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Foerster
Textfeld
978-3-7910-3339-6 Rutschmann/Belz, Reales Marketing © 2014 Schäffer-Poeschel Verlag (www.schaeffer-poeschel.de)
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1. Marketing in der realenKundenwelt12

Marketing in der realen Kundenwelt ist nicht selbstverständlich.Die Gedanken sind frei und schön, entsprechen aber nicht un-bedingt dem realen Verhalten. Dieser Beitrag demontiert dasIdentifikationsmarketing und plädiert dafür, dass sich Marketingnahe am Kunden bewegt, seine Handlungen auslöst und ihneffizient zum Kauf führt. Es geht hier also um handlungs- undkundenprozessorientiertes Marketing. Der Ansatz ist übergrei-fend, aber aus dem Dialogmarketing entstanden und daher bleibtdessen Stellenwert hoch. Sehr intensiv sind aktuelle Geschäfts-modelle und die Kommunikation im Internet darauf angewiesen,den Weg der Kunden im Netz wirksam zu begleiten. Dabei sinddie Kundenprozesse off- und online mannigfaltig verknüpft.

Reales Marketing führt zu mehr Erfolg und stärkt damit dieStellung des Marketings im Unternehmen. Reales Marketingbringt eine neue Faszination in die Aufgaben des Marketings.

1.1 EinstiegUnsere Ausgangslage ist ein zunehmendes Gerangel in denMärkten. Innerhalb dieses Gerangels gibt es zwei Wege, umKunden zu erforschen und Lösungen im Marketing zu lancieren.

Wer Marketing beobachtet, kann die beiden Welten leicht erken-nen: Die Identifikationswelt stützt sich auf klassische Marktfor-schung und steigert die Attraktivität des Anbieters im Kopf desKunden. Die Handlungswelt konzentriert sich auf Verhaltens-Analysen von Kunden und auf analytisches Customer Relation-ship Management (CRM), um die Prozesse potenzieller Kundenbesser zu erfassen und erfolgreich zu begleiten.

Die Zusammenhänge zeigt Abbildung 1. Die Kreuze in der Abbil-dung symbolisieren den wenig wirksamen alten Weg, die Häkchenden effektiveren neuen Weg.

Wir drücken damit dramatisch aus, dass sich der Zugang zumerfolgreichen Marketing endgültig verändert hat. Natürlich müs-sen beide Welten nebeneinander existieren, und es gilt, sie auch

1 Dieser Teil wurde von Christian Belz verfasst. Wichtige Grundlagen und Hinweise stammeninsbesondere von Dr. Marc Rutschmann, und auch die weiteren Kollegen im Entwicklungs-projekt «Reales Marketing» trugen massgeblich dazu bei. Ich danke Jochen Barringer, EduardHäusler, Daniel Huber, Hans-Peter Künzler, Christoph Oggenfuss und Prof. Dr. Marcus Schögel.

Die Ausgangslagen für Identifikations-Marketing und handlungsorientiertesMarketing stimmen überein.

Buschklee mit Biene

«Unsere Sammlerin muss an die1000 Einzelblüten des Kleesbefliegen, um ihren Magen einmalzu füllen». (von Frisch 1977, S.15)

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Abbildung 1: Marketinglandschaft und Stränge des Identifikationsmarketings sowie des realen Marketings

je professionell zu nutzen. Nur sollen sich die Gewichtungenstark verschieben, denn bisher dominierte zu Unrecht das Iden-tifikationsmarketing die Diskussion des Marketings. UnsereThese: Das erfolgreiche Marketing betont weniger den Kaufent-scheid als den Kaufprozess und statt der Leistungsmerkmaledie vielen und zeitaufwendigen Verhaltensschritte des Kunden.

