DAS DIALOGISCHE LERNMODELL ALS
SINNSTIFTENDE DIDAKTIK
Das Dialogische Prinzip
Inhaltsverzeichnis
1. Bildungstheoretisch konzipierte Didaktik
2. Grundlagen zum Dialogischen Lernmodell
2.1 Die Rolle des Dialogs im Umgang mit fachlichen Inhalten
2.2 Organisation des Unterrichts mit dem Dialogischen Lernmodell
3. Dialogik als Erziehungsprinzip
3.1 Die Anthropologie des Dialogischen Prinzips
3.2 Erziehung und Bildung bei Martin Buber
3.3 Die Dialogik des erzieherischen Verhältnisses
1. Bildungstheoretisch konzipierte Didaktik
Kritisch-konstruktive Didaktik nach Klafki (1985)
Bildungstheoretische Arbeiten: Verhältnis des Menschen zur Welt
Kategoriale Bildung im Kern der Reflexion bei Wolfgang Klafki (1927 – 2016)
Objektbezug der materialen Bildung: geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der Menschheit in der Gegenwart und Zukunft )
Subjektbezug der formalen Bildung: die Mitglieder einer Gesellschaft sollen Verantwortung für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen
Dazu: Fähigkeit zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität entwickeln
Kritisch-konstruktive Haltung Steigerung der Selbstständigkeit
Perspektiven konkreter Unterrichtsplanung nach Klafki
Bedingungsanalyse: Fragt nach der Ausgangsbedingung der Lernenden
Begründungszusammenhang: In Bezug auf die Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung
Die exemplarische Bedeutung eines Themas
Thematische Strukturierung: In der Folge der thematischen Strukturierung wird bestimmt, unter welcher
Perspektive ein Thema bearbeitet werden soll und
welche Begriffe und Verfahren zur Unterrichtsgestaltung getroffen werden müssen.
2. Grundlagen zum Dialogischen Lernmodell
Grundlagen zum Dialogischen Lernmodell
Peter Gallin und Urs Ruf haben gemeinsam das didaktische Modell des
„Dialogischen Lernens“ erarbeitet
2.1 Die Rolle des Dialogs im Umgang mit fachlichen Inhalten
Dialogisches Lernmodell = Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten
Zwei Grundformen:
1. Der Dialog zwischen der Person und dem fachlichen Inhalt
2. Der Dialog zwischen Personen über den fachlichen Inhalt
Der Dialog zwischen der Person und dem fachlichen Inhalt
Person befasst sich mit dem fachlichen Inhalt und setzt personale, soziale und fachliche Aspekte ihrer fachbezogenen Handlungskompetenz ein.
Gesamtes Potenzial an Kognition und Emotionen werden genutzt
Kurz: Eine Person beschäftigt sich selbstständig mit der fachlichen Materie. Singulär
Der Dialog zwischen Personen über den fachlichen Inhalt
Bewegt sich von der Darstellung des eigenen, singulären Zugangs einer Person zur Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise bzw. dem singulären Zugang einer anderen Person
Dabei werden gelungen Verfahren und produktive Lösungsformen besonders beachtet
Kurz: Gemeinsame Diskussion über die fachliche Materie
Singulär ↔ Singulär
Dialogisches Lernen
Dreischritt Lernen:
Prozess vom Singulären über Divergierendes zum Regulären
Singulär (Ich-Perspektive): Darstellung des singulären Zugangs („Ich mache das so!“)
Divergierende (Du-Perspektive): Auseinandersetzung mit den Vorgehensweisen der anderen („Wie machst du es?“)
Reguläre (Wir-Perspektive): Orientierung an interessanten Versuchen und gelungenen, bewährten, regulären Verhalten („Das machen wir ab.“)
2.3 Organisation des Unterrichts mit dem Dialogischen Lernmodell
Kernidee: Initiierung des Lehr-/Lernprozesses
Auftrag: Anstoß zur Auseinandersetzung mit einem fachlichen Inhalt
Lernjournal: Darstellung der fachbezogenen Handlungskompetenz
Rückmeldung: Entwicklungsorientierter Beurteilung
Zusammenspiel dieser Instrumente im Kreislauf
Leistungsbeurteilung
3. Dialogik als Erziehungsprinzip
Martin Buber (1878 – 1965)
Zeitliche Einordnung: Industrialisierung
Im Gegensatz zum Idealismus…:
• …betrachtete Buber den Menschen nicht unter dem Abstraktum des Geistes und der Vernunft, sondern in seinem konkreten ganzheitlichen Wesen.
