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Dann sind wir Helden! – Ausgabe 11 2013 des strassenfeger

Date post: 30-Oct-2015
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Dann sind wir Helden! – Ausgabe 11 2013 des strassenfegerBerlin, Straßenzeitung, soziale Straßenzeitung, Zeitung, Berliner Straßenzeitung, Magazin, strassenfeger, Aktuelles, Politik, Soziales, Kultur, Sport

of 32

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  • 1,50 Euro, davon 90 Cent fr den Verkufer

    www.strassenfeger.org

    strassen|feger

    Helden des Alltags

    Xavier Naidoo ber Musik und Engagement

    Exklusiv-Interview: Capitano Michael Ballack

    Dann sind wir Helden!Dann sind wir Helden!

    Soziale Straenzeitung

    Ausgabe 11 Mai / Juni 2013

    feger

    Mit Har

    tz-IV-Rat

    geber!

  • strassen|feger 11/2013

    Mitglied im Partner im

    2 Edito

    TitelDavid Bowie: We can be heroes 3

    Ich will kein Held sein 4

    Es gibt keinen Heldentod 5

    Unsere Helden des Alltags 6

    Xaviers Weg Xavier Naidoo im Interview 8

    Die Messe von Helden fr Helden 11

    Kneipenpaule, Ttenberta und die anderen 12

    Antike Heldengeschichten 13

    Knud Kohrs Helden wie ihr 14

    Mahatma Gandhi ein Held 15

    KulturtippsAus unser Redaktion 22/23

    RatgeberGemischtes 29

    BrennpunktParittischer Wohlfahrtsverband: Umfrage zur 18Verteilungsgerechtigkeit und Steuerpolitik Vom Schweinezyklus in der Wohnungswirtschaft 20und entsorgten Menschen

    SportExklusivinterview: 26Michael Ballack verabschiedet sich

    MittendrinVon KptnGraubr 30

    strassen|fegerDie soziale Straenzeitung strassenfeger wird vom Verein mob obdachlose machen mobil e.V. herausgegeben. Das Grundprinzip des strassenfeger ist: Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe! Der strassenfeger wird produziert von einem Team ehrenamtlicher Autoren, die aus allen sozialen Schichten kommen. Der Verkauf des strassenfeger bietet obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen die Mglichkeit zur selbstbestimmten Arbeit. Sie knnen selbst entscheiden, wo und wann sie den strassenfeger anbieten. Die Verkufer erhalten einen Verku-ferausweis, der auf Verlangen vorzuzeigen ist. Der Verein mob e.V. fi nanziert durch den Verkauf des strassenfeger soziale Projekte wie die Notbernachtung und den sozialen Treffpunkt Kaffee Bankrott in der Prenzlauer Allee 87. Der Verein erhlt keine staatliche Untersttzung. Der Verein beauftragt niemanden, Spenden fr das Projekt an der Haustr zu sammeln!

    Spenden fr die Aktion Ein Dach ber dem Kopf bitte an:mob e.V., Bank fr Sozialwirtschaft, BLZ: 100 205 00, Kto.: 32838 01

    Gesichter hinter den Geschichten 16Galerie Sassa Trlzsch zeigt Fotografi en von Roswitha Hecke

    art strassen|feger

    Ein Rhrenempfnger mit magischem Auge 21

    strassen|feger radio

    Leserbriefe, Impressum, Vorschau 31

    Vorletzte Seite

    VereinWolfgang Mocker Zwischen den Zwngen 24 Ausgewhlte Aphorismen

    Liebe Leser_innen,

    wer mchte nicht mal ein Held sein, wenigstens ein kleines bisschen, wenigstens fr ein paar Momente oder fr einen Tag? Der groartige Musiker David Bowie lebte in den 70er Jahren ein paar Jahre lang in der Mauerstadt Berlin. Gemeinsam mit Iggy Pop entdeckte er die Freiheit von jedweder Sperrstunde und die einmalige kreative Subkultur. Aus diesem Erleben entstand 1977 das weltberhmte Album Heroes. Der kongeniale Titelsong Helden war es auch, der unsere Autoren zu dieser Ausgabe inspiriert hat. Wie singt Bowie so herrlich: Dann sind wir Helden, fr diesen Tag.

    Tja, die Frage ist nur: Wann ist man ein Held? Muss man in ferne Lnder fahren, schier unbesiegbare Feinde schlagen, fette Beute nach Hause bringen? Oder ist man auch ein Held, wenn man nur die kleinen Abenteuer und Aufgaben des Alltags wieder und wieder bewltigt? Wenn man fr die anderen da ist, sich einsetzt fr die Schwachen, die Armen, die Entrechteten? Sind Sportler Helden, nur weil sie einen Wettkampf gewinnen, weil sie einen Meistertitel erringen und dabei vielleicht ein Riesenpublikum begeistern? Ist ein Musiker ein Held, nur weil seine Songs viele Menschen verzaubern? All diese Fragen kann man mit Ja beantworten, man muss es aber nicht. Unsere Autoren haben sich wieder einmal auf Spurensuche begeben. Dabei stieen sie natrlich auf David Bowie, aber auch auf den Musiker Xavier Naidoo. Letzterer ist eben nicht nur Musiker, sondern engagiert sich auch sozial. In einem exklusiven Interview berichtet Naidoo darber.

    Exklusiv bei uns im strassenfeger: Der ehmalige Capitano der deutschen Fuballna-tionalmannschaft Michael Ballack. Vor seinem Abschiedsspiel am 5. Juni in Leipzig spricht er hier ber seine grten, aber auch seine schwierigsten Momente als Fuballer. Von uns deshalb hier schon mal ein Machs gut, Capitano!

    Unsere Autoren informieren aber auch ber unsere Helden des Alltags, antike Heroen, Antihelden und die Sinnlosigkeit von Heldentod. Auerdem sehr empfehlenswert: Der Artikel ber die Hamburger Knstlerin Roswitha Hecke und die aktuelle Studie des Parittischen Wohlfahrtsverbandes zu Gerechtigkeit. Diese Studie wird hoffentlich fr ordentlich Zndstoff im Wahlkampf sorgen. Und: Jetzt wurde posthum ein neues Buch unseres langjhrigen und viel zu frh verstorbenen Glossen-Autors Wolfgang Mocker verffentlicht. Selbstverstndlich stellen wir es Ihnen hier vor.

    Ich wnsche Ihnen, liebe Leser_innen, wieder viel Spa beim Lesen!Andreas Dllick

  • 11/2013 strassen|feger

    3Titel

    We can be heroes just for one day

    Lange bevor David Bowies Song Heroes selbst zu einem Welterfolg werden konnte, wurden die gern erzhlten Geschichten um seine Inspiration und endgltige Entstehung, zu endlos wiederholten Legenden. Bis

    heute bleiben sie eine besondere Form interaktiver kultureller Dokumente des geteilten Berlins. Vor allem in Deutschland wurde der Song 1981 durch den Film Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo einem breiteren Publikum bekannt. Aber erst mit David Bowies Auftritt bei Live Aid 1985, also rund acht Jahre nach der Erstverffentlichung des Songs, bekam Heroes weltweit die lange erwartete Beachtung. Inzwischen wei auch der letzte Fan, dass selbst die Anfhrungszeichen im Titel wesentlicher Bestandteil eines Kunstprojektes sind, das mit dem Album Low in Berlin seinen Anfang nahm und nach Heroes mit Lodger eine Trilogie beschloss.

    Der Anfang ist gemachtEntgegen aller anders lautenden Berichte lebte der britische Superstar David Bowie, von 1976-78, wie auch Iggy Pop, in der Hauptstrae 155 in Berlin-Schneberg, auch auf derselben Etage, dennoch wohl aber nie in einer gemeinsamen Wohnung mit dem damals heroinschtigen und exzentrischen Ameri-kaner. Im an sich piefigen und noch immer vom Krieg gezeichneten (West-)Berlin, entdecken die beiden Knstler erst die Freiheit von jedweder Sperrstunde und danach eine einmalige kreative Subkultur. David Bowie sagte einmal ber seine Berliner Zeit: Weniger Wahnsinn, weniger Drogen! und erholt sich damit zusehends von den Folgen des exzessiven Starkults. Zwischen manchmal durchzechten und nicht selten amoursen Nchten, gemeinsamen Cabrio-Fahrten mit Iggy Pop zum Wannsee oder den Radtouren ent-lang der Berliner Mauer zum Potsdamer Platz, beginnt Bowie mit der Arbeit am Album Low. Er holt Brian Eno und Tony Visconti nach Berlin und gemeinsam entwickeln sie einen neuen synthetisch-dsteren Sound, inspiriert von Projekten wie NEU! und Kraftwerk. Der Anfang der Trilogie ist gleichzeitig auch das Ende einer ra, Bowies Alter Ego wie Ziggy Stardust, Major Tom und The Thin White Duke.