Verbreitet ist die Sichtweise, dass Unternehmen zum Kundenkommen müssen. Dieser Ansatz geht vom Angebot an Produk-ten, Points of Sale, Touchpoints oder Kanälen aus. Gleichzeitiggestalten damit die Unternehmen den Zugang. Der Kunde sollauf ihr Angebot treffen und damit abgeholt werden. Wir vertre-ten demgegenüber den Ansatz, den Kunden zum Kauf zu führen.Die Kundenprozesse sind damit der Ausgangspunkt. Unterneh-men werden somit zum Begleiter, zum Transporteur auf demWeg, den der Kunde geht. Diese Umkehr reicht viel weiter, alses auf den ersten Blick scheint. In der eigentlichen Leistung und

Stellen Sie sich vor: Bestehende Ini-tiativen im Marketing verlieren ihreWirkung und werden unwirtschaftlich.Es gibt Lösungen, aber nur wenigemerken es.

Es nützt nichts, attraktiv und schönzu sein, aber die Wettbewerbermachen das Geschäft.

Kunden zum Unternehmen und zumKauf zu führen, ist die Marketingauf-gabe.

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dem Prozess der Zusammenarbeit mit Kunden liegen in jedemMarkt noch viele wirksame Möglichkeiten zu Verbesserungen.Unternehmen tun gut daran, sich auf ihre eigentlichen Aufgabenund die Leistungen für Kunden zu konzentrieren, um ihren Erfolgzu steigern.

Die Bausteine aus vorstehender Übersicht (Abbildung 1) klärenwir nun im Folgenden.

1.2 Bedingungen: Gerangel in den MärktenMarketing bewegt sich in aktuellen Herausforderungen. DieBedingungen in entwickelten Märkten lauten meistens: Überka-pazitäten, Informationsflut und Preiskampf, gesteigerte Ge-schwindigkeit, Globalisierung, auswechselbare Leistungen undüberbordende Sortimente. Nicht selten stellt sich einem Mar-ketingverantwortlichen die Aufgabe, sein neues Produkt Nr. 164im Umfeld von 200 weiteren, ebenfalls neuen Produkten derWettbewerber wirksam zu vermarkten.

Potenziert wird das Gerangel in den Märkten durch neue tech-nologische Möglichkeiten, eine wachsende Zahl von Medien undeine überbordende Vielfalt von Marketingansätzen. Gleichzeitigsteigt die Komplexität vieler Anbieter, weil zahlreiche Leistungenin mehreren Märkten und für unterschiedliche Kundengruppenverkauft werden.

Verbreitet ist die Argumentation in Unternehmen, dass in ihrenMärkten für den Kunden alle Leistungen weitgehend auswechsel-bar sind. Verantwortliche suchen deshalb auf Nebenschauplätzenin Form von Prämien, Sponsoring und emotionaler Aufladungnach Lösungen. Nicht zuletzt diese Argumentation führte dasMarketing ins Abseits und degradierte es zum begleitenden Un-terhaltungsprogramm für Kunden. Manche Marketingverantwort-liche ziehen aus der Tendenz zu auswechselbaren Leistungendie Bestätigung dafür, dass nur das Marketing den wesentlichenUnterschied für Kunden gegenüber den Wettbewerbern schaffenkann. Der Rest des Unternehmens scheint in ihren Augen zuversagen. Sie glauben damit, an Gewicht zu gewinnen. Wer aberso argumentiert, kapituliert im Leistungskern des Unternehmensund begründet indirekt, dass das eigene Unternehmen verzicht-bar ist.

Leistungen für Kunden zu verbessern,bleibt die grosse Herausforderung.

Naturgemäss unterscheiden sichMangelgesellschaften und EmergingMarkets in ihren Voraussetzungen.

Die Wurfweite des Marketings nimmtdrastisch ab.