Die Anthropologie des Dialogischen Prinzips
Die Mitmenschlichkeit ist das Zentral der Wesenheit eines Menschen
Dualistische Sichtweise: Zwiefältige Haltung des Menschen ist bedingt durch die Grundworte ICH-DU und ICH-ES
Grundworte beschreiben die Art des Umgangs, den der Mensch mit seiner Umwelt haben kann
Die Dialektik des menschlichen Daseins: Die Grundworte Ich-Du und Ich-Es
Grundwort: ICH-DU
Grundwort ICH-DU steht für die Welt der Beziehungen Zentral: Verbundenheit
unmittelbare Beziehung = Wirken am jeweiligen Gegenüber „Ich werde am Du“
Im Beziehungsvorgang sieht der Mensch sein Gegenüber losgelöst von dessen gesellschaftlicher Bedingtheit und akzeptiert in bedingungslos als Person
Der Mensch an sich wird erkannt Jeder Mensch ist ein einmaliges und einzigartiges Wesen
Grundwort: ICH-ES
Ich-Es steht für die Welt der Objekte Welt der Erfahrung
Ich-Es Welt = fragt nach der Beschaffenheit der Dinge, nach Ursache und Wirkung, OHNE sich selbst als Person in Beziehung zu diesen setzten zu müssen
Es-Welt = zuverlässig und berechenbar keine ständige Neuorientierung notwendig
Ohne ES kann der Mensch nicht leben. Aber wer mit ihm alleine lebt, ist nicht der Mensch.
Die Phänomene der ICH-DU-Beziehung
Unmittelbarkeit
Authentizität
Gegenwärtigkeit und Gegenseitigkeit einer Beziehung
Ontische Uranderheit
Ausschließlichkeit
Wenn alles diese Komponenten auftauchen = besonders intensives Wahrnehmen der anderen Vergegenwärtigung entsteht
Vergegenwärtigung bedeutet: nicht nur ein bloßes Anschauen, sondern beschreibt den Prozess des „Innewerden“ einer anderen Person in ihrer Ganzheit und ein gleichzeitiges Aufnehmen dessen „in die eigene Präsenz“.
Ziel: zum Kern des Menschen vordringen und diesen in dem soeben geschaffenen Bereich des Zwischenmenschlichen wirklich werden zu lassen
Das Dialogische
Das Dialogische selbst ist die Entfaltung des Zwischenmenschlichen
Im Bereich der Zwischenmenschlichkeit vollzieht sich der Vorgang den Buber mit der These „Der Mensch wird am DU zum ICH“ benennt
Der Mensch, der als von Grund auf ergänzungsbedürftig angenommen wird, erfährt hier eine Erweiterung und Förderung seiner Person, ohne dass seine Eigenständigkeit verloren geht
Akt der Vergegenwärtigung in Verbindung mit dialogischer Verantwortung
Verantworten: kein moralisches Postulat, sondern eine grundsätzliche Entscheidung, auf die „Anrede“ (artikuliert oder nonverbal), die einem Menschen wiederfährt, zu antworten
Aktualität und Latenz des Dialogischen
Augenblick der Vergegenwärtigung und Verantwortung ist nicht von Dauer
erhabene Schwermut: Rückfall von der DU-Welt in die ES-Welt
Wechsel von Aktualität und Latenz: Zeit des Übergangs des sich Ausruhens oder Sammelns und Bereitwerdens für ein neues dialogisches Verhältnis
„unterirdischen Dialog“, der in der Zeit der Latenz anhält
Urdistanz und Beziehung
Voraussetzung um mit einem Gegenüber in Beziehung zu treten: Abgrenzung der eignen Person gegenüber der Mit- und Umwelt
Diese Abgrenzung nennt Buber: Urdistanzierung
Urinstanz und Beziehung nennt Buber die „zwei Grundbewegungen des Menschen“
1. Bewegung: Mensch hebt sich gegen die Natur ab
2. Bewegung: beschreibt, wie er sich dem „abgerückten Zusammenhang des Seienden“ zuwendet und zu ihm in Beziehung tritt
Die drei Sphären der ICH-DU-Beziehung
1. Sphäre: Leben mit der Natur Pflanzen: Vorschwelle und Tiere: Schwelle zur Mutualität
2. Sphäre: Leben mit dem Menschen volle Mutualität
3. Sphäre: Leben mit den geistigen Wesenheiten Geistsphäre: Übermutualität
Erziehung und Bildung bei Martin Buber
Das Wesen der Erziehung und die Person des Erziehers
