunt sahen sich Joe Baxter, Viola Oggi und Olga an. Die Seite war völlig leer. Kein einziger Buchstabe, keine

Zeichnung, nichts. Es sah aus, als wäre diese Seite niemals bedruckt gewesen.

Joe Baxter pfiff leise durch seine Zähne. »Das ist ja ein Ding. Da war jemand vor uns da und hat mit einigem chemischen Können die wunderschöne Geschichte vom Todessmaragd ausradiert, damit keiner Einzelheiten und vor allem Namen von Besitzern und Toten erfahren kann.«

»Ich glaube nicht, daß es so war«, erklärte Viola Oggi. Sie spürte ein seltsames Vibrieren und Kribbeln in den Händen. Sie merkte, daß sie heute besonders sensitiv war.

Rasch setzte sie sich in aufrechter Haltung vor das Buch, legte die Handflächen auf die leeren Seiten und schloß die Augen.

Olga Dussowa wollte etwas sagen. Aber Joe Baxter deutete ihr, ruhig zu sein und nicht zu reden. Es war ganz still in der Bibliothek.

Viola Oggi flüsterte ganz leise immer wieder dieselben Worte: »Du, leeres Stück Papier, verrate mir, wer die wertvollen Worte auf dir vernichtet hat.«

Dreimal sagte Viola ihren Spruch auf. Nichts rührte sich. Dann aber setzte über dem Kopf Violas

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ein Brausen ein. Leise Musik erklang. Dann war es wieder still. Viola spürte fremde Gedanken.

Und diese Gedanken aus einer anderen Welt verrieten ihr: »Die weißen Seiten sind das Werk übersinnlicher Kräfte. Doch auch Menschenhände wollten an diesen Seiten des Buches ein ähnliches Werk vollbringen. Der Mensch aber kam zu spät.«

Joe Baxter und Olga Dussowa mußten warten, bis Viola Oggi wieder aus ihrer Trance erwacht war. Sie erzählte sofort, was sie erlebt hatte. Und Baxter meinte daraufhin: »Jetzt ist es erst recht unsere Aufgabe, ganz genau die Geschichte des Smaragdes herauszubekommen. Es muß einen Weg geben …«

Baxter sah verwirrt vor sich hin. Gedankenblitze peilten ihn an.

»Was ist, Joe, fühlst du dich nicht wohl?« fragte Olga Dussowa.

Joe Baxter schüttelte den Kopf. »Nein, alles okay. Der Chef will mich telepathisch aus Paris sprechen.«

Baxter stützte seinen Kopf in beide Hände und schloß die Augen. Plötzlich waren die Gedanken in Form von Telepathie-Worten ganz genau da und klangen in Baxters Ohren.

»Hallo, Mr. Baxter!« »Hallo, Chef, gibt's was Neues?« »Baxter, die Sache läuft nun offiziell. Die türkische Polizei in

Istanbul hat uns ersucht, den Fall Quendolin Margie zu übernehmen. Die Herren haben nun selbst Angst vor dem Todessmaragd. Sie finden, daß das nicht mehr unter ihre Kompetenz fällt.«

Joe Baxter nickte. »Wie vernünftig Polizisten werden können, wenn einer von ihnen ins Gras beißen muß.«

Dr. Duvaleux forderte seinen Hauptkommissar auf: »Melden Sie sich so rasch wie möglich im Präsidium in Istanbul und beginnen Sie mit der Arbeit. Haben Sie schon etwas entdeckt?«

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»Nicht allzuviel. Irgendwelche Wesenheiten pfuschen uns da ganz schön ins Handwerk. Sie wollen uns daran hindern, hinter das Geheimnis des Todessmaragdes zu gelangen.«

Ein entsetzliches Dröhnen riß Baxter aus seiner telepathischen Konzentration. Er blickte auf und wurde kreidebleich.

Dr. Duvaleux in Paris merkte sofort, daß etwas nicht stimmte.

»Baxter! Joe Baxter! Was ist los? Da ist doch jetzt bei Ihnen irgend etwas passiert. So sagen Sie schon, was los ist!«

Joe Baxter versuchte, seine Gedanken mit aller Konzentration zusammenzuhalten, und antwortete seinem Chef: »Herr Direktor … es ist entsetzlich. Ich weiß nicht, ob wir überleben werden …«

»Himmel, was geht denn bei euch in Istanbul vor?« Mit verzweifelten Gedanken bombardierte Dr. Duvaleux das Gehirn seines Mitarbeiters.

Joe Baxter war aufgesprungen. Er sandte nur noch Teile von Informationen nach Paris: »Decke … die ganze Decke … der Universität … schwere Steine … Marmor … bricht ein und stürzt auf uns herab … Es gibt kein Entrinnen. Wir sehen dem Tod ins Auge!«

*

Olga Dussowa und Viola Oggi drückten sich mit verzerrten Gesichtern an die Bücherregale. Sie starrten atemlos zur Decke des großen Bibliotheksraums. Eine geheimnisvolle Kraft zermalmte die wunderbare Decke mit den herrlichen Fresken und den farbenprächtigen Malereien.

Die Risse und Sprünge wurden immer breiter. Mauerwerk bröckelte heraus, und die Wände begannen zu wackeln. Die Bücherregale schwankten. Die ersten Bände stürzten bereits

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herab. Ein Knirschen und Ächzen erfüllte den ganzen Saal. »In eine Ecke, schnell in eine Ecke, sonst werden wir alle drei

von den Trümmern erschlagen …!« schrie Olga Dussowa. Sie wollte Viola mit in eine Nische zerren.

Joe Baxter hielt sie zurück. »Es hat keinen Sinn. Seht euch die Risse in der Decke an. Sie wird so herabfallen, daß jeder Millimeter der Bibliothek getroffen wird. Es gibt keinen Ausweg.«

Ein Rollen und Dröhnen kam von der Decke her. Jetzt stürzten die ersten Trümmer erbarmungslos herab. Joe

Baxter faßte einen verzweifelten Gedanken. Er riß seine beiden Mitarbeiterinnen an sich, umklammerte

krampfhaft deren Arme und schrie fast hysterisch: »Entmaterialisieren!«

Die beiden verstanden. Sie erkannten, daß es um Sekunden ging. Wenn jetzt nicht jeder sofort sein Bestes gab, waren sie endgültig verloren. In solchen Situationen mußten Mitarbeiter des Parapsychologic Departments zeigen, was sie in den vielen Jahren ihrer Ausbildung gelernt hatten.

Joe Baxter, Viola Oggi und Olga Dussowa umarmten einander und konzentrierten sich ganz auf sich selbst. Sie begannen, mit ihren sensitiven Kräften Geist und Körper voneinander zu trennen.

Als letztes harrte Baxters Bewußtsein ohne Körper aus. Joe nahm noch wahr, wie die gesamte Reliefdecke der Bibliothek herabdonnerte und alles unter sich begrub. Eine weißgraue stinkende Staubwolke hüllte das ganze Stadtviertel ein.

In diesem Augenblick fanden sich die Körper von Joe Baxter, Viola Oggi und Olga Dussowa auf dem Rasen im Universitätspark wieder. Sie standen da und hielten einander noch fest.

Viola Oggi entrang sich ein Lächeln. »Das war knapp, Joe. Wenn du nicht gewesen wärst, hätten wir den richtigen

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Moment für eine PSI-Rettung verpaßt.« Sie blickten zum zweiten Stock hoch. Joe Baxter murmelte: »Die Staubwolke vom Einsturz hat sich

verzogen. Kommt, wir wollen nachschauen, ob jemand vom Bibliothekspersonal verletzt oder getötet wurde. Vielleicht können wir helfen!«

Sie eilten vom Rasen auf den breiten Kiesweg und hasteten zum Haupteingang der Bibliothek.

Erstaunt sah Joe Baxter den Portier an, der seelenruhig in seiner Zeitung las. Der hatte vermutlich von der Katastrophe gar nichts mitbekommen. Baxter und seine beiden Mitarbeiterinnen liefen an dem erstaunten Mann vorbei und erreichten die Büroräume der Bibliothek.

Baxter brüllte in die sichtlich gut gelaunte Runde: »Ist jemand verletzt?«

Die Frauen und Männer schauten die drei an, als würden sie von einem anderen Stern kommen.

»Wer sollte denn verletzt sein, meine Herrschaften«, fragte eine Garderobiere.

Und einer der Saalordner fragte gedehnt: »Wie kommen Sie da herunter? Ich habe Sie doch vorhin mit den beiden Damen oben im Lesesaal gesehen!«

»Mann«, rief Joe Baxter ihm zu. »Haben Sie denn die Riesendetonation nicht gehört? Die ganze Decke der Bibliothek ist eingestürzt?«

Die Angestellten wurden kreidebleich. Joe Baxter schrie: »Kommen Sie mit!« Die anderen eilten hinter ihm her. Sie hasteten die Treppe

hoch. Baxter stieß mit dem Ellenbogen die Tür zum Lesesaal auf und erwartete, ein Chaos vorzufinden.

Er schluckte vor Erregung. Fragend schauten ihn die Bibliotheksangestellten an. Olga stieß einen spitzen Schrei aus, und Viola Oggi

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bekreuzigte sich. Der Saal lag ruhig und friedlich wie immer da. Die Decke

war ganz. Es gab keinen Sprung, keinen Riß, kein Trümmerfeld.

Joe Baxter fehlten die Worte. An eine solche Situation im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit konnte er sich einfach nicht erinnern.

»Was soll der Unsinn? Warum wollen Sie uns hochnehmen?« knurrte einer der Archivare.

Baxter sagte leise: »Es tut mit leid! Aber vorhin, als wir hier in diesem Raum waren, stürzte die Decke auf uns, und wir konnten uns nur noch in letzter Sekunde retten.«

Spöttisch lächelnd blickten alle zu der Decke mit den herrlichen Fresken und Reliefs empor. Sie hielten Baxter und seine Damen für verrückt.

Joe Baxter ließ seine Augen kritisch durch den Bibliothekssaal wandern.

Endlich hellte sich sein Blick auf. Mit raschen Schritten befand er sich an einer Säule des Saals,

bückte sich und griff nach einem Dachziegel, der dort auf dem Spannteppich lag.

»Was ist das?« fragte er lächelnd den Bibliothekar. Der nahm den Ziegelstein in die Hand und murmelte:

»Donnerwetter, wie kommt der in den Saal hier? Das ist einer jener Dachziegel, mit denen die Bibliothek gedeckt ist.«

Beruhigt murmelte Joe Baxter: »Ich bin glücklich, daß ich diesen Ziegelstein gefunden habe.«

Der Archivar lachte. »Na, das ist doch noch lange kein Beweis, daß die Decke eingestürzt ist. Ich sehe jedenfalls nichts davon!«

Joe Baxter sagte langsam, aber bedeutungsvoll: »Der Einsturz der Decke wurde allein für mich und meine Mitarbeiterinnen von überirdischen Mächten inszeniert. Ich selbst bin darauf

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hereingefallen. Es ist wirklich passiert. Doch nur wir drei konnten es wahrnehmen. Dann wurde alles wieder in Ordnung gebracht. Aber auch geheimnisvolle Mächte aus einer anderen Welt können kleine Fehler machen. Und dieser eine Ziegelstein ist so ein Fehler!«

Olga Dussowa stieß Joe Baxter in die Seite und rief staunend: »Da, sieh mal, Joe. Ich glaube, ich träume!«

Sie deutete mit der rechten Hand in den großen Saal der Bibliothek.

An einem Tisch saß – über ein Buch gebeugt – Mr. John Margie, der Kaufmann aus London.

Mit wenigen Schritten stand Joe Baxter vor ihm. Erstaunt und unsicher erhob sich der Engländer und

begrüßte den Hauptkommissar des Parapsychologic Departments. Er hatte ihn einen Tag zuvor im Präsidium kennengelernt, als sich Baxter über den Tod von Quendolin Margie erkundigt hatte.

»Was machen denn Sie hier in der Bibliothek«, fragte Joe Baxter scharf. Er fand den Zusammenhang zwischen der Anwesenheit des Engländers und den seltsamen Vorfällen verdächtig.

»Ich suche etwas«, murmelte der Kaufmann zögernd. »Darf ich fragen, was?« drang Baxter in ihn. »Ich versuche, das Geheimnis des Todessmaragdes zu

ergründen, an das ich zuerst nicht glauben wollte.« »Da kommen Sie zu spät, lieber Freund«, sagte Joe Baxter

leichthin. »Auch wir kamen zu spät. Fremde Mächte haben die Geschichte über den Todessmaragd aus einem der Bücher herausgelöst.«

Der Kaufmann wurde blaß und stotterte: »Jemand hat bereits die Seiten vor mir herausgerissen …?«

Baxter schmunzelte. »Wollten Sie das vielleicht auch tun? Aber keine Sorge: Die Seiten wurden nicht herausgerissen. Die

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Schrift wurde einfach unsichtbar gemacht.« John Margie mußte sich setzen. Die Sache nahm ihn sehr mit. Joe ließ den Engländer allein und kam zu Viola und Olga

zurück. Plötzlich aber drehte er sich wieder zu dem Kaufmann um und fragte ihn scharf:

»Sagen Sie, Mr. Margie, eine ehrliche und offene Frage, auf die ich eine ebensolche Antwort erwarte: Haben Sie Ihre Frau wirklich geliebt?«

»Sir!« Entrüstet blickte ihn John Margie an. Baxter ging darauf nicht ein und fragte weiter: »Bedauern Sie

den Tod ihrer jungen Frau tatsächlich? Ist Ihnen ihr Ableben aufrichtig zu Herzen gegangen?«

Nun schrie John Margie entrüstet: »Was sollen diese geschmacklosen Fragen, Mr. Baxter?«

Joe verneigte sich leicht. »Schade, Mr. Margie, daß Sie mir keine spontane Antwort auf meine Fragen gegeben haben. Mir hätte ein kurzes Ja oder Nein genügt. Mich hätte die Wahrheit interessiert!«

John Margie wandte sich um und weinte wieder. Wie beim Anblick seiner toten Frau im »Hilton Oteli« …

*

Der Kaffee im Nachtclub »Binbir« war stark. John Margie goß fast einen Liter in sich hinein. Er merkte

bald, wie schlecht das seinem Herzen bekam. Es begann, rasend zu schlagen. Der britische Kaufmann bestellte daraufhin Mineralwasser in rauhen Mengen und ließ es in die Kehle fließen. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er war mit den Nerven vollkommen fertig. Die letzten Tage hatten ihn sehr mitgenommen: der geheimnisvolle Mord an seiner Frau Quendolin, der rätselhafte Tod des türkischen Inspektors und die Begegnung mit Hauptkommissar Baxter in der

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Universitätsbibliothek. Mit zitternden Fingern zündete sich John Margie eine

Zigarette an. Plötzlich stand ein junges Mädchen vor ihm und lächelte ihn

freundlich an. John Margie war gar nicht nach einem Flirt zumute. Aber da ihm das junge Ding das erste freundliche Gesicht präsentierte, das er seit Tagen sah, lächelte er zurück und nickte.

Sie ließ sich an seinem Tisch nieder. Ihre Stimme war ganz leise, als sie sagte: »Man sieht es Ihnen

an: Sie haben den Kopf voller Sorgen. Das ist ungesund und kann einen Menschen vollkommen ruinieren. Sie sollten einfach alles für ein paar Stunden vergessen …«

Verwirrt musterte der Kaufmann das Mädchen. »Was wissen Sie über mich? Wer sind Sie? Warum machen Sie so seltsame Andeutungen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Seien Sie nicht albern. Ich bin ein Mädchen, das sich in Istanbul unterhalten will. Nicht mehr und nicht weniger. Männer wie Sie, denen die Sorgen ins Gesicht geschrieben stehen, gibt's viele.«

Er war beruhigt. Sie wußte also nicht, wer er war. John Margie bestellte Sekt. Und er lud das Mädchen ein, den

Abend gemeinsam mit ihm zu verbringen. Er beschloß, für einige Stunden alles rund um sich zu vergessen.

Nach dem zweiten Glas sagte sie ihm, wie sie hieß: »Diana.« Sie kam auch aus England und arbeitete bei einer

Fluggesellschaft in Istanbul. John Margie blieb mit ihr bis Mitternacht im »Binbir«. Dann

verließen sie das Lokal und schlenderten über die Galata-Brücke zum Hafen. In einer dunklen Gasse nahm sie ihn an der Hand und zog ihn mit sich fort. Vor einem schmalen weißgetünchten Haus blieben sie stehen. Der Kaufmann sah sich um. Am Nebengebäude blinkte eine riesige

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Coca-Cola-Reklame. Schweigend betraten sie das Haus und stiegen in den

zweiten Stock empor. Das Zimmer Dianas war bescheiden, aber gemütlich eingerichtet.

Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, umarmte das Mädchen den Kaufmann. Dann löste sie sich von ihm und entkleidete sich mit gekonnter Grazie. Unter ihrem Kleid kam ein bronzefarbener, erregender Körper mit wohlgeformten Gliedmaßen zutage. Sie wand sich geschmeidig im düsteren Licht der Stehlampe, ging auf John Margie zu und zog ihn sanft zu dem großen breiten Bett. Dann drückte sie ihn nieder und lockerte ihm die Krawatte.

Sie küßte ihn, und er schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, erstarrte er. Ein Alptraum war

Wirklichkeit geworden. Vor ihm stand – mit ihrer weißen Haut und den langen blonden Haaren – seine Frau Quendolin.

John Margie bekam einen Schreikrampf, der in einen Husten überging. Er sprang vom Bett auf und wankte zur Zimmertür. Er drückte sich an die Wand. Dicke Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn.

Im Licht der Lampe stand sie da und lächelte wie eine Sphinx Heiser fragte John Margie: »Mrs. Diana? Wo sind Sie? Quendolin, woher kommst du? Du bist doch tot!«

Die Gestalt seiner verstorbenen Frau schüttelte nur den Kopf, legte die Finger auf die Lippen und trat näher. John Margie vergaß jetzt, daß sie im »Hilton Oteli« gestorben war. Es war alles wie vorher. Er nahm sie in die Arme, und sie sanken aufs Bett.

Jäh fuhr John Margie wieder hoch. Er keuchte vor Angst. Er lag engumschlungen mit einer Toten im Bett.

Um ihn herum zogen im Zimmer undurchdringliche Nebelschwaden auf. Aus jeder Ecke des Zimmers grinsten ihn verzerrte Fragen an. Männerstimmen begannen zu singen.

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Disharmonische Musik dröhnte in seinen Ohren. »Nein, nein, nein«, gurgelte John Margie und warf sich zu

Boden. Da ertönten alle Stimmen auf einmal. Doch nur eine einzige

verstand der Brite. Sie drohte: »Der Fluch des Todessmaragdes wird dich treffen, wenn du nicht tust, was wir dir befehlen!«

»Was soll ich tun?« fragte er zitternd. Wieder war die Stimme da: »Gehe zur Polizei und sage, daß

du Quendolin getötet hast.« Ein verzweifelter Schrei entrang sich Johns Brust. Er biß sich auf die Lippen und murmelte dann: »Ich bin

unschuldig. Ich war es nicht. Ich bin unschuldig …« Er blickte empor. Da stand sie wieder: die Gestalt seiner toten

Frau Quendolin. Weinend starrte er sie an. Mühsam entrangen sich die Worte

seinen Lippen: »Verzeih mir, daß ich dir den Smaragd gekauft habe.«

Sie bewegte die Lippen: »Beruhige dich. Es war nicht der Smaragd, der mich getötet hat.«

Wieder schwirrten die Stimmen durch den Raum. »Er weiß doch selbst, daß es nicht der Smaragd war …«

»Ich war es nicht, glaubt mir. Ich war es nicht!« keuchte John Margie.

Er schluchzte auf und stolperte zur Tür. Da vernahm er eine andere Stimme hinter sich. Er drehte sich

um. Der bronzene Körper Dianas lockte ihn. Ungeduldig sagte sie zu ihm: »Also, was ist jetzt? Soll ich nett sein zu dir oder nicht?«

Er riß die Tür auf und rannte davon. Er hastete die Treppe hinunter, stolperte durch den Hafen und drängte sich in die nächste Telefonzelle. Mit zitternden Fingern holte er eine Münze hervor, warf sie ein und wählte die Nummer des Polizeipräsidiums.

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Eine Männerstimme meldete sich. John Margie verlangte die Mordkommission und sprudelte sofort seine Frage heraus: »Ich möchte Mr. Baxter sprechen. Ist er da?«

»Bedaure«, antwortete die Stimme des Beamten. »Mr. Baxter untersteht nicht unserer Polizei. Er arbeitet nur mit uns zusammen.«

»Aber ich muß ihn unbedingt sprechen!« »Sie können ihn möglicherweise in seinem Hotel erreichen.

Rufen Sie doch dort an. Er wohnt im Hilton.« »Danke«, seufzte John Margie und legte auf. Nervös wählte

er die Nummer des Hotels und verlangte Hauptkommissar Baxter.

Baxter meldete sich sofort. »Mr. Baxter?« »Ja, wer spricht?« »Ich bin's, John Margie. Ich muß Sie dringend sprechen. Es ist

etwas Entsetzliches geschehen.« »Was denn, zum Donnerwetter?« Joe Baxter wurde

neugierig. »Eine unheimliche und geheimnisvolle Macht möchte mich

verrückt machen und ins Irrenhaus bringen. Ich bin nahe daran, meinen Verstand zu verlieren. Man hat mir heute ein Mädchen in die Hände gespielt, das mich in ein Haus am Hafen lockte. Dort verwandelte sich die Gestalt dieses Mädchens in meine verstorbene Frau Quendolin. Ich werde dieses Erlebnis niemals wieder vergessen können. Ich glaube aber, damit wird es noch nicht zu Ende sein. Geheimnisvolle Stimmen verlangen, daß ich die Ermordung meiner Ehefrau gestehe …«

Schnell fragte Baxter: »Haben Sie sie umgebracht, Mr. Margie?«

»Nein, nein!« brüllte der Engländer in die Sprechmuschel. Dann bettelte er: »Helfen Sie mir, Mr. Baxter, bitte!«

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Rasch entschied Joe Baxter: »Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich komme. Aus welcher Telefonzelle rufen Sie mich an?«

Der Brite beschrieb genau und unverfehlbar die Stelle und versprach zu warten.

Joe Baxter verabschiedete sich von Olga Dussowa und Viola Oggi. »Ich hoffe, daß ich bald zurück bin. Mr. Margie braucht meine Hilfe. Aber vielleicht gibt er es auch nur vor …!«

Baxter hatte es nicht weit. Als er mit seinem gemieteten roten Sportwagen vor der Galata-Brücke in das Hafengebiet einbog, sah er auch schon die trüb beleuchtete Fernsprechzelle.

John Margie ging davor in gebeugter Haltung auf und ab. Er war ein gebrochener Mann. Baxter fragte sich nur, was er wohl mit dem Tod seiner Frau zu tun haben könnte.

»Endlich sind Sie da«, stammelte der Engländer, reichte Baxter die Hand und eilte ihm voraus. Sie passierten etliche dunkle Gassen, kamen über erleuchtete Plätze und kurvten schließlich in eine holprige enge Straße.

»Wir sind gleich da«, flüsterte der Brite. »Da vorn. Es ist das weiße Haus gleich rechts neben der großen Cola-Reklame.«

Dann standen sie davor. Joe Baxter blickte kritisch auf John Margie. »Mr. Margie. Ich

habe das Gefühl, Sie wollen mich verschaukeln. Was bilden Sie sich eigentlich ein, mich mitten in der Nacht durch Istanbul zu locken?«

Stotternd erklärte John Margie: »Mr. Baxter, ich verstehe das alles nicht. Aber es ist wahr, was ich sage. Ich habe es vorhin selbst erlebt. Ich bin nicht verrückt, glauben Sie mir doch. Ich denke mir nichts aus.«

Er starrte immer wieder zu der Cola-Leuchtreklame. Kopfschüttelnd blickte Baxter dorthin, wo John Margie kurz

vorher mit dem Mädchen Diana in das Haus gegangen sein wollte.

