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Das Recht im Denken der Sophistik () || IV. Hippias von Elis

Date post: 17-Dec-2016
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IV. Hippias von Elis ber die Person des Sophisten Hippias von Elis 1 sind in hinreichendem Ma e Mitteilungen berliefert, die ihn als einen umfassend gebildeten Redner, Schriftsteller und Lehrer ausweisen, der wohl mit einigem Recht als Wegbereiter wenn nicht der εγκύκλιος παιδεία und der »Sieben freien K nste', so doch des sp teren sog. Quadrivium 2 gelten kann. Un- gl cklicherweise sind nur sp rliche Bruchst cke aus seinen Schriften erhalten, und dieser Umstand ist gerade f r eine Untersuchung seines rechtsphilosophischen Denkens bedauerlich, ist man doch in diesem Bereich im wesentlichen auf lediglich zwei Zeugnisse angewiesen, die m g che u erungen des Hippias zudem indirekt darstellen, anstatt seine Rechtsauffassung - so er denn eine hatte - ohne Umschweife wiederzugeben. Die Gelehrten st tzen sich im wesentlichen l. auf die Rede des Hippias in Plat. Prot. 337c6-338bl und 2. auf das Gespr ch, das er Xenophon zufolge mit Sokrates ber das δίκαιον f hrte (Xen. Mem. IV 4,5-25) 3 . 1. Der platonische Hippias Zun chst sei das platonische Zeugnis besprochen: Als das Gespr ch zwischen Sokrates und Protagoras zu scheitern droht, weil Sokrates mit seinen akribischen Fragen dem Protagoras, dieser dagegen mit seinen weitschweifigen Reden dem Sokrates zusetzt (vgl. 338al-4), greift nach Prodikos (337a-c) Hippias ein, indem er auf die nat rliche Zusammengeh rigkeit hinweist, die zwischen »Weisesten' (σοφώτατοι) wie Protagoras und Sokrates bestehe, und vorschl gt, einen Schiedsrichter zu w hlen, damit dieser die Kontrahenten in die Schranken des .angemessenen Ma es ihrer Reden' (μέτριον μήκος των λόγων) verweise (338bl). Die Worte, die Platon dem Hippias dabei in den Mund legt, sind zwar inhaltlich in den unmittelbaren Zusammenhang eingebunden, doch da 1 Neuere Literatur bei R. Bilik, AAHG 49, 1996, 69-78. 2 Vgl. VS 86 A 2 und Plat. Prot. 318e2-4; dazu auch Lesky 3 1971, 396f. 3 VS 86 C l u. A 14 Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/4/13 3:28 PM
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Page 1: Das Recht im Denken der Sophistik () || IV. Hippias von Elis

IV. Hippias von Elis

ber die Person des Sophisten Hippias von Elis1 sind in hinreichendemMa e Mitteilungen berliefert, die ihn als einen umfassend gebildetenRedner, Schriftsteller und Lehrer ausweisen, der wohl mit einigem Rechtals Wegbereiter wenn nicht der εγκύκλιος παιδεία und der »Sieben freienK nste', so doch des sp teren sog. Quadrivium2 gelten kann. Un-gl cklicherweise sind nur sp rliche Bruchst cke aus seinen Schriftenerhalten, und dieser Umstand ist gerade f r eine Untersuchung seinesrechtsphilosophischen Denkens bedauerlich, ist man doch in diesem Bereichim wesentlichen auf lediglich zwei Zeugnisse angewiesen, die m g che

u erungen des Hippias zudem indirekt darstellen, anstatt seineRechtsauffassung - so er denn eine hatte - ohne Umschweifewiederzugeben.

Die Gelehrten st tzen sich im wesentlichen l. auf die Rede des Hippiasin Plat. Prot. 337c6-338bl und 2. auf das Gespr ch, das er Xenophonzufolge mit Sokrates ber das δίκαιον f hrte (Xen. Mem. IV 4,5-25)3.

1. Der platonische Hippias

Zun chst sei das platonische Zeugnis besprochen: Als das Gespr chzwischen Sokrates und Protagoras zu scheitern droht, weil Sokrates mitseinen akribischen Fragen dem Protagoras, dieser dagegen mit seinenweitschweifigen Reden dem Sokrates zusetzt (vgl. 338al-4), greift nachProdikos (337a-c) Hippias ein, indem er auf die nat rlicheZusammengeh rigkeit hinweist, die zwischen »Weisesten' (σοφώτατοι)wie Protagoras und Sokrates bestehe, und vorschl gt, einen Schiedsrichterzu w hlen, damit dieser die Kontrahenten in die Schranken des.angemessenen Ma es ihrer Reden' (μέτριον μήκος των λόγων) verweise(338bl). Die Worte, die Platon dem Hippias dabei in den Mund legt, sindzwar inhaltlich in den unmittelbaren Zusammenhang eingebunden, doch da

1 Neuere Literatur bei R. Bilik, AAHG 49, 1996, 69-78.2 Vgl. VS 86 A 2 und Plat. Prot. 318e2-4; dazu auch Lesky 31971, 396f.3 VS 86 C l u. A 14

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dieser allein nicht gen gt, um zu erkl ren, weshalb Hippias sich bei seinerErmahnung ausgerechnet auf das Verh ltnis von νόμος und φύσις beruft,d rften sie einer u erung nachempfunden sein, die der historische Hippiasim Rahmen einer Rede oder einer Schrift vorbrachte4. In der Fassung desplatonischen Protagoras lautet seine Kernthese (337c7-e2):

ΤΩ άνδρες ... οι παρόντες, ηγούμαι εγώ υμάς5

συγγενείς τε και οικείους και πολίτας απαντάςείναι - φύσει, ου νόμφ· το γαρ δμοιον τφ όμοίφφύσει συγγενές εστίν, ό δε νόμος, τύραννος ων τωνανθρώπων6, πολλά παρά την φύσιν βιάζεται7 -ημάς ούν αίσχρόν την μεν φύσιν των πραγμάτωνείδέναι8, σοφωτάτους δε οντάς των Ελλήνων καικατ' αυτό τούτο συνεληλυθότας της τε Ελλάδοςεις αυτό το πρυτανεΐον της σοφίας και αυτής τηςπόλεως εις τον μέγιστον και όλβιώτατον οίκοντόνδε, μηδέν τούτου του αξιώματος άξιονάποφήνασθαι, αλλ' ώσπερ τους φαυλότατους τωνανθρώπων διαφέρεσθαι άλλήλοις.Ich denke ..., ihr versammelten M nner, da ihrVerwandte und Befreundete und Mitb rger seid vonNatur, nicht durch das Gesetz. Denn das Gleiche istdem Gleichen von Natur verwandt, der νόμος aber, derein Tyrann der Menschen ist, erzwingt vieles gegen die

4 Zur Authentizit t vgl. bereits D mmler 1889, 252, H. Gomperz 1912, 73, ZellerI 2, 61920, 1399 Anm. 1; hnlich Lesky 31971, 397 u. Sch trumpf 1972, 25f.

5 Heindorfs Konjektur ημάς hat auf den ersten Blick den Vorzug, sprachlich denSprecher Hippias in die Gemeinschaft der σοφώτατοι miteinzubeziehen, der er sichinhaltlich zweifelsohne zugeh rig gef hlt haben d rfte, zumal er in 337d3-e2 mit ημάςούν ... άλλήλοις den an Sokrates und Protagoras gerichteten Vorwurf sprachlichausdr cklich auf sich bezieht. Wenn jedoch Platon die gro z gig-herablassende Art desHippias karikieren wollte, indem er ihn zun chst die anderen als miteinander und nat rlichauch mit ihm selbst verwandt anreden l t, um abschlie end mit ημάς ούν die anderenund sich selbst der Gemeinschaft der weisesten M nner Griechenlands zuzurechnen,bereitete υμάς nicht nur keine Schwierigkeiten, sondern gen sse sogar den Vorzug derlectio difficilior; vgl. Manuwald ad loc.

6 Vgl. Pindar frg. 169 (Sn.-M.), Herodot III 38,4, Anon. Iambi. 6,1 (p. 402,28f.)und Plat. Gorg. 484b.

7 Vgl. Antiphon VS 87 B 44 A II 13f.8 Vgl. Δισσοί Λόγοι 8,1 (p. 415,19).

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Natur. F r uns also w re es sch ndlich, die Natur derDinge zwar zu kennen, uns aber dennoch, obgleich dieWeisesten unter den Hellenen und eben deshalb indieser Stadt als dem Hauptsitz hellenischer Weisheitund in diesem Hause als dem gr ten und gl nzendstendieser Stadt versammelt, dieser W rde nicht w rdig zuzeigen, sondern wie die gemeinsten Menschenuntereinander uns zu entzweien?

Diese Rede belegt nach Ansicht vieler Gelehrter f r Hippias eine hnlichscharf ausgesprochene Antithese zwischen νόμος und φύσις, wie sie f rAntiphon eindeutig nachweisbar ist10. Einige (z.T. dieselben) erkennen inihr kosmopolitische oder panhellenische Gedanken11, die von manchenGelehrten wegen des politischen Vokabulars (πολίτης, τύραννος,

9 bersetzung nach Schleiermacher.10 Da Hippias nach diesem Zeugnis νόμος und φύσις einander entgegensetzt, ist

unbestritten. Mit Antiphon verbinden ihn z.B. Joel 1921, 651, Guthrie III 1969, 138,H sle 1984, 263, Kennedy, in: Cambridge History 1985, 476, de Romilly 1988, 210,Popper 71992, 83f., Demandt 1993, 53; hnlich auch Heinimann 1945, 142f.; allerdingsbetrachtet er Hippias als „popularisierenden Verk nder" der Lehre Antiphons, wohingegendie brigen Gelehrten Antiphon i.d.R. auf Hippias folgen lassen.

