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DB Netz und Deutsche Bundesregierung planen Sprung in die ......Das Demographie-Problem von DB Netz...

Date post: 01-Jun-2020
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Hans Leister Zukunftswerkstatt Schienenverkehr DB Netz und Deutsche Bundesregierung planen Sprung in die Zukunft: ETCS und digitale Technologie für Stellwerke Minirex
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Page 1: DB Netz und Deutsche Bundesregierung planen Sprung in die ......Das Demographie-Problem von DB Netz ist das drängendste und schwierigste Thema im Zusammenhang mit der veralteten Leit-und

Hans LeisterZukunftswerkstatt Schienenverkehr

DB Netz und Deutsche Bundesregierung planen Sprung in die Zukunft:

ETCS und digitale Technologie für Stellwerke

Minirex

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Im Betrieb kostengünstiger, viel weniger Aus-senanlagen, weniger Störungen, geringereNachwuchssorgen und ein neues Berufsbilddes Fahrdienstleiters: So soll der Betriebschon in etwa 15 Jahren auf weiten Teilen desBundesschienennetzes ablaufen, wenn dieneuesten Planungen der DB Netz AG Reali-tät werden. Die technischen Begriffe für dieModernisierung lauten „Neue Produktion derDB Netz AG” (NeuPro), Digitale Stellwerke(DSTW) und European Train Control System(ETCS). Die beiden ersten Begriffe sind in derBranche bisher noch ziemlich unbekannt.ETCS kennt man – aber es wird von mancheneher als kostentreibendes Schreckgespenstgesehen, nicht als Weg zu geringeren Kostenund zur Digi talisierung des gesamten Schie-nenverkehrssektors.Jetzt will das Bundesverkehrsministerium fürdie DB Netz AG den Fahrauftrag für denersten Streckenabschnitt auf dem Weg in dieZukunft geben. Im Rahmen einer Studie zumDB-Projekt „Zukunft Bahn (ETCS/NeuPro)“wird bis Ende Jahr die Machbarkeit und Wirt-schaftlichkeit dieses Projekts von DB Netzgeprüft.Fällt das Ergebnis dieser Studie positiv aus,dann könnte die nächste Bundesregierungden Startschuss für das bisher grösste einzel-ne Modernisierungsprogramm auf Deutsch-lands Schienennetz geben, das zusätzlicheInvestitionen in die Digitalisierung der Bun-desschienenwege im Gesamtumfang vonzweistelligen Milliardenbeträgen innerhalb vonzwei Jahrzehnten erfordert – dann aber Jahrfür Jahr einen beachtlichen Milliardenbetragan Betriebsaufwand einsparen kann.Doch welche Probleme haben die DB NetzAG und deren Kunden eigentlich mit der vor -handenen Technik, die angeblich so dringendersetzt werden muss, wie will man die Pro -bleme mit NeuPro, DSTW und ETCS lösen,und welche anderen Vorteile rechtfertigendiese Investitionen?

Heutige StellwerksstrukturDerzeit betreibt DB Netz rund 3000 Stellwerkeaus den verschiedensten Bauserien und Bau-jahren, von mechanischen Modellen aus Kai-sers Zeiten über elektromechanische Stell-werke der Vorkriegszeit, Relaisstellwerke(Drucktastenstellwerke) bis hin zu elektroni-schen Stellwerken (ESTW). Die ersten derESTW sind nach 30 Jahren auch bereits ver-altet; es ist absehbar, dass es für EDV-Kom-ponenten der frühen Computerzeit bald keineErsatzteile und Systemunterstützung mehrgeben wird.Die Lösung: Einführung einer neu entwickel-ten Stellwerks-Bauform, von der man sichmassive Einsparungen erhofft, das DigitaleStellwerk (DSTW), einem wesentlichen Zu -kunftsprojekt der DB Netz AG für einenkosten günstigen Netzbetrieb. Zum DSTWwird auf die Erläuterung im Kasten ver wiesen.

Fahrdienstleiter und deren Arbeits-bedingungenFast die Hälfte des Umsatzes von DB Netzaus Trassenerlösen (derzeit rund 4,5 Mil -liarden Euro im Jahr) wird derzeit für Perso-nalaufwand benötigt. Der Grossteil des Per-sonals wird für die Bedienung und In stand -haltung einer Vielfalt an Stellwerks-Bauformenbenötigt. Fahrdienstleiter ist dabei nicht gleichFahrdienstleiter: Das Personal muss für dieunterschiedlichen Bauformen ausgebildetsein, aber auch – besonders bei älterenModellen – in die örtlichen Besonderheiten

eingewiesen sein. Der Öffentlichkeit deutlichwurde dies, als beim Stellwerk Mainz 2015wochenlange Zugausfälle und Umlei tungennotwendig wurden, weil nicht genug einge-wiesenes Personal für ein spezielles Stellwerkin Mainz vorhanden war.Manche dieser Stellwerk-Arbeitsplätze in derFläche erfordern im Normalbetrieb nur wenigeeinfache Bedienhandlungen pro Stunde; diefrüher manchmal übliche Kombination mitverkehrlichen Aufgaben (Fahrkartenschalter)ist längst weggefallen. Hohe Verantwortung(besonders im Störungsfall) kombiniert mitPhasen von grosser Langeweile und Ein -samkeit, so sieht der Alltag für manche Fahr-dienstleiter aus: Vielfach sind das heute allesandere als attraktive Arbeitsplätze.Das Demographie-Problem von DB Netz: Infünfzehn Jahren wird rund die Hälfte der heutigen Fahrdienstleiter im verdienten Ruhe-stand sein. Selbst wenn es rein zahlenmässiggelingen sollte, ausreichend Nachwuchs zufinden, werden junge Leute kaum begeistertsein, eine Ausbildung in der Bedienung undInstandhaltung offenkundig ver alteter Stell-werkstechnik zu machen, da irgendwanndoch moderne Technik Einzug halten wird.Das Demographie-Problem von DB Netz istdas drängendste und schwierigste Thema im Zusammenhang mit der veralteten Leit-und Sicherungstechnik des Bundesschie-nennetzes, und gleichzeitig der grösste Trei-ber für Innovation und Digitalisierung, um we niger, aber interessantere Arbeitsplätze zuschaffen.

