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Das Dosenmilch-Trauma - Gesamtverzeichnis · Jess Jochimsen Das Dosenmilch-Trauma Bekenntnisse...

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Jess Jochimsen

Das Dosenmilch-TraumaBekenntnisse eines 68er-Kindes

Deutscher Taschenbuch Verlag

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»… über das Erwachsenwerden in einer Zeit,die man mit billigen Schweizer Plastikuhren misst.«

(Schöller & Bacher)

»Was sind das für Zeiten,in denen die Eltern ihren Kindern sagen müssen,

dass sie spießig sind?«(Ralf Rothmann)

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Inhalt

La Boum – Die Fete ist vorbei 9Das Dosenmilch-Trauma 13Meine Eltern waren Hippies 17Winnetou auf dem Bonanza-Rad 25Kleine Philosophie vom Fahrrad 33Der Hahn, das Huhn, Dagmar und die Kuh 37Die Einschulung 41In memoriam Rechtschreibung 51Friede, Freude, Eiersuchen 53Der Kindergeburtstag 59Ich war jung und brauchte das Geld 65Das Krippenspiel 69Von Fröschen in Hälsen und anderswo 85Ein Traum von Äpfeln 89Hunde, die bellen, beißen mich 97My personal fifteen minutes 101Parkhaus des Grauens 105Wie ich verweigern musste 109Gimmick in Göttingen 119Can’t feel the beating 123

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Wie Sofi? Oder: Bauer für einen Tag 127Eis mit Stil 131Meine Probleme mit Gott 135Beitrag zur christlichen Verkehrserziehung 141Und Gott lebt in Mannheim 145Der Guido in mir – ein Splatter-Movie 149Es wird cool in Deutschland 153Draußen vom Walde komm’ ich her 157Mit Kassandra ins neue Jahrtausend 163Reden ist silber 167Männer’s Gesundheit 171Kurz und bündig 175Und jetzt alle: Sunday, bloody Sunday! 179Night on earth – Die sechste Stadt 183Sunday, bloody Sunday (Piano-Version) 189Gefährliches Halbwissen 193Und jetzt erzähle ich noch was vom Pferd 197Forbidden Fruits. Eine Schildergeschichte 201Darkwing Duck im Fasching! 205Das Klassentreffen 209

Credits 220Ein Satz heißer Ohren 222Das Auge lacht ja mit 223

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Als dann auch noch seine Lieblingskneipe zumachte, wusste er: Irgend-wie, irgendwo, irgendwann …

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La Boum – Die Fete ist vorbei

»Dreams are my reality.«(Richard Sanderson)

»I take pleasure in great beauty.«(James Bond zu Sophie Marceau)

Ich weiß nicht, ob es sich um eine Erfahrung handelt, die ichmit vielen teile, oder ob es allein an mir liegt oder am Wetter,aber manchmal braucht es ja nur einen klitzekleinen Anlass,um mich in tiefste Melancholie zu stürzen. An einem derletzten Tage in den 90ern fragte ich eine wildfremde Fraunach der Uhrzeit, einfach so. Sie war in etwa meinem Alter,ein, höchstens zwei Jahre älter vielleicht. Sie lächelte mich anund antwortete:

»Viertel vor Nesquick, Zeit zum Umrühren.«Mein Gott, wie lange hatte ich diese Floskel schon nicht

mehr gehört! Freilich wusste ich immer noch nicht, wie spätes war, aber was spielte das für eine Rolle? Die Jetzt-Zeit waraufgehoben und räumte ihren Platz für die Erinnerung. Ichlächelte zurück, sah der Frau in die Augen und begann leisezu singen:

»Kimba, Kimba, kleiner weißer Löwe, wir sind stolz aufdich ...«

Ihr Blick bekam etwas Glänzendes, sie hakte sich bei mirunter und sang ebenfalls:

»Hey, hey, Wickie, die Wikinger, sind hart am Winde dra-

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han – sag mal, kriegst du die Männer von Flake noch allezusammen?«

Ich rieb mit meinem Zeigefinger an der Nase und dachtenach. Also da waren Snørre und Wickie und ... Um meinegetrübte Erinnerung zu kaschieren und das Gespräch mit derunbekannten Begleiterin versuchsweise ins Zwischenmensch-liche zu lenken, fragte ich:

»War Wickie eigentlich ein Junge oder ein Mädchen?«»Also Willi aus Biene Maja war auf jeden Fall schwul.«Ich verstellte die Stimme und brüllte mit nasalem Ton:»Maja, Maja, warte auf mich!«Hoffentlich sah uns keiner. Sie lachte. Ich dachte, so ähn-

lich würde Katja Berger heute lachen, zehn Jahre nach demAbi. Das Lachen der Frau hatte etwas Entwaffnendes, und ichwusste, das ist sie, die Frau, auf die du immer gewartet hast:Vic aus La Boum – Die Fete! Sophie Marceau. Met you by sur-prise, / I didn’t realize / that my life would change forever. Älternatürlich, reifer – Dreams are my reality / a wondrous word withI like to be – erwachsener und schöner denn je – IIlusions are acommon thing. / I try to live in dreams / although it’s only fantasy– Sophie Marceau heute.

Sophie Marceau im letzten James Bond-Film. In dem derAgent, und mit ihm alle Männer dieser Welt, wissen, dass siesich sämtliche Mätzchen sparen können. Denn diese Fraudurchschaut sie vom ersten Augenblick. Und sagt den wahrs-ten Satz, den je ein Bond-Girl gesagt hat:

»Du kannst mich nicht töten.«Dass Bond es dennoch tut, beweist nur, dass er sie nie wie-

der loswerden wird. Aber auch nie wirklich besaß. So war dasimmer. In La Boum – Die Fete war Sophie Marceau 14 und ichzwei Jahre jünger. Sie war genau das Mädchen, das schonimmer eine Nummer zu groß war. Und jetzt stand sie leib-haftig vor mir. Ganz nah und doch unerreichbar. Eine Fleisch

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gewordene Erinnerung. Ihr bester Film hieß Meine Nächte sindschöner als deine Tage. Ich glaube, das trifft’s.

Aber hatte sie nicht eben mit mir gesprochen? Die »Kannstdu mir sagen, wie spät es ist«-Floskel der Lächerlichkeit preis-gegeben? Und mir damit einen Wink? Nur – wieso sollte siesich jetzt für mich interessieren? Sie hatte es doch auch frü-her nie getan. Mir sah man es doch heute noch an, dass ichjahrelang Zahnspangen trug und die Firma Clearasil reichgemacht hatte. Egal, was ich sie fragen würde, immer würdeihre Antwort lauten: »Wir können ja gute Freunde bleiben.«Es war so ungerecht, eine Rollenverteilung für die Ewigkeit:Sie, der Klassenschwarm, die Strahlende, die mit der Eins inSchönschreiben und ich der kleine Bub im Pullunder, dernoch nicht mal eine Fläche auf dem Rubik-Würfel hinbekam.Im Sportunterricht brachte sie mit ihrem Pferdeschwanz undihren kleinen, wippenden Brüsten alle um den Verstand, wäh-rend ich in Strumpfhosen abseits stand und stets als Letzterin die Mannschaft gewählt wurde.

Warum tat sie mir das jetzt an? Sie, die damals zu dieserJahreszeit hundertpro im schicken Anorak und trotzdem natür-lich viel zu knapp bekleidet in der Raucherecke des Schulhofsstand und jedes Mal kicherte, wenn ich dick eingemum-melt in meinem Parka vorbeikam. Meine Eltern schimpftensich Antimilitaristen, aber der Bundeswehrparka gehörte zurGrundausstattung. Wieso war ich eigentlich, seit ich denkenkann, dauernd zu warm angezogen? Meine Eltern mit ihrerParanoia, ich könnte erfrieren! Selber immer freakig, immerlocker, immer easy, aber wenn’s um den Sohn ging, voll bür-gerlicher Urangst: Der Junge geht aus dem Haus und erfriertspontan auf dem Schulweg. Ab Ende August trug ich Winter-klamotten und wurde verspottet wegen meiner selbst gestrick-ten Handschuhe. Oh, wie ich sie gehasst habe, diese Woll-fäustlinge, die mit einem Bändchen verbunden waren, damit

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man sie auch ja nicht verlor. Unter der Jacke trug man die,durch die Ärmel gezogen, sie haben furchtbar gekratzt, sichständig verheddert, und bei den Mädels war man der Depp.Es tönt mir noch heute in den Ohren, Sophie Marceau, KatjaBerger, wie sie höhnt:

»Guck mal, wie kindisch!«Die schöne Unbekannte blickte mich an und sagte:»Du bist der mit den Fäustlingen, nicht?«Ich antwortete:»Und du bist die, die immer mit den Christophs gegangen

ist.«Sie nickte, sah auf die Uhr und sagte im Weggehen:»Es ist übrigens kurz nach vier.«Es ist kalt, dachte ich, bald braucht man Handschuhe.

