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Dante

Date post: 09-Jan-2017
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K L E I N E B I B L I O T H E K D E S W I S S E N S

LUX-LESEBOGENNATUR- UND KULTU EK U N DLIC HE HEFTE

OTTO ZIERER

DER DICHTER

DER GOTTLICHEN KOMÖDIE

VERLAG SEBASTIAN LUX

MURNAU • MÜNCHEN . INNSBRUCK . BASEL

Der Himmel über Italien strahlt in grünlichem Schein und jstvon rötlichem Gewölk überflammt, das der Fallwind vom Meerheranträgt. Roter Regen ist niedergestürzt, wie Blut, und dieMenschen blicken erschreckt zum Firmament empor, als erwartetensie, daß sich die Tore der Ewigkeit öffneten, um den Weltenrichtermit seinen feurigen Heerscharen hervortreten zu lassen. Die Zeitist aufgestört und wie aus den Angeln gehoben. Unerhörtes ist ge­schehen. Eine Untergangsstimmung verbreitet sich, als blicke dieMenschheit über eine Landschaft voller Gefahren und Schrecknissehin. Eine große Wende kündigt sich an.

Es sind die sechziger Jahre des 13. Jahrhunderts . . . Nach dem Sturz der Hohenstauferkaiser wüten die zurückge­

lassenen kaiserlichen Statthalter im italischen Lande. Die schreck­lichsten aber sind die beiden Brüder Alberich, Herr über Treviso,und Ezzelin, Herr von Verona.

Bürger, die nach dem Untergang der Kaiserherrlichkeit die Frei­heit für ihre Städte fordern, werden gehenkt und ihre Frauen undTöchter in die Wildnis hinausgejagt. Reiterscharen donnern überallüber die Wege» und Stege, ein großes Morden und Brennen gehtüber das stöhnende Land, und das Volk singt Lieder, wie jenes,das der fromme Chronist Salimbene von Parma aufgezeichnet hat :

„Oh siehe Herr,Das Elend groß und schwer 1 Du sollst unsere Stütze sein,Du sollst uns nütze sein!Siehe, die sich quälen,Deiner Gnad' empfehlenIhre armen Seelen!"

Der gleiche Geschichtsschreiber berichtet, „daß zu jener Zeit inItalien ein gewaltiges Peststerben von Frauen und Männernherrschte .. . Das Unheil begann in der Woche nach Ostern, so daßin der ganzen Provinz Bologna die Bettelmönche den Gottesdienstam Palmsonntag nicht abhalten konnten . . . In Mailand starben an

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jener Seuche viele Tausende, und ebenso viele Tausende starben zuFlorenz; und man läutete die Glocken nicht, um die zahllosen Kran­ken nicht zu erschreckein . . . "

Zieht das Weitende! herauf?Die verzweifelte Erregung der Massen bricht alle Grenzen nieder.Auf den Straßen Oberitaliens tauchen Scharen von Büßern auf.

Ritter und gewöhnliches Volk ziehen, in schwarze Mäntel gehüllt,singend und betend einher und erflehen unter harten Bußübungenund Gcisselungen Gottes Vergebung und Gnade.

„Man schließt Friede, die Menschen geben sich geraubtes Gutzurück, sie beichten ihre Sünden so eifrig, daß die Priester kaumZeit zum Essen haben; und aus ihrem Munde strömt GottesStimme . . ." , so heißt es in einem zeitgenössischen Bericht.

Aber die Herren der Burgen, die Kapitäne der eisengepanzertenHorden und die Häupter der Parteien werden nicht erreicht vomNotruf der Menschen. Sie führen ihren tausendfältigen Krieg umMacht und Reichtum weiter. Zerrissen sind die Städte, verfeindetbleiben die Grafschaften, überall hängt Brandgewölk unter demverzauberten Himmel des Südens.

In den schwülen Nächten gleitet lautlos ein Kometstern übersFirmament; ihm folgt ein feuriger Schweif wie eine ZuchtruteGottes. Das Volk liegt verängstigt auf den Knieen und stammelt in­brünstig Gebete; Unholde aber verfluchen Gott und die Menschheit.

*

In diesen Jahren weilt Raymundus Lullus, Abkömmling einervornehmen Familie aus Mallorca, einstiger Seneschall der rit ter­lichen Könige von Mallorca und Hofherr des Königs von Aragon, immohammedanischen Tunis, um mit den Gelehrten des Islam reli­giöse und wissenschaftliche Gespräche zu führen. Visionen habenden einstigen Weltmann veranlaßt, sein Leben dem Studium unddem Dienste Christi zu weihen. Er gedenkt auf der Ebene des Gei­stes zu vollenden, was die Kreuzfahrer mit den Waffen versuchthaben: die Welt des Islam von der Wahrheit der christlichen Lehrezu überzeugen.

Raymundus Lullus ist ein Mensch mit vielfältigsten Interessen:Er beschäftigt sich ebenso mit wissenschaftlichen Fragen wie mitden geheimnisvollen Dingen des religiösen Lebens, mit Sprach­studien wie mit den Rätseln, die die Welt aufgibt. Er lehrt, daß ^ e r ­suche und Erfindungen die Wissenschaft der Zukunft begründen

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müssen'; mit Feuereifer forscht er den Geheimnissen der Naturnach.

In Tunis erörtert Raymundus Lullus mit den Professoren derMoscheeschule die Sinnbildhaftigkeit der Zahlen.

Haben nicht schon die Gelehrten Babylons darauf hingewiesen,daß die Zahl drei Himmel, Erde und Unterwelt bedeutet, daß dieheilige Zahl sieben, Abbild der sieben (damals bekannten") Planeten,sich in der Siebenzahl der Wochentage, der Grundtöne, der Grund­farben, der Hauptgötter, der Hauptmetalle, der Saiten der Lyrawnd der sieben Stufen des Babylonischen Turmes wiederspiegelt?Und haben die Griechen und andere Kulturvölker nicht diese Be­deutung übernommen? Apoll war der Gott mit der ,siebensaitigenLeier', altgriechische Denker spielten in ihren Geheimlehren mitden heiligen Zahlen drei und sieben, die jüdischen Schriften er­zählten von den sieben Schöpfungstagen, altchristliche Gelehrteerklärten das All aus der Dreizahl, Himmel, Hölle und Erde unddeuteten an, daß die Schöpfung ein Abbild der Dreieinigkeit sei.Der Prophet Mohammed sprach von den sieben Himmeln, in derenhöchstem die Seligen verweilten.

Auch in manchen Anschauungen und Einrichtungen der mittel­alterlichen Kirche und im Volksglauben ist diese Zahlendeutungerhalten geblieben. Zu der heiligen Sieben trat das drei mal drei,die höchste Steigerung des Dreiklangs, die Erhöhung der Sieben zuden neun Sphären, die sich über dem Erdenrund wölben.

*

In den gleichen Tagen und Wochen, da Raymundus Lullus mitden Gelehrten der Sarazenen zu Tunis wissenschaftliche Gesprächeführt, malt in Florenz der Maler Cimabue Madonnen und Engel ineiner neuen Weise, wie er sie bei den Byzantinern in Konstanti­nopel gesehen hat ; es ist ein Stil, der dem Lebensgefühl dieser ern­sten, bedrohten Zeit Ausdruck verleiht.

Nicht der Künstler ist wichtig, auch nicht die Dbereinstimmungdes Gemalten mit der Wirklichkeit. Das, was Aufgabe der Künstein jenen Tagen ist, heißt Überwindung des Weltlichen und Hinlei­tung in die einzig sichere Zukunft der Seelen: ins Jenseits. Mit er­hobenen Gebärden, mit dem Blick aus dem Bild heraus in eine an­greifbare Ferne, die Engelschöre flächig angeordnet, so schafftCimabue geheimnisumwitterte Madonnen. Der Raum ringsum unddie genaue Wiedergabe der Körper sind nebensächlich, wichtigbleibt einzig die tiefe, religiöse Aussage des Kunstwerkes.

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Dante, nach einem Gemälde seines Freundes Giotto

Jede Farbe, jede Geste, jedes Größenverhältnis bedeutet etwasund berichtet in einer abstrakten, sinnbildhaften Sprache eine tief­gründige Wahrheit. Blau spricht von Treue, Gelb von Leidenschaftoder Haß, Rot von Liebe, Grün von Hoffnung, und der Goldgrunddes Gemäldes sagt aus über die Tiefen der Ewigkeit. Die innere Be­deutung der dargestellten Figuren aber wird durch ihr Größenver­hältnis ausgedrückt. Baum, Strauch, Tier und Landschaft, ja auchder Mensch — all das hat kein Gewicht vor dem, Was allein *zuGott hinführt: dem Gebet, dem in Farben und Formen Ausdruckgegeben wird.