Beispiel Freitag AG (Taschen;CH-Zürich):«We believe in the next life of things.We think in cycles and act in cycles –and cycle». «Die Tasche ist selbst einTeil des Marketings. Dafür brauchtes keine Werbung». (Monika Walser,Geschäftsführerin von Freitag, Han-delszeitung vom 1. November 2012)

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Zudem hemmen gesuchte Inszenierungen bestehende Kunden,ohne dass dies beabsichtigt wird. Starke Marken werden zwargleichzeitig von gewissen Kunden begehrt und von anderen ab-gelehnt. Manche Gags und gesuchten Positionen streuen abereinfach nur Sand in das Getriebe zwischen Kunden und Anbieter.

Lässt sich in diesem Gerangel der Märkte erfolgreicher vorge-hen, wenn Kundenwünsche besser erfüllt werden?

1.3 Customer InsightSeit jeher beansprucht Marketing, sich an den Kunden zu orien-tieren. Auch englische Begriffe wie Customer Insight oderCustomer Centricity und Intimacy täuschen aber nicht darüberhinweg, dass die Fortschritte in den letzten Jahrzehnten rechtmarginal ausfielen. Oft wird auch die 360°-Sicht des Kundenheraufbeschwört. Sie ist weder möglich noch sinnvoll.

Die Marktpsychologie befasste sich besonders damit, was beiden Kunden vor der Kaufhandlung stehen könnte. Statt sich mitdem konkreten Kundenverhalten auseinanderzusetzen, kon-zentrierte sie sich quasi auf die Prädisposition des Kunden; bei-spielsweise auf Einstellungen, Motive und Images. StatischeKaufmodelle erfassten zahlreiche Einflüsse auf den Kauf, ohnewirklich zu helfen. Auch mit dem Hinweis auf das wichtige«Unterbewusstsein» befindet sich die Konsumentenforschung oftstärker im Bereich der Spekulation, als dass sie wirklich erklärt,was den Kunden bewegt.In der Folge zeigen wir, wie begrenzt klassische Marktforschungist, und wir plädieren für Micro-Verhaltens-Analysen und analy-tisches CRM, um Einblick in den Kunden zu erlangen. Auch wei-sen wir auf das Füllhorn von gesicherten Erkenntnissen aus derVerhaltensforschung hin.

1.3.1 Klassische KundenbefragungenMenschen identifizieren sich mit Unternehmen, Marken und Pro-dukten und kaufen sie dann auch – so eine verbreitete Annahme.Sie kaufen, was sie sich vornehmen und was ihnen (beispiels-weise in der Werbung) gefällt. Sie wägen Vor- und Nachteile fürihre Käufe ab und greifen dann zum besten Angebot. DiesesMenschenbild, welches Denken und Handeln in Einklang wähnt,ist ausgesprochen attraktiv. Deshalb werden Kunden auch nachImages, Kaufkriterien oder Zufriedenheit befragt. Ihre eigenen

Unternehmen orientieren sich nurbegrenzt am Kunden. Denn sie wollennur tun, was für ihre Erträge nötigist. Zumutbares Marketing lautet derrealistische Begriff. Alles anderewiderspricht dem ökonomischen Prin-zip oder ist unehrlich.

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Interpretationen und Begründungen für Käufe werden damit dieBasis für wichtige Lösungen in Marketing und Vertrieb.

Schon die Fragen zur Identifikationswelt sind oft irrelevant fürdas Verhalten des Kunden und damit den Erfolg von Marketingund Vertrieb. Beispielsweise sind Verpackungen oder DirectMails, die dem Kunden in Untersuchungen besser gefallen, oftweniger wirksam als jene, die er ablehnt. Unzuverlässig sinddie Ergebnisse auch durch weitere Verzerrungen. Typisch ist dasErgebnis der Untersuchung einer Studentengruppe, welche dreiSmartphones nach Benutzerfreundlichkeit, Trendiness, Designund vielen weiteren Kriterien untersuchte. Eines dieser drei Ge-räte existierte zwar gar nicht am Markt, wurde aber ebenso wiedie weiteren bewertet. Eine weitere Studentengruppe befragtekurz vor der Wahl die schweizerischen Bürger, ob sie die Volks-partei (SVP) wählen werden. Trugen die Interviewer ein Leib-chen mit SVP-Logo antworteten 50% mit Ja, trugen sie ein neu-trales Leibchen, waren es nur 25%. Klassische Marktforschungsuggeriert dem Marketing eine trügerische Sicherheit.

