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Das Vertrauen des Konsumenten in eine Branche - Ein ... · 1 Einleitung Das Vertrauen einzelner...

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Arbeitsbericht Nr. 10 Dortmund, Dezember 2004 Tanja Milankovic/Claus Wilke Das Vertrauen des Konsumenten in eine Branche – Ein konzeptioneller Ansatz Teilprojekt eines durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten For- schungsvorhabens, Förderungsnummer HO 2224/4-1 Dipl.-Kff. Tanja Milankovic Dipl.-Kfm. Claus Wilke Universität Dortmund Universität Dortmund Lehrstuhl für Marketing Lehrstuhl für Marketing D-44221 Dortmund D-44221 Dortmund Tel.: +49 (0)231 755 3278 Fax: +49 (0)231 755 3271 [email protected]
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Arbeitsbericht Nr. 10 Dortmund, Dezember 2004

Tanja Milankovic/Claus Wilke

Das Vertrauen des Konsumenten in eine Branche –

Ein konzeptioneller Ansatz

Teilprojekt eines durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten For-

schungsvorhabens, Förderungsnummer HO 2224/4-1

Dipl.-Kff. Tanja Milankovic Dipl.-Kfm. Claus Wilke Universität Dortmund Universität Dortmund Lehrstuhl für Marketing Lehrstuhl für Marketing D-44221 Dortmund D-44221 Dortmund Tel.: +49 (0)231 755 3278 Fax: +49 (0)231 755 3271 [email protected]

Das Vertrauen des Konsumenten in eine Branche – Ein konzepti-

oneller Ansatz

1 Einleitung ............................................................................................................ 3

2 Der Vertrauensbegriff auf einer abstrakten Ebene .............................................. 4

2.1. Kollektives Vertrauen .................................................................................. 5

2.2. Öffentliches Vertrauen................................................................................. 7

2.3. Systemvertrauen........................................................................................... 8

2.4. Institutionsbasiertes Vertrauen................................................................... 11

2.5. Politisches Vertrauen ................................................................................. 13

2.6. Alternative Bezeichnungen ........................................................................ 15

3 Fazit ................................................................................................................... 19

4 Anlagen.............................................................................................................. 23

4.1. Tabellarische Zusammenfassung der konzeptionellen Forschung................ 23

4.2. Tabellarische Zusammenfassung der empirischen Forschung...................... 27

2

1 Einleitung

Das Vertrauen einzelner Personen bzw. von Konsumenten in eine Branche wurde bisher von der

Marketingwissenschaft in ihren Bemühungen, die Ursachen und Wirkungen von Beziehungsqualitäten

zwischen Unternehmen und Kunden zu ergründen, vernachlässigt und nicht in Forschungsbemühun-

gen einbezogen. Dies ist insofern erstaunlich, da das Marketing gerade das Vertrauen zwischen Kon-

sument und Unternehmen im Fokus vieler Untersuchungen ist und als bedeutende Herausforderung

zur Schaffung langfristiger Geschäftsbeziehungen angesehen wird. Vertrauensbildende Maßnahmen

spielen dementsprechend eine entscheidende Rolle in den Unternehmens- und Marketingstrategien.

Die fehlende getrennte Betrachtung der zwei verschiedenen Vertrauensebenen Unternehmen und

Branche sowie deren unterschiedliche Beachtung verwundert, da es Anzeichen dafür gibt, dass das

Vertrauen in Branchen bzw. in bestimmte Wirtschaftsteile von Seiten der Konsumenten schwindet.

Unternehmen, die als Teil einer Branche von einer solchen Entwicklung betroffen sind, müssen sich

auf die allgemeinen Vertrauensurteile der Konsumenten einrichten und gegensteuern. Beispiele für

einen solchen Trend finden sich in populär-wissenschaftlichen Studien. So vertrauen nur 30% der

Europäer (43% der US-Amerikaner) der Versicherungsbranche (o.V. 2003). Andere aktuelle Umfra-

gen weisen auf nur geringes Vertrauen der Deutschen in die Wirtschaft hin (Edelman 2004). Es

herrscht die Meinung, dass sich Führungskräfte nur wenig um soziale Belange und die gesellschaftli-

che Verantwortung des Unternehmens sorgen. Der Werbesektor wird dabei als der am wenigsten ver-

trauenswürdige Sektor in der Wirtschaft bezeichnet (Reader's Digest 2002; McNeil und Kimche

2002).

Um den Begriff des Vertrauens in eine Branche weiter zu konkretisieren, ist es Ziel dieses Arbeits-

papiers, Vertrauensbegriffe vorzustellen und abzugrenzen, die das Vertrauen in eine abstrakte Ebene

beschreiben und damit inhaltlich in Beziehung zum Branchenvertrauen stehen können. Es soll damit

ein Ansatz zur Konzeptualisierung des Vertrauens in eine Branche als Gruppe von Unternehmen ge-

geben werden, um auf dessen Basis weitere Forschungsbemühungen vornehmen zu können. Dazu gilt

es, die bisherige relevante Literatur aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen aufzuarbeiten und

unterschiedliche Sichtweisen aufzudecken. Aufgrund der Fülle der in der Literatur vorfindbaren Beg-

riffe werden die Definitionen vorgestellt, welche im Zusammenhang mit dem Vertrauen in abstrakte

Objekte häufig genannt werden. Schließlich gilt es zu bestimmen und zu begründen, welche der ge-

nannten Definitionen forschungsbezogenen Marketingzielen bezüglich des Branchenvertrauens am

ehesten gerecht werden.

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2 Der Vertrauensbegriff auf einer abstrakten Ebene

Eine Reihe von wissenschaftlichen Fachrichtungen hat sich mit dem Phänomen des Vertrauens auf

einer abstrakten Ebene beschäftigt, so dass diverse Definitionen dieses Konstruktes existieren. Trotz

ihrer Ähnlichkeit besitzt jede Definition einen anderen Fokus, so dass es zu untersuchen gilt, welche

der genannten Definitionen für das oben genannte Ziel Anwendung finden können. Im Folgenden

werden die Begriffe des öffentlichen Vertrauens, Systemvertrauen, institutionsbasiertes Vertrauen und

politisches Vertrauen näher erläutert. Darüber hinaus werden zusätzlich alternative Bezeichnungen

vorgestellt, die jedoch häufig nur rein semantisch von den zuvor genannten zu unterscheiden sind.

Alle Vertrauensbegriffe haben inhaltlich gemein, dass sie sich auf eine abstrakte Ebene von Syste-

men oder Teilsystemen wie Institutionen beziehen. Sie unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht. Zum

einen kann das Vertrauensobjekt entweder als Gesamtsystem (Wirtschaftssystem, Demokratie) oder

Teilsystem (politisches Vertrauen in Regierungen, Vertrauen in Unternehmen) betrachtet werden.

Zum anderen kann der Vertrauensgeber eine Einzelperson oder auch die Gesamtheit von Einzelperso-

nen, die Öffentlichkeit, darstellen. Das Vertrauen verhilft dabei grundsätzlich, die Komplexität der

Umwelt zu reduzieren (Luhmann 1979) und drückt bestimmte Erwartungen aus, die der Vertrauens-

geber in den Vertrauensnehmer setzt. Tabelle 1 stellt die zu beschreibenden Vertrauensbegriffe und

deren Definitionen vor.

Begriff Vertrauensnehmer (-objekt)

Vertrauens-geber

(-subjekt)

Definition

Kollektives Vertrauen

Gruppe mit sich ähneln-den Eigenschaften

Einzel-person

• Vertrauen in Kollektive als soziale und ökonomische Institutionen oder Gruppen, die auf der Ähnlichkeit bestimmter indi-vidueller oder unternehmens-spezifischer Attribute basieren (Zucker 1986, S 85 ff.)

Öffentliches Vertrauen

Öffentliche Personen, Institutionen und das gesamte gesellschaftliche System

Öffentlich-keit

• Vertrauenswürdigkeit der Vertrauens-objekte (Hundhausen 1951; Schweer 2003),

• Kommunikativer Mechanismus zur Re-duktion von Komplexität (Bentele 1994)

System-vertrauen

Systeme im Umfeld des Vertrauenssubjekts (Ge-sellschaft, Wirtschafts-system,…)

Einzel-personen

• Vertrauen als Mechanismus zur Erfassung und Reduktion von Komplexität (Luh-mann 1979),

• Bestehen von Vorstellungen über Werte in der Organisationsumwelt, die von ihr ge-tragen werden und deren Fortbestand die Organisationsumwelt erwartet (Bentele 1994),

• Vertrauen, das eine Person in bestimmte Organisationen und Institutionen erlebt (Schweer 2003)

Institutions-basiertes Vertrauen

Unternehmen, Systeme Einzel-personen, Unterneh-men

• Mechanismus zur Koordination von sozia-len Erwartungen der Akteure (Zucker 1986)

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Politisches Vertrauen

politische Institutionen (Regierung, Parteien,…)

Öffentlich-keit

• Evaluationen, ob politische Institutionen in Übereinstimmung mit normativen Er-wartungen der Öffentlichkeit handeln (Le-vi und Stoker 2000)

• Politische Institution handelt im Interesse des Vertrauensgebers (Levi und Stoker 2000)

Tabelle 1: Vertrauensbegriffe und deren Definitionen

Die folgenden Abschnitte erläutern ausführlich die hervorzuhebenden Aspekte eines jeden Begriffs

und der verschiedenen Sichtweisen des Vertrauensgebers und Vertrauensnehmers. Eine inhaltliche

Trennung der Begriffe scheint so am ehesten möglich.

2.1. Kollektives Vertrauen

Kollektives Vertrauen kann zwischen einem Individuum einerseits und einem Kollektiv anderer-

seits existieren. Dabei richtet sich dieses laut McEvily, Weber, Bicchieri et al. (2002) auf ein aggre-

giertes soziales System (vgl. McEvily, Weber, Bicchieri, und Ho 2002, S. 4). Wesentlich spezifischer

wurde dieses Kollektiv in Zuckers (1986) historischer Analyse der Produktion von Vertrauen in Ge-

sellschaften definiert. Sie bezeichnet Kollektive als soziale und ökonomische Institutionen oder Grup-

pen, die auf der Ähnlichkeit bestimmter individueller oder unternehmensspezifischer Attribute basie-

ren (vgl. Zucker 1986, S. 85 ff.). "The idea of group encompasses all groups with highly specific,

constitutive expectations, such as occupational groups (and labor specialization in general), firms, and

industries" (Zucker 1986, S. 85). Obwohl Zucker (1986) hauptsächlich formell organisierte, institutio-

nelle Kollektive betrachtet, beinhaltet die Definition des Kollektivs bei Singh und Jayanti (2003), die

sich explizit auf Zucker (1986) beziehen, sowohl diese, als auch informell organisierte Institutionen

und Gruppen. Sie schreiben: "[...] elements of a collective are perceived to represent a common set or

schema of activities and events while recognizing that there is considerable heterogeneity on other

activities and events that characterize the individual elements" (Singh und Jayanti, 2003, S. 7). Im

Gegensatz zur Soziologie, in welcher ein Kollektiv als eine formelle Gruppe von Individuen oder Or-

ganisationen aufgefasst wird (vgl. Zucker 1986 und Shapiro 1987), und den Politikwissenschaften, die

ihren Fokus auf politische Systeme oder die Regierung richten (vgl. Levi und Stoker, 2000 und

Weatherford, 1992), behaupten Singh und Jayanti (2003), dass im Marketing-Bereich primär Bran-

chen – "[...] implying a set of business that offer similar products/technologies for market exchanges"

(Singh und Jayanti, 2003, S. 11) - oder das Wirtschaftssystem insgesamt betrachtet werden sollten

(vgl. Singh und Jayanti, 2003, S. 7).

Eine sehr allgemeine Definition des kollektiven Vertrauens bieten McEvily, Weber, Bicchieri et al.

(2002), denn sie erklären es als "the extent to which it is possible for individuals to trust groups as

separate entities" (McEvily, Weber, Bicchieri, und Ho 2002, S. 1). Sie betonen hierbei, dass sich kol-

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lektives Vertrauen ebenso wie auch relationales Vertrauen1 auf "confidence in or reliance on some

quality or attribute of a person or thing" (McEvily, Weber, Bicchieri et al., 2002, S. 4) bezieht. Daher

existiert ihrer Ansicht nach kollektives Vertrauen erst, wenn die Zuschreibung von Vertrauenswürdig-

keit auf das Kollektiv selbst bezogen ist (vgl. McEvily, Weber, Bicchieri et al., 2002, S. 6).

In Übereinstimmung mit den kognitiven, interpersonalen Vertrauensdefinitionen wird bei Zucker

(1986) Vertrauen als eine Erwartung verstanden, sodass sie schreibt: "[...] trust is defined as a set of

expectations shared by all those involved in an exchange“ (Zucker 1986, S. 54). Dabei beobachtet sie,

dass jeder dyadische Austausch sowohl Hintergrunderwartungen als auch konstitutive Erwartungen

beinhaltet. Konstitutive Erwartungen definieren den Kontext oder die Situation und sind durch die

Unabhängigkeit von Eigeninteressen und die intersubjektive Bedeutung gekennzeichnet (Zucker 1986,

S. 57). Hintergrunderwartungen dienen als allgemeiner Rahmen für Verhaltensweisen und beziehen

sich nicht auf eine spezifische Situation. Gemeinsame Symbole und Regeln sind ebenso notwendig

wie ein gemeinsamer Rahmen für Interpretationen, denn sonst werden Handlungen sinnlos und un-

durchschaubar.

Singh und Jayanti (2003) sehen kollektives Vertrauen als einen Aspekt der Hintergrund-

erwartungen. Wenn es in einem hohen Ausmaß vorhanden ist, erwartet der Konsument, dass Mitglie-

der des Kollektivs seine Interessen über die Eigenen stellen (vgl. Singh und Jayanti, 2003, S. 7). Mit

Bezug auf Shapiro (1987), die Vertrauen als eine soziale Beziehung definiert, in welcher Kunden Res-

sourcen, Autorität oder Verantwortung an andere übertragen, damit diese in ihrem Interesse agieren,

um einen zukünftigen Ertrag zu erwirtschaften (vgl. Shapiro, 1987, S. 626), bieten Singh und Jayanti

(2003) eine spezifischere Definition des kollektiven Vertrauens an. Sie schreiben: "[...] we specify [...]

trust as consumer's willingness to invest resources, authority, and/or responsibility in a diffused or

institutionalized collective entity to act on consumers' behalf to safeguard consumer interests in ex-

changes involving individual members of the collective" (Singh und Jayanti, 2003, S. 8). Konsumen-

ten mit ausgeprägtem kollektiven Vertrauen sind eher bereit, Kollektive mit Autorität und Verantwor-

tung zu betrauen, um Transaktionen mit deren einzelnen Mitgliedern zu regulieren, da sie überzeugt

sind, dass das Kollektiv ihre Interessen schützt und Streitigkeiten fair löst. Fehlt ein solches Vertrau-

en, suchen Konsumenten nach Alternativen, um ihre Interessen zu realisieren (vgl. Singh und Jayanti,

2003, S. 8). Diese Definition erkennt explizit die Vertretungsrolle von Kollektiven an und fordert bei

der Durchführung eines Austauschs eine wohlwollende Orientierung dem Konsumenten gegenüber.

