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Das Schamanentum als spiritistische religion

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This article was downloaded by: [Monash University Library] On: 24 October 2012, At: 08:19 Publisher: Routledge Informa Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954 Registered office: Mortimer House, 37-41 Mortimer Street, London W1T 3JH, UK Ethnos: Journal of Anthropology Publication details, including instructions for authors and subscription information: http://www.tandfonline.com/loi/retn20 Das Schamanentum als spiritistische religion Hans Findeisen a a Augsburg Version of record first published: 20 Jul 2010. To cite this article: Hans Findeisen (1960): Das Schamanentum als spiritistische religion, Ethnos: Journal of Anthropology, 25:3-4, 192-213 To link to this article: http://dx.doi.org/10.1080/00141844.1960.9980888 PLEASE SCROLL DOWN FOR ARTICLE Full terms and conditions of use: http://www.tandfonline.com/page/terms- and-conditions This article may be used for research, teaching, and private study purposes. Any substantial or systematic reproduction, redistribution, reselling, loan, sub-licensing, systematic supply, or distribution in any form to anyone is expressly forbidden. The publisher does not give any warranty express or implied or make any representation that the contents will be complete or accurate or up to date. The accuracy of any instructions, formulae, and drug doses should be independently verified with primary sources. The publisher shall not be liable for any loss, actions, claims, proceedings, demand, or costs or damages whatsoever or howsoever caused arising directly or indirectly in connection with or arising out of the use of this material.
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Page 1: Das Schamanentum als spiritistische religion

This article was downloaded by: [Monash University Library]On: 24 October 2012, At: 08:19Publisher: RoutledgeInforma Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954Registered office: Mortimer House, 37-41 Mortimer Street, London W1T3JH, UK

Ethnos: Journal ofAnthropologyPublication details, including instructions forauthors and subscription information:http://www.tandfonline.com/loi/retn20

Das Schamanentum alsspiritistische religionHans Findeisen aa Augsburg

Version of record first published: 20 Jul 2010.

To cite this article: Hans Findeisen (1960): Das Schamanentum als spiritistischereligion, Ethnos: Journal of Anthropology, 25:3-4, 192-213

To link to this article: http://dx.doi.org/10.1080/00141844.1960.9980888

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This article may be used for research, teaching, and private study purposes.Any substantial or systematic reproduction, redistribution, reselling, loan,sub-licensing, systematic supply, or distribution in any form to anyone isexpressly forbidden.

The publisher does not give any warranty express or implied or make anyrepresentation that the contents will be complete or accurate or up todate. The accuracy of any instructions, formulae, and drug doses shouldbe independently verified with primary sources. The publisher shall notbe liable for any loss, actions, claims, proceedings, demand, or costs ordamages whatsoever or howsoever caused arising directly or indirectly inconnection with or arising out of the use of this material.

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Das Schamanentum als spiritistischeReligion

HANS FINDEISENAugsburg

INHALTI. Sind die Schamanen die »Herren« der Geister?

II. Sind die Schamanen wenigstens absolute Herren über ihre Hilfsgeister?III. Sind die europäischen Medien die »Sklaven« ihrer Geister?IV. Besessenheit und Seelenreise im Schamanentum.V. Seelenreisen europäisch-amerikanischer Medien.

VI. Seelenreisen normaler Personen in Nordasien und in unserem Kulturkreis.VII. Der spiritistische Charakter des Schamanentums.

VIII. Schlusszusammenfassung.

/. Sind die Schamanen die »Herren* der Geister?

Dass eine Erscheinung, wie sie das sehr komplexe Schamanentumdarstellt, zu verschiedenen Auffassungen bezüglich seiner Grundsub-stanz führen kann, ist begreiflich. Es sei mir deshalb gestattet, einigespezielle Fragestellungen etwas näher zu erörtern, b*.iv. durch Mate-rialien zu belegen, um gewisse Irrtümer, die sich in der Literatur fin-den, richtigzustellen.1 So gibt es beispielsweise die Auffassung desschwedischen Gelehrten Arbman und seiner Schule, wonach die Scha-manen nicht, wie aber Öfter geschehen, als Besessene aufgefasst wer-

1 In »Ethnos«, Bd. 24, 1959, Nr. 3/4, S. 223-225 erschien eine Rezension übermein Buch »Schamanentum, dargestellt am Beispiel der Besessenheitspriester nord-eurasiatischer Völker«, Stuttgart, Verlag Kohlhammer 1957. — Die Ausführungendieser Abhandlung sind zugleich eine Antwort auf die in der genannten Rezensionvorgetragenen Ansichten. — Im übrigen habe ich in dem Schlusskapitel meinesBuches ke in »spiritistisches Glaubensbekenntnis« abgelegt. Ebensowenig habe ichmich als »deklarativer Prophet« für ein musisch-mediales Lebensziel ausgesprochen.In Wirklichkeit tritt mein Buch für eine »harmonische Kultur« ein, die sowohl derRatio als auch den Künsten möglichst gleiche Entfaltungsmöglichkeiten zu bietenhätte.

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den dürften. Wenn auch der Schamane Geister in sich aufnehme, sosolle er dennoch dabei seine eigene Persönlichkeit beibehalten. Er seider Herr und nicht der Sklave oder ein Werkzeug der Geister, wasallerdings für ein spiritistisches Medium in der Regel zuträfe.2 —Erleidet der Schamane nun wirklich keine Einschränkung seinesTagesbewusstseins beim Eindringen der Geister in ihn? — Geradezudas Gegenteil ist in Wirklichkeit der Fall, wie ich an einigen Bei-spielen zeigen möchte.

B. E. Petri, der bekannte Irkutsker Ethnograph und Archäologe,besuchte häufig einen alten Burjaten des Asechobatschen Geschlech-tes, der ziemlich wohlhabend war und nur einen einzigen Sohn imAlter von 18 Jahren hatte. Einmal nun kam Petri wieder in das bur-jatische Dorf, da er erfahren hatte, dass der Sohn zu schamanisierenbegonnen hätte. Er fand zwar in dem Haus noch alles beim alten.»Aber eine traurige und feierliche Stimmung war in allem zu spüren— in den leisen Gesprächen, im langsamen Hin- und Hergehen, imAusdruck der Gesichter. Besonders niedergeschlagen war der Vater.Der junge X. war nur schwer wiederzuerkennen. Von dem früherengesunden, ruhig-phlegmatischen und lebensfrohen Jüngling war nurnoch ein Schatten vorhanden. Da sass er nicht weit weg von mir:bleich, verfallen, mit nervösem Gesicht und erschrockenen, blicklosenAugen. — »Er schamanisiert schon drei Tage«, erklärte der Vater.Plötzlich, mitten im Gespräch, sprang der Jüngling auf. Er begannzu zittern. Beginn eines Anfalls. Die Anwesenden knüpften ihm raschden Gürtel auf (gegürtet darf man nicht schamanisieren). Mit einemSchrei sprang er im selben Moment auf, beugte sich vor und stiessden für die burjatischen Schamanen charakteristischen Laut Abrrr..r r . . rr aus. — Der Geist, der seinen Mutwillen mit ihm trieb, warin ihn eingefahren. Plötzlich und unerwartet sprang er hoch auf,kippte dabei um, streckte die Arme in der Luft, zwei Arschinen hochaus und fiel flach auf den Rücken. Diejenigen, die bei ihm standen,hoben ihn am Kopf hoch und stellten ihn hin. Dann ging eine Weile

