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Das tolle Jahr 1848

Date post: 10-Jan-2017
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Im Gasthaus „Lutter und Wegner"

im Vorraum, wo die verehrlichen Gäste die Garderobe abzulegen pflegten, war eine Reihe von Haken mit Zylinderhüten und Halbpelzen besetzt, — ein Zeichen dafür, daß der Keller sich guten Besuches erfreute.

j Als der Neuangekommene die Stufen zum Gewölbe i hinunterschritt, schlug ihm der Schwall erregter Stim­men entgegen. Der Kellner Franz, der eben mit einem

Tablett voller Weingläser durch die Tischreihen eilte, verstand es, trotz dieser gefährlichen Fracht eine untertänige Verbeugung zu machen: „Wünsche einen guten Abend, Herr Kommerzienrat!"

Der Mann, dem dieser Gruß galt, brummte undeutlich aus dem Ge­strüpp seines dichten Bartes hervor und begab sich mit zielsicherem Schritt in eine der Gewölbenischen. Dort hatte er den Kreis seiner Freunde entdeckt. Wie er durch das vornehme Lokal dahinging —> den langschößigen Gehrock hochzugeknöpft, das Kinn in die schnee­weißen Ecken des hohen Stehkragens gerahmt •— machte er ganz den Eindruck eines selbstsicheren, von seiner Bedeutung und bürgerlichen Stellung überzeugten Mannes. Ein paar Studenten, die lärmend an einem der Mitteltische saßen, schwiegen bei solchem Anblick für einen Moment, und einer von ihnen flüsterte seinen Kommilitonen erklärend zu: „Das ist Kommerzienrat Barheine aus der Kochstraße, der eine Grabsteinfabrik betreibt und mehrere Miethäuser besitzt, ein ange­sehener und schwerreicher Mann, aber . . ." und das fügte der Gewährs­mann bedauernd und ein wenig abfällig hinzu: „. . . Konservativ! Sehr konservativ] Er hat keinen Begriff von Demokratie!" Mit nicht sehr freundlichen Blicken sahen die Studenten zu Herrn Barheine herüber.

Dieser hatte unterdessen seinen Platz erreicht, wo man ihn offenbar längst erwartete. Der Kellner Franz stand schon am Tisch.

„Eine Flasche Rotspon wie immer, Herr Kommerzienrat?" Herr Barheine nickte. Gleich darauf wurde eingeschenkt. Aber noch

ehe die Tafelrunde mit dem ersten Zutrunk zu Ende war, fiel schon der lebhafte und bewegliche Meister Raddaz mit den letzten Neuigkeiten über den Ankömmling her. Herr Raddaz war ein reich gewordener Schneider, der mit fünfundzwanzig Gesellen arbeitete und seinen Betrieb

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vornehm „Pariser Modemanufaktur und Magazin" nannte. Er hatte es immer ein wenig mit den Fremdwörtern.

„Herr Kommerzienrat sind im Bilde ?" begann er überzusprudeln, ^,die französische Affäre hat Imitation gefunden! Soeben bringt uns Mon­sieur Lessing, der Ihnen -wohlbekannte Redakteur unserer Berlinischen Zeitung, die alarmierenden Nachrichten aus Baden und München, daß man es da wie dort angezeigt gefunden hat, dem französischen Beispiel nachzuahmen und den offenen Konflikt mit der angestammten Obrigkeit nicht zu scheuen!"

„Aber, meine Herren!" brummte der Kommerzienrat, „so lassen Sie mich doch mit der Politik in Ruhe! W a s geht das uns an? Mit dem alten Goethe sage ich: ,Ein garstig Lied — Pfui! Ein politisch Lied!' Der wohlanständige Bürger und getreue Untertan Seiner preußischen Maje­stät befaßt sich nicht mit offenbaren Regierungsangelegenheiten. Lassen Sie uns von anderen Gegenständen sprechen!"

„Bravo! Bravo!" fiel sogleich der Fabrikbesitzer Brennike ein. „Ganz mein Standpunkt I Seit vor sechzig Jahren diese Große Revolution in Frankreich umging, gibt es keine Ruhe und Sicherheit mehr im bürger­lichen Leben. Jeder Untertan will nicht nur seine eigene Meinung über die wohllöbliche Regierung haben, sondern sie auch laut und vernehmlich ausdrücken. Ja, man erlebt in zunehmendem Maße, daß sogar Taglöhner, Fabrikarbeiter und — wie mir mein Bruder, der Gutsbesitzer in West­preußen, schreibt, •— auch die kaum aus der Leibeigenschaft befreiten Landarbeiter und Polen zu politisieren beginnen, Forderungen an die gottgewollte Obrigkeit stellen und widersetzlich werden. Wohin soll das führen?"

„Sie mögen recht haben, Herr Brennike", warf nun der dicke Hofbäk-ker Kruse ein, nachdem er einen nachdenklichen Schluck getan hatte, „aber eben weil der vierte —- der Arbeiterstand -—• immer stärker nach oben drängt, sollte sich der dritte •—• der Bürgerstand •—• um so ein­gehender mit den Zuständen der öffentlichen Ordnung befassen, denn es ist viel verbesserungsbedürftig im deutschen Land!"

„Das ist Sache Seiner Majestät des Königs", rief der Kommerzienrat ganz verstimmt. Der unentwegte Hofbäcker schüttelte den Kopf.

„Sie wissen doch, Herr Kommerzienrat, was in Paris am 22. und 24. Februar geschah?! Die Bürgerschaft hat sich erhoben und den König Louis Philipp davongejagt. Das ist nun genau sechs Tage her."

„Das wußten w i r bei der Zeitung noch am Abend desselben Datums!" sagte Redakteur Lessing. „Der neue, elektrische Telegraph schickt jede Nachricht in Sekundenschnelle durch die Welt ."

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„Sehen Sic, Herr Redakteur*6, entgegnete der liouimerxienr&t, der nun warm zu werden begann, „da haben Sie den vielgepriesenen Fort­schritt der Techniki Nichts wie Unruhe stiften diese Erfindungen! "Was nützt uns zum Beispiel dieser Telegraph: kaum war die Botschaft von der Pariser Februar-Revolution in Deutschland bekannt, als alle Wirr­köpfe und Revoluzzer Morgenluft zu wittern begannen und nun glaubten, auch in unserem geordneten Lande müsse schnell das Unterste zuoberst gekehrt werden.

„Sprechen Sie nicht von Wirrköpfen und Revoluzzern, Herr Kommer-zienrat. Die Forderung der Völker nach Grundrechten •— Verfassungen genannt •—• iftt auch dem Ausland nicht unbekannt. England hat seine erste Freiheitsakte schon im Jahre 1215 bekommen, die Amerikaner legten 1776 ihre Grundrechte nieder und 1789 erklärten die Franzosen die Men­schen-und Bürgerrechte. Warum sollten also nicht auch endlich die Deut­schen eine Verfassung und die einfachsten Menschenrechte genießen?!"

„Sie sind ja ein Umstürzler, Herr Redakteur, wenn Sie so reden?!" Herr Lessing hob abwehrend die Hände: „An meiner Königstreue bitte ich nicht zu zweifeln] Den Traum von

einer deutschen Republik lassen wir meinetwegen den süddeutschen, den schwäbischen Ländern •— sie werden schon sehen, wie weit sie kommen! Aber, meine Herren, Sie müssen doch zugeben, daß die gegenwärtigen Zustände Deutschlands nicht ideal sind! Das Volk fühlt das und ist unruhig. Ja, ich möchte sagen, ganz Europa hat seit dem Jahre 1789 und seiner Revolution nicht vergessen, was Freiheit und Mitregierung für die Völker bedeuten. Nirgendsmehr scheint das Volk bereit, schwei­gend und widerstandslos die erstickende Gewalt des Fürsten, die Be­spitzelung, die Rechtlosigkeit und politische Ohnmacht hinzunehmen und sich—mit Verlaub zu sagen — das Maul verbieten zu lassen...'*

„Schieben Sie die Spannung zwischen Untertanen und Obrigkeit lieber auf die zunehmende, verderbliche Industrialisierung, Herr Re­dakteurl Unsere Bevölkerung hat rapide zugenommen, ein vierter Stand — wie unser Freund Kruse ganz richtig bemerkte — ist ent­standen: Leute ohne Grund und Boden, Taglöhner, Arbeiter und Ent­wurzelte. Die ganze Unruhe richtet sich mehr gegen die Maschinen als gegen die staatliche Ordnung. Aus England hört man und -— wie Sie selber in Ihrer Zeitung geschrieben haben — auch bei der neuer­lichen, französischen Revolution, daß die ersten Angriffe der Auf­rührer den Fabriken gelten und daß man dort sogleich die Maschinen zerschlägt. Die Fabriken machen den Handwerker brotlos und den Arbeiter zum abhängigen Knecht."

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„Da muß ich protestieren, Herr KommerzienratI warf Fabrik­besitzer Brennike ein, „wir hätten keine Beschäftigung für die Arbeiter­massen ohne die großartigen Maschinen, wir vermöchten ohne Industrie nicht mehr die Warenmengen herzustellen, die heute notwendig gewor­den sind. Sehen Sie nur: meine Textilfabrik und Weberei ... ."

„Ach, darum geht es ja gar nicht!" fiel der Redakteur ärgerlich ein. „Was sich jetzt vorbereitet, ist eine rein bürgerliche Umwälzung. Der vierte Stand hängt sich höchstens an die Rockschöße des Bürgertums, er selbst hat weder Stimme noch Vertretung, keine Organisation und keinen Einfluß."

„Und hinter der bürgerlichen Revolution", knurrte der rotgesichtige Bäcker, „ist schon anno 89 die Revolution des Pöbels marschiert. Das kann leicht noch einmal geschehen!"

„Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Redakteur, halten Sie es für ausgemacht, daß es zu Unruhen oder Aufständen kommt? Haben Sie Rapport in dieser Hinsicht?" Das steuerte der Schneider begierig bei.

Der spitzbär'tige Redakteur wiegte bedächtig das Haupt. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus dem Wreinglas und neigte sich flüsternd vor.