Insbesondere Shapiro (1987) hat sich ausführlich mit der Vertretungsrolle von Kollektiven und den

daraus resultierenden Risiken befasst. Als eine explizite Maßnahme zur Risikoreduktion bei kollekti-

ven Vertretern nennt sie verfahrenstechnische Normen und strukturelle Vorgaben, wie z. B. Gesetze,

Vorschriften u. ä. Dabei merkt sie an, dass diese Regeln selbstverständlich keine objektive Wahrheit

1 Das relationale Vertrauen beschreibt das Vertrauensverhältnis eines Konsumenten in einer spezifischen Ge-

schäftsbeziehung. Dieses Vertrauen kann sich dabei sowohl auf ein Unternehmen als auch auf eine Kontakt-person in diesem Unternehmen beziehen.

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bieten, aber einen Interpretationsrahmen für die angebotenen Informationen vorgeben (vgl. Shapiro,

1987, S. 636 ff.). So schreibt auch Welter (2004, S. 8 ): "Kollektives Vertrauen erschließt sich über

branchenübliche Normen und Geschäftskonventionen". Sie stellt die These auf, dass im Gegensatz

zum relationalen Vertrauen "kollektives Vertrauen nicht unbedingt eine persönliche Kenntnis des

Transaktionspartners oder spezifische persönliche Eigenschaften voraussetzt, sondern auf gruppenori-

entiertem Verhalten im weiteren Sinne basiert" (Welter, 2004, S. 8). Als Beispiele von Vertrauenssig-

nalen führt sie informelle und formelle Verhaltensregeln in einem Wirtschaftsverband oder einer

Branche an, sowie Reputationseffekte, die über informelle Netzwerke vermittelt werden. Auch Bente-

le (1994) schreibt: "Branchenverbände wissen, dass das Vertrauen in die Mitglieder einer Branche und

deren Tätigkeit z. B. durch Seriosität, Qualität gesteigert werden kann. Auch Berufskodizes, also

Grundsätze einer schriftlich fixierten Berufsmoral, werden zu den Mitteln gerechnet, die das Vertrau-

en in die Branche verbessern" (Bentele, 1994, S. 151). Allerdings müssen diese Berufskodizes auch

mit dem faktischen Handeln übereinstimmen, sonst sind sie lediglich ein "totes Stück Papier" und

können Vertrauensverluste bewirken (Bentele, 1994, S. 153).

2.2. Öffentliches Vertrauen

Hundhausen (1951) benutzt als erster den Begriff des öffentlichen Vertrauens in der Public-

Relations-Literatur. Ihm folgend liegt öffentliches Vertrauen dann vor, wenn eine Unternehmensfüh-

rung von der Öffentlichkeit als vertrauenswürdig eingestuft wird (Hundhausen, 1951, S. 23). Auch

Schweers (2003) Definition beinhaltet den Aspekt der Vertrauenswürdigkeit. So ist er der Ansicht,

dass es sich beim öffentlichen Vertrauen "[...] um die öffentliche Meinung im Hinblick auf die Ver-

trauenswürdigkeit von Organisationen und Personen [...]" (Schweer, 2003, S. 323) handelt.

Bentele (1994) hingegen definiert öffentliches Vertrauen in Anlehnung an Luhmann (1973) und

schreibt: "Öffentliches Vertrauen ist ein kommunikativer Mechanismus zur Reduktion von Komplexi-

tät, in dem öffentliche Personen, Institutionen und das gesamte gesellschaftliche System in der Rolle

des "Vertrauensobjektes" fungieren. Öffentliches Vertrauen ist ein medienvermittelter Prozess, in dem

die "Vertrauenssubjekte" zukunftsgerichtete Erwartungen haben, die stark von vergangenen Erfahrun-

gen geprägt sind" (Bentele, 1994, S. 141). Diese Definition versteht Vertrauen somit als Prozess, wo-

bei gleichzeitig die Ergebnisse dieses Prozesses in den Begriff mit eingebunden werden. Weiterhin

behauptet Bentele (1994), dass innerhalb von Prozessen öffentlichen Vertrauens meist keine unmittel-

bare und direkte Beziehung zwischen Vertrauenssubjekten und Vertrauensobjekten existiert, da die

Beziehung zumeist über Medien vermittelt wird. Dabei stellt er öffentliches Vertrauen in Anlehnung

an die theoretische Fundierung von Coleman (1991)2 als " [...] Kommunikationsprozess mit unter-

2 Coleman (1982) entwickelt das Modell einer Mikrostruktur von Vertrauensprozessen, wobei er die "Einseitig-

keit der Übertragung" (Coleman, 1982, S. 282) von Kontrolle über Ressourcen, Handlungen und Ereignisse als ein wesentliches Merkmal von Vertrauenssystemen identifiziert. Dabei basiert dieses Modell auf der Annah-me, dass alle sozialen Akteure völlig rational entscheiden, um Eigeninteressen zu realisieren. Die Entschei-dung, Vertrauen zu investieren, gründet somit auf Kalkulation. An diesem Vertrauensprozess sind lt. Cole-

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schiedlichen Akteursrollen [dar] [...]. Akteur A (Vertrauenssubjekt) vertraut Akteur B (Vertrauensob-

jekt, also System, Institution, Person) in unterschiedlichem Maß, wobei der Grad des Vertrauens em-

pirisch messbar ist: man erhält so unterschiedliche Vertrauenswerte, die Akteur A den jeweiligen Ak-

teuren B zuschreibt" (Bentele, 1994, S. 142). Aufgrund einer möglichen Veränderung dieser Vertrau-

enswerte durch bestimmte Ereignisse oder Informationen, enthält der Prozess öffentlichen Vertrauens

auch eine zeitliche Dimension. Öffentliches Vertrauen bildet sich vorrangig durch verschiedene "insti-

tutionalisierte Informationsquellen, die als Vertrauensvermittler (im Sinne Colemans) fungieren"

(Bentele, 1994, S. 143). Vertrauensvermittler sind insbesondere Medien und Public-Relations-

Systeme, wie z. B. Public-Relations-Abteilungen bei Unternehmen. Dabei merkt Bentele (1994) an,

dass zwischen Journalisten und Public-Relations-Systemen ebenfalls Vertrauensbeziehungen existie-

ren können, die einen Einfluss auf die Vertrauenszuschreibung der Öffentlichkeit haben können (Ben-

tele, 1994, S. 141 ff.). Insbesondere das Medium Fernsehen trägt laut Levi und Stoker (2000) zu ei-

nem kontinuierlichen Vertrauensabfall bei, da es sich in seiner Berichterstattung auf politische Skan-

dale und die zynische Kommentierung politischer Aktivitäten konzentriert (Levi und Stoker, 2000, S.

481).

Auch Schweer und Thies (2003) räumen den Medien eine Sonderstellung innerhalb der gesell-

schaftlichen Institutionen ein. "Sie sind Vermittlungsinstitutionen, d. h., sie transportieren [...] nicht

nur ihre eigene Vertrauenswürdigkeit, sondern immer auch direkt oder indirekt die Vertrauenswürdig-

keit anderer (z. B. Politiker und Parteien)" (Schweer und Thies, 2003, S. 157). Dabei merken sie an,

dass das Vertrauen in Medien auch immer mit politischen oder gesellschaftlichen Ansichten verknüpft

ist, d. h. es werden primär nur solche Medien als vertrauenswürdig empfunden, die den eigenen politi-

schen oder gesellschaftlichen Einstellungen entsprechen. Im Hinblick auf den medialen Einfluss auf

gesellschaftliche Veränderungen identifizieren Schweer und Thies (2003) zwei unterschiedliche Posi-

tionen. Einerseits wird die Meinung vertreten, dass Medien lediglich eine Abbildfunktion haben, d. h.

sie geben nur bereits Vorhandenes wieder, und andererseits wird ihnen eine Mitverantwortung für

gesellschaftliche Interessen und Bedürfnisse unterstellt. Es wird behauptet, dass im Rahmen wissen-

schaftlicher Analysen den Medien eine bedeutende Rolle beim Erwerb und bei der Verfestigung von

Einstellungen zugestanden wird. Entscheidend für diesen Einfluss ist das Konsumentenvertrauen in

das Medium selbst (vgl. Schweer und Thies, 2003, S. 157 ff.).

2.3. Systemvertrauen

Bentele (1992) unterscheidet Systemvertrauen als einen von vier Typen des öffentlichen Vertrau-

ens. Demnach bezieht sich Systemvertrauen auf das politisch-gesellschaftliche und/oder wirtschaft-

lich-gesellschaftliche Gesamtsystem (vgl. Bentele, 1992, S. 385 ff.). Er bemerkt, dass Vertrauen in der

Praktikerliteratur der Public-Relations häufig als Systemvertrauen aufgefasst wird. So wird beschrie-

mann (1991) mindestens zwei Parteien beteiligt. Dabei handelt es sich um den Vertrauensgeber und den Ver-trauensnehmer, welche die zwei Grundelemente eines Vertrauenssystems darstellen.

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ben: "Angestrebt wird ein Klima, in dem Organisationen in einem gesellschaftlich abgesteckten Rah-

men größtmögliche Handlungsfreiheit haben. Systemvertrauen bedeutet, dass in der Organisations-

umwelt Vorstellungen von Werten bestehen, die von der Organisationsumwelt getragen werden und

deren Fortbestand die Organisationsumwelt erwartet" (Bentele, 1994, S. 151).

Loose und Sydow (1994) betonen, dass Vertrauen innerhalb von Systemen einen entscheidenden

Einfluss auf das Vertrauen in ein System hat. Jedoch merken sie an, dass in der Regel nicht dem gan-

zen System vertraut wird. So bezieht sich Vertrauen "nur auf bestimmte Ergebnisse und Ereignisse,

die im Systemzusammenhang (zukünftig) hervorgebracht werden" (Loose und Sydow, 1994, S. 181).

Dies ist einerseits an bestimmte Fähigkeiten des Systems gebunden, an eine "capacity for trust" (Har-

din, 1991, S. 194) bzw. insbesondere an System- Ressourcen. Andererseits sind diese Ergebnisse auch

von der Bereitschaft der Akteure abhängig, die Ressourcen im Interesse des Vertrauensgebers einzu-

setzen (Loose und Sydow, 1994, S. 180 ff.).

Während Bentele (1992, 1994) Systemvertrauen als eine Komponente des öffentlichen Vertrauens

betrachtet, sind Pennington, Wilcox und Grover (2003) der Ansicht, dass Systemvertrauen das Kom-

plement zum relationalen Vertrauen darstellt. So definieren sie Systemvertrauen als "a belief that the

proper impersonal structures have been put into place enabling one party to anticipate successful

transactions with another party" (Pennington, Wilcox und Grover, 2003, S. 201). Systemvertrauen

kann ihrer Ansicht nach auf zwei verschiedene Arten beschrieben werden. Erstens wird es als struktu-

relle Versicherung aufgefasst, die Schutzvorkehrungen wie Regularien, Gesetze, Garantien und Ver-

träge beinhaltet, die es dem Vertrauensgeber erlauben sich sicher zu fühlen und somit Vertrauen er-

möglichen. Zweitens wird Systemvertrauen als situative Normalität beschrieben, welche die Sachlage

normal erscheinen lässt und somit Unsicherheit in der Transaktion reduziert (vgl. Pennington, Wilcox

und Grover, 2003, S. 201).

Die Funktion von Vertrauen ist laut Morrison und Firmstone (2000) das Ausfüllen der Lücken im

Wissen. Somit trägt es zur Entwicklung von Zuversicht während des Entscheidungsprozesses bei und

beeinflusst das Risikomanagement positiv. Alle Systeme benötigen von Zeit zu Zeit einen Input an

Vertrauen, um eine konstante Zuversicht während der Entscheidungsprozesse zu ermöglichen. Dem-

nach ist das Vertrauen anderer in ein System ein Schlüsselelement für die Etablierung und Erhaltung

von Systemvertrauen (Morrison und Firmstone, 2000, S. 604).

Ebenso wie Luhmann (1979) sind Morrison und Firmstone (2000) der Ansicht, dass Systemvertrau-

en Reflexivität und eine bewusste Kooperationsabsicht beinhaltet. Dabei verstehen sie unter Reflex-

ivität "[...] the constant monitoring by the individual of self-performance" (Morrison und Firmstone,

2000, S. 605). Das System profitiert von der Fähigkeit des Vertrauens Unsicherheit zu reduzieren, die

ein Produkt sozialer Komplexität ist. Ohne die Existenz von Systemvertrauen wären lediglich einfache

Arten von Verbindungen möglich. Daher ist die Erhaltung von Systemvertrauen im Interesse derer,

die in komplexen Gesellschaften mit einer Vielzahl komplizierter sozialer Vereinbarungen leben (vgl.

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Morrison und Firmstone, 2000, S. 605). Dabei leistet Vertrauen immer die gleiche Funktion: Es redu-

ziert die Komplexität, indem es über verfügbare Informationen hinausgeht und Verhaltenserwartungen

generalisiert, sodass fehlende Informationen durch eine interne Sicherheit ersetzt werden (vgl. Luh-

mann, 1979, S. 93 und Morrison und Firmstone, 2000, S. 606). So ermöglicht Vertrauen zunehmende

Komplexität sozialer Systeme und Vereinbarungen, da es den Umgang mit dieser erleichtert, indem es

die Unsicherheitstoleranz erhöht. Morrison und Firmstone (2000) schreiben: "[...] it assists in selecting

an option considered to have the highest probability of limiting disappointment" (Morrison und Firm-

stone, 2000, S. 606).