2 Ivar Paulson im gleichen Heft von »Ethnos«, S. 220.

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lang ein Zittern über ihn hin. Dann kam ein Moment, wie wenn ererwachte, und er begann zu schamanisieren. Undeutliche, verzückteWorte entflohen eilig und sich miteinander verwirrend, seinem Munde.Darauf tanzte der wieder zu sich gekommene Schamane etwa einehalbe Stunde lang in der Jurte, unter Begleitung unzusammenhängen-den Singens. In den Mundwinkeln bildete sich Schaum. Endlich stiesser denselben Laut »Abrrr . . rr . . br ..« aus: der Geist verliess ihn.Darauf band man ihm wieder den Gürtel um. Dazu erklärte derVater: »Und so geht es etwa zehn Mal am Tage mit ihm.«3

Ohne, dass sich der junge Schamane dagegen wehren kann, fährtalso der Besessenheitsgeist etwa zehn Mal jeden Tag in ihn ein. DerSchamane verliert das Bewusstsein, fällt zu Boden, ein Zittern über-läuft ihn. D.h., er ist plötzlich in eine Tief trance gefallen (1. Sta-dium). — Nach und nach wird die Trance flacher, und der Schamanebenimmt sich wie ein europäisches Sprechmedium (2. Stadium). —Die Trance wird noch flacher oder geht vorüber (3. Stadium). — DieTranceimpulse sind aber noch keineswegs gänzlich verschwunden,sondern lassen den Schamanen eine halbe Stunde lang tanzen. —4. Stadium: Der ungerufene Geist, der »seinen Mutwillen« mit demjungen Schamanen getrieben hat, verlässt den Schamanen nach eige-nem Gutdünken. — Wie kann jemand im Angesicht solcher Faktenerklären, dass die Schamanen »Herren der Geister« sind und ihreeigene Persönlichkeit beim Einfahren der Geister in sie bewahren?Etwa in der Ohnmacht?

Sogar S. M. Shirokogoroff, ebenso wie Petri ein bedeutender Feld-forscher mit zahlreichen eigenen Beobachtungen, der doch nun wahr-lich der Auffassung huldigt, dass die Schamanen die »Herren« derGeister seien, muss zugeben, dass das passive Besessenwerdendurch Geister (»Self-introduction of spirits into the person awakeand asleep«) bei den Tungusen »allgemein verbreitet« sei. Dabei

3 Petri, B. E.: Škola šamanov u servernych burjat (Die Schamanenschule beiden Nordburjaten). — Sonderdruck aus Trudy professorov i prepodavatelej Ir-kutskogo Gosud. Universiteta (Arbeiten der Professoren und Dozenten der Irkut-sker Staatsuniversität), Bd. 5, Irkutsk 1923, S. 10 f.

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wird die Verantwortung von in diesem Zustand getanen Äusserungensowohl von dem »Besessenen« selbst als auch von den Zeugen durch-aus den Geistern zugeschrieben.4 Auch bei den Tungusen ist also diePersönlichkeit des Schamanen verdrängt oder sogar untergegangen,und an die Stelle der Persönlichkeit des Schamanen ist die des ihnbesetzenden Geistes getreten. — Von einem »Herrsein« über dieseunfreiwillig in den Schamanen eingehenden Geister kann also auchbei den Tungusen keine Rede sein!

An einer weiteren Stelle teilt Shirokogoroff mit, dass der begin-nende tungusische Schamane zunächst nur über eine sehr beschränkteAnzahl von von ihm »beherrschten« Geistern verfügt. Zu diesenGeistern gehört zunächst der erstmalig in den Schamanen eingetre-tene Geist, der dann später die Kontrolle über die anderen Geisterausübt. Dieser Hauptgeist trete jedoch manchmal nur sehr selten imLeben der Schamanen auf, und vielleicht sogar nur einmal im Lebenüberhaupt.5 — Ich begreife es nicht, wie Shirokogoroff auch hiernoch von einer »Bemeisterung« dieses Geistes durch die Schamanensprechen zu können glaubt. Schamanistisch gedacht ist dieser Falldoch nur so zu erklären: der Geist will eben nicht mehr in Erschei-nung treten, und deshalb bleibt er weg!

In einer seiner Arbeiten erklärt Bogoraz allgemein von den Tschukt-schen: »Die geringste Nichtübereinstimmung oder Disharmonie zwi-schen dem Schamanen und dem geheimnisvollen Ruf seiner Geisterhat seine Vernichtung zur Folge. Das drückt sich in der Mitteilungder Tschuktschen aus, dass die Schamanengeister höchst bösartigwären und den geringsten Ungehorsam ihnen gegenüber mit demTode bestrafen. Derjenige Schamane jedoch, der sich demWillen der Geister rückhal t s los unterwerfe, s tändeunter ihrem unbedingten Schütze. 6 — Wie hier das »Her-

4 Shirokogoroff, S. M.: The Psychomental Complex of the Tungus, London1935. S. 254.

5 Shirokogoroff: a. a. O., S. 368.6 Bogoraz, V. G. : K psichologii šamanstva u narodov Severovostočnoj Azii

(Zur Psychologie des Schamanentums bei den Völkern Nordostasiens). — »Etno-grafičeskoe Obozrenie, Moskau 1910, Nr. 1/2, S. 16.

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ren—Sklave«-Verhältnis gelagert ist, kann doch wohl nicht strittigsein, möchte ich meinen: der Schamane ist der »Sklave«, und dieGeister sind die »Herren«, die den Schamanen bei der geringstenEigenmächtigkeit sogar mit dem Tode bestrafen können.

An der Posdakamennaja Tunguska wollte mir der Schamane Dup-dullang Kamoski einmal ein jenissejisches Heldenlied diktieren. Wirsassen uns an meinem Expeditionstisch in einer kleinen, von mir undmeinem burjatischen Helfer, einem Verbannten, bewohnten Block-hütte gegenüber. Kaum hatte er einige kurze Sätze gesprochen, alser, ohne, dass er es wollte, zum Gesang von schamanischen Hymnenüberging. Diese Gesänge aber stammten, seiner Meinung nach, nichtvon ihm selbst, sondern es waren die Gaben seines Hauptgeistes, einesschamanischen Vorfahrengeistes namens Kinggät. Als der Schamanezu den Gesängen überging, war eine Wandlung seines Bewusstseins-zustandes eingetreten, wie an seinem Ausdruck und an seinen Bewe-gungen erkennbar war: er war in eine leichte Trance gefallen, dieaber eigene oberbewusste Willensimpulse nicht ausschloss und auchnoch eine Unterhaltung mit ihm ermöglichte. Aber was war in die-sem Falle die »Persönlichkeit« des Schamanen? Zeitweilig doch wohleine Mischung von zwei verschiedenen Persönlichkeiten, wobei dieder Tagesperson mehr und mehr in den Untergrund geschoben wurde.