„Meine Herren, wie Sie wohl wissen, ist unsere Königlich privile­gierte Berlinische Zeitung, die man die ,Vossische' nennt, ein gediege­nes, bürgerliches Blatt und immer recht zuverlässig informiert. Und so sind "wir auch davon unterrichtet, daß verschiedene polizeilich verbotene W^nkelblättchen und Flugschriften seit Tagen, ja Wochen verbreitet sind. Mein sogenannter Kollege Held, der früher einmal in Leipzig die sattsam bekannte Hetzzeitung ,Lokomotive' herausgegeben hat, redi­giert jetzt in Berlin — den Augen der Polizei-Zensur entzogen —• ein republikanisches Journal, das sich ,Volksstimme' nennt. Und darin •— unter uns gesagt —• habe ich die neuesten Neuigkeiten gelesen. Aber ich bitte um Diskretion: wir von der ,Vossischen' dürften das alles eigentlich gar nicht wissen. Ich vertraue jedoch auf Ihre Verschwiegenheit. Also hören Sie:

Die badischen Landtagsabgeordneten haben gefordert: Pressefrei­heit •—- Aufhebung der landes- und grundherrlichen Gerichte •—- Errich­tung einer Bürgerwehr neben dem Militär. Und nun kommt die Sensa­tion: Der erschreckte Großherzog hat alles bewilligt] In München ist es zu Unruhen gekommen, das Volk —• Studenten vor allem — haben die Freundin König Ludwigs I., eine Tänzerin namens Lola Montez, zur Stadt hinausgetrieben und wie es scheint, wird der König ihr nach­folgen müssen. In Württemberg, Hessen und Hannover fordert das Volk allenthalben Freiheit und Mitregieruhg.

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Dies alles •—• streng vertraulich] Die Polizei hat der Presse Anwei­sung gegeben, den Berlinern diese Nachrichten vorzuenthalten, und Sie kennen unsere Polizei!

Die Herren schauten einander verdutzt an. Das waren erregende Neuigkeiten, die man da zu hören bekam. Endlich fand Hofbäcker Kruse das W o r t wieder.

„Wenn man es recht bedenkt", sagte er vorsichtig, „so haben die Badenser mit ihren Forderungen eigentlich gar nicht so unrecht. Sollten wir das nicht auch so machen? Es ist wahrlich an der Zeit, daß man endlich die Vorrechte gewisser Stände aufhebt und den Bürger, der die Steuern bezahlt, auch ein Wöitchen mitreden läßt, wenn es um die Festsetzung der Steuern geht."

„Aber Herr H o f bäckermeister!" empörte sich der Schneider, „warum sagen Sie nicht gleich mit den Franzosen: Liberte, egalite, fraternite > Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?!"

„Na, nur immer langsam, meine Herren!" dämpfte Kommerzienrat Bar­heine diese Entgleisung. „W^ir wollen erst mal abwarten, was Seine Majestät und das Militär dazu sagen! Für uns, den gehobenen Bürger­stand •—• wie ich wohl sagen darf •— gilt jedenfalls das Wort , das damals beim Einzug Napoleons in Berlin zu lesen war: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!"

Damit erhob sich der Herr Kommerzienrat, sichtlich unzufrieden mit diesem Abend, denn er liebte diese aufgeregten, politischen Gespräche wirklich nicht — und verließ würdevoll den gewohnten Stammtisch.

Während er in der hereinbrechenden Dämmerung von der Ecke Französische und Charlottenstraße in Richtung Kochstraße ausschritt, überdachte er noch einmal das Gehörte.

Ach, was! sagte er zu sich selber, so schnell schießen die Preußen nicht! Es wird viel geredet, die Köpfe sind erhitzt und die Regierung hat die Polizeiherrschaft tatsächlich ein wenig übertrieben. Aber —• eine Revolution im ordentlichen Berlin?! Nein — das ist ganz ausge­schlossen!

Dann aber fiel dem braven Bürgersmanne doch auf, daß die Straßen für die späte Stunde ungewöhnlich belebt waren, daß trotz der kaltea Witterung1 sich an allen Ecken Gruppen debattierender Menschen" zusammenballten, daß viel heimliches Volk durch die dunklen Seiten­gassen trieb. Doppelposten der Königlichen Polizei, mit aufgebürsteten Schnurrbärten und schleppenden Säbeln schritten bösen Blickes an den Ansammlungen vorbei.

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In einer Tor durchfahrt, die durch eine der neuen Gaslaternen er­leuchtet war, standen die Leute dichtgedrängt. Irgend ein Papier war dort angeklebt und wie zum Hohne gerade unter einer deutlich sichtbaren Tafel mit der Inschrift:

U n b e f u g t e s A n s c h l a g e n v o n P l a k a t e n s t r e n g v e r b o t e n !

Der Kommerzienrat hörte im langsamen Vorbeigehen, wie eben eine Stimme vorlas:

Deutsche Mitbürgerl Kommt zur Massen-Versammlung Unter den Zelten am Montag, dem 6. März. Die Stunde des Weltgerichts ist nahe bevor. Die Freiheit steigt aus dem Grabe und die Werke des Satans ver­sinken in ewige Finsternis. Die Völker der alten Wel t erheben sich aus ihrer Erniedrigung. Die Throne wanken . . ."

Barheine hörte nicht weiter hin. Höchst beunruhigt machte er sich rasch davon. Außerdem nahten schon mit klirrendem Schritt zwei Polizisten.

Erschreckt eilte der Kommerzienrat seiner Wohnung zu.

Sehtearz — Rot — Gold JKudolf Barheine war gewohnt, sobald er sein Haus betrat, von dd

alten Hausmagd Kathrein in Empfang genommen zu werden, die ihn schon an der Art des Aufschließens erkannte. Als nun diesmal Kathrein ,—• diensteifrig wie immer •—- aus der Küche herbeigewatschelt kam, vergaß sie gegen alle Regel, den hingehaltenen Zylinderhut abzunehmen. Die Petroleumlampe zitterte in ihren Händen: „Ooch, Herr Kommer-zjenratl Ooch, wat werd'n Se Sachen!"

Weiter war nichts aus der alten Getreuen herauszubringen, und Ru­dolf Barheine ging ärgerlich in das Wohnzimmer, einen großen Raum, der ganz modern durch offenes Gaslicht erhellt war und eine Reihe bequemer Plüschsessel, ein breites. Ledersofa und wunderschöne Bieder­meiermöbel aufwies. Frau Kommerzienrat Barheine stand in Erwartung ihres Eheherrn an die Glasvitrine gelehnt, die in Anlehnung an die Erzeugnisse der Fabrik mit einer Urnendekoration gekrönt war.

„Guten Abend Rudolf!" empfing ihn die Frau mit verdächtiger Freund­lichkeit. Der Kommerzienrat begann den Kragen zu lockern und sah unruhig auf seine Frau.

„Was ist denn geschehen]?" fragte er dann. „Also heraus mit der Sprache! Ist etwas im Geschäft quer gegangen?"

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Frau Barhein«: schüttelte den Kopf. Statt zu antworten begann sie plötzlich zu "weinen.

„Fritz ist da . . . " Fritz, das war der zweiundzwanzigjährige, einzige Sohn, der Stolz

des Hauses, der seit zwei Jahren als flotter Student in Jena studierte und in langen Stulpstiefeln, farbigem „Stößer" und Burschenschaftsband zum Staunen der Nachbarschaft schon einige Male als Couleurstudent in Berlin erschienen war.

„"Wieso kommt er jetzt •—mitten im Wintersemester <—'nach Hause?" Man merkte, daß dem Kommerzienrat die Frage schwer wurde. Die Frau brach in Tränen aus. Sie brauchte indes nichts zu erklären, denn in die­sem Augenblick trat Fritz Barheine selbst aus dem Nebenraum und kam verlegen auf den Vater zu.

„Was soll das ?" rief dieser mit erhobener Stimme. „Wie. soll ich diese Szene verstehen? Hast du etwas angestellt?"

Und nun begann Fritz zu erklären. Erst sprach er langsam und etwas gedrückt, aber bald geriet er in zunehmende Erregung und redete sich in hellen Zorn. Ä

Er war wie die meisten jungen Leute an den Universitäten einer Landsmannschaft beigetreten und hatte seine Farben an Mütze und Band stolz getragen. Die Studentenschaften waren sich ihrer Vergangen­heit wohl bewußt.

Hatten nicht die jungen Burschen der Universitäten vor einem Men­schenalter bei der Befreiung von Napoleons Herrschaft in der ersten Reihe gestanden? Waren sie nicht sofort der bedrohten Freiheit mit Blut und Schwert zu Hilfe geeilt ?1

In wilden Hoffnungen waren sie damals ausgezogen, daß endlich nach Jahrhunderten der Zerrissenheit ein einziges Vaterland mit freien Bürgern erstehen möge. Dann aber hatte der Aufschwung der Befrei­ungskriege in staubiger Kabinettspolitik geendet. Die uralten Exzellen­zen und Geheimräte waren an die Konferenztische Wiens gegangen, und als sie endlich nach unabsehbaren Sitzungen davon aufgestanden, hatten sie statt der Freiheit eine finstere Polizeiwelt zuwege gebracht: hun­dert hohe Zäune waren wirtschaftshemmend zwischen den deutschen Ländern stehengeblieben, die alte Fürstenwillkür war wieder aufgelebt, die Freiheiten des Volkes waren zurückgeschraubt und über allem drohte der unendlich lange, allgegenwärtige Arm der hohen Polizei. Den Zei­tungen wurde der Maulkorb der Zensur vorgehängt, den Bürgern ver­bot man zu denken und zu reden. W e r dichtete oder schrieb, bedurfte der Erlaubnis der Gesinnungsprüfer. Jede auch noch so versteckte

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Kritik an den fürstlichen Regierungen wurde wie in längst vergangenen Tagen mit Polizeihaft, Kerker oder Verbannung bestraft.

Nein, das konnte keine Wel t für freie Burschen sein! Und so waren denn die Studenten von Jena wieder einmal zur War t ­

burg gezogen, hatten Reden von Freiheit und Einigkeit geschwungen, hatten reaktionäre Bücher, den Korporalsstock, den Beamtenzöpf und die militärische Uniform als Sinnbilder der Unterdrückung verbrannt. Selbstverständlich waren die freien Burschen unter der Fahne der deut­schen Volksfreiheit marschiert, und Fritz Barheine hatte das Banner Schwarz-Rot-Gold durch die Studentenstadt getragen.