Während sich Morrison und Firmstone (2000) hauptsächlich mit der Funktion des System-

vertrauens beschäftigt haben, spezifizieren Loose und Sydow (1994) das Vertrauensobjekt. So schrei-

ben sie, dass Systemvertrauen auf technische oder soziale Systeme gerichtet ist und entscheidend zur

Stabilisierung von Netzwerkbeziehungen beiträgt. Dabei bezieht es sich bspw. auf Zertifikate, Regula-

rien oder Geld und entspricht dem von Luhmann (1979, 1989) verwendeten Begriff des Systemver-

trauens. So ähnlich definiert auch Lo (2004) Systemvertrauen, denn sie schreibt: "Für die Funktions-

weise von Märkten und Hierarchien ist [...] "systemisches" Vertrauen notwendig, d. h., es wird [...] auf

die Regeln des Marktes oder auf formelle Institutionen wie Arbeitsmarktgesetzgebung [vertraut]" (Lo,

2004, S. 35). Auch Schläger-Zirlik (2004) ist der Ansicht, dass Systemvertrauen Vertrauen in das

Gesundheits-, Rechts und/oder Finanzwesen bedeutet. Schließlich sollen "institutionelle Arrangements

wie Gesetze, Expertenwissen, Regeln und Verfahrensstandards [...] für jeden Handlungskontext Er-

wartungssicherheit schaffen" (Schläger-Zirlik, 2004, S. 22).

Schweer und Thies (1999) hinterfragen, ob in Bezug auf gesellschaftliche Systeme überhaupt von

Vertrauen gesprochen werden kann. Eine solche Verbindung zu abstrakten Gebilden ist "alltagspsy-

chologisch oft wenig augenscheinlich" (Schweer und Thies, 1999, S. 153), da Vertrauen auch immer

mit dem Erleben von starken Emotionen verbunden wird. Die Autoren sind jedoch der Ansicht, dass

aus wissenschaftlicher Perspektive durchaus von Vertrauen in Bezug auf abstrakte Systeme gespro-

chen werden kann. So beziehen sie sich auf die Luhmannsche Konzeption des Vertrauenskonstruktes

als einen notwendigen "Mechanismus zur Reduktion der Komplexität" (Luhmann, 1989, S. 23) des

menschlichen Lebens. Ferner führen sie die Unvermeidbarkeit an, sich in die Hand gesellschaftlicher

Institutionen zu begeben. So vertraut man z. B. darauf, "[...] auf einem Amt richtig beraten zu werden,

dass man angemessen versichert ist [...]" (Schweer und Thies, 1999, S. 154) oder dass die gewählte

Partei sich des "[...] Vertrauens als würdig erweist [...]" (Schweer und Thies, 1999, S. 154). Dennoch

wird angemerkt, dass im Systemvertrauen auch ein emotionales Element enthalten ist. Sie schreiben:

"[...] so kann das Vertrauen in bestimmte Institutionen ein Sicherheitsempfinden auslösen oder aber,

im negativen Fall, Emotionen wie Wut, Empörung und Erschrecken produzieren" (Schweer und

Thies, 1999, S. 154). Folglich begreifen Schweer und Thies (1999) Vertrauen als soziale Einstellung,

welche nicht überprüfbar ist, da keine objektiven Bewertungskriterien existieren, sodass die Wahr-

nehmung sozialer Systeme in einem hohen Maß subjektiv ist (Schweer und Thies, 1999, S. 153 f.).

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Zusätzlich postulieren sie wie bereits erwähnt die Existenz einer "emotionalen Ebene" (Schweer und

Thies, 1999, S. 155). So definiert Schweer (2003) Systemvertrauen als "[...] das Vertrauen, das eine

Person in bestimmte Organisationen und Institutionen erlebt" (Schweer, 2003, S. 323). Als Beispiele

für solche Systeme führt er u. a. die Regierung, politische Parteien, Gewerkschaften, aber auch Kir-

chen, Verbände und Vereine an.

Bei der Auswertung zahlreicher empirischer Untersuchungen, stellen Schweer und Thies (1999)

fest, dass Vertrauen in gesellschaftliche Systeme deutlich geringer ausgeprägt ist als interpersonales

Vertrauen. Als Ursache dafür identifizieren sie die Entfernung vom "sozialen Nahraum" (Schweer und

Thies, 1999, S. 155) und schreiben: "Je weiter entfernt ein Vertrauensobjekt vom sozialen Nahraum

ist, um so geringer ist die Bereitschaft, diesem zu vertrauen" (Schweer und Thies, 1999, S. 155 f.).

Daher schlussfolgern sie, dass Systemvertrauen grundsätzlich schwieriger zu realisieren ist als inter-

personales Vertrauen. Ferner ermitteln sie eine Art Rangfolge innerhalb des Systemvertrauens, wobei

soziale Institutionen im Vergleich zu wirtschaftlichen und politischen Einrichtungen als vertrauens-

würdiger eingestuft werden. Allerdings ist in den letzten Jahren ein genereller Schwund an Vertrauen

in Parteien und andere große Institutionen wie die Kirche und Gewerkschaften zu verzeichnen. In

diesem Zusammenhang stellen Schweer und Thies (1999) folgende These auf: "Je einflussreicher ein

soziales System erlebt wird, um so weniger Vertrauenswürdigkeit wird ihm zugeschrieben" (Schweer

und Thies, 1999, S. 164).

2.4. Institutionsbasiertes Vertrauen

Der Begriff des institutionsbasierten Vertrauens wird hauptsächlich von Zucker (1986) verwendet.

Sie teilt viele der Annahmen aus Luhmanns (1989) systemtheoretischen Ansatz und untersucht Ver-

trauen als Mechanismus zur Koordination von sozialen Erwartungen der Akteure. Ihre Konzeptuali-

sierung des Vertrauenskonstruktes basiert auf der Konstitution kollektiver Bedeutungen und einem

geteilten impliziten Wissen. Während Luhmann (1989) behauptet, dass persönliches Vertrauen im

historischen Prozess zunehmend durch Systemvertrauen ersetzt wird (Luhmann, 1989, S. 23), geht

Zucker (1986) nicht ganz so weit. Sie verbindet institutionsbasiertes Vertrauen mit fortgeschrittenen

Gesellschaften und zwei andere Vertrauensarten – prozessbasiertes und eigenschafts-basiertes Ver-

trauen – mit früheren Stadien der sozialen Entwicklung.

Institutionsbasiertes Vertrauen generalisiert vergangene Transaktionen auch über spezifische Inter-

aktionspartner hinweg. Um das "locally produced trust" (Zucker, 1986, S. 63) intersubjektiv zu rekon-

struieren, ist es erforderlich, dass dieses Vertrauen einerseits außerhalb bestimmter Situationen als ein

Teil der "external world known in common" (Zucker, 1986, S. 63) vorhanden ist. Andererseits besteht

die Notwendigkeit von Objektivität, d. h. diese Situationen müssen durch andere Individuen wieder-

holt werden können, ohne dass sich das gemeinsame Verständnis für die Handlungen verändert. Als

ein Beispiel für diesen Rekonstruktionsprozess führt Zucker (1986) standardisierte Verträge an, die

11

angewendet werden, ohne individuelle Charakteristiken des Transaktionspartners in Betracht zu zie-

hen (Zucker, 1986, S. 63).

Es existieren zwei unterschiedliche Arten des institutionsbasierten Vertrauens. Der personen- oder

unternehmensspezifische Typ basiert auf der Integration in ein soziokulturelles Umfeld, in welchem

bestimmte gemeinsame Erwartungen vorliegen, die teilweise durch Sozialisation entstanden sind. So

sind bspw. in sozialen Systemen konstitutive Rollenerwartungen für einen Juristen vorgegeben, sodass

klar definiert ist, auf welchen Gebieten ihm vertraut werden kann. Auf der Unternehmensebene bieten

bspw. Berufsvereinigungen ein klares Vertrauenssignal (Zucker, 1986, S. 63 f.). Vermittelnde Mecha-

nismen, die dem zweiten Typ des institutionsbasierten Vertrauens inhärent sind, basieren auf der legi-

timen Sorge, dass die Transaktion nicht beendet wird oder aber nicht zum erwarteten Ergebnis führt,

obwohl kein Fehlverhalten der Interaktionspartner vorhanden ist. So ist bspw. die Versicherung einer

zu versendenden Lieferung keine Demonstration des Misstrauens. Der Abschluss einer solchen Versi-

cherung demonstriert verantwortungsvolles Handeln und initiiert somit Vertrauen, da "[...] a firm has

done everything "reasonable" to protect the other party from loss [...]" (Zucker, 1986, S. 64). Des Wei-

teren bemerkt Zucker (1986), dass häufig die Präsenz solcher formaler Mechanismen ausreichend ist,

da schon die Bereitschaft zur Nutzung als ein Indikator für Vertrauen gewertet wird (Zucker, 1986, S.

64).

Lane und Bachmann (1996) untersuchen empirisch die Existenz des institutionsbasierten Vertrau-

ens basierend auf Zucker (1986). Dabei finden sie heraus, dass dieses sowohl in Deutschland als auch

in Großbritannien existiert. Allerdings ist das Ausmaß des institutionsbasierten Vertrauens in Deutsch-

land ungleich größer. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Verträge eher ein Mittel zur Absicherung sind und

nicht eine Maßnahme zur Durchsetzung bestimmter Geschäftsbedingungen. Sowohl in Großbritannien

als auch in Deutschland werden sie daher als vertrauensbildende Mechanismen angesehen. In Großbri-

tannien werden jedoch kaum standardisierte Verträge eingesetzt, sodass die Parteien häufig versuchen,

ihre Konditionen durchzusetzen, indem sie individuell vorbereitete Verträge nutzen wollen. Daher

kann der Einsatz von Verträgen in Großbritannien eher kontraproduktiv auf die Vertrauensbildung

einwirken. Im Gegensatz dazu ist in Deutschland eine größere Einheitlichkeit und somit auch Vorher-

sagbarkeit sowohl bei der Nutzung, als auch bei der Auswertung der Verträge gegeben. Obwohl auch

dort individualisierte Verträge eingesetzt werden, existieren im Gegensatz zu Großbritannien "mini-

mum conditions of business relations" (Lane und Bachmann, 1996, S. 386). Des Weiteren gibt es in

Deutschland standardisierte Zahlungsbedingungen, die nur geringe Unterschiede zwischen den Bran-

chen aufweisen und eine Selbstverständlichkeit im deutschen Geschäftsleben darstellen. Auch die

Existenz eines Systems technischer Normen, wie z. B. die Deutsche Industrie Norm (DIN), führt zur

Bildung von institutionsbasiertem Vertrauen. Die DIN existiert schon sehr lange und ist so weitläufig

akzeptiert, dass sie als soziale Tatsache angesehen wird. Somit bietet auch die DIN eine gemeinsame

Basis für Erwartungen und erleichtert die Entstehung von Vertrauen. Diese genannten prozeduralen

12

Normen sind ein erster Schritt für die Vertrauensbildung, da sie Commitment bzgl. der Qualität und

Zuverlässigkeit der Partnerschaft signalisieren (Lane und Bachmann, 1996, S. 384 ff.).

2.5. Politisches Vertrauen

Levi und Stoker (2000) behaupten, dass Vertrauensurteile die wahrgenommene Vertrauens-

würdigkeit einer Gruppe reflektieren. Dabei verstehen sie Vertrauenswürdigkeit als ein aus Wohlwol-

len und Kompetenz bestehendes Konstrukt (Levi und Stoker, 2000, S. 476). In ihrer Literaturanalyse

identifizieren sie zwei unterschiedliche in der Wissenschaft vorhandene Definitionen politischen Ver-

trauens. Im ersten Ansatz reflektiert Vertrauen die Evaluationen, ob politische Institutionen in Über-

einstimmung mit normativen Erwartungen der Öffentlichkeit handeln. Dabei soll die Regierung fair,

gerecht, ehrlich, effizient und verantwortungsvoll mit den Bedürfnissen der Gesellschaft umgehen.

Daher ist Vertrauen in die Regierung hier als generalisiertes Urteil zu verstehen, welches das System

als verantwortungsvoll einschätzt und davon ausgeht, dass es auch ohne konstante Prüfung richtig

handeln wird. Die Überzeugung, dass die politische Institution im Interesse des Vertrauensgebers

handelt, ist Inhalt des zweiten Definitionsansatzes. Während die erste Definition bereits Anwendung

in zahlreichen empirischen Untersuchungen gefunden hat, muss der zweite Ansatz noch empirisch

überprüft werden (Levi und Stoker, 2000, S. 498). Zudem stellen Levi und Stroker (2000, S. 480) fest,

dass politisches Vertrauen starke "partisan and incumbent components" enthält. So ist bspw. in den

USA das politische Vertrauen eines Demokraten größer, wenn der amtierende Präsident ebenfalls ein

Demokrat ist. Im Hinblick auf Westeuropa wird diese Erkenntnis auch in diversen empirischen Stu-

dien für regierende Parteien und deren Anhänger bestätigt. Folglich werden Vertrauensurteile durch

die Evaluation der Leistungen des Präsidenten oder der Regierung, die Bewertung der persönlichen

Führungsqualitäten sowie durch das Ausmaß der Zufriedenheit mit der aktuellen Politik der Regierung

beeinflusst (Levi und Stoker, 2000, S. 480).

Wenn Misstrauen die Unzufriedenheit mit staatlichen Aktivitäten reflektiert, sind Vertrauensurteile

nicht lediglich "[...] an amalgam of reactions to current incumbents but reflect deeper, and less readily

reversible, dissatisfactions or concerns" (Levi und Stoker, 2000, S. 480). Obwohl der Vertrauensrück-

gang in den USA in den 60er und 70er Jahren u. a. durch den Vietnam-Krieg und die Watergate-

Affaire verursacht wurde, konnte kein besonderer Vertrauensanstieg verzeichnet werden, nachdem die

mit diesen Ereignissen in Verbindung gebrachten Regierungen ersetzt worden waren. So wird in Ü-

bereinstimmung mit zahlreichen anderen Wissenschaftlern die Schlussfolge gezogen, dass politisches

Vertrauen vorrangig eine Reflektion der "political lives" ist und weder explizit mit der Persönlichkeit

des einzelnen Bürgers zusammenhängt, noch mit seinen sozialen Eigenschaften (vgl. Levi und Stoker,

2000, S. 481).