Marktforschung in der Identifikationswelt des Kunden ist nichtfür das Kaufverhalten relevant und unkontrollierte Verzerrungenverfälschen die Ergebnisse zusätzlich. Die «Altmeisterin» derDemoskopie, Elisabeth Noelle-Neumann, zeigte das bereits frühin ihren Veröffentlichungen (vgl. Noelle-Neumann 1982).

Falls klassisch befragt wird, gilt es mindestens, sich auf daskonkrete Verhalten auszurichten, nahe an konkreten Erfahrun-gen des Kunden zu erheben und die Ergebnisse der Markt-forschung mit den Fakten zur Kundenbeziehung (z.B. mit demKundenumsatz im Zeitablauf) zu verknüpfen.

In der wissenschaftlichen Marketingforschung werden deshalbvermehrt Experimente eingesetzt. Meist sind sie auf das Verhal-ten der Kunden gerichtet, was auch wir fordern. Sie stützen sichaber oft auf konstruierte Situationen und eine gedachte undnichteffektive Auswahl der Untersuchten. Zudem führen Experi-mente oft nur zu kleinen Ergebnissen, weil nur eine oder wenigeVariablen variiert werden, um klare Hinweise zu erreichen.

Kunden beantworten Fragen, auchwenn sie diese nicht verstehen odereigentlich keine Angaben machenkönnen.

Mit 50% der Marktforschung ver-schwenden Unternehmen ihr Geld,und wir wissen mit welcher Hälfte.

Weil Marktforschung unzuverlässigist, nutzen Führungskräfte mehr undmehr nur jene Ergebnisse, die ihreAbsicht bestätigen und ihnen nützen.

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1.3.2 Kundenverhalten und reale Handlungen erfassenKunden handeln meistens nicht, wie sie denken. Oft prägen un-beachtete Gewohnheiten, Gelegenheiten und Zufälle die Auf-merksamkeit des Kunden und ihre Käufe. Akzentuiert wird dieseEntwicklung in der Multioptionsgesellschaft. Kunden gefällt soviel, sie möchten sich um unzählige Dinge kümmern, sie setzendie Qualität der vielfältigen Leistungen voraus. Deshalb führensie die meisten Kaufprozesse nur von A nach C oder vielleichtauch bis K durch, der Kauf fände aber erst bei Erreichen von Zstatt. Das bedeutet, Kunden beginnen viel, verschieben, bre-chen ab, wechseln auf anderes.

Micro-Verhaltens-AnalysenDadurch werden Informations- und Kaufprozesse lang, verschlun-gen, enthalten mehr und mehr Zwischenschritte. Dass der Mar-kenauftritt gefällt, die Kunden ein Angebot begehren und sich dannbewegen, wird zum Sonderfall für extensive Hobbies, Luxus undsoziale Produkte. Richtet sich die Mehrheit der weiteren Unter-nehmen (vielleicht etwa 95% der Anbieter) nach dem Prinzip, dieMarke einzigartig zu inszenieren, dann verschwendet sie ihr Geld.