    Dann sind wir HeldenNachdem Low im Januar 1977 erschien, begannen Bowie, Visconti und Eno sofort mit der Arbeit am zweiten Album Heroes. Es wird das berhmte Hansa-Studio(Tonstudio 2), auch bekannt als Studio by the Wall und weniger als 200 Meter von der Ber-liner Mauer entfernt, von ihnen fr die Produktion gemietet. Der Sound wird positiver und fast alle

    Songtexte haben ihren Ursprung in Bowies gesun-genen Gesangsimprovisationen. Eine der ersten fast fertigen Kompositionen ist der Titelsong Heroes, der dann aber doch erst als letztes Stck des Albums auch seinen Text erhielt. Die stndig sichtbare Nhe zu den Grenzsicherungsanlagen und einen Wachturm der DDR-Grenztruppen beschreibt Bowie dem New Musical Express im November 1977 folgendermaen: Da ist eine Mauer neben dem Studio. Der Produzent schaut direkt darauf. Ein Wachturm thront hinter der Mauer, in dem die Wachposten sitzen. Jeden Mittag trafen sich ein Junge und ein Mdchen darunter. Und ich dachte, von all den Orten, an denen man sich in Berlin treffen kann, warum sucht man sich da ausgerechnet eine Bank unter einem Wachturm an der Mauer aus?

    Kurz darauf schickt er Eno, Visconti und die anderen an den Aufnahmen Beteiligten aus dem Studio und beginnt auf ganz konventionelle Art den Text zu Heroes zu schreiben. Darin beschreibt Bowie, beeindruckt vom Gesehenen, die Liebesbeziehung eines Paares im Schatten einer Mauer, begrenzt in ihrem Handeln und durch Gewalt bedroht. Im Finale sind Gefhle und Zusammenhalt den Repressionen und Waffen berlegen. Die bereits erwhnten Anfhrungsstriche im Titel sollen eine ironische Distanz zum sonst pathetisch wie romantischen Inhalt zum Ausdruck bringen. Neben der englischen

    und einer deutschen Version, sang Bowie den Song live oft auch zweisprachig in englisch-deutsch oder englisch-franzsisch.

    Die Legende(n) danachLange und hartnckig hielt sich das Gercht, Bowies beschriebene Szene des in seinem Text verewigten Liebespaares, war weniger zufllig und die Pro-tagonisten ihm nur allzu gut bekannt. Erst 2003 besttigte er, was die berhmten Berliner Spatzen lngst von den Dchern pfiffen. Bei dem Prchen handelte es sich nmlich zum einen um seinen Freund und Produzenten Tony Visconti und die an fast allen Gesangsaufnahmen beteiligte Background-Sngerin Antonia Maa.

    Die Bedeutung des Songs fr das geteilte Deutschland im Allgemeinen und die Berlins im Besonderen ist unbestritten, die Liste der Coverversionen beeindru-ckend lang und die Qualitt der Interpreten spricht fr sich. Eine berraschung der besonderen Art hielt das Stehaufmnnchen des deutschen Liedguts fr seine Fans bereit. Auf seinem 2009 erschienen Album Sohn aus dem Volk prsentierte Gunter Gabriel gemeinsam mit Alec Vlkel/Sascha Vollmer von The BossHoss seine gelungene und erstaunlich emotionale Version von David Bowies Heroes. n

    Spter Erfolg im Schatten der

    eigenen LegendenText Guido Fahrendholz

    Quelle: Autor Plattencover

  • strassen|feger 11/2013

    4 Titel

    Ich bin kein Held. Ich habe keine bernatr-lichen Krfte und knnte mich nie mit Herakles messen. Ich meide krperliche Schmerzen, ich kann Hunger nicht unterdrcken, ich kann Durst nicht unterdrcken. Und Fasten, wie

    einst Buddha es vorgemacht haben soll, ist bei mir nicht drin.

    Keine Heldensaga von Anfang anIch bin in der Universittsklinik zur Welt gekommen. In einer fr Vorpommern bedeutenden Universitts-stadt. Der Zweite Weltkrieg war Jahre vorbei, im Westen war schon der Bundestag zusammengetre-ten, das Grundgesetz verabschiedet und der Alte aus Rhndorf mit uerst knapper Mehrheit zum Bundeskanzler gewhlt worden. In der spteren DDR beaufsichtigte sowjetisches Militr die Verwal-tung. Auch die sonstigen Umstnde taugen nichts fr eine Heldenlegende: lateinische Vokabeln, mit denen die Mediziner die anatomischen Einzelteile zu bezeichnen pflegen, das drftige Mensaessen, der ewige Hunger, die kleine Dachmansarde in der 30er Jahre Villa. Meine Eltern waren Medizinstudenten an der Ernst-Moritz-Arndt-Universitt.

    Lieber drei Mal feig als ein Mal HeldentodWas macht ein guter Soldat, wenn es beim Appell heit: Freiwillige vor? Er geht einen Schritt zur Seite. Als langjhriges Mitglied der DDR bin ich zumal einigermaen gesund nicht um eines herumge-kommen: Die so genannte Nationale Volksarmee. Die wollten mich erst haben, als ich noch Student der chemischen Verfahrenstechnik war. Aber dann habe ich das Studium erst mal zu einem Abschluss gebracht. Ich war also lngst Ingenieur, als ich fr drei Monate Ich bin mit Widerwillen hin und habe das auch die Herren spren lassen. Aber ich kannte verdammt viele junge Mnner, denen der sogenannte Ehrendienst nicht bekommen ist. Wenn es ganz schlimm kam, ging es nach Schwedt, den gefrchteten Knast der NVA. Bei all dem Widerwillen gegen den ganzen Laden, so weit wollte ich es dann doch nicht kommen lassen. Ich bin nun mal kein Held. Und der brave Soldat aus dem Bierlokal u Fleku ist das Vorbild fr Nichthelden. Wenn irgendetwas getragen werden musste, bin ich immer auf der linken Seite gewesen. Damit die rechte Hand nicht frei war.

    Ehrlich whrt am lngstenIch habe die Erfahrung gemacht, dass offene Ehrlichkeit gegenber den Vertretern der Obrigkeit entwaffnend sein kann. Als Student musste ich mich mit dem auseinandersetzen, was so leichthin Wis-senschaftlicher Sozialismus genannt wurde. Was der Assistent hren wollte, war uns klar. Deshalb haben wir Jungs nur mit halbem Ohr hingehrt und uns hauptschlich mit den anstehenden Fuballspielen beschftigt. Irgendwann war uns das auch zu dumm, und dann fehlte ein Teilnehmer. Beim nchsten Mal hie es: Ich habe mich halt nicht gefhlt. Natrlich bin ich auch weggeblieben. Der Assistent hatte sich in der Vorwoche ber die vielen lauen Entschuldigungen beschwert. Den Ball hab ich gern aufgenommen. Auf die erwartete Frage, wo ich denn das letzte Mal gewesen sei, folgte ein ganz ganz ehrliches: Nicht da! Ehe er Luft holen konnte, legte ich nach: Ich htte ja sagen knnen, dass ich mich nicht fhle, das

    wrden Sie mir sowieso nicht abnehmen, und so sage ich frank und frei heraus, ich hatte keine Lust! Ein halb emprtes So geht es aber nicht folgte, doch mehr konnte er auch nicht machen.

    Falscher AnscheinIch habe in den letzten Jahren meiner Mitgliedschaft als Mitglied der DDR nie einen Hehl aus meiner Meinung gemacht. Auch ffentlich nicht. Ich habe mich ber den Zufall gefreut, der meinen Namen im Zusammenhang mit dem gemeinsamen offenen Brief von Robert Havemann und Heinz Brandt an die Herren Breshnev und Reagan wegen der unsinnigen Mittel-streckenraketen gebracht hat. Meinem Bruder, der als Freund des Liedermachers Wolf Biermann vor dessen legendrem Konzert in Kln in Untersuchungshaft genommen wurde und dann nach einem Jahr mit dem Mercedes des Rechtsanwalts Vogel ber den Check-

    point Charlie nach Westberlin gebracht worden war und mich von Westberlin aus auf meiner Arbeitsstelle anrufen und warnen wollte, antworte ich: Ist doch in Ordnung. Ich war von meiner Mutter gebeten worden, nach Jena zu fahren und mit dem Freundes-kreis meines damals inhaftierten Bruders Kontakt aufzunehmen. Dabei erfuhr ich, dass es unbekannten Menschen in der Gewalt der Stasi verdammt dreckig ging, whrend die Jungs mit prominenten Hftlingen wesentlich pfleglicher umgingen. Rudolf Bahro hatte, in Westberlin angekommen, in die Mikrofone der Medien gesagt, er sei in Bautzen korrekt behandelt worden. Anderen ging es da wesentlich schlechter.