11 Kosmopolitisch deuten den platonischen Hippias Barker 1918, 74, Zeller I 2,61920, 1400, Joel 1921, 697, Sinclair 1951, 61, Untersteiner III 1954, 104f., ders. II21967, 130f., Gigante 1956, 147f., Nestle 81978, 126 (wenn auch zur ckhaltend),Kerferd 1981, 114, M ller 1976, 256, Tsekousakis 1984, 661-3, Nam 1985, 57f. AuchBrunschwig 1984, 270 schlie t kosmopolitische und panhellenische Gedanken f rHippias nicht aus; allerdings r umt er ein, da Hippias im unmittelbaren Zusammenhangnicht mehr behauptet als die Zusammengeh rigkeit der σοφοί. Hofmann 1974, 270erkennt in Hippias' Worten einen Angriff wenigstens auf soziale Unterschiede. Gegen diekosmopolitische Deutung wenden sich bereits V erdros s-Drossberg 1948, 53 undSch trumpf 1972,24ff.; sie erkennen wiederum in der Rede des platonischen Hippias mitHavelock 21964, 225 panhellenische Gedanken. Johann 1973, 24 u. Anm. 50 h ltkosmopolitische oder wenigstens panhellenische Gedanken bei Hippias f r „ansatzweiseentwickelt". hnlich vor ihm bereits M ller 1965, 163, der keiner dieser beidenDeutungen abgeneigt zu sein scheint. Doch belegt gerade Plat. /Vor. 337c7-e2 nicht mehrals die Zusammengeh rigkeit der w e i s e s t e n statt a l l e r Griechen.

Kosmopolitische berzeugungen sind im 5./4. Jh. allenfalls f r Antiphon (VS 87 B44 B) und Alkidamas (Σ Arist. Rhet. 1373bl8) wahrscheinlich. Der Begriff desκοσμοπολίτης ist erst f r Diogenes v. Sinope bezeugt (Diog. Laert. VI 63).

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πρυτανεΐον) auch als Ausdruck der politischen berzeugungen desHippias gewertet werden12.

Andere Gelehrte hingegen bestreiten, da Hippias sich schroff gegen denνόμος gewandt habe. Sie verweisen insbesondere auf die Bedeutung desBegriffes τύραννος, der nicht notwendig in abwertendem Sinne einengewaltt tigen Despoten bezeichnet, sondern durchaus wertfrei f r einenm chtigen Alleinherrscher stehen kann13. Infolgedessen d rfe Hippias denνόμος wegen der universellen G ltigkeit, die dieser beanspruche, als einenτύραννος bezeichnen, der zwar in vielen F llen, aber nicht grunds tzlichder φύσις Gewalt antue. Zudem k nne dieses gewaltsame Eingreifen desνόμος in die φύσις durchaus konstruktiv sein, wenn man auch f r Hippiasdie f r Protagoras und den Anonymus lamblichi bezeugte unvollkommeneund eines Regulativs bed rftige φύσις annehme.

Zun chst sei auf letztere Deutung eingegangen, weil sich dabeiErkennmisse gewinnen lassen, die zur Besprechung der brigen Deutungenn tzlich sind: Einerseits ist denen, die eine rigorose νόμος-Kritik f rHippias bestreiten und ihm einen nat rlichen νόμος zuschreiben, zwarzuzugeben, da τύραννος an s i c h wertfrei verwandt werden kann14,doch andererseits ergeben sich aus dem Zusammenhang des platonischenTextes bei dieser Auffassung drei Schwierigkeiten:1. Indem Hippias, der sich offensichtlich an Pindars frg. 169 (Sn.-M.)orientiert, dessen K nig (βασιλεύς) in τύραννος ndert15, versucht er,sich gegen Pindars allumfassend herrschenden νόμος βασιλεύς abzu-grenzen. Am besten gel nge ihm das mit der These, der νόμος sei imGrunde ein gewaltt tiger Despot. Wer dagegen Hippias' τύραννοςwertneutral als .m chtigen Herrscher' versteht, vermag nicht zu erkl ren,

12 Vgl. Ryffel 1949, 39, Wolf II 1952, 81f., Havelock 21964, 225, Sch trumpf1972, 22ff.

13 Untersteiner 1943/44 (1976), 607 und nach ihm Barigazzi 1992, 253f.14 Vgl. Kritias (?) VS 88 B 25,6; Untersteiner 1943/44 (1976), 607 verweist zu

Recht auf Herodot ΠΙ 80,4 und V 44,2; dagegen belegt V 92<x2 die abwertende Bedeutung.Gewaltherrscher'.

15 Vgl. Lesky 31971, 397 und treffend Johann 1973, 17f.; Brunschwig 1984, 270verweist auf die in VS 86 B 9 f r Hippias belegten Studien zur Bedeutung des Begriffesτύραννος und folgert, Hippias werde gewu t haben, was er tat, als er Pindars βασιλεύς inτύραννος nderte.

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warum Hippias bei bewu ter Anlehnung an Pindar dessen βασιλεύς durchτύραννος ersetzt.

Zudem gestattet Platons Ausdrucksweise (Prot. 337d2f.) kein wertfreiesVerst ndnis von τύραννος: Weil er n mlich die Aussage, der νόμος sei einτύραννος, mit dem bergeordneten Pr dikat παρά την φύσιν βιάζεται (,er[sc. der νόμος] erzwingt [vieles] gegen die Natur') in Form einesParticipium Coniunctum (τύραννος ώ ν των ανθρώπων/ ,ein τύραννοςs e i e n d ' ) verbindet, er ffnet er, wenn man dieses Partizip aufl senm chte, nur die M glichkeit, es mit einen adverbialen Nebensatzwiederzugeben16, der das logische Verh ltnis zwischen dem P.C. unddessen bergeordnetem Pr dikat (βιάζεται) zum Ausdruck bringt. Von den

bersetzungsm glichkeiten (temporal, kausal, modal, konzessiv) verblei-ben wegen βιάζεται lediglich der modale (indem) und (was noch eher denSinn trifft) der kausale Sinn: ,W e i l der νόμος ein τύραννος der Men-schen ist, tut er der φύσις in vielem Gewalt an'.

Wenn man hingegen τύραννος ων των ανθρώπων als Feststellungverst nde, die lediglich den Herrscher-Charakter des νόμος behauptet, dannbers he man den logischen Bezug zwischen dem P.C. τύραννος ων und

dem Pr dikat βιάζεται und setzt das P. C. mit einem Relativsatz gleich:,Der νόμος, der (im brigen) ein m chtiger Herrscher ist ...'. In der Tatvermag ein Relativsatz eine unabh ngig von dem Hauptpr dikat bestehendegrundlegende Eigenschaft einer Sache festzustellen, ohne da es n tig w re,ihn l o g i s c h an das bergeordnete Verb zu binden. Doch gibt dieseBedeutung, die den auch Adjektivsatz genannten Relativsatz aus-zeichnet,auf keinen Fall ein adverbial bzw. pr dikativ gebrauchtes Partizip (wie dasP.C.)11, sondern nur ein der Wortart nach adjektivisch, dem Satzteil nachattributiv verwandtes Partizip wieder. Da aber eine derartige Konstruktionan der besagten Textstelle nicht vorliegt, ist das wertfreie Verst ndnis vonτύραννος ων unwahrscheinlich18.

16 ber das P. C. als Ausdruck adverbialer Verh ltnisse vgl. K hner/Gerth II 2,77ff.17 ber den sog. Adjektivsatz vgl. K hner/Gerth II 2,399ff., ber das adjektivisch

bzw. attributiv verwandte Partizip vgl. ebd. II 1,6..18 M glich bleibt allenfalls die unscharfe bersetzung „als ein τύραννος", doch

verh llt sie lediglich die logische Verbindung zwischen dem Partizip und dem Kern desSatzes und kann infolgedessen nicht unkommentiert bleiben. Auch ist sie auf keinen Fallgleichbedeutend mit einem Relativsatz.

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2. Die Verfechter des wertfreien Verst ndnisses von τύραννος deuten denνόμος in Plat. Prot. 337d auf zweifache Weise: a) als ein umfassendesPrinzip, das beispielsweise die Gerechtigkeit begr nde (τύραννος ων), aberb) allenfalls in Gestalt der menschlichen Konvention der φύσιςentgegenstehe (βιάζεται)19. Doch ist es grammatisch schwierig, in einemSatz einem nur einmal genannten Begriff (sc. νόμος) in Abh ngigkeit vonden mit ihm verbundenen Verben (ων bzw. βιάζεται) jeweils eine andereBedeutung unterzuschieben. Zudem legt der inhaltliche Zusammenhang desplatonischen Protagoras nahe, νόμος m glicherweise auf die Eigenarten zubeziehen, mit denen Sokrates und Protagoras einander das Gespr cherschweren (sc. Sokrates' best ndiges Fragen und Protagoras' weitschwei-fige Reden), und diese tragen eher die Z ge einer menschlichen Angewohn-heit bzw. Konvention denn die eines umfassenden positiven Prinzips20.Allein der inhaltliche Zusammenhang, in den die Rede des Hippias gebettetist, bietet einen Grund, νόμος als menschliche Satzung und Konvention zuverstehen21.3. Der Text belegt keine des νόμος bed rfende φύσις, wie man sie f rProtagoras und den Anonymus lamblichi annehmen darf. Vielmehr nennt ersie nur als den Bereich, dem von dem νόμος in vielfacher Hinsicht Gewaltwiderf hrt, ohne einen Hinweis zu geben, der es rechtfertigte, in dieserGewalt einen konstruktiv regelnden Einflu zu erkennen.