So malt Meister Cimabue in seiner stillen, umgrenzten Floren­tiner Werkstatt, während seine Umwelt voller Unruhe ist. Er istbiederer Handwerker unter Handwerkern, und er bekommt zehnSoldi als Taglohn, solange er für einen frommen Auftraggeber einBild schafft. Und er gehört zur Zunft der Maler, Vergolder undBildhauer, die Sankt Markus auf ihrem Banner trägt.

Es gibt in diesen Tagen einundzwanzig ,Gewerke' oder Zünfte zu IFlorenz. In ihnen haben sich die Gewerbetreibenden je nach ver- Iwandten Tätigkeiten und Interessen zusammengeschlossen, sie ver- f treten gemeinsam ihre Anliegen und unterstützen sich im hartenDaseinskampf; denn der Biß der Zeit geht mitten durch die Stadt; Idie Zünfte ringen seit Jahrzehnten mit den adeligen Stadtherren — f den Häuptern der ,Geschlechter' — um das politische Mitbestim- J mungsrecht, das dem gewöhnlichen Volke verweigert wird.

Die Zünfte zu Florenz sind ,guelfisch' gesonnen.Seit der Zeit Karls des Großen werden die deutschen Könige, I

sobald sie zu Kaisern des Abendlandes gekrönt sind, zu Ober- und | Schutzherren auch über die italischen Lande. Die Partei der I,Guelfen' ist von jeher Widersacher der kaiserlichen Herrschaft in IItalien gewesen. Mit den Päpsten wünscht und erstrebt sie die Un­abhängigkeit von kaiserlicher Gewalt. Sie stützt sich auf den Frei- Iheitsdrang der Bürger und des niederen Volkes, während die Parteider ,Ghibellinen' — die Kaiserlichen — auf die deutschen Statt­halter und auf die ganze kaiserliche Reichs- und Lebensordnungeingeschworen ist und vor allem in den Adelsgeschlechtern ihrenRückhalt findet. Der Adel von Florenz ist darum überwiegend ghi-bellinisch eingestellt und lehnt sieh an die altüberkommene Sozial­ordnung, nach der ein Herr ein Herr und ein Scharwerker lein « Scharwerker bleibt.

Die Kluft ist tief und unüberbrückbar. Oft ziehen die Zunft­banner wider die Wappenfahnen der ritterlichen Geschlechter. Die

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Madonnen Meister Cimabues werden unterm Lärm der rebellieren­den Gassen, unter fernem Waffenklirren und dem empörten Auf­schrei der hin- und herwogenden Volksmassen gemalt. Doch siethronen hoheitsvoll und weltentrückt inmitten grün- und rotbefie­derter Engelsscharen auf goldenem, geheimnisschwerem Grunde . . .

*

In diesen Tagen zieht der König von Frankreich, Ludwig IX.,der Heilige, mit seinem ritterlichen Hofstaat von Schloß Blois nachChartres, um einen neuen Kreuzzug wider die Sarazenen von Tuniszu verkünden.

In der bischöflichen Stadt Chartres ist eben di« n«ue Kathedralevollendet worden: ein kühnes, zartgliedriges Bauwerk aus steiner­nen Kraftlinien, Schwibbogen, Strebepfeilern, Rosetten und Kreuz­blumen, ein schmales, hohes Schiff aus behauenem Stein. An derFassade stehen mit Rüstungen, faltenreichen Gewändern und denZeichen ihrer Würde Heilige, Könige und Helden wie ein stummerChor, der als Wächter vor Gottes Thron bestellt ist; steinerne Be-krönungen und Spitzen steigen gleich Flammen zum schweigendenHimmel empor, Ausdruck der Ewigkeitssehnsucht der mittelalter­lichen Menschheit.

Das steile Kirchenschiff dämmert im bunten Schein der farbigenFenster, und Tausende drängen zu den Portalen, unter denen dieköniglichen Herolde die Trompeten blasen.

Der Wappenherold von Frankreich und seine Knappen umstehenschützend den Wald wehender Banner, die der Hochadel Frank­reichs und der Normandie herangeführt hat.

Damen mit spitzen Hauben und wehenden Schleiern, Herren ingeflammten Strumpfhosen und samtenen Wämsern, mit federge­schmückten Baretten und klirrenden Wehrgehenken schreiten nebenBauern, Bürgern und Werkleuten zur Kathedrale; Prozessionen derhohen Geistlichkeit ziehen, umwölkt von Weihrauch, umklingeltvon den Schellen der Ministranten, unter goldgestickten Traghim­meln zu den Altären.

Man sieht Ritter aus den fernen spanischen Königsreichen, undsie erzählen von den Kreuzfahrten ihrer christlichen Könige widerdie Mauren von Sevilla, Cordoba und von dem neuesten Sieg der

; abendländischen Waffen.Dem König und seinen Paladinen wird das Banner Frankreichs,

das fünfzipflige Feldzeichen aus roter Seide mit grünen Quasten angoldenem Schaft, vorangetragen.

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Die Ritter und Grafen, die Bischöfe und Äbte rufen Ludwig einbrausendes ,Noel!' entgegen, duftender Rauch von Myrrhen steigtin die Kreuzgewölbe empor. Dann spricht der alte Kreuzfahrervom großen Traum seines Lebens, der zugleich der Traum seinesVolkes ist: die Wiederherstellung der allumfassenden Christenheit,die Ausbreitung des Gotteswortes über die unbekannte, im Dämmer­schein der Ferne liegende Erdscheibe, der Zug wider die Heiden,die mit ihren Raubfahrten das Mittelmeer beunruhigen.

Und Frankreich antwortet mit einem feierlichen ,Tedeum!', mitZustimmung und Gelöbnis; denn dieses Frankreich ist endlich freizu großen Taten. Ein jahrhundertealter Druck ist von ihm ge­nommen. Frankreich hat sich mit dem englischen König verständigt;das Deutsche Reich aber, der Alpdruck Frankreichs noch vor einemJahrzehnt, ist mit seinen eigenen Nöten vollauf beschäftigt, seit­dem die Kaiserherrlichkeit der Hohenstaufen dahingesunken ist.

Jetzt aber bricht das Frankreich der Kathedralen, der gelehrtenSchulen und der kühnen Schlösser auf ins große Abenteuer einerletzten Kreuzfahrt.

Niemand ahnt, daß dieser Aufbruch gegen Tunis für den König,den heiligen Ludwig, und Tausende seiner Tapferen die Fahrt inden Tod werden wird.

Um die gleiche Zeit schreibt der Ritter Ulrich von Lichtensteinauf seiner Burg in der Steiermark an einem Buche in höfischeinVersen und in einer Gesinnung, in der nicht mehr die Natürlichkeiteines Walther von der Vogelweide, nicht mehr die Geistestiefeeines Wolfram von Eschenbach und nicht mehr die Sprachgewalleines Hartmann von Aue lebendig ist.

Das deutsche Rittertum ist von seinen stolzen Höhen herabge­stiegen, es ist mit den Hohenstaufer-Kaisern in den Abgrund hinab­gestürzt. Aus Minnesängern sind Bänkelsänger, aus Kreuzfahrernvielfach Strauchdiebe, aus kaiserlichen Dienstmannen oftmals Raub­ritter geworden.

Während der Bürger allenthalben in Samt und Seide einhergehtund durch den Italienhandel reich wird, haust der Rittersmann ver­loren auf einsamer Burg; er brandschatzt die fahrenden Kaufleute,wenn er teilhaben will am neuen Aufschwung einer Welt, die mitGeld und Wechseln rechnet.

Zwar gibt es Ritter wie Neidhart von Reuenthal, die vom Schloß-

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Der lorbeergekränte Dants (Bild im Dom von Florenz)

berg herabsteigen, um mit den Dörflern zu tanzen und unter derLinde zu singen. Aber auch sie sind entwurzelt und der eigentlichenRitteraufgabe beraubt.

Was soll der deutsche Edelmann noch, der Wappenträger, da eskeine Kreuzfahrten mehr gibt, da kein Kaiser mehr ist, der genItalien oder nach Ostland fährt! Es gibt keine neuen Lehen mehrfür nachgeborene Söhne, keine Burgen und Städte mehr zu gewin­nen, keine kaiserliehen Zollbrücken, Zollwege oder Salzrechte zuerringen, keine Stelle als Burg- oder Stadtvogt in italischem Landezu erwerben — der Kaiser ist tot oder sitzt träumend im Unters­berg oder im Kyffhäuser, und die Raben kreisen um das Grab dergroßen Vergangenheit.