Neben der Cola-Reklame stand überhaupt kein Haus,

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sondern es erstreckte sich dort nur ein häßlicher Lagerplatz mit altem Eisen …

*

Kommissar Büyükada sprang hinter seinem Schreibtisch hoch und eilte seinem Gast entgegen. »Willkommen, Hauptkommissar Baxter! Ich freue mich, so einen populären Mann von Interpol kennenzulernen!«

Joe Baxter nickte. »Auch ich freue mich, Sie einmal persönlich zu treffen, Kommissar. Ich bin eigentlich gekommen, weil mich das Obduktionsergebnis von Mrs. Quendolin Margie interessiert.«

Kommissar Büyükada öffnete eine Schreibtischlade und zog ein Formular des gerichtsmedizinischen Institutes hervor. Er überflog den Text und sagte dann:

»Sie werden staunen. Wir hatten gehofft, einen Anhaltspunkt für einen ganz realen Mörder zu finden. Wir müssen passen. Aber auch für Sie sieht es nicht positiv aus. Sie hatten erwartet, irgendeinen Beweis für einen Täter aus dem Jenseits oder aus einem überirdischen Bereich zu finden …«

Baxter unterbrach ihn: »So ein Beweis kann unter Umständen schon die Tatsache sein, daß keine Spuren eines menschlichen Täters vorliegen!«

Kommissar Büyükada schüttelte den Kopf. »Ich meine das anders, Mr. Baxter. Wir haben uns beide im Fall Margie geirrt. Der Arzt hat nämlich einwandfrei festgestellt, daß die Frau an einer plötzlichen Herzverkrampfung gestorben ist.«

»War Mrs. Margie herzleidend?« »Nein, aber das tut nichts zur Sache. Solche

Herzverkrampfungen mit tödlichem Ausgang können auch bei völlig gesunden Menschen unverhofft auftreten.«

Lauernd blickte der Kommissar den Gastkollegen aus Paris

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an: »Ich denke, Mr. Baxter, es ist doch kein Fall für das Parapsychologic Department – und keiner für meine Abteilung.«

Baxter beugte sich vor: »Und die Sache mit dem Todessmaragd? Gibt Ihnen die nicht zu denken?«

Kommissar Büyükadas Gesicht wurde ernst. »Mr. Baxter, ich schätze Sie überaus. Doch versuchen Sie nicht, mir das einzureden. Ich glaube nicht an solche Flüche. Und daher ist für mich die Todesursache von Mrs. Margie klar. Da spielt kein Todessmaragd mit.«

»Und der Tod Ihres Kollegen Inspektor Azim Karahan, der auch nicht daran glaubte, den Ring an sich nahm und Minuten später tot war?«

Der Kommissar antwortete rasch: »Zufall oder Kismet, wie Sie wollen, aber niemals der Todessmaragd. Untersuchungen haben ergeben, daß der Lift einen Materialfehler hatte und seit Wochen absturzgefährdet war.«

Büyükada griff in seine Schreibtischschublade und holte den sagenumwobenen Smaragd hervor. Er lachte zu Baxter hinüber, hielt den Ring mit dem Stein unter die Schreibtischlampe und murmelte:

»Ein herrliches Schmuckstück. Aber keine Zauberei. Lösen Sie sich davon, Baxter. Ich werde es Ihnen beweisen. Aber eigentlich habe ich es Ihnen ja schon bewiesen: Als Inspektor Karahan starb, habe ich den Ring an mich genommen. Ich betrachtete mich als Besitzer. Na, und? Sie sehen, daß ich lebe und mich sogar sehr wohl fühle …!«

Er beugte sich über den Ring und staunte: »Ein traumhafter Schmuck. Sehen Sie sich nur die kunstvolle Schleifarbeit des Steines an!«

Der Kommissar rückte die Schreibtischlampe zurecht und zerrte auch die zweite Stehlampe herzu, um besonders viel Licht zu haben. Er griff zum Schalter, um auch die neue

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Lichtquelle einzuschalten. Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht. Sein Körper richtete sich

steil empor, seine Augen traten aus den Höhlen. Seine Hände verkrampften sich. Der ganze Körper vibrierte.

Baxter ahnte es. Die Lampe mußte einen Schaden gehabt haben. Der Kommissar war in den Stromkreis geraten. Mit einem Sprung war Joe Baxter auf den Beinen. Er sah sich nach einem Gummihandschuh oder sonst einem Material um, mit dem er ungefährdet den Mann aus dem Stromkreis bringen konnte.

Aber es war nichts da. Schnell sammelte Baxter seine PSI-Kräfte. Er konzentrierte

sich ganz auf seine Aufgabe und peilte den Stromkreis direkt an. Er hatte dieses Experiment bisher noch nie durchgeführt und wußte daher nicht, wie es ausgehen würde.

Doch es gelang. Der Stromkreis wurde unterbrochen. Der Körper des

Kommissars sackte zu Boden. Die Hand konnte endlich den defekten Schalter loslassen.

Rasch zerrte Baxter seinen türkischen Kollegen aus dem Gefahrenkreis. Dann beugte er sich über ihn.

Enttäuscht seufzte er und erhob sich wieder. Kommissar Büyükada konnte niemand mehr helfen, er war

tot. In seiner rechten Hand glänzte der Ring mit dem Smaragd …

*

Viola Oggi nippte an ihrer eisgekühlten Melone. Olga Dussowa sog an einer langen Damenzigarre. Sie saßen in der Bar des »Hilton Oteli« und hatten sich angehört, was ihnen Joe Baxter zu erzählen hatte.

Olga Dussowa drückte ihre Zigarre im Aschenbecher aus

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und schaute Joe an. »Ich glaube, jetzt gibt es für uns keinen Zweifel mehr, daß hier sehr wohl der Fluch des Smaragdes die Schuld trägt!«

Joe Baxter hob beide Schultern. »So ganz genau weiß ich es nicht. Irgendwo finde ich nämlich diesen Mr. Margie verdächtig, überhaupt nach den jüngsten Geschehnissen.«

Viola Oggi preßte ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und kräuselte ihre Lippen. »Mr. Margie könnte doch ein Werkzeug einer dämonischen Wesenheit sein. Vielleicht muß er sich so geben, weil er einfach von einer unheimlichen Macht getrieben wird.«

Olga Dussowa hielt nicht viel von diesen Spekulationen. »Wir müssen endlich Klarheit über die Kräfte haben, die den Smaragd beherrschen. Vorher werden wir keinen einzigen erfolgreichen Schritt tun können.«

»Und wie willst du hinter das Geheimnis des Ringes kommen, wenn sich alles gegen uns verschwört? Die Bücher haben leere Seiten, und die Menschen wissen nichts Genaues.«

»Wir müssen zur Selbsthilfe schreiten«, antwortete Olga. »Und zwar?« »Ganz einfach. Wir berufen eine Material-Seance ein. Wir

rufen die Geister des Steins. Und wenn sie sich nicht zeigen, dann fordern wir sie mit Hilfe von Guru Jogami heraus!«

Joe Baxter mischte sich jetzt in das Gespräch ein: »Ich hoffe, Ihr wißt beide, daß eine Material-Seance immer an ganz bestimmte Orte gebunden ist, die mit dem Gegenstand der Seance in enger Verbindung stehen.«

Viola Oggi klatschte in die Hände. »Nichts leichter als das, Joe. Hier in Istanbul haben wir doch das Topkapi, jenes Kanonentor aus dem Jahr 1453, in dem wertvolle Schätze von mehreren Sultansgeschlechtern ausgestellt sind. Das ist ein würdiger Rahmen.«

Aber Joe Baxter war noch skeptisch. »Ich hoffe, ihr wißt, wie

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gefährlich das Experiment für uns werden kann. Wir können die Kraft und Macht der Geister im Ring von vornherein nicht abschätzen.«

»Wir werden es schaffen. Und wie gesagt: Guru Jogami ist ja mit seinen Fernkräften auch noch da«, meinte Viola.

Olga fragte neugierig: »Wird uns denn die türkische Polizei für die Seance den Ring mit dem Smaragd leihen?«

Joe Baxter machte ein spitzbübisches Gesicht, faßte in die Tasche und hielt den Schmuck in die Höhe. »Ich habe ihn zur Sicherheit an mich genommen, als Kommissar Büyükada starb.«

Olga riß weit die Augen auf: »Dann bist du jetzt der gegenwärtige Besitzer …!«

»… und in großer Gefahr«, ergänzte Baxter. Dann wandte er sich an Viola Oggi und forderte sie auf: »Lege einen Schutzbann für uns um den Ring, damit uns nichts passieren kann. Du bist ja Meisterin in solchen Sachen.«

Viola nickte, schloß die Augen und bewegte die Lippen wie im Traum.

Schließlich kam Viola Oggi langsam wieder aus ihrer Kurztrance zurück und meinte mit einem erleichterten Aufatmen: »So, jetzt kann uns für die nächsten vier Tage vom Smaragd her keine Gefahr mehr drohen, mögen die Geister, die ihn beherrschen, noch so gefährlich und hinterlistig sein.«

Plötzlich stand der Kellner vor dem Tisch und verneigte sich. »Mr. Baxter?«

»Ja, was ist?« »Dieses Kuvert hat man mir vor dem Lokal für Sie in die

Hand gedrückt.« Er überreichte den Umschlag dem Hauptkommissar und

entfernte sich wieder. Baxter riß das Kuvert auf. Der Bogen Papier darin war leer.

Doch als Baxter ihn intensiv betrachtete, wurde plötzlich eine

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Schrift sichtbar, die eindeutig von einer Frau stammte. Die Worte lauteten: »Verehrter Mr. Baxter, ich habe erfahren,

daß Sie meinen Fall untersuchen. Ich muß dringend mit Ihnen reden. Grüße – Quendolin Margie!«

Joe Baxter sprang auf. Viola und Olga schauten ihn neugierig an. »Was ist?« Er antwortete knapp: »Die tote Quendolin Margie möchte

dringend mit mir sprechen …« »Ihre Wesenheit?« wollte Olga wissen. »Vielleicht«, nickte Baxter, »vielleicht ist es auch ein

Schwindel. Ich weiß es noch nicht, wartet hier. Ich gehe nach draußen. Ich möchte unter allen Umständen die Frau sprechen, die dem Kellner diesen Brief an mich gegeben hat.«

Mit diesen Worten hastete er davon. Viola und Olga sahen einander an. »Vielleicht hätten wir besser mitgehen sollen!« murmelte

Viola Oggi. Olga Dussowa schüttelte den Kopf. »Wenn er sagt, er geht

allein, dann soll man ihm nicht dreinreden.« Wieder stand der Kellner vor dem Tisch. »Ist eine der Damen

Mrs. Oggi?« »Ja, ich!« meldete sich Viola. Der Kellner verneigte sich. »Telefon für Sie. Da vorne an der

Bar!« Erstaunt erhob sich Viola Oggi und eilte zum Tresen. Sie

angelte sich den Hörer und fragte: »Hallo, wer spricht dort!« Jäh prallte sie zurück. Aus dem Telefon erklang entsetzlich

laute und schrille Musik, untermalt mit Schreien und Kreisen. Viola hatte Angst, es würde ihr das Trommelfell platzen. Und dann vernahm sie eine häßliche und verschwommene Stimme, die ihr ins Ohr heulte: »Kehrt nach Hause, geht nach Hause! Wartet nicht auf Joe Baxter. Er wird diesen Abend nicht überleben. Und Ihr werdet ihm nicht helfen können. Das

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Schicksal nimmt bereits seinen Lauf!« *

Dichter Nebel zog vom Bosporus herauf. Die Straßen waren feucht und spiegelten die Leuchtreklamen wider. Als Joe Baxter aus dem Hotel in den Abend hinaustrat, mußte er hüsteln. Er blickte sich um. Es waren nicht viele Passanten auf dem Bürgersteig. Langsam entfernte er sich vom Hotel und ließ seine Blicke suchend über die Menschen wandern, an denen er vorbeikam.

Und dann blieb er mit einem jähen Ruck stehen. Neben einem alten Häuserblock gab es einen offenen Platz.

Und hier lehnte unter dem fahlen Licht der Straßenbeleuchtung ein bildhübsches, aufreizend gekleidetes Mädchen. Baxter erkannte auf den ersten Blick: Es mußte eine Dirne sein, die auf Kundschaft wartete.

Ihre grellrot geschminkten Lippen lachten dem Hauptkommissar verführerisch entgegen. Einer inneren Stimme folgend, ging er auf sie zu.

Sie musterte ihn auffordernd und hauchte: »Na, kommst du mit?«

Baxter holte den Briefumschlag aus der Tasche und sagte: »Ich will nur eines wissen: Hast du dem Kellner diesen Brief an mich gegeben?«

Ein erleichtertes Seufzen entrang sich ihrer Brust. Dann flüsterte sie: »Ich danke Ihnen, Mr. Baxter, daß Sie sofort gekommen sind. Bitte folgen Sie mir. Ich habe etwas sehr Wichtiges mit Ihnen zu besprechen …«

»Moment mal«, unterbrach Joe Baxter sie. »Wer sind Sie denn überhaupt?«

Sie sah ihn aus sanften Augen an und murmelte: »Es stand doch im Brief. Ich bin Quendolin Margie.«

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Baxter war überrascht. »Sie sind … Quendolin Margie?« Sie nickte und lächelte. »Mr. Baxter, wir wollen das alles in

Ruhe besprechen. Zu Ihnen spricht die Wesenheit der verstorbenen Quendolin Margie. Ich suchte in meiner transzendenten Welt vor meinem Eintritt ins jenseitige Sein nach einer Möglichkeit, mit Ihnen in Kontakt zu treten. Ich habe lange überlegt. Endlich fiel mir die Lösung ein. Ich bemächtigte mich des Körpers dieser Dirne, die ganz in der Nähe des Hotels stand, in dem Sie sich aufhielten. Das Mädchen war vollgepumpt mit Rauschgift. So konnte ich ihr gedankliches und geistiges Sein abkapseln und mich ihres Körpers bemächtigen. Nur mit Hilfe einer materiellen Existenz ist es mir möglich, mit Ihnen zu sprechen.«

Baxter sah sie fragend an. »Was wollen Sie mir sagen?« Sie begann, auf dem Bürgersteig entlangzugehen. Dabei

erzählte sie: »Sie müssen die genauen Umstände meines Todes wissen. Sie müssen das Geheimnis des Todessmaragdes erfahren. Dann werden Sie die Dinge, die um Sie passieren, besser verstehen.«

Sie waren vor einer Absteige angekommen. Baxter meinte: »Von mir aus, gehen wir hinauf. Aber warum

müssen Sie so geheimnisvoll tun, wenn Sie mir Informationen geben?«

Zitternd erklang die Stimme aus dem Mund der Dirne: »Ich muß diese Verkleidung und die Vorsichtsmaßnahmen wählen, weil jemand hinter mir her ist, von dem ich Ihnen erzählen muß. Es ist eine böse und mächtige Wesenheit, die mich in meinem Stadium des Zwischenseins zwischen Diesseits und Jenseits vernichten könnte …!«

Joe Baxter bezahlte beim Portier das Zimmer und stieg mit dem Mädchen in den ersten Stock hoch. Als sie die Tür des Zimmers erreicht hatten, wollte Quendolin anfangen zu erzählen. Aber sie kam nicht mehr dazu.

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Die Tür wurde aufgerissen, ein heißer Windstoß fegte Baxter ins Gesicht. Er starrte in den Raum, der sich vor ihm öffnete. Es war niemand zu sehen. Plötzlich schwirrte mit unheimlicher Schnelligkeit eine glühende eiserne Stange durch die Luft und bohrte sich in den Rücken des Mädchens.

Ihr Todesschrei erschütterte Joe Baxter zutiefst. Er hörte die Stimme der Sterbenden noch rufen: »Laß mich mit ihm sprechen. Warum soll er es nicht wissen …?« Dann brach sie zusammen.

Baxter konzentrierte seine ganzen geistigen Kräfte auf die Wesenheit der toten Quendolin Margie, die sich in dem Körper befunden hatte. Vielleicht konnte er das flüchtende Sein für einen Augenblick festhalten. Er sandte seine Gedankenstrahlen in jenseitige Sphären voraus. Und er erkannte zu spät, daß er in die falsche Richtung peilte.

Quendolin Margies Wesenheit wurde von einer feindlichen Macht in ganz unteren Sphärenbereichen fortgerissen …

Es war ihm sofort klar: Quendolin Margies Wesenheit war in den Fängen eines Dämons. War es der Dämon des Todessmaragds?

Verstört starrte Joe Baxter auf das tote Straßenmädchen vor sich. Plötzlich legten sich zwei feste Männerhände auf seine Schultern. Er drehte sich um und sah in die schwarzen Augen eines großen Mannes. Mit schnarrender Stimme sagte er: »Du elender Hund, du hast mein bestes Mädchen ermordet!«

Joe Baxter drehte sich zu ihm herum: »Einen Augenblick, Mann. Ich habe überhaupt niemand ermordet. Die Kleine da wurde gerade jetzt vor meinen Augen von hinten erstochen. Und zwar mit diesem Eisen, das noch immer in ihrem Körper steckt.«

»Nein!« brüllte der Schwarzhaarige. »Ich habe gesehen, wie du sie getötet hast.«

Jetzt erst sah Joe Baxter, daß auf der Treppe hinter dem

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Türken vier Polizisten standen. Sie hatten ihre Pistolen im Anschlag.

Einer der Beamten sagte: »Es hat keinen Sinn. Kommen Sie mit uns. Sie sind wegen Mordes verhaftet!« Joe Baxter zögerte noch, mit den Uniformierten mitzugehen. Da erhielt er einen groben Schlag auf den Hinterkopf. Alles drehte sich um ihn. Er spürte nur noch, wie er weggeschleppt und auf die Plattform eines kleinen Wagens geworfen wurde.

Dann verlor er die Besinnung. Sein letzter Gedanke galt der toten Quendolin Margie. Was hatte sie ihm wohl mitteilen wollen? Und warum hatte sie sich nur so lange Zeit gelassen?

*

»Aber er kann doch nicht vom Erdboden verschluckt worden sein!«

Viola Oggi fluchte leise vor sich hin. Sie stolperte nun mit Olga Dussowa bereits an die zwei Stunden durch das nächtliche Istanbul. Von Joe Baxter war keine Spur zu finden.

Viola wußte sich nicht mehr zu helfen. Sie holte einfach Baxters Foto aus der Handtasche und begann wahllos im Umkreis des Hotels die Passanten zu fragen: »Haben Sie vorhin diesen Mann gesehen?«

Lange fragte sie vergeblich. Endlich sagte ein alter Mann: »Ja, den habe ich gesehen. Der

hat sich da drüben mit einem leichten Mädchen verabredet und ist dann durch die schmale Gasse da vorne gegangen.«

Viola und Olga sahen einander fragend an. Dann strebten sie der Gasse zu. Sie erkannten schon von weitem die rote Laterne des Stundenhotels. Vor dem Haus sprachen sie wieder einige Leute an und zeigten ihnen Joe Baxters Foto.

Sie hatten Glück. Eine alte Frau konnte sich an Baxter erinnern. »Natürlich kenne ich den! Ich habe ihn vorhin

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gesehen, wie ihn vier Polizisten abgeführt haben.« »Abgeführt? Wieso denn abgeführt?« fragte Viola Oggi

fassungslos. Die alte Frau sah sie aufgeregt an: »Natürlich abgeführt. Das ist doch der Mann, der vor einer

halben Stunde hier im Hotel eine Dirne ermordet hat …« *

Olga Dussowa und Viola Oggi kamen gegen Mitternacht vor dem Polizeipräsidium an. Sie hasteten durch das Hauptportal und fuhren mit dem Lift ins Büro der Mordkommission hoch.

Minuten später saßen die beiden Mitarbeiterinnen des Parapsychologic Departments Inspektor Modac gegenüber.

Aufgeregt sprudelte Viola Oggi hervor und nestelte dabei mit den Fingern an ihrer Handtasche herum: »Das muß ein schreckliches Mißverständnis sein. Mr. Baxter ist doch kein Mörder. Ich weiß nicht, was den Polizisten da eingefallen ist. Wir kennen zwar nicht die Umstände, unter denen die Verhaftung stattfand, aber …«

Inspektor Modac erhob sich aus seinem Sessel und gebot Viola Oggis Redeschwall Einhalt: »Moment, Moment, ich verstehe kein Wort. Warum soll Baxter ein Mörder sein? Wer sagt denn von ihm so etwas. Bitte, würden Sie mir den Grund Ihres Erscheinens genau erklären?«

Olga Dussowa begann mit gedämpfter Stimme: »Wir haben erfahren, daß Mr. Joe Baxter heute abend in einem Hotel als Mörder einer Dirne verhaftet wurde …!«

Ein Schmunzeln glitt über die Lippen des Inspektors: »Bedaure, meine Damen. Sie müssen übel geträumt haben. Immerhin befinden Sie sich in der Zentrale der Mordkommission von Istanbul. Und heute abend ist weder ein Mord passiert, noch Mr. Baxter als vermeintlicher Mörder

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festgenommen worden.« Olga Dussowa fragte langsam: »Ist da auch kein Irrtum

möglich? Mr. Baxter wurde von vier uniformierten türkischen Polizisten abgeführt.«

»Ausgeschlossen«, wetterte der Inspektor und fügte dann hinzu: »Vielleicht waren es keine echten Polizisten, die ihn abgeholt haben!«

»Eine Falle«, flüsterte Olga Dussowa. »Wir hätten früher daran denken sollen. Vielleicht ist es jetzt bereits zu spät …«

Der Inspektor versprach: »Wir werden sofort ganz Istanbul nach Mr. Baxter durchkämmen. Ich werde Alarmstufe eins ausrufen lassen.«

Olga Dussowa schüttelte resignierend den Kopf. »Das hat wirklich keinen Zweck, Inspektor. Joe Baxter wird von keiner irdischen Macht festgehalten. Da müssen wir mit anderen Maßnahmen einsteigen.«

Viola Oggi nickte und murmelte: »Meine Kollegin hat recht. Hier kann nur das Parapsychologic Department helfen. Aber auch nur dann gibt es eine Chance für uns, wenn wir endlich wissen, welcher Dämon in dem verfluchten Todessmaragd regiert. Wenn wir die Macht kennen, dann kennen wir auch unseren direkten Feind und wissen, in wessen Gewalt sich Joe befindet …«

*

Die Hitze war unerträglich. Joe Baxter wunderte sich, daß er keine Schweißausbrüche

hatte. Er wollte mit den Händen sein Gesicht betasten, spürte aber keine Hände. Er wollte nach ihnen sehen, fand sie aber nicht. Ein jäher Gedankenblitz durchfuhr ihn: Er hatte keine menschliche Gestalt mehr. Er war nur noch Geist allein. Er wußte gar nicht, wo sich im Augenblick sein Körper befand.

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Existierte sein Körper überhaupt noch? Oder hatte ihn die Macht, die ihn festhielt, bereits vernichtet?

Joe Baxter tastete mit seinen Gedanken seine Umgebung ab. Er befand sich in einer riesigen rotierenden Kugel aus rotem Gas. Die Kugel raste mit unglaublich hoher Geschwindigkeit über die Erde dahin. Baxter stellte fest, daß sie so groß wie ein Einfamilienhaus sein mußte.

Rund um ihn schwebten weitere undurchsichtige Blasen, in denen er dämonische Lebewesen vermutete. Doch er konnte nicht erahnen, wie sie aussahen. Er hörte aus den Blasen nur ein unheimliches Glucksen.