Gestützt auf diese Erkenntnisse, gewinnen Unternehmen einerelevante Einsicht in die Kunden, indem sie etappierte und realeKundenprozesse sozusagen unter dem Mikroskop betrachten,einzelne Prozesse der Kunden übereinanderlegen und dadurchMuster erkennen. In den Mustern werden die Stellen lokalisiert,an denen viele Kunden reagieren und wo demgemäss das Marke-ting einsetzen muss, damit der Kunde seinen Kaufprozess fort-setzt. Solche Micro-Verhaltens-Analysen beruhen auf den Grund-sätzen der Verhaltensforschung. Sie schaffen die konkrete Basisfür spezifische Kaufhandlungen, und darauf aufbauend lassensich die Erkenntnisse der Verhaltensforschung nutzen, um Kun-den an Schlüsselstellen im Kaufprozess zu mobilisieren. Micro-Verhaltens-Analysen stützen sich zwar auch auf Befragungen,nur ist der Untersuchungs-Gegenstand die konkrete Abfolge inRichtung Kauf oder Nichtkauf, Spekulationen des Kunden wer-den nicht berücksichtigt.

Abbildung 2 zeigt am Beispiel Hotelplan eine Auswertung zumKundenprozess bei der Buchung von Reisen. Die Schritte undVerästelungen sind nicht lesbar, deuten aber an, wie detailliertsolche Verhaltens-Analysen der Abfolgen der Kunden erfasstsein müssen, um schliesslich die richtigen Stellhebel für den er-folgreichen Weg zum Kauf zu bestimmen.

Denken und Handeln sind zweierlei.Das kennen wir aus dem eigenenAlltag.

Reales Kundenverhalten stützt sichauf die Handlungen des Kunden inetappierten Kaufprozessen mit situa-tiven Einflüssen.

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Gesucht sind also jene Impulsketten, die (mit knappen Res-sourcen) Kaufhandlungen in grosser Zahl herbeiführen. DieMicro-Verhaltens-Analyse ist dazu das wirksame Werkzeug.

Die gute Botschaft: Erfasste Stellhebel für die Fortsetzung derKundenprozesse sind oft mehrheitsfähig, das heisst, sie wirkenvon der Bankdirektorin bis hin zum Arbeitslosen.

Bisherige Erfahrungen mit Micro-Verhaltens-Analysen beziehensich mehrheitlich auf einfachere Käufe des Kunden, meist imKonsum- und Gebrauchsgüterbereich. Naturgemäss sind die Wegezu Beschaffungsentscheidungen von Industriegütern mit vielenbeteiligten Personen weit komplexer, und gerade deshalb könnteein analoges Vorgehen ergiebig sein. Doch ist es in diesenFällen schwieriger, konkrete Muster zu erkennen. Oft fehlt dazueine genügende Fallzahl, oder die Beschaffungsprozesse verlau-fen jedes Mal sehr spezifisch. Es bewährt sich hier als wichtigeAnnäherung, gemeinsam mit den internen Verantwortlichen undeventuell auch Entscheidern des Kunden, die Prozesse für fünferfolgreiche und fünf erfolglose Projekte im Detail aufzuzeich-nen, die Stellhebel für Erfolg und Misserfolg zu diskutieren unddaraus Folgerungen für eine erfolgreiche Marktbearbeitung zuziehen.

Analytisches CRMEbenso wichtig sind die Möglichkeiten, die analytisches Cus-tomer Relationship Management bereithält. CRM stützt sich aufreale Kundentransaktionen. Auch daraus lassen sich Mustererkennen, etwa: Welche Kunden unsichere Kandidaten sind,welche Produkte zusammen gekauft werden, welche Kunden be-sonders gut reagieren und für das Unternehmen wertvoll sind.Technologische Entwicklungen erlauben es, grosse Datenmen-gen zu erfassen, zu speichern und auszuwerten. Wichtige Quelleim Marketing sind die Spuren der Kunden, wenn diese real-timeSocial Media, Smartphones und weitere Online-Anwendungennutzen.