Der Kaiser — der letzte Hohenstaufe — ist gefallen im fernenSüdland. Der Ritter ist ohne Ziel und Zweck, Ritterschaft ist sinn­los geworden, die Fürsten haben Reich und Länder in wüster Eifer­sucht zerrissen. Das Reich der Deutschen hat aufgehört, eine Machtzu sein.

Es ist die kaiserlose, die schreckliche Zeit. Faustrecht regiert,Ftmebünde gespenstern im Reich, die Städte schließen sich zureigenen Sicherheit zu rheinischen, schwäbischen oder hansischenBünden zusammen und bilden Reiche im Reich; die Landesfürstendrücken langsam und sicher die Reste alter Volksfreiheit hinab:die der Bauern und die der Ritter. Nur der Bürger gedeiht. Es isteine Zeit, die das Ende der Dinge anzukündigen scheint, in Deutsch­land und in Italien . . .

*

Um diese Zeit kommt der „Doktor Angelicus", Thomas vonAquin, der hochberühmte Philosoph und Theologe in die Stadt Pisa,um zu lehren. Vor Jahren hat Papst Urban IV. ihn von der Univer­sität Paris nach Italien berufen und Thomas hat einige Zeit in Romund Bologna seine vielbesuchten Vorlesungen gehalten.

Aber nun weilt er in der reichen Hafenstadt Pisa, um aus seinemneuen großen Werk, der ,Summa contra gentiles' — einer Verteidi­gung des Christentums gegen die Angriffe der arabischen Gelehrten— vorzutragen.

Während sich die Bänke in dem gewaltigen Rundbau der PisanerTaufkirche mit Studenten und Professoren, Geistlichen undBürgers-s<Shnen füllen, besteigt Thomas auf den Marmorstufen die neueKanzel, die eben von Meister Pisanos Hand vollendet worden ist.

Diese Kanzel unter der kegelförmig- ansteigenden Kuppel ist das

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erste steingehauene Werk, das in der Stilart des antiken Rom ge­staltet worden ist. über neun Säulen, von denen sich einige aufsteinernen Löwen erheben, steigt die sechseckige Brüstung auf, anderen Ecken symbolische Gestalten der Tugenden, der Evangelistenund Propheten stehen. Herrliche, antik anmutende Bilderfolgen um­ziehen den Kranz der Kanzel.

Von dort oben spricht Thomas von Aquin, er verkündet die Zu­sammenfassung aller antiken und christlichen Weisheit: das höchsteZiel alles menschlichen Strebens und aller menschlichen Ordnungsei Gott und die Harmonie zwischen der wissenschaftlichen Weltund der Glaubenslehre.

Und er spricht: „Der menschlichen Seele Ziel und äußerste Voll­endung ist: erkennend und liebend die ganze Ordnung der ge­schaffenen Dinge zu durchschreiten und vorzudringen zum erstenund letzten Urgrund, welcher Gott ist ."

Nicht die Erhöhung des Lebensgenusses, nicht Geld und nichtMacht vermögen das Menschenherz zu befriedigen, sondern einzigdie Liebe, die in Gott ruht.

Der ,engelsgleiche Gelehrte', der mit feuriger Zunge redende Kün­der einer religiösen Erneuerung, faßt sein Gottbekenntnis in das Wortzusammen: „Letztes Glück und höchste Glückseligkeit jedwedengeistbegabten Wesens ist, Gott zu erkennen!"

Denn dies sei der tiefste Sinn der aufgewühlten, widerspruchs­vollen, vielfältigen und vom Leid zerwühlten Zeit: sich um Gottund die Ewigkeit zu mühen und sich in seine Liebe zu flüchten . . .

*

In diesem gleichen Jahre, und zwar am 30. Mai 1265, wird demRechtsgelehrten Alighieri und seiner Gattin Bella auf dem ihnengehörigen Landsitz vor den Toren von Florenz ein Sohn geboren,den sie Durante oder Dante taufen lassen.

Die Mutter, die bald nach der Geburt ihres Sohnes gestorben ist,soll kurz vor ihrem Tode von einem Traum berichtet haben, in demihr der kleine Dante erschienen sei; sie habe den Knaben untereinem Lorbeerbaum gesehen, wie er sich von den herabfallendenBlättern ernährte und sich allmählich in einen Pfau verwandelte,der schließlich der Sonne entgegenflog.

Die Ammen und Gevatterinnen weissagen aus solchen Gründendem kleinen Halbwaisen eine ruhmreiche Zukunft.

Die Familie der Alighieri hat früher „Aldiger" geheißen undleitet ihren Stammbaum von der Familie eines ritterlichen deutschen

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Gefolgsmannes ab, der mit einem der Kaiser ins Heilige Land ge­zogen und später in Italien geblieben ist. ,Aldiger', das bedeutet so­viel wie ,Speerschüttler', in der englischen Sprache entspricht ihmdas Wort Shakespeare. Trotzdem sind die Alighieri keine großenKriegsleute geworden, sondern haben sich einige kleine Gütehenbei und in Florenz erworben. Sie leben in der Stadt zwar in be­scheidenen Verhältnissen, doch in der sicheren Achtung ihrer Mit­bürger. Mächtige Verwandte des Rechtsberaters Alighieri, unterihnen der Vetter Corso Donati, sitzen im Rate der Stadt und schwö­ren auf die Partei der Guelfen, die hier in Florenz auch „Ner i " ,die ,Schwarzen' genannt werden, während man ihre Gegner, diekaiserlich gesinnten Ghibellinen als „Bianchi", die ,Weißen', be­zeichnet. Vater Alighieri gehört der Partei der ,Neri', der ,Schwar-zen' an. I

*

Damals, als der Knabe Dante Alighieri noch kein Jahr zählte, istin Florenz bekannt geworden, daß der letzte direkte Abkömmlingdes großen Kaisers Friedrich IL, König Manfred der Hohenstaufe,in der Schlacht bei Renevent Reich und Leben verloren habe. Dasgeschah am 26. Februar 1266. überal l sind in Italien die Macht­stellungen dier Ghibellinen zusammengebrochen. In Florenz wirdder kaiserliche Stadtvogt verjagt. Der Rat ersucht um die Unter­stützung des Franzosen Karl von Anjou, der zu Ostern 1267 acht­hundert französische Reiter den Guelfen von Florenz zu Hilfesendet.

Die Ghibellinen der Stadt flüchten nach Siena oder Pisa, diePartei der ,Schwarzen' triumphiert.

Wieder klirren die Waffen, wieder sind die Nächte aufgestörtdurch das Klappern galoppierender Rosse und den Schrei kämp­fender Männer. Die Stadt ist in Gärung, die Zünfte, der Adel, diegroßen Familien hausen wie hinter Festungen in ihren Stadthäusern.„Nicht nur e i n e Feindschaft t rübt den Frieden der Stadt, sondernmehrere, denn da ist Haß zwischen Volk und Adel, zwischen Guel­fen und Ghibellinen, zwischen Weißen und Schwarzen". Einer dergewalttätigsten Guelfen ist Gorso Donati — der berühmte Vetter derAlighieri: „Er ist der Urheber vieler Mißhelligkeiten und Neuerun­gen, an ihn wenden sich alle, die etwas Ungewohntes planen. Trotzseiner Gewalttätigkeit und Ruchlosigkeit ist Gorso Donati aber beimgemeinen Volk sehr beliebt".

Solche Gegensätzlichkeiten umschließen die Mauern eines auf­blühenden Stadtstaates, der immerhin mächtig genug ist, aus seinen

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Stadtvierteln 30000 Bewaffnete, und aus den zinspflichtigen Ge­meinden der Umgebung weitere 70000 zu stellen. Die engen Gäß-chen, die finsteren, burgartigen Paläste der Geschlechter, das Ge-winkel der Fachwerkbauten am Arnoufer, wo die Färber und dieWollwirker, die Walker und die Weber hausen, sind ein einzigerüberhitzter Kessel von Leidenschaften und Parteiungen.

Der kleine Dante lebt gleich tausend anderen Kindern inmittendieses Treibens, er spielt vor den Toren oder drüben auf den Auenjenseits der Brücken, er weilt oft im Bergkloster San Miniato oderim Nachbardorfe Fiesole bei den Mönchen. Seine älteren Kameradenzeigen ihm die Stelle, an der vor einem Jahrzehnt nach der für dieGhibellinen siegreichen Schlacht der edle Ghibelline Farinata dieRatsherren des besiegten Florenz empfangen und dem Verlangenseiner Freunde widerstanden hat, als sie verlangten, daß die Guel-fenstadt dem Erdboden gleichgemacht werden müsse.