Diese Beispiele mögen an dieser Stelle genügen. Sie zeigen, dass derSchamane beim Eintritt der Geister in ihn keinesfalls seine Persön-lichkeit behält, sondern zeitweilig sogar in vollkommene Bewusst-losigkeit fällt.

// . Sind die Schamanen wenigstens absolute Herren über ihre»Hilfsgeister*?

Im vorigen Abschnitt haben wir gesehen, dass der Schamane sichin vollkommener Abhängigkeit von den ohne seinen Wunsch in ihneinfahrenden Geistern befindet. Diese Hauptgeister entsprechen der»Kontrolle« unserer eigenen Medien.

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Nun habe ich in meinem Buch (S. 34) das Lied des jenissejischenSchamanen Dupdullang Kamoski zitiert, das die Aussage des Scha-manen enthält, seine »Kontrolle« Kinggät hätte ihm seine eigenen»Luftgeister« überlassen usw. Ich schrieb dazu: »Dieses Liedbruch-stück beweist, dass der erwähnte Schamane genau darüber unterrich-tet ist, der Geist welches seiner Schamanenvorfahren ihn gezwungenhat, selbst Schamane zu werden, und ihm damit allerdings auch seineHilfsgeister überlassen hat.«

Bei den Jenissejern umschwirren diese Hilfsgeister den Schamanenwie Mücken, wie man mir oft versichert hat. Bei ihrer Zitierungwerden sie liebevoll mit Namen angeredet und von dem Schamanenbegrüsst.7 Die Geister erheben den Schamanen in die Luft, und erb i t t e t sie, ihn noch höher zu bringen, damit er die Welt nochbesser überschauen könne.8

Bei den Altaiern sind die Hilfsgeister vor allem die Ratgeberdes Schamanen, und er muss versuchen, sich ihre Gunst zuerhal ten, weshalb er ihnen u.a. auch Nahrung gibt.0

Von Tungusen und Jakuten wird berichtet, dass erst der Kontroll-geist, also keineswegs der Schamane, andere Geister zwingt, demSchamanen als Hilfsgeister zu dienen.10

Über die jakutische Schamanin Küögejer Moturuona heisst es, dassihre Hilfsgeister zwei K i n d e r ihres jüngeren Bruders auf-gefressen hät ten. Die Schamanin äusserte sich selbst folgender-massen über diese eigentümlichen »Hilfsgeister«: »Nichts als Trauerkann ich empfinden, wenn meine verfluchten Teufel (russ.: certi) zumir mit schon in Blut getauchten Krallen und Schnauzen kommen.«Aus Schmerz über den Tod ihrer Neffen begab sie sich in einerschamanischen Séance hinunter zu dem Geist der Erde und setzte es

7 Anučin, V. I.: Očerk šamanstva u énisejskich ostjakov (Skizze des Schama-nentums bei den Jenissej-Ostjaken). — Sbornik Muzeja Antropologii i Étnografiipri Imperatorskoj Akademii Nauk, II, 2, St. Petersburg 1914, S. 28.

8 Anučin: a. a. O., S. 29.9 Harva, Uno: Die religiösen Vorstellungen der altaischen Völker. — FF Com-

munications LII (Nr. 125), Porvoo/Helsinki 1938, S. 460.1 0 Harva: a. a. O., S. 461 f.

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durch, dass ihren Hundegeistern Maulkörbe anlegegt wurden. Erstdanach verringerte sich die Blutgier ihrer geistigen Helfer.11

Bei dem von V. N. Vasil'ev publizierten Trommelschlägel, der zueiner jakutischen Schamanentrommel gehörte, endet der Handgriffin eine geschnitzte »Wolfsschnauze«, d. h. also wiederum in dasAbbild eines machtvollen Hilfsgeistes des Schamanen. Auch dieserWolfsgeist wurde von dem Schamanen mit aller Achtung behandeltund sogar während der Séancen gefüttert, indem für ihn Fettstückenoder Butter auf die glühenden Kohlen im Kamin geworfen wurden,worauf der Schamane den Handgriff über dem Rauch oder über denFlammen hin und her bewegte. Da die »Wolfsschnauze« natürlichauch zu trinken begehrte, wurde sie mit Wodka besprengt.12

Wir sehen also, dass auch die wirklichen Hilfsgeister des Schama-nen diesem keineswegs bedingungslos unterworfen sind, sondern sogar— doch absolut gegen den Willen des Schamanen— die nächstenVerwandten solches »Herren der Geister« umbringen können. Auchdieser Gruppe von Geistern muss der Schamane stets höchst achtungs-voll und vorsichtig begegnen, muss sie füttern usw., um sich ihrerDienste auch weiterhin zu versichern.

/ / / . Sind die europäischen Medien die »Sklaven* ihrer Geister?

Ist nun das europäische Medium »in der Regel« ein Sklave, einpassives Werkzeug, der Geister, die sich durch seine Person zu mani-festieren streben?

Bei unseren zahlreichen Schreibsitzungen mit dem Augsburger

11 Ksenofontov, I.: Legendy o šamanach (Schamanenlegenden). Herausgegebenvon der Jakutischen Sektion der Ostsibirischen Abteilung der Russischen Geogra-phischen Gesellschaft, Irkutsk 1928, S. 23-24.

12 Vasil'ev, V. N.: Šamanskij kostjum i buben u jakutov (Das Schamanenkostümund die Trommel bei den Jakuten). — Sbornik Muzeja Antropologii i Étnografiiusw., VIII, St. Peterburg 1910, S. 47. — Vgl. auch Findeisen, Hans: SibirischesSchamanentum und Magie. — Abhandlungen und Aufsätze aus dem Institut fürMenschen- und Menschheitskunde, Nr. 3, Augsburg 1953, S. 24; 2. Auflage, Augs-burg 1958, Tafel IV, Abb. 10, zwischen Seite 46 u. 47.

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Medium Alfred M., die mit Hilfe einer Alphabettafel und einesWeisers vorgenommen wurden, beteiligte sich das Medium ständig(trotz gleichfalls etwas abgeschalteten Oberbewusstseins) an den Fra-gen, etwa dann, wenn unverständliche Worte geschrieben wurden.Als ein »Geist« behauptete, vor 20 001 Jahren gelebt zu haben, fragtedas Medium erstaunt: »Was, stimmt das, oder soll das 2001 heissen?«Oder das Medium fragte bei neuauftauchenden »Geistern«, welcherjenseitigen »Stufe« sie angehörten. Oder das Medium fragte: »WelcheGattung ist da? Nicht ausweichen! Was für eine Gattung ist da?Du m us st antworten!«

Bei diesen Schreibsitzungen büsste das Medium also seine Persön-lichkeit keinesfalls ein, sondern beteiligte sich auch mit seinem ober-bewussten Ich an dem Frage- und Antwortspiel. Bei Tieftrance-sitzungen, bei denen es manchmal zu halbstündigen Reden desMediums kam, war dagegen die oberbewusste Persönlichkeit des Me-diums von der des Hauptgeistes, der dann meistens sprach, ausge-schaltet, genau so wie es Shirokogoroff von den Tungusen geschilderthat, und das Medium konnte nach dem »Erwachen« keine Angabendarüber machen, was es während dieser Besetzung gesprochen hatte,also wiederum genau so wie bei den von Shirokogoroff behandeltentungusischen Fällen.