»Wo ist mein Körper, wo ist mein Körper?« Immer wieder stellte sich Joe Baxter diese Frage. Er hätte zu

gern gewußt, wie eine fremde Macht seinen Körper von seinem geistigen Sein getrennt hatte.

»Wo bin ich eigentlich?« Baxter sandte die Frage in alle Richtungen der glühenden

roten Kugel und spürte, wie die Worte als Echo zu ihm zurückkamen.

Ein gellendes Lachen erschütterte das seltsame Gefängnis. Und dann bildete sich eine weiße Wolke in der Kugel. Aus

den Dämpfen formte sich ein verschwommenes Gesicht mit zwei schwarzen Augen.

Joe Baxter erkannte es wieder. Es erinnerte ihn an jenen Mann, der ihn des Mordes an der Dirne bezichtigt hatte.

»Hallo, Joe Baxter!« Die Stimme war tief und klang gefährlich. »Wer bist du?«, fragte Joe. »Katnandu … Katnandu … Katnandu …«, kam es immer

wieder auf Baxter zu. Dann setzte die Stimme mit einem drohenden Unterton fort:

»Ich bin der Dämon des funkelnden Smaragdes. Mein Zuhause ist zwar rot, aber mein Smaragd ist grün, hell und grün.«

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Baxter fragte: »Dann bist du also die böse Macht, die im Todessmaragd des Hradschi Said regiert, in jenem Smaragd, den erstmals Maharadscha Mohini III. in Indien besaß!«

»Du sagst es!« kam die Antwort. Joe Baxter atmete auf. Er wußte zwar nicht, ob er jemals

wieder Gelegenheit haben würde, sein Wissen weiterzugeben, doch er hatte etwas erreicht, was ihm sehr wichtig war: Er hatte Kontakt mit dem Dämon des Todessmaragdes.

Das wollte er jetzt ausnutzen. »Warum müssen die Menschen sterben, die mit deinem Smaragd in Berührung kommen?«

Erregt antwortete die Stimme, und die Augen des verschwommenen Gesichtes rollten unheimlich: »Nur die Besitzer des Steins müssen sterben, und auch nur dann, wenn sie von ihrem Ring zuviel verlangen und dem Leben gegenüber unverschämt werden.«

Baxter war erstaunt. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte gedacht, daß der Dämon nur aus purer Freude am Vernichten Menschen in den Tod schickte.

Und dann hörte er die Stimme in sich dröhnen: »Ich muß dir, denke ich, etwas erklären. Ich bin ein viele hundert Jahre alter Dämon. Ich wurde aus der Eifersucht, aus dem quälenden Schmerz des Maharadscha Mohini III. in Jaipur geformt. Der Maharadscha fand den Smaragd auf einer Jagd in den Bergen. Er brachte ihn in die Stadt, übergab ihn einem Juwelier und ließ einen Ring anfertigen. Dann schenkte er das Schmuckstück seiner Lieblingsfrau Jamah. Doch sie war ihm nicht treu. Sie brach aus dem Harem aus und flüchtete mit einem Kamelhändler. Der Maharadscha war zu stolz, um seine Lieblingsfrau verfolgen zu lassen, und er verfluchte den Smaragd, den sie mitgenommen hatte. So entstand ich als rächende Macht eines enttäuschten Gatten. Ich hatte die Aufgabe, dieses undankbare und untreue Weib zu töten. Ich erledigte diese Aufgabe. Der Ring gelangte auf Umwegen nach

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Persien. Ein Bruder des damaligen Königs kaufte und trug ihn. Aber er brannte vor Ehrgeiz, den Thron seines Bruders zu besteigen. Er ließ sich zu einem Verrat hinreißen. Er wollte den eigenen Bruder ermorden lassen. Das konnte ich nicht mitansehen. Ich ließ ihn durch das Schwert eines königlichen Gardeoffiziers töten. Den Ring erwarb später ein griechischer Diplomat. Er beging Betrügereien, um reich und mächtig zu werden. Als er für ein einträgliches Geschäft seine eigene Frau einem persischen Minister versprach, servierte ich ihm einen Giftbecher. Und so ging es immer weiter. Wer den Ring trug, reizte mich und forderte mich heraus.«

Ein wildes Heulen wehte durch die Kugel. »Ich bin kein böser Dämon. Ich bin ein gerechtes

übernatürliches Sein. Und mir stehen vier Helfer zur Seite. Du hast sie in der menschlichen Verkleidung als türkische Polizisten kennengelernt.«

Ein Lachen erschallte. Jetzt erkannte Baxter, daß vier glucksende Blasen auf ihn zuschwebten, zusammenstießen und sich dann wieder entfernten. Das also waren die dämonischen Helfer, die ihn hier heraufgebracht hatten.

»Warum hast du meine Arbeit auf der Erde gestört? Warum hast du mich hierhergebracht? Was willst du von mir, Katnandu …?« fragte Baxter.

Minutenlang war nur ein Rauschen und Zischen in der Kugel zu hören. Dann kam die Antwort: »Ich möchte dir ein Angebot machen, Joe Baxter.«

»Und wie lautet dieses Angebot?« »Du bist ein guter und mutiger Mann mit viel Verstand. Du

sollst einer meiner Mitarbeiter im Kampf gegen das Übermaß der Menschen werden. Du sollst mithelfen, den gerechten Fluch des Todessmaragds zu erfüllen …!«

Joe Baxters Gedanken drehten sich im Kreis. Er konnte dieses makabre Angebot nicht verstehen. Dann faßte er sich wieder.

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»Du weißt genau, daß ich dieses Angebot niemals annehmen würde. Ich habe auf der Erde einen wichtigen Auftrag im Dienste der Menschheit. Ich kann nicht für dich arbeiten. Ich will wieder Geist und Körper als harmonische Zweisamkeit sein. Laß mich frei! Ich kann dir hier nicht helfen.«

»Ich würde Männer wie dich brauchen!« drängte die dämonische Stimme.

»Wir könnten niemals gut zusammenarbeiten. Wir sind Gegner. Du hast den Tod von Quendolin Margie verursacht. Ich muß den Fall klären. Meine Aufgabe ist es, das Rätsel um dich, Katnandu, zu lösen.«

Ein hallendes Lachen dröhnte rund um Baxter: »Wenn du es einmal geklärt hast, dann wirst du erkennen, wie falsch du über mich informiert warst.«

Gezielt fragte Joe Baxter jetzt: »Sage es offen: War es der Fluch des Smaragdes, der Quendolin Margie tötete?«

»Ich kann es dir nicht sagen, noch nicht.« »Warum nicht?« »Du würdest dich in meine Arbeit einmischen. Und du

würdest meinen Plan stören. Du bist ein guter Mann, darum wollte ich dich auf meiner Seite haben. Wenn du aber mein Angebot ablehnst, dann bist du mein Feind.«

Der rote Ballon, in dem sie sich befanden, krampfte sich zusammen und wurde enger. Baxter wollte noch einige neue Gedanken loslassen, aber er hatte plötzlich nicht mehr die Kraft dazu. Der Dämon lähmte seine Kräfte völlig.

Dafür verspürte Baxter die Gedanken des Dämons, der ihm zuflüsterte: »Eine andere übernatürliche Wesenheit hätte dich jetzt getötet. Aber ich denke mir: Vielleicht brauche ich dich noch einmal. Vielleicht überlegst du es dir und arbeitest doch noch mit mir zusammen. Darum werde ich dir deinen Körper wiedergeben und dich nur so lange ausschalten, bis ich meine Mission im Fall Quendolin Margie erfüllt habe.«

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»Wo sind wir«, fragte Baxter mit letzter Kraft. »Wir schweben in meiner Dämonenkugel um die Erde. Ich

tue dies seit mehreren hundert Jahren. In dieser Kugel entstand ich. Ich verlasse sie nur, wenn ich den Fluch des Todessmaragdes erfülle.«

Baxters geistige Existenz begann sich wie ein Wirbelwind zu drehen. Schneller, immer schneller. Die dumpfe Stimme des Dämons Katnandu wurde immer heller und ging schließlich in ein Pfeifen über. Baxter konnte sich nicht mehr konzentrieren. Seine Gedanken verwirrten sich.

Angst umfing ihn. Dann platzte die rote Kugel. Baxters Gedanken wurden

freigegeben und ins Nichts hinausgeschossen … *

Viola Oggi ging unruhig im Zimmer des »Hilton Oteli« auf und ab.

Ruckartig blieb sie vor Olga stehen, die sich erschöpft auf das Sofa hatte fallen lassen.

»Wo kann Joe nur sein? Jetzt haben wir in eiserner Konzentration siebenmal seinen Geist angepeilt. Er hat sich nicht gemeldet. Was kann das bedeuten?«

Olga setzte sich auf. »Wäre er tot und nur mehr eine Wesenheit, hätten wir längst Kontakt zu ihm. Wäre er lebendig und in guter Verfassung, wäre er längst wieder hier oder hätte sich mit uns in Verbindung gesetzt. Also bleibt nur eine einzige Lösung: Er ist in der Gewalt von übernatürlichen Mächten.«

Nachdenklich fragte Viola: »Wer, frage ich mich, hat Interesse daran, ihn festzuhalten?«

Olga überlegte laut: »Es kann nur der böse Geist des Todessmaragdes gewesen sein. Daher müssen wir auch ohne Joe heute nacht noch zum Topkapi und die Material-Seance mit

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dem Smaragd durchführen.« »Aber Joe hat doch den Smaragd bei sich«, rief Viola aus. Olga schüttelte den Kopf. »Keine Spur! Als du ihn für uns

mit deinen Sprüchen bedacht hast, habe ich ihn eingesteckt. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir werden die Seance auch ohne Joe schaffen. Vielleicht können wir ihn dadurch sogar retten!«

*

Der Mond stand hoch über Istanbul. Das Topkapi ragte steil in den Nachthimmel empor. Im

Museum der Sultan-Schätze war es totenstill. Viola Oggi und Olga Dussowa hatten vom Präsidium eine Ausnahmegenehmigung erhalten, die Nacht in dem uralten Bau inmitten von Vitrinen und wertwollen Ausstellungstücken zu verbringen. Die beiden Frauen waren aber nicht allein. Zwei Beamte der türkischen Polizei hatten sie begleitet.

Im großen Ausstellungssaal breitete Viola Oggi einen roten Samtteppich auf der Erde aus. Darauf legte sie den Smaragdring von Quendolin Margie. Olga Dussowa bat die beiden Beamten: »Treten Sie bitte in eine Ecke des Raumes. Wir brauchen völlige Ruhe für unser Vorhaben!«

Die Polizisten nickten verständnisvoll und zogen sich zurück.

Olga und Viola knieten vor dem Ring nieder und legten ihre Hände über ihn. Gemeinsam murmelten sie Beschwörungsformeln und begannen – jede für sich – mit der Selbsthypnose. Sie schlossen die Augen und waren binnen weniger Sekunden vollkommen entrückt. Für die beiden Mitarbeiterinnen des Parapsychologic Departments existierte nur noch der Ring.

Mit starrem Blick erhob sich dann Viola Oggi, legte ihrer

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Kollegin die Hände auf den Kopf und sagte pathetisch: »In dieser Schatzkammer wertvollster Juwelen haben wir dich eingebettet, Smaragd des Todes. Wir rufen dich und deine Geister, die in dir wohnen und herrschen. Meldet euch und öffnet uns eure Existenzebene …«

Es war immer noch ganz still. Olga Dussowa wiegte leicht ihren Kopf hin und her. Ihre

Lippen bewegten sich, doch es kam kein Ton über sie. Wieder versuchte Viola Oggi, einen Kontakt zum Dämon des

Steines herzustellen: »Herrscher des Smaragdes, melde dich. Wir wollen dich kennenlernen, an dich so viele Fragen stellen …«

Keine Antwort. Olga war ganz auf das Geheimnis des Smaragdes eingestellt.

Sie schwebte bereits – losgelöst von ihrem Körper – als sehnsuchtsvoller Geist über sich selbst, um der dämonischen Macht die Willkommensformeln entgegenzurufen. Doch sie spürte keinen Hauch von transzendentaler Kraft. Sie fühlte sich im Wirkungsbereich des grünen Steines einsam und kam sich verloren vor.

Viola Oggi gab nicht auf. Immer wieder torpedierte sie den Smaragd mit ihren Fragen.

Schließlich ließ sie sich erschöpft auf der Erde nieder und sammelte ihre Konzentration zu einem Gedankenstrahl nach Paris.

Sie brauchte Minuten, bis Dr. Duvaleux aus dem Schlaf gerissen wurde und sich jäh im Bett aufsetzte.

»Hallo, Baxter? Sind Sie es? Was ist los?« »Nein, Chef, ich bin es, Viola Oggi. Ich brauche Ihre Hilfe.

Baxter ist spurlos verschwunden. Nur das gelöste Rätsel des Smaragdes kann uns weiterhelfen. Doch wir kommen nicht heran. Wir brauchen die geistige Kraft von Guru Jogami.«

Dr. Duvaleux antwortete: »Er wird sich gleich bei euch

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melden!« Der Direktor des Parapsychologic Departments fragte nicht

lange. Er wußte, wie ernst die Situation war. Jedes unnütze Wort brachte vielleicht Joe Baxter in Gefahr.

Viola und Olga knieten vor dem Ring. Ihre Gedanken waren nach Paris gerichtet.

Guru Jogami schlief nicht. Er schlief nie. Er legte sich waagrecht auf die Erde und sandte den beiden Frauen seine Kraft.

»Ich spüre Guru Jogamis Aktivwellen«, flüsterte Olga Dussowa. Bis in die Fingerspitzen vibrierte ihr ganzer Körper. Sie fühlte sich sensitiv wie selten. Viola Oggi ging es ebenso.

Sie begannen nun das Spiel von vorne. Viola übernahm die Rolle des Mediums und berührte den

Smaragd. Olga ging um sie herum und rief die Geister des Steines an.

Der Erfolg blieb wieder aus. Keine Antwort aus dem Raum. Kein Schreien, kein

höhnisches Lachen, kein Heulen, nichts. Minutenlang starrten Viola Oggi und Olga Dussowa noch

auf das Schmuckstück. Sie faßten es nicht, daß die Seance, die sie so viel Kraft gekostet hatte, ergebnislos verlaufen war.

Langsam kehrten die Gedanken der beiden wieder in den Alltag zurück.

Olga Dussowa lehnte sich gegen eine Vitrine und sandte ihre Gedankenblitze nach Paris zu Guru Jogami. »Jogami, wir sind verzweifelt. Es hat nicht funktioniert.«

»Was redet Ihr da? Es hat bestens funktioniert!« »Aber wir haben das Geheimnis des Steins nicht ergründet.

Der Geist, der ihn beherrscht, hat sich nicht zu erkennen gegeben.«

Guru Jogami gab zurück: »Unsinn, es hat sehr gut geklappt. Ich bin zufrieden. Ihr habt das Geheimnis ergründet.«

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Olga Dussowa schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht.« »Ihr wißt jetzt, daß dieser Stein kein Geheimnis birgt. Es

wohnen ihm kein Geist und kein Dämon inne«, antwortete Jogami.

»Was willst du damit sagen?« erkundigte sich Olga erstaunt. »Der Smaragd, dem Ihr die Material-Seance gewidmet habt,

ist nicht der echte Todessmaragd des Hradschi Said. Es wohnt ihm nicht die geringste Kraft und daher auch nicht der geringste Fluch inne. Das Schmuckstück ist eine vortreffliche Kopie, mehr nicht. Das ist jetzt klar!«

Viola Oggi wartete, bis Olga ihr die Meldung des Gurus mitgeteilt hatte. Sie spürte, wie ihre Knie zitterten. Sie nahm den Smaragd in die Hand und flüsterte atemlos: »Wenn das wahr ist, so frage ich mich: Warum mußte Quendolin Margie sterben? Warum mußte Kommissar Büyükada sterben? Und warum ist Joe spurlos verschwunden?«

Olga nickte und dachte mit Schaudern daran, daß es jetzt keine Chance mehr gab, irgend etwas für Joe zu tun …

*

Das Sanatorium für Geisteskranke lag außerhalb von Istanbul in der Nähe des Flughafens.

Viola Oggi läutete einmal, dann wurde geöffnet. Eine weißgekleidete Schwester führte die Mitarbeiterin des Parapsychologic Departements zum Chef.

Dr. Yedir bat sie, Platz zu nehmen. Viola Oggi fragte: »Wie geht es John Margie?« Der Mediziner antwortete ernst: »Schlecht, sein

Geisteszustand bessert sich nicht. Trotz aller Medikamente, die wir ihm verabreichen. Er redet immerfort von seiner toten Frau, die wieder auferstanden ist und mit ihm eine Nacht verbringen will. Er beschreibt ihr Gesicht und schreit auf.«

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»Würden Sie diesen Mann für einen Mord fähig halten?« fragte Viola schnell.

»Was für einen Mord«, wollte der Arzt wissen. »Für einen Gattenmord.« Nach kurzem Überlegen sagte Dr. Yedir: »Ja, ich könnt mir

vorstellen, daß er sich zu so einer Tat hinreißen lassen könnte.« »Darf ich ihn sprechen?« »Ja, aber nicht zu lange!« Dr. Yedir erhob sich. Viola folgte ihm. Sie schritten in den

Patientenpavillon hinüber. Eine Schwester sperrte die Tür zur Zelle auf. Viola Oggi trat ein.

John Margie erhob sich, schritt ihr entgegen und verneigte sich vor ihr.

»Ich bin von der Interpol, Mr. Margie. Ich brauche Ihre Hilfe«, bat Viola.

Sie hielt dem Engländer den Ring mit dem Smaragd entgegen.

Er wich zurück, bekreuzigte sich und rief ängstlich: »Geben Sie ihn weg. Es gab Zeiten, da glaubte ich nicht an seine Kraft. Jetzt fürchte und hasse ich ihn, weil ich weiß, daß ein teuflischer Dämon in ihm wohnt.«

Er begann, am ganzen Körper zu zittern. Viola Oggi musterte ihn genau. Dann steckte sie den

Smaragd weg und erklärte: »Mr. Margie, ich weiß nicht, wie ernst Ihnen diese Worte soeben waren. Aber ich kann ihnen eine Mitteilung machen, die Sie erstaunen wird. Das Parapsychologic Department hat das Geheimnis Ihres Smaragdes ergründet.«

Margie wurde aschgrau im Gesicht und fragte leise: »Und was haben Sie herausbekommen?«

»Ihr Smaragd hat keine geheime Kraft und besitzt keine Macht. Auf ihm lastet kein Fluch. Er ist völlig harmlos …«

John Margie wich ein paar Schritte zurück. Dann stotterte er:

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»Das kann ich beim besten Willen nicht glauben – überhaupt nach allem, was vorgefallen ist!«

Mit fester Stimme sagte Viola Oggi: »Mr. Margie, damit ist die Geschichte noch nicht ausgestanden. Der Fall muß jetzt erst recht geklärt werden. Ich frage mich nämlich: Warum mußte Ihre Frau sterben?«

Er begann wieder zu schluchzen. »Ich weiß es doch nicht. Warum quälen Sie mich? Glauben Sie vielleicht, ich habe es getan? Ich habe sie doch geliebt …«

Viola Oggi nickte. »Sie haben recht. Irgendeine geheime Macht spielt bei dem Fall mit. Sonst wäre Joe Baxter nicht auf so rätselhafte Weise verschwunden. Eines aber wissen wir: Vom Ring geht keine Gefahr aus.«

»Aber«, stammelte der Kaufmann, »es ist doch der wertvolle Todessmaragd des Hradscha Said. Ich habe ein Vermögen dafür bezahlt.«

»Sie sind beschwindelt worden«, klärte ihn Viola Oggi auf. »Das ist nicht der Smaragd des Hradscha Said. Es ist eine Imitation.«

Er schüttelte gebrochen den Kopf. »Ja, aber das ist doch nicht möglich. Warum hat man mir so falsche Dinge erzählt?«

»Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls steckte ein bestimmter Plan dahinter. Das hängt mit dem Tod Ihrer Frau zusammen. Mr. Margie, wo haben Sie den angeblichen Todessmaragd gekauft?«

»Der Händler heißt Hissan Ali und hat sein Geschäft am Atatürk Bulvari.«

Viola Oggi entschied: »Wir werden eine Genehmigung des Arztes besorgen. Und dann werden wir gemeinsam dorthingehen und klären, was er Ihnen da verkauft hat und warum er gelogen hat.«

*

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Der Juwelierladen auf dem Atatürk Bulvari war klein, aber über und über mit Schätzen ausgestattet. Hissan Ali verneigte sich unzählige Male, als Viola Oggi, Dr. Yedir und John Margie eintraten. Er glaubte zuerst, Kundschaft vor sich zu haben.

Viola Oggi ging sofort zum eigentlichen Thema über. Sie angelte den Ring mit dem Smaragd aus der Handtasche und reichte ihn dem Türken. Er betrachtete das Schmuckstück eingehend und fragte dann: »Ein schöner Ring! Was soll ich damit?«

Viola Oggi deutete auf John Margie. »Dieser Herr hat ihn vor einigen Wochen bei Ihnen gekauft.«

Hissan Ali schüttelte den Kopf. Ein Lächeln flog über sein Gesicht. »Bestimmt nicht, ganz bestimmt nicht. Dieser Ring mit diesem Stein hat sich noch niemals in meinem Besitz befunden. Ich müßte es wissen, wenn ich ihm angeboten oder gar verkauft hätte. Ich kann mich auch, mit Verlaub, an diesen Herrn nicht erinnern.«

Erwartungsvoll sah Viola Oggi den Briten an. »Was sagen Sie dazu?«

John Margie antwortete unsicher: »Ich habe den Türken persönlich auch nicht gesehen. Er wurde mir nur empfohlen. Ich bedauerte es sehr, daß er nicht anwesend war, als ich mit meiner Frau zu seinem Laden kam.«

Der Türke zog die Stirn kraus. Dann sagte er mit einem erleichterten Lächeln: »Dann müssen Sie in meinem Geschäft gewesen sein, als meine Mutter schwerkrank war. Da hatte ich eine Aushilfe, eine junge Engländerin. Sie nannte sich Gloria. Sie wohnte gegenüber in der Pension. Aber auch die kann Ihnen den Ring schwerlich verkauft haben. Ich hatte nie so ein Schmuckstück.«

Viola Oggi dankte dem Türken und bat Dr. Yedir: »Darf ich Sie noch bitten, mit dem Patienten in die Pension gegenüber zu

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kommen?« Der Arzt war einverstanden. Sie überquerten den Atatürk Bulvari und betraten die

Pension. Eine alte dicke Frau mit weißen Haaren kam ihnen entgegen.

»Was kann ich für Sie tun?« »Hat eine Britin mit dem Vornamen Gloria bei Ihnen

gewohnt?« fragte Viola ohne Umschweife. Die Türkin nickte: »Ja, ja, die hat bei mir gewohnt. Allah sei

ihr gnädig …!« »Was war mit ihr«, wollte Viola Oggi wissen. Die dicke Frau sprudelte aufgeregt hervor: »Sie stand eines

Tages mit ihrem kleinen Koffer da. Sie sagte, sie komme aus London und hätte hier im Istanbul eine wichtige Mission zu erfüllen. Sie fragte mich nach dem ›Hilton Oteli‹ und nach einem Juwelier. Dann zog sie bei mir ein. Sie war eine schöne junge Frau. Aber sie war mir unheimlich.«

»Hat sie Ihnen gesagt, warum sie in dem Laden gegenüber als Verkäuferin aushalf?« fragte Viola.