Und Dantes Herz entzündet sich an den Bildern der Stadtge­schichte, es begeistert sich für ritterliche Taten und ritterlicheGesinnung.

Als er noch nicht acht Jahre alt ist, werden die verbannten Ghi­bellinen durch Beschluß der Bürgerschaft zurückgerufen und er­halten ihre beschlagnahmten Güter wieder. Die täglichen Über­griffe haben die Zünfte veranlaßt, die Angehörigen der Opposi­tion in die Stadt zurückzurufen, um in ihnen ein Gegengewichtgegen die Gewalttäter zu haben. Aber die Streitigkeiten lassen auchjetzt nicht nach. Allenthalben sieht man bewaffnete Adelsgefolgemit weißen oder schwarzen Barettfedern, schwarzen oder weißenUmhängen. Die Entzweiung geht so weit, daß ein Parteigänger derSchwarzen die Zwiebel von der Spitze abwärts schält, während einWeißer beim breiten Teil zu schälen beginnt. Die Guelfen bauenstumpfe Zacken auf ihre Wehrmauern, die Ghibellinen aber krönenihre Wehrgänge mit Doppelspitzen in Form eines M.

Da Dantes Vater ein zweites Mal geheiratet hat und weder ernoch die Stiefmutter Lapa sich besondere Mühe mit dem Knabenmachen, ihn auch nicht auf eine gelehrte Schule schicken, wählt ersich selber seine Lehrer. Mit Begierde liest er die Schriften desFlorentiners Brunnetto Latini, der vor dem Auge und der Phantasiedes Knaben ein Gewirr von rätselhaften und märchenhaften Vor­stellungen über die Geographie der Welt und den Bau des Allsausbreitet.

Der Knabe Dante träumt seiner künftigen Bestimmung entgegen,während die Gassen vom Bürgerstreit widerhallen.

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Die heilige Zahl neun — die Zahl, die aus drei mal drei entstehtund die nach dem Glauben der Zeit der Zahl der Himmelssphärenentspricht — beginnt eine merkwürdige Rolle in Dante AlighierisLeben zu spielen, obwohl es sieb nur um Zufall handelt.

Als er 9 Jahre alt ist, erfaßt ihn zum ersten Male die Zauberge­walt einer frühen Liebe, die sein künftiges Dasein durchdringenwird. Mit 18 schreibt er seine ersten Verse, mit 27 Jahren tri t t «erin die Politik ein, mit 36 wird er verbannt, in seinem 45. J a h rkommt der Träger all seiner Sehnsucht — der neue Kaiser — nachItalien, und mit 54 Jahren wird er sein Lebenswerk vollendet ha­ben, die ,Göttliche Komödie'.

Neun Jahre ist Dante alt, als der reiche Florentiner Folco Por-tinari die Nachbarn und Freunde in sein Haus mit dem kleinen,blühenden Gürtchen einlädt. Auch Dantes Vater ist dabei, und alleFamilien bringen die Kinder mit. Auf diesem Frühlingsfest begeg­net der Knabe Dante zum erstenmal Beatrice, der Tochter Portinaris.

„Sie ist ein äußerlich anmutiges und sehr hübsches Mädchenvon artiger und sehr einnehmender Wesensart und für ihrAlter ernst und vernünftig. Sie hat zarte Gesichtszüge undist von sehr ebenmäßiger Schönheit und besitzt dazu einenbezaubernden Liebreiz, daß man sie fast für einen Engelhalten muß" .

Wie eine Offenbarung erlebt der seit dem Tode der Mutter ver­einsamte Knabe diese Begegnung mit dem zarten Wesen, dem sofortall seine Zuneigung gehört. Beide sind Kinder — auch Beatrice zähltkaum neun Jahre; ab«r auf einmal fühlt der Knabe seine Einsam­keit nicht mehr. Immer wenn er kann, „entlief er, um sie heimlichwiederzusehen".

Wenn Dante Alighieri später über das Glück seines Knabcner-lebnisses nachsinnt, weiß er, daß ihm daraus vieles Edle zuge­strömt, daß seine spätere Entwicklung stark von diesem Kindheits­geschehen bestimmt worden ist.

Seit dem Frühlingsfest im Laubengarten der Portinari trägt derjunge Dante Beatrice im Herzen. Seit der Vater eine zweite Fraugenommen und jüngere Geschwister nachgekommen sind, hat manDante in die Rolle des vernünftigeren Älteren gedrängt. Er ist dasVorbild. Die Liebe aber fehlt ihm noch immer. Die innere Heimat­losigkeit verstärkt in immer wachsendem Maße seine Sehnsuchtnach Beatrice.

*

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Als er heranwächst, verträumt, von Einsamkeit gequält unddurch Selbststudium sich weiterbildend, entdeckt der Knabe undwerdende Jüngling das Zauberreich der Dichter. Aus Südfrankreichdringen damals viele Lieder ins Florentiner Land herüber, und indieser Zeit äußerer Bedrängnisse flüchten die Menschen gerne insReich der Poesie.

Die melodischen Strophen der fremden Sänger und Dichter be­flügeln auch die Phantasie des jungen Dante. Rohheit und Wildheitdes streitdnrchtobten Alltags haben keinen Platz in den Versen dieserDichter. Das Irdische erhebt sich zum überirdischen, zum Reicherhabener Gedanken und unbeschreiblicher Schönheit.

Die ritterlichen Sänger — man nennt sie die Troubadoure — hul­digen in zärtlichen Worten den Frauen, sie veredeln die irdischeLiebe und wenden ihre Blicke dem höchsten Vorbild zu: der Got­tesmutter. Die ins Geistige gesteigerte Liebe — von der auch Tho­mas von Aquin spricht — ist das Thema der schönsten Dichtungender Zeit.

Die Begegnung mit dieser Dichtkunst verwandelt Dantes ein­sames Herz. In fiebernden Nächten, in Stunden tiefster Not undhöchsten Glückes gibt er seinem Sehnen in Versen Ausdruck.

Er schreibt in der Sprache des Volkes, die man ,Volgare', Ge­meinsprache, nennt. Jahrhundertelang sind Italiener, Franzosen,Spanier oder Portugiesen überzeugt gewesen, daß sie noch immerLatein, wenn auch ein derbes Latein, sprächen. Latein, die Sprach«des römischen Weltreichs, hat sich indes in den einzelnen Land­schaften abgewandelt, ist zu Neulatein und endlich zu Französisch,Spanisch, Portugiesisch oder Rumänisch geworden. In Italien hatsich das volkstümliche Latein mit germanischen Zutaten zu derUmgangssprache dem eigenartigen ,Volgare' entwickelt. Die Gelehr­ten des Jahrhunderts halten jedoch noch immer am klassischenLatein — an der „Grammatiksprache" fest. Fast alle bedeutendenWerke und Dichtungen Italiens sind deshalb in einem Latein ver­faßt, wie es der große Römer Cicero geschrieben hat.

So gibt es eigentlich drei Sprachen, zwischen denen der jungeDante hin- und herschwankt: das klassische Latein, dann die Spra­che der südfranzösischen Dichtung, mit der er sich beschäftigt,und das italienische ,Volgare', wie es in Florenz und im Florenti­ner Land gesprochen wird. Als ganz junger Mensch schreibt Danteeinmal ein Lied mit drei Strophen, von denen jede Strophe in einerdieser drei Sprachen verfaßt ist.

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Dann aber entscheidet er sich für das ,Volgare' und wird unbe­wußt zum Begründer der eigentlichen italienischen Dichtungssprache.

Italien wird aufgestört durch die Kunde von einem Gemetzel,das der sizilianische Adel unter der französischen Besatzung jmJahre 1282 anrichtet. Die Übermacht der Franzosen gerät ins Wan­ken, die Sache der mit ihnen verbündeten guelfischen Partei scheintschlecht zu stehen. In Florenz rühr t sich wieder die ghibillinischePartei des Adels. Erneut sind Fehden von Haus zu Haus und Stras-senkämpfe an der Tagesordnung. Als aber die bürgerlichen Zünftedie Banner entrollen und vor die Adelsburgen rücken, zwingen siedem Staate Florenz eine neue, demokratischere Verfassung auf.