Oben habe ich auf Shirokogoroffs Mitteilungen hingewiesen, dassder erstmalig in den Schamanen eingetretene Geist sich späterhin nursehr selten oder auch gar nicht mehr manifestiert. Bei unserem Augs-burger Medium war das ebenso der Fall. — Bei unserer 2. Sitzung,einer Schrdbsitzung, am 18. März 1949, meldete sich der Hauptgeistdes Mediums gleich zu Beginn des zweiten Sitzungsabschnittes, derdurch eine kleine Pause von dem ersten getrennt war. Nachdem derName dieses Geistes geschrieben worden war, wandte sich das Me-dium an die übrigen Sitzungsteilnehmer und sagte, dass dieser Geistnur sehr selten erschiene, und dass er ihn während der letzten fünf,sechs Jahre nicht mehr hätte zitieren können. Dieser Geist war abergerade der, der unserem Medium als erster erschienen war, und derdann ebenfalls die Kontrolle über die anderen Geister übernommen

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hatte (genau so, wie Shirokogoroff von den ihm besonders vertrautenTungusen berichtet). Dieser Geist heisst ja im europäischen Mediumis-mus allgemein »Kontrolle«.13 Das gleiche Verhalten der »Kontrolle«in Nordasien und in Europa ist doch beachtenswert und lässt wieder-um dieselben psychischen Gesetzmässigkeiten im Schamanismus undMediumismus erkennen.

IV. Besessenheit und Seelenreise im Schamanentum

Nun soll zwischen Schamanentum und Mediumismus »im Grundegenommen« ein grosser Wesensunterschied insofern bestehen, als dieBesessenheit »mehr« »den Mediumismus«, die »Seelenreise« aber»mehr« den Schamanismus charakterisiere.

Dass die Besessenheit als zentrales Merkmal des Schamanismusanzusprechen ist, haben wir in Abschnitt I dieses Aufsatzes bereitsgesehen. Auf die Problematik »Besessenheit — Seelenreise« bin ichaber auch in meinem Schamanismusbuch bereits selbst eingegangen.So heisst es in einer Auseinandersetzung mit den Aufstellungen vonEliade auf S. 237 meiner Schrift: »Die von ihm [=Eliade] behaup-tete scharfe Trennung zwischen Ekstase im Sinne von Heraustretenaus der Leiblichkeit und »Besessenheit« = unmittelbare psychischeBeeinflussung [des Schamanen] durch Ahnengeister usw. lässt sichnämlich überhaupt nicht ohne Vergewaltigung des tatsächlich kom-plexen Charakters der schamanischen Traditionen durchführen, zu-mal wenn man bedenkt, dass dem Schamanen eine Himmels- oderUnterweltsreise nur dann möglich ist, wenn irgendwelche Geister— mindestens erstmalig — in ihn eingedrungen waren und seineSeele zu den erwähnten Reisen von der Körperlichkeit befreit hatten.Ganz zutreffend sagt demgegenüber Schröder,14 dass die Seele den

15 Mattiesen, Emil: Das persönliche Überleben des Todes. Eine Darstellung derErfahrungsbeweise, I, Berlin u. Leipzig 1936, S. 338, 409 ff. usw.

14 Schröder, Dominik: Zur Struktur des Schamanismus (Mit besonderer Berück-sichtigung des lamaistischen Gurtum). — Anthropos, Bd. 50, Posieux, Schweiz,S. 856 f.

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Schritt über die Schwelle nur tun kann, wenn ein ausserseelischesGegenüber aus dem Jenseits ihr dazu behilflich ist. »Ekstase« imengeren Sinne des »Heraustretens«, d. h. im Sinne von Eliade, ist alsovon gleichzeitiger, zumindest einmal früher stattgehabter Besessen-heit — wir haben hierbei die Typik der schamanischen Erlebnisse imAuge — abhängig, wie auch beim einzelnen Schamanen immer wie-der reine Ekstase ( = Himmels- oder Unterweltsreisen) mit ausge-sprochener »Besessenheit« durch Ahnengeister usw. ohne Exkursions-erlebnisse abwechseln.« (mein Buch, S. 237). Ferner wies ich daraufhin, dass jeder tschuktschische Schamane, auch wenn er später Seelen-reisen vollführt, zunächst einmal in den Zustand gelangt sein müsse,»dass die Geister aus ihm sprechen«.15 Und schliesslich konnte dieSchilderung einer Himmelsreise des jenissejischen Schamanen Dup-dullang Kamoski angeführt werden (mein Buch, S. 128—130), vondem wir genau wissen, dass der Beginn seiner schamanischen Tätig-keit mit der Besetzung durch den schamanischen Vorfahrengeist desKinggät verknüpft gewesen ist (mein Buch, S. 34 f.).

Nach "Wilhelm Schmidts Auffassung ist das »eigentliche« Scha-manentum durch die »ekstatische Besessenheit« charakterisiert, dieim völligen Verlust des Bewusstseins bestände und sich physisch inkrampfartigen Konvulsionen des Schamanen äussere. Ihre höchsteSteigerung erführe diese Ekstase in der schamanistischen Besessenheit,in der das Ich [des Schamanen] durch ein anderes Selbst ersetztwürde.16

Die unzähligen Berichte von Besetzungen durch Geister, wie siefür die nordasiatischen Schamanen vorliegen, lassen erkennen, dassnicht davon gesprochen werden kann, in der Besessenheit ein nurzweitrangiges Element — gegenüber der Seelenreise — erblicken zuwollen. Gerade das Gegenteil ist der Fall, wie es auch DominikSchröder erkannt hatte.

15 Bogoraz, V. G.: K psichologii šamanstva . . . S. 15.16 Schmidt, Wilhelm: Synthese der Religionen der asiatischen und der afrika-

nischen Hirtenvölker (Der Ursprung der Gottesidee, XII), Münster i. W. 1955,S. 696-704 u. S. 718. — Vgl. mein Buch, S. 203.

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Im übrigen ist »Seelenreise« und »Seelenreise« im nordeurasiati-schen Schamanentum keinesfalls dasselbe. Eine in meinem Buch (S.237) erwähnte Seelenreise des jungen tschuktschischen SchamanenNuwat war das erste ihm zugestossene Erlebnis dieser Art. DerSchamane trat sie in voller Bewusstlosigkeit an. Sein Oberbewusst-sein war dabei völlig ausgelöscht: er befand sich in einer Ohnmacht.Auch der junge burjatische Schamane, den Petri beobachten konnte,fiel ohnmächtig zu Boden. In diesem Zustand mag er vielleicht eben-falls eine Seelenreise erlebt haben, die ja auch den Burjaten tatsäch-lich bekannt ist.