Die Türkin schüttelte den Kopf. »Sie sprach wenig mit mir. Sie hatte überhaupt ein seltsames Benehmen. Und dann trug sie immer einen Ring mit einem grünen Stein am Finger und starrte ihn immer an. Aber als sie am letzten Tag vom Juwelier zurückkam, da hatte sie den Ring nicht mehr.«

Viola erkundigte sich rasch: »Ist sie an diesem Tag abgereist?«

Die dicke Frau seufzte. »Wenn es nur so gewesen wäre. Das wäre schön gewesen. Nichts da. Sie hat mir keine Münze bezahlt.«

»Sie hat sich aus dem Staub gemacht?« »Ja, und wie! Ich glaube, sie war mit dem Teufel im Bunde.

Sie hat auch immer zu ihm gebetet – droben im Zimmer. Darum betrete ich es nicht und vermiete es auch nicht mehr.

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Sicher bringt es jedem Unheil, der darin wohnt.« »So sagen Sie endlich: Was ist mit dieser Mrs. Gloria

passiert?« Mit zitternden Lippen berichtete die Türkin: »Sie hat sich in

ihr Zimmer eingeschlossen, hat dort wilde Tänze und Gesänge aufgeführt und ist dann mit einem wilden Aufheulen durch die Decke des Hauses davongeflogen.«

Viola Oggi wollte das nicht glauben und bat: »Führen Sie uns zu dem Zimmer des Mädchens.«

Zögernd dirigierte die alte Frau die Fremden in den dritten Stock der Pension. Sie schloß ein Zimmer auf und stieß ein Gebet zum Himmel. Die Tür schwang auf.

Viola Oggi betrat den Raum. Erstaunt blickte sie hoch. In der Zimmerdecke klaffte ein Loch mit verbrannten und rußigen Rändern. Man konnte bis ins Freie blicken.

Die Türkin stammelte: »Dieses Loch hat sie gerissen, als sie wie eine Hexe auf und davon fuhr.«

Jetzt erst blickte sich Viola Oggi genauer um. Überall im Raum standen Kerzen, etwa an die hundert Stück. Und unter dem Spiegel auf dem Toilettentisch stand eine Porzellanschüssel mit gestocktem Blut, daneben lag ein Federmesser. Auf dem Spiegel waren Blutspritzer zu erkennen, und auf der Erde lag eine große Papierrolle.

Viola Oggi beugte sich herab und zog sie auseinander. Sie las wie gebannt den lateinischen Text, der mit Menschenblut hingekritzelt war. Da hieß es: »Dies ist ein Vertrag, geschlossen am 14. August dieses Jahres zwischen Gloria Cannon und den Dämonen Nepogor und Belezar, womit Glorias Seele und ihr Seelenheil dem Reich der Dämonen überantwortet wird. Dafür stehen Nepogor und Belezar Gloria bei ihrem Vorhaben zur Seite, auf daß sie siegreich daraus hervorgeht.«

Darunter waren geheimnisvolle Zeichen zu sehen. »Ein Dämonenpakt«, flüsterte Viola Oggi.

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Neugierig trat John Margie näher und überflog den Text. Als er den Namen Gloria Cannon las, zuckte er zusammen.

Viola Oggi sah ihn scharf an: »Mr. Margie, Sie können sich nicht mehr verstellen. Geben Sie es zu. Sie kennen den Namen dieses Mädchens!«

Er schüttelte den Kopf. »Dieses Mädchen habe ich nicht gekannt. Doch der Name Cannon ist mir in die Knochen gefahren.«

»Wieso?« »Cannon war der Mädchenname meiner Frau Quendolin!« Viola Oggi überlegte: »Und was halten Sie davon, daß die

Verkäuferin, die ihnen den falschen Todessmaragd anbot, ebenso hieß?«

John Margie hatte sich schnell wieder gefaßt. »Ich denke, daß es sich hier um einen komischen Zufall handelt.«

Viola Oggi schüttelte energisch den Kopf: »Dieser Ansicht bin ich ganz und gar nicht, Mr. Margie!«

*

Das Stöhnen drang an Joe Baxters Ohr. Rund um ihn war es stockfinster. Er wollte sich bewegen und hörte das Rasseln von Ketten. Es

kam von seinen Füßen. Mühsam setzte er sich auf und merkte, daß er nur ganz leicht bekleidet war. Es stank überall nach Schmutz und Abfall.

Baxter griff sich an die Beine. Kein Zweifel: Er lag in Ketten. Langsam erinnerte er sich. Er war in das Reich des Dämons Katnandu entführt und zur Mitarbeit aufgefordert worden. Dann hatte er eine Reise ins Ungewisse angetreten.

Er atmete auf. Wenigstens hatte sein Geist wieder in den Körper gefunden. Das war schon eine Menge wert. Jetzt mußte er nur noch herausfinden, wo er sich befand.

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Joe Baxter wartete viele Stunden, bis es hell im Raum wurde. Der Morgen war angebrochen. Jetzt sah der Hauptkommissar, daß er sich in einem tropfenden, düsteren Gewölbe befand. Neben ihm lagen fünf weitere Männer mit ungepflegten Bärten im schmutzigen Stroh und schnarchten.

Baxter rüttelte einen wach. Böse sah ihn der andere an und fauchte: »Laß mich schlafen,

Idiot.« Dann riß er die Augen auf und fragte: »Wie kommst denn du

hier herein? Ich habe ja gar nicht bemerkt, wie man dich gebracht hat?«

Baxter knurrte: »Man hat mich hereingezaubert.« Der andere lachte grölend: »Da hast noch Humor. Den wirst

du hier bald verlieren.« »Wo sind wir?« erkundigte sich Baxter und erntete ein

höhnisches Gelächter. »Mann, du machst mir Spaß. Du weißt nicht, wo wir sind?

Natürlich im gefürchteten Mörderturm von Addis Abeba …« Baxter zuckte zusammen. Katnandu hatte ihn ganz schön

weit von Istanbul abgeschoben. Daher galt es, sich zu beeilen, um wieder zu Viola Oggi und Olga Dussowa zu stoßen.

Joe Baxter legte sich zurück. Inzwischen waren auch die anderen Verbrecher erwacht. Sie wollten zahllose Fragen an den Neuen stellen.

Böse brüllte Baxter sie an: »Haltet die Klappe!« Er versuchte es mit Entmaterialisation. Anders gab es keine

Chance, aus den Ketten und aus diesem Turm herauszukommen.

Langsam zog sich Baxters Geist von den Sträflingen zurück und überwand den eigenen Körper. Baxter schwebte jetzt als geistige Existenz über sich selbst.

Dann verließ er das Gefängnis durch eines der vergitterten Fenster.

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Er hörte noch die Schreckensschreie der Häftlinge, die an ein himmlisches Wunder glaubten.

Seine rasante Gedankenfahrt endete schließlich im »Hilton Oteli«.

Joe Baxter atmete schwer und schlug die Augen auf. Die Erde hatte ihn wieder …

*

»Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich der uniformierte Beamte des Archivs im Polizeipräsidium von Istanbul.

Viola Oggi hielt ihm einen Zettel hin. »Ich habe hier einen Namen: Gloria Cannon. Es handelt sich um eine Engländerin. Könnten Sie herausbekommen, wo sie lebt, was sie arbeitet und ob sie verheiratet ist?«

Der Leiter des Archivars schob Viola Oggi ein riesiges Formular entgegen. »Wenn Sie das bitte genau ausfüllen würden.«

Viola schlug die Hände zusammen. »Das kann doch nicht wahr sein. Um das auszufüllen, brauche ich ja Tage. Muß denn das sein? Geht das nicht unbürokratischer?«

Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber wir müssen unsere Anfrage offiziell an Scotland Yard in London richten.«

Viola Oggi zerknüllte wütend den Zettel. Mit großen Augen starrte sie der Polizist an. »Ja, aber dann werden Sie niemals erfahren, wer Gloria Cannon war.«

»O doch«, nickte Viola Oggi. »Ich mach's auf meine Methode via Telepathie über mein Büro in Paris!«

Insgeheim hoffte sie auf die Mitarbeit von Madame Therese Duvaleux …

*

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Dicke Nebelschwaden zogen durch den Park der Nervenklinik nahe dem Flughafen. John Margie stand am Fenster und starrte in die Natur hinaus. Er mußte immer wieder an den Besuch bei dem Altwarenhändler Ali denken.

Er preßte seine Hände gegen die Stirn und fühlte das Pulsieren seiner Schläfen.

Dann richtete er sich auf und öffnete das Fenster. Der Nebel drang in sein Zimmer. John Margie erkannte eine Mädchengestalt, die auf leichten Füßen über den Rasen gelaufen kam und ihm zuwinkte.

Er beugte sich vor und blickte ihr entgegen. Und dann stand sie vor ihm, kletterte an einem Blütenstrauch

hoch und stieg durchs Fenster zu ihm herein. John Margie taumelte zurück und flüsterte: »Quendolin,

meine geliebte Quendolin. Wo kommst du her?« Sie richtete sich vor ihm auf. Ihr langes blondes Haar fiel

leicht auf ihre Schultern. Sie lachte strahlend und näherte sich ihm. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die rechte Wange.

»Quendolin, ist es denn wahr, daß du wieder da bist? War alles nur ein böser Traum?« stammelte der Kaufmann aus London und zitterte am ganzen Körper.

Dann schrak er zusammen. Aus dem Mund der Frau, die wie seine Quendolin aussah,

drängten sich die ernüchternden Worte: »Ich bin nicht Quendolin. Finde dich damit endlich ab.«

Die Mädchengestalt schüttelte den Kopf. Dann griffen ihre Hände in die Haare und rissen die blonde Perücke herab.

Plötzlich sah der unerwartete Besuch anders aus. »Wer bist du? Was willst du von mir?« wollte John Margie

wissen. Sie stand jetzt ganz dicht vor ihm. »Ich bin das Mädchen, das

dich über deine schweren Schicksalsschläge trösten wird. Ich

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werde oft bei dir sein und vielleicht deine Frau werden.« John Margie wehrte ab. »Ich habe Quendolin geliebt. Für

mich bedeutet keine andere Frau mehr etwas. Ich werde niemals mehr heiraten.«

Ihre Augen blitzten, als sie auf ihn schaute. »Du wirst mit mir vorlieb nehmen müssen, denn ich habe ein Stück von deiner Frau auf dieser Erde behalten, nachdem sie gestorben war.«

»Was meinst du damit?« fragte John Margie und schaute neugierig auf die Hände des Mädchens mit den kurzen brünetten Haaren. Sie griff in eine Falte ihres weiten weißen Kleides, holte eine kleine Kugel hervor, schüttelte sie und hielt sie an Mr. Margies Ohr.

Angespannt lauschte er. Zuerst vernahm er in der kleinen Kugel nur ein Rauschen. Plötzlich aber stockte ihm der Atem. Ganz deutlich hörte er eine Frauenstimme. Es war Quendolins Stimme. »John, mein geliebter John. Ich liebe dich noch immer. Ich möchte bei dir sein …!«

John Margie war blaß geworden. Er packte das Mädchen an den Händen und wollte ihr die Kugel entreißen. »Was soll das bedeuten? Was geht hier vor? Wollt Ihr mich alle vollkommen verrückt machen?«

Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Die Kugel hättest du wohl gern? Ich kann es verstehen. Sie ist dein, wenn du mich immer bei dir behältst. Mit dieser Kugel mußt du auch mich in Kauf nehmen.«

John Margie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Leise fragte er: »Kann ich meine Frau auch sehen?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf: »Nein, das geht nicht. Aber du kannst deine Frau noch einmal hören, wenn du mir versprichst, mich für immer zu dir zu nehmen. Und wenn ich dann zu dir gehöre, dann kannst du ihre Stimme immer wieder genießen.«

John Margies Wangen glühten.

Page 63: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Er faßte nach der kleinen roten Kugel. Seine Hände zitterten dabei. Er stöhnte: »Ich muß die Wesenheit meiner Frau besitzen. Ich muß sie haben.«

Die Fremde stellte sich davor und sah ihn mit lockenden Augen an.

»Ich sage noch einmal: Ohne mich geht es nicht!« Er wurde böse: »Verschwinde. Laß mir die Kugel. Ich

bezahle dir dafür, was du willst. Die Stimme meiner Frau gehört mir.«

Er war sehr kräftig und brachte die Kugel an sich. Sie kreischte auf: »Gib mir das verdammte Ding!« Er weigerte sich. Sie rangen miteinander. John Margie war

stärker und gab die Kugel nicht her. Erschöpft flüchtete er in eine Ecke.

Gierig murmelte er: »Quendolin, ich muß dich wieder hören.«

Er nestelte an der Kugel herum und öffnete die beiden Hälften.

»Bist du wahnsinnig? Das darfst du nicht tun!« kreischte das Mädchen. Sie sprang hinzu. Es war zu spät, die Kugel war offen. Ein langer, lauter Seufzer stieg daraus hervor. Dann stieg ein heller Nebelschleier auf und verschwand durchs offene Fenster.

Quendolins Stimme raunte John Margie zu: »Ich danke dir, John. Du hast mich aus einem schrecklichen Dämonenverlies befreit. Jetzt ist der Weg für mich ins Jenseits frei …«

Der Kaufmann sank zu Boden. »Quendolin, ich wollte dich doch bei mir haben.«

Ein böses Lachen entglitt dem Mädchen. »Das gönne ich dir, John Margie. Du glaubtest, mich überlisten zu können. Jetzt hast du weder die Wesenheit deiner Frau noch ihre lebende Gestalt. Aber eines wird dich ewig quälen. Mich wirst du nicht mehr loswerden, denn ich liebe dich und werde dich nie mehr

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freigeben.« Ein Windstoß fuhr zum Fenster herein. John Margie spürte

die Anwesenheit von unsichtbaren Mächten. Das Mädchen legte sich platt auf den Boden und flüsterte

angstvoll: »Sie kommen. Nepogor und Belezar, die schrecklichen Dämonen …«

Im selben Augenblick schwirrte eine scharfe Stimme durch den Raum: »Du hast einen groben Fehler gemacht, Mädchen. Man kann nicht Dämonenpakte mit Blut unterzeichnen und sich dann nicht daran halten. Du hättest verhindern müssen, daß er die Kugel öffnet. Du hast versprochen, daß die Wesenheit von Quendolin Margie für immer unser sein wird. Dafür haben wir dir die ungeheuren Kräfte verlieren. Du hast dich nicht an unsere Abmachung gehalten. Wir können mit dir machen, was wir wollen.«

Eine zweite Stimme donnerte dazu: »Du bist verloren. Wir betrachten dich nur noch als Puppe. Und du wirst dich dagegen nicht wehren. Du hast kein Recht mehr auf eigene Wünsche. Das sei deine Strafe. Dieser Mann hat die Kugel geöffnet. Er wird ebenfalls bestraft werden und ein böses Ende nehmen …«

Die Dämonen waren verschwunden. John Margie fuhr sich verwirrt über die Augen. Er wußte im

Augenblick nicht, ob er wachte oder träumte. Dann blickte er auf seine Hände, in denen er je eine Hälfte der kleinen roten Kugel hielt. Er ließ die Teile zu Boden fallen.

Jetzt sah er das schlanke Mädchen mit den kurzen brünetten Haaren zu seinen Füßen ausgestreckt auf der Erde liegen.

Er rief ihr zu: »Stehen Sie auf. Wer sind Sie?« Jetzt erst erkannte er, daß sie regungslos dalag. Ihre Augen

starrten weit aufgerissen gegen die Zimmerdecke. Er beugte sich zu ihr hinab und rüttelte sie. Sie war leblos. Keuchend rannte John Margie zur Tür und brüllte immer

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wieder: »Hilfe, in meinem Zimmer liegt eine Tote! In meinem Zimmer liegt eine Tote. Ich ertrage es nicht!«

Eine Schwester kam herbeigeeilt und gab ihm eine Beruhigungsspritze. Sie glaubte, daß er nun vollends übergeschnappt wäre.

Dann erst sah sie das Mädchen auf der Erde liegen. Sie stieß einen Schrei aus, rannte davon und alarmierte den Chefarzt.

Der Doktor war sofort zur Stelle. Er sah John Margie ernst an. »Mr. Margie, sagen Sie ganz

ehrlich: Was ist passiert?« Der Engländer antwortete leise: »Sie stieg zu mir ins Zimmer

und wollte sich mir aufdrängen.« Der Arzt beugte sich zu dem Mädchen und begann, sie zu

untersuchen. Er schüttelte immer wieder den Kopf. In diesem Augenblick traten zwei Beamte der Mordkommission ein. Inspektor Achmed Sevim schimpfte: »Mein lieber Mr. Margie, wo Sie auch auftauchen, gibt es Tote …!«

Er kniete nieder und drehte die Tote um. Überrascht deutete er auf die rechte Hand des Mädchens. Die

Fingernägel waren schmutzig und zum Teil gebrochen. Dann sah er es. In den Holzboden war etwas eingeritzt.

Der Inspektor las laut vor: »Mord-John-Margie.« Bitter blickte er zu John Margie hoch. »Das ist nicht gut, daß

das Mädchen im Sterben diese Worte hier in den Boden geritzt hat.«

Er erhob sich und ging auf den Engländer zu. »Mr. John Margie, Sie sind wegen Mordes an dieser Person hier, deren Namen und Identität wir noch nicht kennen, verhaftet.«

Er wandte sich zu seinen Beamten, die in der Tür standen: »Ich wünsche, daß das Zimmer dieses Mannes und sein Gepäck genauestens untersucht werden!«

John Margie wollte noch etwas sagen, doch seine Stimme versagte ihm ihren Dienst. Er ließ sich widerstandslos abführen

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… *

Viola Oggi hatte ein komplettes Menü vom Room-Service bringen lassen.

Jetzt saßen Olga Dussowa, Joe Baxter und sie selbst darum herum und ließen sich die frischen Spargelspitzen, die Pilze und die Steaks bestens schmecken.

»Sozusagen eine Wiedersehensfeier«, lächelte Joe Baxter und langte kräftig zu.

Olga Dussowa nickte. »Naja, wenn einer so lange im Knast gesessen hat, dann ist man ihm so ein Essen schuldig.«

Sie lachten. Dann kam Joe Baxter zur Sache. »Also, laßt euch erzählen. Meine Reise war bestimmt nicht

bequem, doch ich habe endlich das Rätsel des Smaragdes gelöst.«

Viola und Olga sahen sich erstaunt an und schmunzelten: »Na, da sind wir aber sehr neugierig!«

Joe Baxter erzählte: »Die übernatürliche Macht im Todessmaragd ist der Dämon Katnandu mit ein paar Helfershelfern. Sie leben abrufbereit in einer glühenden roten Kugel, die um die Erde segelt. Ich war dort. Der Dämon wollte mich sozusagen als seine rechte Hand anheuern. Ich erkannte rasch, daß er mich nur ausschalten wollte. Es geht ihm gegen den Strich, daß er von uns bei seiner Arbeit im Fall Quendolin Margie gestört wird.«

Viola Oggi hörte zu essen auf. Jetzt mußte sie endlich auch etwas sagen. »Lieber Joe, ich finde es ungemein spannend, was du uns da erzählst. Aber du sitzt auf dem falschen Dampfer. Wir haben in deiner Abwesenheit im Topkapi eine Material-Seance durchgeführt. Und weißt du, was dabei

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herausgekommen ist?« Baxter lächelte. »Bravo, natürlich, daß der Dämon Katnandu

in dem Ring herrscht und für den Fluch verantwortlich ist. Ich habe euch also nichts Neues erzählt, aber unsere Erlebnisse ergänzen sich ideal.«

Olga Dussowa seufzte. »Also davon kann wirklich keine Rede sein. Da haben wir einen ganz schönen Misthaufen beisammen. Du mußt nämlich wissen, lieber Joe, daß unsere Material-Seance eindeutig ergeben hat, daß in dem Smaragd des Ringes gar kein Dämon herrscht. Es gibt keinen Fluch und keine überirdische Macht in dem Stein. Wir befanden uns mit unseren Vermutungen auf dem Holzweg.«

Baxter erhob sich und schritt unruhig durchs Zimmer. Dann blieb er stehen und fragte: »Ja, aber wie konnte dann

Mr. Margie behaupten, den Todessmaragd zu besitzen?« Viola Oggi erklärte: »Auch dieser Sache sind wir

nachgegangen. Wir waren in dem Geschäft, wo Mr. Margie den Ring kaufte. Der Inhaber konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Es stellte sich heraus, daß das Ehepaar Margie von einer jungen Dame namens Gloria Cannon bedient wurde. Die Gloria Cannon dürfte Mr. Margie den falschen Smaragd angedreht haben. Zugegeben, es handelt sich um eine verblüffende Imitation. Aber von Fluch kann keine Rede sein.«

Baxter murmelte: »Dann ist Mrs. Margie gar nicht ein Opfer eines Todesfluches …«

»Jawohl«, nickte Olga Dussowa. »Das ist der springende Punkt in der ganzen Affäre.«

Baxter warf sich in einen Sessel und kombinierte: »Ich ahne da etwas ganz Raffiniertes. Mrs. Quendolin Margie ist vielleicht doch auf ganz irdische Weise ermordet worden. Und damit die Umwelt an den Fluch des Todessmaragdes glaubt, wurde dem Ehepaar diese Imitation zugespielt. Die Sache klappte dann ja auch vorzüglich.«

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Olga Dussowa warf ein: »Vielleicht war es Mr. Margie selbst, der sich den Stein besorgte und ihn sich über diese Gloria Cannon zuspielen ließ. Vielleicht hat er sogar seine Frau selbst ermordet? Das würde zusammenpassen.«

Viola Oggi gab zu bedenken: »Er ist aber doch gar nicht der Typ eines Gattenmörders!«

»Das hat nichts zu sagen«, meinte Olga Dussowa. »Darum hat er ja dann nachher die Nerven verloren, sich verfolgt gefühlt, zu phantasieren begonnen und sitzt jetzt in der Irrenanstalt.«

Baxter schüttelte den Kopf: »Mir geht aber noch ganz etwas anderes im Kopf herum, meine Lieben.«

»Gott, mußt du aber einen großen Kopf haben«, spöttelte Viola Oggi.

Aber Baxter zweifelte an dieser Theorie. »Aber wie ist es dann möglich, daß ich von dem Dämon entführt wurde, der über den Smaragd herrscht, während ihr herausbekommen habt, daß es in dem Ring keine derartige Macht gibt?«

»Du bist zum Dämon des echten Todessmaragdes entführt worden«, meinte Viola.