Aber leider saß zu Wien in.der Kaiserstadt der Erzrüekschrittler Metternich, der Erste Minister, nach dessen Pfeife die Polizei im ganzen Deutschen Bunde zu tanzen gewohnt war. Und auf Metternich wirkten die Farben Schwarz-Rot-Gold, wie das blendende Rot auf den wüten­den Stier. Auf der Wartburg freilich vermochte die Polizei nichts gegen 2000 Studenten auszurichten, aber als sie nach Jena, Erfurt oder Mar­burg heimgekehrt waren, hatte die Polizei die Einzelnen gegriffen.

Die Redner des Festes und die Träger des hochverräterischen Schwarz-Rot-Gold sollten festgesetzt werden.

Da -war Fritz Barheine zusammen mit seinem Kommilitonen Georg, einem Frankfurter, lieber gleich geflüchtet. Sie wollten sich beide zu Hause verbergen.

Fritz stand da und schaute gar nicht wie ein reumütiger Sünder aus. „Mein Sohn", sprach der Kommerzienrat, „ich möchte nichts Ehr­

loses in deinem Verhalten sehen, das Ganze war wohl nichts ^ls eine unreife und unüberlegte Tat . . ."

„Unüberlegt oder nicht, Vaterl" rief Fritz, „was hat denn die wohl­anständige Bürgerschaft mit all ihrer Überlegung und künstlichen Ruhe erreicht? Überall regieren die Kabinette, ohne sich um die Wünsche des Volkes zu kümmern, überall ist das freie Wort geknebelt, überall sind die Meinungen unterdrückt, Gesetze werden nur noch im Schutze der Bajonette erlassen und beachtet. Soll das immer so bleiben ? Frankreich hat sich frei gemacht und ich sage dir, Vater, auch uns wird dieses Frühjahr 1848 noch die Freiheit bringen!"

„Fritzl Du begibst dich sogleich auf dein Zimmerl W i r sind königs-treue Bürgersleute und ich verbiete dir, in meinem Hause derart revolutionäre Reden zu führenl"

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Am andern .Morgen -wurde beschlossen, daß Fritz vorerst zu Hause bleiben sollte, bis Gras über seine Affäre gewachsen sei. Später würde dann der Geldbeutel des Kommerzienrates einen Ausweg schaffen. •—-Aber schon zum Ende der Woche gab es einen neuen Streit mit dem Vater.

Der Kommerzienrat hatte beobachtet, wie sich sein Sohn auf dem großen Werkhof der Grabsteinfabrik mit den Steinmetzen unter­hielt, auch ein paar Taglöhner waren dabei. Hernach aber reichte der Student jedem der Werkmänner freundlich die Hand.

„Du mußt nicht so vertraut mit den Leuten sein", sprach der Kom­merzienrat unwillig, „bedenke, daß du dereinst der Herr dieser Fabrik sein sollst. Man muß sich frühzeitig der Achtung der unteren Stände versichern!"

Fritz erwiderte heftig, auch die Arbeiter seien unterdrückte Bürger, der Vater wisse wohl nicht, wie armselig die Leute lebten; man müsse im Kampf gegen das Militär- und Polizeisystem, einig sein. .—• Das trieb dem alten Herrn die Röte ins Gesicht.

„Seit wann haben die Taglöhner das Vollbürgerrecht?" fragte er erbost. „Nicht einmal in Frankreich, das du so sehr bewunderst, hat der gewöhnliche Arbeiter, der keine Steuern bezahlt, das Wahlrecht. Und das ist richtig so! Nur wer Grund und Besitz hat, soll über diesen Grund und Besitz bestimmen. Auch ich bin für den Fortschritt und meine, man sollte den berechtigten Bitten der besitzenden Bürgerschaft von seiten der Obrigkeit Gehör schenken, aber die Nichtbesitzenden müssen sich unterordnen. Das ist nun einmal Naturgesetz. Sie werden sonst zu einer Gefahr für den Staat und für die wohlerworbenen Rechte der Stände.

„Aber, Vater! Du kennst ja die Sorgen der Leute gar nicht! Ist es ihre Schuld, daß sie besitzlos sind? Ich habe eben mit dem braven Stein­hauer Hinrichs gesprochen: der Mann klagt über die niederen Löhne, mit denen er kaum seine Familie ernähren kann. Und wieviel Sorge macht er sich um seine alten Tage! Kein Mensch kümmert sich ja um das Los eines kranken oder invalide gewordenen Arbeitsmannes, weder Staat noch Gemeinde unterstützen ihn. Schlimmer noch steht es auf dem Lande! In Ost-Elbien, wo die großen Rittergüter sind, -werden die kleinen Leute immer noch in einer Art Leibeigenschaft gehalten, obwohl man diese Unfreiheit schon vor Jahrzehnten dem Namen nach auf­gehoben hat.

Lehmann, dein Kutscher, erzählt mir eben, daß sein Bruder in Jastrow als Hintersasse lebt. Der Grundbesitzer dort hat sogar noch

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das .Züchtigungsrecht über seine Arbeiter und er übt persönlich das Richteramt über das Guts volle aus. Wohin also soll sich ein armer Land­arbeiter •wenden, wenn ihm oder den Seinigen Gewalt geschieht?! Der Herr Junker von Jastrow ist ja Partei und Richter zugleich] Und hast du von der furchtbaren Webernot in den schlesischen Dörfern gehört?"

Der Kommerzienrat wehrte mißmutig ab: „Das wird alles nicht so schlimm sein, wie sie erzählen", sagte er.

„Wi r sollten uns hüten, gegen Regierung, König und gegendie bestehenden Rechte Stellung zu nehmen. Man hat es Anno 8g in Frankreich erlebt, daß die niederen Stände •— gibt man ihnen in geringen Dingen nach •—• sofort die furchtbarsten Wüteriche werden. Vergiß nie, mein Sohn, daß wir einen Besitz und eine Stellung zu verteidigen haben] Das hindert mich nicht, auch meinerseits etwas mehr Freiheit, ja vielleicht sogar eine Verfassung zu verlangen . . ."

„Na, siehst du Papa]" entgegnete der Student aufgeräumt, „auch in dir steckt ein Stück Demokrat! Und nun habe ich auch eine angenehme Botschaft für dein freiheitliebendes Herz: die ,Vossische Zeitung' hat ein Extrablatt angeschlagen, da steht zu lesen: die europäische Re­volution habe einen weiteren Schritt vorangetan. In Neapel, Florenz und Sardinien haben die Fürsten ihren Völkern nachgegeben und Ver­fassungen bewilligt] In Südbaden übrigens sollen Unruhen ausgebrochen sein •—• die Welle scheint Deutschland erreicht zu haben. Und ich sage dir, Vater, ehe ein Monat vorüber sein wird, werden auch wir in Preußen eines von beiden haben: Verfassung oder Revolution!"

Ehe noch der schon wieder ärgerlich werdende Kommerzienrat etwas erwidern konnte, lief Fritz davon, vergnügt über den kleinen Hieb, den er dem alten Herrn versetzt hatte.

*

Der Student trieb sich in diesen Tagen viel in der Stadt herum. Im „Lesekabinett in der Jägerstraße", einem Lokal, in dem Zeitungen aus aller Welt auflagen, trafen sich die jungen Hitzköpfe: Studenten, Handlungsgehilfen, die ihre Geschäftsstunden versäumten, und junge Handwerker. Sie alle waren sich darin einig, daß dieses Jahr 1848 für Deutschland endlich die Freiheit und Einigung und eine demokratische Regierung bringen müsse.

Als Fritz Barheine am Morgen des 7. März dorthin kam, erwarteten ihn seine Freunde mit einer neuen Nachricht. Sie schwenkten ein Zei-tungsblatt, das aus'Heidelberg berichtete; dort war am 5. März 1848

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eine Schar angesehener deutscher Männer zusammengetreten, um „über die dringlichsten Maßregeln im Vaterlande" zu beraten. Am genannten Tage hatten sie in einem Aufruf die deutsche Nation aufgefordert, unver­züglich eine Volksvertretung nach der Kopfzahl zu wählen. In Kürze wollten die Heidelberger Abgeordneten nach Frankfurt kommen und dort ein deutsches Parlament vorbereiten.

In Frankfurt saß doch der Bundestag?! Das war eine ständige Be­hörde, in der jeder deutsche Staat durch seine Gesandten vertreten war. Potz Blitz!Was würden die Herren Diplomaten sagen, wenn die Ab­geordneten ankamen?!

Im Lesekabinett herrschte eine ausgelassene Stimmung. Um so mehr ärgerte sich Fritz, als er auf dem eiligen Nachhauseweg zwei unliebsame Erlebnisse hatte.

In einer der Straßen nahe dem Gendarmenmarkt zündöte sicn, Fritz eine Zigarre an, die er aus seines Vaters Kiste genommen hatte. Aber schon nach ein paar Schritten stand ein säbelbewehrter Polizist vor ihm.

Ob er nicht wisse, daß in Berlin das Rauchen auf den Straßen ver­boten sei? —' Die Übertretung kostete einen Silbergroschen Strafe.

Auf dem Markt selber erlebte der Student dann eine weitere Szene; während ihn die erste erbost hatte, machte ihn die zweite sehr nach­denklich. Dort auf dem Markt hatten sich mehrere Arbeiterfrauen zu­sammengetan und schrien laut gegen ein paar Markthökerinnen, die aus eigener Machtvollkommenheit den Preis für einen Sack Kartoffeln von drei auf vier Silbergroschen heraufgesetzt hatten.

Wie sollten die kleinen Leute diese Preise von ihren Hungerlöhnen bezahlen? Ein Taglöhner brachte in der Woche nicht mehr als 16 Silber­groschen nach Hausei

Ehe man sich umsah, hatten einige der Weiber die Säcke aufge­schlitzt, alles stürzte über die Marktbuden her, und auch die Bäcker und Metzger wurden nun nicht verschont. Die Polizei, die hoch zu Roß herankam und mit flachen Klingen auf die Menschenmenge einhieb, erreichte nichts.