Folglich empfiehlt es sich - um auf die brigen o.a. Deutungenzur ckzukommen - Plat. Prot, 337c7ff. als Ausdruck eines grunds tzlichenGegensatzes zwischen νόμος und φύσις zu lesen. Doch in welcher Form

19 Barigazzi 1992, 252f.20 Auf den ersten Blick legt die Verwendung von πολίτας einen politischen

Zusammenhang nahe, doch ist das nicht zwingend der Fall; dazu s.u. S.161-163.21 Zu Recht ber cksichtigen Rankin 1983, 56 u. Dreher 1983, 66f. den

unmittelbaren Zusammenhang des Protagoras f r die Deutung von 337c7ff. Dagegenbestreitet Sch trumpf 1972, 13 eine enge Einbindung der Rede des Hippias in denplatonischen Kontext, weil gerade n i c h t der νόμος Sokrates und Protagorasvoneinander trenne. Dieses Problem ergibt sich jedoch nur, wenn man νόμος auf dieBedeutung des geschriebenen politischen Gesetzes einschr nkt, statt ihn allgemein alsAngewohnheit und Konvention zu verstehen. Bemerkenswert ist allerdings, da , wenn derνόμος in Plat. Prot. 337c7ff. auf das Verhalten von Sokrates und Protagoras anspielt, ernicht nur eine Konvention bezeichnet, auf die ein Kollektiv sich einigt, sondern zus tzlichf r Angewohnheiten steht, die auch ein einzelner annehmen kann.

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vertritt Hippias diese Antithese? Wird er ihretwegen zu Recht h ufig mitdem Sophisten Antiphon in Verbindung gebracht?

Ausgehend von der auf die gegebene Gespr chssituation gem nztenFeststellung, alle Anwesenden seien miteinander von Natur (φύσει)verbunden, u ert Hippias die allgemeine Sentenz, von Natur sei dasGleiche mit dem Gleichen verwandt (337dl)22. Mit dieser Aussagebehauptet Hippias nicht, wie zuweilen angenommen wird, die grund-s tzliche Zusammengeh rigkeit aller Menschen (Kosmopolitismus) oderaller Griechen (Panhellenismus), sondern nur die Affinit t des Gleichen(δμοιον) zum Gleichen. Man k nnte einwenden, wenn in den Augen desHippias alle Menschen im wesentlichen einander glichen, dann vertrete er inder Tat einen umfassenden Kosmopolitismus. Diese von ihm behaupteteGleichheit brauchte sich nicht einmal nur auf die Hellenen zu beschr nkenund damit in den Grenzen eines Panhellenismus stehen zu bleiben, sondernlie e sogar den Gegensatz zwischen Hellenen und Barbaren hinter sich,zumal Hippias - wie er in dem Pro mium einer f r uns nicht n herbestimmbaren historischen Schrift ausf hrt - barbarische Schriftsteller undihre Werke nicht weniger beachtet als hellenische (vgl. B 6; VS II p.331.15-7)23.

Doch bleibt die in Plat. P rot. 337c7-dl behauptete Verwandtschaft(συγγένεια) auf den Kreis der anwesenden Weisen (σοφοί) beschr nkt,denn Hippias wendet sich ausdr cklich nur an die Anwesenden(παρόντες). Unabh ngig von dem unmittelbaren Zusammenhang lie e sichdie u erung „ihr seid alle von Natur miteinander verwandt" (υμάςσυγγενείς ... απαντάς είναι) zwar auch als Ausdruck einer umfassendenGleichheit aller Menschen verstehen, aber auch die nachfolgende Erkl rungdes Hippias (337d3-e2), es sei verwerflich (αίσχρόν), wenn die weisestenM nner sich wider die φύσις entzweiten, bezieht nur die Anwesenden in diebesagte Gemeinschaft der miteinander Verwandten (συγγενείς) ein.Ausdr cklich grenzt er diese gegen die »Schlechtesten der Menschen' (vgl.τους φαυλότατους των ανθρώπων) ab und unterscheidet damit die

22 337dl: το γαρ ομοιον τφ όμοίω φύσει συγγενές εστίν; zur Geschichte diesesGedankens vgl. M ller 1965.

23 VS 86 B 6: τούτων ίσως ε'ίρηται τα μεν Όρφεΐ, τα δε Μουσαίω ... τα δε ενσυγγραφαΐς τα μεν "Ελλησι τα δε βαρβάροις ...

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Mitglieder der συγγένεια von solchen, die dieser Gemeinschaft nichtangeh ren24.

Auch frg. B 6 beweist f r Hippias keine kosmopolitischen Ansichten. Ersetzt sich lediglich auf der Ebene der herangezogenen Quellen - d.h. auf derEbene der jeweiligen σοφοί - ber die Unterscheidung zwischen Hellenenund Barbaren hinweg und bewegt sich damit in der Tradition Herodots, dernach eigener Aussage die Taten der Nicht-Griechen ebensowenig demVergessen preisgeben wollte wie die der Griechen25. Sicherlich st ndenkosmopolitische Ansichten nicht im Widerspruch zu diesen u erungen,aber andererseits gen gen weder Herodots Pro mium noch Hippias frg. B6, bereits f r sie solche Gedanken anzunehmen. Panhellenischen Gedankensteht wiederum entgegen, da Hippias in Plat. Prot. 337c7ff. nur dieZusammengeh rigkeit der Weisesten aller Griechen behauptet. Ob er abereine elit re Gruppenethik vertrat, ist ebenso fraglich, weil er zwar die.Schlechtesten' (φαυλότατοι), aber nicht grunds tzlich alle Menschen, dienicht dem Kreis der »Weisesten der Griechen' angeh ren, geringsch tzigbeurteilt.

Immerhin behauptet er eine gruppeninterne Verwandtschaft der σοφοίund st tzt diese mit der allgemeinen Aussage, von Natur strebe Gleiches zuGleichem. Folglich mu er auch naturbedingte Unterschiede annehmen.Diese bestehen nicht nur zwischen offenkundig voneinander verschiedenenGattungen wie Tier und Mensch, sondern d rften auch innerhalb einerGattung, wie z.B. der Menschheit angenommen werden, zumal sichkosmopolitische Ansichten f r Hippias nicht belegen lassen. Der νόμος desHippias tut demnach der Natur auf zweifache Weise Gewalt an: l. indem erdort Unterscheidungen trifft, wo eine nat rliche Affinit t des Gleichen(δμοιον) zum Gleichen besteht. (Diese νόμος-Kritik ergibt sich aus dem

24 Vgl. Wolf II 1952, 78f.; Untersteiner III 1954, 104f. wendet gegen Wolf ein,Hippias treffe mit seiner Berufung auf das artikellose φύσει Aussagen von allgemeinererund normativerer Art, als Wolf annehme, und behaupte vielmehr die συγγένεια a l l e rMenschen. Doch ist die Feststellung, da innerhalb bestimmter Gruppen eine nat rlicheVerwandtschaft besteht, und der νόμος oft naturwidrige Unterscheidungen vornimmt,hinreichend allgemein und normativ, um mit φύσει gest tzt zu werden. Deshalb bleibtWolfs Deutung von Untersteiners Kritik unber hrt.

25 Vgl. Herodot Pro mium; Patzer 1986, 25f. weist zu Recht darauf hin, daHippias in frg. B 6 lediglich erkl rt, er verwende griechisch- und f r e m d sprachigeLiteratur.

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unmittelbaren Zusammenhang von 337c7ff.) 2. indem er von NaturUngleiches zusammenzw ngt. (Diese Form der νόμος-Kritik u ert derplatonische Hippias nicht explizit, sondern sie ergibt sich aus demUmkehrschlu von 1. Doch ist sie durchaus wahrscheinlich, weil dieKernaussage ,er erzwingt vieles gegen die Natur' (πολλά παρά την φύσινβιάζεται) nicht ausdr cklich auf (1) beschr nkt, sondern f r (2) durchausoffen ist.)

Also verdient der νόμος Hippias zufolge Kritik, weil er in der Lage ist,der φύσις Gewalt anzutun. Wie jedoch bereits die Formulierung π ο λ λ άπαρά την φύσιν βιάζεται nahelegt, steht der νόμος der φύσις nicht injedem Falle entgegen. Ob er aber in solchen F llen die φύσις unterst tztoder sie gar erg nzt, ist fraglich, zumal selbst Antiphon als grunds tzlicherGegner des νόμος zwar behauptet, die Gebote des νόμος seien ,nur'meistens (τα πολλά) der φύσις feindlich (B 44 A II 26-30), im weiterenVerlauf aber erkennen l t, da er bereinstimmungen des νόμος mit derφύσις f r rein zuf llig h lt (B 44 A III 18-25). hnlich gestehtm glicherweise auch der platonische Hippias nur zuf llige Gemein-samkeiten zwischen νόμος und φύσις zu und l t sich folglich eher alsgrunds tzlicher Kritiker des νόμος begreifen.