»Gut«, lobte Joe Baxter. »Den echten Stein besitzt also jemand anders. Das wäre noch nicht verdächtig. Warum aber nennt der Dämon mir gegenüber den Fall Quendolin Margie? Warum will er mich in dieser Affäre behindern, um selbst auf seine Weise daran zu arbeiten?«

»Verdammt«, murmelte Viola Oggi, »das ist wirklich rätselhaft und verzwickt. Sollte Mr. Margie vielleicht doch auch den echten Stein besitzen?«

»Das werden wir klären müssen«, entschied Joe Baxter und sah Olga Dussowa forschend an. »Du gehst der Geschichte des echten Todessmaragdes nach. Ich will wissen, wer ihn heute besitzt und ob derjenige irgendwie etwas mit dem Fall Quendolin Margie zu tun haben könnte.«

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»Du kannst leicht Anordnungen treffen. Wie soll ich denn das bewerkstelligen?«

Baxter antwortete: »Wir werden Dr. Duvaleux um Mitarbeit bitten. Vielleicht kann er uns aus Paris Anhaltspunkte geben.«

Es klopfte an der Tür. Der Hoteldiener brachte die Morgenzeitung. Baxter nahm

das Blatt entgegen und entfaltete es. Er riß die Augen auf und pfiff durch die Zähne. Das tat er

immer, wenn er ehrlich überrascht war. »Was ist los?« fragte Viola Oggi neugierig und machte einen

langen Hals, um die Schlagzeile zu sehen. Da stand zu lesen: »Mordfall Quendolin Margie geklärt. Der

aufsehenerregende Tod der englischen Kaufmannsgattin Quendolin Margie vor einigen Tagen konnte nunmehr überraschend geklärt werden. Anfängliche Gerüchte, es handle sich um eine Tragödie, ausgelöst durch den Fluch des berühmten Todessmaragdes, scheinen unbegründet zu sein. Heute, in den frühen Morgenstunden, wurde der britische Kaufmann John Margie verhaftet, nachdem er ein junges Mädchen in seinem Zimmer ermordete. Es ist noch ein Rätsel, wie das Mädchen zu ihm gelangte. Im Sterben schrieb sie Mr. Margies Namen als den ihres Mörders in das Holz des Fußbodens. Es wird noch untersucht, was sich zwischen den beiden abspielte. Bei der Verhaftung ordnete Inspektor Achmed Sevim eine genaue Untersuchung des Zimmers an. Dabei kam eine Sensation zutage. Man fand bei John Margie eine kleine rote Kugel, in der Polizeichemiker Spuren von Iricäin, einem südamerikanischen Kontaktgift entdeckten. Diese Entdeckung klärte mit einem Schlag den Tod der Kaufmannsgattin. Bei ihrem Ableben stellte der Arzt der Gerichtsmedizin fest, daß es keinerlei Anzeichen eines gewaltsamen Todes gab. Nun ist das Gift Iricäin bekannt gefährlich. Es führt im menschlichen Körper binnen weniger

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Minuten zu Herzkrämpfen, die absolut tödlich enden. Minuten nach Eintritt des Todes löst sich das Gift im Körper spurlos auf. Dabei ist zu bemerken, daß das Gift nicht eingenommen werden muß. Da es sich um ein Kontaktgift handelt, genügt allein die Berührung der menschlichen Haut mit einer kleinen Spur des Giftes, und der Tod ist nicht mehr zu vermeiden. Mr. John Margie leugnet zwar jeden Zusammenhang mit dem Geschehen, doch steht für die Polizei außer Zweifel, daß er zwei Morde begangen hat. Wie Inspektor Achmed Sevim der Presse mitteilte, dürfte der englische Kaufmann aus bisher unbekannten Motiven seine Frau mit Hilfe einer Komplizin ins Jenseits befördert haben. Tage danach lockte er diese Komplizin zu sich, um sie ebenfalls aus der Welt zu schaffen.«

»Hättest du das gedacht, Joe?« fragte Viola Oggi. Sie beugte sich herab, angelte sich die Zeitung und

betrachtete das Foto. »Wer dieses Mädchen wohl sein mag? Sieht auch wie eine Engländerin aus.«

Baxter zuckte zusammen und stürzte auf Viola Oggi zu. »Mir ist da noch sehr vieles unklar. Sag' einmal, könnte dieses Mädchen da Gloria Cannon sein?«

Viola Oggis Augen leuchteten auf. »Wir sollten zu Hissan Ali fahren und ihm das Bild zeigen. Er kann es uns sagen. Auch die Pensionsbesitzerin von gegenüber kann uns da Auskunft geben. Aber ist das so wichtig?«

Baxter nickte. »Und ob. Aber ich kann dir den Grund erst später erklären …!«

*

Die Kerze im Wohnzimmer von Madame Therese Duvaleux in der Rue de Garvens in Paris brannte flackernd. Die Wahrsagerin lehnte im Sessel und hatte die Augen geschlossen. Ihre ausgestreckten Hände umfaßten die

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schillernde Kugel auf dem Tisch. »Nostradamus … Nostradamus …!« flüsterte sie. Schweigen senkte sich über das düstere Zimmer. Langsam blickte Madame Therese Duvaleux zu dem

Wandgemälde des großen Sehers hinüber. Sein Gesicht nickte leicht, seine Augen bekamen Leben. Der Mund öffnete sich.

»Was möchtest du für eine Auskunft von mir, Therese«, fragte die Stimme des Sehers.

Madame Therese Duvaleux sagte es sofort: »Ich brauche Informationen über ein Mädchen namens Gloria Cannon aus London.«

Nostradamus nickte. Die Uhr tickte laut. Es vergingen etwa zehn Minuten. Dann verlöschte die Kerze auf dem Tisch der Wahrsagerin.

Ein Lichtschein kam vom Gemälde her, Nostradamus hatte Madame Duvaleux das Gesicht zugewandt und sprach: »Gloria Cannon ist die Tochter eines britischen Arztes. Sie reiste vor einiger Zeit nach Istanbul, arbeitete vorübergehend als Verkäuferin und hatte dann ein schreckliches parapsychologisches Erlebnis, das sie jedoch selbst heraufbeschworen hat …«

»Was kannst du mir noch über dieses Mädchen sagen? Joe Baxter braucht mehr Informationen.«

Langsam sagte Nostradamus: »Dieses Mädchen ist die Lösung zu der ganzen Affäre Quendolin Margie. Gloria Cannon ist nämlich …«

Ein schriller Musikton durchblitzte den Raum. Nostradamus war wieder ein starres Gemälde. Madame Therese Duvaleux fuhr auf ihrem Sessel hoch. Ihr

Kopf schmerzte, weil sie so jäh in die Wirklichkeit zurückgerissen worden war.

Vor ihr stand aufrecht im Zimmer Dr. Duvaleux, der Direktor des Parapsychologic Departments, ihr Sohn.

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Sie sah ihn zornig an: »Leon, du bist wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich war so nahe daran, ein Geheimnis über diese Gloria Cannon zu erfahren. Und du hast alles zerstört. Es hat jetzt keinen Sinn, noch einmal Kontakt mit dem Seher aufzunehmen. Es würde ein zweites Mal nicht klappen. Vielleicht morgen wieder …«

Dr. Leon Duvaleux setzte sich und entschuldigte sich. Dann meinte er: »Liebe Mutter, ich brauche deine Hilfe. Lege uns doch die Karten. Die türkische Polizei ist überzeugt, daß der Tod Quendolin Margies ganz realistisch durch ihren Mann erfolgte. Baxter glaubt nicht daran. Er bleibt an der Geschichte dran. Kannst du uns deine Meinung darüber mitteilen?«

Madame Duvaleux nickte. »Aber störe mich nicht wieder dabei.«

Sie begann unter leisem Summen die Karten auf dem Tisch aufzulegen. Dann zählte sie mit seltsam klingenden, alten Sprüchen einige Karten aus und legte sie beiseite. Jetzt drehte sie einige um, änderte die Reihenfolge in zwei Reihen und starrte dann etwa eine halbe Stunde lang auf die sichtbaren Oberflächen.

Hin und wieder drehte sie eine Karte um, die mit der Rückseite zu ihr zeigte. Einmal lächelte sie, dann wieder zog sich ihr Gesicht in Falten.

Schließlich lehnte sie sich zurück und saß etwa eine Minute still. Jäh riß sie dann die Augen auf.

Dr. Duvaleux heftete seinen Blick auf ihre Lippen. Langsam sprach sie: »Joe Baxter ist ein kluger Mann. Ihr

könnt stolz auf ihn sein. Er hat die richtige Ahnung. Die türkische Polizei hat den Fall vollkommen falsch ausgelegt. Wenn Baxter nicht in Istanbul bleibt, wird viel Unrecht geschehen …«

Dr. Duvaleux atmete auf: »Ich danke dir, Mutter. Es freut mich, daß ich mich so auf Baxter verlassen kann. Ich werde

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mich sofort mit ihm in Verbindung setzen und ihm deine Botschaft übermitteln.«

Madame Duvaluex lächelte: »Lasse ihn grüßen von mir. Und warne ihn. Er soll sich vor Gloria Cannon hüten. Ich habe da plötzlich so eine Eingebung. Sie steht mit bösen Dämonen in Verbindung.«

»Aber, Mutter«, erinnert Dr. Duvaleux. »Gloria Cannon ist doch tot aufgefunden worden. Man glaubt, daß der englische Kaufmann sie ermordet hat.«

»Mein Junge«, antwortete die Wahrsagerin. »Gloria Cannon wäre nicht der einzige Mensch, der auch als Toter gefährlich werden kann. Denkt alle an meine Warnung …!«

*

Die silberne Glocke über der Tür des Antiquitätenladens in der Atatürk Bulvari bimmelte hell, als Joe Baxter mit seinen beiden Mitarbeiterinnen den Laden betrat.

Hissan Ali verneigte sich: »Wünschen die Herrschaften etwas von meinen schönen Dingen zu kaufen?«

Er erkannte das Gesicht Viola Oggis und fragte gedehnt: »Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«

Viola Oggi nickte. »Ja, ich bin von Interpol und war schon bei Ihnen. Und zwar wegen des Mädchens, das sie als Verkäuferin vertreten hat.«

Er rollte mit den Augen. »Ich weiß schon wieder. Das war diese seltsame Geschichte mit dem Smaragd!«

»Sehr richtig«, mischte sich Joe Baxter in das Gespräch. Er holte die Morgenzeitung hervor, legte sie auf den Tresen und fragte den Türken: »Hissan Ali, eine ehrliche Antwort: Kennen Sie dieses Mädchen? Ist es jenes, das bei Ihnen ein paar Tage Verkäuferin war?«

Sofort nickte der Händler: »Ja, das ist sie. Aber was geschah

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denn mit ihr? Warum liegt sie so da?« »Haben Sie heute noch keine Zeitung gelesen?« erkundigte

sich Baxter. Der Händler wollte etwas sagen. Aber Baxter hatte sich bereits umgedreht und strebte dem

Ausgang zu. Auf der Straße wandte er sich an Viola Oggi und Olga Dussowa: »Was sagt Ihr dazu?«

Viola Oggi wurde unsicher. »Ob die Polizei von Istanbul vielleicht doch recht hat? John Margie kam mit seiner Frau bewußt hierher. Er kannte die Verkäuferin Gloria. Sie verkaufte den Ring mit dem angeblichen Todessmaragd. Der Kaufmann ließ überall diesen Kauf verlauten. Er wurde sogar vor dem Smaragd gewarnt. Daher wunderte sich niemand mehr, als seine Frau wirklich starb. An jenem Abend saß er mit Geschäftsfreunden in der Bar des Hilton Oteli. Er hatte also ein Alibi. Vorher aber hatte er das Iricäin irgendwo in der Wohnung ausgestreut. Seine Frau kam damit in Berührung und starb. Alle glaubten an den Fluch. Jetzt aber meldete sich diese Gloria bei John Margie. Vielleicht erpreßte sie ihn. Da brachte er auch sie um …«

Joe Baxter murmelte: »Das klingt alles sehr einfach, zugegebene. Doch diese Gloria wirkt so irreal.«

Olga Dussowa schmunzelte: »Das dachte ich auch. Aber jetzt, wo wir wissen, daß sie wirklich in London existierte, ist dieser Verdacht hinfällig.«

Viola Oggi starrte in die Ferne. Sie dachte angestrengt nach und meinte dann: »Madame Duvaleux hat uns sagen lassen, daß Gloria Cannon mit irgendwelchen Dämonen in Verbindung steht. Das gibt mir Rätsel auf. Vielleicht steht dieses Mädchen in engem Kontakt mit der jenseitigen Welt, und wir wissen es nur noch nicht.«

Baxter nickte. »Wir müßten uns den Körper der Toten gründlich anschauen!«

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Olga Dussowa warf ein: »Da würde ich mir gleich auch den Körper von Quendolin Margie unter die Lupe nehmen.«

»Wie meinst du das?« fragte Viola Oggi. »Viola hat uns etwas erzählt, was wir beinahe verschwitzt

hätten. John Margie hat der Besuch bei Hissan Ali sehr mitgenommen. Als er den Namen Gloria Cannon hörte, erschrak er und gestand, daß auch seine Ehefrau als Mädchen Cannon hieß.«

Joe Baxter fragte neugierig: »Worauf willst du hinaus?« Aber Olga ging auf diese Frage nicht ein. Sie sinnierte weiter:

»Erinnert euch auch an die Polizeiprotokolle. Am Abend, als Quendolin starb, sagte der Türke an der Rezeption aus, daß er sie nicht auf dem Zimmer vermutet hätte, weil sie vor seinen Augen weggegangen war. Er hatte sie nicht nach Hause kommen sehen. Und dennoch lag sie dann tot im Zimmer.«

Ungeduldig fragte Baxter: »Ja, ja, wir können uns erinnern. So sag doch endlich, was du damit ausdrücken willst.«

Olga erklärte es. »Dieser Vorfall wirkt doch sehr übernatürlich und gar nicht menschlich. Seid Ihr eigentlich noch keinen Augenblick lang auf die Idee gekommen, daß Quendolin Margie und Gloria Cannon ein und dieselbe Person gewesen sein könnte, ausgestattet mit beachtenswerten PSI-Eigenschaften …?«

Wärter Mishan im Leichenschauhaus des Gerichtsmedizinischen Institutes von Istanbul ging noch einmal zwischen allen Steintischen hindurch und kontrollierte, ob auch alles in Ordnung war. Er hatte Nachtdienst und mußte in dieser Zeit jede Stunde durch die Leichenhalle gehen.

Er hatte keine Angst davor. Tote brachten ihn schon lange nicht mehr zum Gruseln. Das war nur am Anfang seiner Dienstzeit so gewesen.

Langsam schloß er die Tür zum Saal und zog sich in sein kleines Zimmer zurück. Hier machte er es sich auf dem Sofa

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gemütlich. Immer wieder blickte er auf die Uhr. Der Zeiger rückte gegen 23 Uhr.

Dann vernahm er ein leises Pochen an der Tür. Rasch sperrte er auf, öffnete und zerrte das Mädchen herein.

Es war seine Freundin Sadah, die ihn manchmal besuchte und ihm die Zeit vertrieb.

Eng umschlungen gingen sie den Korridor entlang bis zum Dienstzimmer Mishans. Dort überschüttete er sein Mädchen mit Küssen und liebkoste sie. Anschließend tranken sie Kaffee, rauchten eine Zigarette und kuschelten sich auf dem Sofa eng aneinander.

Plötzlich blickte Sadah hoch und raunte: »Mishan, waren da nicht Schritte?«

»Ich habe nichts gehört«, antwortete er und küßte sie. »Ich bin mir aber ganz sicher«, flüsterte Sadah. Mishan stand auf und sagte: »Na gut, wenn es dich beruhigt,

kann ich ja einmal nachsehen, ob alles in Ordnung ist.« Er öffnete die Tür seines Dienstzimmers und ging den

Korridor entlang in die Leichenhalle. Plötzlich wurde es dunkel. Mishan wurde unsicher.

Da spürte er einen fremden Willen in seinem Gehirn. Er wollte Sadah noch eine Warnung zurufen, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Er begann zu taumeln, stürzte hin und verlor das Bewußtsein. Seine letzte Wahrnehmung war der verzweifelte, langgezogene Schrei seiner Freundin Sadah …

Das Licht brannte wieder, als Mishan langsam zu sich kam. Er kroch auf allen vieren zwischen den Steintischen hindurch und rief immer wieder den Namen seiner Freundin: »Sadah! Sadah! Allah beschütze uns. Wo bist du?«

Keine Antwort. Nur seine Stimme wurde als Echo von den Wänden zurückgeworfen.

Mishan dachte nur an seine Verlobte. Er schrie ihren Namen und rannte kreuz und quer durch die

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Leichenhalle. Er riß überall die weißen Laken von den Toten und besah sich die gelblichen Gesichter.

Dann fand er Sadah. Sie lag dort, wo Gloria Cannon gelegen hatte. Ihr Körper war steif und kalt. Sadah lebte nicht mehr. Sie hatte ihre irdische Daseinskraft für Gloria Cannon opfern

müssen … *

Gegen 8 Uhr morgens hämmerten Männerfäuste gegen das Tor des Leichenschauhauses.

Mishan erwachte wie gerädert. Er fand sich unter einem der Steintische wieder. Er raffte sich hoch und wankte zum Eingang. Mit zitternden Fingern öffnete er.

Vor ihm stand ein hochgewachsener Mann. Er sagte mit angenehmer Stimme: »Mein Name ist Joe Baxter. Ich bin Hauptkommissar des Parapsychologic Departments in Paris. Verzeihen Sie, wenn ich Sie aufgeweckt habe. Aber ich komme mit einer dringenden Frage zu ihnen.«

Mishan schluckte. Dann brach er zusammen. Baxter schleppte ihn zum nächsten Sessel, holte ein Glas

Wasser und gab es dem Türken. Mit leiser Stimme sagte dieser: »Wie gut, daß Sie gekommen sind. Es ist heute nacht etwas Entsetzliches geschehen.«

»Was denn«, wollte Baxter wissen. Mishan schluckte und sagte dann: »Eine Leiche ist

auferstanden.« Rasch fragte Baxter: »War es Gloria Cannon?« Mishan nickte. Er erzählte Baxter in wenigen, stockenden

Worten, was passiert war. Der Hauptkommissar murmelte: »Ich hatte also doch recht.

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Gloria Cannon ist nicht von dieser Welt.« Er bat Mishan: »Führen Sie mich zu der Leiche von

Quendolin Margie.« Sie schritten zwischen den Steintischen hindurch. Dann

schlug Mishan eines der Laken zurück. Joe Baxter stellte sich vor die tote blonde Frau und breitete

wenige Millimeter über ihrer Haut seine Hände aus. Über zehn Minuten schwebten Baxters Hände den Leichnam

entlang. Dann seufzte er und erklärte: »Sie war und ist ein vollkommen realer Mensch, keinerlei übernatürliche Umstände und Strahlungen. Das bedeutet: Quendolin Margie war ein menschliches Wesen wie wir alle. Gloria Cannon aber ist eine Wesenheit, die uns allen sicher noch viel Ärger bereiten wird …«

*

Inspektor Sevim vom Polizeipräsidium in Istanbul hatte sich den Bericht des Hauptkommissars angehört und lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück.

Baxter fragte: »Wie steht es mit der Akte John Margie?« Der Inspektor antwortete wohlgefällig: »Besten Dank, Mr.

Baxter. In vier Tagen beginnt der Prozeß gegen den Kaufmann. Wir haben alle Fakten beisammen.«

Baxter gab zu bedenken: »Ich würde die Verhandlung verschieben, Inspektor.«

Sevim winkte ab. »Der Staatsanwalt und ich sind der Ansicht, daß wir sofort handeln müssen, bevor die Sache verschleppt wird.«

Baxter machte ein ernstes Gesicht: »Inspektor, das ist heller Wahnsinn. Überhaupt jetzt, wo Gloria Cannons Leiche verschwunden ist. Nach den Aussagen des Wärters handelt es sich um die Wiederauferstehung einer transzendentalen

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Wesenheit. Das ist eine Angelegenheit, die von mir überprüft werden muß. Sie können erst den Prozeß starten, wenn das Rätsel um die Tote geklärt ist. Es fehlt Ihnen ja jetzt die Leiche als Beweis.«

Der Inspektor lachte verächtlich: »Seien Sie doch nicht albern, Mr. Baxter. Was bedeutet das schon. Ob die Tote da ist oder nicht, spielt für unseren Prozeß keine Rolle. Wir haben ja Fotos vom Tatort. Es geht ja nicht mehr darum, den Tod der Engländerin zu beweisen, sondern die Schuld des Kaufmannes.«

Jetzt hieb Baxter mit der Faust auf den Tisch. »Der Tod von Gloria Cannon ist nach meinen neuesten Recherchen nicht beweisbar. Sie ist lebendig aus dem Leichenschauhaus gegangen. Was muß denn noch passieren, daß die Polizei den Fall noch einmal überdenkt und auf mich hört?«

Da beugte sich der Inspektor mit blitzenden Augen vor: »Hören Sie mal, Baxter. Und wenn jetzt auch noch die Leiche von Quendolin Margie verschwinden sollte: John Margie wird wegen Doppelmordes verurteilt und wird hängen. Das schwöre ich Ihnen. So wahr ich hier sitze …!«

*

Madame Therese Duvaleux erwachte mitten in der Nacht. Die Vision, die sie eben hatte, stand noch ganz deutlich vor

ihr. Das Gesicht des großen Rasputin war ihr erschienen, hatte sie angelacht und geflüstert: »Ich kenne das Geheimnis des Todessmaragdes. Ich werde es demjenigen sagen, der zu mir kommt und mich danach fragt.«

Schweißgebadet erhob sie sich, ging im Zimmer auf und ab, bis sie sich beruhigt hatte, und konzentrierte sich ganz auf ihren Sohn.

Dr. Duvaleux saß noch in seinem Büro und arbeitete. Er

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fühlte sofort die Gedankenblitze, und er wußte auch, daß sie von seiner Mutter kamen.

»Was ist, Mutter«, fragte er. Sie sandte ihre Gedanken zu ihm: »Bitte, teile Joe Baxter

sofort mit: Rasputin wird ihm den Weg zum echten Todessmaragd zeigen. Er allein kann helfen.«

Dr. Duvaleux antwortete: »Das wird vor allem Olga Dussowa freuen. Sie war lange nicht mehr in ihrer Heimat. Sie ist die ideale Person um Kontakt mit Rasputin aufzunehmen. Schließlich entstammt sie seiner Familie …«

*

Eisiger Wind fegte über Leningrad, als Olga Dussowa aus dem Linienflugzeug aus Istanbul stieg. Im Passagier-Empfangsraum traten zwei dunkel gekleidete Herren auf sie zu. Es waren Experten des Parapsychologischen Forschungszentrums von Moskau. Sie verneigten sich.

»Ich nehme an, Sie sind Olga Dussowa!« sagte der eine. Sie nickte und lächelte verbindlich. »Ich freue mich, wieder

in meiner Heimat zu sein. Ich danke, daß Sie mich zum Haus von Rasputin begleiten.«

Vor dem Flughafen wartete bereits ein Personenwagen der parapsychologischen Gesellschaft. Olga stieg mit den beiden Männern ein. In schneller Fahrt ging es ins Stadtzentrum von Leningrad, vorbei an den herrlichen historischen Bauten. Dann bog das Fahrzeug in eine enge Gasse ein.

»Hier sind wir«, nickte einer der Männer. »Ich weiß, ich war schon oft hier. Wäre ja eine Schande, wenn

ich diesen Ort nicht kennen würde. Ich finde es schön, daß man in dem Haus, in dem Rasputin so viele Wunder vollbracht hat, eine Gedenkstätte für ihn errichtet hat.«

Sie gingen durch das Tor und begaben sich in die düsteren

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Räume, die so eingerichtet waren, wie man damals zur Zeit des letzten Zaren gelebt hatte. Die Bilder der Zarenfamilie standen auf einer Kommode. Dahinter an der Wand prangte ein riesiges Porträt von Rasputin.

Olga Dussowa blieb eine Zeitlang andächtig vor dem Bild ihres Ahnen stehen. Dann bat sie: »Ich werde bis Mitternacht warten. Ich wäre froh, wenn Sie bei mir bleiben würden. Doch bitte: Halten Sie sich im Hintergrund!«

Die Russin sprach nicht viel mit ihren Landsleuten. Sie sagte auch nicht, warum sie Rasputin so dringend sprechen mußte. Keiner fragte sie danach.

So vergingen die Stunden. Es wurde dunkel. Zehn Minuten vor Mitternacht kniete sich Olga Dussowa vor

dem Gemälde Rasputins hin. Der Raum war vollkommen abgedunkelt.

Olga Dussowa begann, all jene Sprüche in russischer Sprache aufzusagen, die sie von ihren Verwandten mitgeteilt bekommen hatte. Es waren magische Sprüche, mit denen Rasputin gearbeitet und Wunder vollbracht hatte.

Plötzlich erklang ein Jauchzen und Singen in den Lüften. Es waren alte russische Melodien.