Schon hörte man in der Nachbarschaft die ersten Fensterscheiben klirren, eine Wolke von Geschrei lag über dem Marktplatz. Fritz, der mit seinen Neuigkeiten nach der Kochstraße strebte, war nach diesen Ereignissen überzeugt, daß dieser Monat nicht mehr hingehen werde, ohne das Gewitter zur Entladung zu bringen.

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Eine Wocbe spaterI licer Bar hei ne s&Q mit $&iner Familie au Mit feig in der guten Stube seines Hauses, als Redakteur Lessing hereinstürmte. In der Hand schwenkte er eine Depesche,

„Man hat mich soeben aus der Wohnung geholt!" rief er schon unter der Tür. „Ich bin auf dem Wege zur Redaktion und dachte mir, solche Nachrichten müßten Sie zuerst erfahren.

Hören Sie nurl Es geht vorwärtsl Das gibt Schlagzeilen für unser Extrablatt!

Aufstand in Wienl Barrikadenkämpfe rings um den Stephansdom! Metternich hat abgedankt! Unruhen in Ungarn und Böhmen •— die Revolution ist auf dem Wege! .—• Nun, Herr Kommerzienrat, beginne auch ich daran zu glauben, daß die Freiheit vor der Türe steht!"

Herr Rudolf Barheine erhob sich steif. Er schien die Begeisterung des Zeitungsmannes keineswegs zu teilen. Sorgfältig tupfte er den Voll­bart mit der Serviette ab, denn man War eben bei der Suppe.

„Immer mit der Ruhe, Herr Lessing! Hier in Preußen werden auch Revolutionen in guter Ordnung gemacht. Ich kann Ihnen ebenfalls eine Neuigkeit mitteilen: Bürgermeister Naunyn, Dr. Jacoby, von Unruh, Professor Baumstark und andere Volksvertreter werden sich demnächst zu seiner Majestät dem Könige begeben, um ihm die Wünsche des Volkes vorzutragen."

Der Student Fritz, der erregt zugehört hatte, hielt nun nicht mehr an sich: „So mag auch meine Neuigkeit erzählt sein: ich bin zwei Ver­einen beigetreten. Der Berlinischen Demokratischen Gesellschaft zum Einen und zum Andern, weil in solchen Tagen ein rechter Mann mit dem Gewehr umgehen muß: der Schützengilde."

Berliner Mars

D ie Ereignisse jagten sich. Aber sie waren von einem wahren Teufels­reigen unbestätigter Gerüchte umgeben und wirkten dadurch noch alarmierender und erschreckender, als sie es schon waren.

Mitte März wurde unter allgemeinem Jubel bekannt, daß der Frank­furter Bundestag plötzlich sein demokratisches Herz entdeckt habe. Vermutlich war den österreichischen Abgesandten der Sturz Metter-nichs, des bislang Allmächtigen, in die Hofratsgebeine gefahren. Der Bundestag erlaubte nämlich den Regierungen der deutschen Staaten, die Zensur der Presse aufzuheben. Aus den Regierungen sollten überall die besonders verhaßten Männer ausscheiden und durch freiheitlich gesinnte Minister ersetzt -werden. T« —• auf einmal wurden sogar die

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verpönten Farben der Freiheit: Schwarz-Rot-Gold, wegen deren so viele Studenten als Hochverräter* verurteilt worden waren und immer noch Tausende in den Kasematten der Festungen saßen, •—• mit einem Male wurden diese alten deutschen Reichsfarben zu den Wappen­farben des Deutschen Bundes erklärt.

In offensichtlicher Bestürzung verordnete der Bundestag, daß eine Kommission von Vertrauensmännern zusammentrete, um eine Revision der Reichsverfassung auf wahrhaft zeitgemäßer, nationaler Grundlage auszuarbeiten; dann sollten zum ersten Male in der deutschen Geschichte allgemeine und gleiche Wahlen stattfinden, und aus ihnen dann ein deutsches Parlament hervorgehen.

War 'das die Freiheit, um die man bisher vergeblich gerungen hatte? W a r das der Sieg des Volkes? —- Alles sprach dafür!

*

Meldungen über Straßenkämpfe und Unruhen in Venezien, Rom, Neapel und Palermo trafen ein. In den bunten Völkerschaften Öster­reich-Ungarns verband sich das Streben nach Freiheit mit nationalen Gedanken; es gärte in Prag, Budapest und Mailand. Aus Paris hörte man von weiteren Umzügen, die mit Blutvergießen geendet hatten. Ganz Europa begann das Haupt zu heben und auf eine freiere Zukunft zu hoffen.

Und so begann auch Berlin aufzubegehren. Preußen sollte nicht länger hinter der übrigen Welt zurückstehen.

Vor zwei Jahren, als König Friedrich Wilhelm, dem Zuge der Zeit folgend, eine Art Landtag einberufen hatte, war er vor die Mitglieder dieses Landtages hingetreten und hatte ein W o r t gesprochen, das sich im Gedächtnis aller Bürger bewahrt hatte:

„Ich werde nie dulden, daß sich zwischen unsern Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als eine zweite Vor­sehung eindränge."

Der „Herrgott", den er meinte, das war das Gottesgnaden tum des Königs; das „beschriebene Stück Papier", wie sich der König auszu­drücken beliebt hatte, war die Festlegung der Grundrechte des Volkes, kurz eine V e r f a s s u n g . So waren auch die Vertreter jenes preußi­schen Landtags nicht vom Volke gewählte Männer, sondern Vertreter von Ständen und Städten, wie sie dem König genehm schienen.

Das Volk aber verlangte seine eigenen Abgeordneten, die es sich selber erwähjen konnte 1 In dieser gespannten Stunde meldeten sich die Ver-

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treter der Bürgerschaft im Königlichen Schlosse, um auch für Preußen eine Verfassung, ein freiheitliches Ministerium und die sofortige Ge­währung der Grundrechte zu verlangen.

Und wirklich. Am 18. März .—• verbreitete sich plötzlich das Gerücht, der König werde die Abordnung der Berliner Bürgerschaft und Vertreter des Landtags im Schlosse nun tatsächlich empfangen, ihre Wunsche nach der Gleichberechtigung aller Bürger anhören und allen ihren Forderungen seine Zustimmung geben.

Fritz zerrte den Freund, der ihm die Kunde gebracht hatte, mit sich fort. Einen solch historischen Augenblick durften sie nicht versäumen. Auf dem Werkhof des väterlichen Betriebes traf er auf den Kutscher Lehmann und den Steinmetzen Hinrichs. Kurz entschlossen nahm er die beiden mit.

„Auf meine Verantwortung!" sagte er, „an einem solchen Tage wird nicht 12 Stunden gearbeitet wie sonst!" Die beiden Arbeiter liefen glücklich hinter den Studenten drein.

Sie eilten die Kochstraße entlang. Immer mehr Menschen drängten sich auf der Straße, und schon tat sich der Spittelmarkt vor ihnen auf, als sie plötzlich stehen blieben und lauschten. Aus der Ferne drang ein furchtbarer, lang hingezogener Schrei und das dumpfe Geknatter von Schüssen herüber.

Rascher schritten die Freunde aus. Aber das Brausen und Schreien, das aus der Gegend des Königlichen Schlosses kam, verstärkte sich, es war das Toben eines wilden Kampfes. Massenweise liefen die Men­schen die Straße Unter den Linden entlang zum Tiergarten hinüber. Vor­beihastende riefen: „Wi r sind verraten! Zu den Waffen."

„ W i r werden niedergehauen, niedergeschossen!" schrien die Flüch­tenden.

„Eine solche Niedertracht!" brüllte ein Mann, der zornrot vorüber-wTollte. Kaum erkannte Fritz in ihm den soliden Hofbäcker Kruse wieder.

„V/as ist geschehen, Herr Hofbäcker?!'* rief er ihn an, doch der Mann stierte ihn mit bösen Augen an und fuchtelte mit den Fäusten. „Nichts da von H o f bäckerjl Es ist aus mit dem H o f ! Ich bin ein Demokrat! Zu den Waffen, wer ein Mann ist!!''

Und nun vernahm man allgemein den Ruf: Zu den Waffen! Der Strom erfaßte die Männer und trieb sie mit fort. Das war sie —•

d i e R e v o l u t i o n !

.*

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In der Friedrichstraße kam das Gedränge zum Stehen. Hier hatten Arbeiter das Straßenpflaster aufgerissen. Fuhrwerke waren umgestürzt und Hausgerät wurde darauf getürmt, während Lehrjungen von einem nahen Neubau Steine und sandgefüllte Säcke herbeischleppten.

Schon tauchten überall Bürger mit Säbeln, Spießen und Gewehren auf; Waffenläden waren erstürmt worden, vom Landwehrzeughaus hörte man, daß die Aufständischen auch dort eingedrungen seien. Aus der Ferne rollte Kanonendonner, Trompeten schmetterten von der Dragonerkaserne am Halleschen Tor, Trommelwirbel verkündeten den Heranmarsch der Truppen.

Ehe sich Fritz Barheine versah, lag er auf der Höhe der Barrikade. Sein Freund hatte mit ein paar anderen aus dem nahen Lokal der" Schüt­zengilde die Stutzen herbeigeschafft und verteilte nun die Gewehre unter die festesten Männer. Gleich neben Fritz kauerte der Kutscher Lehmann, der Arbeiter Hinrichs schwang einen riesigen Säbel, den ihm ein leibhaftiger Professor unter vielen Brüderschaftsbeteuerungen geschenkt hatte. Der Ex-LIofbäcker Kruse legte ein altertümliches Donnerrohr auf die Reihe der Sandsäcke.

„Nu, Herr Fritz", meinte Kutscher Lehmann gemütlich, „nu woll'n wa mal kämpfen, daß hier in Deutschland det Volk auch wat zu sag'n hat. Davon soll uns mal keen Militärstiebel abbringen!"

Sie gaben sich die Hände. Im selben Augenblick wölkte Rauch auf und die erste Salve der

Infanterie prasselte gegen die Barrikade.