Auch in Europa haben Forscher einen generellen Rückgang in Bezug auf das politische Vertrauen

festgestellt. Allerdings trat der Vertrauensverlust zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen

13

Ausmaß als in den USA auf. In den meisten europäischen Ländern waren zwischen den Jahren 1981

und 1990 Vertrauensminderungen zu verzeichnen. Des Weiteren behaupten Levi und Stoker (2000),

dass zumindest in den letzten Jahren im Allgemeinen das Vertrauen auf lokaler Ebene größer war als

das Vertrauen in nationale Regierungen. Sie erklären dies mit der leichteren Evaluation von Leistun-

gen auf einer niedrigen administrativen Ebene und mit der größeren Zuständigkeit für die Bürgerbe-

lange (Levi und Stoker, 2000, S. 482). Ferner stellen sie fest, dass "[...] trust judgments do indepen-

dently influence voters' choices" (Levi und Stoker, 2000, S. 490) und zeigen Studien, dass die Wahl-

beteiligung misstrauischer Bürger signifikant höher ist als die von vertrauensvollen Wahlberechtigten

(Levi und Stoker, 2000, S. 489 f.). Beurteilungen in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit einer Regie-

rung sind mehr als nur ideologische oder parteiliche Reaktionen auf eine spezifische Administration.

Es sind generalisierte Urteile, die einen Einfluss darauf ausüben, "[...] whether citizens endorse or

reject existing authorities and public policy or institutional reforms" (Levi und Stoker, 2000, S. 491).

Eine Literaturauswertung lässt Levi und Stoker (2000) die Allgemeingültigkeit folgender Hypothese

formulieren: Je vertrauenswürdiger Bürger die Regierung wahrnehmen, desto wahrscheinlicher ist es,

dass sie ihre Maßnahmen akzeptieren und ihr Verhalten danach ausrichten. Allerdings sind sich die

Wissenschaftler nicht einig, ob die Quelle dieses Vertrauens eine soziale Bindung oder eine Art "en-

capsulated interest" (Hardin, 1993, S. 505 ff.) ist. Einigkeit herrscht jedoch dahingehend, dass "[...]

government officials who act in a trustworthy manner are more likely to elicit compliance, and […]

that government regulators who trust the people they are regulating are more likely to evoke trustwor-

thy behavior and compliance" (Levi und Stoker, 2000, S. 493). Folglich erleichtert eine vertrauens-

würdige Regierung auch die Entwicklung von sozialem Vertrauen (Levi und Stoker, 2000, S. 495).

Dennoch bemerken Levi und Stoker (2000), dass es ihnen sinnvoll erscheint, politisches Vertrauen

nach verschiedenen Sachaspekten gegliedert zu betrachten, da man bspw. dem Präsidenten in Bezug

auf ökonomische Sachverhalte vertrauen kann, ihm aber bzgl. der Sozialpolitik kein Vertrauen entge-

genbringen muss.

Weatherford (1992) entwickelt auf Basis theoretischer Erkenntnisse und empirischer Untersuchun-

gen für die Vereinigten Staaten eine Konzeptualisierung des Konstruktes der politischen Rechtmäßig-

keit. Dabei betrachtet er politisches Vertrauen als eine Komponente der politischen Rechtmäßigkeit.

Hierbei merkt er an, dass es in der Wissenschaft keine einheitliche Meinung gibt, wie politisches Ver-

trauen gemessen werden kann. Der "conventional multiitem index of political trust" (Weatherford,

1992, S. 152) ist zwar bei der Messung politischen Vertrauens weit verbreitet, dennoch sind sich die

Forscher über dessen Interpretation nicht einig. Während einige Wissenschaftler der Ansicht sind,

dass dieser Index die öffentliche Gunst gegenüber den Ergebnissen der Regierungspolitik anzeigt,

vertreten andere Forscher die Auffassung, dass er ein Indikator für die persönliche Popularität des

Amtsinhabers ist. Weatherford (1992) kombiniert diese beiden Schulen und versteht politisches Ver-

trauen sowohl als die Gunst gegenüber der Regierungspolitik oder einzelnen politischen Institutionen,

wie auch gegenüber dem Amtsinhaber, indem er es mittels folgender vier Items operationalisiert:

14

"How much of the time do you think you can trust the government in Washington to do what is right –

just about all of the time, most of the time, or only some of the time? Which part of the government on

this list do you most often trust to do what's right… Congress, Supreme Court, President, political

parties? Which do you trust next most often? Which do you least often trust?" (Weatherford, 1992, S.

162).

2.6. Alternative Bezeichnungen

In den vorangegangenen Kapiteln wurden besonders häufig benutzte Bezeichnungen des Vertrauens

auf einer abstrakten Ebene in unterschiedlichen Kontexten vorgestellt. Allerdings existieren weitere

Begrifflichkeiten, die dieses Phänomen beschreiben. Diese alternativen Benennungen sind Gegenstand

dieses Abschnitts, wobei hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Vielmehr sollen bei-

spielhaft und zusammenfassend weitere Ausdrücke und deren Definitionen vorgestellt werden.

Kramer (1999) unterscheidet zwischen personalisiertem und entpersonalisiertem Vertrauen. Dabei-

betrachtet er entpersonalisiertes Vertrauen als ein Substitut für personalisiertes Wissen, welches seiner

Ansicht nach eine mögliche Basis für Vertrauen darstellt. Da es jedoch häufig schwierig ist, dieses

Wissen zu erlangen (Kramer, 1999, S. 576), schlägt er u. a. "category-based trust" (Kramer, 1999, S.

577) und "rule-based trust" (Kramer, 1999, S. 579) als alternative entpersonalisierte Grundlagen vor.

So schreibt er: "Category-based trust refers to trust predicated on information regarding a trustee's

membership in a social or organizational category […]" (Kramer, 1999, S. 577). Die Zuordnung zu

einer bestimmten Kategorie bietet so eine Grundlage für Vertrauen, da Individuen als kognitive Kon-

sequenz der Kategorisierung dazu tendieren, positive Charakteristiken wie Ehrlichkeit, Vertrauens-

würdigkeit u. ä. auch den anderen Gruppenmitgliedern zuzuschreiben. Folglich investieren sie eine

Art entpersonalisiertes Vertrauen in andere Gruppenmitglieder, welches lediglich auf der Einordnung

in eine bestimmte soziale Kategorie basiert (vgl. Kramer, 1999, S. 577).

"Rule-based trust" (Kramer, 1999, S. 579) basiert nicht auf einer bewussten Kalkulation der Konse-

quenzen des zu investierenden Vertrauens, sondern auf einem gemeinsamen Verständnis des Regel-

systems, welches angemessenes Verhalten festlegt. Somit wird "rule-based trust" nicht durch explizite

Verträge aufrechterhalten, sondern durch die soziale Anpassung an die Regelstruktur. Daher stellt

Kramer (1999) die These auf: "When reciprocal confidence in member's socialisation into and contin-

ued adherence to a normative system is high, mutual trust can acquire a taken-for-granted quality"

(Kramer, 1999, S. 579). So ist bspw. Vertrauen in Ingenieure nicht lediglich Vertrauen in die Sach-

kenntnis eines spezifischen Individuums, sondern Vertrauen in ein System der Sachkenntnis. Regeln

begünstigen dieses einerseits durch ihre Wirkung auf die Selbstwahrnehmung des Individuums und

andererseits durch die Bildung von Erwartungen, welche die jeweils anderen Gruppenmitglieder be-

treffen. Folglich üben regelbasierte Praktiken nicht nur einen subtilen Einfluss auf die Wahrnehmung

der eigenen Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit aus, sondern es werden ebenso die Erwartungen

15

bezüglich der Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der anderen Gruppenmitglieder beeinflusst. So

postuliert Kramer (1999), dass die Institutionalisierung von Vertrauen auf der kollektiven Ebene mit-

tels solcher Praktiken zu einer Vertrauensinternalisierung auf der individuellen Ebene führt (Kramer,

1999, S. 579 ff.). Daher ist "rule-based trust […] a potent form of expectational asset that facilitates

spontaneous coordination and cooperation […]" (Kramer, 1999, S. 581).

Morrison und Firmstone (2000) benutzen den Ausdruck des abstrakten Vertrauens und behaupten,

dass dieses die Basis sozialen Zusammenhaltes und eine Garantie für das Bestehen von Systemen ist

(Morrison und Firmstone, 2000, S. 600). Abstraktes Vertrauen in sozioökonomische und staatliche

Systeme, wie z. B. Märkte, wirkt auch über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg. Für die soziale

Solidarität bzw. den sozialen Zusammenhalt ist abstraktes Vertrauen unerlässlich, da ohne dieses

komplexe soziale Systeme nicht existieren können. Morrison und Firmstone (2000) gehen sogar noch

weiter, indem sie hervorheben: "Indeed, without abstract trust, modernity as we know it would be

impossible" (Morrison und Firmstone, 2000, S. 602).

So wäre ohne abstraktes Vertrauen bspw. nur Tauschhandel möglich, da Geld Vertrauen in "[...]

what the money represents [...]" voraussetzt, d. h. das Individuum muss sich darauf verlassen können,

dass der Wert des Geldes eingelöst wird. Auch Shapiro (1987) führt dieses Beispiel an. Sie schreibt,

dass Individuen "[...] willingly substitute worthless pieces of paper or plastic or electronic impulses

[...] for material wealth in the belief that symbolic promises can be readily exchanged for tangible

property of equal value" (Shapiro, 1987, S. 629). Ist Vertrauen in den Wert des Geldes vorhanden, so

wird auch dem Wirtschaftssystem vertraut (Morrison und Firmstone, 2000, S. 603). Sie behaupten

daher, dass somit auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Systems vorhanden sein muss,

Aufgaben zufriedenstellend und mit ausreichendem Erfolg lösen zu können, sodass die solide Basis

des Vertrauens gestärkt wird. Der Mangel an Vertrauen in den Wert einer Währung führt hingegen zu

Systemfehlern im Sinne von "[...] non-agreement over the representational value of money [...]" (Mor-

rison und Firmstone, 2000, S. 603) und kann sich konkret in der Schließung von Banken manifestie-

ren. In solchen Fällen spricht man von systemischen Misserfolgen, die durch den Mangel an abstrak-

tem Vertrauen ausgelöst werden. So führt "[...] the absence of general structural performance of the

state or political administration such as local government and so on […]" (Morrison und Firmstone,

2000, S. 603) zu einer schlechten Entwicklung von abstraktem Vertrauen und einer hohen Abhängig-

keit von relationalem Vertrauen. Daher ist bspw. als Konsequenz schlechter ökonomischer Leistungen

des Staates das Ausmaß an abstraktem Vertrauen im Süden Italiens sehr niedrig. Dieser Vertrauens-

mangel zeigt sich dort durch fehlende Beteiligung der Bürger beim Formulieren kollektiver Interessen

und der Entstehung der Mafia als regionale Antwort auf den mangelnden staatlichen Schutz der Bür-

gerinteressen. Hier wird deutlich, dass die geringe Ausprägung des abstrakten Vertrauens eine über-

mäßige Zuversicht in Bezug auf interpersonales Vertrauen verursacht. Daher begrenzt ein solches

kompensatorisches, aber gefährliches Risikomanagement die Entwicklung komplexer Systeme, die

ein essentielles Merkmal moderner Gesellschaften sind. Auch das Auftauchen der Mafia in der frühe-

16

ren Sowjetunion wurde durch den Zusammenbruch der staatlichen Protektion für Bürger und Unter-

nehmen erleichtert. So ist es nicht die Existenz einer solchen kriminellen Organisation, die die öko-

nomische Leistungsfähigkeit auf politischer und kommerzieller Ebene bedroht, sondern das mangeln-

de Vertrauen in den Staat, welches die Entwicklung anderer Arten der 'Protektion' erst möglich macht.

Daher ist es äußerst schwierig, solche Volkswirtschaften ohne die Existenz von abstraktem Vertrauen

zu modernisieren (Morrison und Firmstone, 2000, S. 603 f.).

Insbesondere Shapiro (1987) hat sich mit sozialen Kontrollmechanismen zur Entwicklung und Er-

haltung von unpersönlichem Vertrauen befasst. Dabei beschreibt sie dieses als eine Art sozialer Orga-

nisation. Ihre Konzeption besteht hierbei aus zwei Elementen. Einerseits benennt sie den Aspekt der

Vertretung, wobei Individuen oder Organisationen im Interesse anderer handeln, und andererseits

erwähnt sie Risikoinvestitionen, die solchen Vertretungsbeziehungen inhärent sind. Somit definiert

Shapiro (1987) Vertrauen als "[...] a social relationship in which principals – for whatever reason or

state of mind – invest resources, authority, or responsibility in another to act on their behalf for some

uncertain future return" (Shapiro, 1987, S. 626). Sie betont außerdem, dass gemeinsame Netzwerke

von Prinzipal und Agent zwar einen hinreichenden Anreiz für Vertrauen bieten, aber dies nicht not-

wendigerweise. Shapiro (1987) hält hierzu fest: "Impersonal trust arises [...] when faceless and readily

interchangeable individual or organizational agents exercise considerable delegated power and privi-

lege on behalf of principals who can neither specify, scrutinize, evaluate, nor constrain their perform-

ance" (Shapiro,1987, S. 634). Folglich erwächst unpersönliches Vertrauen, wenn Kontrollmechanis-

men, die aus sozialen Bindungen und dem direkten Kontakt zwischen Prinzipal und Agent entstehen,

nicht verfügbar sind (Shapiro, 1987, S. 634). Als Überwachungsmechanismen für unpersönliches Ver-

trauen identifiziert Shapiro (1987) u. a. Auswahlprozeduren, die persönliche soziale Kontrolle imitie-

ren. Dinge wie soziale oder ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht etc. spielen ebenso wie Selektions-

systeme, die auf Empfehlungen, Referenzen, Zertifikaten, etc. basieren, bei der Vergabe von Vertrau-

en eine wichtige Rolle. Auch Untersuchungen, die Wissen, Kompetenz, Integrität, frühere Leistungen

etc. prüfen, sind bei der Vertrauensentstehung bedeutsam und können teilweise auch zur Bestrafung

und Überwachung eingesetzt werden. So streuen auch versicherungsähnliche Übereinkünfte das Risi-

ko oder bieten einen Ausgleich für Fehlschläge (Shapiro, 1987, S. 639 ff.).