Dann zuckte ein Blitz durch den Raum. Ein weißer Nebel breitete sich aus. Und dann wuchs aus diesem Nebel eine riesige, breitschultrige Gestalt mit einem langen schwarzen Bart und mit stechenden und unheimlichen Augen.

Es war Rasputin, der wie zum Gebet die Hände hob. Er schwebte näher zu Olga heran und flüsterte kaum hörbar:

»Ich grüße dich, mein Täubchen. Du bist auch mein Kind. Kind meiner Nachkommen. Ich küsse dich. Warum hast du die Reise zu mir gemacht?«

Langsam brachte Olga Dussowa ihr Anliegen vor. »Ich muß Kontakt mit jenen Menschen finden, die den echten

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Todessmaragd besitzen. Ich muß Details über den Fluch, der auf dem Stein lastet, erkunden. Doch ich weiß weder, wo die Menschen sind, die ihn bei sich tragen oder aufbewahren, noch weiß ich, wo der Stein ist …«

Rasputin hob prophezeiend die Hände. Dann sagte er: »Mein Täubchen, fliege nach Istanbul zurück

und suche den Märchenerzähler Üchisar. Er ist blind und hat weißes Haar. Er ist der letzte, der über den Todessmaragd von Hradschi Said Bescheid weiß …«

Olga Dussowa wollte noch etwas fragen. Rasputin aber verschwand in der Nebelwolke, in der er

gekommen war, umflutet von rätselhafter Sphärenmusik. Olga Dussowa war tief beeindruckt. Es ging ihr immer

wieder so. Ein mediales Zwiegespräch mit Rasputin gab ihr für lange Zeit ungeahnte PSI-Kräfte.

»Werden Sie noch hierbleiben und unser Institut besuchen?« fragte einer der Parapsychologen die Russin.

Sie mußte bedauernd ablehnen. »Hoffentlich ein andermal. Meine Pflicht ruft mich. Ich muß sofort nach Istanbul zurück.«

Als Olga Dussowa zum Flugplatz zurückfuhr, hatte sie zum ersten Mal seit Tagen das Gefühl, daß sie endlich in dem Fall Quendolin Margie ein Stück weitergekommen waren.

*

Der große Gerichtssaal im Justizpalast von Istanbul war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Menschen saßen dichtgedrängt. In den Zeitungen war zu lesen gewesen, daß der Prozeß sehr lange dauern und unter Umständen einige Überraschungen bieten würde.

Joe Baxter und Viola Oggi saßen in einer der vordersten Reihen.

Punkt 9 Uhr morgens betraten der Richter, der Staatsanwalt

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und die Beisitzer den Saal und nahmen feierlich Platz. Jetzt erst öffnete sich die hintere Tür. Vier uniformierte Polizisten führten den Angeklagten herein. Der englische Kaufmann John Margie sah erschreckend aus. Er war bis zum Skelett abgemagert und zitterte am ganzen Körper.

Die Verlesung der Anklageschrift dauerte eine Stunde. Das Gericht beschuldigte ihn des Mordes an seiner Ehefrau Quendolin und seiner Komplizin Gloria Cannon.

Bei jedem Wort sank John Margie mehr in sich zusammen. Joe Baxter schaute ihn immer wieder an. Er war sich beim

besten Willen nicht ganz im klaren darüber: Spielte der Mann kolossal Theater oder war er tatsächlich vollkommen fertig?

Die Rede des Staatsanwaltes war eine einzige Haßtirade auf einen grausamen Ehemann, der seine frischvermählte Frau aus dem Weg geräumt hat. Der Ankläger hatte zwar kein Motiv bei der Hand, doch das überspielte er mit gekonnter Routine.

Der Anwalt des Briten schien recht schwach. Er argumentierte kaum gegen die Anschuldigungen des Staatsanwaltes. Er sagte nur, als er das Wort zugeteilt bekam: »Aus den Gerichtsakten und aus der Arbeit der Polizei geht nur hervor, daß dieses Mädchen namens Gloria Cannon im Zimmer von John Margie getötet wurde.«

»Sehr richtig«, nickte der Richter. »Haben Sie daran etwas auszusetzen?«

»Ja, und ob«, erklärte der Rechtsanwalt deutlich. »Zu diesem Zeitpunkt war Gloria Cannon nämlich bereits nachweislich tot!«

Der Richter starrte den Anwalt fassungslos an. »Haben Sie einen Beweis für diese kühne Behauptung, die Ihnen niemand aus unserer Mitte abnehmen möchte?«

»Ich habe einen Beweis und bitte, den Verkehrspolizisten Yüksel Kay befragen und als Zeugen nominieren zu dürfen.«

Der Richter wurde neugierig. »Dem Ersuchen des

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Rechtsanwaltes wird stattgegeben.« Ein Gerichtsdiener eilte auf den Korridor, um den Polizisten

zu holen. Yüksel Kay kam in Uniform herein und wurde vereidigt. Dann erzählte er auf die Frage des Anwaltes – und legte als

Beweis sein Dienstbuch vor: »Gloria Cannon wohnte in einer Pension in der Atatürk Bulvari. Ich kannte sie persönlich, weil sie sich ein paar Mal mit mir unterhalten hatte und einige Male auf Grund ihrer Unachtsamkeit fast in ein Auto gelaufen wäre. Und dann ist es auch einmal tatsächlich geschehen …«

Der Polizist blätterte in seinem Dienstbuch. »Ich kann es ganz genau sagen. Es war am 14. August. Gloria Cannon stand hinter dem Tresen im Antiquitätenladen von Hissan Ali. Sie kam lachend heraus und erzählte mir, daß sie eben einen sehr wertvollen Ring verkauft hätte. Dabei lachte sie übermütig und verschwand in der Pension gegenüber. Nach etwa drei Stunden sah ich sie wieder. Sie kam mit erregtem Gesicht aus einem Nebenhaus der Pension, winkte mir zu – und dann passierte es. Sie lief über die Straße und wurde von einem Auto erfaßt. Ich eilte sofort zu ihr. Sie lag bereits im Sterben. Sie flüsterte mir immer wieder zwei Namen zu: Belezar und Nepogor. Und dann seufzte sie noch, daß alles so hatte kommen müssen.«

Der Richter beugte sich weit vor. »Haben Sie diesen Verkehrsunfall gemeldet?«

»Selbstverständlich!« »Warum ist er dann der Kriminalpolizei bei ihren

Ermittlungen nicht bekannt gewesen?« »Vermutlich weil Unfallmeldungen sehr langsam

weitergereicht werden. Das hat rein bürokratische Gründe.« Der Richter beriet sich kurz mit seinen Beisitzern. Dann

erhob er sich und verkündete laut der erstaunten Menschenmenge: »Das Gericht hat beschlossen, den Prozeß auf

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unbestimmte Zeit zu vertagen. Die Untersuchungen werden erneut aufgenommen und offiziell wieder dem Parapsychologic Department übergeben. Es handelt sich hier eindeutig um einen Fall von Parapsychologie. Bevor der Sachverhalt des zweimaligen Todes von Gloria Cannon nicht geklärt ist, kann das Gericht nicht über John Margie urteilen.«

Joe Baxter trat vor und hob die Hand. Der Richter erkannte ihn und bat ihn vorzutreten. Der Hauptkommissar stellte sich den Leuten im Gerichtssaal

vor und erklärte laut: »Ich möchte mich nicht zum Richter aufspielen, jedoch erscheint es mir ganz offensichtlich, daß Mr. John Margie niemals einen Mord begangen hat, aber aus rätselhaften und noch zu klärenden Gründen in eine übernatürliche Affäre verstrickt wurde. Für mich steht eines fest: Gloria Cannon ist ein Wesen aus einer anderen Welt, das sich uns nur in irdischer Gestalt gezeigt hat. Ich weiß aus Berichten einer Pensionswirtin, daß sie an jenem 14. August, an dem sie auf der Straße an einem Autounfall starb, in ihrem Zimmer einen Pakt mit zwei Dämonen unterschrieben hatte, welche die Namen Belezar und Nepogor führen. Sie fuhr wie eine Hexe durch die Zimmerdecke davon, wurde aber Minuten später auf der Straße gesehen. Sie wurde totgefahren und erschien nach Quendolin Margies Tod Mr. Margie in der Nervenklinik. Eine Gestalt, die so oft stirbt, meine Damen und Herren, der glaubt man das Sterben nicht. Daher könnten wir Mr. Margie höchstens unter dem Verdacht des Mordes an seiner Frau vor Gericht stellen. Zuerst aber wird es die Aufgabe meiner Abteilung sein, zu klären, inwieweit die geheimnisvolle Gestalt Gloria Cannons mit dem Tod von Quendolin Margie in Verbindung stehen könnte …«

*

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Olga Dussowa würgte ihren Ekel herunter. Sie schlenderte durch das Hafenviertel von Istanbul und

schaute in jede Spelunke hinein. Ein Fischverkäufer hatte ihr gleich nach ihrer Ankunft in Istanbul gesagt: »Sie finden den Märchenerzähler Üchisar in den miesesten Kneipen. Es macht ihm nichts aus, denn er ist blind und erkennt nicht, wie es dort aussieht.«

An jeder Straßenecke mußte sich Olga von Matrosen und anderen Männern belästigen lassen. Sie ignorierte die schmutzigen Bemerkungen der Betrunkenen und ging unbeirrt weiter.

Ein schmutziges Loch nannte sich »Kichzab«. So stand es wenigstens auf einer Holztafel mit handgemalten Lettern. Olga Dussowa stieg die steile Treppe hinunter und mußte husten. Schlechter Tabakdunst drang ihr entgegen. Der Geruch von billigem Kaffee stank bis auf die Straße.

Doch der Weg nach unten hatte sich gelohnt. Inmitten einer Gruppe von grölenden Männern saß ein

hagerer weißhaariger Mann mit toten Augen. Das mußte der blinde Märchenerzähler Üchisar sein. Mit zitternden Lippen berichtete er den Männern von schrecklichen Gespenstern und Kobolden.

Olga Dussowa bahnte sich einen Weg zu ihm. Er schrak zusammen und flüsterte: »Welch hoher Besuch!

Eine wunderschöne Frau!« Olga fragte: »Ich denke, Sie sind blind, Üchisar?« Er erhob sich, drängte die anderen Männer beiseite und

sprach langsam: »Ich spüre es innerlich, wenn sich mir eine schöne Frau nähert. Es stimmt, ich bin blind. Warum sind Sie zu mir gekommen?«

Olga erklärte es ihm. »Ich komme direkt aus Leningrad. Mir ist mein Vorfahre Rasputin erschienen und hat mir verraten, daß nur du, Üchisar , weißt, wo sich der Todessmaragd des

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Hradschi Said befindet.« Üchisar zuckte zusammen und flüsterte: »Aber ich darf es

nicht sagen. Geh bitte wieder fort von mir. Verlange nichts Unmögliches von mir. Laß den armen, blinden Bettler Üchisar in Frieden!«

Olga Dussowa packte ihn an seinem alten zerschlissenen Gewand: »Üchisar, wage so etwas nicht. Ich brauche dich. Du bist der einzige, der mir weiterhelfen kann.«

»Warum willst du die Spur des Todessmaragdes aufnehmen?« wollte er wissen und richtete seine blinden Augen auf Olga.

Sie antwortete rasch: »Es geht darum, einen unschuldigen Menschen vor der Anklage des Mordes oder gar des Doppelmordes zu retten.«

Er seufzte tief. »Du weißt nicht, was du da von mir verlangst. Komm mit mir. Ich will dir alles sagen …«

Sie stiegen über die hölzerne Treppe aus dem verrauchten, schmutzigen Hafenlokal. Üchisar humpelte auf schwachen Beinen in eine dunkle Gasse voraus. Erschöpft lehnte er sich gegen eine Hausmauer, atmete schwer und wartete, bis Olga Dussowa dicht bei ihm war. Dann sagte er mit heiserer Stimme: »Ich wollte im Lokal nicht reden. Zu viele hätten neugierig mitgehört. Nur du sollst mein Geheimnis kennen.«

Olga sah den alten Mann aufmerksam an. »Der Todessmaragd hat eine lange, Jahrhunderte alte

Geschichte. Du kennst sie sicher zum Teil. Immer wieder ist der Besitzer des Ringes mit dem grünen Stein eines schrecklichen Todes gestorben. Keiner wagte es je, Kontakt mit den Dämonen in dem Stein aufzunehmen. Nur ein Kapitän, der durch Zufall in den Besitz des Ringes kam, sagte der überirdischen Macht den Kampf an. Die Folge war zwar, daß er nicht sterben mußte, doch er verlor Hab und Gut und büßte seine Gesundheit ein.«

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»Und jetzt«, fragte Olga Dussowa ungeduldig, »wer hat den Todessmaragd jetzt?«

Zögernd verriet es Üchisar. »Er heißt Maleichos und ist ein reicher griechischer Reeder. Sei vorsichtig, wenn du zu ihm gehst!«

»Warum?« »Ein Geheimnis umgibt ihn. Ein Geheimnis, das niemand

kennt. Aber es ist seltsam, daß er den Todessmaragd nun schon seit vier Jahren besitzt und immer noch reich und glücklich und sogar gesund ist. Ich weiß es nicht, wie er es anstellt.«

Olga Dussowa sagte entschlossen: »Ich werde zu Maleichos fahren. Wo lebt er?«

»In Athen!« kam die ängstliche Antwort. Kaum hatte Üchisar gesprochen, da begann es in den Lüften

immer stärker zu rauschen. Heiße und eiskalte Luftströme wechselten sich binnen Sekunden ununterbrochen ab.

Olga Dussowa lehnte sich schutzsuchend gegen eine Hauswand und wurde Zeugin eines ungewöhnlichen und atemberaubenden Vorfalles: Zwischen den Häusern der Gassen tauchte aus dem schwarzen Himmel eine große rote Feuerkugel auf. Schnell jagte sie heran. Über Üchisar platzte sie auseinander. Farbige Wolkenfetzen stachen herab. Zwei riesige transparente Hände griffen zu dem Märchenerzähler und hoben den schreienden Bettler in die Lüfte …

Üchisar brüllte auf. Olga Dussowa sah, wie die unheimlichen Hände glühten

und dem alten Mann Brandwunden am ganzen Körper verpaßten.

Immer höher und höher wurde der Märchenerzähler gegen den Himmel getragen.

Höhnisches Lachen wurde laut und hallte in Olga Dussowas Ohren.

Sie hielt sich die Ohren zu und starrte in den finsteren

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Nachthimmel, gegen den sich die Gestalt des Märchenerzählers deutlich abhob. Sie hörte seine Schreie und sah, wie er mit den überirdischen Händen kämpfte und der Schwächere blieb.

Zuerst schien es, als ob die Hände Üchisar in die rote Kugel zwingen wollten. Dann aber öffnete sich der Griff. Die Finger lösten sich einfach auf.

Üchisar stürzte zur Erde. Sein alter Körper drehte sich wie ein Kreisel in der Luft.

Direkt vor Olga Dussowa gab es einen dumpfen Aufprall, dann ein letztes Stöhnen. Der Märchenerzähler Üchisar lag im Sterben.

Mit leiser Stimme flüsterte er: »Das war die Strafe für meinen Verrat. Ich … hätte … es nicht … sagen sollen …«

Olga Dussowa beugte sich über den Sterbenden: »Warum, Üchisar? Warum mußt du dieses Schicksal erleiden? Nur weil du mir geholfen hast?«

Sie sah ihn bedauernd an. Dann legte sie ihr rechtes Ohr an seine Lippen. Er hauchte es

nur noch: »Auch ich besaß einmal den Todessmaragd. Ich rettete einem Mädchen das Leben. Der Vater schenkte mir den Ring mit dem Stein. Ich wollte den Kampf mit dem Dämon und dessen Helfern aufnehmen. Ich glaubte, stärker zu sein. Es bekam mir – nicht gut … Ich verlor mein Vermögen … mein Schiff … mein Kapitänspatent … Ich wurde krank … und blind … Ich – war jener Kapitän, von dem ich dir vorhin – erzählt habe …«

Sein Kopf sank zurück. Er hatte ausgelitten.

*

Joe Baxter kurvte mit dem roten Sportwagen in die Stiklal

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Caddesi ein. Er war eben im Begriff. Viola Oggi zum Stadtgefängnis zu bringen.

Viola erkundigte sich genau: »Was also ist meine Aufgabe?« Joe Baxter erklärte es ihr genau: »Ich habe alles mit dem

Untersuchungsrichter und dem Gefängnisdirektor abgesprochen. Die Herren sind einverstanden. Alle sind an einer raschen Klärung des Falles interessiert. John Margie ist in eine Zelle gesperrt worden, die mit einem einzigen Knopfdruck von der Zelle nebenan betreten werden kann. Das heißt, es befinden sich zwei Untersuchungszellen nebeneinander. In einer sitzt John Margie. In der anderen bist du. Hier hast du Zeit und Muße, dich ganz auf den Briten einzustellen. Wichtig ist, herauszubekommen, ob er parapsychologische Fähigkeiten hat und ob er Geister rufen kann und mit Toten redet. Vielleicht hat er sich wirklich bisher nur verstellt und ist ein PSI-Phänomen. Wir werden es herausbekommen!«

»Und wie komme ich rasch zu ihm hinüber?«, fragte Viola Oggi »Du drückst einfach einen Knopf. Dann tut sich schnell die Steinmauer zwischen den Zellen auf, und du kannst hinübereilen. Und merke dir: John Margie weiß nicht, daß wir ein Medium auf ihn ansetzen. Geh also nur zu ihm, wenn du es wirklich für äußerst notwendig hältst.«

Sie nickte. Der Wagen war inzwischen vor dem

Untersuchungsgefängnis angekommen. Joe Baxter und Viola Oggi stiegen aus. Der Gefängnisdirektor kam ihnen bereits entgegen.

Er sagte: »Es ist alles vorbereitet. Versprechen Sie sich denn etwas von dieser parapsychologischen Aktion?«

Joe Baxter nickte. »Normal sterbliche Menschen ohne PSI-Erfahrung können nie in einen anderen Menschen hineinschauen. Uns ist es aber schon oft gelungen, durch

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Transzendental-Konzentration das zu bewerkstelligen. Darum finde ich, haben wir hier eine einmalige Chance, mehr über John Margie zu erfahren.«

Der Direktor ging voraus. Baxter und Viola Oggi folgten ihm. Plötzlich blieb der Hauptkommissar stehen. Er spürte ein

Ziehen im Kopf. Er lehnte sich zur Entspannung an die Wand und flüsterte Viola schnell zu: »Geh nur weiter, Viola, der Chef ist dran. Er will mir etwas mitteilen.«

Sekunden später stürzten schon die ersten Gedankenblitze aus Paris über Joe Baxter herein.

»Hallo, Baxter. Ich muß Sie dringend sprechen. Ich vermute, Sie befinden sich gerade unterwegs.«

»Ja, Chef, in einer sehr dringenden Angelegenheit. Viola bereitet eine Gehirnspionage mit Transzendentalkonzentration vor. Damit hoffe ich endgültig, John Margies Unschuld zu beweisen.«

Dr. Duvaleux blitzte seinem Hauptkommissar eindringlich seine neuen Gedanken zu: »Baxter, sagen Sie Viola, daß sie sehr vorsichtig sein soll. Wenn Sie spürt, daß ihre geistigen Kräfte zu sehr beansprucht werden, soll sie sofort die Aktion abbrechen, auch wenn dadurch der Erfolg der Arbeit gefährdet ist. Ich werde Guru Jogami sagen, daß er in ständiger Verbindung mit Viola bleibt, falls sie seine Unterstützung braucht.«

Joe Baxter schmunzelte: »Das ist aber ganz neu, daß Sie sich derart rührend Sorgen um Ihre Mitarbeiter machen …«

*

Es war völlig finster in der Zelle. Die Armbanduhr mit dem Leuchtzifferblatt zeigte 11.45 Uhr. Viola Oggi lag ausgestreckt auf dem eisernen Bett und hatte die Augen geschlossen. Sie

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hatte sich bereits vor Stunden durch Selbsthypnose von ihrer Umwelt zurückgezogen. Ihr geistiges Sein schwebte über ihrer irdischen Existenz und war ganz auf die Gehirnströmungen des englischen Kaufmannes John Margie eingestellt.

Ein Schock nach dem anderen erschütterte Viola Oggi. John Margie war ein nervliches Wrack. Die Geschehnisse der

vergangenen Tage hatten ihn vollkommen fertiggemacht. Immer wieder merkte Viola Oggi, wie eine gute Wesenheit

versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, wie aber eine geheimnisvolle Abschirmung das verhinderte.

Plötzlich fühlte sich Viola Oggi angepeilt. Sie vernahm eine helle Stimme: »Warum reagiert John Margie nicht? Du bist mit ihm in Parallelkontakt. Hilf mir!«

Viola Oggi blitzte die unbekannte Wesenheit an: »Ich weiß selbst nicht, wer John Margies Geist so abkapselt. Er selbst leidet darunter. Aber wer bist du?«

Spontan kam die Antwort: »Quendolin Margie. Ich habe ihn doch zu Lebzeiten sosehr geliebt. Es war so wunderschön. Ich muß ihn trösten und versuchen, ihm zu helfen. Doch es tut mir im Innersten meines Herzens so weh, daß ich ihm die Wahrheit sagen muß. Es ist für mich und ihn so eine harte und quälende Wahrheit.«

Viola fragte begierig: »Und wie lautet diese Wahrheit?« »Ich kann sie nur ihm anvertrauen«, schwirrte die Stimme

und verschwand weinend. Viola Oggi versuchte, Quendolin Margie zurückzuhalten. Es

war sinnlos. Plötzlich vibrierte die Luft und wurde heiß und unerträglich. Viola Oggi fühlte, daß unruhige Minuten bevorstanden. Eine

gefährliche transzendentale Macht bereitete einen Angriff auf John Margie vor …

*

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John Margie stand am vergitterten Fenster seiner Untersuchungszelle. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles drehte sich vor seinen Augen. Sein Herz schmerzte. Seine Lungen arbeiteten schlecht. Er fühlte sich schwerkrank.