Diese berlegungen stehen jedenfalls nicht im Widerspruch zu einem beiStobaios berlieferten Fragment (B 17), in dem Hippias ebenfalls Kritik andem νόμος bt: Stobaios zufolge hielt Hippias Verleumdung f r etwasSchlimmes (δεινόν), weil die Gesetze - anders als im Falle des Diebstahls- daf r keine Strafe vors hen26. Darin u ert sich jedoch kein ,Ruf nachdem Gesetzgeber'27, sondern vielmehr ein Hinweis auf die Schw che desgeschriebenen Gesetzes, das, weil es notwendigerweise nur f r jedenbeweisbaren Fall von bergriffen Regelungen treffen kann, zwangsl ufigl ckenhaft bleibt. Somit wird die Annahme, Hippias erkenne grunds tzlicheSchw chen des νόμος, von einem nicht-platonischen Zeugnis best tigt.

26 VS 86 B 17: δεινόν εστί ή διαβολιά ... ότι ουδέ τιμωρία τις κατ' αυτώνγέγραπται εν τοις νόμοις ώσπερ των κλεπτών ...

27 So Salomon 1911, 149 und nach ihm Wolf II 1952, 81.

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Ein etwas anderes Licht wirft aber eine Passage aus dem Hippias maiorauf den Sophisten, der zufolge Hippias im Gespr ch mit Sokrates derGesetzgebung wenigstens die Absicht zu n tzen zugesteht (284dl-3)28.

Da Nutzenerw gungen in der Sophistik allgemein verbreitet sind29 undsie deshalb auch f r Hippias nicht ohne weiteres ausgeschlossen werdenk nnen, darf diese u erung eine gewisse Authentizit t beanspruchen.Hippias' Kritik an dem νόμος beschr nkt sich in diesem Falle darauf, dieM glichkeit schlecht festgesetzter und deswegen unn tzer Gesetze insBewu tsein zu rufen. Da ein derartiger Standpunkt insofern mit B 17bereinkommt, als B 17 mit keinem Wort die im Gesetz festgelegten Strafen

f r Diebstahl kritisiert, d rfte Hippias den νόμος zwar angegriffen, abernicht als g nzlich sinnlos verurteilt haben30.

Folglich l t sich f r den Sophisten Hippias anhand der genanntenplatonischen Zeugnisse und des Stobaios-Fragmentes allenfalls ein eherambivalentes Bild seiner νόμος-Auffassung gewinnen: Auf der einen Seitekritisiert er grunds tzliche Fehler des νόμος, insbesondere den, der φύσιςvielfach gewaltsam entgegenzuarbeiten und damit instabile ,Ordnungen* zuschaffen, indem er »nat rliche* Einheiten zerst re und - m glicherweise -φύσει einander Widersetzliches zu k nstlichen Gemeinschaften zusammen-zw nge. Doch auf der anderen Seite wendet Hippias nichts gegen gesetz-liche Strafen ein, sondern bem ngelt, wie wenig der νόμος in der Lage sei,schlimmere als die i.d.R. gesetzlich erfa ten Vergehen zu ahnden. Magdarin auch die Sehnsucht nach einem sinnvolleren und verbindlicherenRegulativ (etwa der φύσις) zum Ausdruck kommen, so scheint Hippiasallen M ngeln zum trotz dennoch die Notwendigkeit der νόμοι erkannt zuhaben. Ein solcher Standpunkt ist vielleicht nicht allzu verwunderlich, ver-

28 Hp.Ma. 284dl-3: ΣΩ. νόμον δε λέγεις, ώ Ιππία, βλάβην πόλεως είναι ήώφελίαν; - ΙΠ. τίθεται μεν οΐμαι ώφελίας ένεκα, ενίοτε δε και βλάπτει, εάν κακώςτεθη ό νόμος.

29 Vgl. Protagoras, Kallikles, Thrasymachos, Antiphon, Lykophron (Arist. Pol.1280b8ff.) und die Argumente von Glaukon und Adeimantos in Plat. Rep. II .

30 Im genannten Zusammenhang des Hippias maior stimmt Hippias sogarausdr cklich der These des Sokrates zu, ohne einen an dem Guten ausgerichteten νόμος seieine menschliche Gemeinschaft nicht m glich (284d3-6): ΣΩ. ... οΰχ ως αγαθόνμέγιστον πόλει τίθενται τον νόμον οι τιθέμενοι; και άνευ τούτου μετά ευνομίαςαδύνατον οΐκεΐν; - ΙΠ. αληθή λέγεις. Doch fragt sich, inwieweit nicht eher sokratisch-platonische Ansichten in diese scheinbar eindeutigen Bekenntnisse des Hippias einflie en,zumal er selbst sich in der zitierten Passage auf blo e Zustimmung beschr nkt.

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sperrt doch die Einsicht in die Notwendigkeit eines bels nicht die M g-lichkeit, dieses bel zu kritisieren.

Erkl rungsbed rftig ist allerdings, in welchem Sinne Hippias denBegriff φύσις verwendet. Dabei l t sich f r die φύσις als Gegenbegriff zuνόμος festhalten: Wenn φύσει eine Verwandtschaft des δμοιον mit demδμοιον besteht, so liegt diese im W e s e n der einander hnlichen bzw.gleichen Dinge begr ndet31. Auch l t sich die Gewaltt tigkeit des νόμοςam besten als Eingriff wider das W e s e n der betreffenden Dingeverstehen. Eine kosmische All-Natur scheidet wenigstens f r dieVerwendung der φύσις im Rahmen der Antithese von νόμος und φύσιςaus. Dieses ,Wesen' bleibt wegen der bewu t neutralen Formulierung τοδμοιον nicht auf eine Gattung beschr nkt, sondern bezeichnet das Weseneines Gegenstandes ebenso wie das eines Menschen. Und da HippiasAnsto nimmt an dem Zwist zwischen den e i n z e l n e n σοφώτατοιSokrates und Protagoras, so kann die Bedeutung des individuellen Wesenswenigstens nicht ausgeschlossen werden. Er verwendet damit in derAntithese von νόμος und φύσις einen philosophischen φύσις-Begriff, dersich zum νόμος ebenso verh lt wie das wahrhaft Seiende zum Schein32.

Wenn er hingegen die anwesenden σοφοί als solche bezeichnet, die berdie φύσις των πραγμάτων Bescheid wissen, dann kann diese φύσις zwarebenfalls f r das jeweilige Wesen einer Sache stehen, ist aber - geradeangesichts von Hippias' umfassenden Interessen - als All-Natur ebensoverst ndlich. Doch ist diese φύσις των πραγμάτων f r Hippias'rechtsphilosophische Aussagen deswegen wenig bedeutsam, weil er nachden erhaltenen Zeugnissen weder aus ihr eine Kritik am νόμος ableitet,noch mit ihr ein δίκαιον begr ndet.

Somit fragt sich zuletzt, weshalb der platonische Hippias in seiner Rededrei politische Begriffe verwendet: πολίτης (337c8), τύραννος (337d2)und πρυτανεΐον (337d6).

3' So treffend Sch trumpf 1972, 25.32 Zum. philosophischen φύσις-Begriff vgl. Heinimann 1945, 93ff., 104 u. 108f.

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Der τύραννος erkl rt sich hinreichend aus der Abwandlung desoffensichtlich bereits im ausgehenden 5. Jh. popul ren Pindarverses vondem νόμος ό πάντων βασιλεύς33.

Um nun die innige Beziehung zu verdeutlichen, die aufgrund ihresWesens (φύσει) zwischen den anwesenden Weisen besteht, insofern sieδμοιοι άλλήλοις sind, bem ht Hippias in Prot. 337c8 drei Begriffe, dieverschiedene zwischenmenschliche Beziehungen bezeichnen: dieVerwandtschaft (συγγενείς), die Hausgemeinschaft (οικείους) und diepolitische Gemeinschaft der B rger (πολίτας). Der Text schreitet zwar vonder r umlich engsten (συγγενείς) zur r umlich umfassendsten Beziehung(πολίτας) fort, stellt aber alle drei gleichwertig nebeneinander (τε και...καί). Die Verwendung von πολίτης als Indiz f r politische u erungen zudeuten, hie e, πολίτης eine h here Bedeutung beizumessen als den beidenmit ihm gleichgestellten Begriffen συγγενής und οικείος. Doch ist die dazun tige Sonderstellung von πολίτης im Text nicht erkennbar. Vielmehr l tHippias mit jedem der genannten Begriffe jeweils einen anderen Aspektm glicher Beziehungen anklingen, um sich so dem Charakter der φύσειbestehenden Wesensgemeinschaft zu n hern. Erst im Bunde miteinanderverm gen diese drei Begriffe die Intensit t auszudr cken, mit der φύσει dieσοφοί eine Gemeinschaft bilden34. Doch ist eine solche nat rlicheWesensgemeinschaft, wie Hippias sie f r die σοφοί untereinanderbehauptet, mit keiner der drei gleichwertig genannten menschlichenGemeinschaften identisch, sondern mit allen dreien lediglich v e r -g l e i c h b a r : Sie stellt nicht etwa die Summe aus den drei zu ihrerIllustration genannten Beziehungen dar, sondern unterscheidet sichvielmehr wesentlich von menschlichen Gemeinschaften und kann mit denmenschlichen Vorstellungen der Bluts-, der Haus- und der politischenGemeinschaft lediglich b i l d l i c h beschrieben werden, ohne auch nurmit einer von ihnen gleichgesetzt werden zu d rfen. Deshalb ist es nicht

33 S.o. Anm. 6 umd S.154f.34 Da Hippias in 337dl in der allgemeinen Formulierung allein συγγενές w hlt,

um die N he des δμοιον zu Seinesgleichen zu bezeichnen, erkl rt sich leicht aus derSperrigkeit einer vollst ndigen Wiederholung der im unmittelbar voraufgehenden Satzangef hrten Trias von συγγενής, οικείος und πολίτης. Zudem l t sich συγγενής alseinziger der drei Begriffe problemlos auch auf Neutra beziehen, wohingegen οικείος underst recht πολίτης nur auf Personen anwendbar sind. Auch dieser Umstand spricht gegeneine Sonderstellung von πολίτης.