Wesen der Erziehers:
Erzieher nimmt bewusst das in sich auf, was er als vermittlungswürdig und wesentlich erachtet und nach der „Verarbeitung und Aufbereitung“ durch seine Person dem Zögling entgegenhält
Das Nahebringen: in Form eins Angebots und ohne konkrete pädagogische Intention
Selbsterziehung des Erziehers durch Interaktion mit dem Zögling = Steigerung seiner Selbsterkenntnis und Dialogfähigkeit
Ein Kind ist mit zwei Trieben ausgestattet
1. Dem Urhebertrieb:
Verlangen des Kindes einen Anteil am Werden der Dinge zu haben
Selbstständigkeit und Wunsch nach Abgrenzung des Selbst
Voraussetzung für die Erziehung
Notwendigkeit: Kind braucht Entfaltungsmöglichkeiten
↓
2.Trieb nach Verbundenheit
Das Ziel der Erziehung, die Personwerdung, liegt in der Erfüllung des Triebs nach Verbundenheit: „Denn nur am Du wächst und reift der Mensch“
Die Aufgabe der Erziehung
Die Aufgabe besteht darin, an der Ausbildung des Charakters des Zöglings dergestalt mitzuwirken, dass dieser zu einer Einheit des persönlichen Seins gelangt.
Inhaltliche Zielsetzung: gesellschaftlich gesetzte Normen und Maxime von der jeweiligen
Zeit abhängig
Überwindung von Individuum und Kollektiv durch die echte Charaktererziehung echte Erziehung zur Gemeinschaft
Wie erfüllt man diese Erziehungsaufgabe?
Buber: Es gibt nur einen Zugang zum Zögling dessen Vertrauen
Dialektik der Erziehung
Dem anderen Menschen dazu zu verhelfen, dass er sich verwirklichen kann
Hilfe zur Selbsthilfe oder Erziehung zur Selbstbestimmung
Ist der Mensch durch die Erziehung zu einem freien, autonomen Subjekt geworden, liegt es in seiner anthropologischen Bestimmung, dass er sich seine Umwelt und seine Mitmenschen zuwendet und die Gemeinschaft sucht
Dialektik:
Dialektik wird in der Vorstellung einer Gesellschaft überwunden, deren Mitglieder als Individuen in echter Gemeinschaft miteinander leben
Die Gemeinschaft wächst, ohne dass die einzelnen Mitglieder ihre Identität einbüßen
Das Element der Umfassung
Phänomen der Gegenseitigkeit gipfelt in dem Element der Umfassung
Umfassung oder Erfahrung der Gegenseite: bedeutet nicht nur eine volle Vergegenwärtigung eins Gegenübers, sondern bezeichnet die Erfahrung der gemeinsamen Situation von anderem Ende her, von der Gegenseite
Ist kein Einfühlen oder Hineinversetzen, sondern eine Erweiterung der subjektiven Struktur
Dialogisches Verhältnis zwischen Lehrer und Zögling
Ich-Du-Verhältnis ohne volle Mutualität
Umfassung der vollen Wirklichkeit zwar konkret, aber einseitige Umfassungserfahrung VOM LEHRER
Umfassung wird immer wieder ausgeübt Selbstkontrolle für Lehrer
Folge der Selbstkontrolle: Weiterentwicklung der Lehrerpersönlichkeit + Schüleranspruch kann gerecht entgegengenommen werden
Umfassung ermöglicht Selbstentdeckung des Lehrers: Am Du des Schülers lernt er seine eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten kennen
Zögling kann die Erfahrung der Umfassung nicht machen Unüberbrückbar
Erziehung bedeutet Askese
Wichtigkeit der Selbstkorrektur des Lehrers hinsichtlich seiner Triebe
Triebe des Erziehers: Eros
Erzieher will eigene Sehnsüchte im Umgang mit dem Zögling stillen Erzieher und Zögling als „gleichgestellte“ Partner Private Sphäre vermischt des Erziehers vermischt sich mit der Aufgabe des Erziehers Handlungen erfolgen nach Abneigung oder Zuneigung ABER: jeder ist es Wert gesehen und ver-antwortet
zu werden
Machtwille Erzieher will Zögling beherrschen und unterwerfen Machtgefälle zwischen Erzieher und Zögling
Erzieher muss diese Triebe erkennen durch Umfassung zurück zur realen Beziehung