Immer wieder glitt ihn ein einziger Satz über die Lippen: »Ich will sterben! Ich will sterben!«

Jäh blitzte ein grelles Licht in der Zelle auf. Ein Lachen echote von den kalten Steinwänden. John Margie drehte sich um und starrte auf die schöne junge

Frau, die vor ihm stand: Gloria Cannon. Sie lachte mit ihrem breiten Mund und drehte sich aufreizend hin und her. Dann ging sie auf John Margie zu. Er hob abwehrend die Hände und begann zu schreien: »Laß mich in Frieden, du Hexe. Du hast alles Unheil über mich gebracht. Du hast mir den Todessmaragd verkauft. Damit hat alles angefangen.«

Sie hob die Hände und meinte mit scharfer Stimme: »Du Idiot, gar nichts hat mit dem Smaragdring begonnen. Zu diesem Zeitpunkt waren dein Schicksal und Quendolins Tod längst beschlossene Sache. Du hast es nur niemals begriffen.«

»Was willst du von mir?« fragte der Brite und drängte sich in die äußerste Ecke seiner Zelle. »Warum verfolgst du mich und lockst mich. Warum hast du mich gequält und mir die Stimme meiner Frau vorgespielt? Warum hast du mich vor der Welt als Mörder hingestellt? Warum hast du mir das Gift ins Zimmer geschmuggelt, daß die Polizei glaubte, ich hätte Quendolin ermordet. Sag ehrlich: Hast du sie auf dem Gewissen? Ich möchte endlich Klarheit.«

Sie lachte wieder schallend und baute sich vor ihm auf. Dann prasselten ihre Worte auf ihn hernieder: »Ich liebe dich, John Margie. Ja, ich gebe es offen zu. Ich liebe dich. Du bist der Mann, der mir gefällt. Ich war vom ersten Augenblick an

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begeistert, als ich einmal durch Zufall dein Foto sah. Von da an stand mein Plan fest. Ich mußte dich für mich haben. Ich steigerte mich so sehr hinein, daß mir bald jedes Mittel recht war, dich zu bekommen. Und jetzt bist du mir ausgeliefert, John Margie. Du mußt zu meinem Vorschlag einfach ja sagen. Es geht gar nicht anders.«

»Was ist das für ein Vorschlag?« fragte John Margie gequält. Sie lachte wieder übermütig. Und dabei sah der Engländer,

daß ihre Gestalt durchscheinend und nicht real war. Dann antwortete sie: »Du bist in einer scheußlichen Lage,

John Margie. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken. Du wirst in Kürze wieder wegen Mordes angeklagt. Ob nun wegen eines oder wegen zwei, es gibt die gleichen Sorgen. Du wirst verurteilt. Dafür werde ich sorgen, glaube mir. Deine einzige Rettung ist die Flucht. Und zu dieser Flucht kann ich dir verhelfen. Nur ich allein. Ein sterblicher Mensch kann aus diesem Gefängnis niemals heraus. Ich aber habe die Kraft.«

Sie machte eine Pause, wiegte ihren Kopf und sagte dann lauernd: »Na, hast du dich entschieden? Ich verhelfe dir zur Flucht, und du gehörst mir. Ich werde dich ein Leben lang begleiten. Und du hast den Vorteil, eine Partnerin mit übersinnlichen Kräften zu besitzen.«

»Nein, nein, niemals. Ich will dich nicht mehr sehen. Geh fort! Laß mich in Frieden. Lieber sterbe ich, als mich mit dir einzulassen.«

Ihre Stimme wurde schrill: »Das sagst du jetzt so leicht, wo es bei dir noch nicht ans Sterben geht. Aber wenn es dann einmal so weit ist, wirst du es bereuen. Dann ist es zu spät. Ich mache dir einen letzten Vorschlag. Denn auch meine Geduld und meine Sehnsucht nach dir haben Grenzen. Ich werde noch einmal kommen. An dem Tag, an dem die Glocken der Gefängniskapelle nicht läuten werden, bin ich wieder hier bei dir in der Untersuchungszelle. Und dann mußt du dich für

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mich entscheiden. Oder du wirst sterben. Aber eines weiß ich jetzt schon: Dein Tod wird schrecklich sein. Ich hasse es, wenn man meinen Willen nicht erfüllt. Aber vielleicht wirst du vernünftig und wirst dich freiwillig meinen Plänen fügen.«

Sie breitete die Arme aus, um ihn zu umarmen. Er brüllte wie ein verletztes Tier auf und glitt ohnmächtig zu Boden.

Gloria Cannon aber lachte immer wieder. Ein helles Raunen und Pfeifen erfüllte die Zelle.

Das Wesen war im Begriff, ihr irdisches Aussehen aufzulösen und als reine Geistheit davonzuschweben.

Viola Oggi hatte alles unmittelbar miterlebt. Jetzt sprang sie auf, drückte den Knopf in der Wand und stand Sekunden später in der Zelle nebenan.

Der Augenblick, in dem sie das Rätsel um Gloria Cannon klären konnte, war gekommen. Sie mußte sich ihrer überirdischen Geistreise anschließen.

Ganz schnell funkte sie zu Guru Jogami in Paris, der ja mit ihr in ständigem Kontakt stand: »Jogami, ich brauche genug Konzentration, um mich völlig von meinem Körper zu lösen. Ich muß hinter Gloria Cannon her …«

Sofort merkte Viola, daß sie sich von ihrem Körper löste. Sie erhob sich als Bündel von Gedanken und blickte auf ihre irdische Hülle herab, die langsam und ohnmächtig zu Boden sank. Dann schwirrte sie durch das Zellenfenster hinaus, erhob sich in die Lüfte der Nacht und hielt sich dicht hinter Gloria Cannon.

Der Geist der anderen Wesenheit war so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß Viola Oggis Sein unbemerkt bleiben konnte.

Gloria Cannon schwang sich in schwarze Wolken empor. Plötzlich rotierten zwei feuerrote Punkte um sie. Viola Oggi

überlegte neugierig, was das sein konnte. Da hörte sie die Gedankenströmungen von Gloria Cannon, die die beiden Lichterscheinungen mit Namen begrüßte: »Ich habe alles

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versucht, Nepogor und Belezar. Er will nicht. Und doch hat er Angst vor mir.«

Die beiden tiefen Stimmen grölten. Belezar blies seine Meinung förmlich aus sich heraus: »Er

weiß nur nicht, wer hinter dir steckt. Im Grunde hat er ja Angst vor uns. Du bist ein ehemaliges Menschenwürmlein. Du bist nur so gut, weil du mit uns deinen Vertrag hast. Dämonen können das Leben sehr verschönern.«

Gloria Cannon antwortete zornig: »Das kann ich einstweilen nicht behaupten. Ich weiß nur, daß es jetzt schon sehr lange dauert, bis ich den Mann meiner Träume in meiner Gewalt habe.«

Die beiden Dämonen lachten wieder. Da schrie Belezar hysterisch auf: »Ich wittere Gefahr. Eine

unheimliche Macht bedrängt uns. Ich kann kaum denken …!« Nepogor wimmerte, und Gloria Cannon begann zu stöhnen. Der nächtliche Himmel, über den sie dahingeschwirrt waren,

färbte sich blutigrot. Viola Oggi erkannte sofort, daß der Schein von einer sich drehenden Kugel kam, die sich schnell näherte. Die Wesenheiten Gloria Cannon, Nepogor und Belezar wollten fliehen. Sie bildeten eine Gedankenkette und wischten unter den Wolken dahin. Doch die rote Kugel schwirrte ihnen nach, erreichte sie und explodierte über ihnen.

Ein jämmerliches Geheul erklang. Und dann bot sich Viola Oggi eine eindrucksvolle Szene. Aus den beiden Hälften der roten Kugel flogen kleine

transparente Kugeln. Sie platzten auf. Eine seltsam schimmernde Flüssigkeit umfloß die Gedankenbündel von Belezar und Nepogor. Da half kein Fluchen und Schreien. Sie wurden eingekapselt. Aus der Flüssigkeit wurden sie wieder feste Kugeln, die in die rote Kugel gesaugt wurden.

Gloria Cannon erging es nicht anders. Viola Oggi wollte rasch von Guru Jogami Kraft anfordern,

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um in die Kugel mit hineinzuschlüpfen. Doch der Guru warnte mit dem Gedankenstrahl: »Das kostet doch unter Unständen deine irdische Existenz, und das wäre dem Chef nicht sehr lieb.«

Nun waren Gloria Cannon, die Dämonen Belazar und Nepogor in der Gewalt der roten Kugel. Wie Baxter berichtet hatte, war das die Kugel des Dämons Katnandu, der im echten Todessmaragd herrschte. Aber was hatten die drei da drinnen zu bereden?

Viola Oggi stellte sich ganz auf Gloria Cannon ein. Und Sekunden später empfing sie die Gespräche, die in der

Kugel geführt wurden. Gloria Cannon schrie: »Laßt mich frei. Ich bin eine

unabhängige Seele, die man nicht einsperren kann. Ich bin niemand außer den Dämonen Nepogor und Belezar verpflichtet.«

Ein dröhnendes Lachen erschütterte die Kugel. Katnandu schrie es förmlich: »Du siehst, wie mächtig diese beiden Dämonen sind. Ich konnte sie in meine Kugeln bannen. Und ich kann dir auch sagen, warum. Du hast dir deine Partner schlecht ausgesucht. Nepogor und Belezar sind ganz kleine, unwesentliche Dämonen. Sie gehörten einmal meinem Gefolge an und bewachten mich. Doch dann spalteten sie sich von mir ab. Sie wollten unbedingt auch einen Todessmaragd beherrschen. Daher trieben sie eine Imitation auf und suchten ein Opfer, um ein Spiel der Macht auf Erden durchführen zu können. Und dieses Opfer haben sie in dir gefunden.«

»Das ist nicht wahr«, schrie Gloria Cannon. »Die beiden waren gut zu mir. Sie wollten mir helfen. Sonst nichts. Nur helfen.«

In diesem Augenblick kreischten Nepogor und Belazar auf. Sie holten alle ihre Kräfte zusammen und brachten ihre Gefängniskugeln zum Platzen. Wie Torpedos jagten die

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negativen Wesenheiten durch die Lüfte. Der Ausbruch aus Katnandus roter Kugel war ihnen geglückt.

Sie jaulte vor Freude. Katnandu dröhnte mit seiner Stimme, als er ihnen seine

Gedanken nachschleuderte: »Das werdet Ihr bereuen. Ich werde alles mobilisieren, um euch samt eurer Gloria Cannon zu vernichten. Ihr drei gehört mir. Ich werde eure gedanklichen Wesenheiten zermalmen, so wahr ich Katnandu heiße!«

Die magischen Kräfte von Belezar und Nepogor gaben auch Gloria Cannon genug Kraft, sich selbst aus der großen Kugel zu befreien. Sie schwirrte hinter ihren beiden Dämonen her. Viola Oggi hatte sie schnell verloren.

Sie hatte sich eingebildet, von niemandem gesehen oder gespürt worden zu sein. Da aber stieß eine Stimme in ihre Wesenheit hinein: »Ich habe dich erkannt. Du bist hinter beiden Parteien her. Hinter Gloria Cannon und hinter mir. Wir beide gehen euch vom Parapsychologischen Department nichts an. Gloria und ihre Dämonen sind allein meine Sache, und ich werde die Angelegenheit auf meine Weise regeln.«

»Was ist das für eine Angelegenheit?« fragte Viola Oggi und wollte Katnandu aus der Reserve locken. Doch er hielt sich eisern und sagte nur: »Es ist die Angelegenheit des Todessmaragdes, und die geht keinen sterblichen Menschen etwas an. Auch wenn er noch so sehr mit PSI und Parapsychologie zu tun hat. Und mein Recht werde ich durchsetzen. Wenn du zur Erde zurückkommst, sage es auch den anderen. Dies allein übrigens ist der Grund, warum ich dich hier nicht töte und niemehr in deinen irdischen Körper zurücklasse. Ich könnte es tun. Aber ich will, daß du die anderen warnst und mir vom Leibe hältst …!«

Die Stimme verebbte. Die Kugel heulte auf, drehte sich und jagte übers Firmament, dahin.

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Viola Oggi schwebte in den Lüften und wußte nicht, was sie von ihrem Erlebnis halten sollte. Allmählich wurde ihr alles klar: Sie war in eine Auseinandersetzung von zwei überirdischen Mächten geraten. Katnandu wollte Gloria Cannon und ihre beiden Dämonen um jeden Preis vernichten. Und dabei störte ihn die Arbeit des Parapsychologie Departments der Interpol.

Langsam ließ Viola Oggi ihr geistiges Sein aus den schwindelnden Höhen abwärts sinken. Sie steuerte auf das Untersuchungsgefängnis zurück. Es war Zeit für sie, wieder eine harmonische Einheit mit ihrem Körper zu bilden, den sie so überstürzt verlassen hatte.

Plötzlich merkte sie, daß sie sich nicht mehr bewegte. Sie war blockiert. Ihre Willenskraft reichte nicht aus. Sie funkte zu Guru Jogami nach Paris: »Da ist irgend etwas! Hilf mir, daß ich rasch in meinen Körper zurückkomme.«

Guru Jogami antwortete: »Ich weiß nicht, was da los ist. Ich spende meine ganze Kraft, und dennoch erhältst du sie nicht. Da hat sich jemand dazwischengeschaltet, um dich zu schwächen, Viola.«

Viola wußte es inzwischen auch. Sie fühlte, daß sie nicht allein war. Sie war von fremden Wesenheiten umringt, konnte aber keinerlei Kontakt mit ihnen aufnehmen.

Vorsichtig fragte sie: »Wer nimmt mir meine Kraft?« Zuerst meldete sich niemand. Nur ein eiskalter Hauch

umströmte Violas Geist. Die fragte noch einmal eindringlicher. Endlich summte eine Stimme: »Ich bin Belezar. Nimm zur

Kenntnis, daß wir dir nach und nach alle Kräfte nehmen und dich von allen deinen Helfern abschirmen werden. Du wirst als geistige Sklavin zu uns gehören und keinen eigenen Willen mehr haben.«

»Warum haßt Ihr mich?« fragte Viola Oggi.

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»Wir hassen dich nicht. Aber du bist unsere Feindin. Und dein Mr. Baxter hält große Stücke auf dich. Wenn er dich wieder lebend haben will, dann muß er dafür Konzessionen machen.«

»Was wollt Ihr von Joe Baxter«, erkundigte sich Viola Oggi und spürte bereits ihre Kraft schwinden. Beim Gedanken an ihren Körper, in dem sie vielleicht niemehr gelangen konnte, wurde sie von Panik erfaßt.

Die helle Stimme von Gioria Cannon antwortete: »Joe Baxter darf sich nicht mehr in die Affäre Quendolin Margie einmischen. Er muß offiziell dem Gericht seine Mitarbeit kündigen und sich mit den bisherigen polizeilichen Erhebungen gegen John Margie einverstanden erklären. Dann endlich kommt John Margie in meine Macht …«

»Ich werde mich eurem Willen niemals beugen!« bäumte sich Viola Oggi mit letzter Willenskraft auf. Dann spürte sie, wie ihre Konzentration erlahmte. Sie war nurmehr ein Schatten, der nicht mehr selbst entscheiden konnte, sondern den beiden Dämonen Belazar und Nepogor folgen mußte, wohin diese wollten …

*

Stechende Schmerzen im Kopf ließen John Margie in seiner Zelle aus tiefer Ohnmacht erwachen.

Er versuchte, sich zu entsinnen, was eigentlich geschehen war.

Verstört blickte er zu dem vergitterten Fenster hoch. Wie mochte Gloria Cannon hereingekommen sein? Was war von ihren drohenden Worten zu halten? Was hatte sie mit Quendolins Tod zu tun?

Langsam kam der englische Kaufmann hoch. Jäh erstarrte er.

Page 101: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Vor ihm auf der Erde lag eine blonde Frau. Er erkannte sie sofort. Es war eine der Assistentinnen dieses Mr. Baxter aus Paris.

Wie kam sie in seine Zelle? John Margie beugte sich über sie. Schweiß brach ihm aus. Er raffte sich hoch, wankte zur Tür,

polterte mit den Händen dagegen und schrie um Hilfe. Endlich drehte sich der Schlüssel in der Zellentür. Der

Gefangenenwärter ließ die Tür aufschwingen. Ernst schaute er den Engländer an. Dann erblickte er Viola Oggi auf der Erde.

Dann kniete er neben Viola Oggi nieder, fühlte ihren Puls und horchte ihr Herz ab.

Langsam stand er auf und sagte zu John Margie: »Sie hat Stunden nebenan zugebracht. Und dann ist sie durch diese Tür zu Ihnen gekommen …!«

»Davon weiß ich nichts«, stammelte John Margie. Unbeirrt sprach der Wärter weiter: »Und dann, Sie

Unglücksmensch, haben Sie sie umgebracht. Jetzt sind Sie fällig. Keiner wird mehr daran zweifeln, daß Sie auch die anderen beiden ins Jenseits befördert haben.«

John Margie klammerte sich an den Wärter. »So reden Sie doch keinen Unsinn. Machen Sie mich nicht verrückt. Ich habe diese Frau nicht umgebracht. Genausowenig wie die andern. Vielleicht ist sie gar nicht tot?«

Der Wärter sagte nichts mehr. Er eilte hinaus, warf die Tür ins Schloß, sperrte ab und hastete den Korridor entlang in sein Dienstzimmer. Von dort aus rief er in der Direktion an und meldete aufgeregt seinem Chef: »Herr Direktor! Es ist etwas Entsetzliches passiert. John Margie hat die Mitarbeiterin des Parapsycholigic Departments ermordet. Sie liegt tot in seiner Zelle …«

*

Page 102: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Die Sonne brannte unbarmherzig auf Athen nieder.

Olga Dussowa hatte ein leichtes, helles Kleid angezogen. Sie ließ sich vor dem Flughafen in ein Taxi fallen und fragte den Fahrer: »Kennen Sie den Namen Maleichos hier in der Stadt?«

Der Fahrer war überrascht. »Sie scherzen wohl mit mir? Das ist einer unserer reichsten Reeder. Übrigens: Das Taxiunternehmen, das Sie hier benützen, gehört ihm auch.«

Olga Dussowa verlangte: »Bringen Sie mich zu ihm!« Der Fahrer stutzte. »Ja, das wird nicht so einfach gehen. Sie

müssen sich erst in seinem Stadtbüro anmelden. Dann bekommen Sie einen Termin. Das ist so üblich. Sie sind sicher von der Zeitung und wollen ihn interviewen. Es kommen viele Reporter im Laufe des Jahres.«

»Ich muß ihn aber sofort sprechen!« »Das wird sicher nicht gehen.« Der Wagen brachte Olga Dussowa ins Stadtzentrum von

Athen. Das Büro des Reeders war groß und modern eingerichtet. Ein freundliches Mädchen trat auf Olga zu, nickte und fragte: »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich habe gehört, es ist so schwierig, mit Mr. Maleichos zu sprechen!« antwortete Olga.

»Nicht, wenn Sie sich rechtzeitig anmelden. Darf ich Sie für nächste Woche eintragen? Ich kann Ihnen gleich einen Termin geben. Sie müssen sich nur ein wenig gedulden.«

»Das geht leider nicht. Meine Sache ist unaufschiebbar. Es geht um das Leben eines Menschen, der unschuldig zum Tode verurteilt werden soll.«

Das Mädchen fragte: »Sie wollen, daß Mr. Maleichos ein gutes Wort bei einem hohen Politiker für Ihren Freund einlegt?«

Olga Dussowa wollte schon verneinen. Dann aber erkannte sie, daß dies vielleicht die einzige Chance war, mit dem reichen

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Griechen zu sprechen. Die Russin verstellte sich und sagte: »Ja, mein Freund wird

sonst gehenkt.« »Wann?« Olga mimte ein verzweifeltes Gesicht: »Heute noch!« Das ging dem Mädchen unter die Haut. Sie wurde blaß und

eilte zum Telefon. Vorwurfsvoll sagte sie zu Olga: »Warum kommen Sie denn da erst jetzt? Ist Ihr Freund wirklich unschuldig?«

»Natürlich«, nickte Olga und mußte ein Schmunzeln verbergen.

Schnell wählte das Mädchen eine Telefonnummer und sprudelte dann eilig in die Sprechmuschel: »Ich muß dringend Mr. Maleichos sprechen. Es geht um Leben und Tod!«

Sie wurde verbunden, wartete und meldete sich dann bei ihrem Chef: »Mr. Maleichos, hier im Büro ist eine Dame, die unbedingt …«

Olga Dussowa stand mit wenigen Schritten bei dem Mädchen, nahm ihr den Hörer aus der Hand und sagte in ruhigem Ton: »Mr. Maleichos, ich mußte dem Mädchen etwas vorschwindeln, damit sie Sie direkt anrief. Mein Name ist Olga Dussowa. Ich bin Mitarbeiterin des Parapsychologic Departments der Interpol. Ich muß Sie unbedingt sofort sprechen. Es geht um den Todessmaragd des Hradscha Said, der in Ihrem Besitz ist.«

Verärgert sagte Maleichos: »Aber, was soll das …?« »Leugnen Sie nicht, Mr. Maleichos«, rief Olga Dussowa. »Ich

weiß, daß Sie den Stein haben.« Zuerst war es still in der Leitung. Dann hörte die Russin ihn

sagen: »Ich erwarte Sie. In wenigen Minuten wird vor dem Büro ein Wagen mit Chauffeur vorfahren. Er wird Sie in meine Villa am Stadtrand von Athen bringen.«

Es klickte in der Leitung. Er hatte aufgelegt.

Page 104: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Olga Dussowa nickte dem Mädchen zu: »Danke. Er wird mich abholen!«

Dann trat sie auf die Straße und wartete. Kurze Zeit später kurvte ein Luxuswagen um die Ecke und

blieb vor ihr stehen. Ein livrierter Diener sprang heraus und öffnete die Wagentür. Olga stieg ein, und schon jagte das Fahrzeug in Richtung Stadtrand davon.

Nach etwa zwanzig Minuten erhob sich vor ihnen auf einem felsigen Hügel ein weißgetünchtes riesiges Haus mit herrlichen Parkanlagen rundum.

Der Fahrer des Wagens erklärte: »Das ist die Villa von Mr. Maleichos!«

Minuten später fuhr das Auto eine breite Straße hoch, passierte eine großzügige und stark bewachte Auffahrt und hielt endlich vor einer weiten Terrasse.

Auf den untersten Stufen stand ein gesetzter, elegant gekleideter Herr von etwa 50 Jahren.

Er eilte auf Olga Dussowa zu und meinte mit einer leichten Verneigung: »Ich freue mich, eine so schöne Frau in meinem Haus begrüßen zu dürfen. Kommen Sie bitte mit mir.«

Er führte sie über einen langen Korridor in einen kleinen Salon, in dem ihr Erfrischungen angeboten wurde.

Olga Dussowa nahm Platz. Mr. Maleichos setzte sich ihr gegenüber und klatschte in die Hände. Die beiden Diener entfernten sich.

Sein Gesicht verfinsterte sich: »Was wollen Sie von mir?« Olga mußte unwillkürlich schmunzeln. »Für Sie ist die Sache

sicher nicht so ernst, wie für meine Abteilung. Ich weiß, daß Sie im Besitz des Todessmaragdes sind. Meine Kollegen und ich mußten uns in den vergangenen Tagen sehr stark mit diesem Smaragd befassen!«

Er sprang auf. »Was haben Sie in meinem Privatleben herumzuschnüffeln?«

Page 105: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Olga Dussowa wehrte mit beiden Händen ab. »Nicht so mißtrauisch, Mr. Maleichos. Um Sie geht es ja gar nicht. Als in Istanbul eine Frau ermordet wurde, hieß es zuerst, sie wäre ein Opfer des Todessmaragdes geworden, den ihr ihr Gatte zur Hochzeit gekauft hätte. Tatsächlich starben in der Folge zwei Polizisten, die den Stein in ihren Besitz nahmen. Aber erst viel später kamen wir dahinter, daß es sich bei dem Ring keineswegs um den Todessmaragd handelte, sondern um eine zwar wertvolle, aber parapsychologisch wirkungslose Imitation. Jetzt gilt es, die wahre Ursache für den Tod dreier Menschen zu finden. Wir vermuten eine übernatürliche, gefährliche Macht. Wir hoffen, daß wir vielleicht über den echten Todessmaragd etwas herausbekommen können.«

Maleichos sprang auf und sagte ablehnend: »Ich weiß nichts. Ich kann Ihnen nichts sagen.«

Olga Dussowas sagte leise: »Sie irren sich schon wieder, Mr. Maleichos. Keiner will etwas von Ihnen persönlich. Sie sollen mir nur die Erlaubnis geben, daß ich mich mit der mächtigen Wesenheit in Ihrem Stein in Verbindung setze. Das kann ich aber nur dann, wenn ich um Mitternacht in einer geeigneten Umgebung den Stein medial anspreche. Ich nehme an, die Macht im Smaragd kann mir Aufklärung über die Imitation und über die mysteriösen Todesfälle geben.«

Langsam begriff der Reeder. Er setzte sich wieder: »Was kann ich also konkret für Sie tun?«

Olga Dussowa erklärte es: »Ich möchte heute um Mitternacht mit Ihrem Smaragd allein in einer Schatzkammer sein!«

»Ich habe keine Schatzkammer.« »Wo befindet sich der Smaragd?« »In einem großen Tresor.« »Kann da ein Mensch hinein?« »Ja!« »Dann will ich die Nacht im Tresor verbringen. Als

Page 106: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Schmucktresor ist er die richtige Atmosphäre für die Material-Seance.«

»In Ordnung«, willigte der Reeder ein. Er wollte sich erheben, um ja keine Fragen mehr beantworten

zu müssen. Doch Olga Dussowa sah ihn lächelnd an und drückte ihn in seinen Sessel zurück.