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statthaft, aus der Verwendung des Begriffes πολίτης zu folgern, Platonhabe die Rede seines Hippias einem politischen Zusammenhang ent-nommen.

Schlie lich leistet der platonische Hippias mit der Bezeichnung τηςΕλλάδος ... το πρυτανεΐον της σοφίας (,Hauptsitz der Weisheit vonHellas') nichts weiter als eine Hommage an Athen, den Ort, an dem dieAnwesenden versammelt sind. Das ist um so wahrscheinlicher, als er diesesLob mit einer Huldigung an das Haus des Gastgebers als das gr te undwohlhabendste am Ort verbindet (337d6f.). Wenn er dabei -m glicherweise in Abwandlung eines Perikles-Wortes35 - auf dasπρυτανεΐον Athens anspielt, so verbindet er das Bild der wegen ihrerWeisheit an der Spitze der Griechen stehenden Weisesten (σοφώτατοι) mitdem Lob gerade der Errungenschaften, derer Athen sich besonders r hmte:der kulturellen und politischen Errungenschaften36. hnlich belegt Plat.Hp.Ma. 285d6-e2 f r Hippias die Gabe, in seinen Reden, je nachdem, woer sich befand, auf den Geschmack der jeweiligen Zuh rerschaft eingehenzu k nnen, denn Hippias erkl rt ebd., er habe sich nur den Spartanern zuGefallen mit der ,Urgeschichte', der sog. αρχαιολογία, befa t.(M glicherweise karikiert Platon auch in seinem Protagoras dieseAngewohnheit, den Anwesenden zu schmeicheln, indem er Hippias seinenGrundsatz von der nat rlichen Affinit t des δμοιον zum δμοιον gerade aufdie anwesenden σοφοί anwenden l t.) Jedenfalls erkl rt sich dieBezugnahme auf das πρυτανεΐον hinreichend als laus Athenarum, und siestellt insofern innerhalb des Protagoras keinen Fremdk rper dar, alsSokrates und Protagoras sich bereits zuvor (319a8ff.) auf politischeEinrichtungen Athens (sc. die Volksversammlung) bezogen hatten.Infolgedessen ist es unangebracht, in der Rede des platonischen Hippias einpolitisches Programm zu erkennen.

Festhalten l t sich: l. Hippias beruft sich bei seinen Angriffen gegenden νόμος auf die φύσις.2. Er behauptet eine φύσει bestehende Affinit t des δμοιον zum δμοιον.

35 Thuk. II 41,1: ... λέγω την τε πασαν πόλιν της Ελλάδος παίδευσιν είναι...36 Mit πρυτανεΐον της σ ο φ ί α ς r hmt er die Wohl berlegtheit und

Vollkommenheit der attischen Errungenschaften und zieht zugleich eine Verbindung zuden Anwesenden σοφοί, die sich nat rlich in Athen, dem πρυτανεΐον της σοφίας, aneinem f r sie besonders geeigneten Ort befinden.

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3. Φύσις bezeichnet als Gegenbegriff zum νόμος das Wesen einer Sache.4. Hippias versteht nach den besprochenen Zeugnissen νόμος nicht andersdenn als Gesetz und Konvention.5. Sein νόμος-Begriff und die Verwendung der Antithese von νόμος undφύσις verbinden ihn mit Antiphon, doch teilt er nicht dessenbedingungslose Ablehnung des νόμος.

Ob er aber ein h heres Regulativ f r menschliche Gemeinschaften (etwadie φύσις) forderte oder aber die νόμοι grunds tzlich nach Ma gabe derjeweiligen φύσις ,gut eingerichtet* sehen wollte, l t sich nicht entscheiden.

2. Der xenophontische Hippias

Um infolgedessen mehr Klarheit ber die rechtsphilosophischenAnsichten des Hippias zu gewinnen, ziehen viele Gelehrte das Gespr chzurate, das nach Xenophon Hippias mit Sokrates ber die Gerechtigkeitf hrte (Xen. Mem. IV 4,5-25). Doch ist diese Passage in ihremQuellenwert nicht unumstritten37 und verdient allein deswegen, n herbesprochen zu werden: Dabei sollen a) zun chst die relevanten einzelnenAussagen, die in der Regel auf den historischen Hippias zur ckgef hrtwerden, in ihrem unmittelbaren Zusammenhang bei Xenophon besprochenund b) anschlie end die gesamte Komposition des xenophontischenGespr chs zwischen Hippias und Sokrates beleuchtet werden.

a) Bevor die beiden Kontrahenten ber das δίκαιον sprechen, verspottensie einander: Hippias fragt Sokrates, ob er immer noch dieselben Redenf hre, und erh lt von diesem die passende Antwort, er, Sokrates, f hredieselben Reden ber dieselben Dinge, wohingegen Hippias wegen seines

37 Seit Steinthal 1863, 63f. und D mmler 1889, 252f. halten die meisten Gelehrtenden xenophontischen Hippias f r relevant ( bersicht bis 1954 bei Untersteiner III 1954,57; hinzu kommen Momigliano 1930 (1976), 471, Verdross-Drossberg 1948, 53f.,Guthrie III 1969, 118-20, M ller 1981, 81f., Classen 1984, 152f., de Romilly 1988,196f. u. 210, Naddaf 1992, 331 f.)

Skeptisch u ern sich Joel 1901, 1098ff., Wilamowitz I 1920, 136 Anm. l,Heinimann 1945, 142 Anm. 61, Kerferd 1981, 148, Rankin 1983, 56; hnlich gehenHavelock 21964, Lesky 31971, 396f., Tsekousakis 1984, 661-3, Demandt 1993, 53f. undTaureck 1995, 18 (vgl. auch 33) u. 158 Anmm. 27 u. 29, wenn ich recht sehe, aufXenophon gar nicht ein, und lassen sich folglich zu den Skeptikern z hlen.

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umfangreichen Wissens nicht nur ber verschiedene, sondern sogar berdieselben Dinge Verschiedenes sage (IV 4,6)38.

Offenkundig leitet Xenophon aus der auch in anderen Zeugnissen39 unddeswegen unstrittig belegten πολυμαθία des Hippias dessen Eigenart ab,

ber dieselben Gegenst nde stets verschiedene Reden zu f hren. Sollte sichdieser Einwand nicht lediglich in dem Vorwurf ersch pfen, Hippias sagenichts Identisches, dann ist darin m glicherweise eher Kritik an der vonProtagoras und Gorgias ausgefeilten Kunst von Rede und Gegenrede zuvernehmen, w hrend diese Praxis f r Hippias nirgends bezeugt wird40.Auch ist sie nicht derart selbstverst ndlich, da sie allen Sophistengleicherma en unterstellt werden d rfte. Es besteht vielmehr Grund zu derAnnahme, Xenophon habe in Mem. IV 4,6 authentische Kenntnisse berHippias (sc. dessen Gelehrsamkeit bzw. , Viel wisserei', die πολυμαθία)mit Gedanken anderer Sophisten vermengt und eine Verbindung zwischenbeidem zu schaffen versucht, indem er die πολυμαθία zur Ursache f r diePraxis des .nicht dasselbe Redens' (ου ταύτα λέγειν) erhob.

Wenig sp ter l t Xenophon den Hippias eine bedeutende Aussage berdas Gerechte ank ndigen (IV 4,7)41. Doch anstatt dieses Verprecheneinzul sen, fordert der xenophontische Hippias zun chst Sokrates auf,seine eigene Gerechtigkeitsauffassung mitzuteilen (IV 4,9)42. Sokratesbringt nun seine eigene Gerechtigkeitsauffassung auf die weit verbreitete

38 Xen. Mem. IV 4,6: συ δ' ϊσως δια το πολυμαθής είναι περί των αυτώνουδέποτε τα αυτά λέγεις.

39 Vgl. Plat. Prof. 315c5-7, 318e2-4, VS 86 A 2.40 Vgl. zu Protagoras VS 80 A 20 u. 21, zu Gorgias VS 82 B 3 und zu dessen

Anh ngern Plat. Gorg. 490e9-ll u. 491b5-c5. Bereits Joel 1901, 1098ff. weist daraufhin, da Xen. Mem. IV 4,5ff. sich gegen gorgianische Gedanken wendet.