Während sich früher die Diskussionen über CRM-Systemebesonders auf die Kriterien zur Kundendatenerfassung konzen-trierten, legt sich das aktuelle Augenmerk darauf, die beste-henden Datensätze von Unternehmen mit neuen Formen des In-ternet-Tracking oder mit externen Datenbanken anzureichern.Herausforderungen sind dabei die hohe Volatilität und die unter-

Auch für Konsum- und Gebrauchs-güter können interne Professionals oftgemeinsam in einem Workshop dieKundenprozesse entwickeln. Nur fehltdann die reale Kundensicht.

CRM ist oft gierig auf Zahlen und voll-ständige Auswertungen – das verbautsowohl den Blick für inhaltlich ge-schickte Interventionen als auch denTiefgang für die Kundenbegleitung.

CRM konzentriert sich oft zu starkdarauf, bei wem und wann zu inter-venieren ist und zu wenig darauf, wie.

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schiedlichen Formen (von Texten bis Filmen) und Qualitätenvon Informationen.

Voraussetzung bleibt aber eine eigene, qualifizierte Datenbasisdes Unternehmens. Für viele Anbieter bleibt das immer nocheine grosse Aufgabe.

ZusammenspielBeide Ansätze sind nicht neu, werden aber von Unternehmenzu wenig genutzt: Micro-Verhaltens-Analysen und analytischesCRM sind ein wirksames Gespann für den relevanten Einblick indas Kundenverhalten. Analytisches CRM konzentriert sich aufKundenwert, Zeitpunkte der Kundenbereitschaft und verknüpfteTransaktionen. Die Microanalyse des Kaufverhaltens betontAbläufe und führt zu den wirksamen Inhalten oder Botschaftenin der Marktbearbeitung.

Flankiert werden diese Hauptansätze durch Beobachtung, EyeTracking und weitere Methoden. Qualitative Workshops mitKunden oder Fokusgruppen können sich real orientieren, aberebenso in die Identifikationswelt der Beteiligten abheben. Dasist eine Frage des Inhaltes, nicht der Methode.

Schliesslich lassen sich Marketinglösungen oft nur erproben.Deshalb sind reale Experimente und Tests der richtige Zugang.Dabei beschränken sich solche Experimente nicht auf Variantenvon Direct Mails und den Response, auch Konzepte oder neueFormen der Marktbearbeitung lassen sich prüfen, indem sie fürausgewählte Kunden, Leistungen oder geografische Märkteerprobt werden.

1.3.3 VerhaltensforschungVerhaltens- und Hirnforschung wollen menschliches Verhaltenund Denken erklären. Dazu gehören Behaviorismus, Human-ethologie (Verhaltensbiologie des Menschen), Sozialpsychologie,verhaltensorientierte Lerntheorien und die Neurobiologie. DerBezug zum Kaufverhalten spielt dabei nicht ausdrücklich eineRolle. Viele Erkenntnisse wurden über Jahrzehnte aufwendigentwickelt und gelten heute als gesichert. Leider werden sie imHinblick auf das Marketing kaum vertieft studiert und sorgfältigübertragen, obschon beispielsweise das professionelle Hand-werk des Direktmarketings und des persönlichen Verkaufs ähnli-che Regeln entwickelte und nutzt. Kurz: Es existiert ein Füllhornvon Erkenntnissen, welche sich gut nutzen liessen. Jenen, die

Kundendaten sind für Unternehmender Rohstoff der Zukunft.

Beobachtungen (etwa am Point ofSale) sind oft eine gute Grundlage, umProzesse des Kunden zu erfassen.

Und: Unternehmen brauchen eineKultur, die vermehrt experimentierenund testen zulässt.

Allerdings sind manche Bedingungenso volatil, dass die Hochrechnungenaus den Tests sich später nicht be-stätigen

Biene auf Himbeere mit Pollen-höschen

«Der Blütenstaub wird beim Einsam-meln gehöselt (S.16). (…) Heim-gekehrt, streift die Sammlerin dieHöschen in eine Vorratszelle ab».(von Frisch 1977, S.19)

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aber immer sofort nach direkten Umsetzungen suchen, wird die-ser Weg leicht zu mühsam. An dieser Stelle genügen wenigeHinweise dazu.