    Was nach Held riechen knnte, ist reiner Selbstschutz. Ich bin nun mal kein Held. n

    Ich will kein Held seinKeine Heldengeschichte Text Jan Markowsky

    Opfer des Faschismus-Kundgebung auf dem Bebelplatz in Ost-Berlin, 1984

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  • 11/2013 strassen|feger

    5Titel

    S und ehrenvoll ist es fr das Vaterland zu sterben ist das wohl am hufigsten missbrauchte Gedicht der europischen Literatur. Die politischen Verfhrer, die mit diesen Worten junge Menschen dazu verleiteten, ihr Leben wegzuwerfen, oder sie als Rechtfertigung fr den erzwungenen Tod herumposaunten, flschten die Absicht des rmischen Dichters Horaz, indem sie die zweite Zeile konsequent unterdrckten: und auch den Fliehenden ereilt der Tod! Horaz wollte nicht den Soldatentod verherrlichen. Er stand allem staatlichen Tun skeptisch gegenber.

    Wenn es schon vor 2000 Jahren fragwrdig war, den Tod eines Soldaten als Heldentod zu bezeich-nen, so gilt das heute, wo Krieg ein industrielles Unternehmen ist, umso mehr. In das Mahlwerk der Vernichtungsmaschinen zu geraten, hat nichts Hel-denhaftes. Die Soldaten werden auf das Schlachtfeld gefhrt und sterben dort einen anonymen Tod. Ihre Aktionen haben nichts mehr gemein mit den Kmpfen der trojanischen Helden. Der Soldatentod geschieht in Elend und Angst. Wird er nicht schnell gettet mit Maschinen, die allein zu diesem Zweck erdacht sind, bleibt er als Verstmmelter zurck und ist aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Im Krieg war er ein einfacher Faktor in der betriebswirtschaft-lichen Kosten-Nutzen-Analyse der Strategen, nach dem Krieg versucht derselbe Apparat die Folgekosten niedrig zu halten, lsst den krperlich und seelisch Zerstrten einen unwrdigen Kampf um eine Rente fhren, die den ffentlichen Haushalt nicht belasten soll. Man braucht das Geld doch fr anderes. Die hohen Pensionen der Generle werden anstandslos gezahlt.

    Wenn eine Armee Nachwuchs rekrutieren will, darf sie solches nicht sagen. Da wird ein frohes Soldatenleben vorgegaukelt, wo prima Kameraden sich im sport-lichen Wettstreit messen, die Welt kennenlernen und mit groartigen Maschinen zu Lande, zu Wasser und in der Luft die Naturgesetze scheinbar berwunden werden. Wenn man frher Soldaten anwarb, indem man sie besoffen machte, ist es heute immer noch dasselbe Vorgehen: Man redet sie besoffen, ldt sie ein in Karrierecenter, am besten schon whrend der Schulzeit, wenn noch nicht allzu viele kritische Fragen gestellt werden. Wo solche Karrieren dann vielleicht einmal enden, wird verschwiegen. Merken die Soldaten dann spter, was auf sie zukommt, und versuchen, diesen Konsequenzen ihrer Berufsent-scheidung zu entgehen, erhalten sie neben dem Einsatzbefehl den Hohn ihrer Befehlshaber. Was bleibt dann noch?

    Da sind Eltern. Die Mutter hat ihren Sohn unter Schmerzen geboren, ihn liebevoll gepflegt, vor allem Bsen bewahrt, denn er war ihr das Liebste auf der Welt. Sie hat mit ihm gelacht und geweint und war stolz, wie er zu einem schmucken Burschen heranwuchs. Der Vater hat seinen Sohn mit der Welt vertraut gemacht, freute sich an seiner Kraft und hatte nur einen Wunsch fr ihn: Er sollte es einmal besser haben. Und dann erhalten sie die Nachricht: Der Junge ist tot, er ist gefallen. Die ihnen diese Nachricht berbringen, erwarten, dass die Eltern bei aller Trauer stolz sind auf ihren Sohn, weil er sich geopfert hat fr irgendetwas. Was wren das fr Eltern, die stolz darauf sind, dass ihr Kind irgendwo in der Welt in Dreck und Blut sein Leben aushaucht?

    Wenn Soldaten sterben, beteuern die, die sie dazu gebracht haben, dass sie um diese Soldaten trau-ern, mit den Angehrigen den Schmerz teilen, ein ehrendes Angedenken an die Gefallenen bewahren werden. Es gibt kaum schlimmere Lgen aus dem Mund von Politikern. Von Anfang an haben sie diesen Tod billigend in Kauf genommen, ihn mit in ihr Kalkl einbezogen. Kaum sind die letzten Takte vom guten Kameraden verklungen, da schmieden sie schon neue Plne, wohl wissend, dass auch die tdlich enden knnen. Das fllt ihnen leicht, denn sie selbst sind ja auerhalb der Reichweite von tdlichen Waffen, und ihre Shne sind auch selten unter den Gefallenen zu finden. Sie feuern auch keinen Schuss ab, der ihnen einmal das Gewissen belasten knnte. Ihre Waffen sind der Kugelschreiber und das Telefon.

    Es gibt keinen Heldentod, auf keiner Seite der Fronten, weil es auch keine Helden gibt. Die meisten Opfer von Kriegen sind heute Zivilisten. Sie sterben ohne eine Waffe in der Hand. Ist es eine Heldentat, einen wehrlosen Zivilisten zu tten? Die USA haben als neue militrische Auszeichnung die Medaille fr herausragende Kriegfhrung gestiftet. Die wird bekommen, wer besonders effektiv aus einem klimatisierten Bro heraus mittels Mausklick ttet. So sehen also heute Helden aus. n

    S und ehrenvoll?Es gibt keinen Heldentod Text Manfred Wolff

    Deutsche Soldaten nach Patrouille mit der ANA zurck im PRT Feyzabad

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  • strassen|feger 11/2013

    6 Titel

    Helden des AlltagsSie sind die Helden des Alltags: Die Mnner, die tglich unseren Mll abholen. Die Frauen und Mnner, die sich jeden Tag als Krankenschwestern, Pfleger_innen oder rzte um unsere Gesundheit kmmern. Die Polizist_innen, deine Freunde und Helfer in der Not, manchmal aber auch Feindbild. Die Demonstrant_innen, die fr eine gute oder gegen eine schlechte Sache auf die Strae gehen. Es gibt sicher noch sehr viel mehr Helden des Alltags. An dieser Stelle ein Dank an sie alle!Text Andreas Dllick

    Rettungssanitter der Feuerwehr im Einsatz

    Straenfeger sorgen fr Sauberkeit Tglich holen sie unseren Mll ab

    Menschenleben retten ihr Auftrag

    Fotos: Andreas Dllick VG Bild-Kunst

  • 11/2013 strassen|feger

    7Titel

    Ehrenamtliche Helfer bei mob e.V.

    Tgliche Pflege extrem wichtig!

    Wenige Stunden nach der Herztransplanta-tion: Patrick ist noch nicht bei Bewusstsein, als Mutter Silke Veigl (links) und Schwester Carina ihn auf der Intensivstation besuchen.

    Demonstrieren ist auch mutig Die Polizei, Dein Freund und Helfer

    Quelle: Archiv strassenfeger Foto: www.herzwerker.de

    Foto: Uni-Klinikum Erlangen

    Fotos: Andreas Dllick VG Bild-Kunst

  • strassen|feger 11/2013

    8 Titel

    Xaviers Weg

    Der Snger Xavier Naidoo im Exklusiv-Interview

    Text Ute Wild, BISS

    Sptestens seit dem WM-Hit Dieser Weg und dem TV-Talentwettbewerb The Voice of Germany kennt ihn jeder: Xavier Naidoo. Am 31. Mai hat der Snger sein neues Album Bei Meiner Seele herausgebracht. Ute

    Wild von der Mnchner Straenzeitung BISS sprach exklusiv fr die deutschsprachigen Straenzeitungen mit Xavier Naidoo ber seine neue Platte, ber Engagement, ber Obdachlosigkeit und soziale Straenzeitungen. Guerilla-Marketing oder nobles Understatement?

    Ute Wild: Hier in Mannheim heit die Straen-zeitung Trott-war. Haben Sie schon mal eine gekauft?Xavier Naidoo: Ich kaufe immer Straenzeitungen. Ich habe auch schon mal welche in Sprachen gekauft, die ich gar nicht verstehe.