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Das Dosenmilch-Trauma

Als ich ein kleiner Junge war und mit meinen Eltern in einerwie auch immer harmonischen Wohngemeinschaft lebenmusste, kam einmal die Woche meine Oma väterlicherseitszu Besuch. Genau genommen kam sie zum Kaffeetrinkenund brachte lecker Kuchen, aber auch Unruhe und Zwie-tracht in die traute Familienidylle. Weil meine Oma nämlichden Dritte-Welt-Kaffee nicht runtergebrachte, bestand sie,wie alle Großmütter väterlicherseits, auf Kaffee Hag, Dosen-milch und Würfelzucker. (Das war Wahnsinn! Im besten Fallhatten wir kapitalismuskritischen Kandis im Haus, Würfel-zucker jedoch nie.)

Kaffee Hag war mir wurscht und der Zucker letztlich auch,aber Dosenmilch entwickelte sich zu dem Objekt meinerkindlichen Begierde. Nicht dass sie mir besonders geschmeckthätte, nein, Milch in Dosen, das war für mich die Offenba-rung schlechthin, die größte technische Errungenschaft derNeuzeit, haltbar, praktisch und formschön.

Meine Eltern dagegen hassten die eingedoste Dickmilch,und schon hatten wir Streit. Bereits damals biologisch-dyna-misch orientiert, war Dosenmilch für meine Erzeuger die

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gemeinste Provokation der Natur. Sie haben nichts so gehasstwie Dosenmilch. Aus der Panik heraus, als aufgeklärter Pä-dagoge zu versagen, schrie mein Vater regelmäßig:

»Ein für alle Mal, mein Sohn: Die beste Verpackung fürd’Milch ist die Kuah!«

Heulend brüllte ich zurück:»Ökologischer Klugscheißer, was ist denn an so einer Kuh

bitte praktisch? Eine Kuh in der Vorratskammer!«Die Folge war, dass in mir ein veritables Dosenmilch-Trau-

ma heranwuchs. Meine Oma hat das wohl gespürt, und umtherapeutisch gegenzusteuern, wie es alle Großmütter väterli-cherseits tun, sorgte sie dafür, dass ich, das Kind, die Dosen-milch für die Erwachsenen präparieren durfte. Da wurde mirVerantwortung übertragen, da konnte ich ein klein wenigzum Manne reifen. Ich bekam zum Öffnen der Dosenmilch-dose einen Dosenmilchdosenpiekser. Das war ein eigens fürdiese Tätigkeit konzipiertes Werkzeug: ein Holzgriff miteinem Stahlstachel dran, eine Waffe eigentlich. Und mit die-sem Dosenmilchdosenpiekser durfte ich dann auf die Dosen-milchdose einstechen. Ich konnte mich also zur Bewältigungmeines Traumas selbstständig mit dem traumabehafteten Ob-jekt beschäftigen.

Und das war kein einmaliger Akt, denn jede Dosenmilch-dose benötigte zwei Löcher. Eines, durch das die Dosenmilchaus der Dose hinausgekippt werden konnte, und ein weiteres,durch welches Luft ins Doseninnere gelangte, damit es beimDosenmilchgießvorgang nicht blubberte. Das so genannteBlubberloch. Regelmäßig konnte ich mich also zweimal inFolge mit dem Dosenmilchdosenpiekser in einer nachgeradeödipalen Geste selbst heilen. Jeder Psychologe wird es bestäti-gen: Kaum ein Ding eignet sich als Projektionsfläche fürAngstbesetztes in der Kindheit besser als die Dosenmilch-dose.

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Dass ich heute noch an einem Dosenmilch-Trauma leide,liegt an etwas anderem – an dem Bär. An dem Teddy. AmBÄRENMARKENBÄRCHEN. Auf jeder mich betreffendenDosenmilchdose war ja ein Bärenmarkenbärchen drauf. Undich war oft etwas unachtsam, in Vorfeude des kathartischenEffektes der Dosenmilchdosenpieksertherapie. Kurz nichtaufgepasst, etwas vorschnell den Vatermord imaginiert, undschon war’s passiert. Die Dosenmilchdose stand verkehrtrum, und das Gieß- und das Blubberloch befanden sich nunim ursprünglichen Dosenmilchdosenboden, der jetzt durchden zweimaligen Gewaltakt unwiederbringlich zum Dosen-milchdosendeckel wurde.