NeurobiologieDie neueren Ansätze der Hirnforschung klingen Erfolg verspre-chend, sind aber in Bezug auf Aufwand und Folgerungen rechtweit vom relevanten praktischen Einsatz entfernt. Wichtig sindjedoch grundlegende Erkenntnisse. Sie belegen beispielsweise,dass menschliches Verhalten in der Regel durch intuitives undschnelles Denken bestimmt ist, bevor ein langsames und be-wusstes Denken einsetzt (vgl. Kahnemann 2012, S. 25). Deshalblässt das Bewusstsein des Kunden in Befragungen auch wenigRückschlüsse über das konkrete Verhalten in Kaufsituationenzu. Gleichzeitig lassen sich automatische, schnelle, weitgehendmühelose und unwillentliche Mechanismen im Marketing nutzen.Andererseits können sich Konsumenten mit entsprechendenKenntnissen auch teilweise selbst schützen, falls sie das an-streben.

Verhaltensforschung und Techniken der BeeinflussungBesonders deutlich zeigt Cialdini (2010) die Mechanismen desÜberzeugens. Ein Beispiel ist der Mechanismus der Reziprozität:Menschen revanchieren sich für das, was sie von anderenMenschen (auch ungebeten) bekommen (vgl. ebd. S. 43 ff.). Einzweites Beispiel ist die Regel von Commitment und Konsistenz:Menschen wollen in ihren Überzeugungen, Worten und Tatenkonsistent sein und erscheinen (vgl. ebd. S. 91 ff.). Ein drittesBeispiel ist der Mechanismus sozialer Bewährtheit: Menschenschauen in einer gegeben Situation, was andere glauben undtun und ahmen sie nach (vgl. ebd. S. 155 ff.). Diese Mechanismenlaufen bei Menschen automatisch ab: «Wenn es klick macht –so folgt surr», wie Cialdini das analog zu Konrad Lorenz bezeich-net (vgl. ebd. S. 21). Vielfältige Mechanismen des Denkens undHandelns bereitete auch Dobelli in seinen 52 Denkfehlern und52 Irrwegen auf (vgl. Dobelli 2011 und 2012). Sie sind ebenfallseine Grundlage, um wirksam zu beeinflussen, oder sich nichtbeeinflussen zu lassen.

Bleiben Sie skeptisch gegenübervorschnellen Folgerungen und Anwen-dungen im Neuromarketing.

Dabei hilft folgendes Bild eines Hirn-forschers: «Stellen Sie sich vor, dassSie in der Nacht auf einem höherenBerg über einer grossen Stadt stehen.Aus den an- und ausgehenden Lich-tern wollen Sie schliessen, was in die-ser Stadt vorgeht. Auf diesem Standbewegt sich die Hirnforschung heute».

Verhaltens-Mechanismen des Men-schen erleichtern das Leben, führenaber auch zu Fehlleistungen. Oftwerden diese Mechanismen im Mar-keting genutzt, um zu beeinflussen.

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Gefährliche Ich-WeltDie Erkenntnisse über Kaufprozesse und Verhaltensmechanis-men widersprechen oft dem gedanklich logischen und intuitivenZugang des Menschen. Deshalb braucht es die professionelleDistanz von Verantwortlichen für Marketing, um nicht dauerndin die Interpretationsfalle zu tappen. Denn auch Entscheiderversetzen sich in die Kundensituation oder vergleichen mit ihrenErfahrungen. Sie fallen damit in ihre eigene trügerische Inter-pretationswelt. Zwischen professioneller Welt und Ich-Welt giltes zu trennen, und das ist eine permanente Anstrengung.