41 Xen. Mem. IV 4,7: περί μέντοι του δικαίου πάνυ οίμαι νυν εχειν ειπείν, προςά ούτε συ ούΥ αν άλλος ουδείς δύναιτ' άντειπεΐν.

42 Ebd. IV 4,9: άλλα μα Δι' ... ουκ άκούση, πρίν γ' αν αυτός άποφήνη, ο τινομίζεις το δίκαιον είναι.

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Formel43, das Gesetzm ige (το νόμιμον) sei das Gerechte (το δίκαιον)(IV 4,1l)44.

Hippias u ert zun chst Bedenken und gibt damit zu verstehen, da erdiese Auffassung von Gerechtigkeit f r unzureichend h lt (IV 4,13)45. ImFolgenden aber beschr nkt er sich darauf, entweder den Argumenten seinesGespr chspartners zuzuarbeiten, oder gar, ihnen nur zuzustimmen. Sobestimmt er im Anschlu an die genannten Bedenken auf Nachfragen desSokrates - scheinbar eigenst ndig - die Gesetze einer Stadt als von derenB rgern gemeinsam getroffene Vereinbarung ber das, was man tun darf,und das, was man lassen soll (IV 4,13)46.

Trotz eindeutiger Ankl nge an sophistische Vorstellungen einesGesellschaftsvertrages47 ist es jedoch problematisch, in dieser - zudemnicht das δίκαιον betreffenden - Aussage eine These des historischenHippias zu erkennen. Sie ist zum einen f r ihn in keinem anderen Zeugnisbelegt, zum anderen l t Xenophon selbst sie mit hnlichen Worten Periklesin Mem. l 2,42 vertreten:

πάντες γαρ ούτοι νόμοι είσίν, ους το πλήθοςσυνελθόν και δοκιμάσον έγραψε, φ ρ ά ζ ο ν ατ ε δ ε ι και α μη.All das sind Gesetze, die das Volk, wenn eszusammengekommen ist und sie eingehend gepr fthat, erl t, indem es bestimmt, was geboten und wasverboten ist.

43 Vgl. z.B. .Protagoras' in Plat. Theaet. 167c4/5, Eur. Hec. 799-801, Anon.Iambi. VS 89 6,1, Lysias II 19, Antiphon B 44 A I 6-11, Plat. Rep. 359a3/4 (Glaukon),Plat. Kriton 50a-c (Sokrates), [Plat.] οροί 41 le3-5 u. 416a7, Arist. EN 1129a32ff.; dieseVorstellung legt auch Thrasymachos (Plat. Rep. 338el-339a4) zugrunde.

44 Xen. Mem. IV 4,12: φημί γαρ εγώ το νόμιμον δίκαιον είναι.4 5 Ebd. IV 4,13: ου γαρ αισθάνομαι σου όποιον νόμιμον η ποίον δίκαιον

λέγεις.4ί> Xen. Mem. IV 4,13: α οι πολΐται ... συνθεμένοι α τε δει ποιεΐν και ων

άπέχεσθαι έγράψαντο. Mit dieser Aussage definiert Hippias nicht - wie de Romilly1988, 196 annimmt - die Gerechtigkeit, sondern nur die νόμοι.

47 Die Vertragstheorie klingt in dem Gesellschaftsentstehungsmythos, den Platon inseinem Protagoras diesem in den Mund legt, in Plat. Rep. 358e3-59b5 (Glaukon), inAnon. Iambi. 6,1 und dem Sisyphosfragment vv.5-8 an. M glicherweise ist nach Arist.Pol. 1280b8-12 auch Lykophron zu ihren Vertretern zu z hlen.

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Angesichts dieses Befundes ist es fraglich, ob Xenophon in Mem. IV4,13 eine Ansicht des historischen Hippias wiedergibt, oder ob er nichtvielmehr eine ihm selbst selbstverst ndliche Bestimmung u ert, diedeswegen beachtenswert ist, weil sie Gesetze nicht etwa - wieThrasymachos in Platons Politeia^ - als Regelwerk versteht, das derjeweils Regierende erl t, sondern als Bestimmungen eines Kollektivs: derbeteiligten B rger. Diese auch f r modernes Verst ndnis ausgesprochendemokratische Gesetzesdefinition erf llt aber in Xenophons Darstellung desGespr chs zwischen Sokrates und Hippias nur die entscheidende Aufgabe,die Gerechtigkeitsbestimmung des Sokrates (νόμιμον = δίκαιον) als g ltigzu erweisen. Denn da die eigenen Gebote und Verbote, die die B rger sichselbst in gemeinsamer Absprache auferlegen - wenn sie tats chlich nachdiesem Verfahren erlassen werden -, die Interessen aller ber cksichtigenund zugleich die sittlichen Vorstellungen der betreffenden B rgerschaftwiderpiegeln d rften, kann Sokrates mit Recht behaupten, Gerechtigkeitbestehe darin, die Gesetze, an deren Festlegung und G ltigkeit mangewisserma en selbst beteiligt sei, einzuhalten (IV 4,13)49. Damit hatSokrates im Rahmen des Gespr chs seine Gerechtigkeitsauffassungvorl ufig bewiesen. Da der xenophontische Hippias dieser Gerechtigkeits-auffassung zustimmt (vgl. IV 4,13: πώς γαρ ου;), dient nur als Hinweis f rdie - in den Augen Xenophons - gelungene Beweisf hrung des Sokrates.Es scheint aber auch Hippias' Bestimmung der νόμοι lediglich eineHilfestellung zugunsten der doch eher allt glichen Gerechtigkeitsauffassungdes Sokrates (gesetzlich / νόμιμον = gerecht / δίκαιον) zu sein. Da dieseBestimmung der νόμοι zudem ebenfalls einer allt glichen Auffassunggleicht, macht sie f r den historischen Hippias nicht wahrscheinlicher,sondern es erh rtet sich der Verdacht, der historische Hippias habe wederdie in IV 4,12 ge u erte Gerechtigkeitsauffassung, noch die in IV 4,13genannte Gesetzesdefinition ge u ert.

Dieser Befund ist insofern interessant, als ihm zufolge nicht einmall ngere w rtliche u erungen des xenophontischen Hippias auf den

48 Vgl. Plat. Rep. 338el-339a4.49 Xen. Mem. IV 4,13: Οΰκοϋν, εφη (sc. 6 Σωκράτης), νόμιμος μεν αν εϊη ό

κατά ταΰτα πολιτευόμενος, άνομος δε ό ταΰτα παραβαίνων. Πάνυ μεν ούν, εφη (sc. όΙππίας). Οΰκοϋν και δίκαια μεν αν πράττοι ό τούτοις πειθόμενος, άδικα δ' ό τούτοιςάπειθών; Πώς γαρ ου;

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historischen Hippias zur ckgehen m ssen. Man kann sie nur dann alssolche bewerten, wenn sie sich mit anderen Zeugnissen in hinreichendemMa e decken. Beispielsweise u ert Hippias bei Xenophon im Anschlu anSokrates' Beweisf hrung eine Kritik an den νόμοι, in der die auch f r denplatonischen Hippias bezeugte Ansicht erkennbar wird, die νόμοι seienblo e Konvention: Wie k nne man - so fragt er - den Gesetzesgehorsamf r bedeutend halten, wenn doch selbst die Gesetzgeber ihre eigenenGesetze ndern (IV 4,14)»?

Diese Form der νόμος-Kritik deckt sich hinreichend mit demplatonischen Zeugnis und widerspricht auch nicht dem Stobaios-FragmentB 17. Doch ist auch sie zu allgemein, als da sie Erkenntnisse ber denhistorischen Hippias b te, die ber die brigen Zeugnisse hinaus gingen.

Zudem l t sich der xenophontische Hippias im folgenden rasch von derSchw che seines Einwandes und der Trefflichkeit der sokratischenGerechtigkeitsbestimmung (νόμιμον = δίκαιον) berzeugen (IV 4,14-19),ohne seine eingangs angek ndigte eigene Gerechtigkeitsauffassung zuu ern. Stattdessen verlagert der gespr chsf hrende Sokrates das Gespr ch

in IV 4,19ff. von der Ebene des menschlichen auf die des g ttlichenRechts, um so auch die umfassende, geradezu kosmische G ltigkeit desGrundsatzes νόμιμον = δίκαιον nachzuweisen. Wenn er dabei Hippiasfragt, ob er nicht auch selbst gewisse ungeschriebene Gesetze anerkenne,so ist fraglich, ob Xenophon auf Gedanken des historischen Hippiasanspielt, oder nicht vielmehr Hippias hnlich wie in IV 4,13 denArgumenten des Sokrates dienstbar macht51.

Sollte tats chlich eine Anspielung auf den historischen Hippiasvorliegen, dann d rften die .ungeschriebenen Gesetze' (άγραφοι νόμοι) einAusdruck Xenophons f r von Natur (φύσει) bestehende Regelungensein52. Diese Annahme ist jedoch zum einen spekulativ, zum anderenbewegen sich die anschlie enden Beispiele, die diese .ungeschriebenen

50 Ebd. IV 4,14: νόμους δ[έ] ... πώς αν τις ήγησαιτο σπουδαΐον πράγμα είναν ητο πείθεσθαι αύτοΐς, ους γε πολλάκις αυτοί οί θέμενοι άποδοκιμάσαντεςμετατίθενται;

51 Ebd. IV 4,13: ΣΩ. άγραφους δε τινας οΐσθα ... ώ Ιππία, νόμους;ΙΠ. τους γ' εν πάση ... χώρο: κατά ταύτα νομιζομένους.52 Dieser Nachweis l t sich mit Arist. Rhet. 1373b6 f hren, wo Aristoteles

bestimmte άγραφοι νόμοι als νόμοι κοινοί οί κατά φύσιν bezeichnet.