Während sich die bisher vorgestellten Bezeichnungen relativ ähnlich sind, ist der von Sztompka

(1997) verwendete Begriff der Vertrauenskultur recht ungewöhnlich. Dieses Konstrukt beschreibt –

unabhängig von rationalen Kalkulationen der Vertrauenswürdigkeit oder psychologischen Vorlieben –

den kulturellen Anreiz, eine vertrauensvolle Orientierung gegenüber der Gesellschaft, ihrem Regime

oder ihren Institutionen zu zeigen. Die Vertrauenskultur ist eine Art sozialer Ressource und ermög-

licht es den Individuen, Risiken zu akzeptieren. Dabei ist sie abhängig von der Stärke der positiven

Erwartungen, die sich einerseits auf die instrumentelle Effizienz und andererseits auf die moralischen

Standards beziehen (Sztompka, 1997, S. 9). So trägt eine demokratische Ordnung signifikant zur Ver-

trauensentwicklung bei. Er behauptet, dass die Entwicklung einer Vertrauenskultur unter sonst glei-

17

chen Bedingungen in einer Demokratie wahrscheinlicher ist als in anderen politischen Systemen

(Sztompka, 1997, S. 16). Welter (2004) beschäftigt sich in ihrer Studie mit einer ähnlichen Fragestel-

lung. So untersucht sie in ihrer Arbeit empirisch, ob sich marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaf-

ten generell durch ein hohes Maß an Vertrauen auszeichnen im Vergleich zu Transformationsländern,

in denen ein niedriges Ausmaß an Systemvertrauen erwartet wird. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung

können diese These nicht bestätigen (Welter, 2004, S. 14 ff.).

Ebenso wie Shapiro (1987) ist auch Sztompka (1997) der Ansicht, dass die Absicherung gegen ei-

nen Vertrauensmissbrauch bei der Gewährung von Vertrauen eine entscheidende Rolle spielt. So

schreibt er: "[…] people are more ready to trust the institutions and other people if the social organiza-

tion in which they operate insures them against potential breaches of trust" (Sztompka, 1997, S. 20).

Dabei vertritt er die Meinung, dass demokratische Organisationen diese Art von Absicherung ermög-

lichen (Sztompka, 1997, S. 17 ff.).

Hardin (1993) behauptet ebenfalls, dass Institutionen, die die Existenz von Vertrauenswürdigkeit

sichern, unterstützend auf die Entwicklung von Vertrauen einwirken, da sie dem Vertrauensnehmer

beim Umgang mit der vorhandenen Komplexität helfen (vgl. auch Luhmann, 1989, S. 23 ff.). Basier-

end auf Colemans (1991) Ansatz versteht auch Hardin (1993) Vertrauen "[...] as a capability or as a

product of rational expectation without any moral residue" (Hardin, 1993, S. 512). Er postuliert, dass

Vertrauen aus zwei zentralen Elementen besteht. So muss sowohl die Erwartung der Vertrauenserfül-

lung, als auch der generelle Glaube an die Vertrauenswürdigkeit gegeben sein (Hardin, 1993, S. 526).

Dabei führt er als ein Vertrauensproblem auf kollektiver Ebene die Umweltbedingungen des Indivi-

duums an und nennt folgendes Beispiel: "For me to rely on not locking up my home or shop would

require that I have trust in almost everyone" (Hardin, 1993, S. 513). Folglich ist für Hardin (1993) die

Vertrauensvergabe nur dann vorteilhaft, wenn die allgemeinen sozialen Bedingungen relativ günstig

sind, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Vertrauen belohnt wird (Hardin, 1993, S. 515).

Er betont aber weiterhin, dass Vertrauen nicht unbedingt zweckorientiert sein muss und schreibt: "I do

not trust you in order to gain from interacting with you. But, because I do trust you, I can expect to

gain from interacting with you if a relevant opportunity arises" (Hardin, 1993, S. 516).

Zur Verwendung dieser unterschiedlichen Begrifflichkeiten sollte noch angemerkt werden, dass

"[...] es sich hierbei oftmals eher um eine semantische als um eine tatsächliche fachterminologische

Differenzierung" (Schweer, 2003, S. 324) handelt. Tabelle 2 fasst übersichtlich und abschließend zu-

sammen, welche Autoren die angeführten Bezeichnungen verwendet haben.

18

Bezeichnung Autor(en)

Kollektives Vertrauen McEvily, Weber, Biccieri et al. (2002); Singh und Jayanti (2003); Welter (2004), Zucker (1986)

Öffentliches Vertrauen Bentele (1992, 1994); Hundhausen (1951); Schweer (2003); Schweer und Thies (2003)

Systemvertrauen Bentele (1992, 1994); Lo (2004); Loose und Sydow (1994); Luh-mann (1979, 1989); Morrison und Firmstone (2000); Pennington, Wilcox und Grover (2003); Schläger-Zirlik (2004)

Institutionsbasiertes Vertrauen Lane und Bachmann (1996); Zucker (1986) Politisches Vertrauen Levi und Stoker (2000); Weatherford (1992) Entpersonalisiertes Vertrauen Kramer (1999) Abstraktes Vertrauen Morrison und Firmstone (2000) Unpersönliches Vertrauen Shapiro (1987) Vertrauenskultur Sztompka (1997)

Tabelle 2:Alternative Bezeichnungen für das Vertrauen auf abstrakter Ebene

3 Fazit

Ziel dieses Arbeitspapiers ist die Erarbeitung eines Vertrauensbegriffes auf einer abstrakten Ebene,

welcher ermöglicht, das Vertrauen in eine Branche zu beschreiben. Eine Branche wird im Rahmen

dieser Arbeit als abstraktes System begriffen, mit der nicht, wie in einer spezifischen Geschäftsbezie-

hung, direkt interagiert werden kann. Zur Erreichung der Zielsetzung wurden neun Vertrauensbegriffe

aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen herangezogen und auf deren inhaltliche Rele-

vanz für das Branchenvertrauen untersucht. Bei Betrachtung dieser Begriffe ist zunächst einmal eine

hohe inhaltliche Ähnlichkeit auffallend, so dass sich einige Begriffe nur semantisch voneinander un-

terscheiden (Schweer, 2003, S. 324). Jedoch ist die Trennung dieser Begriffe in einigen Punkten mög-

lich. Die Anforderung an die Vertrauensbegriffe besteht darin, dass ein Bezug zu einem geschlossenen

System mit Elementen, welche sich von ihren Eigenschaften her ähneln, hergestellt werden muss. Am

geeignetsten erscheint das kollektive Vertrauen. Einen Ansatz dafür liefern McEvily et al (2002, S. 4),

indem sie ein aggregiertes soziales System betrachten und dieses als ein Kollektiv bezeichnen. Zucker

(1986) nimmt auch den Begriff des Kollektivs auf und bezeichnet damit ökonomische Institutionen

oder Gruppen, die auf der Ähnlichkeit bestimmter individueller oder unternehmensspezifischer Attri-

bute basieren. Diese Beschreibung entspricht weitgehend dem Charakteristikum einer Branche. Zu-

cker (1986) schränkt die Definition allerdings auf formal organisierte Kollektive ein. Eine Erweite-

rung dieses Begriffs liefern Singh und Jayanti (2003), indem sie auch informelle Strukturen in die

Bezeichnung des Kollektivs mit einbeziehen. Der Fokus liegt dabei auf der Ähnlichkeit in der Wahr-

nehmung der einzelnen Mitglieder des Kollektivs, auch wenn sie auf andere Aktivitäten bezogen ein

heterogenes Erscheinungsbild besitzen. Shapiro (1987) folgend definieren Singh und Jayanti (2003)

kollektives Vertrauen als “consumer's willingness to invest resources, authority, and/or responsibility

19

in a diffused or institutionalized collective entity to act on consumers' behalf to safeguard consumer

interests in exchanges involving individual members of the collective". Die Anforderung an den Beg-

riff des kollektiven Vertrauens auf eine bestimmte Branche als Gesamtheit von Unternehmen wird

hier also weitgehend erfüllt.

Die in Tabelle 1 aufgeführten Trennungskriterien geben einen weiteren Aufschluss darüber, dass

das kollektive Vertrauen in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zu einer Branche zweckmäßig er-

scheint. Das kollektive Vertrauen betrachtet den Vertrauensnehmer als eine Gruppe mit sich ähneln-

den Eigenschaften, also ein geschlossenes System. Damit handelt es sich beim kollektiven Vertrauen

um einen Sonderfall des Systemvertrauens, welches das gesamte Umfeld einer Person in die Betrach-

tung mit einschließt. Während es sich beim Vertrauensgeber um eine Einzelperson, dem Konsumenten

handelt, stellt dieser beim öffentlichen Vertrauen und politischen Vertrauen eine aggregierte Form von

Personen, die Öffentlichkeit, dar.

Nachdem das kollektive Vertrauen für eine Branche als geeignete Konzeptualisierung identifiziert

werden konnte, ist es nun möglich, das Vertrauen in eine Branche näher zu beschreiben und die Ver-

trauensniveaus zu untersuchen. Dazu muss in einem nächsten Schritt neben einer detaillierteren Kon-

zeptualisierung eine Operationalisierung vorgenommen werden. Auf Basis der Konzeptualisierung

und Operationalisierung wird es dann möglich sein, das Spannungsfeld zwischen dem Vertrauen in

eine spezifische Geschäftsbeziehung und in die abstraktere Ebene der Branche näher zu beleuchten.

Mit der Identifikation des kollektiven Vertrauens kann mit diesem Arbeitspapier ein erster konzeptuel-

ler Ansatz für das Branchenvertrauen gegeben werden, welche den Rahmen für die weiteren ange-

sprochenen Schritte vorgibt.

20

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22

4 Anlagen

4.1. Tabellarische Zusammenfassung der konzeptionellen Forschung

AnlageAutor(en); Titel; Quelle; Er-scheinungsjahr; Forschungs-schwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Definition und verwendete Dimensionen

Theoreti-scher Hin-tergrund

Stichproben-merkmale bzw. Fokus der Da-tensammlung

Operationalisierung Messgüte und empirische Kernergebnisse

Lane, Christel; Bachmann, Rein-hard, The Social Constitution of Trust: Supplier Relations in Britain and Germany; 1996, Analyse von Vertrauen als Mit-tel zur Reduktion von Risiken und Unsicherheiten in vertikalen Bezie-hungen zwischen Unternehmen. Ein theoretischer und empirischer Ver-gleich zwischen Deutschland und Großbritannien

Vertrauen als Mechanis-mus zur Risikoreduktion.

Vertrauen basiert auf

geteilten Erwartungen. Vertrauen wird definiert

als Zuverlässigkeit, eh-renhaftes Commitment, Erfüllung vereinbarter Konditionen und die Möglichkeit Verhalten zu erwarten.

Nutzung des Begriffs

systemisches Vertrauen mit Verweis auf Luh-manns und Zuckers insti-tutionsbasiertem Vertrau-en.

Erkenntnis-se aus der Soziologie und den Wirt-schafts-wissen-schaften: Coleman (1990); Loose und Sydow (1994); Luhmann (1979, 1984); Zu-cker (1986)

44 Käufer- und Anbieterunter-nehmen in Großbritannien und Deutsch-land.

44 semi-strukturierte Interviews

Die Untersuchung bestätigt das Vertrauen auf geteilten Erwartungen basiert.

Rechtssystem In Deutschland das wichtigste Mittel zur Regu-

lierung der Aktivitäten der Industrie. Es bietet den Managern relativ eindeutige Ant-

worten auf alle rechtlichen Fragen und ist weit-läufig in der Industrie akzeptiert. Daher hilft das Rechtssystem bei der Bildung gemeinsamer Er-wartungen und schafft damit Vorhersagbarkeit und Stabilität.

Empirischer Nachweis über diese Funktion des Rechtssystems gelingt.

Empirische Untersuchung der Existenz des in-

stitutionsbasierten Vertrauens von Zucker (1986).

Institutionsbasiertes Vertrauen impliziert das Verlassen auf formale, gesell-

schaftliche Strukturen und ist die wichtigste Vertrauensart in modernen Gesellschaften.

existiert sowohl in Deutschland als auch in

23

AnlageAutor(en); Titel; Quelle; Er-scheinungsjahr; Forschungs-schwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Definition und verwendete Dimensionen

Theoreti-scher Hin-tergrund

Stichproben-merkmale bzw. Fokus der Da-tensammlung

Operationalisierung Messgüte und empirische Kernergebnisse

Großbritannien. Allerdings ist das Ausmaß des institutionsbasierten Vertrauens in Deutschland ungleich größer.

Sowohl in Großbritannien als auch in Deutsch-land werden Verträge als vertrauensbildende Mechanismen angesehen. In Großbritannien werden kaum standardisierte Verträge einge-setzt, sodass die Parteien häufig versuchen, ihre Konditionen durchzusetzen, indem sie vorberei-tete Verträge nutzen wollen. Diese Verhandlun-gen bzgl. der Form des Vertrages können häufig kontraproduktiv auf die Vertrauensbildung ein-wirken. Im Gegensatz dazu ist in Deutschland eine größere Einheitlichkeit und somit auch Vorhersagbarkeit sowohl bei der Nutzung als auch Auswertung der Verträge gegeben. Ob-wohl auch in Deutschland individualisierte Ver-träge eingesetzt werden, existieren hier im Ge-gensatz zu Großbritannien einheitliche Grund-bedingungen.

In Deutschland existieren standardisierte Zah-lungsbedingungen, die nur geringe Unterschiede zwischen den Branchen aufweisen und eine Selbstverständlichkeit im deutschen Geschäfts-leben darstellen. Auch die Existenz eines Sys-tems technischer Normen wie z. B. die Deutsche Industrie Norm (DIN) führt zur Bildung von systemischen Vertrauen.

McEvily, Bill; Weber, Roberto

Kollektives Vertrauen wird definiert als das

Erkenntnis-se aus der

Probanden: 174 Studenten, da-

Experiment Ver-trauensspiel:

Ökonomische Akteure bilden sich ein Urteil über die Vertrauenswürdigkeit von Kollektiven

24

AnlageAutor(en); Titel; Quelle; Er-scheinungsjahr; Forschungs-schwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Definition und verwendete Dimensionen

Theoreti-scher Hin-tergrund

Stichproben-merkmale bzw. Fokus der Da-tensammlung

Operationalisierung Messgüte und empirische Kernergebnisse

A.; Bicchieri, Cris-tina; Ho, Violet; Can groups be trusted? An expe-rimental study of collective trust; URL:http://www.hss.cmu.edu/departments/sds/BDRauthors/Weber/CollectiveTrust10.pdf; 2002; Nachweis der Existenz von kollektivem Ver-trauen

Ausmaß zu dem es Indi-viduen möglich ist, Ver-trauen in eine Gruppe als separate Entität zu zei-gen.

Kollektives Vertrauen

existiert zwischen einem Individuum einerseits und einem Kollektiv anderer-seits, d. h. es richtet sich auf ein aggregiertes so-ziales System.