Wenn aber der jenissejische Schamane Dupdullang Kamoski wäh-rend der mich betreffenden Heilungsprozedur (vgl. mein Buch, S.128 ff.) eine Himmelsreise schilderte (er war vorher keineswegs inOhnmacht gefallen), so vermittelte er uns durch seinen Gesang undseinen Tanz nur eine in Halbtrance vollgezogene Rekapitulation einerechten Seelenreise. Diese Seelenreise war nur noch nachempfunden.Sie kann ja auch gar nicht wirklich vonstattengegangen sein, dennwenn die Seele den Körper des Schamanen tatsächlich verlassen hätte,müsste der jenissejische Schamane ja, ebenso wie sein burjatischer undtschuktschischer Kollege, ohne Bewusstsein niedergefallen sein. Beieiner echten Seelenreise verbleibt ja das Bewusstsein bei der austre-tenden Seele. Während der zahlreichen Austrittserlebnisse in unseremeigenen Kulturkreis, vor allem dann, wenn sie räumlich entferntereGegenden betreffen, befindet sich der Körper der erlebenden Personja ebenfalls in einem schlafartigen, bewusstlosen Zustand, wie immerwieder berichtet wird. Körper und austretende Seele verbleiben dabeidurch ein öfter bezeugtes — einer Nabelschnur ähnlichen — »Band«miteinander verbunden, das die ausgetretene Seele anscheinend auchwieder in den Körper zurückzieht.17

17 Mattiesen: a. a. O., II , Berlin u. Leipzig 1936, S. 262 f., 275, 315, 317 usw.

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Hans Findeisen: Das Schamanentum als spiritistische Religion

V. Seelenreisen europäisch-amerikanischer Medien

Nun ist gesagt worden, die »Seelenreise« charakterisiere »mehr« (!)den Schamanismus als »den Mediumismus«. — "Wenn die gleiche Er-scheinung jedoch sowohl im Schamanentum als auch im Bereicheunserer Kultur vorkommt, so kann nicht mehr von einem »gros-sen Wesensunterschied« zwischen Schamanismus und Mediumismusgesprochen werden. Das statistische Vorwalten eines der beidenErlebnisbereiche, also Besessenheit oder Seelenreise, macht keinen»Wesensunterschied« aus. — Tatsächlich aber ist die Seelen-reise von Medien aus unserem Kulturkreis recht häufig belegt. Ichwill mich auf die Wiedergabe von zwei Beispielen beschränken. Daserste stellt ein Erlebnis der Mrs. Leonard, eines der berühmtestenMedien, dar. In ihrem Bericht heisst es: ,Eines Nachmittags ruhteich auf meinem Bett in dem halbverdunkelten Zimmer, als ich dasseltsame Gefühl hatte, über das Bett erhoben zu werden. Ich konntedas Bett mit meinem natürlichen Leibe gar nicht fühlen. Ich dachte,ich müsse im Begriff sein, meinen Leib zu verlassen, wurde wachsamund interessiert und ein wenig aufgeregt; aber sofort verliess michdas Gefühl des In-der-Luft-Schwebens . . . und ich fand mich aufdem Bette ruhend.'

,Eines Nachmittags . . . legte ich mich aufs Bett auf meine rechteSeite. Ich fühlte mich ein wenig schläfrig, aber plötzlich verschwanddie Schläfrigkeit und wich einem äusserst ruhigen Gefühl ohne jedeMüdigkeit. Dann fühlte ich eine Art prickelnder Erschütterung, alsginge ein leichter elektrischer Strom durch meinen Körper, und hattewiederum das Gefühl, nicht auf dem Bette zu ruhen. Ich konnteganz k la r denken . . . Was nun geschah, werde ich nie vergessen:es war wunderbar. Ich bewegte mich nicht im mindesten willkür-lich, weder Glied noch Muskel, und meine Augen waren geschlossen.Ich fragte mich, wie hoch wohl mein Körper sich über dem Bettebefände, öffnete mit einiger Anstrengung die Augen, blickte niederund sah meinen irdischen Leib auf dem Bette ruhend,während ich in meinem astralen Körper über ihm zu verharren

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schien. Wie klar meine Gedanken waren, ist aus folgendem zu er-sehen: Ich bemerkte, dass der Kopf meines irdischen Leibes auf einembestimmten Nachtzeugbehälter mit gestickten Ecken lag. Ich warüberrascht, ihn darauf zu sehen, denn ich entsann mich nicht, dieTasche am Morgen mit der zuvor benutzten vertauscht zu haben.Mir kam auch der Gedanke, wie seltsam es sei, dass mein Kopf dar-auf lag, weil das gar nicht meiner Gewohnheit entspricht. Ich emp-fand Befriedigung darüber, dass ich alle diese Dinge bemerkte.' —Schliesslich hörte sie ihren Mann die Wohnungstür öffnen und mitjemand im Vorraum sprechen, betrat diesen selber, stellte fest, dassder Unterredner der ,Gasmann' war und sah, wie ihr Gatte einer dieTreppe herabkommenden Magd ohne ein Wort ein Geldstück gab,was ihr seltsam erschien und wonach ihn zu fragen sie sich ganz,planmässig' vornahm, — wie auch nach dem Gasmann. — Zu ihrerÜberraschung befand sie sich plötzlich in einem ihr völlig fremdenZimmer, wo sie ein Ehepaar sah, das noch am selben Tag zu einer»Sitzung« kommen wollte. Dieses sprach mit einem ihr Fremden undlud diesen ein, mit zu der »Sitzung« zu kommen. — Es folgte nocheine Begegnung mit dem verstorbenen Sohn des Ehepaares, den siediesem schon einmal hellsichtig beschrieben hatte usw. Am Endebefand sie sich wieder über ihrem Leibe und ging nach einigen Be-fürchtungen in ihn ein. Alles Gesehene erwies sich als richtig: auchdas Trinkgeld an die Magd für einen vor zwei Tagen geleistetenkleinen Dienst usw.18

Sodann seien die Äusserungen der Frau Piper am Schluss der Sit-zung von 2j. Juni 1895 wiedergegeben: »Meine Seele — geht hinaus— sinkt in Schlaf — mein Geist — meine Gedanken — schlafenein — ich gehe hinaus — und sehe die ganze Welt — ich sehe dieBäume — ich sehe Blumen — die Vögel — das Vieh — die Tiere . . .sie leben . . . meine Seele unternimmt einen Flug — mein Körper wirdvon jenem alten Mann benutzt [offenbar Phinuit, die damalige »Kon-trolle« des Mediums] — sehen Sie doch den alten Mann — o lassen

18 Mattiesen: a. a. O., II, S. 326 f.

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Sie mich gehen — die Schnur, welche die Seele mit dem Körperverbindet — . . . ein Lichtfaden — o, ich habe zwei verschiedeneGehirne — eins sieht wie brennender Schwefel aus, und das anderewie Fleisch — o ich habe einen so schrecklichen Traum gehabt . . .ich war tot, mein Körper war tot, und dann, als ich gestorben war,sah ich einen alten buckligen Mann ihn aufheben . . . er hob meinenOberkörper auf und schloss sich selber darin ein . . . Ich ging zu einerMenge anderer Leute . . . ich sah sehr viel, und wir gingen überallhin . . . ich sah Tiere . . . sie waren durchsichtig . . . sie waren einmalTiere gewesen — es waren die schattenhaften Formen von Tieren,die einmal gelebt hatten . . .«19

Auch das Augsburger Medium Alfred M. berichtete von räumlichallerdings beschränkteren »Seelenreisen« während seiner Trancezu-stände, d. h. während der Zeit, in der es sich als von einem »Geist«besetzt hielt.