Fortan wählen die einundzwanzig Zünfte ihre Vorsteher, die,Prioren', die den Titel ,Signori', Herren, erhalten und zur ,Sig-noria' — dem Rate — zusammentreten. Der höchste Beamte derStadtrepublick wird aus der Signoria erkürt, er trägt den Titel,Gonfalonieri di Giustitia' — Bannerträger der Gerechtigkeit; ihmzur Seite stehen die Hauptleute der bewaffneten Zunfteinheiten.Will ein Adeliger der Signoria angehören, so muß er erst in einader Zünfte eintreten.

In dieser Zeit erreicht Dante Alighieri sein achtzehntes Jahr.Bei einem Fest der Florentiner Jugend begegnet er abermals derengelsschönen Beatrice, und das Mädchen zeichnet ihn durch Über­reichung eines Blütenkranzes aus.

Entflammt zu neuer Inbrunst schreibt Dante sein erstes Sonett.Er schildert darin einen Traum und schickt die Strophen mit derBitte um Deutung den berühmtesten zeitgenössischen Dichtern Ita­liens. Viele antworten ihm in wohlgesetzten Versen; aus dem Brief­wechsel entwickelt sich eine Herzensfreundschaft mit dem bereitsberühmt gewordenen Dichter Guido Cavalcanti aus Florenz.

Beatrice ist für den jungen Dante keine Geliebte im herkömm­lichen Sinn, sie wird ihm zum Ideal, zur Verkörperung alles Ho­hen, Edlen und Verehrungswürdigen, zum irdischen Spiegelbildder Madonna.

Und doch bereitet es ihm unendlichen Schmerz, als die Schönedem Ritter Simone dei Bardi die Hand zur Ehe reicht. Als Jugend­freund der Braut wird auch Dante zur Hochzeit geladen. Grausamund doch unvergeßlich ist das Wiedersehen mit Beatrice inmittender Hochzeitsgäste. Dante wird bleich, halb ohnmächtig sinkt ergegen eine Wand, als er Beatrices Blick auf sich gerichtet sieht.Unter dem spöttischen Gelächter der jungen Mädchen führt ihneiner der Freunde aus dem Saale.

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Das bekannteste Dante-Bildnis: Bronzebüste aus dem 15. Jahrhundert

„Als er sich etwas gefaßt hat, die erstorbenen Geister wie­der aufgelebt sind, sagt er dem Freunde: Mein Fuß stand anjener Schwelle des Lebens, über die keiner hinausgehenkann, der wiederkehren will . . ."

Vier Jahre später stirbt Beatrice während einer Epidemie, dieFlorenz heimsucht. Aber unverrückbar, erhaben über Zeit undAlter, in ewiger Jugendschönheit schwebt weiterhin Beatrices Stern­bild am Himmel des Poeten, als ein Ideal, als ein Traum . . .

*

Dieses achtzehnte Jahr seines Lebens entscheidet viel für DanteAlighieri. Mit seiner ungestillten S:hnsucht und seinen hohen Ge­danken erfüllt er ein erstes, geschlossenes Dichtwerk. Er beginntdie ,Vita Nuova', das Buch vom ,Neuen Leben' — halb Roman,halb Tagebuch; wie eine Tragödie wirkt die ,Vita nuova' noch heuteauf den Leser.

Die kleine Prosadichtung, in die sich zahlreiche Verse ein-flechten, schildert Dantes Liebe zu Beatrice. Niemals vordem istdie reine Hinneigung eines Jünglings zu einem Mädchen, das Er­wachen zweier junger Menschenkinder hinreißender dargestelltworden als in diesem mit Herzblut geschriebenen Buch. Der früheTod Beatrices, der die ,Vita nuova' abschließt, ist als erhebender,ins verklärte Jenseits hinüberreichender Schluß geschildert.

Kaum hat der Jüngling Dante die Tragödie abgeschlossen, als erden gewaltigen Plan zu einer ,Komödie' entwirft, die die Geschichtevon Dante und Beatrice vollenden soll. Aber er will von seinemIdealbild erst wieder sprechen, wenn er würdiger von ihr zu be­richten imstande ist.

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In seinem 27. Jahr , Anno 1292, heiratet Dante Alighieri GemmaDonati, eine Jungfrau aus guelfischem Geschlecht, und er ver­stärkt damit die Bindung zu Gorso Donati, dem Führer der,Schwarzen'.

Heirat bedeutet auch im Mittelalter nicht immer eine Liebes­verbindung. So mag auch der Schritt Dantes, der unauslöschlichdas Bild Beatrices im Herzen trägt, vorwiegend aus praktischen)Gründen erfolgt sein. Gemma ist ihm eine gute und getreue Gat­tin und wird zur Mutter seiner Söhne Pietro und Jacopo sowie derTochter Antonia. Doch das Zusammenleben der Familie wird nurvon kurzer Dauer sein. Die Politik wirft ihre Schatten über DantesLeben.

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Dante Alighieri ist sehr stolz auf seine ritterliche Abkunft undschätzt die emporgekommenen Anführer der niederen Zünfte nichtbesonders, aber er sieht ein, daß Abseitsstehen ihn von aller Mit­wirkung im öffentlichen Leben ausschließen würde. So entschließter sich zu einem Schritt, der ihm nicht leicht wird. Er tri t t — winviele Abkömmlinge edler Familien — in eine Zunft ein; es ist dasGewerke der Farben- und Drogenhändler, eine der angesehenstenBanners cliaften.

Nun heißt es für ihn, sich auch politisch zu entscheiden. Wasläge für ihn näher, da er mit dem mächtigen und siegesgewissenCorso Donati verwandt ist, als sich ganz der Sache der Guelfen,der ,Schwarzen', zu verschreiben, deren Parteizielen auch sein Va­ter gedient hat.

Doch seine hohe Traumwelt lockt Dante auf andere Pfade. Wenner einsam in seiner Studierstube sitzt, seinen Cicero, Aristotelesoder Thomas von Aquin liest, wenn er die uralten Chroniken durch­blättert, steigt vor ihm immer wieder das Bild des strahlendeinReiches herauf, das Bild des Kaisers, der für Gerechtigkeit, Ein­heit und Ordnung innerhalb der Christenheit gesorgt und auch inItalien aller Wirrnis ein Ende gesetzt hat. Dantes Sehnsucht ziehtstarke Antriebe aus der Vergangenheit, er liebt das Reich, er ruftnach Kaiserschaft und Krone und fordert Gerechtigkeit.

Wo aber war bei Corso Donati und seiner gewalttätigen ParteiGerechtigkeit? Immer wieder sind es Donatis Anhänger, die Strei­tigkeiten vom Zaune brechen, immer sind es die Donati, die Blutvergießen, stets sind es die Guelfen, die zu Angreifern werden.

Als es während eines Waffenspiels auf den Wiesen vor denStadttoren von Florenz durch die Angriffslust der ,Schwarzen' zuBlutvergießen und Totschlag kommt, wendet sich Dante gänzlichden ,Weißen' zu und bricht mit seinem Schwager Corso Donati.Die ,Schwarzen' hassen den Abtrünnigen fortan mit Leidenschaft.

Im kommenden Jahre wird Dante Alighieri einer der Stadtvor­steher und Mitglied des Rates. Da er seinen Wahlsieg den ,Weißen'verdankt, ist er für die Zukunft als Anhänger der deutschen Kaiserabgestempelt.

Die Zeit wird stürmischer und alle italienischen Stadtrepublikenwerden in den Strudel der Entwicklung hineingerissen. Im SüdenItaliens kämpfen Franzosen und Spanier um die Herrschaft überNeapel und Sizilien. Auch in Florenz verschärfen sich die Gegen­sätze. Die Ghibellmen gewinnen wieder die Oberhand.

Papst Bonifaz VIII. schickt einen Sondergesandten in die Arno-

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Stadt, um zwischen Ghibellinen und Guelfen zu vermitteln; abererneute Gewalttätigkeiten lassen es zu keiner Versöhnung kommen.Viele der guelfischen Parteigänger flüchten nach Rom oder Neapel,auch Corso Donati wird geächtet und verläßt die Stadt. Im Früh­jahr 1300 sucht der Papst Unterhandlungen mit französischenMachthabern, damit sie das ghibellinisch gewordene Florenz zurOrdnung rufen. Der Herr des Kirchenstaates fordert die Beendigungder deutschen Herrschaft in Italien.

*

Die Straßen und Wege nach Italien sind in diesem Heiligen Jahr1300 mit Hunderttausenden von Pilgern aus allen Ländern bedeckt,die nach Rom streben. Zur gleichen Zeit naht von den Pässen derSeealpen eine bewaffnete Schar von 600 französischen Rittern unterFührung von Karl von Valois; ihr Einbruch in Italien alarmiert dieStädte, die noch kaiserlich-ghibellinisch gesinnt sind.