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DB Netz und Deutsche Bundesregierung planen Sprung in die Zukunft:

ETCS und digitale Technologie für StellwerkeHans Leister*Zukunftswerkstatt Schienenverkehr

Was ist ein „Digitales Stellwerk“?

Nachfolger der Generation der Elektroni-schen Stellwerke (ESTW) sollen die DigitalenStellwerke (DSTW) werden. Der Unterschied:Ein ESTW hat zwar einen Computer als Kerndes Stellwerks; dieser Rechner bedient aberquasi nur ein konventionelles elektrischesSchaltwerk, das die Weichen und Signaledirekt mit Stellströmen durch Kupferkabelansteuert. Dicke Kabelbündel führen also voneinem ESTW zu den Weichen, Signalen undBahnübergängen.Ein DSTW übermittelt dagegen Stellbefehleper Informationstechnik (zum Beispiel perDatenkabel) an die Weichen und (sofern vor-handen) an die Signale. Diese Weichenantrie-be und Signale brauchen dazu eine Strom-versorgung, also den Anschluss an die nächst-gelegene „Steckdose“. Ähnliches gilt für dieGleisschaltmittel (zum Beispiel Achs zähler).Beim DSTW entfällt also, abgesehen von derStromversorgung, die auch lokal sein kann,der Grossteil der Kabel vom Stellwerk zu den Weichen und anderen Aussenelementender Leit- und Sicherungstechnik; sie werdendurch blosse Informationsübermittlung er -setzt. Weiterer Vorteil: Die Entfernung vomDSTW zu den Weichen und anderen Aussen-elementen kann sehr viel grösser sein als beieinem ESTW.Sowohl ESTW als auch DSTW können ausder Ferne bedient werden, also ihrerseits mit

einer Betriebszentrale über eine Datenleitungverbunden sein.Der wesentliche Vorteil von DSTW liegt in derReduzierung beziehungsweise dem Wegfallder Kosten für Kabel und Lichtsignale (wennauf ETCS ohne Signale umgestellt wird). Diesmacht bis zu 30 % der Investitionskosten derzeit gebauter ESTW aus. Darüber hinausist das System modular aufgebaut, mit Stan-dard-Komponenten, wie sie auch ausserhalbder Eisenbahn verwendet werden. Das solldie Instandhaltung dauerhaft günstiger undzukunftsfest machen – so die Erwartung derDB-Stellwerksfachleute.An dem System tüftelt DB Netz seit vielenJahren – inzwischen zusammen mit zehnanderen europäischen Bahnen im Verbund„euLynX“, darunter SNCF, SBB und die Netz-betreiber aus Benelux, Grossbritannien undNorwegen. Das System ist geistiges Eigentumder Bahnen, nicht der Industrie. Damit kannWettbewerb bei der Lieferung der Komponen-ten entstehen, was die Kosten reduzieren soll.Damit hat die DB Netz AG zum ersten Malmit dem Beschaffungsprinzip gebrochen, dasseit der Bahnreform 1994 galt: Die Industrieentwickelt, die Bahnen kaufen fertige Produk-te von der Industrie. Jetzt kommt man beiStellwerken zurück zur Praxis der DeutschenBundesbahn: Wenn notwendig und sinnvoll,entwickeln die Bahnen selbst.

In eigener Sache

Der vorliegende Aufsatz, der die Pläne derDB AG zur flächendeckenden Einführungvon ETCS Level 2 und neuer digitalerStellwerkstechnik innerhalb relativ kurzerZeit darstellt und insgesamt positiv beur-teilt, hat zu Diskussionen mit der Redak-tion geführt. Die Erfahrungen mit der Ein-führung von ETCS in den europäischenLändern, die sich bisher daran versuchen,sind sehr problematisch. Es ist nicht dasGleiche, ein neues Hochgeschwindig-keitsnetz (China) mit ETCS auszurüsten,wie gewachsene, vielgestaltige Bahnnetzemit sehr komplexen Bedingungen. Selbst-verständlich publizieren wir den Aufsatzdennoch, weil wir als unabhängige Zeit-schrift allen fachlich fundierten Meinun-gen ein Forum bieten wollen. (an)

* Hans Leister ist Mitglied im Netzbeirat DB Netz AGund Vizepräsident der Mofair e.V.

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SicherungstechnikHeute sind die im Personenverkehr befahre-nen Strecken im Bundesschienennetz mit derpunktförmigen Zugbeeinflussung (PZB), demNachfolger der Indusi aus den 1930er Jahren,ausgerüstet. Die mit Geschwindigkeiten vonüber 160 km/h befahrenen Strecken sowieeinige hoch belastete Streckenabschnitte ver-fügen heute über die sogenannte Linienzug-beeinflussung (LZB), bei der ein zwischen den Schienen verlegtes Kabel kontinuierlichDaten an den Zug mit Führerstandsignalisie-rung überträgt.Die LZB ist allerdings ein „Auslaufmodell“,muss bis zirka 2030 ersetzt werden und kannbei Neu- und Ausbau von Strecken aufgrundder EU-Regeln nicht mehr neu angewendetwerden. Der Ersatz für die LZB ist das funk-basierte ETCS Level 2.ETCS, das künftig einheitliche europäischeZugsicherungssystem, findet in Deutschlanderst auf wenigen Strecken Verwendung, soauf der Neubaustrecke Leipzig / Halle – Erfurt– Ebensfeld (Teil des Verkehrsprojekts Deut-sche Einheit Nr. 8).

KommunikationGSM-R, der derzeitige Mobilfunkstandard imeuropäischen Eisenbahnnetz, beruht auf der2G-Technologie, also dem Stand der Mobil-funktechnik in den 1990er Jahren. Der Wech-sel der Eisenbahn-Funkkommunikation aufkünftige Mobilfunkstandards wie 5G oder LTEwird derzeit vorbereitet.Die Einführung von ETCS Level 2 erfordert ingrossen Bahnknoten mindestens ein Upgradevon GSM-R, besser einen Wechsel auf einneues Mobilfunksystem, da sonst nicht genü-gend Datenübertragungs-Kapazität bereit-steht, um eine Vielzahl von Zügen in einemFunkbezirk gleichzeitig zu versorgen. Mit demneuen Mobilfunkstandard hat man dannjedoch eine Basis für moderne Anwendungenaller Art zur Verfügung, um das System desSchienenverkehrs für denkbare neue digitaleAnwendungen fit zu machen.