Ebenso wie auch relatio-

nales Vertrauen ist auch kollektives Vertrauen das sich Verlassen auf eine bestimmte Qualität oder bestimmte Eigenschaften einer Person oder Sache.

Soziologie und Psy-cho-logie: Granovetter (1985); Kramer et al. (1996); Rotter (1967)

von 80 in der Kontrollgruppe

Stufe 1: Spieler 1 entscheidet, ob er Spieler 2 vertraut Stufe 2: Spieler 2 entscheidet, ob er das Vertrauen erfüllt oder missbraucht 12 Durchgänge Spielpartner werden einander zufällig zugeteilt Sehr geringe Grup-penidentität, da Spieler aufgrund einer Schätzung der Regentage in San Francisco in zwei Gruppen aufgeteilt wurden

basierend auf Austauscherfahrungen mit einzel-nen Mitgliedern dieses Kollektivs. Somit lässt sich kollektives Vertrauen auf andere Mitglieder des Kollektivs transferieren und dient als ein Er-satz für relationales Vertrauen überall dort, wo kein ausreichendes Wissen über die einzelnen Mitglieder des Kollektivs vorhanden ist.

Die Mitgliedschaft in einer Gruppe signalisiert Vertrauenswürdigkeit, dabei ist es nicht not-wendig, dass jedes einzelne Mitglied seine Ver-trauenswürdigkeit gegenüber den anderen Par-teien in einem ökonomischen Austausch de-monstriert.

Interpersonales und kollektives Vertrauen sind zwar unterschiedliche Facetten des Vertrauens, die jedoch miteinander verbunden sind.

Kollektives Vertrauen kann ökonomische Hand-lungen sowohl über interpersonales Vertrauen als auch darüber hinaus beeinflussen.

Pennington, Robin; Wilcox, H.Dixon; Grover, Varun; The Role of Sys-tem Trust in Busi-ness-to-Consumer Transactions; Jour-nal of Management

Systemvertrauen wird definiert als der Glaube, dass die richtigen, unper-sönlichen Strukturen an-gewandt werden, sodass sie eine Partei befähigen eine erfolgreiche Transak-tion mit einer anderen Par-

Erkenntnis-se aus der Sozio-logie:Luhmann (1991); Shapiro (1987); Zucker

Befragt wurden 266 durch-schnitt-liche Internetnutzer, von denen 92 männlich und 170 weiblich waren mit einem

Experimentelle Stu-die: Potentielle Online-käufer wurden mit-tels eines Fragebo-gens nach ihrer Meinung bzgl. einer

3 verschiedene Mechanismen, die die Entste-hung und Erhaltung des Systemvertrauens er-leichtern.

"seals of approval" sind unabhängige Verifikati-onen durch dritte Parteien

Ratingsysteme beinhalten das Feedback der Kunden.

Garantien sind Aussagen des Anbieters über

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AnlageAutor(en); Titel; Quelle; Er-scheinungsjahr; Forschungs-schwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Definition und verwendete Dimensionen

Theoreti-scher Hin-tergrund

Stichproben-merkmale bzw. Fokus der Da-tensammlung

Operationalisierung Messgüte und empirische Kernergebnisse

Information Sys-tems; 2003; Unter-suchung des Sys-temvertrauens im Kontext des E-Commerce

tei zu erwarten. Systemvertrauen kann auf

zwei Arten beschrieben werden strukturelle Versicherung

(beinhalten Schutzvorkeh-rungen wie Regularien, Gesetze, Garantien und Verträge) situative Normalität (lässt

die Situation normal er-scheinen und reduziert somit die Unsicherheit in der Transaktion) Hypothese 1: Systemver-

trauen hat einen positiven Einfluss auf das wahrge-nommene Vertrauen in ei-nen Internetanbieter Hypothese 2a: "Seals of

approval" sind mit dem System-vertrauen positiv verbunden Hypothese 2b: Garantien

sind mit dem Systemv-ertrauen positiv verbunden Hypothese 2c: Ratings

sind mit dem Systemver-trauen positiv verbunden

(1986) Durchschnitts-alter von 42 Jahren.

Internetseite gefragt Items zum Vertrau-en in den Anbieter wurden von Doney und Cannon (1997) adaptiert Items zum System-vertrauen wurden selbst entwickelt mit Bezug auf McKnight et al. (2000, 2001)

seine Politik und Prozeduren. Die Messung der Konstrukte war reliabel (> 0,8)

und valide Hypothese 1: angenommen Hypothese 2a: abgelehnt Hypothese 2b: angenommen Hypothese 2c: abgelehnt

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4.2. Tabellarische Zusammenfassung der empirischen Forschung

Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

Bentele, Günter; Öffentli-ches Vertrauen – norma-tive und soziale Grundla-ge für Public Relations; Armbrecht, Wolfgang; Zabel, Ulf (Hrsg.): Nor-mative Aspekte der Public Relations: Grundlegende Fragen und Perspektiven. Eine Einführung; 1994; Untersuchung der sozia-len Funktion, der inneren, Logik und der Prozesshaf-tigkeit von öffentlichem Vertrauen sowie Analyse des Zusammenhangs von öffentlichem Vertrauen mit Public Relations

Öffentliches Vertrauen ist ein kommunikativer Mecha-nismus zur Reduktion von Komplexität, in dem öffent-liche Personen, Institutionen und das gesamte gesell-schaftliche System in der Rolle des "Vertrauensobjek-tes" fungieren. Öffentliches Vertrauen ist ein medien-vermittelter Prozess, in dem die "Vertrauenssubjekte" zukunftsgerichtete Erwar-tungen haben, die stark von vergangenen Erfahrungen geprägt sind.

In dieser Definition wird

Vertrauen als Prozess ver-standen, allerdings werden auch gleichzeitig die Ergeb-nisse dieses Prozesses in den Begriff miteingebunden.

Es werden vier Typen öf-

fentlichen Vertrauens unter-schieden:

1. interpersonales Basisvertrau-en

2. öffentliches Systemvertrauen

Erkenntnisse aus den Sozi-alwissenschaften und den Politikwissenschaften: Coleman (1982, 1991); Har-din (1992); Hundhausen (1951); Luhmann (1973, 1977)

Aufgrund der heutigen Informationsgesellschaft ist es notwendig sowohl im politischen Bereich als auch im wirtschaftlichen Be-reich kommunikative Mittel einzusetzen. Politischer Bereich Legitimität von Entscheidungen und Planungen wirtschaftlicher Bereich Trotz gesättigter Märkte sollen bestimmte Absätze realisiert

werden Der weitaus größte Teil dieser Informationen wird dabei über

die Medien vermittelt, sodass nur ein kleiner Teil von den ein-zelnen Individuen direkt kontrollierbar ist. Dies zeigt auf, wie wichtig der Faktor Vertrauen in der heutigen Gesellschaft ist. Innerhalb von Prozessen öffentlichen Vertrauens existiert meist

keine unmittelbare und direkte Beziehung zwischen Vertrauens-subjekten und Vertrauensobjekten, da die Beziehung zumeist über Medien vermittelt wird. Öffentliches Vertrauen wird als Kommunikationsprozess mit

unterschiedlichen Akteursrollen dargestellt. Akteur A (Vertrau-enssubjekt) vertraut Akteur B (Vertrauensobjekt, also System, Institution, Person) in unterschiedlichem Maß, wobei der Grad des Vertrauens empirisch messbar ist: man erhält so unterschied-liche Vertrauenswerte, die Akteur A den jeweiligen Akteuren B zuschreibt. Da sich diese Vertrauenswerte durch bestimmte Er-eignisse oder Informationen ändern können, enthält der Prozess öffentlichen Vertrauens auch eine zeitliche Dimension. Öffentliches Vertrauen bildet sich vorrangig durch verschiedene

institutionalisierte Informationsquellen, die als Vertrauensver-mittler fungieren. Diese Vertrauensvermittler sind insbesondere Medien und Public-Relations-Systeme, wie z. B. Public-Relations-Abteilungen bei Unternehmen.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

3. öffentliches Institutionen-vertrauen

4. öffentliches Personenver-trauen

Das Systemvertrauen be-

zieht sich auf das politisch-gesellschaftliche und/oder wirtschaftlich-gesellschaftliche Gesamtsys-tem.

Systemvertrauen bedeutet,

dass in der Organisations-umwelt Vorstellungen von Werten bestehen, die von der Organisationsumwelt ge-tragen werden und deren Fortbestand die Organisati-onsumwelt erwartet.

Öffentliches Vertrauen stützt sich auf Mechanismen des relatio-nalen Vertrauens, da sich die Selbstdarstellung öffentlicher Per-sonen und Institutionen häufig im audiovisuellen Medium Fern-sehen abspielt, sodass Situationen hergestellt werden, die relati-onalen Konstellationen sehr ähnlich sind. Es ist möglich ein vergleichsweise geringes Vertrauen z. B. in

eine bestimmte Partei zu haben und dennoch gleichzeitig ein hohes Systemvertrauen aufzuweisen. Berufskodizes, also Grundsätze einer schriftlich fixierten Be-

rufsmoral werden zu den Mitteln gerechnet, die das Vertrauen in die Branche verbessern. Allerdings müssen diese Berufskodizes auch mit dem faktischen Handeln übereinstimmen, sonst sind sie lediglich ein totes Stück Papier und können Vertrauensverluste bewirken.

Coleman, James S.; Grundlagen der Sozial-theorie; 1991; Modell einer Mikrostruktur von Vertrauensprozessen

Die Einseitigkeit der Über-tragung von Kontrolle über Ressourcen, Handlungen und Ereignisse ist ein we-sentliches Merkmal von Vertrauensprozessen.

Vertrauensgeber und Ver-

trauensnehmer sind zwei Grundelemente eines Ver-trauenssystems.

Erkenntnisse aus der Sozial-psychologie und der Sozio-logie: Deutsch (1958); Luhmann (1979, 1989)

Problem von Vertrauen ist das Risiko bei der Vertrauensvergabe Der Vertrauensgeber überträgt durch sein Vertrauen Ressourcen

an den Vertrauensnehmer, die dieser im Interesse des Vertrau-ensgebers, im eigenen Interesse oder in beiderseitigem Interesse verwenden kann. Da diese Ressourcen auch gegen die Interessen des Vertrauens-

gebers verwendet werden können, stellt dies eine Entscheidung unter Risiko dar, die von dem Motiv der Nutzenmaximierung geleitet wird. Ein Akteur kann gleichzeitig Vertrauensnehmer und Vertrau-

ensgeber sein. Manchmal schenkt ein Vertrauensgeber nur dann Vertrauen,

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

wenn ein Vermittler vorhanden ist, der den Vertrauensnehmer besser kennt als der Vertrauensgeber selbst.

Hardin, Russell; The street-level epistemology of trust; Politics & Soci-ety; 1993; Vertrauen als rationale Entscheidung

Vertrauen wird als eine Fä-higkeit oder ein Produkt ra-tionaler Erwartungen ohne moralische Restbestände de-finiert.

Vertrauen besteht aus zwei

Elementen Erwartung, dass das Ver-

trauen erfüllt wird vernünftige Gründe für die

Einschätzung der Vertrau-enswürdigkeit

Erkenntnisse aus der Sozio-logie und der Psychologie: Coleman (1990); Hardin (1991); Luhmann (1980); Rotter (1980)

Institutionen, die die Existenz von Vertrauenswürdigkeit si-chern, wirken unterstützend auf die Entwicklung von Vertrauen ein, da sie dem Vertrauensnehmer beim Umgang mit der Kom-plexität helfen. Die Umweltbedingungen des Individuums werden als ein Ver-

trauensproblem auf kollektiver Ebene angesehen. Die Vertrauensvergabe ist nur dann vorteilhaft, wenn die allge-

meinen sozialen Bedingungen relativ günstig sind, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Vertrauen belohnt wird. Vertrauen muss nicht unbedingt zweckorientiert sein.

Hundhausen, Carl; Wer-bung um öffentliches Vertrauen. Public Relati-ons; 1951; Analyse des Begriffs Vertrauen in den Public Relations

Öffentliches Vertrauen liegt vor, wenn eine Unterneh-mensführung von der Öf-fentlichkeit als vertrauens-würdig eingestuft wird.

Grundlagentext zum Begriff Vertrauen in Public Relati-ons

Die Beziehungen eines Unternehmens zur Öffentlichkeit sind für Hundhausen kommunikative Beziehungen, die sich durch Vertrauenswürdigkeit auszeichnen. Glaubwürdigkeit ist eine Voraussetzung für Vertrauenswürdig-

keit.

Kramer, Roderick M.; Trust and Distrust in Or-ganizations: Emerging Perspectives, Enduring Questions; 1999; Ein beurteilender Literatur-rückblick des Vertrauens und Misstrauens in der Organisationstheorie so-

Es wird zwischen "category-based trust" und "rule-based trust" unterschieden als zwei Grundlagen des entpersona-lisierten Vertrauens.

Erkenntnisse aus der Sozio-logie, den Wirtschaftswis-senschaften und den Poli-tikwissenschaften : Coleman (1990); Deutsch (1958); Granovetter (1985); Hardin (1992); Luhmann (1988); Rotter (1971, 1980); Shapiro (1987); Zucker (1986)

"Category-based trust" bezieht sich auf Vertrauen, das auf Informationen gründet, wel-

che die Mitgliedschaft des Vertrauensnehmers in einer sozialen oder organisationalen Kategorie betreffen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie bietet eine

Grundlage für Vertrauen, da als kognitive Konsequenz der Ka-tegorisierung Individuen dazu tendieren positive Charakteristi-ken wie Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit u. ä. den anderen Gruppenmitgliedern zuzuschreiben.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

wie eine Zusammenfas-sung des Nutzens von Vertrauen in organisatio-nale Systemen und dessen Barrieren bei der Ent-wicklung

Die Individuen verleihen eine Art entpersonalisiertes Vertrauen in andere Gruppenmitglieder, welches lediglich auf der gemein-samen Mitgliedschaft in einer bestimmten Kategorie basiert.