Das Faktum der Seelenreise europäisch-amerikanischer Medien istalso gut zu belegen. Damit aber verringert sich die wissenschaftlicheTragfähigkeit der Konstruktion eines »wesenhaften« Unterschiedeszwischen Schamanismus und Mediumismus weiter. Dass aber Paulsondie prinzipielle Möglichkeit — und damit auch Notwendigkeit —eines Vergleiches beider kultureller Bildungen überhaupt zugibt, kannmir nur angenehm sein. Tatsächlich wird es notwendig sein, beideErscheinungen noch viel eingehender als in meinem Buch geschehen,vergleichend zu untersuchen.

VI. Seelenreisen normaler Personen in Nordasien und in unseremKulturkreis

Ob nun Seelenreisen in Nordeurasien immer nur mit der Personvon Schamanen verknüpft sind oder auch ausserhalb dieses Personen-kreises auftreten, wissen wir leider noch nicht. Dass wir aber wohlauch mit nichtschamanischen Seelenreisen in Nordeurasien zu rech-

19 Mattiesen: a. a. O., II, S. 377 f.

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nen haben, geht aus dem jenissejischen Mythos vom »Erdensohn«(Bange de hyip) hervor, dem ersten Menschen, der eine solche Reiseje unternahm. — Der »Erdensohn« war mit der Tochter des »Him-mels« ( = Ees) verheiratet. Nach einem Ehestreit verlässt die »Him-melstochter« ( = Eestehün) ihren Mann und begibt sich wieder inden neunten Himmel, zu ihrem Vater, zurück. Der Erdensohn suchtseine Frau zunächst auf der Erde, als er sie dort aber nicht findet,macht er sich auf die beschwerliche Reise in die oberen "Welten.Beim Wohnsitz seines Schwiegervaters angelangt, muss er verschie-dene schwierige Aufgaben lösen, um dann zusammen mit seiner Frauwieder auf die Erde zurückzukehren. Dieser sehr lange Mythos wurdemir von den Jenissejern an der Podkamennaja Tunguska berichtet.Der jenissejische Text, die russische Interlinearversion meines jenis-sejischen Sprachhelfers und eine deutsche Nacherzählung befindensich, noch unveröffentlicht, in meinen Materialien.

In unserem Zusammenhang bedeutungsvoll ist es, dass der Erden-sohn der Jenissejer n i ch t als Schamane gekennzeichnet wird. Er istein üblicher Mensch, der selbst in den oberen Welten wohnhaft ge-dachte Schamaninnen um Hilfe bei der Suche nach seiner Frau bittet.

Für Europa-Amerika sind wir nun mit einem reichen, die Seelen-reise ebenso normaler Personen (also keiner Medien) betreffendenMaterial geradezu gesegnet. Aus meinem eigenen, keinesfalls sehrgrossen Bekanntenkreis, haben mich vier Personen über solche vonihnen selbst erlebten Seelenreisen informiert. Der erste Fall betriffteine in Stuttgart wohnende junge Dame, die sich einmal spontangleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen im selben Raum erlebte.Sie sass auf einem Sofa und sah sich plötzlich von einem anderenStandpunkt aus auf eben diesem Sofa sitzen. Kurz darauf war siewieder nur eine einzige, auf dem Sofa sitzende, Person. — Ein ande-rer Fall wurde mir von einem bekannten Augsburger Musikpädago-gen, der allerdings seit langem yogaartige Übungen treibt, mitgeteilt.Herr X. empfand sich nun einmal bei derartigen Übungen ebenfallsaus seinem eigenen Körper austreten und war darüber zu Tode er-schrocken. Kurz darauf war sein »geistiges Doppel« wieder mit seiner

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biologischen Person vereint. Auch hier war die Seelenreise entfer-nungsmässig nur sehr kurz. — Der dritte Fall betraf wieder einejunge Dame, die sich längere Zeit in einem sehr deprimierten Zustandbefunden hatte. Eines Nachts erfolgte eine spontan auftretende See-lenreise, die sie aus dem Zimmer hinausführte. Sie sah ihr Haus vonoben, begab sich weiter weg in Nachbarstrassen, wurde dann aberunwiderstehlich in ihren im Bett liegenden Körper zurückgezogen. —Der vierte Fall wurde mir von einem älteren geistvollen und auchwissenschaftlich-literarisch tätigen Herren mitgeteilt, dessen Seeleeines Nachts von einer machtvollen jenseitigen Persönlichkeit gerade-zu »entführt« wurde. Wahrnehmungen entfernterer irdischer oderjenseitiger Räume fanden dabei nicht statt, sondern der »Geist« ver-suchte, dem Betreffenden bestimmte komplizierte Lehren zu ver-mitteln.

Es nimmt nicht wunder, dass bei diesen, in unserem Kulturkreisspontan anscheinend verhältnismässig oft auftretenden »Seelenrei-sen« die Fachliteratur mit einer Fülle von entsprechenden Berichtenaufzuwarten vermag. Ich will hier ebenfalls nur zwei Beispieleerwähnen:

Herr L. J. Bertrand, ein reformierter Geistlicher, »hatte sich wäh-rend einer Bergbesteigung von seinen Gefährten getrennt und amRande eines Abhangs niedergelassen, als er sich von einer Lähmungergriffen fühlte, die ihn sogar verhinderte, ein Streichholz fortzu-werfen, mit dem er sich eine Zigarre hatte anzünden wollen und dasihm bereits die Finger verbrannte. Er hielt den Anfall für herein-brechenden ,Schneeschlaf, beobachtete das allmähliche Absterben derFüsse und Hände, dann der Knie und Ellbogen, des Rumpfes undKopfes, und schliesslich das ,Ausgehen' des Lebens. Er hielt sich für,tot' und hatte das Bewusstsein, als eine Art .Ballon' in der Luft zuschweben. ,Niederblickend war ich erstaunt, meine eigene totenblassesterbliche Hülle zu erkennen. Seltsam, sagte ich zu mir selbst, dortist mein Leichnam, in dem ich lebte und den ich als mein Ich be-zeichnete, als wenn der Rock der Körper wäre und der Körper dieSeele . . . ' Er sah die Zigarre in der Hand des ,Leichnams' und stellte