*

Nach zwei furchtbaren Tagen und Nächten kam Redakteur Lessing ins Haus des Kommerzienrates. Er war beunruhigt, als er hier erfuhr, daß die Eltern seit Sonnabendmittag nichts mehr von Fritz gehört hatten.

Freilich — es gab viele Möglichkeiten. Nicht alle mußten als gefallen gelten, die nach diesen zwei Tagen noch nicht in die Häuser zurück­gekehrt waren. Es verlautete, daß viele Bürger als Gefangene in die Spandauer Kasematten abgeführt worden seien, andere sich noch bei Freunden verborgen hielten. Aber nun würden sie hervorkommen. Das Aufbegehren der Volksmassen war nicht umsonst gewesen. Der König hatte angesichts dieser ernsten Entschlossenheit der Bürger und Arbeiter nachgegeben. Das Militär war zurückgezogen w.orden. Das Volk durfte sich als Sieger fühlen.

Der Redakteur brachte seine noch druckfeuchte Zeitung zum Vor-

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schein, lin guten Zimmer der Familie Barheine lasen sie die neuesten Nachrichten.

Unter diesen Nachrichten stand die Proklamation des Königs an seine „lieben Berliner" vom 19. März an erster Stelle. Der König schob die Schuld an den blutigen Ereignissen gewissen Unruhestiftern unter den Bürgern zu. Die Schüsse des Militärs seien durch ein Versehen ausgelöst worden. Er forderte die Berliner auf, die Barrikaden zu räumen, wie er auch seinen Truppen den Befehl gebe, sich von den Straßen und Plätzen zurückzuziehen. Er sei bereit, die Abordnung der Bürgerschaft anzuhören, wenn es sich um Männer handle „mit Worten, wie sie sich dem König gegenüber ziemen". Die bisherigen Minister entlasse er und beauftrage einen dem Volk genehmen Mann mit der Bildung eines neuen Ministeriums.

Kommerzienrat Barheine hatte mit gerunzelter Stirne gelesen, jetzt schüttelte er nachdenklich den Kopf.

„Es ist eine Schande", sagte er, „daß sich die wohlerzogenen Berliner haben so weit hinreißen lassen!"

„Wenn es Sie interessiert, Herr Kommerzienrat", beeilte sich Re­dakteur Lessing, „auf Seite zwei unseres Blattes finden Sie schon den Bericht, wie Bürgermeister Naunyn, Stadtrat Dunker, Bezirksvorstelier Vollmer und Dr. Stieber sich mit der Parlamentärsflagge zum König begeben haben."

„Ach was! Wie wird sich Seine Majestät mit den Bürgern Unterhalten nach solchen Vorfällen?!"

Der Redakteur schmunzelte und schlug die dritte Seite der Zeitung auf. „Hier lesen Sie selbst den ersten Erfolg!"

Er wies auf eine Bekanntmachung, in der der König die Bildung einer Bürgerpolizei genehmigte.

„Also der König ist tatsächlich eingeschüchtert? Hm, sehr interessant! Die Truppen ziehen ab, wir bekommen Bürgerwehr, recht hübsch und schmeichelhaft für den bürgerlichen Stolz! Aber —- was meinen Sie, Lessing, werden wir eine freiheitliche Regierung haben? Wie werden sich die Unruhen geschäftlich auswirken?"

„W^enn ich recht sehe", erwiderte der Redakteur, „so rechnen Sie wohl kaum mit einem Rückgang in Ihren Geschäften. Wie soll ich sonst die Annonce verstehen, die ich hier auf der vierten Seite des Blattes finde." Er reichte dem Kommerzienrat die Zeitung hinüber, und Bar­heine las mit einer gewissen Genugtuung die Anzeige, die er gestern im Zeitungsbüro aufgegeben hatte.

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Bestellungen auf Grabsteine in Marmor ersuche ich rechtzeitig abzugeben, da im vorigen Frühjahr durch die vielen Aufträge ein großer Teil erst spät im Sommer

geliefert werden konnte. Dieselben zeichnen sich nicht allein durch Schönheit, sondern auch durch Haltbarkeit und mäßige Preise aus.

R. Barheine, Kochstraße Nr. 25

„Ist ja alles schön und gut, Herr Lessing", seufzte der Kommerzienrat, „aber vorerst weiß ich noch nicht einmal, ob ich nicht für meinen eigenen Sohn einen Grabstein brauche."

*

Fritz Barheine saß inzwischen mit vielen Leidensgefährten in den dumpffeuchten Kellern der Festung Spandau. Alan hatte die tapferen Ver­teidiger der Barrikade in der Friedrichstraße gefangengenommen. Noch schmerzten die Knochen von den Kolbenschlägen des erbitterten Militärs.

Gegen Mittag brachte endlich ein Sergeant ein paar Kübel Wasser und einige schwarze Kommißbrote. Er ließ jedoch die Gefangenen im unklaren über ihr •weiteres Schicksal.

Die Gefangenen, die von den Ereignissen draußen nichts weiter wuß­ten, als daß der Aufstand zusammengebrochen sei, erwarteten die Er­schießung. Statt dessen gab man ihnen einige Stunden später zu ihrer Überraschung bekannt, daß sie frei sein sollten: Berlin war auf Befehl des Königs vom Militär geräumt worden, die Majestät selbst sollte sogar mit einer schwarz~rot-goldenen Schleife am Arm durch die Straßen geritten sein.

Die Barrikadenkämpfer wurden also nach der Speisung unter militäri­scher Bedeckung eiligst nach Charlottenburg gebracht und auf allerhand Umwegen bis zum Tiergarten geführt. Als sie die Bannmeile Berlins er­reichten, begann es zu dunkeln. Aber die Straßen waren festlich illuminiert.

Die Bevölkerung stand an den Bürgersteigen und goß ihren Spott über die Braven aus; denn dank der süßen Pille des Königlichen Auf­rufes hatte sich die Stimmung schon wieder in ihr Gegenteil verkehrt und der „revolutionäre König" erfreute sich großer Beliebtheit.

Tief in der Nacht stand Fritz Barheine endlich vor dem Elternhaus, verschüchtert zog er die Klingel und gleich darauf schlurfte Kathreins Schritt im Hausflur.

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Mite Hoffnung blüht in Ifrnnkftit't

Hatte die Revolution wirklich gesiegt? Konnte aus diesen tollen Märztagen die neue Freiheit Europas, die deutsche Demokratie ent­stehen ?

Fritz Barheine, der sich seit seinem Barrikadenabenteuer ein wenig kleinlaut im Hause seines Vaters aufhielt, war nicht ohne Hoffnung und verfolgte zusammen mit seinen jungen Freunden vom Lesekabinett die nachfolgenden Ereignisse mit Interesse und steigender Anteilnahme. Er blieb immer gut unterrichtet, denn er hatte sich auf die Neue Rheinische Zeitung .—• „Organ der Demokratie'4, "wie sie sich nannte, «—-abonniert.

Schon einige Tage, nachdem Fritz von Spandau heimgekehrt war, hatte König Friedrich Wilhelm den Landtag für den 2. April einberufen und diese Versammlung sprach seither über die Abhaltung von Wahlen, an denen jeder teilnehmen solle, und über die Einberufung einer preußi­schen Nationalversammlung von Vertretern des ganzen Volkes und die Neuordnung des Verhältnisses zwischen König und Volk.

Das alles geschah in Preußen. Aber viel beglückender waren die Nachrichten, die aus Frankfurt eintrafen. Der Aufruf, der am 5. März von Heidelberg aus zur Regelung der „dringlichsten Maßregeln im Vater­land" an die deutsche Nation ergangen war, war weithin gehört worden. Die Diplomaten des Bundestages hatten diesen stürmischen Forderungen nachgegeben, und so fanden sich am 3o. März in der Mainstadt zunächst einmal Männer aus allen deutschen Landen zusammen, um die Gedanken yon Heidelberg mit Nachdruck und ohne Verzug in die Tat umzusetzen. Zum 1. Mai 1848 wurden die Wahlen zu einer deutschen Nationalver­sammlung ausgeschrieben. Unter dem Druck dieses Beschlusses setzte man auch in Preußen zum gleichen Tage die Wahlen für eine preußische Nationalversammlung an. Zum ersten Male in seiner Geschichte durfte das deutsche Volk an diesem 1. Mai 1848 an den Wahlurnen selber über sein Schicksal entscheiden.

Im Lesekabinett gingen in diesen erhebenden Tagen die Zeitungen von Hand zu Hand. Nun bekannten sich die Barrikadenkämpfer vom März wieder stolz zu ihrer Tat. W a s man ersehnt, worum man vor wenigen Wrochen in den Straßen Berlins und in vielen anderen Städten sein Leben in die Schanze geschlagen hatte, das sollte nun endlich Wirklich­keit werden: Die Beseitigung der dynastischen Eigenbrötelei in einem kommenden demokratischen Reich, das Staatsbürgerrecht für jeden Deutschen, die gleiche Berechtigung aller Bürger zu den Staats- und M m D M M i ^ ^ ^ B H H B M H I I H I Q «—Mii^n«BB«tSiSmmMMIWIIIllllllillllH«

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Geinttiiideäuitcrii, die unbeschränkte Lehr-, Unterrichts- und Presse­freiheit, ausgleichende Gerechtigkeit zwischen Besitzenden und Besitz­losen, ja auch das Recht auszuwandern, das man dem Bürger bis dahin vorenthalten hatte. Das arme Volk aber erhoffte sich darüber hinaus aus diesen Wahlen Arbeit und Kleidung, Brot und Obdach.

Das waren Maitage! Wie das Brausen eines belebenden Frühlings­sturmes ging es durch das deutsche Land. Die Zukunft des Volkes werde besser sein als seine Vergangenheit: das war die Erwartung aller Gut­gesinnten in dieser Zeit.

Am Abend des 1. Mai hatten Millionen Deutscher die Männer ihres Vertrauens gewählt, und diese erlesenen Männer wählten am 10. Mai die Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt und zur Preußischen Nationalversammlung in Berlin. In den süddeutschen Ländern bestanden Verfassungen und Volksvertretungen schon seit Jahrzehnten. Am 18. Mai zogen die gewählten Volksvertreter in den schönen Rundbau der Paulskirche zu Frankfurt ein, die man zum Tagungsraum für das erste deutsche Parlament bestimmt hatte. Vier Tage später füllte sich das Kgl. Schauspielhaus zu Berlin mit den Abgeordneten der Preußischen Nationalversammlung.