„NeuPro“: Beschleunigte Einführungvon DSTW und ETCSWenn der Neubau von digitalen Stellwerkennicht mehr mit der Beibehaltung von her-kömmlichen Signalen und PZB als Zugbeein-flussung verbunden ist, sondern auf Basis vonETCS Level 2 oS (ohne Signale) erfolgt, wirddas Ziel einer zügigen Umstellung auf DSTWschneller und einfacher erreichbar.Der Ersatz der bisherigen Zugbeeinflussungs-systeme durch ETCS ist bei allen Problemen,die mit der heutigen Technik verbunden sind, nicht das einzige Ziel (auch wenn damiteuropäische Vorgaben erfüllt würden). DieETCS-Einführung allein wäre für Deutschland

kaum wirtschaftlich. Allerdings kann dieKombina tion aus einer schnellen Umstellungauf ETCS und der Aufgabe der herkömm -lichen Zug beeinflussungstechnik mit der flä-chendeckenden Digitalisierung der gesamtenStellwerkstechnik eine wirtschaftliche Chancezur Lösung des oben erwähnten Demo -graphie-Problems bringen und nebenbei eineSteigerung der Betriebsqualität, der Kunden-zufriedenheit und der Kapazität bedeutensowie nicht zuletzt kostspielige (Ersatz-)Inve-stitionen in Alttechnik vermeiden.Konkret sieht der Vorschlag der DB dazu wiefolgt aus:

Schritt 1 in den ersten fünf Jahren:Ausrüstung aller Fahrzeuge mitETCS-BordgerätenAlle in Deutschland eingesetzten und um -rüstbaren Fahrzeuge werden zusätzlich mitETCS-Bordgeräten mindestens gemäss Base -line 3.4 ausgestattet. Die ETCS-Aus rüstungwird danach Netzzugangskriterium für Trieb-fahrzeuge und Steuer wagen auf dem Bun-desschienennetz, mit be fristeten Ausnahmenzugunsten der PZB für diejenigen der regio-

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Deutschland und ETCS – bisher ein schwieriges Verhältnis

Obwohl die Bundesregierung bereits in den1990er Jahren das Ziel der Einführung vonETCS in ganz Europa mit beschlossen hatte,tut sich Deutschland seit Jahren schwer mitder Einführung von ETCS. Die europäischenInstitutionen wiederum versuchen, die Natio-nalstaaten zur ETCS-Ausrüstung zu zwingen:Zuschüsse aus Europa für Schienenprojektegibt es nur, wenn die Strecken mit ETCS aus-gerüstet werden. Für die Einführung von ETCS gibt es einen„European Deployment Plan“ (EDP), der dieMindestausrüstung mit ETCS für bestimmteTermine vorschreibt. Deutschland hat für denEDP die Umrüstung der wichtigsten Güter-verkehrs-Transversalen mit ETCS Level 1 LSvorgeschlagen. In der Praxis ist vorgesehen,zusätzlich zur PZB die ETCS-Zugsicherungeinzubauen. Das bedeutet Mehrkosten für DB Netz, kein Nutzen für deutsche EVU,begrenzter Nutzen für ausländische EVU, diezwar mit ETCS-Lokomotiven ohne PZBbestimmte Korridore nutzen können, aberkeine weiteren Strecken.Die bisherige deutsche Abwehrhaltunggegenüber ETCS war zurückzuführen auf diegeringen Leistungsvorteile von ETCS gegen-über der PZB, die bei den Fahrzeugen in

Deutschland durchgehend eingebaut ist.Mittlerweile nimmt die Verbreitung von ETCSbei den Nachbarländern und damit die Zahlder ETCS-Fahrzeuge zu; seit 2015 sind alleNeufahrzeuge auszurüsten. Auch bei derInfrastruktur ändert sich die Interessenlage:Das Ende der LZB-Lebensdauer ist von derIndustrie angekündigt, und die Einführung derDSTW wird mit der gleichzeitigen Umstellungauf ETCS vereinfacht.Europa ist es gelungen, mit ETCS den Welt-Zukunftsstandard der Eisenbahn-Siche-rungstechnik zu setzen. Die chinesischeBahn nutzt CTCS, eine in weiten Teilen ver-wandte chinesische Anwendung von ETCS.Umso trauriger, dass die einzelnen Staatenin Europa ETCS sehr unterschiedlich um -setzen und es so zu einem Flickenteppich mitunterschiedlichen Varianten gekommen ist,noch weit davon entfernt, ein Standard imeuropäischen Eisenbahnnetz zu sein. DB Netzkönnte hier eine Schlüsselrolle bei der Schaf-fung eines echten einheitlichen Eisenbahn-netzes in Europa zukommen.

Dazu will sich Deutschland verpflichten: ETCS-Ausrüstung, mindestens Level 1 LS, bis 2030(Grafik: DB Netz).

Blechtafel an Stelle eines klassischen Hauptsignalsim Betriebsmodus ETCS Level 2 (Foto: DB AG).

Balise im Gleis. Sie dient bei ETCS Level 1 zur Über-mittlung der Zugsicherungsinformation und beiLevel 2 zur Standorterfassung (Foto: DB AG).

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nalen Netze, die bei der ETCS-Migration spä-ter erfolgt.

Schritt 2 bis zirka 2030: NeubauDSTW in wichtigen Korridoren, Netz-Umstellung auf ETCSIm zweiten Fünfjahresschritt wird es mit Inbe-triebnahme der ersten DSTW erste Netzbezir-ke mit ETCS Level 2 ohne Signale geben; dort werden ortsfeste Signale und PZB ent-fernt. ESTW neuerer Bauformen werden eben -falls auf ETCS umgestellt, ebenso die LZB-Abschnitte.Für Fahrten auf zirka 80 % der deutschenSchienenstrecken braucht ein Triebfahrzeugbereits im Jahr 2030 keine PZB-Ausrüstungmehr. Allerdings: Die Ausrüstung von grossenKnoten mit ETCS Level 2 ohne Signale setztauch voraus, dass zuvor ein neuer Mo bilfunk-Standard eingeführt wurde, eine weitere Her-ausforderung. Mindestens bis dahin bedarf esdaher in Knoten und auf bestimmten Strek-kenabschnitten der Zwischenlösung ETCSLevel 1 LS (Limited Supervision), an welchedie PZB angeschlossen wird.