Das heißt aber, dass der Teddy Kopf stand. Und das Blutschoss ihm in den kleinen Bärenkopf, es war scheußlich. DasKöpfchen schwoll an und an, es war furchtbar – und nichtwieder gutzumachen, weil: Richtete man das Bärenmarken-bärchen wieder auf, lief die Dosenmilch aus den eigens hier-für hineingestanzten Löchern aus der Dose. Ich habe ver-sucht, Gieß- und Blubberloch mit Tesafilm abzudichten, aberman kriegt das nicht dicht. Da kennt die Dosenmilch keineGnade, die quillt heraus. Und das ist mir verdammt oft pas-siert, ich war ein regelrechter Teddyquäler.

Und jeder Therapeut weiß, dass der Bär ein lustbesetztesObjekt für das Kind ist. Das Bärenmarkenbärchen im Beson-deren. Und heute? Was soll ich sagen: Ich trinke meinen Kaf-fee schwarz.

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Puuh, der arme Bär!

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Meine Eltern waren Hippies

Zugegeben, ich habe ein wenig vorgegriffen. Zuweilen bin ichetwas sprunghaft und habe es nicht so mit dem chronologi-schen Erzählen. Genau genommen kann ich das gar nicht.Also zurück:

Meine Eltern waren 68er, und obwohl man das damalsnoch gar nicht so nannte, war das ausgesprochen hart fürmich. Regelrechte Hardcore-Hippies waren sie, mit Flokatiauf dem Kopf, Che Guevara in der Küche und Frank Zappaaufm Klo, aber hallo. Sie hörten den ganzen Tag Pink Floyd,da wurdest du blöd in der Birne als Kind. Was für mich aller-dings erschwerend dazu kam: Meine Eltern sind auch nochBayern. Bayern und 68er! Das ist eine Kombination, die gibtes eigentlich gar nicht. Man möge sich das bildlich vorstellen,Franz Josef Strauß in Schlaghosen und mit einem Arafat-Schal um den nicht vorhandenen Hals oder auch StoibersSturschädel von Dreadlocks bedeckt. Ein Ding der Unmög-lichkeit, bayerische 68er, da kreuzen sich bigotte Dumpfheitmit sexueller Revolution, Klerikertum mit K-Gruppe, PinkFloyd mit Volksmusik – wenn die sich vermehren, kann mansich ja vorstellen, was da rauskommt: Das sieht nicht gut aus.

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Schon im Mutterleib schwante mir Böses, aber ich war vonall den Pülverchen und bewusstseinserweiternden Kräutern,welche meine Mutter zu sich nahm, derart benebelt, dass ichmeinen Plan, noch etwas länger im Fruchtwasser zu plan-schen, nicht verwirklichen konnte und pünktlich nach neunMonaten auf das im Wohnzimmer ausgelegte Tüchersammel-surium schwappte. An sich war das ganz nett, alle waren da,die Oma väterlicherseits, meine Mutter, einige Leute, die ichnicht kannte, und mein Erzeuger. Ich hatte ihn ja nie zuvorgesehen, mir ihn aber in etwa so vorgestellt. Er war groß, anden seltsamsten Stellen mit Haaren bedeckt, ein bisschenabgerissen gekleidet, und er ließ sein donnerndes Lachenerschallen, das ich schon im Ohr hatte. Geburtsschlag erhieltich keinen (logisch, Pazifisten!), und ich dachte: Wird schonwerden. Mein Vater nahm mich auf den Arm und begann mitmir erst mal über die Geburt zu reden, völlig zwanglos führteer mich ins Leben ein:

»Ja, griaß di. Servus in der Welt, Burschi, supa, dass’d dabist. He – kloaner Hos’nscheißer, welcome on örf. Wir müssenda jetza ned das Diskutier’n anfangen, schau’ a mal her: I binder Eberhard und die, wo da noch so saublöd umanandflackt, des is’ die Renate.«

Was für eine Begrüßung! Es war noch viel schrecklicher, alsich in den dunkelsten embryonalen Stunden befürchtet hatte.Und das Schlimmste war: Ich verstand kein Wort. Das mussman sich mal vorstellen, man wird in diese Welt geworfenund versteht noch nicht einmal die eigenen Eltern – weil dieso einen grauenvollen Dialekt sprechen. Die ersten Jahre ver-lebte ich eher unbewusst, da habe ich summa summarum garnichts verstanden. Und Mama und Papa hatte ich ja nicht,ich musste immer Eberhard und Renate sagen. In diesemPunkt folgten meine Eltern konsequent den pädagogischenMaximen der frühen 70er Jahre. Der Eigenname durfte um

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keinen Preis aufgegeben werden. Nur um das ein für alle Malklarzustellen: Mama ist für ein Baby wesentlich leichter zuartikulieren als Renate!