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sich vor, was die Gefährten sagen würden, wenn sie seinen Körperfänden. Dann nahm er wahr, dass diese einen Weg zum Gipfelwählten, den sie ihm hatten versprechen müssen, n icht zu benut-zen, und dass der Führer sich heimlich gewisse Speisevorräte seinerSchutzbefohlenen aneignete. ^Hallo, sagte ich, dort geht meine Fraunach Lungern, und doch sagte sie mir, sie werde nicht vor morgen . . .abreisen.' Er fühlte sich abwärts in den Körper zurückgezogen, gerietin .Verwirrung und Chaos', im Gegensatz zu der völligen Klarheitzuvor, und fand, als er zu voller Besinning kam, dass die Genossenihn aufgefunden und ,wiederbelebt' hatten. Er hielt ihnen ihrenWortbruch und dem Führer seinen Diebstahl vor, und der Mannder den Teufel vor sich zu haben glaubte, nahm Reissaus unter Ver-zicht auf seinen Lohn. Auch was B. bezüglich seiner Frau gesehen,erwies sich als richtig. Er behauptet, später genaue Kenntnis vonOrten gehabt zu haben, die er in seinem todähnlichen Zustand zumersten Mal gesehen.«20

Sehr genau waren auch die Beobachtungen des LokomotivführersSkilton, »der sich während des Ausladens eines Güterwagens (an-scheinend auf einen Schock hin) plötzlich von einer weiss gekleidetenGestalt in die Geisterwelt geführt fühlte. ,Wir bewegten uns mitBlitzschnelle soz. aufwärts und ein wenig gegen Südost; ich konntedie Höhen, Bäume, Gebäude und Strassen sehen, während wir neben-einander aufstiegen, bis sie unserem Gesicht entschwanden.« In derGeisterwelt traf er u. a. abgeschiedene Verwandte, die er aber nurstumm anblicken durfte, bis sein Begleiter ihm sagte, dass sie nunzurückkehren müssten. ,Darauf machten wir uns auf den Rückwegund verloren jenes himmlische Land bald aus den Augen. Als wir inden Gesichtskreis dieser Welt kamen, sah ich alles wie aus grosserHöhe, die Bäume, Häuser, Hügel, Strassen und Flüsse, so natürlichwie nur möglich, bis wir zu dem Güterwagen kamen, dessen Tür ichgeöffnet hatte, und ich mich dort im Leibe vorfand und [der Führer]meinen Augen entschwand . . .'«21

20 Mattiesen: a. a. O., II, S. 331.21 Mattiesen: a. a. O., Il, S. 333.

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Bemerkenswert ist, dass ähnliche visionäre Berichte aus Europaauch für frühere Jahrhunderte in reicher Zahl vorhanden sind. Daist etwa die Vision des heiligen Fursa, eines frühirischen Mönches,der im Jahre 633 ein Kloster in Suffolk gegründet hatte. In derersten Vision erschienen dem Heiligen drei weissgekleidete Engel, dieseine Seele emportrugen. In seiner zweiten Vision (zwei Tage nachder ersten) erschienen ihm wiederum die drei Engel, um seine Seeleabzuholen. Teufel stellten sich ihnen in den "Weg und schössen mitPfeilen nach ihm. Ein bewaffneter Engel deckte ihn mit seinemSchild usw.22 — Eine ähnliche Vision wird einem anderen Mönch,Laisrén, zugeschrieben, der möglicherweise Abt von Lethglenn oderLeighlin war und 638 starb. Zwei Engel nahmen seine Seele inihre Mitte und stiegen mit ihr in die Höhe. Eine ganze Schar vonEngeln kam ihnen entgegen. Dann näherten sich den Wanderern dreiSchwärme hässlicher Dämonen mit feurigen Lanzen und Wurf-spiessen usw.23

Rüegg führt eine Vielzahl derartiger Berichte, auch aus dem isla-mischen Kulturbereich, an, so das »Risala« des DichterphilosophenAbulala aus dem 11. Jahrhundert usw.24

Ich will es mir hier bewusst versagen, weitere Literatur und weitereErdgebiete zu berücksichtigen. Je mehr wir aber diese Stoffe in ver-gleichender Forschung ebenfalls in Betracht ziehen, umso wenigerkann in ihnen noch ein besonders das Schamanentum Nordeurasienscharakterisierendes Element erblickt werden. Es handelt sich bei der»Seelenreise« also um eine internationale »Tradition«, bzw. um dieSchilderung auch echter »Austrittserlebnisse«. Paulsons These aber,dass die Seelenreise »mehr« den Schamanismus und folglich »weni-ger« den Mediumismus charakterisiere, geht damit allen Wahrheits-gehaltes verlustig.

22 Rüegg, August: Die Jenseitsvorstellungen vor Dante, I, Einsiedeln u. Köln1945, S. 292 ff.

23 Rüegg: a. a. O., S. 295 ff.24 Rüegg: a. a. O., S. 435-463.

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VII. Der spiritistische Charakter des Schamanentums

Es ist mir übrigens absolut unverständlich, weshalb man sich ander Formulierung »spiritistische Religion« für den Schamanismus sohart stösst! — Darf man das "Wort »Spiritismus« nicht einmal zurCharakterisierung einer »primitiven« Religion anwenden? — Unsere»Gebildeten« geraten ja mehr oder minder »aus dem Häuschen«,wenn sie diesem Wort begegnen, was schliesslich nicht gerade sehrfür die Tiefe ihrer Bildung spricht. Aber ein Religionswissenschaftleroder ein Ethnologe braucht sich doch eigentlich nicht unseren Mas-sentabus verpflichtet zu fühlen.

Was besagt denn zunächst einmal der Begriff »Spiritismus«? Inerster Linie und hauptsächlich nichts weiter als »das persönlicheÜberleben des Todes«, was gleichzeitig der Titel von Emil Mattiesensdreibändigem Hauptwerk über »den Spiritismus« ist. Ich selbst habefrüher einmal unseren Begriff folgendermassen beschrieben: »Spiri-tismus = Lehre, nach der beim Tode (zunächst des Menschen) die»Seele«, also das den Körper belebende Prinzip, nicht der Auflösunganheimfällt, sondern personell in geistiger, bzw. feinstofflicher Formweiterlebt und über die Fähigkeiten verfügt, sich als Spukerschein-ung den Lebenden bemerkbar zu machen, oder auch mit Hilfe einesMediums in Verkehr und Gedankenaustauch mit jenen zu treten.«25

Ähnlich formuliert der Psychologe Giese: »Spiritismus = Geister-glaube. Lehre, dass nach dem Tode der Mensch durch Medien,Somnambule in Hypnose, als verfeinertes geistiges Wesen sich denHinterbliebenen kundgeben kann.«28 — Jedes Konversationslexikonkommt zu ähnlichen Sätzen. Ich zitiere nur eins: »Spiritismus =der Glaube an Geister, die angeblich durch Vermittlung geeigneterPersonen, sogenannter Medien, mit allerlei Kundgebungen hervor-treten können.«57

Nun ist folgendes unbestreitbar:

25 Findeisen: Sibirisches Schamanentum und Magie, 1. Auflage, S. 39.28 Giese, Fritz: Psychologisches Wörterbuch, 3. Auflage, Halle 1935, S. 159.27 Pierers Konversations-Lexikon, 7. Auflage, XI, Stuttgart 1892, Spalte 1258.