Schritt 3 bis 2037: Gesamtes Netz mitDSTW und „ETCS only“Nach 2030 erreichen DSTW und ETCS auchdie übrigen Teile des deutschen Schienen -netzes. Signale und PZB-Magnete wird esdann in Deutschland nur noch im Museum

geben – oder vielleicht noch bei NE-Bahnen,wenn diese nicht parallel umstellen.

Kosten und WirtschaftlichkeitDer gesamte Investitionsaufwand des Pro-jekts NeuPro/ETCS umfasst nach heutigemStand etwa 20 bis 25 Milliarden Euro, ohnedie Ausrüstung der Fahrzeuge. Dafür hättedann aber die Eisenbahn in Deutschland in 15 bis 20 Jahren eine komplett digitale Be -triebssteuerung, ohne ortsfeste Signale undohne alte Stellwerke, die man aufgrund desDemographie-Problems ohnehin kaum mehrbesetzen könnte.

Diesem gewaltigen Investitionsprogramm sol-len später grosse Einsparungen im Netzbe -trieb gegenüberstehen: Wesentlich geringereNeueinstellungen beim Personal, Einsparun-gen bei der Instandhaltung, geringere Ersatz-investitionen für veraltete Anlagen. DSTW mitETCS sind kostengünstiger in der Errichtungals der Bau neuer Stellwerke mit Neubau vonSignalen und PZB.

Allerdings müssen dabei auch die notwendi-gen Investitionen in die Fahrzeuge berück-sichtigt werden: Die in der Migrationsphasezunächst nötige Doppelausrüstung mit ETCSund PZB, für viele Fahrzeuge auch noch mitLZB als drittem System, sowie der Investi -tionsaufwand für die ETCS-Fahrzeugzulas -sung sind kostenträchtig – und zeitlich vor -gelagert. Die Alternative – eine Doppelaus -

rüstung der Infrastruktur über viele Jahrzehnte– würde aber über die Trassenpreise auch dieganze Bahnbranche belasten.

Kosten der Fahrzeug-UmrüstungDie Erstausrüstung aller in Deutschland ein-gesetzten zirka 15 000 Triebfahrzeuge undSteuerwagen erfordert bereits einen Aufwand,der in die Milliarden geht. Genaue Zahlendazu sind derzeit nicht verfügbar, weil heutenoch niemand weiss, in welchem Mass durchSerienproduktion und standardisierte Zulas-sungsprozesse dabei Kostensenkungen er -reicht werden können.

Bei den Fahrzeugen kommen noch vorüber-gehend erhöhte Instandhaltungskosten zurregelmässigen Überprüfung der zwei oderdrei verschiedenen Sicherungssysteme dazu,die über alle Eisenbahnverkehrsunternehmenin Deutschland einen weiteren dreistelligenMillionenbetrag pro Jahr erreichen dürften.

Angesichts der kritischen Wirtschaftslage vieler EVU werden diese Anschub-Investitio-nen und die höheren Betriebskosten für einInfrastrukturprojekt nur getätigt werden, wennsie vom Bund beziehungsweise vom bundes-eigenen Infrastrukturunternehmen übernom-men werden – entweder direkt oder übergezielte Nachlässe bei den Trassenpreisen.

Schwierig in Geld zu beziffern sind die Vorteileaus der erhofften höheren Zuverlässigkeit der modernen neuen Stellwerke und die

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Wichtige Erklärungen und Begriffe aus der ETCS-Welt

ERTMS: European Rail Traffic ManagementSystem, bestehend aus ETCS und GSM-R(siehe unten)

ETCS: European Train Control System (Zug-beeinflussung)

Balisen: Zumeist gelbe Transponder in Gleis-mitte, die in der Regel eine fest einprogram-mierte „Botschaft“ an den Zug senden. DieBalise braucht dazu keine Stromversorgung,sie er hält die Energie für die Datenübermittlungvon der Antenne des Zuges. Balisen werdenoft doppelt verlegt, um die Fahrtrichtung zuer kennen und die zuverlässige Übermittlungder Information zu garantieren. Da die Daten-dichte bei der Übertragung von der Balisebeschränkt ist, können bei komplizierten Ver-hältnissen auch mehrere Balisen hintereinan-der notwendig sein.

Schaltbare Balise: Die Information, welche dieBalise zum Zug sendet, ist nicht fest program-miert, sondern richtet sich zum Beispiel nachden Begriffen eines benachbarten Signals.Wird üblicherweise bei Level 1 angewandt undbe nötigt eine Kabelverbindung zum Signal.

ETCS Level 1: Es gibt keine kontinuierlicheVerbindung zwischen Zug und Stellwerk. DerZug erhält Informationen über Signalstellungoder zugelassene Geschwindigkeiten zumBeispiel über schaltbare Balisen; fest program-mierte Balisen dienen als Wegmarken.

ETCS Level 1 LS (Limited Supervision): InDeutschland handelt es sich hierbei um dieNachbildung der Funktion PZB im ETCS-System, damit Fahrzeuge, die nur eine ETCS-Ausrüstung an Bord haben, das mit PZB aus-gerüstete deutsche Netz befahren können.Dazu werden zusätzlich zur PZB schaltbareBalisen eingebaut, die (wie oben beschrieben)die Funktion der PZB für Fahrzeuge, die mitETCS ausgerüstet sind, nachbilden. Derzeitrüstet DB Netz einige der EU gemeldeteETCS-Strecken zusätzlich zur PZB mit ETCS