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Gesetze' illustrieren sollen, nur im Bereich allt glicher Gemeinpl tze: DerGlaube an G tter, die Achtung gegen ber den eigenen Eltern53, dasInzestverbot, die Dankbarkeit gegen ber Wohlt tern u.a.

Allerdings bleibt auch zu bedenken: M gen diese Beispiele auch ganzallt glichen Moralvorstellungen entnommen sein, so gen gen sie nicht, umdem historischen Hippias die Annahme gewisser .ungeschriebener Gesetze'(άγραφοι νόμοι) abzusprechen. Es kommt jedoch erschwerend hinzu, daXenophon die Wirkm chtigkeit dieser Angeschriebenen Gesetze' mitArgumenten erl utert, die nicht f r Hippias, wohl aber f r den SophistenAntiphon und f r das Sisyphos-Fragment nachweisbar sind: Sokrates f hrtn mlich fort, das bertreten dieser g ttlichen Gebote ziehe - im Gegensatzzu den menschlichen νόμοι - automatisch Strafe nach sich. Beispielsweisewerde, wer gegen das Inzestverbot versto e, mit mi ratenen Kindernbestraft (IV 4,21 u. 22)54. Nicht nur findet sich das Argument, diemenschlichen νόμοι allein garantierten keine eintr chtige Gemeinschaft,weil sie auch straflos bertreten werden k nnten, in Bruchst cken desAntiphon und des Kritias (?)55, sondern gerade der entscheidendeGedanke, das bertreten g ttlicher Gebote ziehe automatisch Strafe nachsich, ist eindeutig nur f r Antiphon in der Form des unausweichlichenSchadens bezeugt, der auf den Versto gegen nat rliche Gesetzm igkeitenfolge56. Zudem u ert in Xen. Mem. IV 4,21 gerade nicht Hippias,sondern Sokrates diese Ansicht, die »ungeschriebenen Gesetze* (άγραφοινόμοι) k nnten nicht straflos bertreten werden. Hingegen legen die vondem xenophontischen Hippias selbst getroffenen u erungen dieVermutung nahe, er nehme f r die άγραφοι νόμοι ein anderesWesensmerkmal als die automatische Strafe an: Indem er n mlich gegenSokrates einwendet, er sehe nicht, weshalb das Inzestverbot ein solcherάγραφος νόμος sei, denn es werde ja bertreten, bekundet er nur, da

53 Vgl. Antiphon VS 87 B 44 A V 4-8.54 Xen. Mem. IV 21 f.: ... άλλα δίκην γέ τοι διδόασιν οι παραβαίνοντες τους

υπό των θεών κείμενους νόμους, ην ούδενί τρόπω δυνατόν άνθρώπφ διαφυγεΐν ώσπερτους υπ" ανθρώπων κείμενους νόμους ενιοχ παραβαίνοντες διαφεύγουσι το δίκηνδιδόναι ... τί γαρ αν μείζον πάθοιεν άνθρωποι τεκονοποιούμενοι του κακώςτεκνοποιεΐσθαι;

55 Vgl. Antiphon VS 87 Β 44 A I 12-23, Kritias (?) VS 88 B25 5-11.56 Vgl. Antiphon VS 87 Β 44 A I 23-II 20.

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seiner Meinung nach die .ungeschriebenen Gesetze' (άγραφοι νόμοι) sichdurch ihre allgemeine Einhaltung auszeichnen (IV 4,20)57.

Diese Aussage deckt sich mit der voraufgegangenen Erkl rung desHippias, άγραφοι νόμοι seien solche, die in jedem Land auf dieselbe Weiseangenommen werden (IV 4,19: τους γ'εν πάση ... χώρα κατά ταύτανομιζομένους). Im Rahmen des von Xenophon berichteten Gespr chesbestimmt Hippias die »ungeschriebenen Gesetze' offensichtlich n u r nachihrer allgemeinen Verbreitung; den Gedanken, sie z gen bei Verstoautomatisch Strafe nach sich, l t Xenophon nicht Hippias, sondern explizitnur Sokrates u ern. Wollte Xenophon damit andeuten, da dieserGedanke nicht auf Hippias zur ckgeht?

Um diese Schlu folgerung zu vermeiden, k nnte man einwenden,Xenophon lege dem Sokrates Gedanken in den Mund, die er eigentlichdessen Gespr chspartner u ern lassen m te58. Schlie lich k nne dochSokrates, wenn - wie bereits besprochen - l ngere direkte Aussagen desxenophontischen Hippias allein nicht deren Authentizit t garantieren,Gedanken des historischen Hippias verwenden. Wenn aber ein derartigerGedanke nach den brigen Zeugnissen nicht f r Hippias, sondern f r einenanderen Zeitgenossen - wie die ,automatische Strafe' f r Antiphon - belegtist, ist die Vermutung, da Xenophon in seinen Memorabilien in dasGespr ch zwischen Sokrates und Hippias Anregungen aus anderen Quelleneinflie en l t, mindestens ebenso berechtigt wie der Einwand, er lasseSokrates anstelle des Sophisten sprechen59. Dieser Verdacht erh rtet sichinsofern, als selbst die Bemerkungen, die Xenophon dem Hippias direkt inden Mund legt, nachweislich Entstellungen aufweisen: So wird Hippias'These (IV 4,19), die G tter h tten den Menschen die besagten.ungeschriebenen Gesetze' gegeben, - so sie denn in nuce einen Gedankendes historischen Hippias enth lt - gemeinhin als xenophontische

57 Xen. Mem. IV 4,20: οΰκέτι μοι δοκεΐ ..., ω Σώκρατες, ούτος θεοΰ νόμος είναι(sc. das Inzestverbot)... δτι... αίο-θάνομαί τινας παραβαίνοντας αυτόν.

58 Vgl. Classen 1984, 154f. insb. 155 „ ... Xenophon [schenkt] den Sophisten nurvergleichsweise geringe Beachtung und vermindert das Gewicht von deren Leistung undEinflu auch insofern, als er manche ihrer Gedanken nicht als ihr geistiges Eigentumerscheinen l t."

5 9 Das Lob, das Sokrates in Mem. IV 4,16 der ομόνοια zollt, mag auch auf andereQuellen zur ckgehen. Vgl. Demokrit VS 68 B 250, Antiphon VS 87 A 2, Gorgias VS82 B 8a.

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. bersetzung' dessen verstanden, was in der Sophistik als von natur(φύσει) bestehendes Regelwerk bezeichnet wird: Selbst wenn direkte

u erungen des xenophontischen Hippias auf den historischenzur ckgehen sollten, so bed rfen sie einer . bersetzung' in die Sprache derSophisten.

Doch was bedeuten die sog. άγραφοι νόμοι? Sollten sie tats chlich f rφύσει bestehende Gesetzm igkeiten stehen, dann fragt sich, ob Xenophonsich nicht mit den in IV 4,20ff. genannten Beispielen (G tterglaube,Achtung gegen ber den Eltern, das Erweisen von Wohltaten gegen einenWohlt ter) so sehr an allt gliche Moralvorstellungen anlehnt, da die.ungeschriebenen Gesetze' des historischen Hippias verborgen bleiben.Sollten sie hingegen tats chlich auf den historischen Hippias zur ckgehen,bleibt zu untersuchen, ob sie wirklich von Natur (φύσει) gegebenenGesetz-m igkeiten entsprechen, oder ob sie nicht vielmehr belegen, daHippias im Zuge ethnographischer Studien von verschiedenen V lkernanerkannte Konventionen erkannte, die er aber nichtsdestoweniger demBereich der menschlichen Sitte und Konvention (νόμος) zugeordnet habenk nnte. Schlie lich beweist eine von der communis opinio vertreteneAuffassung noch nicht deren Richtigkeit, und es besteht deshalb keinzwingender Grund anzunehmen, Hippias habe solche νόμοι auf die φύσιςzur ck-gef hrt. Jedenfalls belegen die brigen Zeugnisse ber Hippiasnicht, da er den Begriff νόμος anders denn als Inbegriff der menschlichenGesetze, ihrer Sitte und ihrer Konvention verwandt h tte.

b) Somit l t sich keine endg ltige Sicherheit ber die Bedeutung der.ungeschriebenen Gesetze* und die Authentizit t der brigen Aussagen desxenophontischen Hippias gewinnen. Sie erkl ren sich jedoch hinreichendaus dem Verlauf und dem Ziel der Unterredung zwischen Hippias undSokrates: Dazu sei das Gespr ch zun chst gegliedert:I. IV 4,5-11 Vorbereitung des Gespr chs.II. Eigentliches Gespr ch ber das Gerechte.a) IV 4,12-18 gesetz ch (νόμιμον) = gerecht (δίκαιον) im menschlichenBereich.b) IV 4,19-25 νόμιμον = δίκαιον im g ttlichen Bereich; Nachweis derallgemeinen G ltigkeit dieser Auffassung.