»Mr. Maleichos«, begann sie, »ich bin sehr neugierig und habe eine private Frage.«

Unsicher sah der Grieche Olga an. »Wie kommt es, daß Sie nun den Todessmaragd schon

solange besitzen …?« Jetzt mußte er lächeln und meinte: »Und Sie wollen wissen,

warum ich noch lebe und meine Familie noch von keinem Unglück heimgesucht wurde?«

Olga nickte. Er starrte vor sich hin und begann dann zu erzählen: »Ich

habe die Geschichte des Todessmaragdes schon als junger Mann verfolgt. Ich war fasziniert von den grausamen Folgen, die mit dem Besitz des Steines verbunden waren. Ich las in Zeitungen von den schrecklichen Schicksalen der Menschen, die den Ring besessen und getragen hatten. Und ich erlebte auch aus unmittelbarer Nähe mit, wie Kapitän Üchisar Geld und Gesundheit verlor. Doch er hatte bewiesen, daß man wenigstens nicht unbedingt sterben mußte, wenn man dem Dämon im Ring den Kampf ansagte. Ich lernte daraus und beschloß, den Dämon zu überlisten. Und es ist mir bisher auch gelungen.«

»Wie haben Sie das gemacht?« Er begann, im Zimmer auf und ab zugehen. »Ich bin im Laufe der Jahre dahintergekommen, daß dieser

Stein von keinem teuflischen Dämon beherrscht wird. Seine Entstehung beweist es. Der Dämon entstand aus begründeter Eifersucht heraus. Und er hat immer nur getötet, wenn seine

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Besitzer unverschämt wurden, ungeheure Wünsche an das Schicksal stellten und mit dem grünen Stein prahlten.«

Olga erhob sich und stand jetzt ganz dicht neben ihm. »Sie machen es anders …?«

Er nickte. »Natürlich. Ich habe den Stein sofort, nachdem ich ihn erworben hatte, in einen Tresor gesperrt und seither nur ganz selten herausgenommen. Ich habe ihn niemals jemanden stolz gezeigt. Ich habe ihn nicht herausgefordert. Und daher brauchte ich auch nichts zu befürchten. Ich glaube fast, der Dämon, der den Smaragd beherrscht, ist zufrieden mit mir und schätzt mich …«

*

Die Luft im Tresor war stickig. Olga Dussowa schätzte die Temperatur auf 35 Grad. Sie hatte

sich auf einer Decke hingelegt. Einige Minuten vor Mitternacht erhob sie sich. Sie näherte sich der Glasvitrine und nahm den Deckel ab.

Jetzt stand sie vor dem sagenumwobenen Todessmaragd des Hradscha Said, den Maharadscha Mohini III. vor vielen hundert Jahren mit einem Fluch belegt hatte.

Olga fühlte ein leichtes Prickeln, als sie mit den Fingern über den Stein strich. Eine eigenartige Strahlung ging von dem Schmuckstück aus. Man hatte einen ganz anderen Eindruck als von der Imitation, die sich in den Händen der toten Quendolin Margie befunden hatte.

Olga Dussowa sagte langsam und entspannt sieben magische Sprüche herunter. Dann legte sie sich wieder auf ihre Decke und begann zu zählen. Bei 50 hatte sie das Gefühl, einschlafen zu müssen. Das war der Augenblick, in dem Olga Dussowa mit der Selbsthypnose beginnen mußte. So brachte sie sich selbst allmählich in den Zustand eines Mediums.

Page 108: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

Sie paukte sich zuvor noch alle Fragen ein, die sie an den Dämon richten wollte, und speicherte die Sätze.

Dann wurden Olgas Augen sehr müde. Sie merkte noch, wie Dunkelheit über ihre Lider fiel. Sie kam in einen Dämmerzustand dahin, hörte nur

melodisches Klingen und fühlte sich sehr wohl. Sie überlegte: Eigentlich mußte es schön sein, das ganze Leben in so einem Zustand zu bleiben.

Ein lauter Gongschlag ließ Olga aufhorchen. Aus ihrem Gehirn strömte immer wieder eindringlich: »Geist

des Smaragdes, bitte melde dich!« Der Satz wiederholte sich. Diesmal lauter, unangenehmer. Doch es meldete sich keine Wesenheit. Wieder öffnete Olga unbewußt die Lippen und rief:

»Katnandu, Geist des Smaragdes, melde dich!« Diesmal erklang ein Dröhnen. Und dann begann der Tresor

zu beben. Olgas Geist wurde gewaltsam aus ihrem Körper gerissen

und davongezerrt. In einem unheimlichen Tempo jagte Olgas Geistsein über

den Himmel und fand sich plötzlich vor einer großen roten Kugel, die sich vor ihr auftat.

Sofort schlossen sich die Feuerwände wieder hinter ihr. Sie kannte die Kugel. Hier war Joe Baxter auch schon einmal gewesen. Er hatte davon erzählt. Das war das Reich Katnandus, des Herrn des Smaragdes.

»Du hast recht«, grollte eine Donnerstimme über Viola: »Es ist mein Reich, und Baxter war schon einmal hier.«

Katnandu hatte ihre Gedanken erraten. Das beeindruckte sie. »Was willst du von mir? Warum nimmst du Strapazen auf

dich, um mich zu treffen, nachdem Joe Baxter mir bereits seine Hilfe als mein Vasall versagt hat«, fragte der Dämon.

Olga Dussowa jagte ihre Frage gegen die Wände der roten

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Kugel und erkannte inmitten eines Nebeldunstes Teile eines Dämonengesichts.

Dann hörte sie sich selbst reden, als die Worte von den Wänden zurückprallten: »Warum, Katnandu, bekämpfst du Gloria Cannon und ihre beiden Dämonen?«

Ein unwilliges Raunen erklang. Dann antwortete der Dämon: »Das fragst du noch? Ich bin der Herr des Todessmaragdes. Und dann kommt ein Mensch und tötet einen anderen. Und dabei richtet er alles so ein, daß die Welt an den Fluch des Todessmaragdes glaubt. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Diese Tat war nicht nach meinem Format. Doch alle dachten, daß es sich um den echten Smaragd des Todes handelte und waren von der Wirkung des Fluches überzeugt. Ich war wütend. Und seither sind die Mörder, die Quendolin Margie erledigten und die beiden Polizisten töteten, um mir die Schuld in die Schuhe zu schieben, meine Zielscheibe für eine bittere Rache. Doch diese Rache will und werde ich allein auskosten.«

Olga fragte jetzt ganz direkt: »Wer hat Quendolin Margie umgebracht?«

Die Stimme des Dämons schrie es förmlich durch die rote Kugel: »Gloria Cannon …«

Olga warf ein: »Einen Augenblick, Gloria Cannon ist eine Wesenheit, die sich verwandeln und durch Wände gehen kann. Du aber hast vorhin gesagt, daß ein Mensch das Verbrechen begangen hat.«

Die Stimme dröhnte: »Gloria Cannon war bis vor kurzer Zeit noch ein sterblicher Mensch. Damit aber ihr Teufelswerk gelingt, hat sie sich mit zwei teuflischen Dämonen verbündet. Doch das nützt ihr nichts. Meine Rache und mein Zorn werden sie schrecklich treffen.«

Olga Dussowa hatte plötzlich nur noch einen einzigen Wunsch: Sie wollte zur Erde zurück und so rasch wie möglich

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bei Joe Baxter sein. Sie wußte, daß ihnen allen ein entsetzliches Ringen zwischen

zwei feindlichen Dämonenmächten bevorstand … *

»Ich bitte Sie, Mr. Baxter, ich habe sie nicht umgebracht. Ich bitte Sie, glauben Sie mir …!«

John Margie rang die Hände und wollte sich vor Joe Baxter niederknien. Der Hauptkommissar raunte: »Mr. Margie, lassen Sie das Theater. Stehen Sie auf und treten Sie zur Seite. Ich muß Mrs. Oggi aufheben.«

Der Direktor der Haftanstalt war erstaunt. »Wird sie denn nicht von den Leuten der Gerichtsmedizin abgeholt?«

Baxter lachte. »Ich nehme sie in meinem Wagen mit, wenn Sie gestatten.«

»Ja, aber«, stotterte der Direktor. »Sie können doch nicht so einfach eine Leiche mitnehmen. Wo bringen Sie sie denn hin?«

»Zu mir ins Hotel«, schmunzelte Baxter. Der Direktor wurde schneeweiß im Gesicht. »Aber wir

müssen doch den Mord melden, und die Gerichtsmedizin muß die Obduktion …«

Baxter stoppte den Redeschwall: »Jetzt muß ich einmal Klarheit schaffen. Viola Oggi ist nicht tot, meine Herren. Sie wurde daher auch nicht ermordet. Guru Jogami in Paris war mit ihr in Gedankenkontakt. Wir kennen das von anderen Fällen: Mrs. Oggi hat es für richtig gehalten, ihren Geist spazieren zu führen. Vermutlich hat sie eine Wesenheit verfolgt. Es ist nur wichtig, daß der Körper richtig betreut wird, bis sie wieder in ihre irdische Hülle zurückfindet. Und dazu eignet sich natürlich der Steinboden einer Untersuchungszelle denkbar schlecht.«

John Margie, der Gefängnisdirektor und der Zellenwärter

Page 111: Der Daemonenfluch des Todessmaragds

sahen verständnislos auf den Hauptkommissar. Sie waren so fest überzeugt gewesen, eine Tote vor sich zu haben. Staunend sahen sie zu, wie Baxter seine Mitarbeiterin aufhob und langsam hinaus vors Haus trug und in den Wagen verfrachtete.

Baxter kam noch einmal zurück und sagte zu John Margie: »Ich weiß noch nicht, was Mrs. Oggi aus der anderen Welt mitbringen wird. Ich weiß auch nicht, was Mrs. Dussowa in Athen erreicht hat. Doch ich glaube, daß Ihre Unschuld bald bewiesen sein wird.«

John Margie atmete auf. Dann sah er erschrocken auf seine Armbanduhr. Er rannte zum Fenster und lauschte hinaus.

»Was ist«, fragte Baxter rasch und musterte besorgt den englischen Kaufmann.

Der blickte fahl auf die Männer und sagte: »Ich warte jede volle Stunde, daß die Glocke der Gefängniskapelle läutet. Sie ist heute stumm.«

»Ja«, nickte der Wärter, »sie scheint heute kaputt zu sein«. John Margie starrte zum Fenster hinaus. »Dann wird Gloria

Cannon heute wiederkommen. Zum letzten Mal. Und sie wird mich töten.«

Joe Baxter sah ihn ruhig an: »Na, nur Mut, Mr. Margie. Wir sind ja wohl auch noch da. Und vielleicht wird der Fall endgültig geklärt werden …«

*

Die Fenster des Appartements im »Hilton Oteli« waren verdunkelt.

Joe Baxter hatte alles getan, um dem Körper Viola Oggis die besten Bedingungen für eine Wiedervereinigung mit dem zurückkehrenden Geist zu bieten.

Doch er war in großer Sorge. Seine letzte Beobachtung hatte

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nämlich ergeben, daß sich die Haut Violas ganz leicht veränderte und daß die Haare fahl wurden.

Das bedeutete Alarmstufe eins. Jemand behinderte Viola Oggi daran, in ihren Körper zurückzukommen.

Baxter stellte sich vor Viola, preßte ihr seine Hände auf die Stirn und versetzte sich durch eine Schnellübung in Trance. Seine Hände vibrierten stark. Die Finger zitterten und zuckten.

»Viola …Viola … komm endlich in deinen Körper!« flehte Baxter eindringlich.

Und dann stand ein diabolisches Gelächter im Raum, und eine Stimme krähte: »Hier ist Belezar. Viola Oggi wird sterben. Aus ihr spricht jetzt ein fremder Dämon …!«

Baxter verlor nicht die Nerven. Die Situation war klar: Der Dämon Belezar saß im Körper Violas. Ihre Seele wurde irgendwo gebannt. Wenn das zu lange dauerte, gab es keine Rückkehr mehr und der Körper war dem Verderben geweiht.

Der Hauptkommissar startete einen verzweifelten Versuch. Er sprach mit ausgebreiteten Armen: »Das ist dein Ende Belezar. Wir haben uns soeben mit Katnandu versöhnt. Seine Freunde sind unsere Freunde. Unsere Feinde sind auch seine Feinde. Er wird Viola zurückholen, wo auch immer sie ist.«

Da krächzte die Stimme: »Ich werde mit Nepogor die Seele deiner Mitarbeiterin festhalten, und keiner wird sie uns nehmen.«

Dann fuhr er lachend aus dem Körper. Baxter konzentrierte sich auf Violas Geistsein, alarmierte

Guru Jogami und bat: »Alle müssen mithelfen. Violas Körper ist wieder frei. Wir müssen alles versuchen, die entkräftete Seele zurückzuholen …!«

Daraufhin sammelte Jogami die Kräfte aller Mitarbeiter des Parapsychologic Departments und sandte sie gebündelt nach Istanbul zu Joe Baxter.

»Viola, Viola, jetzt ist deine letzte Chance!« rief Baxter

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eindringlich. Und dann spürte er die Nähe von Viola Oggi. Er lachte laut

vor Freude. In diesem Augenblick meldete sich Viola aus ihrem Körper:

»Ich bin gerettet …!« Baxter taumelte zum Lichtschalter und knipste die

Deckenleuchte an. Er war vollkommen erschöpft, aber überglücklich.

Viola Oggi öffnete benommen die Augen. Leise sagte sie: »Danke, Joe. Ich dachte schon, ich müßte

sterben!« Dann fielen sie sich in die Arme. Plötzlich wich Baxter zurück. Er blickte auf die Uhr. Es war

bereits 23 Uhr. Hastig meinte er: »Wir müssen Olga drüben in ihrem

Zimmer aufwecken. Sie hat nach ihrer Rückkehr aus Athen genug geschlafen. Wir müssen ins Untersuchungsgefängnis. Gloria Cannon hat für heute ihr letztes und entscheidendes Erscheinen bei John Margie angekündigt …«

*

Baxters roter Mietwagen jagte durch die Stadt dahin. Olga Dussowa klopfte nervös die Knöchel der beiden Hände

gegeneinander. »Ich möchte endlich wissen, was es mit Gloria Cannon für eine seltsame Bewandtnis hat, warum sie den Mord an Quendolin Margie beging und in welcher Beziehung sie zu dem englischen Kaufmann steht.«

Baxter nickte. »Wir werden es gleich erfahren. Unsere Aufgabe wird es sein, den Spuk um Gloria Cannon zu beenden und John Margie zu schützen.«

Viola Oggi fragte: »Wie sollen wir das machen?« Baxter zuckte mit den Schultern. »Weiß ich noch nicht. Das

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müssen wir dem Augenblick überlassen.« Sie näherten sich dem Gefängnis. Olga Dussowa murmelte: »Wir müssen John Margie vor

Gloria Cannon retten, und wir müssen dem Dämon Katnandu zuvorkommen, damit er Gloria Cannon und ihre beiden Dämonen nicht vor uns vernichtet.«

*

John Margie saß zusammengekauert in einer Ecke seiner Zelle. Er starrte aufgeregt auf das vergitterte Fenster.

Immer wieder blickte er auf seine Armbanduhr. Die Leuchtziffern zeigten wenige Sekunden vor Mitternacht.

»Jetzt wird sie kommen«, flüsterte er. Dann lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Er spürte

eine Hand auf seiner linken Schulter und blickte hoch. Gloria Cannon stand neben ihm. Sie war nackt. Ihre Haut schimmerte transparent. Ihr Körper

wirkte lockend und zugleich abstoßend. »Geh, bitte geh!« flehte der Kaufmann. Ihre Stimme war leise und heiser: »Ich habe gesagt, daß ich

kommen werde. Du mußt dich entscheiden. Komm mit mir und bleibe bei mir. Oder du gehst elend zugrunde.«

Sie umarmte ihn. »Ich will dich nicht, verschwinde«, schrie er verzweifelt. Da ging eine schauerliche Verwandlung mit Gloria vor sich.

Sie umarmte ihn noch fester und veränderte sich von einer Schönheit in einen Mädchenkörper mit einem Totenkopf.

Sie öffnete ihr Knochenmaul, grinste und rief: »Das soll deine Strafe sein für deine Ablehnung. Du mußt mich jetzt küssen. Und wenn du es nicht tust, werden dich meine Dämonen in Stücke reißen. Du hättest es besser haben können. Aber jetzt mußt du mich so nehmen, wie ich mich dir präsentiere.«

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Sie näherte sich mit ihrem Totenschädel seinem Mund. »Nein«, wimmerte er. »Lieber sterbe ich!« »Dann wirst du eben sterben«, hauchte sie ihm gnadenlos

entgegen. Jäh schwang die eiserne Tür der Gefängniszelle auf. Joe

Baxter, Olga Dussowa und Viola Oggi kamen hereingestürzt. Gleichzeitig tauchten die Dämonen Belezar und Nepogor mit

lautem Schreien in der Zelle auf. Doch ihre Freudenschreie mündeten in qualvollen Rufen.

»Ihr Würmer!« donnerte eine Stimme über allen. »Ihr habt keine Zeit mehr, jemand zu vernichten, weil ich euch zertrümmere!«

Unsichtbare Kräfte schleuderten die beiden Dämonen als Nebelfetzen zu Boden. Dann wurden sie von unsichtbarer Hand aufgehoben und durchs Fenster ins Freie getragen. Ein Heulen hob an. Dann raste eine feuerrote Kugel über den Himmel davon.

Katnandu hatte seine Rache an seinen ehemaligen Vasallen und abtrünnigen Dämonen genommen.

Nur Gloria Cannon war ihm von Baxter und Viola Oggi entrissen worden.

Sie lag sterbend als irdisches Wesen auf der Erde. Ihr Vertrag mit den Dämonen existierte nicht mehr. Blut lief ihr aus Nase und Mund.

John Margie starrte sie an. »Sie sieht ein wenig aus wie Quendolin … Vielleicht bilde ich es mir aber auch nur ein!«

Sie schüttelte den Kopf, griff nach seiner Hand und flüsterte: »Du bildest es dir nicht ein. Verzeihung für alles, was ich getan habe. Als Quendolin dich kennenlernte, erzählte sie mir viel von dir. Sie zeigte mir deine Fotos. Sie schwärmte von dir. Sie schwärmte, was du für ein wunderbarer Mensch wärest. Ich erglühte vor Sehnsucht nach dir und beneidete Quendolin um dich. Ich beschloß, dich für mich zu gewinnen, koste es, was es

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wolle. Als Quendolin dich heiratete, erdachte ich mir einen Plan. Ich reiste euch nach Istanbul nach und beschaffte mir eine Imitation des Todessmaragdes, um den Mord zu verschleiern. Du machtest es mir leicht und kauftest den Ring. Da ich Angst hatte, es könnte etwas schiefgehen, verbündete ich mich mit den Dämonen Belezar und Nepogor. Sie boten sich mir an, als sie meine geheimen Wünsche erfuhren. Ich schloß einen Vertrag mit ihnen. Daher mußte ich durch einen Unfall sterben, um eine Wesenheit mit übernatürlichen Fähigkeiten zu werden. Als Quendolin eines Abends allein auf dem Zimmer war, hatte ich ihr heimlich einen Besuch abgestattet und das Iricäin auf das Bett gestreut. Quendolin berührte das Gift und starb. Ich aber verließ mit dem Aussehen Quendolins das Hotel und verwirrte die Menschen. Die Dämonen halfen mir, weitere Verwirrung zu stiften. Die beiden Polizisten, Inspektor Karahan und Kommissar Büyükada mußten ebenfalls sterben. Jetzt glaubten tatsächlich viele Menschen an den Fluch des Todessmaragdes …«

Joe Baxter trat nahe an die Sterbende heran: »Jetzt wirst du ohne Dämonen sterben und ins Jenseits gelangen können. Befreie deine Seele von einer Last und verrate uns dein Geheimnis. Wer bist du und warum hat dir Quendolin so viel von John erzählt?«

Stockend gestand Gloria Cannon: »Ich bin … Quendolins Schwester, und ich habe sie getötet, weil ich ihr den Mann nicht gönnte, den sie sosehr liebte. Dafür habe ich mein ganzes Leben und meine Seele verwirkt …«

Der Kopf fiel zurück. Sie hatte ausgelitten.

*

Mit heulenden Motoren stand die Linienmaschine auf dem

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Flughafen von Istanbul. Joe Baxter hatte Viola Oggi und Olga Dussowa zu beiden Seiten untergehakt. Sie erreichten die Gangway als letzte und liefen empor. Hinter ihnen schloß sich die Tür.

Eine Stewardeß begleitete sie zu ihren Sitzen und lächelte verbindlich: »Hatten Sie einen schönen Urlaubsaufenthalt in Istanbul?«

Baxter grinste süßsauer. Er ärgerte sich. Doch er antwortete: »Es war wunderbar. Nur ein wenig

langweilig war uns.« Olga Dussowa und Viola Oggi schmunzelten. Während sie sich anschnallten, fragte Viola Oggi: »Wohin

fliegen wir eigentlich? Wir vertrauen dir so blind, daß wir gar nicht erst gefragt haben, als du die Tickets besorgt hast.«

Joe Baxter nickte. »Danke für das Vertrauen. Wir werden in wenigen Stunden in London sein.«

»Ich dachte, wir fliegen nach Paris zu Dr. Duvaleux«, warf Olga Dussowa ein.

Baxter schüttelte den Kopf. »Er braucht uns in der Stadt an der Themse. Dort verschwinden in einem Sanatorium nämlich unentwegt kranke Menschen.«

Olga neckte den Hauptkommissar: »Könnte doch sein, daß sie sterben.«

»Das wäre möglich. Aber dann müßten sie als Wesenheiten im Jenseits auftauchen. Tun sie aber nicht, die Guten. Und da sie ja irgendwo geblieben sein müssen, haben wir einen neuen Fall …!«

Viola Oggi seufzte: »Na, dann auf ins Land der Whiskytrinker und Schloßgespenster.«

ENDE

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Vorschau

Das Haus der sprechenden Toten

von Henry Ghost

Das Haus der sprechenden Toten Der bekannte englische Millionär James Duncan, 72, wird

schwer krank in die Klinik des Nobelarztes Dr. Archibald Lovell eingeliefert. Wenige Tage später meldet die Direktion des Krankenhauses seinen Tod. Als die Verwandten und Journalisten aufkreuzen, gibt es keinen toten James Duncan. Die Leiche des Millionärs ist spurlos verschwunden. Das ist nicht der einzige mysteriöse Fall, der sich in der Klinik ereignet. Immer wieder verschwinden angeblich verstorbene Patienten und sind nicht wieder auffindbar. Doch hin und wieder hören Angestellte der Klinik die Stimmen der Toten deutlich im leeren Raum. Hauptkommissar Joe Baxter vom Parapsychologic Department wird mit seinen beiden Assistentinnen beauftragt, die mysteriöse Geschichte zu klären. Die drei kommen dahinter, daß Dr. Lovell äußerst makabre Experimente betreibt. Eines Nachts gelingt es Joe Baxter, in das Haus der sprechenden Toten einzudringen. Hier befinden sich alle, die in der Klinik im Sterben lagen und vom Arzt am natürlichen Hinüberschlummern gehindert wurden. Jetzt sind aus ihnen unzufriedene, an die Erde gebundene Tote geworden – Wesen, die vor keiner Rache zurückschrecken …


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