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1. Die Schamanen und ihre Anhänger glauben an Geister derverschiedensten Art, darunter auch an das Vorhandensein vonAhnengeistern. Die Schamanen sind ferner davon überzeugt, dass esauch für sie selbst ein persönliches Fortleben nach dem Tode gibt(vgl. u. a. Kapitel X meines Buches, worin über die Macht verstor-bener Schamanen und ihre Fürsorge für die Sippen- und Stammes-genossen gehandelt wird, S. 103—in).

2. Die Schamanen werden von Geistern besetzt, und letzteremachen sich mit deren Hilfe ( = Medien) den Lebenden bemerkbar,antworten auf Fragen, geben Ratschläge usw. Harva drückt dieSachlage so aus: »Die Geister erwählen den Schamanen als ihr Werk-zeug.«28

Durch diese beiden allgemein in Nordeurasien geglaubten undgetätigten Sätze ist aber die Begriffsbestimmung des »Spiritismus«erfüllt. Mehr bedarf es nicht. Die Schamanen entsprechen also ganzund gar unseren eigenen europäischen und sonstwo beheimatetenMedien, und damit ist auch das Schamanentum als einespir i t i s t i sche Rel ig ion einwandfrei bestimmt.

Ruth Benedict hat das vollkommen richtig erkannt, wenn sieschrieb, dass sich die Religion in Nordasien »als ein Phänomen desMediumismus« entwickelte, und dass religiöse Persönlichkeiten Indi-viduen seien, »die gerade diesen Zug zu entwickeln« vermochten.29

W. G. Bogoraz, doch ein glänzender Kenner Ostsibiriens, vergleichtdes öfteren schamanische mit spiritistischen Séancen.30 Aber auchA. Byhan, der ehemalige ausgezeichnete Hamburger völkerkundlicheSibirienspezialist, schrieb bereits im Jahre 1909: »Aufs Haar gleichteiner spiritistischen Sitzung die Vorführung eines alaskanischen Scha-manen, welche Jacobsen angesehen hat.«31 V. I. Anucin, ebenfalls

2 8 Harva: a. a. O., S. 463.2 9 Benedict, Ruth: Religion. — I n : Genera l Anthropology . Edi ted by F r a n z

Boas, 1938, S. 648 ff. — (Ich benutze die Ausgabe als W a r D e p a r t m e n t E d u c a t i o nM a n u a l , Madison, Wisconsin 1944.)

3 0 Bogoraz, V. G: Čukotskie razskazy, I , S. 334. — D e r s . : K psichologii ša-manstva . . . , S. 27.

3 1 Byhan, A.: Die Polarvölker, Leipzig 1909, S. 127.

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ein bemerkenswert gut unterrichteter Feldforscher, der die Religionder Jenissejer an Ort und Stelle erforschte und auch schamanischeSéancen beobachten konnte, reiht sich mit der gleichen Ansicht denVorgenantnen bei.32 Oder lassen Sie mich auf den auch ethnologischarbeitenden Theaterhistoriker Carl Niessen von der Kölner Univer-sität verweisen, der soeben erklärt hat: »Obwohl der Schamane ansich ein passives Medium ist, wirkt er doch mit zielsicherem Willengegen Schadensmächte ...<<33

Paulson spricht in seiner Rezension von »Übergängen«, die Scha-manismus und Mediumismus miteinader verbinden. — Wie wir ge-sehen haben, sind das gar keine »Übergänge«, denen aber »im Grundeein grosser Wesensunterschied« gegenüberstehen soll, sondern es han-delt sich um ausgesprochen wesensmässig und prinzipiell identischepsychologische Erscheinungen, bzw. Erlebensformen. Der Schamanis-mus ist nun einmal »im Grunde« wirklich der gleichfalls an Mediengeknüpfte Spiritismus der alten Völkerschaften Nordeurasiens. Nurwerden die Schamanen-Medien in Nordasien nicht sozial geächtet,wie bei uns, wo man in ihnen fast »Geisteskranke« erblicken möchte,sondern sie stehen oft auf der höchsten sozialen Stufe, die die dorti-gen alten Gesellschaften zu vergeben hatten.

Schliesslich hätte ich statt der Formulierung »spiritistische Reli-gion« für den Schamanismus auch die den Ethnologen vertrautereKennzeichnung »animistische Religion« verwenden können. Dannwäre es niemand aus unserer Gilde eingefallen, dagegen zu prote-stieren. »Spiritistische Religion« ist aber dennoch korrekter, denngerade der Verkehr mit der Geisterwelt mit Hilfe der Schamanen-Medien, die in ihren Trancezuständen die Geister aus sich redenlassen, entspricht vollendet den Vorgängen, wie sie während der beiuns üblichen mediumistischen Schreib- oder Sprechsitzungen als ty-pisch aufzutreten pflegen.

3 2 Anučin: a. a. O., S. 31.3 3 Niessen, Carl: Handbuch der Theater-Wissenschaft, I, 3, Emsdetten/West-

falen, 1958, S. 1153.

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VIII. Schlusszusammenfassung

Ich komme zum Schluss und möchte die Ergebnisse der vorliegen-den Untersuchung in einigen kurzen Sätzen zusammenfassen:

1. Die Behauptung, der nordeurasiatische Schamane erlitte beimEindringen der Geister in ihn keine Veränderungen seiner Persönlich-keit, stimmt nicht mit den Tatsachen überein. Vielmehr verliert eroft sein Bewusstsein gänzlich und liegt wie ein Toter da. Der Scha-mane ist nicht »Herr« über die in ihn eintretenden Geister, sondernein willenloses Werkzeug derselben.

2. Der Schamane ist nicht einmal »Herr« über die ihm von sei-nem Hauptgeist zugeführten »Hilfsgeister«, von denen nächste An-gehörige des Schamanen sogar getötet werden können.

3. Die europäischen Medien büssen in flachereren Trancezustän-den ihr Bewusstsein ebensowenig ein wie die Schamanen in ent-sprechenden seelischen Lagen.

4. Die Besessenheit ist das phänomenologische Zentrum des Scha-manentums. Ohne Besessenheit kein Schamanentum. Voraussetzungfür die schamanische als oft wiederholte rituelle Sonderform ge-spiel te Seelenreise der Schamanen ist das zumindest einmal erfolgteunwillkürliche Eintreten des schamanischen »Hauptgeistes« (== »Kon-trolle« im europäischen Mediumismus) in den Schamanen.

5. Den schamanischen Seelenreisen entsprechende Erlebnisse wer-den oft auch von europäischen Medien berichtet.

6. Seelenreisen treten aber spontan auch bei zahlreichen normalenPersonen in unserem Kulturkreis auf, wo sie viel häufiger als die»spiritistische Besessenheit« sind. Hier liegt ein menschheitliches,weder an Umwelt noch Rasse gebundenes Phänomen vor.

7. Entsprechend den üblichen Definitionen des Begriffes »Spiri-tismus« ist auch das Schamanentum als eine ausgesprochen spiriti-stische Religion aufzufassen.

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