1.3.4 Anerkennung des AnsatzesDie aufgezeigten Trends sind inzwischen breiter anerkannt. Sosetzt beispielsweise das Marketing Science Institute (2013)für die Weiterentwicklung des Marketings folgende sieben Prio-ritäten (übersetzt). Dabei stützt sich das Institut auf einenbreiten Prozess der Abstimmung mit internationalen Marketing-professoren und Unternehmen:1. Erkenntnisse über Menschen und ihre Rollen als Konsumenten2. neue Ansätze für Kaufprozesse in Form eines Funnels oder

als iterativer Prozess3. Gestaltung von Erfahrungen, nicht von Produkten. Was ist

ausschlaggebend für Erfahrungen, die in Erinnerung bleiben,interessant sind, wiederholt und geschätzt werden?

4. mobile Plattformen und ihre Wirkung darauf, wie Menschenihr Leben führen sowie ihr Einfluss auf die Funktionsweisevon Märkten

5. Vertrauen zwischen Menschen und Institutionen sowie insozialen Netzwerken

6. Big Data7. Marketing-Organisationen und Fähigkeiten

Damit entfernt sich Marketing von den angestrebten Identifika-tionen des Kunden (etwa durch Markenführung) und bewegtsich nahe an Kundenprozessen. Ein Ansatz, den wir seit längererZeit verfolgen. Wir sind deshalb auch in den Lösungen bereitsweiter gekommen.

Interpretationen der Ich-Welt sindkritisch.

Beritelli et al. (2013) empfehlen inihrem neuen Modell des Destinations-managements, die realen Ströme vonReisenden mit Angebotsnetzwerkenzu verbinden. Diese Ströme helfen,die strategischen Geschäftsfelderim Tourismus neu und relevant zubestimmen.

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Auch in der Praxis zeichnen sich Veränderungen ab. Im Internetist erfolgsentscheidend, wie sich Kunden im Netz bewegen. Des-halb wurden mannigfaltige Prozessoptimierungen durch erfolg-reiche Anbieter entwickelt. Manche Branchen und Unternehmenkürzen ihre bisherigen Kommunikationsbudgets und verteilenverbleibende Mittel neu. Oft scheint aber zunächst nur einsich-tig, dass bisherige Ansätze nicht mehr greifen, und es fehlennoch klare neue Lösungen.

Zudem: Manches in der aktuellen Diskussion klingt nur ähnlichwie unsere Argumentation (vgl. Kapitel 1.4), etwa Erlebnisketteder Kunden, Touchpoints, Social Media, Cross Channel Marke-ting. Die Interpretationen und Folgerungen sind oft einseitig undwerden zum bestehenden Arsenal des Marketings addiert, ohnedie Perspektive zu wechseln. Eine intellektuelle Integration ander Oberfläche greift ungenügend.

1.4 MarketinglösungenIdentifikationsmarketing stützt sich auf klassische Befragungenund die Prädisposition des Kunden.

Handlungsorientiertes Marketing stützt sich auf das reale Ver-halten des Kunden. Beide Lösungswege werden kurz beschrieben,wobei das Identifikationsmarketing gleichzeitig einer kritischenBetrachtung unterzogen wird.

Plakativ lassen sich beide Welten mit folgenden Beispielen derWerbung für die Produkte von Schulthess (CH-Wolfhausen),einem Hersteller für Waschmaschinen verdeutlichen (vgl. Abbil-dung 3). Links das schöne Identifikationsmarketing von Schul-thess. Rechts die Handlungswelt, hier am Beispiel der Werbungvon Fust, einem Schweizer Händler für Heimelektronik, ebenfallsmit Schulthess-Produkten. Der Einzelhandel bewegt sich seitjeher näher am Kundenverhalten, weil sich die Wirkung derMarktbearbeitung unmittelbar in Kundenfrequenz und Verkäufenniederschlägt.

Eier und offene Brut in der Wabe

«Im Frühjahre kann eine leistungs-fähige Königin in 24 Stunden etwa1500 Eier legen». (von Frisch 1977,S. 23)

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