Level 1 LS aus. Damit können sowohl Fahr-zeuge mit deutscher PZB als auch Fahrzeugemit ETCS diese Strecken nutzen.ETCS Level 2: Die Züge erhalten vom RadioBlock Center (RBC, siehe unten) eine Fahrer-laubnis („MA“, Movement Authority), die eineZugfahrt bis zu einem definierten Ort entlangeiner definierten Fahrstrasse umfasst. Deneigenen Standort ermittelt das Fahrzeug überdie Balisen und aus eigener Wegstreckenmes-sung zwischen den Balisen-Standorten. Ausden Daten des Zuges berechnet das Fahr-zeug die jeweils gültigen Bremskurven vor Ge schwindigkeitsbeschränkungen oder demEnde der MA. Ortsfeste Signale werden mitLevel 2 überflüssig, wenn alle Züge dieseBetriebsart nutzen, und man kann zu Level 2ohne Signale (oS) übergehen.ETCS Level 3: Die Züge melden ihren Stand-ort, ihre Zuglänge und ihre Vollständigkeit andas RBC (siehe unten), das aufgrund dieserInformationen die freigewordenen Strecken-abschnitte sofort für andere Zugfahrten frei-geben kann. Dies setzt eine sichere und zuver-lässige Überwachung der Vollständigkeit desZuges voraus und eine absolut zuverlässigeund sehr genaue Ortung des Zugstandorts.Mit Level 3 wird die Ausrüstung der Streckenmit Gleisfreimeldeanlagen (zum Beispiel Achs-zähler) überflüssig (bei lokomotivbespanntenZügen heute noch nicht gelöst).Class B-Systeme: Darunter versteht man dieherkömmlichen nationalen Zugsicherungssy-steme, in Deutschland die PZB (punktförmigeZugbeeinflussung) und die LZB (linienförmigeZugbeeinflussung).GSM-R: Vorhandenes Funksystem der euro-päischen Eisenbahnen; technisch entsprichtes dem GSM-Mobilfunkstandard aus den1990er Jahren (2G). Dieses System sollteirgendwann durch ein neues, verbessertesSystem (4G oder 5G) abgelöst werden, da dieTelekommunikationsindustrie Komponenten

für den veralteten GSM-Standard 2G nur mehreingeschränkt liefern wird. Für ETCS Level 2wird das neue System oder zumindest einUpgrade von GSM-R benötigt, weil das heutevorhandene GSM-R in grossen Knoten nichtgenug Datenübertragungs-Kapazität für ETCSLevel 2 bereitstellen kann.RBC: Radio Block Center, Bindeglied vomStellwerk (ESTW oder DSTW) zur Funkverbin-dung zum Zug, notwendig für ETCS Level 2oder 3. Bei einem DSTW ist es möglich, dasRBC in das DSTW zu integrieren.Baseline: Versionsnummer der ETCS-Spezifi-kation. Heute ausgerüstete Strecken in Europa(in Deutschland Halle / Leipzig – Erfurt) sindnoch gemäss Baseline 2 ausgerüstet, DB Netzplant für den flächendeckenden Rollout dieAnwendung mindestens der Baseline 3.4. Auf-grund der Lage Deutschlands im europäischenBahnnetz dürfte die DB damit den europäi-schen Standard setzen. Fahrzeuge gemässBaseline 3.4 sind grundsätzlich auch abwärts-kompatibel einsetzbar, also können Fahrzeugemit Ausrüstung Baseline 3.4 auch auf Streckenmit Baseline 2 fahren, umgekehrt geht dasnicht.TRIP: Zwangsbrems-Funktion von ETCS, zumBeispiel im Fall einer Überschreitung der nachder Bremskurve zulässigen Geschwindigkeit,oder bei Überfahren des Endes der Fahrer-laubnis. Der Begriff ist abgeleitet vom engli-schen Verb „to trip“, „ein Bein stellen“.Fiesling: Im Fahrzeug-Monitor zeigt eine Mar-kierung den Beginn einer bevorstehenden Ge -schwindigkeitseinschränkung in einer logarith-mischen Entfernungsangabe. Diese Markie-rung bewegt sich zunächst nur langsam, dadie Wegstreckenmarken weit auseinander -liegen, und wird mit der Annäherung zuneh-mend schneller. Dieses „fiese“ Verhalten hatder Markierung bei den Triebfahrzeugführernim deutschsprachigen Raum seine Bezeich-nung eingebracht.

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Kapa zitätseffekte einer komplett einheit-lichen digi talen Leit- und Sicherungstechnik.Noch schwieriger kann man beziffern, welche positiven Effekte ein automatisierungsfähiges„Schienenetz 4.0” auf den künftigen Eisen-bahnbetrieb haben wird.Die digitale Ertüchtigung des Schienenver-kehrs für künftige Verkehrsaufgaben wirdletztlich ein Teil der europäischen und natio-nalen CO2-Agenda sein, die noch im einzel-nen bewertet werden muss.

Kapazität des SchienennetzesModerne Stellwerkstechnik und ETCS ermög-lichen grundsätzlich zusätzliche Blockteilungohne grosse Mehrkosten und damit eineKapazitätssteigerung. Allerdings: Wenn DBNetz die Blockteilung verändern und damitdie Streckenkapazität erweitern will, ist nachheutiger Rechtslage ein Planfeststellungs -verfahren notwendig – mit allen Folgen undUnwägbarkeiten. Grössere Kapazität einervorhandenen Bahnstrecke durch eine zeit -gemässe technische Ausstattung ist sicher-lich verkehrspolitisch sinnvoll, erfordert aberheute die vorgängige Interessenabwägungmit den betroffenen Bürgern entlang die-ser Strecke. Deshalb ist NeuPro/ETCS zwardie Grundlage für Kapazitätserweiterung; die Re alisierung von kapazitätserweiterndenMass nahmen ist aber nicht eingerechnet, umim ersten Schritt das Projekt für sich beurtei-

len zu können. Konkret: Im ersten Schritt wer-den die heutigen Blocksignale durch ETCS-Abschnitte ersetzt und nicht verdichtet; eineKapazitätssteigerung ist aber in technischerHinsicht einfacher möglich als mit herkömm-licher Signaltechnik.