    U. W.: Wer aus Ihrem Team hatte die Idee fr den PR-Gag, ein Interview nur fr Straenzeitungen?X. N.: Das ist kein PR-Gag. Wenn es nach mir geht, wrde ich am liebsten gar nicht bers Album reden. Das ist mhselig, ber die Kunst, die man macht, noch zu sprechen. Ist ja eigentlich immer alles gesagt. Dann hat meine Mitarbeiterin gesagt, vielleicht hast du doch Lust, fr die Obdachlosen Da habe ich sofort okay gesagt.

    U. W.: Die Menschen interessieren sich auch fr den Knstler hinter den Kulissen, das Private. Und das schotten Sie akribisch ab. 2012 haben Sie geheira-tet - ohne ein einziges offizielles Bild.X. N.: Das machen andere heftiger als ich. Man liest schon immer wieder was ber mein Privatleben, weil mir oft einfach was rausrutscht. So bin ich gestrickt. Das mit der Hochzeit war ja auch nicht zu verbergen, wenn man dann den Ring trgt. Aber man muss sich oft wehren, wenn man ein Interview gibt. Ich rede am liebsten frei von der Leber weg. Dann merkt man pltzlich, aha, bei manchen Informationen, da wird die Lupe drauf gehalten - und auf einmal ist alles aus dem Kontext gerissen. Wenn es mir auf der Seele brennt, irgendwas rauszulassen, dann kann

    ich das ja machen, auch auf Facebook. Jetzt fr die Straenzeitungen habe ich gedacht, da macht es wenigstens mal Sinn.

    U. W.: Wie kommt es, dass Sie auf Ihrem neuen Solo-Album doch mehr ber Persnliches verraten?X. N.: Das passiert einfach wegen der Soul-Musik. Man muss die Musik ja mit etwas fttern, was man fhlt. Das sind Dinge, die einem wichtig sind. Wenn die Musik das hergibt, dann ist das eben etwas Liebevolles. Ich habe ja auch Musik geschrieben, wo es um was ganz anderes ging. Das fliet dann ungefiltert ein, weil ich keine Filter habe. Wenn ich schreibe, schreibe

    ich ber alles. Ich berlege mir nicht vorher, schreibe ich einen Liebessong - das passiert einfach. Ich bin nicht in der Lage das abzuschotten. Ich finde, man muss immer bereit sein, die Hosen runterzulassen.

    U. W.: Einige Songs auf dem neuen Album thema-tisieren faires Miteinander. Wird man beim Hren ein besserer Mensch?X. N.: Ich wei nicht. Wer viel Naidoo hrt, hat wahrscheinlich schon Bock darauf, in der liebevollen Welt zu leben und seinen Teil dazu beizutragen. Sonst wrde er meine Musik nicht ertragen knnen. Deswegen polarisiere ich auch so sehr. Ich glaube, wir

    Foto: Thommy MradoDer Snger Xavier Naidoo

  • 11/2013 strassen|feger

    9Titel

    haben hin und wieder die Mglichkeit als Knstler, so ein Ideal hinzustellen, an das man sich selber nicht halten kann. Aber ein Lied ist unschuldig.

    U. W.: Die Linksjugend und der LSVD hatten Sie mit dem Vorwurf der Volksverhetzung angezeigt. Die Anzeige wurde mittlerweile fallen gelassen. Es ging um einen Song auf dem Album Gespaltene Persnlichkeit, dem XAVAS-Album mit Ihrem Freund, dem Rapper Kool Savas. War der Song so krass?X. N.: Nein, es war krass, wie schnell die Sachen aus dem Kontext gerissen wurden. Es gab einen Kommen-tar von der Welt, auf den sich dann alle bezogen. Es war im Falle der Linken ein bisschen verstrend, weil ich gedacht habe, die wrden sich auf jeden Fall erst noch mit der Thematik auseinandersetzen und sich nicht nur auf einen Artikel berufen. Wie geht denn das zusammen? Wir sind schon ein paar Tage spter zu denen in die Zentrale gegangen und haben das Gesprch angeboten. Wenn man sich den Song zu Ende anhrt, wei man, um was es wirklich geht.

    U. W.: Sie sind beraus erfolgreich. Die Verkufer unserer Straenzeitungen hingegen blicken oft auf einen Lebenslauf zurck, der vom Scheitern geprgt war. Wie ist Ihr Blick auf Menschen am Rande der Gesellschaft?X. N.: Das sind meine Helden. Ich habe, soweit es geht, fast in allen Lndern Beziehungen zu Obdachlosen. In Frankreich kenne ich ein paar, die ich immer gerne

    untersttze. Ich habe letztes Jahr zwei Obdachlose in Belgien in eine Wohnung von mir aufgenommen. Einer lebt da immer noch. Mit dem anderen hat es nicht so geklappt.

    U. W.: Sie sind auch ein Frderer des Vereins Auf-wind Mannheim, der sich fr arme Kinder einsetzt Um was geht es dabei?X. N.: Wir haben das ins Leben gerufen und bis zum letzten Tag werden wir der Sache beistehen. Da geht es um einen Stadtteil, den man vielleicht als Brenn-punkt bezeichnen knnte und um viel auslndische Mitbrger, die nicht gut Deutsch sprechen. Bis vor kurzem haben wir Land gesehen und gedacht, wenn man in dem Stil weitermacht, dann kann aus dem Stadtteil richtig was werden. Jetzt kommen bulga-rische und rumnische Menschen und alles gert wieder etwas aus den Fugen.

    U. W.: Geht es hauptschlich um Kinder mit Migra-tionshintergrund?X. N.: Nein, alle, die nicht gut mit der Schule zurechtkommen oder zuhause nicht lernen knnen. Aus allen Familien, aus aller Herren Lnder kommen Kinder zu uns, die dann Hausaufgabenhilfe, Essen und Betreuung bekommen, bis in den Abend hinein. Mittlerweile ist das ein Generationenhaus geworden, weil auch viele kommen, die jetzt keine Kinder mehr dort haben. Das ist schon ein Vorzeigeprojekt. Ich wei noch, vor vier Jahren konnte ich mit manchen Kindern kaum ein Wort wechseln und jetzt auf einmal kann man bers Leben philosophieren.

    U. W.: Schneidersohn, nach der Realschule Koch, Badehosenmodel, Trsteher... Sie haben im Kirchen-

    chor gesungen und in Musicals mitgespielt. Lernt man dabei frs Leben dazu, etwa als Trsteher?X. N.: Absolut. Ich glaube mal, alle Erfahrungen, die man als Mensch macht, sind wichtige Erfahrungen. Dadurch, dass meine Eltern aus Sdafrika kamen und ich auf Apartheid aufmerksam wurde, war mir schon relativ klar, wer ich bin und wo ich herkomme. Es war auch eine tolle Erfahrung in der katholischen Kirche zu sein. Nicht etwa, weil ich die katholische Kirche so schtze. Sondern es ist eine krasse Erfahrung, in der Kirche der einzige Dunkelhutige zu sein. Ich hatte viel Gefallen an der Musik. Die ersten Texte, die ich geschrieben habe, die waren ja sehr mit dieser Religiositt behaftet.

    U. W.: Welche Rolle spielen Ihre Familienwurzeln? Haben Sie einen Bezug zu Sdafrika, wo Ihre Eltern gelebt haben, zu Sri Lanka, der Heimat Ihres Vaters?X. N.: Mit Sri Lanka habe ich gar nichts zu tun. Dass mein Vater da her kommt, das steht zwar in Wikipedia, aber das stimmt nicht. Nein, mein Vater kommt auch aus Sdafrika, aber der Name kommt ursprnglich aus Indien und ganz ursprnglich aus Bangladesch. Dazu habe ich persnlich gar keinen Bezug. Trotzdem spre ich einen Bezug, weil ich es im Inneren fhlen kann. Und so ist meine Weltanschauung. Und die ist - glaube ich - sehr vom Indischen, von der indischen Weltanschauung geprgt. Auch Trommeln und Rhythmen, das kommt alles eher aus dem Teil meiner Ahnenschaft, obwohl ich in Mannheim geboren bin. In Sdafrika kenne ich viele Familienmitglieder, weil ich als Kind und als Jugendlicher oft dort war. Ich wei einfach, was Sdafrika fr ein Land ist und dass dort tolle Menschen sind und dass es ein tolles Volk ist, aus dem ich entstamme. Mein

    Plattencover

    Foto: Alexander Laljak

  • strassen|feger 11/2013

    10 Titel

    Vater war halb-indisch, halb-deutsch. Und meine Mutter irisch und sdafrikanisch. Und fr die Iren empfinde ich auch schon wieder was. Die Art zu singen, dieses Spontane und dieser Humor, den meine Familie hat, der ist schon sehr irisch.