* •

Am 20. Mai erhielt Fritz Barheine von seinem ehemaligen Jenaer Kommilitonen Georg einen Brief. Dieses Schreiben'war von Frankfurt nach Bebra geschickt worden. Von dort war es mit der neugebauten Eisenbahn über Halle'—Magdeburg in der kurzen Zeit von zwei Tagen in Fritzens Hände gelangt. Georg, der damals nach Ser Wartburgkund­gebung nach Frankfurt geflüchtet war, hatte nun das beneidenswerte Glück, die Frankfurter Ereignisse aus nächster Nähe mitzuerleben. Fritz Barheine riß den Brief auf, hastete über die Zeilen und rief sofort seine Freunde in das Lesekabinett.

„Gute Nachricht aus Frankfurt", frohlockte er, als er den Brief vor ihnen ausbreitete. Dann las er ihn vor.

Frankfurt, am 18. Mai 1848 abends 11 Uhr Mein lieber Fritz 1

Es ist also Wirklichkeit gewordenl Der Schlußstein der Freiheit ist gesetzt. O, hättest Du dabei sein können, heute morgen, als unsere Män­ner vom Römer her in herrlichem Zuge die Paulskirche betraten. Welche

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Männer 1 Die Elite der deutschen Geistigkeit ist hier versammelt, man sagte mir, es seien allein 100 Universitätsprofessoren, Dichter und Schriftsteller darunter. Ich ließ mir. Herrn Uhland aus Tübingen zeigen, den die Würtfemberger geschickt haben, Professor Dahlmann aus Bonn, den Preußen entsandt hat, Rankes großen Schüler Waitz , Robert Blum, den Buchhändler avjg Leipzig, von dem sie sagen, daß er eine große politische Zukunft vor sich habe, Professor Beseler aus Greifs­wald und manchen anderen. Auch unter den Juristen und Künstlern, den Prälaten und Bürgerlichen sah man die ehrwürdigsten Gestalten. Ich glaube unsere Sache ist in die besten Hände gelegt. Die Frankfurter und die vielen, die heute von draußen in die Stadt strömten, kargten nicht mit beifälligem Zuruf. Wieviel Hoffnung und Selbstvertrauen sprach mir aus dem Antlitz dieser Leute, die bisher beim bloßen Erscheinen eines Polizisten gezittert haben! Da hätte der alte Metternich Augen machen dürfen! Wahrlich, dem „Kutscher Europas" sind heute die Pferde mitsamt der Fracht davongegangen. Um den hiesigen Bundestag ist es ganz still geworden. Die Herren haben sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen. Es ist als ob sie gar nicht mehr vorhanden wären. Sie vertragen die frische Frankfurter Luft nicht mehr.

Die Morgenröte einer neuen, schönen, großen Zeit ist angebrochen. Teurer Fritz, ich kann Dir gar nicht sagen, wie glücklich mich das alles macht. Nun gilt es, das Errungene zu befestigen und möglichst nutzbar zu machen. Das Volk darf diesmal nicht enttäuscht sein. Es nimi t ja deshalb so regen Anteil an dem, was hier vor sich geht, weil es von der Paulskirche eine Verbesserung seines Loses, Mehrung des Wohl­standes, Verringerung der Armut erwartet. W i r aber erhoffen noch mehr: einen wirklichen Volksstaat und eine internationale Verbrüde­rung zwischen allen freien Völkern.

Ich bin so erfüllt vom heutigen Tage, daß ich es nicht fassen kann. Aus der Sitzung selbst ist noch nicht vieles zu berichten. Man scheint sehr gründlich vorzugehen. Es gab einige bedachtsame Reden. Ich hätte mir wohl mehr Feuer und weniger Behutsamkeit gewünscht. Aber die Göttin der Freiheit, deren Bild groß über den Herren Abgeordneten thront, wird ihren Geist und Mut gewiß gewaltig beflügeln. Hoffe mit mir]

Ich werde "wieder von mir hören lassen. Bleibe mir gewogen. Dein Dir wohlgeneigter Bundesbruder

Georg.

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Den ganzen Sommer über blickten die Berliner Demokraten mit ge­spannter Aufmerksamkeit nach Frankfurt. Ihre eigenen Dinge in Preußen gingen ihren langsamen und zähen Gang, Zwar -war am 22. Mai die Preußische Nationalversammlung zusammengetreten, doch war bislang nur endlos debattiert worden. Keinerlei Ergebnisse zeichneten sich ab. Wenig förderlich schien, daß die landwirtschaftlichen Gebiete des Ostens fast lauter königstreue Junker nach Berlin gesandt hatten. Der Ludwig Uhlandsche Spottvers ging allenthalben um:

„Es hat ein Berg geboren Lang hat's in ihm gegoren. Die Wehen waren bitter: W a s bringt er denn heraus? Er bringt uns eine Maus —-Dazu dreihundert Ritter 1"

Von den berlinischen und einigen rheinländischen Abgeordneten waren scharfe W^orte gefallen, und so ging das Gerücht, der König beabsichtige, die Versammlung bald aus Berlin fortzuweisen und in irgendeiner getreuen Landstadt unter Militäraufsicht zu stellen.

So war es langsam Oktober geworden. Die Briefe, die Georg regel­mäßig aus Frankfurt geschrieben hatte, klangen längst nicht mehr so zuversichtlich "wie jener vom 18. Mai. Ein stürmischer Sommer war vorbei und im Herbst spürte man schon wieder kräftiger die Zuchtrute der Reaktion. Von Berlin erwartete man kaum hoch etwas. Alle Hoff­nung stand nun in Frankfurt. Dort hatten sie eine Reichsregierung mit vielen Ministern gebildet, hatten Gesetze erlassen und Gesandte ins Alisland geschickt; aber die Paulskirche schien trotzdem nur eine mora­lische Macht zu bleiben, der alle jene Mittel fehlten, die nötig waren, um Beschlüsse auch zur Durchführung zu Iringen.

*

In seinem Briefe vom 2. Oktober gab Georg der mehr und mehr um sich greifenden Mißstimmung beredten Ausdruck.

,,Liebe Freunde in Berlin!" schrieb er, „Nun will ich mir den Unmut, der heute schon viele Demokraten beseelt, vom Herzen reden.

Mit welchen Hoffnungen hat dieses Parlament begonnen und nun scheint es mehr und mehr in Uneinigkeit und selbstverschuldeter Macht­losigkeit dahinzusinken! Es ist zum Weinen, ihr Freunde 1

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Viele Abgeordnete waren von Anfang an von einem übertriebenen Machtgefühl beherrscht, ohne auch nur einen Moment daranzudenken, daß sie ja über keinerlei wirkliche Machtmittel verfügten, und daß die für den Augenblick erschreckten Fürsten nur darauf warteten, die Völker ruhiger zu finden, um die verlorenen Rechte zurückzuerobern.

Da haben die Frankfurter Versammelten am 28. Juni den-beliebten alten Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser ernannt und dies vielleicht hauptsächlich darum, "weil sie den preußischen Mili­tarismus haßten und der Erzherzog mit einer Bürgerlichen •— der Post­meisterstochter von Aussee •—- verheiratet ist. Aber —- welche M a c h t steht hinter dem alten Erzherzog!

Nichts und wieder nichts! Da sitzen nun in Frankfurt die Reichs­ministerien mit Ministern und Staatssekretären, aber wen regieren sie ? Höchstens das Aktenpapierl Kein Landesfürst tritt ihnen auch nur ein einziges seiner Rechte ab.

Ihr wißt, daß die endlosen Redeergüsse der Frankfurter Professoren und Dichter am 18. September sehr energisch und bedrohlich unter­brochen worden, als die Radikalen einen Aufstand erregten, bei dem sogar zwei Abgeordnete ermordet wurden. Dann haben sie das Militär hergeholt, daß es die Paulskirche schütze. •

Und dabei sprüht die Paulskirche nur so von guten und schönen Leitsätzen. Eine Auswahl von deutschen Idealisten ist dort versammelt—• aber was kann aller Geist bedeuten, wenn die alten Regierungen immer noch Polizei und Militär nach Belieben kommandieren] Und nun, nach diesen Unruhen, wird es heißen, es müßten alle .Wohlgesinnten' gegen die »Aufrührer und Unruhestifter' zusammenstehen! Das erschreckte und um seinen Besitz bangende Bürgertum wendet sich schon heute zum Teil von der Nationalversammlung ab. Ich sehe es kommen: all unsere Hoffnungen werden unter den Stiefeln einer preußischen Polizeiaktion zertreten werden.

Aber, bei Gott, mein Fritz! W i r wollen als freie Burschen kämpfen, ehe das geschehen darf] Nicht -wortlos geht das deutsche Bürgertum wieder ins Joch zurück. Hast du gehört, daß in Wien der Kriegsminister ermordet wurde, daß sich Ungarn, von Kossuth geführt, und Österreich unter Studenten und Professoren zum Aufruhr erhoben haben?] Bei uns in Frankfurt spricht alles davon. Auch in der Pfalz wehen wieder die schwarz - rot - goldenen Fahnen, der Süden gärt gewaltig.

Uns darf es nicht geschehen wie den Arbeitern der Pariser Vororte, die General Cavaignac Ende Juni hat niederschießen lassen! Ich sage dir offen, Fritz, wenn es zum Kampfe kommt, so trete ich einer Legion

UlliWimilllllllllüllllll IUI •—Ullllill Willi lllillllill. 11 Hj 1 21 K H N M M N H M M M M H H i a n m H H K B H

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der Demokraten bei! r ü r eine deutsche Republikl Für Gleichheit aller vor dem Gesetz und die Einheit Deutschlands!

Ich erwarte, daß auch du deine Entscheidung fällstI Dein Freund Georg."

4c

Fritz Barheine vtnd seine Gefährten —• so begeistert sie auch waren —• kamen noch nicht. Die Ereignisse in Preußen hielteji sie ab.