Auch die Ghibellinen von Florenz sind in Unruhe. Soll und kannsich die Stadt gegen einen Angriff verteidigen? Noch wird rings umFlorenz am dritten Mauer- und Wallring gebaut, die Bürgerschaftist uneins, und die Todfeinde sitzen mitten in der Gemeinde.

AJs Dante Alighieri, einer der sechs regierenden Prioren, den Saalim Palazzo Davanzati betritt, sind fast alle Parteiführer der G e i s ­sen' versammelt. Aber er sieht mit dem ersten Blick, daß die rei­chen und mächtigen Kaufherren ebenso wie die Häupter der wich­tigsten Adelsgeschlechter fehlen. Sie alle wollen die weitere Ent­wicklung abwarten und sind vorsichtig der anberaumten Sitzungferngeblieben.

Von den engen Straßen herein dringt der Lärm der Fuhrwerke,die zu den beiden Großbaustellen am neuen Stadthaus und amneuen Mariendom rollen.

Andrea Gherardini, als Ältester und Sprecher der Prioren, er­hebt sich und gebietet Ruhe.

„Was ich euch mitzuteilen habe, meine Freunde", sagt er mitharter Stimme, ,,gibt Anlaß zu tiefster Besorgnis. Vor wenigenStunden erhielt ich Nachricht, daß Corso Donati, das Haupt der,Schwarzen' mit einem Truppenaufgebot zurückzukehren im Be­griffe ist. Auch von Anagni ziehen Bewaffnete herauf."

Bestürzung malt sich auf den Gesichtern der Anwesenden.„Wenn Corso Donati unterwegs ist, bedeutet das nichts Gutes",

sagt erbleichend der Arzt Ghuccio. „Zudem berichtet man, daßsich die Reiter Karls von Valois Florenz nähern".

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„Was soll geschehen, Signori?" fragt Gherardini. „Ich erwarteeure Vorschlägel"

„Was gibt es noch zu überdenken", ruft einer der Prioren er­regt. „Es muß sofort einer vcjn den Unseren nach Rom reisen undden Papst um ein Eingreifen ersuchen. Ich meine, unser wortge­waltiger und gelehrter Freund Dante Alighieri sei der rechte Mannfür diese schwere Aufgabe".

Alle Blicke wenden sich dem Dichter zu.Dante Alighieri . . . schlank und hager steht er da, er ist von

mittlerer Größe, aber er wirkt höher durch seine majestätischeHaltung. Er trägt einen fast altrömisch anmutenden weiten Um­hang und eine in Zipfeln auslaufende Florentiner Haube. Das Ant­litz ist frei und kühn, die Adlernase beherrscht das scharf ge­schnittene Antlitz. So hat ihn vor einiger Z:it sein MalerfreundGiotto verewigt — denn dieser junge Giotto ist einer von den emsigschaffenden Künstlern, die den Weg zu einer neuen, natürlichenKunst bahnen. Er malt nicht nur, wie etwa sein Lehrer Cimabue,religiöse Gegenstände, sondern er wagt es, auch Landschaften, Tiereund Pflanzen so darzustellen, wie sie sind, und er gestaltet Men­schenantlitze mit sehr persönlichem Ausdruck.

Wie in Giottos Bild, so steht Dante überlegend vor seinen Mit-prioren, die ihm eine so schwere Bürde aufladen wollen.

Doch dann nimmt er den Auftrag an.

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Dantes Versuche, das Verhängnis aufzuhalten, kommen zu spät;die Entscheidungen sind bereits gefallen. Während man noch inRom verhandelt, ist Karl von Valois mit seinen französischen Rit­tern am Allerheiligentage 1301 in Florenz eingerückt. Wenige Tagespäter kommt es zu Gewalttaten, obwohl Karl verkündet hat, daßer als Vermittler zwischen den streitenden Parteien erschienen sei.Verdächtig ist auch, daß er das von den Prioren angebotene Quar­tier in einem städtischen Palast abgelehnt hat und bei einem An­hänger Corso Donatis abgestiegen ist.

Dann wird mit einem Male die Wahrheit offenbar: Mit franzö­sischer und guelfischer Waffengewalt werden die Prioren der ,Weis­sen', der ,Bianchi', abgesetzt, ermordet oder aus der Stadt vertrieben.

Für Dante und sein Gesandtschaftsgefolge bedeuten diese Vor­fälle den Verlust der Heimat. Sie können nicht mehr nach Florenzzurück. Die ,Neri'stellen ein Willkürgericht zusammen, das über diean- und abwesenden Häupter der ,Bianchi' härteste Urteile fällt.

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Sie werden in Florenz in allen Stadtvierteln und in den benachbar­ten Gemeinden öffentlich angeschlagen und verlesen. Ober DanteAlighieri heißt es u. a., daß er wegen seiner Widerspenstigkeit alsgeständig erachtet werde. Duroh diese Urkunde werde er rechts­kräftig nach den Gesetzen und Ordnungen des Rates und des Volkesder Stadt Florenz zum Feuertode verurteilt, sofern er zu irgendeinerZeit in die Gewalt der Stadt gelange.

*

In seinem 36. Jahr hat Dante Alighieri die Heimat verloren, ejrist Emigrant, ist Flüchtling, der künftig sein Brot an fremdenTischen suchen muß. Später — in seiner ,Göttlichen Komödie' — wird der Dichter den Beginn der Höl lenfahr t ' auf den 25. Märaverlegen: es ist das Datum, an dem Karl vonValois und die .Schwar­zen'das Verbannungsdekret gegen ihn erlassen haben. Denn wahrlicheine Höllenfahrt im äußeren Leben Dantes hebt mit diesem Tagedes Jahres 1301 an.

Nicht nur seine bürgerliche Existenz ist zusammengebrochen, erist auch als Politiker und als gelehrter Schriftsteller gescheitert.Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

Zuerst zieht der Dichter nach Bologna. Als dies: Stadt durch einenbewaffneten Handstreich der Guelfen genommen wird und auchdort die Ghibellinen verjagt werden, geht er weiter nach Padua.Von Freunden, Bekannten und Gönnern ausgehalten, wandert Danteruhelos umher. In einem Brief dieser Tage schreibt er bittere Worte:

„Durch alle Gegenden Italiens bin ich irrend, fast bettelndgezogen, indem ich wider Willen die Wunde zeigte, die mirdas Schicksal schlug . . . Das Brot fremder Herren ward mirsalzig, und schwer stiegen meine Füße über fremde Stufen . . . "

Dantes Gattin — eine Donati — lebt geduldet in Florenz: aber dieSöhne sind ebenfalls vertrieben und irren durch die Welt.

Schwere Ereignisse sind unterdessen über die Christenheit wieGewitterstürme hingegangen. Im Jahre 1303 haben die Franzosenund rebellische römische Adelsgeschlechter Papst Bonifaz VIII. inseiner Sommerresidenz zu Anagni gefangen genommen; der Greis istim Oktober des gleichen Jahres gestorben. Ein Jahr später ernennendie Franzosen einen neuen Papst, der aber nicht mehr in der altenHauptstadt der Christenheit — in Rom — residieren darf, sondernnach der südfranzösischen Stadt Avignon verbracht wird. DasAbendland hat für lange Zeit auch seinen geistlichen Mittelpunkt

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verloren, nachdem mit dem Hinabsturz der Hohenstaufen die kai­serliche, die weltliche Mitte zerschlagen war.

überal l löst sich die altüberkommene Ordnung auf. Der fran­zösische König Philipp räubert vor den Augen der Welt schonungs­los den Templerorden aus — weil für diese neuen Fürsten einer reindiesseitigen Politik die alten Ideale von Kreuzfahrertum und reli­giöser Bindung nicht mehr bestehen.

Die Deutschen aber sind durch örtliche Händel, durch die Selbst­sucht ihrer Stämme und Fürsten zerfallen und ohnmächtig. Dashohe Ideal, die abendländische Ordnung, das Reich aller Christenmit einem Kaiser an der Spitze, scheint für immer vergessen.

Die ,kaiserlose, schreckliche Zeit' wird zwar beendet, als Rudolfvon Habsburg zum deutschen König gewählt ist, aber er verfolgtnicht mehr die alten kaiserlichen Ziele. Der Habsburger denkt vor­nehmlich an die Schaffung einer Hausmacht und an politische Han­delsschaft mit seinen Fürsten. Seine Nachfolger schlagen sich umden deutschen Thron. König Adolf von Nassau findet den Tod aufdem Schlachtfeld, sein Sohn, Albrecht I., wird nach kurzer Ra-gierungszeit von einem Verwandten ermordet.