    U. W.: Haben Sie Erfahrungen mit Diskriminierung hier in Deutschland?X. N.: Immer nur mit dummen Menschen. Mit dem Groteil der Menschen nicht. Die lernen einen kennen und dann geht es normal weiter. Ich hatte ein, zwei Mitschler, die ein bisschen lter waren. Fr die war man halt der Bimbo. Das war damals noch blich. Aber ich knnte jetzt nicht sagen, dass es so schlimm war. Ich habe schlimme Erlebnisse gehabt, aber auch die wollte ich nicht missen.

    U. W.: Was hat die Bekanntheit in Ihrem Leben verndert?X. N.: Ich will nicht bekannt sein. Ich kann mich hier nicht mehr bewegen, in meiner Heimat. Ich habe eine Heimat verloren. Das ist mein tglicher Schmerz. Wenn man sich darber auslassen will, kann man depressiv werden. Aber es gibt Vorteile. Und es gibt auf jeden Fall Menschen, die schlimmer dran sind. Aber fr jemanden wie mich ist es der Horror.

    U. W.: 2010 sind Sie in Afghanistan vor Bundeswehr-Soldaten aufgetreten. Warum?X. N.: Ich bin ein Feind dieses Krieges, aber ein Freund, nicht unbedingt der Soldaten, sondern der Menschen. Die haben eine Entscheidung getroffen und gesagt, okay, ich mchte in die Bundeswehr. Dann werden die da hingeschickt. Also, wenn die da sein knnen, dann kann ich allemal dort hingehen. Schon gerade, wenn ich hier das Maul aufgerissen habe in Songs, wie ungerecht es ist. Dann muss man sich auch mal gerademachen und mithelfen, damit er wahrgenommen wird, der Krieg.

    U. W.: Was ist fr Sie persnlich wichtig am Thema Religion - und wie stehen Sie zu anderen Religionen?X. N.: Ich lasse alles gelten. Ich muss es ja nicht annehmen. Ich bin berhaupt nicht dogmatisch und mit Religion schon gar nicht. Wenn man seinen Gott gefunden hat, kann man eine Religion draus machen oder man kann es dann in seinen Alltag aufnehmen und fertig. Kein groes Ding. Ich brauche keine Mittler. Wir haben doch alle selbst einen Kopf zum Denken. Ich kann es nur jedem empfehlen, eine eigene Beziehung zu Gott zu haben und nicht ber irgendeinen Mittler zu gehen. n

    8 www.street-papers.orgFoto: Alexander Laljak

  • 11/2013 strassen|feger

    11Titel

    Die nchste Messe in Berlin: 16./17.11.2013 im Postbahnhof am Ostbahnhof8 www.heldenmarkt.de

    Wir sind die wahre Grne

    WocheDie Messe von Helden fr Helden

    Text Marcel Nakoinz

    Mit Hi, ich bin der Grtner stellt sich mir Lovis Willenberg (39) in seinem Bro im Prenzlauer Berg vor. Der Jungunterneh-mer mit der wilden Mhne, der frher einmal Besitzer zweier Plattenlden

    war und diese auch selbst als DJ auflegte, ist der kreative Kopf hinter einer ganz auergewhnlichen Idee. Ich stand dem ko-Thema schon immer recht offen gegenber und habe dann vor einigen Jahren bemerkt, dass ko-Kleidung, -Strom und -Essen oftmals nicht nur qualitativ hochwertiger als vergleichbare Produkte der Groindustrie sind, sondern auch gar nicht, wie oft suggeriert, teurer als diese, so Lovis, in dem schnell der Wunsch ent-stand, dieses Wissen mit mglichst vielen anderen zu teilen. Da war das Verkaufen von ko-Klamotten im Plattenladen nur ein erster Schritt, der die immense Nachfrage seiner Kunden aber nicht lange stillen konnte. Schnell stellte Lovis fest, dass er mit seinem Nischenverkauf nicht der einzige war und so fing er an, sich mit Gleichgesinnten zusammen zu tun, um gemeinsam etwas Greres auf die Beine zu stellen. Der Heldenmarkt war geboren.

    Unsere Bank soll grner werdenIm Postbahnhof fand dann 2010 die erste Messe statt. War noch viel berzeugungsarbeit von Nten, um die 65 Aussteller fr die erste Messe im Berliner Postbahnhof 2010 zusammenzutrommeln, ist Lovis 2012 mit 161 Ausstellern vllig ausgebucht. Mit seiner Idee traf er damals genau den Nerv der Zeit und erregte sofort mediales Interesse, so dass bereits die erste Messe, die Lovis allein auf die Beine stellte ein voller Erfolg wurde. Heute arbeiten in seiner Firma Forum Futura UG fnf Mitarbeiter und veran-stalten deutschlandweit jhrlich Messen in Mnchen, Bochum, Frankfurt am Main und Stuttgart. Die hier ausstellenden Biobetriebe sind dabei so vielseitig wie nur irgend mglich. Von den Biobauern der jeweiligen Region, ber Umweltdruckereien, Windenergiefirmen und sogar ethischen Banken ist alles vertreten. Bei letzteren kann der Geldanleger selbst bestimmen, in welche Projekte die Bank sein Geld investiert, also ob damit also zum Beispiel ein Kindergarten, Biolandbau oder Krankenhuser untersttzt werden sollen, so Lovis.

    Helden des AlltagsGeschftsfhrer Daniel Sechert (38), seines Zeichens Diplomkaufmann, stie nach der ersten Messe dazu und brachte mit seinen mittlerweile dreizehn Jahren Erfahrung in Messeorganisation und Veranstaltungs-management das ntige Knowhow in die Unterneh-

    mung ein, um Lovis Ideen zu verwirklichen. Die Frage, die uns bewegt, ist, wie sich jeder verhalten und leben kann, um mglichst wenig Auswirkungen auf andere Menschen zu haben, erklrt Lovis. Nachhaltiges Denken wird bei den beiden gro geschrieben. Selbst der Netzschalter von Daniels Laptop leuchtet grn. Wir entscheiden jeden Tag mit unserem Geld, wie die Welt dort drauen aussehen soll, erklrt Lovis, ich habe jeden Tag die Wahl, ob ich in einer Fastfood-Kette einen Hamburger kaufe und die Massentierhaltung untersttze oder auf einem Biomarkt einkaufen gehe, um die lokale Landwirtschaft zu untersttzen. Menschen, die eine Firma aufmachen, weil sie von einer Sache berzeugt sind und der Profit erst einmal nebenschlich ist und auf der anderen Seite die Konsumenten, die diese Produkte dann auch kaufen und sich auf Messen wie dem Heldenmarkt informieren wollen, sind fr Lovis und Daniel die alltglichen Helden gesellschaftlicher Verantwortung.

    Mit allen grnen Wassern gewaschenIst es aber bei all den Biohochstaplern und Green-washern heutzutage nicht sehr schwer geworden, Schwarze Schafe ausfindig zu machen? Lovis sieht das eher gelassen: Zum einen sind wir in der Szene sehr gut vernetzt und da fllt relativ schnell auf, wenn jemand krumme Sachen macht. Zum anderen holen wir uns im Zweifelsfalle externen Rat zur Seite. Jedes Jahr mssen wir ungefhr fnfzehn Prozent der Bewerber um einen Ausstellungsplatz ablehnen, einfach weil sie uns nicht in letzter Konsequenz berzeugen konnten. Nur weil eine Fabrik eine Solaranlage auf dem Dach hat, sind eben nicht alle Produkte die unten rauskommen automatisch Bio. Ein gutes Indiz sind fr uns das Vorhandensein eines Gtesiegels, ergnzt Daniel, und die detaillierte Beschreibung der Produktionsprozesse. Jemand, der auch in anderen Bereichen nachhaltig denkt und zum Beispiel selbst kostrom nutzt, ist immer glaubwr-diger als jemand, der ber Nacht die Idee hat, mal eben mit Bio Geld verdienen zu wollen. Auf die Frage, was er dann von Messen wie der Grnen Woche halte, entgegnet mir Daniel nur mit spttischem Blick: Wir sind die wahre Grne Woche. n

    Info:

    Foto: Marcel Nakoinz

    Foto: Hermannsen

    Lovis Willenberg und Daniel Sechert

    Heldenmarkt 2011

  • strassen|feger 11/2013

    12 Titel

    Kneipenpaule, Ttenberta und all die anderen

    Meine AlltagsheldenText Thomas Neumann, verkauft den strassenfeger

    Bei dem Thema Alltagshelden fallen uns immer sofort Feuerwehrmnner oder Polizisten ein. Tglich riskieren sie ihre Gsundheit oder gar ihr Leben zu unserer Sicherheit. Dass diese Berufe nicht unge-

    fhrlich sind, beweisen nicht zuletzt diejenigen, die in der Ausbung ihres Berufes ums Leben gekommen sind. Mich beeindrucken Menschen, die in einer hei-klen Situation einfach einen klaren Kopf behalten. Folgendes habe ich neulich zufllig in der S-Bahn erlebt. Beim Schlieen der S-Bahn-Tr, der Zug wollte losfahren, wurde eine Frau eingeklemmt. Ein groes Geschrei ging los. In dieser uerst gefhrlichen Situation ffnete ein Mann geistesgegenwrtig die Tr, indem er einen ber der Tr befi ndlichen Hebel drehte und so die arme Frau befreite. Solche Menschen werden dann zum Lebensretter.