Vorbereitende Arbeiten im Bundes-verkehrsministeriumDas Bundesverkehrsministerium hat derzeiteinen Gutachter-Auftrag vergeben, ein weite-rer ist unmittelbar vor dem Zuschlag.Beim ersten Auftrag geht es darum, einennationalen Umsetzungsplan für die ETCS-Ausrüstung im bisher vorgesehenen finan -ziellen Rahmen, also eine Migration imSchneckentempo mit Doppel- und Dreifach-ausrüstung von Strecken und Fahrzeugenüber viele Jahrzehnte, zu erarbeiten. DieserUmsetzungsplan soll einerseits mit den Euro-päischen Institutionen konsensfähig sein undandererseits einigermassen sinnvolle Zwi-schenzustände für die lange Zeit, in der ETCSnoch nicht voll verfügbar ist, vorsehen. DiePZB bliebe noch auf Jahrzehnte auf den mei-sten Strecken verfügbar, die kostenträchtigeDoppelausrüstung wäre zu nehmend Stan-dard. Die Automatisierung des Bahnbetriebswäre weiter nur ein Wunschtraum, Deutsch-lands Schieneninfrastruktur wäre in weitenTeilen ein analoger und nicht automatisier -barer Nostalgiebetrieb.

Dieser Umsetzungsplan wird intensiv unter-sucht, obwohl ihn weder Ministerium noch DBwirklich wollen, höchstens Eisenbahnver-kehrsunternehmen, die vorwiegend Altfahr-zeuge einsetzen. Er muss aus zwei Gründenaufgestellt werden: Erstens braucht mangegenüber den EU-Institutionen einen ver-bindlichen Ausrüstungsplan, der mindestenserfüllt werden muss, zum zweiten ist dieserPlan als Bezugsfall notwendig. Die Wirtschaft-lichkeit der tatsächlich beabsichtigten schnel-len Migration zu DSTW und ETCS muss sichan der Alternative messen lassen, nämlich derMigration über viele Jahrzehnte mit Doppel-ausrüstung vieler Strecken.Daher ist der zweite Auftrag des Ministeriumsder eigentlich wichtige: die eingangs er -wähnte Machbarkeitsstudie zu dem Vorhaben„ETCS/NeuPro“, die den Beweis einer volks-wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit einer schnellenMigration zu moderner digitaler Stellwerks -technik und ETCS Level 2 ohne Signale er -bringen soll.Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit ist dieVoraussetzung dafür, dass DB Netz und dienächste Bundesregierung über die Realisie-rung und die Finanzierung dieses grossenProgramms verhandeln können.

Umsetzung in der BundespolitikNoch vor kurzem wäre es absolut utopischgewesen zu glauben, dass der Bund bereit

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Vorschlag für die Verpflichtung Deutschlands im Rahmen des European Deploy-ment Plans (EDP) zur Einführung von ETCS zur Mindestausrüstung bis 2030(Grafik: DB AG).

Projekt ETCS/NeuPro der DB AG: Die grün unterlegten Netzbezirke sollen biszirka 2030 komplett auf ETCS umgestellt werden, zusätzlich weitere Streckenund Korridore (Grafik: DB AG).

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sein könnte, über viele Jahre hohe Milliar-den-Euro-Beträge pro Jahr noch einmal zu -sätzlich in die Modernisierung der Bundes-schienenwege zu stecken. Die Digitalisie-rungs-Begeisterung, die die deutsche Politikerfasst hat, könnte es möglich machen. EinePhysikerin als Bundeskanzlerin und die Um -strukturierung des hergebrachten Bundes-verkehrsministeriums in ein Ministerium fürDigi talisierung zeigen hier ungeahnte Wir -kungen.

Aus der Not mit der alten Stellwerkstechnikund dem drohenden Demographie-Problemmacht der Infrastruktur-Vorstand der DB AG,Ronald Pofalla, eine Tugend und proklamiertauf höchster Ebene, dass sich Deutsch-land hier eine Chance bietet, die modernstegrosse Schieneninfrastruktur in Europa zuschaffen. Nebenbei ist es auch eine Chancefür die deutsche und europäische Industrie,die digitale Stellwerkstechnik und den in -zwischen weltweit genutzten ETCS-Standard

weiterzuentwickeln und im inter nationalenVerkauf zu nutzen – zusätzliche wichtigevolkswirtschaftliche Effekte. Es ist damit zurechnen, dass das Thema in die Koalitions-verhandlungen für die nächste Bundesregie-rung Eingang findet. Die gesamte Bahnbran-che hat sich darauf ver ständigt, Innovation imSchienensektor als eine von drei zentralenForderungen an die nächste Bundesregierungzu adressieren. Konkret könnte der/die näch-ste Bundes kanzler(in) in der ersten Regie-

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Was soll man vom Projekt ETCS/NeuPro halten?

Viele haben lange darauf gewartet, dass derVorstand der Deutschen Bahn AG eineZukunftsstrategie für die Eisenbahn inDeutschland entwickelt, und dass DB Netzsich Gedanken darüber macht, wie man dieSchienenwege im Wettbewerb mit anderenVerkehrsträgern in die Zukunft führen kann. DB Netz kann mit einem veralteten Produk -tionsapparat, teilweise noch aus Kaisers Zeiten, nicht mit der digital aufgerüstetenAutobahn konkurrieren, das ist sicher.Aber vielleicht ist es jetzt soweit: Die DB NetzAG denkt gesamthaft nach über die eigeneZukunft und die des Schienenverkehrs inDeutschland. In der Kombination der neuenStellwerkstechnik (DSTW) mit ETCS soll derSchritt in die Zukunft erschwinglich werden,auch wenn konzerneigene wie andere Eisen-bahnverkehrsunternehmen bei ETCS nochskeptisch sind. Der Grundgedanke dürfte rich-tig sein – vorbehaltlich der Überprüfung durchdie Machbarkeitsstudie des Bundes. Doch esbleibt einiges zu bedenken, so dass An lass zuAnmerkungen be steht.