Gestillt wurde ich, bis ich acht war, und dann gab’s Kör-ner. Dass ich überhaupt gewachsen bin, darf getrost als Wun-der bezeichnet werden. Es handelte sich im Übrigen um Kör-ner, die sich heute in keinem Laden dieser Republik mehr auflegalem Wege erwerben lassen. Garniert wurden diese Verdau-ungsbremsen mit allerlei Farnen und Mosen, von denen auchnur meine Eltern meinten, dass sie überhaupt essbar waren.Das Grünzeug war selbstredend im eigenen Garten angebautund ungespritzt. Meine Fresse, das hätte man gar nicht sprit-zen brauchen, da wäre kein Schädling der Welt freiwillig ran-gegangen. Alsdann zermanschte derjenige, der laut Kochplanan der Reihe war, das Ganze in einem hölzernen Bottich undverrührte den bizarren Sud in rituellen, kreisenden Bewegun-gen. Linksdrehend.

Gesalzen wurde nicht. O nein, kein Salz, in den Salinenbeutete die herrschende Klasse schließlich die Arbeiter aus,und der Eberhard und die Renate wollten da ein Stückweitschon auch ein Zeichen setzen. Curry gab es ebenso wenig,handelte es sich dabei doch um ein Produkt des englischenImperialismus. Ketchup war aus antiamerikanischen Gründenvollkommen ausgeschlossen. Ketchup? No way! Die Renatewetterte in ihrer unnachahmlichen Diktion:

»Man tunkt seine Pommes ned in das Blut von Fietnam!«Pfeffer hatten die Herrenmenschen auf den Kreuzzügen

geraubt, neulich erst, kam also auch nicht auf den Tisch. Mankann sagen, dass meiner Kindheit ein bisschen die Würzegefehlt hat. Die Suppe jedoch musste ich auslöffeln. Das warein typischer Erziehungswiderspruch meiner Eltern: antiauto-ritär kochen, aber aufessen müssen. Natürlich wehrte ichmich mit Händen und Füßen, allein der Eberhard und die

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Renate verfügten über sämtliche didaktischen Aufesstricks.Als ob man eine Wahl gehabt hätte, tunkten sie den Löffel indie Pampe und seuselten etwas von »komm’, noch einenHappen für den Opa«, und zack, schon bekam ich mit demZeug den Mund gestopft. Dabei hatte ich überhaupt keinenOpa, aber es gab schlicht und ergreifend keine zwei Meinun-gen: »Ein Happa für den Onkel, ein Happa für die Oma …«,wie oft wünschte ich mir, dass in der Verwandtschaft mög-lichst bald wieder jemand sterben möge. (Obwohl ich diesenWunsch immer gleich bereute, denn die Bärenmarken-Omawollte ich keinesfalls gefährden.) Wenn es aber absolut unge-nießbar wurde und ich mich partout weigerte, auch nur einenBissen runterzuwürgen, griffen meine sonst so toleranten El-tern doch mal in die Knüppelkiste teutonischer Pädagogik:

»Wenn du des ned aufisst, Burschi, wenn du des ned auf-isst, gibt’s morgen schlecht’ Wetter!«

Mein Gott, diese Verantwortung. Ich entschuldige michhier in aller Form für so manch verregneten Sommer in den70er und 80er Jahren. Aber ich hab’s einfach nicht runterge-bracht, dafür gewann der Begriff »Hungerstreik«, der in denGesprächen der Erwachsenen so oft fiel, für mich schon sehrfrüh an Bedeutung.

Was darüber hinaus ebenfalls den eher scheußlichen Din-gen meiner Kindheit zugerechnet werden muss und zudemauch wenig appetitanregend wirkte: Meine Eltern warenimmer nackt. Das war …, also schön war es nicht. Der Eber-hard und die Renate hatten nie was an zu Hause, das waropen. Sie liefen wie Adam und Eva durch die Kommune undnahmen da überhaupt kein Blatt vor den Unterleib. Totalopen war das. Unser Haus besaß auch keine Türen, alles open,und immer wenn meine Eltern im Schlafzimmer waren, wennsie in trauter Zweisamkeit im Bett lagen, wenn Wish you werehere auf dem Endlosband lief und wenn ich das alles in

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