Angesichts solch hoffnungsloser Zustände tagen die letzten kai­sertreuen Ghibellinen, um ihre Chancen abzuwägen. Da sie aber zukeiner Einigung kommen und über Meinungen, Methoden und när­rische Vorstellungen streiten, geht Dante künftig seine eigenenWege. Er ist eine ,Partei für sich', wie er einem Freunde schreibt.

Wieder wandert er von Stadt zu Stadt und von Schloß zu Schloß,wo Freunde ihn aufnehmen. In diesem Jahr verfaßt er zwei Schrif­ten. Er beginnt „Das Gastmahl", in dem der Dichter alle zu Gastlädt, die willens sind, am Neubau der geistigen Welt teilzunehmen;es ist ein philosophisches Werk in italienischer Volkssprache, dasaber nicht abgeschlossen wird. Ebenfalls unvollendet bleibt eineandere Schrift aus dieser Zeit: „über die Volkssprache'. Darin be­müht sich Dante um die Bildung einer italienischen Schriftsprache.

Während er noch an diesen Werken arbeitet, sind abermals neunJahre seines Lebens vergangen.

Im Frühjahr 1310 reiten gewappnete Boten aus den Alpentälernund verkünden den italienischen Städten: Deutschlands Fürstenhaben einen neuen König und Kaiser gewählt, es ist der edle, r i t ­terliche und von großen Plänen erfüllte Heinrich VII. von Luxem­burg. Der Kaiser rufe seine getreuen Parteigänger, er rufe Italienwieder unter die Banner des Reiches.

Ungeduldig erwartet der tief beglückte Dichter den neuen Kaiser,

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in dem er den Erretter aus allen Nöten Italiens erblickt. Im April1311 erreicht Heinrich VII. ein freimütiger Brief Dantes:

„Bist du es, der da kommen wird? Oder sollen wir auf pinenanderen warten? Gleichwohl glauben wir und hoffen wir aufdich und erblicken unerschütterlich in dir den Sohn dprKirche, den Diener Gottes und den Förderer des römischenRuhmes . . . Aber, weshalb du auf deinem Wege so zögerst,darüber wundern wir uns, da du längst im Tal des Po seink ö n n t e s t . . . "

Der Dichter drängt den nahenden Kaiser, die Feinde des Reichesallerorten in Italien und vor allem in Florenz niederzuwerfen. AlsHeinrich VII. endlich die Alpen überquert hat, eilt auch Dante Ali­ghieri ihm entgegen, um ihm seine Huldigung zu Füßen zu legen.An das störrische Florenz, das seine Tore verschließt, richtet erein aufrüttelndes Sendschreiben. Doch Florenz schweigt, auch an­dere Städte schließen die Tore und verweigern dem Nachfolger derHohenstaufen Durchzug, Hilfe und Gehorsam.

Doch was bedeuten solche Äußerungen des Trotzes in dieser Welt,da wieder ein Kaiser da ist, ein Ordner der Lande, ein Richter derVölker!

Noch einmal steigt die ritterliche Vergangenheit aus den Gräbern,noch einmal wehen die Banner des Heiligen Reiches.

*

In diesem Jahre 1311 weilt Dante auf Schloß Poppi im oberenArnotal und schreibt an einem verherrlichenden Werk über dasKaisertum („De monarchia"), in dem er darlegt, daß die kaiser­liche Gewalt ebenso wie die päpstliche von Gott stamme und daßbeide gleichberechtigt seien. Angesichts des Kaiserzuges, der sichnach Rom wendet, glaubt der Dichter an die Wiederkehr des Welt­friedens, an das glückliche und gerechte Nebeneinander der christ­lichen Völker unter dem kaiserlichen Zepter.

Inzwischen ist der in Rom gekrönte Kaiser zurückgekehrt undbeginnt die Belagerung des widersetzlichen Florenz. Aber wie einBlitzschlag trifft alle Kaiserfreunde die Nachricht, daß KaiserHeinrich VII. plötzlich gestorben sei. Der Träum vom wiederer­standenen Reich ist endgültig verflogen, Italien fällt in wildeKämpfe zurück.

Wohin Dante sein Auge auch wendet — überall nur Verwirrung,ratloses Suchen, Wandel und Wechsel. Auf dem Trümmerhaufen

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Der gealterte Dichter - Kreidezeichnung vor, Lnca Signorelli (um 1500)

Italiens schlagen sich Hunderte kleiner Tyrannen um die Reste derReichsgewalt.

„Weh dir, Italien! Sklavin! SchmerzensbeutelDu Schiff, vom Sturm umbrandet, ohne Steuer . . .Es stehn die Lebenden im großen BrandeDes Aufruhrs, um sich wechselweis zu morden.Schau dir ins Herz, kein Ort ist zu erblicken,Dem holden Friedens Glück zuteil geworden . . . O Volk, das du voll Demut leben müßtest,Den Herrscherthron dem Kaiser einzuräumen,Wenn du zu deuten Gottes Pläne wüßtest !"

Da der Traum vom irdischen Reich zuende geträumt ist, wendetsich der Verbannte wieder den Idealen seiner Jugend zu. Was be­deuten die Wirrnisse dieser vergänglichen Erde! Entscheidend istdas Schicksal der Seele. Aus dem grauen, von Streitrufen erfülltenAlltag flüchtet der Einsame hinauf in jene ewigen Räume Gottes,in denen sich der Weg der unsterblichen Seele vollendet.

Dante nimmt die lang gehegten Pläne wieder auf, die Gedankender Tragödie des ,Neuen Lebens' zu vollenden in der ,Komödie'.Alles Vergängliche soll darin zum Gleichnis des Ewigen werden.

*

Dante lebt in dieser Zeit bei den Ghibellinenfürsten della Scalain Verona. Wenn um das Haus die Nordstürme sausen und die Bu­chenscheite im Kamin krachen, wenn graues Schneegewölk von denAlpen südwärts treibt und die Burg in weißes Gewirbe'l hüllt, dannkauert die hohe Gestalt des Dichters im Halbdunkel api Feuer.Sein kühnes Auge wird weicher, träumerischer, entrückter. Imlodernden Schein der Flammen sieht er Gesichte und Schatten. Dawächst es ihm zu aus Einsamkeit und Stil'le, es kommt der Ruf vondrüben, der Anhauch des Ewigen. Und ein lichter Engel tri t t sachtneben den Verbannten, rühr t aufmunternd an sein Herz und ent­führt ihn auf niebetretene Pfade.

Ein unerhörtes Werk gewinnt Gestalt. Er trägt es wie in gewfalteten Händen. Die Gestalten drängen sich, die Gesichte steigenaus den Flammen, die Stimmen reden aus dem Gehevil des Sturmes,Bilder gleiten im Widerschein des Kaminfeuers über die Wände:Zeit und Ewigkeit, das ganze Bild der Welt, wie sie war und wiosie sich nach dem Glauben des Jahrhunderts fortsetzt ins übap-irdische, wird Gestalt.

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Die alten Harmonien klingen wieder in ihm auf. Da ist wie-des-ein Dreiklang: diesmal in Gestalt von Himmel, Fegefeuer undHölle; die Erde ruht als Scheibe inmitten des Weltozeans, und überder Erde wölben sich die in sieben Farben schillernden siebenSphären der Himmel, überhöht von der Dreiheit der Hochsphären,in deren letzter die reine Gottheit wie Licht und Feuer wohnt. Im­mer kehren die geheimnisvollen Sinnbilder und Zahlen wieder, indenen sich das Mittelalter die Ordnung des Jenseits vorstellt.

Mehr und mehr vollendet sich die ,Komödie', so wie sich ausunzähligen Formgebilden eine gotische Kathedrale vollendet, allesumfassend, alles durchdenkend und alles durchlebend. Sie ist, imLichte des Christentums gesehen, das Abbild des Weltalls, derMenschheit und der Menschenschicksale. Alles, was die Theologieder Zeit, vor allem was Thomas von Aquin gelehrt hat, erwächstin dieser Dichtung zu ergreifendem Leben.

Eine edle Gestalt aus dem Altertum führt Dante auf dem Wegezum ewigen Heil: Es ist Vergil, der Dichter des römischen KaisersAugustus. Dante Alighieri betritt an seiner Hand das Reich derSchatten. Der Abstieg führt in sieben Stufen in den tiefsten PfuhlLuzifers.