Vom Ausland lernen, bevor man FehlerwiederholtIm Ausland hat man bereits sehr viel Lehrgeldmit der Einführung von ETCS gezahlt. Allzu oftwurden Termine nicht eingehalten, verlief dieMigration schwierig, wurde der Kostenrahmengesprengt und sind die erhofften positivenEffekte nicht so eingetreten wie versprochen.Das sollte eine Task-Force „Erfahrungen ausdem Ausland“ schonungslos analysieren undVorschläge machen, wie man woanders be -reits erkannte Fehler vermeiden kann – unterEinbezug aller in Deutschland Beteiligten, ins-besondere auch der Dritten, der nicht-DB-EVU, und der Lokomotivvermieter, wo vielErfahrung schlummert.Das blosse Versprechen der EuropäischenEisenbahnagentur (ERA), mit der neuen Base-line 3 werde das alles aufgrund der nun perDefinition vorhandenen Inter operabilität nichtmehr passieren, reicht jedenfalls nicht. Hier giltes, die EU-Kommission und die ERA in diePflicht und beim Wort zu nehmen. Änderungenwie beim Wechsel von Baseline 3.3 auf 3.4und die dadurch in den Projekten ausgelöstenAuswirkungen darf es in Zukunft nicht mehrgeben. Stabile Grundlagen und die Abwärts-kompatibilität der Baseline bilden zwingendeGrundlagen für einen sektorweiten Einsatz derneuen Technik. Das zeigen die Erfahrungen imAusland und bei den bisherigen Projekten inDeutschland.

Richtige ProjektstrukturHeute arbeitet ein Dutzend Fachleute der DBNetz AG an dem Programm; das mag für eineerste Phase reichen, ist aber auf Dauer für einThema dieser Tragweite absolut unzureichend.Wenn der Bund ein solches Programm finan-zieren soll, ist eine angemessene Projektstruk-tur Voraussetzung. Das Mitarbeiterteam muss

gross und kompetent genug sein, um ein sol-ches Riesenprojekt auch zu beherrschen, unddabei müssen die Nutzer des Schienennetzesbeteiligt werden – alle, nicht nur die konzern-internen.Ähnliches gilt für die staatliche Seite. Es istoffenkundig, dass dieses Zukunftsprojekt auchim Ministerium, beim Eisenbahn-Bundesamtund anderen Behörden zur Chefsache wer-den muss – mit angemessener Ausstattung anPersonal und Ressourcen. Vielleicht brauchtes dafür eine bessere Behördenstruktur: Eineleistungsfähige Eisenbahn-Abteilung im Mini-sterium, ein Eisenbahn-Bundesamt mit deut-lich grösserer Zuständigkeit, vielleicht wenigerRegulierung, dafür strukturierte Beteiligungund gemeinsame Vorschläge aller Branchen-vertreter – und Selbsteinführung von Stan-dards durch die DB, die eine unabhängigeFührung der Infrastruktur im Konzern sicher-stellen, um im Gegenzug die nötige Unter -stützung bei diesem Projekt zu erhalten.

Ausreichend Testen und Erproben, nichtim Betrieb nachbessernAlle Komponenten und Subsysteme sind aus-führlich zu testen, bevor sie im Bahnbetriebeingesetzt werden – das versteht sich eigent-lich von selbst. Aber Eisenbahnbetrieb ist oftviel komplexer, als bei der Konzeption von neuer Technik angenommen wurde. Deshalbmuss möglichst viel Fachwissen herange -zogen werden, von erfahrenen Betriebs-Fach-leuten und Lokomotivführern, auch von ande-ren Bahnen, nicht nur aus der DB selbst.Eine Erprobung in einer realen Testumgebungauf einem „Strecken-Labor“ erscheint not -wendig. Noch gibt es dafür keinen konkre-ten Plan.Bevor man an die Umrüstung grosser Knotengeht, sollte in Betriebssimulationen die einzu-setzende Technik einem Stresstest unterzogenwerden. Im Ausland erlebte man unliebsameÜberraschungen, dass zum Beispiel bestimm-te betriebliche Handlungen mit ETCS deutlichlänger dauern oder komplizierter werden.Ein Stresstest ist auch notwendig, was dieSicherheit von Datenverbindungen angeht.Der Ausfall der Fahrgastinformation bei DBStation & Service durch das „Wanna-Cry-Virus“ war ein Warnsignal, auch wenn davonsicherheitsrelevante Datentechnik nicht betrof-fen war, weil sie offenbar schon heute bessergeschützt ist als die Zugzielanzeiger.

Den Faktor Mensch berücksichtigenDie Migrationsphase verlangt von den Trieb-fahrzeugführern und Fahrdienstleitern Höchst-leistung. Der ständige Übergang von einem insandere System ist eine Herausforderung, dieSumme von alten und neuen Betriebsvor-schriften ist schwieriger beherrschbar. EinÜberarbeiten und Vereinfachen heutiger Be -triebsvorschriften ist notwendig, bevor dieWelle an zusätzlichen (Übergangs-)Vorschrif-

ten aufgrund der ETCS-Migration über Loko-motivführer und Fahrdienstleiter hereinbrechenwird. Deshalb müssen alle, die davon betroffensind, vor allem Fahrdienstleiter und Triebfahr-zeugführer, nicht nur „mitgenommen“, son-dern frühzeitig aktiv beteiligt werden.

Die Interessen anderer Eisenbahnunter-nehmen berücksichtigenDie Finanzierung der Fahrzeugumrüstungmuss gelöst werden, sonst kann das Projektnicht beginnen. Nur mit Beteiligung aller Eisen-bahnverkehrsunternehmen kann das Projekterfolgreich sein. Darüber hinaus ist aber zuprüfen, ob und wie das Digitalisierungs-Projektauch auf die Strecken ausserhalb des DB-Konzerns erweitert wird, schliesslich gibt esneben dem DB-Netz noch zirka 6000 Kilome-ter andere Schieneninfrastruktur in Deutsch-land (nicht-bundeseigene Eisenbahnen undöffentliche Hafen- und Werksbahnen).

Kapazitätssteigerung von vornehereinmit berücksichtigenDSTW und ETCS sind die technische Basis füreine deutliche Kapazitätssteigerung. Wennplanungsrechtliche Verfahren zu kompliziertsind, um die technische Basis für mehr Zug-verkehr nutzen zu können, liegt die Lösungnicht darin, das technische System nur be -schränkt zu nutzen, sondern darin, die Plan-feststellungsverfahren zu vereinfachen und zube schleunigen.Der Gesetzgeber ist gefordert, damit das inve-stierte Geld den bestmöglichen Nutzen bringt.Hohe Auslastung vorhandener Strecken istbesser als teurer Streckenneubau.