Ende Oktober —• eben in der Zeit, als die Berliner Freiheitsfreunde ernsthaft überlegten, ob sie sich nicht den badensischen Freikorps an­schließen sollten -—• kamen bestürzende Nachrichten, welche die Lage der Revolution in ganz Europa sehr dämpften. Den militärischen Siegen der Österreicher unter Radetzky in Italien war nun ein Hauptschlag gefolgt. Fürst Windisch-Grätz eroberte das aufrührerische Wien im Sturme zurück und der finstere Zar Nikolaus von Rußland ließ seine Truppen gegen die ungarischen Freischaren marschieren. Auf den Prager Straßen knatterten die Stutzen der Tirolischen Truppen.

Damit war die Revolution in der Donaumonarchie soviel wie beendet. *Die Rückwirkung auf Berlin blieb nicht aus.

Schon ging das Gerücht um, der König habe sich von seinen neuen Ratgebern •— unter ihnen ein Landjunker namens Otto von Bismarck •—-bestimmen lassen, die preußische Nationalversammlung nach Branden­burg zu verlegen, um sie dort sang- und klanglos auflösen zu können.

Fritz und auch die Bürger am Stammtisch bei „Lutter und Wagner" •wollten das nicht wahrhaben. Sie glaubten nicht an einen Wortbruch ihres Königs. Aber am 9. November morgens ereignete sich, was viele befürchtet hatten. Die Versammlung zog in die Domhalle nach Branden­burg um. Zugleich wurde ein Ministerium gebildet, das nicht sehr viel Nachgiebigkeit versprach.

Am gleichen 9. November •—• so berichtete die Vossische Zeitung .—• erschoß man nach kurzem Kriegsgericht den Abgeordneten des Volkes, Robert Blum, den die Frankfurter Nationalversammlung nach Wien entsandt hatte. Das aber bedeutete den Bruch Österreichs mit der Paulskirche. So weit war also schon die Mißachtung des Volkswillens gediehenl

Am 22. November mußte auch der Österreichische Reichstag nach Kremsier, das heißt in die Vergessenheit, umziehen. Und kaum hatten sich die enttäuschten Demokraten von all diesen Schicksalsschlägen erholt, als am 5. Dezember der König von Preußen die Auflösung auch

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der im Brandenburger Dom tagenden Preußischen Nationalversammlung verordnete und als schwachen Trost eine magere, „von der Regierung ausgearbeitete Verfassung" befahl.

So sollte also das große Jahr 1848 in Enttäuschung und erneuter Unfreiheit enden!

Nicht nur Fritz und seine jungen Freunde waren tief enttäuscht. Hofbäcker Kruse meinte in dieser Zeit am Stammtisch: „Die Drauf­gänger hatten nicht so unrecht! Man sollte die ganze Fürstengesellschaft hinausgekehrt haben. Eine Republik wäre doch das Beste gewesen . . ."

Schneidermeister Raddaz erklärte daraufhin, er wolle mit derartigen umstürzlerischen Meinungen nichts zu tun haben und auch Kommerzien-rat Barheine erhob sich und verließ, ohne einen Gruß, den Stammtisch.

Vermächtnis der Idealisten

IVedakteur Lessing kam mit großer Heimlichkeit in das Barheinesche Haus in der Kochstraße 25. Seit Polizeidirektor Hinkeldey Berlin regierte, war jedermann vorsichtig geworden.

„Endlich einmal etwas Erfreuliches, Herr Kommerzienrat!" sagte der Zeitungsmann, „was ich hier bei mir habe, ist interessant genug, daß man dafür die Festung riskieren kann! Die Frankfurter Nationalver­sammlung hat endlich den Text für die Reichsverfassung festgelegt.

Die Anwesenden umdrängten den Redakteur, der seiner Brusttasche ein Steindruckblatt entnahm.

Man sah auf diesem Flugblatt zwei Gesetzestafeln, die von einer befreiten Germania, und anderen sinnbildhaften Gestalten getragen wurden. Auf den Tafeln las man folgenden Text:

Die Grundrechte des deutschen Volkes

D e m deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet werden. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur N o r m dienen und keine Verfassung und Gesetzgebung eines deutschen Einze1staates soll diese aufheben oder beschränken können.

Artikel I. § 1 Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das Deutsche Reich bilden.

Artikel II . § 1 Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben.

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Artikel I I I . § l Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Artikel IV. § l Jeder Deutsche hat das Recht durch Wort , Schrift,

Druck und bildliche Darstellung seine Meinung zu äußern.

Artikel V. § l Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissens­freiheit.

Artikel VI . § i Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Artikel VI I . § l Die Deutschen haben das Recht sich friedlich und

ohne Waffen zu versammeln. Artikel VI I I . § 1 Das Eigentum ist unverletzlich. Artikel IX. § 1 Alle Gerichtsbarkeit geht nur vom Staate aus.

Der Reichsverweser: Krzherzog Johann Die Reichsminister: H. v. Gagern, v. Peucker, v. Becke-

rath, Duckwitz, N. Mohl.

*

„Nun", nahm Fritz als erster das Wor t , „mag es enden wie immer; dem tollen Jahr 1848 verdanken wir die erste Festlegung der demokra­tischen Grundrechte der Deutschen. Für Ideen, wie sie hier ausge­sprochen sind, lohnt es sich, Opfer und Mühen nicht zu scheuen. Von jetzt ab wird jeder Deutsche in seinem Freiheitsstreben ein klares Ziel vor sich haben."

Der Kommerzienrat blieb aber auch weiterhin nachdenklich: „Was werden die gekrönten Häupter dazu sagen?" meinte er.

„Sie werden sich dem Geist der neuen Zeit fügen müssen]" entgegnete der Student, den Fritz als Gast mit nach Hause gebracht hatte. Aber Herr Barheine blickte ihn groß an.

„M ü s s e n, mein lieber Freund, ist kein Ausdruck, den man im Wörterbuch der Könige findet!"

„Ja, alles deutet darauf hin", bestätigte der Redakteur, „daß die fürstlichen Herren nicht mehr nachgeben werden. Die Throne haben das tolle Jahr 1848 nicht ohne Zittern und Bangen überstanden, das werden die Kabinette nicht vergessen und nun Schritt für Schritt die abgenötigten Freiheiten zurückholen, die Rädelsführer bestrafen, die revolutionären Zeitungen, die aufrührerischen Vereinigungen verbieten und die Kerker neuerdings mit Demokraten füllen. Ich würde Ihnen empfehlen, meine Herren, das Mäntelchen rechtzeitig nach dem neuen Winde zu hängen. Es wird Ihnen nützlich sein, ihr königstreues Herz wieder hervorzu­kehren! Die Reaktion marschiertl"

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Er lachte boshaft. Fritz jedoch ärgerte sich über Herrn Lessing: „Herr Redakteur, Sie vergessen, daß es auch bei uns so etwas "wie Gesinnungstreue gibt, die weder vor Thronen noch Bajonetten zittert."

*

Dieses Wor t sollte Fritz Barheine schon bald selber wahr machen. Die Ereignisse nahmen fast genau den Verlauf, den der Zeitungsmann

erwartet hatte: überall in Europa siegten die regulären Truppen über die Freischaren des Volkes. Als sich die Regierungen wieder fest im Sattel fühlten, setzte die Treibjagd nach den Männern ein, vor denen im Jahre 48 die Könige gebebt hatten.

Auch die Frankfurter Versammlung fiel schmählich ins Nichts zu­rück. Nachdem sie noch lange über die künftige Form des Deutschen Reiches gestritten hatte: ob Österreich im deutschen Staatsverbande bleiben solle oder nicht, ob Preußen oder Osterreich die Führung haben werde, ob Deutschland sich zu einer Republik entwickeln könne, ergab sich, daß die Paulskirche tatsächlich keine Macht nach außen besaß. Als dann im Frühjahr 1849 die Verfassung endlich fertig gestellt war, bestand keine Aussicht mehr, daß sie sich durchsetzen werde.

Nach langem Hin und Her beschloß die Nationalversammlung, dem Preußenkönig die Krone eines gesamtdeutschen Bundesstaates anzu­bieten, zu dessen Bildung man entschlossen war. Aber der König lehnte es ab, Reich und Herrscheramt aus den Händen des Volkes entgegenzu­nehmen: nur die Fürsten schienen ihm berechtigt, solche Titel zu verge­ben. Die Abgesandten kehrten ohne Ergebnis nach Frankfurt zurück.

Das aber bedeutete das Ende der Nationalversammlung. Schon im Dezember hatte Österreich seine Abgeordneten heimbe­

rufen, nun nahmen auch Preußen, dann Hannover, Sachsen und Bayern die ihren zurück. Als die Ablehnung des Preüßenkönigs im Lande be­kannt wurde und die Bevölkerung erkennen mußte, daß man sie erneut um ihre Grundrechte betrügen werde, brachen überall Aufstände und Unruhen aus. Aber diesmal hatten die Fürsten vorgesorgt und sich der Truppen versichert.

Diesmal gab es keine Aufrufe im Tone der Proklamation „An meine lieben Berliner". Der preußische Militärstiefel setzte sich in Marsch und trat die letzten Funken der Freiheit aus.

In Baden wehrten sich die Freikorps der Demokraten, in Sachsen und im Rheinland kam es zu heftigen Kämpfen. In der bayerischen Pfalz trat ein Teil des dortigen Militärs zur Sache des Volkes über. Aus ganz Deutschland eilten auf geheimen Wegen die opferwilligen Freiheits-

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freunde zur Festung Rastatt, wo sich der Widerstand allmählich zu­sammengeballt hatte. Auch Fritz Barheine und zwei seiner studentischen Freunde entwichen bei Nacht und Nebel aus Berlin, um an den ßadener Kämpfen teilzunehmen. In schwerem Entschluß ließ auch der wackere Steinmetz Hinrichs seine Familie zurück und ging mit.

So fuhren sie zu viert in die Südwestkante des Reiches.

*

Nach Amerika ü berall dort, wo sich die Aufständischen erhoben hatten, um in

letzter Minute die Sache der Freiheit zu retten, waren schon bald preußische Truppenverbände erschienen, die wenig Rücksicht kannten, während das eingesessene Militär häufig mit dem Volke sympathisierte. So verbreitete sich bald die Stille eines Friedhofs über die aufständischen Landstriche.