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Der xenophontische Sokrates ist offenkundig darum bem ht, dieAnnahme, νόμιμον sei δίκαιον, als allgemein zutreffend nachzuweisen.

Zu I: Er h lt sich dabei nach eigener Aussage an den Grundsatz, berdasselbe stets dasselbe zu sagen (IV 4,6). Xenophon entwirft nun mitseinem Hippias eine Kontrastfigur zu Sokrates, die wegen ihrer, Viel wisserei' (πολυμαθία) gerade nicht in der Lage ist, an einer Aussageber eine Sache festzuhalten. Diesen Kontrast f hrt er auf geschickte Weise

vor: Er l t Hippias eine Aussage ber das Gerechte ank ndigen, gegen dieniemand - so Hippias - etwas einwenden k nne (IV 4,7). Doch anstattdiese Ank ndigung einzul sen, fordert Hippias Sokrates auf, zuerst seineGerechtigkeitsauffassung zu verk nden (IV 4,9), mit dem Ergebnis, dasich die aus Hippias' Ank ndigung zu entnehmenden Rollen vertauschen:Anstelle des Sophisten verk ndet S o k r a t e s eine Auffassung vonGerechtigkeits, gegen die H i p p i a s - wie das anschlie ende Gespr chzeigt - nichts einzuwenden vermag.

Zu Ha: Entsprechend setzt das eigentliche Gespr ch ber das δίκαιονmit Sokrates' These ein, das δίκαιον sei nichts anderes als das νόμιμον (IV4,12). Sokrates bem ht sich, diese Bestimmung f r den menschlichenBereich als richtig zu beweisen. Er geht dabei von einer Definition dermenschlichen νόμοι aus, die er Hippias selbst vorbringen l t (IV 4,13).Dieser u ert keine grunds tzlichen Einw nde gegen Sokrates' Gerechtig-keitsauffassung, sondern bietet mit Zwischenfragen, wie derjenigen, wasdenn die νόμοι seien (IV 4,13), und ob sie nicht wegen ihrer Unbest n-digkeit bedeutungslos seien (IV 4,14), dem Sokrates die M glichkeit, dieseFragen an Hippias zur ckzugeben und von diesem in seinem, des SokratesSinne, beantworten zu lassen (IV 4,13-17). Am Ende ist Hippiashinsichtlich der menschlichen νόμοι von der Richtigkeit der These desSokrates berzeugt.

Zu b: Nun gilt es, diesen Nachweis auch f r den g ttlichen Bereich zuf hren: Wie in Ha, so geht auch in lib die Argumentation von einerBestimmung aus, die Sokrates den Hippias vorbringen l t: Hatte Hippiasin Ha die menschlichen νόμοι bestimmt (IV 4,13), so liefert er in b mit derBestimmung der g ttlichen άγραφοι νόμοι (IV 4,19) Sokrates dieGrundlage, auf der dieser ihn von der Richtigkeit des νόμιμον = δίκαιον

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auch f r den g ttlichen Bereich berzeugen kann. Damit hat Xenophon /Sokrates diese These generell als zutreffend erwiesen.

Die Aussagen des Hippias sind offensichtlich auf den Argumentations-gang des Sokrates abgestimmt: Die Ank ndigung seiner Gerechtigkeits-bestimmung sagt im Grunde nur den bevorstehenden Rollentausch voraus,und die Bestimmungen, die Hippias von den menschlichen νόμοι (IV 4,13)und anschlie end von den g ttlichen .ungeschriebenen Gesetze* u ert (IV4,19), erkl ren sich - statt als Bez ge auf Aussagen des historischenHippias - mindestens ebenso gut als Vehikel f r die Argumente desSokrates. Da zudem in Ha Xenophon den Hippias mit der besagtenDefinition der Gesetze eine Grundthese im Dienste des Sokrates formulierenl t, die er bei anderer Gelegenheit Perikles in den Mund legt (I 2,42), istnicht nur die Authentizit t dieser Bestimmung zweifelhaft, sondern wenig-stens die M glichkeit gegeben, da Xenophon mit der Bestimmung derάγραφοι νόμοι, der Grundthese von lib, ebensowenig auf den historischenHippias zur ckgreift.

W hrend sich folglich die u erungen des xenophontischen Hippias ausder Struktur des Gespr chs und aus dem Ziel erkl ren lassen, das Sokratesverfolgt, nimmt die Rede, die Platon in seinem Protagoras dem Hippias inden Mund legt, zwar Bezug auf den unmittelbaren Zusammenhang, enth ltaber beispielsweise mit dem νόμος-φύσις-Gegensatz und dem Grundsatz,das Gleiche ist dem Gleichen seinem Wesen nach verwandt' (το δμοιον τφόμοίφ φύσει συγγενές εστίν) Gedanken, die ber die Erfordernisse desplatonischen Dialogs hinausgehen und infolgedessen auf den historischenHippias deuten.

Hinzu kommt bei Xenophon die grunds tzliche Schwierigkeit, da seinHippias-Gespr ch Gedanken enth lt, die a) nur f r andere Sophisteneindeutig, nicht aber f r Hippias belegt sind, oder b) in den Memorabilienan anderer Stelle aus dem Munde einer anderen historischen Personwiederkehren:1. IV 4,6 spielt m glicherweise auf die Praxis von Rede und Gegenrede an,die f r Protagoras und Gorgias bezeugt ist.2. IV 4,13 definiert menschliche Gesetze ebenso, wie Perikles in I 2,42 imGespr ch mit Alkibiades60.

60 S.o. S.166f.

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3. IV 4,16 spielt m glicherweise auf Ansichten ber die Eintracht(ομόνοια) an, die auf Gorgias, Demokrit und/oder Antiphonzur ckgehen61.4. IV 4,21 spricht mit der .automatischen Strafe' einen Gedanken ausAntiphons B 44 A123-1120 aus.5. IV 4,21 bt dieselbe Kritik an den νόμοι wie Antiphon B 44 A I 12-23und das Sisyphos-Fragment vv. 5-1162.

Infolgedessen ist der Quellenwert des Gespr chs, das Xenophon denSokrates mit Hippias f hren l t, u erst fraglich. Es scheint sich eher umein Konglomerat sophistischer, sokratischer und allt glicher Vorstellungenzu handeln, in dem Xenophon vorf hrt, wie sein Sokrates sich mitbestimmten Gedanken, nicht, wie er sich mit bestimmten historischenPersonen auseinandersetzt. Dieses Bestreben des Xenophon k nnte aucherkl ren, weshalb die Gespr che, die er zwischen Sokrates und demσοφιστής Antiphon verzeichnet (16,1-15), keinen definitiven Anhaltspunktbieten, der es gestattet, diesen mit Antiphon dem Sophisten oder mit demRhamnusier gleichzusetzen. Die Memorabilien taugen eher allgemein alsFundort f r sophistische Gedanken, ohne da diese dem jeweiligenGespr chspartner des Sokrates bedingungslos zugeschrieben werdenk nnen.

Insgesamt belegen eher die brigen Zeugnisse, insbesondere Plat. Prot.337c7ff. die Rechtsauffassung des Sophisten Hippias. Er war demnach eininsofern ma voller Kritiker des νόμος, als er diesen wegen h ufigergewaltsamer Eingriffe gegen das Wesen (φύσις) der Dinge kritisierte undzugleich dessen Grenzen erkannte (vgl. B 17), aber offenkundig nicht ohneweiteres dessen Notwendigkeit oder die mit ihm verfolgten sinnvollenAbsichten in Frage stellte (Hp.Ma. 284dl-3). Mag dieser ambivalente

61 S.o. S.170 A.59.62 Selbst diese Kritik schneidet Xenophon auf die Bed rfnisse seines Sokrates

zurecht: Da Sokrates zuvor (IV 4,13-8) die Notwendigkeit der menschlichen νόμοι und dieQualit ten des Gesetzesgehorsams nachweist, w re es unangebracht, wenn er in 4,21 diemenschlichen νόμοι gegen ber den g ttlichen άγραφοι νόμοι als unwirksam kritisierte,weil sie sich straflos bertreten lie en. Xenophon mildert diesen Widerspruch, indem erSokrates sagen l t, nur e i n i g e n gel nge ein derartiger Versto : ώσπερ τους υπ'ανθρώπων κείμενους νόμους ε ν ι ο ι παραβαίνοντες διαφευγουσι το δίκην διδόναι.

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Befund auch nur eine Folge der d rftigen Quellenlage sein, so sind Xeno-phons Memorabilien wenig geeignet, die Unklarheiten zu beseitigen.

M glicherweise l t sich aus der Art, wie Xenophon die Figur desHippias verwendet, schlie en, Hippias sei nicht gerade ein heftiger Gegnerder ihm in den Mund gelegten u erungen gewesen63. Allerdings bietenbereits die besprochenen platonischen Zeugnisse hinreichenden Grund zuder Annahme, Hippias habe den menschlichen νόμοι eine gewisseAnerkennung zukommen lassen, indem er sie nicht f r g nzlich wertloserachtete. Doch ist es nicht n tig, auf Xenophons Memorabilien zur ck-zugreifen und dem Eleer ein direktes Bekenntnis zu g ttlichen bzw. φύσειbestehenden άγραφοι νόμοι zu unterstellen.

63 Dagegen deutet M ller 1981, 81 f. die .ungeschriebenen Gesetze' desxenophontischen Hippias als Beleg f r dessen νόμος-Kritik.

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