    Doch im Laufe meines Daseins als Verkufer des strassenfeger habe ich noch ganz andere Helden des Alltags kennengelernt. Nmlich Sie, liebe Leser_innen dieser Zeitschrift, ja Sie. Schauen wir uns doch einmal einen der Beweggrnde an, warum Sie diese Zeitung gekauft haben. Jeder von Ihnen hat doch diese Zeitung erworben, weil er dem Menschen, der ihm diese Zeitung angeboten hat, untersttzen wollte. Damit wurde er auch zum Lebensretter. Sie haben Nchstenliebe gezeigt, ein in der heutigen Zeit verloren gegangenes Gut des Menschen. Denn wie ist es denn heute? Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, hetzen von einem Termin zum anderen. Wer hat da denn noch die Zeit, einfach mal stehen zu

    bleiben und zu helfen. Da muss man manchmal ber seinen Schatten springen, gegen den Strom der Zeit schwimmen. Da gibt es aber auch Menschen die ihr Leben der Nchstenliebe ausgerichtet haben. So wie all die ehrenamtlich oder berufl ich Ttigen, die sich tglich um sozial schwache oder in Not geratene Menschen kmmern. Wie unser Pfl egepersonal in Kranken- und Pfl egeheimen. Zu einem Helden knnen wir alle werden. Manchmal reicht schon ein gutes Wort. All diesen Helden hat Frank Zander einmal ein Lied gewidmet, mit dem ich mich an dieser Stelle bei all diesen Helden bedanken mchte:

    Da ist Heidi, die dem Kurt ne Suppe gibt

    und ihm ab und zu nen Euro rberschiebt.

    Kneipenpaule schenkt dem Gerd nen khles

    Bier und im Winter auch schon mal nen

    Nachtquartier.

    Wir stehen auf und wir heben unsere Hnde.

    Halten alle fest zusammen bis zum Ende. Wir

    stehen auf, lassen Wunderlampen brennen.

    Lassen unseren Gefhlen freien Lauf. Leute

    dafr stehen wir auf; stand up now, stand

    up now.

    Schwester Gerda macht wie immer ihre Tour,

    hilft so manchem kranken Muttchen in die

    Spur. Und Marianne sammelt fr die dritte

    Welt. Doch zum Leben fehlt ihr selber oft

    das Geld. Mit Ttenberta ist der Wachmann

    lngst per Du. Und drckt wenn sie im

    Haus ur pennt nen Auge zu. Wenn auch die

    Aktien steigen und der Euro fllt. Sie bleiben

    unsere stillen Helden dieser Welt.

    Wir stehen auf und wir heben unsere Hnde.

    Halten alle fest zusammen bis zum Ende. Wir

    stehen auf, lassen Wunderlampen brennen.

    Lassen unseren Gefhlen freien Lauf. Leute

    dafr stehen wir auf; stand up now, stand

    up now.

    Und wenn uns auch das Wasser bis zum Hals

    steht. Das Privatleben absolut verkorkst ist.

    Wenn wir uns so richtig beschissen fhlen.

    Sollten wir an die denken, die es oft viel

    schlechter geht als uns und an die stillen

    Helden dieser Welt.

    Wir stehen auf und wir heben unsere Hnde.

    Halten alle fest zusammen bis zum Ende. Wir

    stehen auf, lassen Wunderlampen brennen.

    Lassen unseren Gefhlen freien Lauf. Leute

    dafr stehen wir auf; stand up now, stand

    up now.n

    Quelle: Autor

  • 11/2013 strassen|feger

    13Titel

    8 www.smb.museum/smb/kalender/

    GilgameschH

    elden gibt es seit sich Menschen Geschichten erzhlen. So auch vor rund 5000 Jahren als die Rede war von Gilgamesch dem Knig von Uruk. Das nach ihm benannte Epos gilt als eine der

    ersten Quellen fr die Frhgeschichte der Menschheit. Aufgezeichnet wurde es erstmalig nach 1000 Jahren der mndlichen berlieferung in Keilschrift auf zwlf Tontafeln. ber zwei Jahrtausende ist es von unterschiedlichen Autoren immer wieder niederge-schrieben worden. Erhalten geblieben ist die Fassung des Sin-Lege-Unnini, einem Orakelpriester um 1200 v. Chr.. George Smith (1840-1876) und Henry Layard (1817-1895) waren es schlielich, die sich an die bersetzung und Deutung der Tontafeln machten. Es ist bis heute ein unvollstndiges Puzzle aus vielen Bruchteilen geblieben. Und ob es Gilgamesch wirklich gab, bleibt fraglich. Die Geschichte dieses Helden aber lebt weiter.

    Gilgamesch und der Waldmensch EndkiduSie handelt von einem furchtlosen Mann, aus gutem Hause, der seine Krfte mit der ganzen Welt messen mchte und nach Unsterblichkeit strebt. Zwei Drittel Gott, ein Drittel Mensch wird Gilgamesch als wenig tugendhaft beschrieben. Er glnzt vor allem durch seinen rohen Charakter, den er tglich unter Beweis stellt. Als Herrscher von Uruk ist seine Gier nach krperlichen Ausschweifungen malos, seine Brutalitt und Tyrannei gefrchtet. Als gottgleicher Regent hat er kein Erbarmen mit seinen Untertanen und drischt selbst noch beim Ballspiel gnadenlos auf seine Gegner ein. Der Gebieter von Uruk ist alles andere als beliebt. Als die Untertanen schlielich keinen Ausweg mehr sehen, beschweren sie sich bei den himmlischen Mchten. Die wiederum lassen sich nicht lange bitten. Um Gilgamesch zur Vernunft zu bringen, erschaffen die Unsterblichen den Waldmen-schen Enkidu, der sich dem Zgellosen entgegenstellt. Gilgamesch erfhrt zum ersten Mal seine Grenzen. Bis zum nchsten Tag dauert das Ringen. Einen Sieger jedoch gibt es nicht. Erschpft schlieen die beiden Freundschaft. Enkido wird sein ergebener Gefhrte.

    Gilgamesch und der weise Mann Uta-NapischtiIn Uruk regiert pltzlich ein Zweiergespann, der Anfang vom Ruhm der Stadt. Um die Bume zu fllen, die sie fr ihre Bauwerke in Uruk bentigen, ziehen beide in den Libanon und tten Humbaba, den Wchter des Zedernwaldes. Doch diese Freveltat bleibt nicht ohne Folgen. Auf Beschluss der Gtter stirbt Enkidu, und Gilgamesch verfllt in tiefe Trauer. Er

    verlsst seine Residenz und irrt auf der Suche nach Unsterblichkeit durch die Welt. Von den inneren und ueren Kmpfen und Leiden gezeichnet, trifft Gilgamesch schlielich in einem Edelsteingarten auf Uta-Napischti. Der weise Mann, der die Sintfl ut berlebt hat, erteilt dem Rastlosen bittere Lehren und bringt ihn zur Einsicht. Gelutert kehrt der Herrscher nach Uruk zurck und baut fortan als gtiger Landesvater der Sumerer die von der berschwemmung zerstrte Stadt wieder auf. Im Schutz einer imposanten Mauer, die noch heute zu sehen ist, blht sein Stadtstaat von neuem auf.

    Erste Arbeitsteilung und Massenfabrikation in UrukAusgrabungen in Uruk, dem heutigen Warka im Sden des Iraks belegen die auerordent-lichen Errungenschaften dieser Zeit. Dazu zhlt die ganzjhrige landwirtschaftliche Nutzung der Felder durch intelligente Bews-serungssysteme. Die Sumerer gelangten dadurch nicht nur zu Wohlstand, sondern auch zu einer ersten Form der Arbeitsteilung und Massenfabrikation. Das zog weitere Berufe wie

    Lagerarbeiter, Verwalter und Hndler nach sich. Uruk wird im Jahre 2000 v. Chr. zur Mutter aller

    Metropolen mit 3.0000 bis 60.000 Einwohner. Erfi ndungen wie die Tpferscheibe, in Folge

    das Rad und die Keilschrift werden dieser Epoche zugeschrieben. Den Sumerern war es mit mal mglich, gesprochene Sprache zu schreiben und Geschichten wie das Gilgamesch-Epos zu verfassen.