„Durch mich geht's ein zur Stadt der Schmerzerkorenen,Durch mich geht's ein zur Qual für Ewigkeiten,Durch mich ge'ht's ein zum Volke der Verlorenen . . ."

Diese Worte stehen als Inschrift über der Pforte zur schaurigenWelt der Verdammten, wo Seufzen und Stöhnen aus den geöffnetenSärgen dringt und Frevler und Verräter die Ewigkeit vertrauern.Es sind erschreckende Bilder der Trostlosigkeit, die der Dichter inden neun Kreisen seiner Höllenfahrt beschwört. Aus den Höllen­schlünden steigt Dante, von Vergil gestützt, wieder in sieben Stu­fen über den Berg der Läuterung ins neungeteilte Reich der Büßen­den, denen der Anblick Gottes noch vorenthalten ist. Hier lösen sichdie Schlacken von den Seelen, höher und höher schweben sie, lichterund hoffnungsfreudiger wird die Landschaft. Dann öffnen sich dieletzten Geheimnisse Gottes. Vergil kehrt an den Toren des Para­dieses um — er ist ja Heide. Aber eine lichte Gestalt, die ewig Ge­liebte, das Ideal seines Lebens, reicht Dante die Hand und zieht ihnempor ins Land der Seligen: die verklärte Beatrice.

An Beatricens Seite geht der Poet ein in die neun Lichträume desHimmels. Von Sphäre zu Sphäre steigt er hinauf in die Herrlich-

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keit. Dann nähern sich Dante und seine Führerin dem Sitz des un­endlichen Gottes, wo „aller Wünsche Ende ist" .

*

In langen, einsamen Stunden steht der Dichter über sein Schreib­pult gebeugt und reiht Vers an Vers — die Bilder und Gestaltenbannend, die vor sein Inneres hintreten.

Aber es wird ihm nicht vergönnt, das fromme Werk in derEinsamkeit von Verona vollenden zu können. Das Schicksal treibtihn nach Lucca, wo ihm der Fürst Asyl gewährt, bis der Gastgeberselber vertrieben wird. Wieder kommt er nach Verona und wohntin der Burg, dann wechselt er zu einem anderen Gönner hinüber:zu Guido Novello in Ravenna, bei dem er die letzten Lebensjahreverbringen wird.

Und überall, wo ihm Stille, zeitweilige Ruhe und Eingebung zu­teil werden, schreibt er an der ,Komödie', die erst spätere Ge­schlechter die „Göttl iche" nennen werden. Erschauernd lauschtDante auf die Stimme des Engels, der ihn schreiben heißt. Inmittendes geistigen Domes, den er errichtet, fühlt sich Dante Alighierinur als demütiger Vollender der Gedanken Gottes.

„Das, was nicht stirbt, und das, was sterben kann,Ist doch ein Abglanz nur von der Idee,Die liebreich zeugend unser Herr ersann."

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Während er an seinem großen Werke arbeitet, gelangt in Florenzeine gemäßigtere Partei ans Ruder, und die Signoria beschließteinen Gnadenerlaß für die Verbannten. Die Rückkehr in die Vater­stadt soll ihnen erlaubt sein, wenn sie sich zu einer Sühnezahlungbereit finden.

Viele machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Nur Dante Ali­ghieri verzichtet auf die zweifelhafte Gunst — so schwer es deinHeimatlosen und von Sehnsucht Verzehrten aiuch wird. Er schreibtan den Rat von Florenz einen stolzen Brief:

„Ist das die rühmliche Art und Weise, in der man Dante Ali­ghieri ins Vaterland zurückruft, nachdem er fünfzehn Jahre hin­durch die Verbannung ertragen hat? Auf solche Weise will manseine Schuldlosigkeit lohnen, die niemand mehr bezweifelt? Aufsolche Weise vergilt man ihm Fleiß und Arbeit, die er auf seineWerke verwandt hat? . .. Nein — das ist nicht der Weg, mich zur

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Dantes Tod (Zeichnung von Anselm Feuerhach)

Rückkehr ins Vaterland zu bewegen! Kann ich nicht auf ehrenvolleWeise in Florenz einziehen, so werde ich nie wieder dorthin zu­rückkehren. Werde ich nicht überall unterm Himmel den edelstenWahrheiten nachforschen können, ohne daß ich mich ehrlos und so­gar schmachbeladen der Stadt Florenz darböte? Und auch an Brot,so hoffe ich, wird es mir nicht fehlen . . ."

Nein — auch an Brot fehlt es ihm nicht, aber es bleibt das bi t­tere Gnadenbrot der Fremde.

Als sich zum sechsten Male die Neunjahresfolge in seinem Lebenabrundet — im 54. Lebensjahre, dem Jahre 1319 — ist das Werk ge­tan: Dante Alighieri vollendet zu Ravenna die ,Göttliche Komödie'.

Zwei Jahre später — anfang September 1321 — weilt Dante alsGesandter seines Gönners Guido Novello in Venedig. Doch dieDünste der Lagunenstadt machen ihn krank und fiebrig. Leidendkehrt er nach Ravenna zurück und stirbt nach kurzem Krankenlageram 14. September.

Giovanni Villani, der Chronist von Florenz, schreibt über denAbgeschiedenen: „Dieser Dante Alighieri, der in der Verbannungstarb, war einer der bedeutendsten Söhne der Stadt . . . Wegenseines Wissens war er etwas stolz, zurückhaltend und herbe undwußte sich nach Art eines unfreundlichen Philosophen mit Unge­bildeten nicht gut zu unterhalten. Aber wegen seiner sonstigen Tu­genden und der Wissenschaft und Tüchtigkeit eines großen Bürgersscheint es geziemend, ihm in unserer Chronik ein ewiges Gedächtniszu setzen, obwohl schon die erhaltenen Werke, die er uns hinter­lassen hat , genügend Zeugnis von ihm ablegen und unserem Flo­renz zum Ruhme gereichen . . ."

Guido Novello läßt Dantes sterbliche Überreste, geschmückt mitdem Zeichen des Lorbeers, feierlich bestatten; doch das geplanteDenkmal kann nicht mehr errichtet werden, weil Herr Guido No­vello bereits 1322 aus Ravenna vertrieben wird.

Erst im Jaihre 1483 läßt einer seiner Bewunderer ein würdigesGrabmal für den Dichter setzen, das in der Folgezeit jedoch wiederverfällt. Dantes Leichnam verschwindet. Als man in Italien1865 die 600jährige Wiederkehr des Geburtstages Dantes feiert,erhält diese Festlichkeit ihre besondere Bedeutung durch eineEntdeckung, die map kurz vorher im Kreuzgang der Franziskaner­kirche von Raivenna gemacht hat. Bei Ausschachtungsarbeiten findetman in einer Holzkiste Dante Alighieris Gebeine unweit des Grab­mals in die Wand eingemauert; die Mönche hatten sie dort ver­borgen und geborgen, als Florenz Anspruch auf den Leichnam erhob.

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Unter den zahlreichen Denkmälern, die eine bewundernde Nach­welt dem Dichter und Schöpfer der italienischen Schriftsprache ge­setzt hat , steht eines der berühmtesten auf dem Platz vor der herr­lichen Kirche Santa Croce in Florenz; und auch im Innern dieserKirche, in der viele große Florentiner und Berühmtheiten Italiensbeerdigt sind, gibt es heute — zwischen dem Grab Michelangelosund dem des großen Tragödiendichters Alfieri im rechten Seiten­schiff gelegen — ein Denkmal Dantes in Form eines leeren Grabes,über dem sich eine weiße Mairmorpyramide erhebt: sie trägt die In­schrift: „Dieses Ehrenmajl, das die Vorfahren dreimal vergeblichbeschlossen hajben, wurde im Jahre 1829 errichtet" — errichtet fürjenen Dichter und Deuter, „der neben Homer und Sophokles, Shake-speajre und Cervantes, Goethe und Schiller zu den großen Sonnenzählt, die dem Himmel der Weltdichtung unerlöschlichen Glanzverleihen".

Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky

Umschlagbild: Dante begegnet Beatrice (Gemälde von H- Holiday) — Bild auf der2. Umschlagseite: Dante-Bildnis von Jacobo Bellini (um 1450) — Bilder auf den

Seiten 5, 9, 17, 25, Historisches Bildarchiv Handke-Berneck

L u x - L e s e b o g e n 2 4 9 (Dichtung) — H e f t p r e i s 2 5 P f g .Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50)durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Mur-uau, Oberbayern. Seidl-Park. — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth

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