"Rule-based trust" "Rule-based trust" basiert nicht auf einer bewussten Kalkulation

der Konsequenzen, sondern auf einem gemeinsamen Verständ-nis des Regelsystems, welches angemessenes Verhalten festlegt. "Rule-based trust" wird nicht durch explizite Verträge aufrecht-

erhalten, sondern durch die soziale Anpassung an die Regel-struktur. So ist beispielsweise Vertrauen in Ingenieure nicht lediglich

Vertrauen in die Sachkenntnis eines spezifischen Individuums, sondern Vertrauen in ein System der Sachkenntnis. Regeln fördern Vertrauen einerseits durch ihre Wirkung auf die

Selbstwahrnehmung des Individuums und andererseits wird Ver-trauen durch die Bildung von Erwartungen, welche die anderen Gruppenmitglieder betreffen, begünstigt. Regelbasierte Praktiken üben nicht nur einen subtilen Einfluss

auf die Wahrnehmung der eigenen Ehrlichkeit und Vertrauens-würdigkeit aus, sondern es werden ebenso die Erwartungen be-züglich der Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der anderen Gruppenmitglieder beeinflusst. Institutionalisierung von Vertrauen mittels solcher Praktiken auf

der kollektiven Ebene führt zu einer Vertrauensinternalisierung auf der individuellen Ebene. "Rule-based trust" erleichtert spontane Koordination und Ko-

operation. Levi, Margaret; Stoker, Laura; Political Trust and Trustworthiness; Annual Review of Political

Vertrauensurteile reflektie-ren den Glauben in die Ver-trauenswürdigkeit einer Gruppe. Dabei wird Ver-

Erkenntnisse aus der Sozio-logie und den Politikwissen-schaften: Coleman (1990); Hardin

In den USA ist das politische Vertrauen eines Demokraten grö-ßer, wenn der amtierende Präsident ebenfalls ein Demokrat ist. Im Hinblick auf Westeuropa wurde diese Erkenntnis auch in di-versen empirischen Studien für regierende Parteien bestätigt.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

Sciences; Eine Literatur-analyse zu Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit im politischen Kontext

trauenswürdigkeit als ein Konstrukt bestehend aus Wohlwollen und Kompetenz verstanden.

Politisches Vertrauen ist

vorrangig eine Reflektion des politischen Lebens und hängt weder explizit mit der Persönlichkeit des Bürgers zusammen noch mit seinen sozialen Eigenschaften.

(1996, 1998); Luhmann (1979); Sztompka (1996, 1999); Weatherford (1984, 1992, 1987)

Das Medium Fernsehen hat zu einem kontinuierlichen Vertrau-ensabfall beigetragen, da es sich in seiner Berichterstattung auf politische Skandale und die zynische Kommentierung politi-scher Aktivitäten konzentriert hat. Auch in Europa haben Forscher einen generellen Rückgang

beim politischen Vertrauen festgestellt. Allerdings trat der Ver-trauensverlust zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen Ausmaß als in den USA auf. In den letzten Jahren ist im Allgemeinen das Vertrauen in lokale

Regierungen größer als das Vertrauen auf nationaler Ebene. Dies wird mit der leichteren Evaluation von Leistungen lokaler Regierungen und mit der größeren Zuständigkeit für die Bürger-belange erklärt. Vertrauensurteile beeinflussen die Wahlentscheidung. Diverse

Studien haben gezeigt, dass die Wahlbeteiligung misstrauischer Bürger signifikant höher ist als die von vertrauensvollen Wäh-lern. Beurteilungen in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit einer Re-

gierung sind mehr als nur ideologische oder parteiliche Reaktio-nen auf eine spezifische Administration. Es sind generalisierte Urteile, die einen Einfluss darauf ausüben, ob Bürger existieren-de Autoritäten, die öffentliche Politik oder institutionelle Re-formen unterstützen. Wichtiges Ergebnis der Literaturanalyse: Je vertrauens-würdiger

Bürger die Regierung wahrnehmen, desto wahrscheinlicher ist, dass sie ihre Bestimmungen befolgen. Für die Entwicklung und Beibehaltung von sozialem Vertrauen

sind vertrauenswürdige Institutionen wichtig. Bestätigung von Zuckers These, dass Vertrauen produzierbar ist. Identifikation zwei unterschiedlicher in der Wissenschaft vor-

handener Definitionen von politischem Vertrauen Im ersten Ansatz reflektiert Vertrauen die Evaluationen, ob poli-

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

tische Institutionen in Übereinstimmung mit normativen Erwar-tungen der Öffentlichkeit handeln. Dabei soll die Regierung fair, gerecht, ehrlich, effizient und verantwortungsvoll mit den Be-dürfnissen der Gesellschaft umgehen. Daher ist Vertrauen in die Regierung ein zusammenfassendes Urteil, welches das System als verantwortungsvoll einschätzt und davon ausgeht, dass es auch ohne konstante Prüfung richtig handeln wird. Der zweite Ansatz hingegen fokussiert das Ausmaß des Glau-

bens, dass die politische Institution im Interesse des Vertrauens-gebers handeln wird. Während die erste Definition bereits Anwendung in zahlreichen

empirischen Untersuchungen gefunden hat, muss der zweite An-satz noch empirisch überprüft werden. Politisches Vertrauen ist als gebietsspezifisch anzusehen, da

man bspw. dem Präsidenten in Bezug auf ökonomische Sach-verhalte vertrauen kann, ihm aber bzgl. der Sozialpolitik kein Vertrauen entgegenbringen muss.

Loose, Achim; Sydow, Jörg; Vertrauen und Öko-nomie in Netzwerkbezie-hungen - Strukturati-onstheoretische Betrach-tungen; Management interorganisationaler Be-ziehungen; 1994; Analyse der Konstitutionsbedin-gungen von Vertrauen in Unternehmensnetzwerken

Systemvertrauen ist auf technische oder soziale Sys-teme gerichtet und trägt ent-scheidend zur Stabilisierung von Netzwerkbeziehungen bei.

Institutionelles Vertrauen

bezieht sich auf Institutionen wie Zertifikate, Regularien, Geld oder Nationen.

Erkenntnisse aus der Sozio-logie, Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften: Coleman (1991); Deutsch (1954, 1973); Hardin (1991); Luhmann (1971, 1973, 1988); Rotter (1967, 1980); Shapiro (1987); Zu-cker (1986)

Institutionelles Vertrauen entspricht dem von Luhmann verwen-deten Begriff des Systemvertrauens. Das Vertrauen innerhalb von Systemen hat auch einen entschei-

denden Einfluss darauf, ob einem System vertraut wird. Vertrauen innerhalb von Systemen hat auch einen entscheiden-

den Einfluss auf das Vertrauen in ein System. Jedoch wird in der Regel nicht dem ganzen System vertraut. Vertrauen bezieht sich nur auf bestimmte Ergebnisse und Ereig-

nisse, die im Systemzusammenhang (zukünftig) hervorgebracht werden. Dieses Hervorbringen ist an bestimmte Fähigkeiten des Systems gebunden, die insbesondere auf den Ressourcen des Systems beruhen. Das Vertrauen innerhalb von Systemen hat auch einen entschei-

denden Einfluss darauf, ob einem System vertraut wird. Luhmann, Niklas; Ver- Vertrauen ist eine soziale Erkenntnisse aus der Sozial- Ein Individuum, das vertraut, handelt als wäre die Zukunft si-

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

trauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität; 1989; Ver-trauen als soziale Bezie-hung

Beziehung und unterliegt ei-genen Gesetzmäßigkeiten.

Vertrauen ist ein Mechanis-

mus zur Reduktion von Komplexität.

psychologie: Deutsch (1958, 1960, 1962, 1963); Luhmann (1962, 1964, 1965, 1968, 1971, 1972, 1976)

cher. Das Problem des Vertrauens sind die riskanten Vorleistungen. Vertrauen ist immer unbegründbar und kommt durch die Gene-

ralisierung von Informationen und Verhaltens-erwartungen zu-stande. Gesetze und Regeln sind das effektivste Mittel zur Reduktion

des im Vertrauen inhärenten Risikos. Systemvertrauen ist wesentlich leichter zu erlernen als interper-

sonales Vertrauen in wechselnde Vertrauensnehmer, allerdings erschwert es die Kontrolle, da der Vertrauensgeber einem hoch-komplexen System vertraut, das für ihn nicht durchschaubar ist. Vertrauen in die Funktionsfähigkeit von Systemen beinhaltet

auch immer Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit ihrer inhären-ten Kontrollen. Ein System existiert, wenn eine Grenze zwischen dem Inneren

und dem Äußeren vorhanden ist und sich das System durch die Stabilisierung dieser Grenze erhält.

Morrison, David E.; Firmstone, Julie; The social function of trust and implications for e-commerce; International Journal of Advertising; 2000; Untersuchung der Rolle von Vertrauen in modernen Gesellschaften

Vertrauen ist ein rationaler Entscheidungsprozess, bei dem immer eine Handlung in Präferenz zu einer ande-ren Handlung gewählt wird.

Abstraktes Vertrauen – auch

als systemisches Vertrauen bekannt – ist Vertrauen in soziale Systeme, wie Märkte und staatliche Systeme und wirkt auch über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg.

Erkenntnisse aus der Sozio-logie und den Politikwissen-schaften: Hardin (1993); Luhmann (1979, 1988)

Vertrauen ist die Basis sozialer Zusammenhänge und eine Ga-rantie für das Bestehen von Systemen. Ohne abstraktes Vertrauen können keine komplexen sozialen

Systeme existieren, sodass Modernität – so wie sie heute be-kannt ist – nicht existieren kann. Ohne abstraktes Vertrauen wäre bspw. nur der Tauschhandel

möglich, da Geld Vertrauen in die Symbolik des Geldes voraus-setzt, d. h. man muss darauf vertrauen, dass der Wert des Geldes eingelöst wird. Der Mangel an Vertrauen in den Wert einer Währung führt zu

Systemfehlern, die sich in physischer Form durch die Schlie-ßung von Banken manifestieren. Aufgrund schlechter ökonomischer Leistungen des Staates ist

das Ausmaß an abstraktem Vertrauen in Süditalien niedrig. Die-ser Vertrauensmangel zeigt sich dort durch fehlende Beteiligung

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

der Bürger beim Formulieren kollektiver Interessen und der Ent-stehung der Mafia als lokale Antwort auf den mangelnden staat-lichen Schutz der Bürgerinteressen. Die schlechte Entwicklung des abstrakten Vertrauens verursacht

eine übermäßige Zuversicht in Bezug auf interpersonales Ver-trauen. Daher begrenzt ein solches Risikomanagement die Ent-wicklung komplexer Systeme, die ein essentielles Merkmal mo-derner Gesellschaften sind.

Funktion von Vertrauen Ausfüllen der Lücken im Wissen und somit Zuversicht während

des Entscheidungsprozesses und Management des Risikos Alle Systeme benötigen von Zeit zu Zeit einen Input an Vertrau-

en, um eine konstante Zuversicht im Entscheidungsprozess an-zubieten. Daher ist das Vertrauen anderer in ein System ein Schlüsselelement für die Etablierung und Erhaltung von syste-mischen Vertrauen. Ohne die Existenz von abstraktem Vertrauen wären lediglich

einfache Arten von Verbindungen möglich, jedoch ist es im In-teresse derer, die in komplexen Gesellschaften und mit komple-xen Sets sozialer Vereinbarungen leben, die Erhaltung von Ver-trauen zu sichern. Vertrauen leistet immer die gleiche Funktion. Es reduziert die

Komplexität, indem es über verfügbare Informationen hinaus-geht und Verhaltenserwartungen generalisiert, sodass es fehlen-de Informationen durch eine interne Sicherheit ersetzt. So redu-ziert Vertrauen Komplexität und ermöglicht daher zunehmende Komplexität sozialer Systeme und Vereinbarungen, indem es die Unsicherheitstoleranz erhöht. Die Entwicklung von abstraktem Vertrauen in Transport und

Kommunikation ermöglicht den Verkauf von Gütern in Märk-ten, in denen eine zeitliche und räumliche Distanz zwischen Käufern und Anbietern existiert.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

Individuen können aus ihrem lokalen Kontext ausgebettet wer-den und über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg mitein-ander agieren. Abstraktes Vertrauen ist ein zentrales Element für das Funktio-

nieren moderner Gesellschaften. Schläger-Zirlik, Patricia; Analyse und Bewertung regionaler Netzwerke in Westböhmen und Südun-garn; forost Arbeitspapier Nr. 22: Vertrauen und Marktwirtschaft. Die Be-deutung von Vertrauen beim Aufbau marktwirt-schaftlicher Strukturen in Osteuropa; 2004; Ent-wicklung eines Untersu-chungsmodells der Ver-trauensintensität zwischen Unternehmen und Institu-tionen

Systemisches Vertrauen meint das Vertrauen in das Gesundheits-, Rechts- und/oder Finanzwesen. In-stitutionelle Arrangements wie Gesetze, Expertenwis-sen, Regeln und Verfahrens-standards sollen für jeden Handlungskontext Erwar-tungssicherheit schaffen.

Erkenntnisse aus den Wirt-schaftswissenschaften: Loose und Sydow (1994); Maier et al. (1996, 1999)

Existenz unternehmerischer Netzwerkstrukturen in Transakti-onsländern, die jedoch eher international als regional ausgerich-tet sind. Die Netzwerke zwischen Unternehmen und lokalen Institutionen

sind noch gering ausgeprägt, da es am notwendigen Systemver-trauen mangelt. Bei geringem Systemvertrauen kann die vorhandene Unsicher-

heit durch persönliches Vertrauen reduziert werden.

Schweer, Martin K.W.; Vertrauen als Organisati-onsprinzip: Vertrauens-förderung im Spannungs-feld personalen und sys-temischen Vertrauens; Erwägen-Wissen-Ethik; 2003; Bedeutung des Vertrauens als Organisa-tionsprinzip

Systemisches Vertrauen wird definiert als "[...] das Vertrauen, das eine Person in bestimmte Organisationen und Institutionen erlebt" (Schweer, 2003, S. 323). Als Beispiele für solche Systeme werden u. a. die Regierung, politische Parteien, Gewerk-schaften, aber auch Kirchen, Verbände und Vereine ange-

Erkenntnisse aus der Sozio-logie, den Wirtschaftswis-senschaften und der Psycho-logie: Kramer (1999); Luh-mann (1989); Preisendörfer (1995); Schweer und Thies (1999); Shapiro (1987)

Systemisches Vertrauen enthält eine kognitive und eine konative Komponente. Es entsteht, wenn Individuen persönliches Vertrauen auf große

Organisationen übertragen, mit denen sie wenig vertraut sind, wo wenig Inderdependenzen bestehen und eine geringe Konti-nuität der Interaktionen vorhanden ist. Bei der Analyse von systemischem Vertrauen muss auf eine

mögliche Konfundierung mit personalen Vertrauensaspekten geachtet werden.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

führt.

Als Synonyme werden auch öffentliches Vertrauen, Insti-tutionenvertrauen und politi-sches Vertrauen verwendet.