    Mehr zu Gilgamesch gibt es im Pergamon-Museum

    Wer diesem Mythos noch einmal nachgehen mchte, hat dazu bis zum 8. September im

    Pergamon Museum bestens Gelegenheit. Anlsslich des Grabungsbeginns der Deutschen Orient-Gesellschaft im Winter 1912/13 in Uruk wird die Entwicklung der Grostadt damaliger Zeit mit den

    erfi nderischen Sumerern als ihren Protogonisten nachgezeichnet und mit heutigen Mglichkeiten visualisiert. Es ist dem Louvre in Paris zu verdanken, dass eine Gipskopie der fnf Meter hohen Kolossalsta-tue von Gilgamesch mit einem bezwungenen Lwen im Arm uns ebenso ehrfrchtig wie gtig in dieser Ausstellung willkommen heit. n

    Info:

    Heldengeschichten zwischen Fiktion und WahrheitText Andreas Peters

  • strassen|feger 11/2013

    14 Titel

    Mahatma Gandhi ein HeldWas uns sein Handeln und Leben heute noch sagt

    Text Detlef Flister

    Helden wie ihrKnud Kohrs gesammelte HeldengeschichtenText Andreas Dllick

    Dieses Buch ist ein gelungener Wurf. Es ist unterhaltsam und amsant. Der Autor Knud Kohr stellt dem geneigten Leser ganz liebevoll die unterschied-lichsten Menschen aus dem Umfeld des

    Karl-August-Platzes in Berlin-Charlottenburg vor, die die Schwierigkeiten des Alltags ziemlich gekonnt meistern. Manchmal aber auch nicht. Kleine Helden eben, aber auf ihre ganz eigene Art. Sie alle stellen sich den Herausforderungen des Lebens. Manchmal gewinnen sie, manchmal verlieren sie; das macht diese Menschen uerst symphatisch. Man ist als Leser nah bei ihnen. Man kennt das aus seinem eigenen Leben: Man kmpft hart, man gibt oft das Letzte, und doch will es nicht immer gelingen. Die Tcken des Lebens setzen einem hart zu. Doch aufgeben, resignieren, das kommt berhaupt nicht in Frage. Es geht weiter, immer weiter, wie ein berhmter Fuballer einmal seine Lebensmaxime formulierte. Weiter mit Hoff-nung, mit Mut und mit Haltung. Helden wie wir.

    Im Klappentext des Verlages heit es: Wahres Heldentum ist berall zu fi nden Vielleicht muss ein Held hier nicht gleich die ganze Welt retten,

    seine Taten sind jedoch nicht weniger heroisch: Er kmpft mit den Tcken des Alltags und fi cht schlielich seinen wichtigsten Kampf aus: den mit sich selbst. Knud Kohr geht in seinen Geschichten der Frage nach, was wahres Hel-dentum ausmacht. Nicht immer fi ndet er in seinen komischen und anrh-renden Erzhlungen tatschlich einen Helden,

    immer aber bewahrt er sich einen genauen und dabei liebevollen Blick auf seine Mitmenschen.

    Das stimmt alles haargenau! Also, meine Empfehlung: Kaufen Sie das Buch, lesen sie es und fi nden heraus, ob Sie vielleicht auch ein Held sind. Dem Verbrecher Verlag sei Dank dafr, dass er dieses Stck Literatur verffentlicht hat. Dem Autor Dank fr ein paar sehr unterhaltsame Stunden. n

    Knud Kohr wurde 1966 in Cuxhaven geboren und zog 1985 nach Berlin, wo er Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre studierte und bis heute lebt. Von 1994 bis 1996 arbeitete er als Redakteur. Anfang der Neunzigerjahre war Kohr Mitinhaber eines Kleinverlages und gehrte zur Berliner Autorengruppe Das Labor. Seit 1997 schreibt er als freier Autor Prosa, Drehbcher und Reiserepor-tagen. Helden wie ihr hieen seine erfolgreichen Kolumnen in der Basler Zeitung.

    Im Verbrecher Verlag sind eine Sammlung von Reisegeschichten unter dem Titel Die enge Welt (2006), der Roman In Cuxhaven (2009) und zuletzt der Band Helden wie ihr (2013) erschienen. Auerdem verffentlichte Kohr das Buch 500 Meter. Trotz Multipler Sklerose um die Welt (Rtten & Loening, 2010).

    Die Kolumnen Knud Kohrs erschienen zuerst in der Basler Zeitung und berichteten den Schweizern ber das Leben in Berlin. Das Buch gibt es berall im Buchhandel und kann bestellt werden beim Berliner Verbrecher Verlag.

    Buchcover

    Knud Kohr

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  • 11/2013 strassen|feger

    15Titel

    Mahatma Gandhi ein HeldWas uns sein Handeln und Leben heute noch sagt

    Text Detlef Flister

    Gandhi ist einer der charismatischsten Persnlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Mit seiner asketischen Lebensweise, die das Leben mit und nicht gegen die Natur zum Ziel hat und seiner gewaltfreien Ein-

    stellung im Freiheitskampf Indiens gewann er sehr schnell den Rckhalt in der indischen Bevlkerung.

    Die Situation vor Gandhis Eingreifen in IndienVor Gandhis Rckkehr nach Indien brauchte man sich nur die Bevlkerungszahl des Landes ansehen, das britisch beherrscht war. 410 Millionen Inder verschiedener Glaubensrichtungen standen ledig-lich 150.000 Englndern gegenber, die das Land beherrschten. Die Uneinigkeit der Inder lieen, zumindest bis zu Gandhis Rckkehr, jeden Widerstand gegen die Besatzungsmacht verpuffen. 312 Millionen Einwohner standen unter britischer Verwaltung, ein Drittel des Landes (ca. 100 Millionen Einwohner) war in 565 Frstenstaaten aufgegliedert, in denen 15 Sprachen und 845 Dialekte gesprochen wurden. Es gab 85 Prozent Analphabeten im Land und die Armut der Bevlkerung war unbeschreiblich gro.

    Wie Gandhi den Widerstand organisierteGandhi trug seine Ideen in der Bevlkerung vor. Schnell gewann er die Sympathie der Inder, die seinen Prinzipien folgten, sich auf seine Seite schlugen. Der zivile Widerstand gegen die uneingeschrnkte Macht Englands kam dadurch in Gang, wurde durch den Salzmarsch 1930 unter Beweis gestellt, der dem Land wirtschaftliche Erholung brachte. Gandhi ging es von Anfang an hauptschlich darum, die Macht der Englnder durch moralische Strke zu brechen. Es ging bei seiner Widerstandsidee vor allem um Gewaltlosigkeit. Immer wenn sich seine Landsleute daran nicht hielten, trat er in den Hungerstreik, um Gewaltexzesse seiner zu beenden, was er dann auch immer erreichte, weil die Inder ihren charismatisch starken Fhrer nicht verlieren wollten. Indien gelang es dank Gandhi auch unabhngig zu werden, wozu vor allem seine prinzipientreue Moral beitrug. Am 15. August 1947 hatte sich die Bevlkerung mit ihren berwiegend gewaltfreien zivilen Widerstand durch-gesetzt und die Englnder zur Aufgabe der Besatzung gezwungen. Ein Wunsch wurde ihn nicht erfllt: Whrend er die Hindus und die Parias auf seine Seite bekam, gelang ihn dies mit seinen Glaubensbrdern, den Muslims, leider nicht. Zur Wahrung des Friedens musste Indien geteilt werden und Pakistan entstand.

    Asketische Lebensweise und Leben mit der NaturGandhis Weg fhrte zurck zur Religion, die wieder zu einer Kraftquelle fr die Bevlkerung werden sollte.

    Er versuchte die Bevlkerung und sich selbst vor westlichen Einflssen abzuschirmen und stand fr das einfache Leben: Das hie vor allem vegetarische Ernhrung, Naturheilkunde und Hygiene. Er forderte die Inder auf, durch selbst gesponnene und gewebte Stoffe, den Kampf mit der britischen Textilindustrie aufzunehmen und dadurch den Import britischer Mode zu verhindern, was die britische Kolonialmacht schwchte. Das Spinnrad ernannte er zum Symbol des einfachen und asketischen Lebens. Die asketische Lebensweise trug auch zum Erfolg des zivilen Wider-standes bei, indem sie Indien unabhngig machte und dem Import britischer Waren auf vielen Gebieten berflssig machte.