Mit einem letzten, papierenen Profest waren die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, die man nach Stuttgart verlegt hatte, auseinandergegangen. Den Abgeordneten des deutschen Volkes waren alle Rechte genommen. Einige von ihnen eilten in. die Rh'einpfalz oder nach Baden, wo inzwischen die Freiheitskämpfer ihre Sache den Waffen anvertraut hatten.

*

Das also war die Lage, die unsere vier Freunde antrafen, als sie sich der Deutschen Freiheitslegion anschlössen. Ein Freiherr von Corvin hatte die Legion im Elsaß gesammelt.

Mannheim wurde verteidigt und Fritz Barheine erlebte mit, wie die Legion Corvin die neugegründete Stadt Ludwigshafen berannte. Als aber die Republikaner bei Waghäusl vom regulären Militär besiegt worden waren, als überall auf den Eisenbahnen rasch he rangeschaffte Truppen unter den schwarz-weißen, den preußischen Fahnen aufge­taucht waren, hatten sich die Verteidiger der deutschen Reichsverfassung in die Festung Rastatt zurückgezogen.

Das Spiel war aber schon zu Ende. Ein preußischer Major veranlaßte den Führer der Freischaren, Herrn

von Corvin, mit ihm durch Württemberg und Baden zu fahren, damit er sich mit eigenen Augen davon überzeugen könne, wie gut die Preußen überall die Polizeiordnung wiederhergestellt hatten. Da beschloß Corvin zu kapitulieren.

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Am Abend vor der Übergabe sprach er zu. seinen Getreuen: „Brüder, ^er X a n ipf m j t den Waffen ist zu Ende. Das Volk ist sich

selbst •— das heißt seinen uniformierten Brüdern und Söhnen erlegen. Doch lasset die Hoffnung nicht fahren: jene erhabenen Gedanken, für die wir bluteten und die nun einmal ausgesprochen wurden, sind unsterb­lich geworden und werden unser persönliches Schicksal überdauern.

Jedem Einzelnen von Euch gebe ich den Rat: versucht Euch durch­zuschlagen] Geht einzeln oder in kleinen Gruppen über die Grenze. Wenn sie Euch greifen, habt Ihr mit dem Tode zu rechnen, wie der Abgeordnete Trützschler, den die Preußen füsiliert haben, oder Robert Blum, den die Österreicher erschossen.

Lebt wohll Und auf Wiedersehen in freieren Ländern!"

*

Das Freikorps löste sich auf. Als am 23. Juli 1849 die Preußen mit klingendem Spiel in die Festung einrückten, waren viele der Republika­ner schon über die Berge davon. Otto von Corvin wurde nahe der Schweizer Grenze in der Verkleidung eines Schmiedegesellen ergriffen und für i5 Jahre ins Zuchthaus gesteckt. Der brave Hinrichs kam bis Frankenthal, wo ihn sein berlinischer Dialekt verriet. Ihn erschossen die Soldaten gleich an der nächsten Weinbergmauer. Von seinen beiden Berliner Studentenfreunden war Fritz schon während der Kämpfe getrennt worden. Nun, nachdem alles vergebens war, suchte er sich nach Norden durchzuschlagen. In Frankfurt traf er seinen Freund Georg wieder. Aber auch Georg mußte sich verborgen halten und so schloß er sich an. Die beiden Freunde erreichten endlich im September unter allerhand Abenteuern die Vaterstadt Berlin.

Nachts und ganz heimlich klopften sie an die Läden des Hauses Kochstraße 20. Die erschreckte alte Kathrein ließ die beiden jungen Abenteurer ein. Vater und Mutter waren entsetzt über das herunter­gekommene Aussehen ihres Sohnes.

Fritz hörte nichts, was ihm Mut für die Zukunft geben konnte. „Die Polizei des Direktors Hinkeldey", sagte der Kommerzienrat,

,,ist scharf hinter jedem Demokraten her. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie streng unser König geworden ist] Alle Kasematten von Spandau und Torgau sind vollgestopft mit ehemaligen Barrikadenkämpfern. Man macht weder vor Professoren noch Künstlern oder Offizieren Halt.

Seht zum Beispiel den armen Hofbäcker Kruse : man hat ihm schimpf­lich seinen Titel und die Konzession entzogen und das alles nur, weil er

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einmal in Gegenwart des Schneiders Raddaz gesagt hat: eine Republik wäre doch besser! Der Schuft hat ihn denunziert.

"Wie ich selbst zu kämpfen habe, davon will ich nicht sprechen. Aber die Polizei weiß genau, daß mein Sohn mit auf den Barrikaden stand!"

„Aber so schlimm wird es doch nicht werden?" versuchte Fritz ein­zuwenden.

„W'as soll nicht schlimm werden ? 1" rief der Kommerzienrat böse. „Da hat Oberst von Bülow vor einem Jahr aus Mitleid ein paar Zeilen in die ,Vossische' einrücken lassen: ,Für die unglücklichen Witwen und Waisen, deren Männer und Väter am 18. März l e i d e r gestorben sind, habe ich der Vossischen Zeitungsexpedition meinen Beitrag übergeben . . .'

Dafür hat man vor acht Tagen dem alten Oberst seine Pension ge­strichen! Und meinst du, mir wird es besser gehen, da du auf den Barrikaden und in Rastatt warst?!"

Ganz entmutigt saßen die beiden Freunde da! Daß der Vater vielleicht noch für ihn büßen müsse, das konnte Fritz nicht fassen. W a s hatte der Vater mit seiner Sache zu tun?

Es wurde eine lange Nacht. Vater Barheine entwickelte seinen Plan. Die beiden Jungen mußten fort! Geld und Geschäftsverbindungen sollten über das Erste hinweghelfen, das Weitere mußte man der Tatkraft der Jugend überlassen. Es gab nur einen Ausweg: Drüben überm Ozean lag das große Land der Freiheit —- Amerika!

Während der Vater von dieser einzigen Möglichkeit sprach, weinte die Mutter still vor sich hin. Auch die beiden jungen Männer waren erschreckt darüber, daß man sie so unversehens um die halbe Erdkugel verschickte, dann aber faßten sie sich. Wenn es sein mußte, nun gut!

Verkleidet bestiegen die beiden Flüchtlinge schon am nächsten Tage den Eisenbahnzug, der neuerdings über W^ittenberge die Stadt Berlin mit der Freien Hansestadt Hamburg verband. Eine Woche später fanden sie eine Schiffsgelegenheit und dann standen sie in der Frühe eines Herbsttages an der Reeling des Auswandererdampfers „Königin Louise", der zur neugegründeten Hamburg-Amerika-Linie gehörte und an St. Pauli Landungsbrücken festgemacht hatte. Einer der neuen Rad­schlepper dampfte heran, die Matrosen warfen die Taue los und dann zog der Schlepper das Passagierschiff ins offene Fahrwasser der Elbe.

Der Michaelsturm stand wie ein Abschiedsgruß über dem Dächer­gewirr des alten Hamburg, in dem noch immer nicht die Sparen des

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»roßen Stadtbrandes von 1842 verwischt waren. Die hohen Giebel­häuser an den Fleeten und das Gewimmel der Masten, Segel und Rahen zeichneten gegen den grauen Morgenhimmel der Großstadt ein Bild von ergreifender Schönheit.

Mit den beiden Studenten war etwa ein halbes hundert Passagiere an Bord gekommen, mehr als die Hälfte hatte das gleiche Ziel: die freiheitsgewohnten Länder jenseits des Kanals und jenseits des Ozeans. Es waren Beste des deutschen Volkes: Idealisten, Freiheitsliebende und aufrechte Kerle, für die Deutschlands Polizei keinen Platz im Vater­lande ließ.

Alle standen, ergriffen in den Anblick der Heimat versunken, an Deck. „Fritz, wenn ich so an alles zurückdenke", unterbrach Georg nach

einiger Zeit das Schweigen, „wie traurig ist es, daß nun doch alles vergebens gewesen istl Weißt du noch, wie ich dir von Frankfurt schrieb: ,Nun ist die Morgenröte einer neuen, schönen, großen Zeit angebrochen.' — Morgenröte . . ? Wie getretene Hunde müssen wir uns jetzt aus unserm Vaterlande davonschleichen!"

„Glaubst du denn", erwiderte Fritz, und sein Blick ruhte immer noch auf der fern entschwindenden Stadt, „glaubst du, die Idee der Freiheit könne, jetzt da sie erwacht ist, je wieder versinken? Aus den Gesetzes­büchern mag sie verschwinden, das Gedächtnis der gedrückten Völker aber wird sie bewahren. Ich weiß es, der Geist dieser Zeit wird weiter­wirken. Ein Anfang ist gemacht, wir haben die Saat gelegt und ich glaube daran, daß sie einmal aufgehen wird. Vielleicht noch zu unsern Zeiten, vielleicht aber auch nach uns. Ja, ich glaube an die Morgenröte."

In diesem Augenblick versank das ferne Ufer der Stadt hinter der hohen Böschung. Da wandten sich die beiden Freunde um. Vor ihnen lag nun im Glitzern des Morgens der breite Strom, dessen Flut frei und unaufhaltsam dem nahen Meer zustrebte.

Den Lesebogen ,,Das tolle Jahr 1848" schrieb Otto Frisinga (Zierer), geb. 1909 in Bamberg. Auf der Vorderseite des Umschlags: Barrikaden in der Friedrichstraße zu Berlin am IS. März 1848; auf der Rückseite: Das Innere der Paulskirche zu Frankfurt am 18. Mai 1848, dem Tage der Eröffnung der Nationalversammlung. Beide Bilder nach zeitgenössischen

Stichen. Vgl. auch Lesebogen 5 „Flucht in die Freiheit".

L U X - J U G E N D - L E S E B O G E N Nr. 25 • Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte • Verlag Sebastian Lux (Lizenz US-E-133) Muraau-München • Aufl. 35 000 • Herstellung: Druckerei des Gregorius-Verlag

vorm. Friedrich Pustet Regensburg


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