Zugkräftige Projektbezeichnung finden„NeuPro/ETCS”, mit einer solchen Bezeich-nung kann man vielleicht ein neues Waffen -system verkaufen, aber nicht das wichtigsteZukunftsprogramm des Schienenverkehrs,und damit einen wichtigen Beitrag zu Klima-schutzzielen. Ein Begriff ist gesucht, der denBürgern, die mit ihren Steuern das alles finan-zieren sollen, deutlich macht, worum es geht.Vielleicht nennt man das Projekt einfach „Digi-tale Zukunft Schiene“.

Die Chancen nutzen!Das Projekt der schnellen Einführung vonDSTW und ETCS ist es wert, in die Reihe derTop-Zukunftsprojekte Deutschlands aufzu -steigen. Wenn es gelingt, mit dem Schlagwort„Digitalisierung“ eine Modernisierung derSchieneninfrastruktur innerhalb von 10 bis 15 Jahren zu erreichen, wäre das eine Rie-sen-Chance dafür, den InnovationsstandortDeutschland auch auf den Schienenverkehrauszuweiten – und die Basis, dass der Schie-nenverkehr den notwendigen grossen Beitragzu einem CO2-armen Verkehrssektor leistenkann!

Page 8: DB Netz und Deutsche Bundesregierung planen Sprung in die ......Das Demographie-Problem von DB Netz ist das drängendste und schwierigste Thema im Zusammenhang mit der veralteten Leit-und

rungserklärung die Absicht erklären, das Bun-desschienennetz in einem mutigen Schrittinnerhalb von zehn Jahren zu 80 % und inner-halb von 20 Jahren zu 100 % „digital“ zubetreiben, und damit den Startschuss für dasProjekt geben.

Die Umstellung aller Fahrzeuge auf ETCSinnerhalb von fünf Jahren wird dann der logi-sche erste Schritt sein, die Umstellung derweithin veralteten Stellwerkstechnik auf digi-tale Stellwerke der zweite Schritt.

Die dazu notwendige Überzeugungsarbeitsteht aber erst am Anfang, die Öffentlichkeitund auch Teile der Bahnbranche müssen erstinformiert werden.

Umsetzung in der Eisenbahn-Branche insgesamtDie Tücke des Projekts: Die grossen An -schub-Investitionen müssen von den Eisen-bahnverkehrsunternehmen (EVU) gestemmtwerden, nicht vom Netzbetreiber. Es ist kaumvorstellbar, dass die EVU diese Anfangsinve-stition, der auf viele Jahre kein Nutzen aufihrer Seite gegenübersteht, freiwillig tätigenwerden – und tätigen können, angesichts der derzeitigen Position der Eisenbahnen aufdem Verkehrsmarkt. Hinzu kommt ja noch diemittelfristig parallel notwendige Ausrüstungmit neuen Fahrzeug-Funkgeräten.

Der Bund wird sich also gegebenenfalls mitder EU dazu bereit erklären müssen, die Erst-ausrüstung der Fahrzeuge und die Mehr -kosten für die zunächst notwendige Doppel-

ausrüstung zu übernehmen oder die Eisen-bahnverkehrsunternehmen durch Senkungder Trassenpreise zu entlasten, wenn er dieschnelle Migration in die Schienen-Zukunfthaben will. Die be schleunigte europäischeIntegrationsleistung, die die Einführung vonETCS ja auch darstellt, sollte auch der EUetwas wert sein – in Euro.

Überzeugungsarbeit gegenüber den EVU istjedenfalls noch reichlich zu leisten – zusam-men mit der notwendigen wirtschaftlichenUnterstützung der Vorleistungen der EVU.

Start für das digitale SchienennetzDas Management der DB Netz AG ist über-zeugt davon: Mit dem Netzbetrieb durchDSTW und der Komplett-Ausstattung desdeutschen Schienennetzes mit ETCS Level 2ohne Signale lassen sich die Betriebskostendes Netzes deutlich senken sowie die Kapa-zität und Zuverlässigkeit steigern; die Basisfür die digitale Zukunft des Schienennetzeswird damit gelegt.

Wenn sich in der Machbarkeitsstudie bestä-tigt, dass die schnelle Umsetzung insgesamtsinnvoller ist als eine Nach-und-nach-Stell-werksmodernisierung mit kleinen Jahresbud-gets in einem Zeitraum von vielen Jahrzehn-ten, könnte dieses Zukunftsprojekt bald inAngriff genommen werden.

Es wäre das grösste einzelne Investitions-und Modernisierungsprogramm in das deut-sche Schienennetz und den Schienensektorinsgesamt, das je gestartet wurde.

422 Eisenbahn-Revue International 8-9/2017

Schlechtes Image von ETCS heute

Das Image von ETCS in Europa hat durchdie Schwierigkeiten mit der Ausrüstungder Fahrzeuge und vielen unterschied -lichen Standards in der Baseline 2 gelit-ten. Auch die komplexen Betriebsvor-schriften, die aus dem Nebeneinandervon alter und neuer Sicherungstechnikund dem Ein- und Ausfahren in ETCS-Abschnitte kommen, haben dem Imagevon ETCS nachhaltig geschadet. Die künf-tige Baseline 3.4 soll Abhilfe schaffen –hoffentlich. Das ist aber erst zu beweisen.Eine weitere Zukunftshoffnung ist dieSenkung der Kosten bei der Fahrzeug-ausrüstung. Heute muss man mit riesi-gem Einmal-Aufwand für die Zulassungder ETCS-Bordgeräte je Baureihe rech-nen, jedenfalls bei der Umrüstung vor -handener Fahrzeuge, plus einem sechs-stelligen Euro-Betrag je Triebfahrzeug fürdie Bordgeräte, die On-board units (OBU).Die Überprüfung der ETCS-Geräte kostetdarüber hinaus einen beachtlichen fünf-stelligen Euro-Betrag – jedes Jahr, fürjedes Triebfahrzeug. In der Übergangszeitmuss dazu auch die PZB weiter gewartetwerden, auch dafür entstehen Kosten.Interessant: Ausserhalb Europas ist ETCSein Verkaufserfolg. Australien, China, Tai-wan, Äthiopien, Israel: Fast überall, womoderne Eisenbahninfrastruktur entsteht,ist ETCS als Standard gesetzt und klaglosim Einsatz. So schlecht kann ETCS alsonicht sein – richtig eingesetzt.

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