Schweer, Martin; Thies, Barbara; Vertrauen – die unterschätzte Kraft; 1999; Vertrauen in gesellschaft-liche Systeme

Systemvertrauen ist eine soziale Einstellung, die auch eine emotionale Komponen-te beinhaltet und zur Reduk-tion der Komplexität des menschlichen Lebens führt.

Soziale Einstellungen sind

nicht überprüfbar, da keine objektiven Bewertungskrite-rien existieren, sodass die Wahrnehmung sozialer Sys-teme in einem hohen Maß subjektiv ist.

Erkenntnisse aus der Sozio-logie und der Sozialpsycho-logie: Deutsch (1973); Kramer et al. (1996); Luhmann (1989); Preisendörfer (1995); Rotter (1967, 1971, 1981)

Systemvertrauen besteht aus einer gedanklichen Ebene, einer Verhaltensebene und einer emotionalen Ebene. Vertrauen in gesellschaftliche Systeme ist deutlich geringer

ausgeprägt als interpersonales Vertrauen. Je weiter entfernt ein Vertrauensobjekt vom sozialen Nahraum

ist, um so geringer ist die Bereitschaft, diesem zu vertrauen. Medien haben eine Sonderstellung innerhalb der gesellschaftli-

chen Institutionen ein. Sie sind Vermittlungsinstitutionen, d. h, sie transportieren nicht nur ihre eigene Vertrauenswürdigkeit, sondern immer auch direkt oder indirekt die Vertrauenswürdig-keit anderer z. B. Politiker und Parteien. Vertrauen in Medien ist auch immer mit politischen oder gesell-

schaftlichen Ansichten verknüpft, d. h. es werden primär nur solche Medien als vertrauenswürdig empfunden, die den eigenen politischen oder gesellschaftlichen Einstellungen entsprechen.

Welchen Einfluss haben Medien auf gesellschaftliche Veränderun-gen? Einerseits wird die Meinung vertreten, dass Medien lediglich

eine Abbildfunktion haben, d. h. sie geben nur bereits Vorhan-denes wieder, und andererseits wird den Medien eine Mitver-antwortung für gesellschaftliche Interessen und Bedürfnisse un-terstellt. Medien spielen eine bedeutende Rolle beim Erwerb und bei der

Verfestigung von Einstellungen, allerdings gilt dies nur, wenn Konsumentenvertrauen in das Medium selbst vorhanden ist. In den letzten Jahren wird ein Vertrauensschwund der Bevölke-

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

rung in Parteien und andere große Institutionen wie die Kirche und Gewerkschaften festgestellt. In diesem Zusammenhang wird folgende These gewagt: Je einflussreicher ein soziales System erlebt wird, um so weniger Vertrauenswürdigkeit wird ihm zu-geschrieben.

Singh, Jagdip; Jayanti, Rama K.; The Collective-Relational Paradox in Consumer Trust Judg-ments: Framework and Propositions; URL:http://www.acrweb.org/acr2003/pr_session6.html; 2003; Entwicklung einer konzeptionellen Grundlage für das kollek-tiv-relationale Vertrauen

Die Definition des Kollek-tivs enthält sowohl formell wie auch informell organi-sierte Institutionen und Gruppen. Elemente eines Kollektivs zeichnen sich durch ein gemeinsames Schema von Aktivitäten und Ereignissen aus, während bei anderen Aktivitäten und Ereignissen eine beträchtli-che Heterogenität vor-herrscht, die die Individuali-tät dieser Elemente kenn-zeichnet.

Kollektives Vertrauen im

Marketing bezieht sich pri-mär auf Branchen oder das Wirtschaftssystem.

Vertrauen ist die Bereit-

schaft des Kunden Ressour-cen, Autorität und/oder Ver-antwortung in ein diffuses oder institutionalisiertes Kollektiv zu investieren,

Erkenntnisse aus der Sozio-logie, den Politikwissen-schaften und den Wirt-schaftswissen-schaften: Hardin (2001); Kramer (1999); Lane und Bachmann (1996); Shapiro (1987); Weatherford (1992); Zucker (1986)

Kollektiv-relationale Vertrauensparadoxon Es scheint paradox, dass kollektives Misstrauen existieren kann,

während sich Unternehmen zunehmend bemühen relationales Vertrauen aufzubauen. 3 unterschiedliche Erklärungen für das Phänomen des kollekti-

ven Vertrauen. Während beim interpersonalen Vertrauen die persönliche Ver-

trauensneigung als relevant für den Aufbau von Vertrauen iden-tifiziert wurde kann der Einfluss dieser Persönlichkeitseigen-schaft nicht auf das kollektive Vertrauen übertragen werden. Die Fähigkeit anderen zu vertrauen ist ein Produkt sozialer Er-

fahrungen und sozialen Engagements. Individuen, die in einer Gesellschaft mit einer kooperativen Kultur leben und sich frei-willig und unentgeltlich sozial engagieren, kreieren soziales Ka-pital, welches die Grundlage für das Vertrauen in Institutionen bildet. Entweder die Senkung öffentlicher Erwartungen oder die Ver-

besserung institutioneller Leistungen können der öffentlichen Unzufriedenheit mit dem politischen System und öffentlichen Institutionen entgegenwirken. Kollektives Vertrauen in eine Branche ist ein deutliches Kon-

strukt mit einer gut definierten Konzeptualisierung und einer gültigen operationalen Messung. Kollektives Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit sind zwei un-

terschiedliche Konstrukte. Positives kollektives Vertrauen hat keinen Einfluss auf relatio-

nales Konsumentenvertrauen.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

damit bei Transaktionen mit Mitgliedern dieses Kollek-tivs die Interessen des Kon-sumenten durch das Kollek-tiv geschützt werden.

Je niedriger das kollektive Vertrauen ist, desto niedriger ist das relationale Vertrauen eines Konsumenten gegenüber einem spe-zifischen Interaktionspartner. Kollektives Vertrauen hat einen direkten, positiven Effekt auf

das relationale Konsumentenvertrauen. Je positiver das kollektive Vertrauen ist, desto schwächer ist die

Beziehung zwischen relationalem Vertrauen und Loyalität. Sztompka, Piotr; Trust, Distrust and the paradox of Democracy; URL: http://skylla.wz-berlin.de/pdf/1997/p97-003.pdf; 1997; Untersu-chung des Vertrauens in demokratischen Gesell-schaften

Vertrauenskultur beschreibt ein Konstrukt, dass unab-hängig von rationalen Kal-kulationen der Vertrauens-würdigkeit oder psychologi-schen Vorlieben ist und den kulturellen Anreiz be-schreibt, eine vertrauensvol-le Orientierung gegenüber der Gesellschaft, ihrem Re-gime oder ihren Institutio-nen zu zeigen.

Die Vertrauenskultur ist eine Art sozialer Ressource.

Erkenntnisse aus der Sozio-logie: Coleman (1990); Hardin (1993, 1996); Luhmann (1974, 1994)

Die demokratische Ordnung trägt signifikant zur Vertrauens-entwicklung bei. Das Auftauchen einer Vertrauenskultur ist unter sonst gleichen

Bedingungen in einer Demokratie wahrscheinlicher als in ande-ren politischen Systemen. Die Vertrauenskultur ist abhängig von der Stärke der positiven

Erwartungen, die sich einerseits auf die instrumentelle Effizienz und andererseits auf die moralischen Standards bspw. der Regie-rung beziehen. Die Absicherung gegen einen Vertrauensmissbrauch spielt bei

der Gewährung von Vertrauen eine entscheidende Rolle. Dabei können demokratische Organisationen die beste Art von Absi-cherung anbieten.

Weatherford, Stephen M.; Measuring Political Legi-timacy; The American Political Science Review; 1992; Konzeptualisierung und Operationalisierung des Konstruktes politische Rechtmäßigkeit

Politisches Vertrauen wird sowohl als die öffentliche Gunst gegenüber den Er-gebnissen der Regierungspo-litik als auch gegenüber dem Amtsinhaber verstanden.

Erkenntnisse aus den Poli-tikwissenschaften: Stokes (1962); Wright (1979)

Politisches Vertrauen wird betrachtet als eine Komponente der politischen Rechtmäßigkeit. In der Wissenschaft gibt es keine einheitliche Meinung, wie

politisches Vertrauen gemessen werden sollte. Der "conventio-nal multiitem index of political trust" ist zwar bei der Messung politischen Vertrauens weit verbreitet, dennoch sind sich die Forscher über die Interpretation nicht einig. Während einige Wissenschaftler der Ansicht sind, dass dieser Index die öffentli-che Gunst gegenüber den Ergebnissen der Regierungspolitik an-zeigt, vertreten andere Forscher die Auffassung, dass dieser In-dikator die Popularität des Amtsinhabers misst.

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Autor(en); Titel; Quelle; Erscheinungsjahr; For-schungsschwerpunkt

Konzeptualisierung bzw. Defini-tion und verwendete Dimensio-nen

theoretischer Hintergrund Kernaussagen

Weatherford kombiniert diese beiden Schulen und versteht poli-tisches Vertrauen sowohl als die Gunst gegenüber der Regierung oder einzelnen politischen Institutionen wie auch gegenüber dem Amtsinhaber, da er politisches Vertrauen mittels folgender 4 Items misst:

1. "How much of the time do you think you can trust the govern-ment in Washington to do what is right – just about all of the time, most of the time, or only some of the time?

2. Which part of the government on this list do you most often trust to do what's right… Congress, Supreme Court, President, politi-cal parties?

3. Which do you trust next most often? 4. Which do you least often trust?" Die empirische Untersuchung hat die Reliabilität der Items

nachgewiesen. Welter, Friederike; Ver-trauen und Unternehmer-tum im Ost-West Ver-gleich; forost Arbeitspa-pier Nr. 22: Vertrauen und Marktwirtschaft. Die Bedeutung von Vertrauen beim Aufbau marktwirt-schaftlicher Strukturen in Osteuropa; 2004; Unter-suchung des Stellenwertes von Vertrauen in ver-schiedenen Umfeldern

Kollektives Vertrauen er-schließt sich über branchen-übliche Normen und Ge-schäftskonventionen.

Hypothese 1: Marktwirt-schaften sind high-trust Mi-lieus und Transformations-länder sind low-trust Milie-us.

Hypothese 2: Die Kategori-sierung von Beziehungen anhand des eingesetzten Vertrauens erlaubt Rück-schlüsse auf das Vertrau-ensmilieu.

Eigene konzeptionelle und empirische Untersuchungen: Höhnmann und Welter (2002, 2004)

Relationales Vertrauen und kollektives Vertrauen lassen sich weder konzeptionell noch empirisch eindeutig trennen. Der Hauptunterschied liegt darin, dass kollektives Vertrauen nicht unbedingt eine persönliche Kenntnis des Transaktionspartners oder spezifische persönliche Eigenschaften voraussetzt, sondern auf gruppenorientiertem Verhalten im weiteren Sinne basiert. Als Beispiele von Vertrauenssignalen führt sie informelle und

formelle Verhaltensregeln in einem Wirtschaftsverband, einer Branche oder Reputationseffekte an, die über informelle Netz-werke vermittelt wurden. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung können Hypothese 1 nicht

bestätigen. Hypothese 2 kann ebenfalls nicht bestätigt werden. Sie stellt fest, dass in Ländern wie Russland, wo ein geringes

Ausmaß an systemischem Vertrauen vorhanden ist, dieser Man-gel nicht durch ein erhöhtes Maß an persönlichem Vertrauen substituierbar ist.

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Marketing Arbeitsberichte / Marketing Working Paper Series Lehrstuhl für Marketing Universität Dortmund

44221 Dortmund

Tel.: +49-231-755-3270 e-mail: [email protected]

VERZEICHNIS DER BISHER ERSCHIENENEN ARBEITSBERICHTE

Nr. 1 Holzmüller, Hartmut H.; Stöttinger, Barbara: Testing an Export Performance Modell in an International Setting – A Cross-National Comparison between Austria and the U.S., August 2001 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 2 Stöttinger, Barbara; Holzmüller, Hartmut, H.: International Marketing Managers’ Cultural Sensitivity: Relevance, Training Requirements and an Pragmatic Training Concept, August 2001 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 3 Holzmüller, Hartmut H.; Stöttinger, Barbara; Wittkop, Thomas: Driving in the Pass-ing Lane or Straight into a Dead End? – Options and Caveats os Using ICT Tools it the Internationalization of Business Education, August 2001 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 4 Lammerts, Arno; Pferdekämper, Tanja; Holzmüller, Hartmut H.; Nijssen, Edwin J.; Sirdeshmukh, Deepak; Singh, Jagdip: A Tale of Two Orientations – Consumers’ Orientation and Market Orientation Revisited, Oktober 2001 (Schutzbegühr € 10,-).

Nr. 5 Holzmüller, Hartmut H.; Berg, Nicola: Handhabung der kulturellen Heterogenität zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen in internationalen Unternehmen, Dezember 2001 (Schutzbegühr € 10,-).

Nr. 6 Holzmüller, Hartmut H.; Singh, Jagdip; Nijssen, Edwin J.: Multicentric Cross-National Research: A Typology and Illustration, September 2002 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 7 Nijssen, Edwin J.; Singh, Jagdip; Sirdeshmukh, Deepak; Holzmüller, Hartmut H.: Towards A Dispositional Approach for Investigating Industry Effects in Consumer-Firm Relationships, September 2002 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 8 Faltz, Laura: Marketing für gebrauchte Möbel. Das Beispiel des regionalen Pilotpro-jekts „ecomoebel“, August 2003 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 9 v. Wangenheim, Florian: Opportunism in Interpersonal Exchange: When Dissatisfac-tion is Followed by Positive Word-of-Mouth, November 2003 (Schutzgebühr € 10,-).

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Marketing Arbeitsberichte / Marketing Working Paper Series Lehrstuhl für Marketing Universität Dortmund

44221 Dortmund

Tel.: +49-231-755-3270 e-mail: [email protected]

VERZEICHNIS DER BISHER ERSCHIENENEN ARBEITSBERICHTE

Nr. 10 Milankovic, Tanja; Wilke, Claus: Das Vertrauen des Konsumenten in eine Branche – Ein konzeptioneller Ansatz, Dezember 2004 (Schutzgebühr € 10,-).

Nr. 11 Milankovic, Tanja; Lentz, Patrick: Die Bedeutung von Vertrauen in Kunden-Anbieter-Beziehungen – Eine Analyse des aktuellen Stands der Forschung, Dezem-ber 2004 (Schutzgebühr € 10,-).

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