    Gandhis Ende und VermchtnisAm 30. Januar 1948 wurde Mahatma Gandhi durch mehrere Pistolenschsse gettet, nachdem schon zehn Tage vorher auf seinem Grundstck, auf dem er eine Gebetsversammlung abhielt, eine Bombe explodiert war. Gandhi hatte in Vorahnung seines Todes wenige Tage vor dem Attentat gesagt: Wenn ich durch die Kugel eines Verrckten sterben sollte, so muss ich es lchelnd tun (...) Gott muss in meinem

    Herzen und auf meinen Lippen sein, und ihr msst mir eins versprechen: Wenn so etwas passieren sollte, drft ihr keine Trne vergieen. Ich habe meinen Dienst an der Menschheit nicht auf Bitten irgendeines Menschen hin unternommen; ich kann ihn auch nicht auf irgendjemandes Bitten hin aufgeben. Ich bin so, wie Gott mich wollte, und ich handele wie er mich anweist(...) Wenn er will kann er mich tten. Ich glaube, dass ich so handele, wie er mir befiehlt.

    Heutige Bedeutung Ghandis Gandhi hat durch sein Eintreten fr Gewaltfreiheit und gegen Diskriminierung ein Echo erzeugt, dass bis heute nicht verklungen ist und ihn zum Vorbild fr viele Menschen macht. Seine Prinzipientreue und sein moralisches Rckgrat werden, auch von mir noch heute bewundert und nach gelebt. Die asketische Lebensweise und das Leben mit der Natur zeigen uns noch heute, dass der Mensch auch ohne Ausbeutung der Ressourcen und Zerstrung der Natur zu berle-ben imstande ist. Fr mich ist und bleibt Mahatma Gandhi ein Vorbild vor allem, was moralische und ethische Prinzipien angeht. n

    Gandhi and Nehru in 1942 Quelle: Wikipedia/www.ket.org

  • strassen|feger 11/2013

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    Gesichter hinter den

    Geschichten Die Galerie Sassa Trlzsch zeigt Fotografien der

    Hamburger Knstlerin Roswitha Hecke, die Ende der 1970er Jahren fr Aufsehen sorgten und ihr einen

    internationalen Durchbruch verschafften. Text Urszula Usakowska-Wolff

    Ihre Portrts wirken authentisch und intim, ohne voyeuristisch zu sein. Sie sind das Ergebnis eines langen Forschungs- und Annherungsprozesses. Roswitha Hecke befreundet sich mit den Menschen, die

    sie ablichten mchte, und beteiligt sich ber lngere Zeit an ihrem Leben. Sie begegnet ihren Sujets ohne Vorurteile, behandelt sie mit Respekt und Mitgefhl, ohne ins Mitleid abzugleiten. Das Spektakulre, Effekthascherische und Glamourse interessiert die Fotografin nicht, obwohl sie hufig Stars und Prominente portr-tiert. Viele ihrer Fotografie-Serien widmet sie

    Auenseitern, Lebensknstlern und Minderheiten, die am Rand der Gesellschaft ihr Dasein fristen. Roswitha Hecke hat ein sicheres Gespr fr skurrile, ausgefallene, unangepasste Typen, die sich sogar in der schbigsten Umgebung zu behaupten versuchen. Ihre meistens schwarz-weien und immer analogen Bilder sind narrativ, ohne geschwtzig zu sein. Sie erzhlen von der grenzenlosen Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, von Scheitern, Einsamkeit und Vergnglichkeit: in Hamburg, Bochum, Gelsenkirchen, Paris, London, Istanbul, Tanger, New York, New Orleans, Rio de Janeiro, Kairo, Mexiko-City oder sonst wo auf der Welt. Roswitha Heckes Fotografien zeigen Menschen in privaten und ffentlichen Rumen: in Wohnungen, Hotelzimmern, Kneipen, Bars, Variets, auf den Straen und in den Parks. Menschen, die sogar unter unwrdigsten Bedingungen Wrde bewahren. Ihre Bilder sind unverstellt und natrlich, weil die Fotografierten die Fotografin kennen und ihr voll vertrauen. Sie scheinen nicht zu merken, dass die Kamera auf sie gerichtet ist.

    Schauspieler und Boxkmpfer Roswitha Hecke, die sich als genetische Nomadin bezeichnet, hat russisch-georgische Wurzeln und stammt aus einer Familie, deren Geschichte auer-ordentlich bewegt war. Nachdem 1920 ihr Grovater, Offizier und Fhrer eines Kavallerieregiments des letz-ten Zaren Nikolai II. von den Bolschewiki erschossen wurde, schlug sich ihre Gromutter mit den beiden Tchtern Marina und Tamara ber Odessa und die Krim nach Konstantinopel und spter nach Hamburg durch. Dort lernte Tamara ihren Mann Helmut Hecke kennen. 1944 wurde Roswitha geboren. 1963 beendete sie eine dreijhrige Fotografie-Lehre. Ihre erste Foto-serie waren Hafenkinder (1964), schwarz-weie Aufnahmen von Mdchen und Jungen im Hamburger Hafenviertel, die in der tristen und herunterge-

    Roswitha Hecke

    Vintage Prints aus dem Band Liebes Leben

    Foto: Urszula Usakowska-Wolff

  • 11/2013 strassen|feger

    art strassen|feger 17

    Roswitha Hecke Vintage Prints noch bis 22. Juni in der Galerie Sassa Trlzsch, Blumenthalstr. 8, 10783 Berlin, Di. bis Sa. 11 bis 18 Uhr Buchtipp: Roswitha Hecke Irene, Edition Patrick Frey 2011, Preis 54 Euro

    8 www.sassatruelzsch.com8 www.roswithahecke.de8 www.editionpatrickfrey.com

    kommenen Gegend Lebensfreude ausstrahlen. In dieser Zeit lernte die junge Knstlerin Peter Zadek und durch ihn die Welt des Theaters und des Film kennen. Sie fotografierte Auffhrungen, Regisseure und Schauspieler, darunter Werner Schroeter, Rosa von Praunheim und die Familie Bennent. Sie trennte sich nach sieben Jahren von Zadek, lebte unter ande-rem in Paris, wo sie Transvestiten (Pigalle, 1975) und alte Frauen (Bois de Bologne, 1976) aufnahm. Ende der 1970er Jahre reiste sie mit ihrem neuen Lebensgefhrten, dem Dichter Wolf Wondratschek, durch die USA, fotografierte Boxkmpfer, Polizisten, Obdachlose, orthodoxe Juden. Unabhngig davon, wo sie sich gerade befindet und auf wen sie ihr Auge geworfen hat, macht Roswitha Hecke keinen Unterschied zwischen Personen, die im Mittelpunkt des ffentlichen Interesses stehen und denen, die bersehen oder nicht wahrgenommen werden. Fr sie sind alle, die sie abbildet, gleich. Was zhlt, ist ihre Ausstrahlung und die Geschichten hinter den Gesichtern.

    Hommage an die schne Irene Gegenwrtig zeigt die Galerie Sassa Trlzsch in Schneberg eine Raritt, und zwar Vintage Prints (Originalabzge) von Roswitha Hecke aus ihrem Band Liebes Leben. Bilder mit Irene. Er wurde 1979 mit dem Kodak-Preis als bestes Fotobuch des Jahres ausgezeichnet und sorgte international fr groes Aufsehen. Ihre Heldin, die damals 26-jhrige schne Irene Staub, auch unter dem Knstlernamen Lady Shiva bekannt, lernte die Fotografin 1978 in Berlin kennen. Sie folgte ihr nach Zrich, wo sie als Prostituierte arbeitete, und nach Rom, wo sie ihren Geburtstag zu feiern pflegte. Irene, die Marylin Monroe aus der Zwingli-Stadt, war unbeschreiblich weiblich und blond. Sie war Hure, Begleitdame und Muse, von Luciano Castelli gemalt und von der Designerin Ursula Rodel, Frederico Fellinis Kostmbildnerin, gekleidet. Irene, die zuerst auf dem Straenstrich im Rotlichtviertel Niederdorf anschaffte, wurde in der zweiten Hlfte der 1970er Jahre zum Star der Zricher Boheme. Roswitha Hecke fotogra-fierte Irene in verschiedenen Situationen, in denen sie sich mehr oder weniger als eine Sexgttin zu erkennen gibt. Mnner blicken sie lstern, anstndige Frauen hassliebend an, denn sie dient ihnen offensichtlich als Projektionsflche fr geheime Wnsche und verdrngte Triebe. Doch die Netzstrmpfe, die Irene trgt, weil sie zu ihrem Berufsimage gehren, knnen nicht verbergen, dass ihre Knchel geschwollen sind: Auch der begehrenswerteste und teuerste Krper altert. Die Kunst scheint da etwas mehr zu versprechen: Auf einem der Fotos steht die grogewachsene Irene, mit einem schwarzen Korsett, Strapsen, Stckelschuhen und einem offenen Pelzmantel recht sprlich bekleidet, auf einer steilen Strae und blickt auf zwei kleine Hausfrauen herab. Auf einer Mauer, die den Hintergrund dieser Szene bildet, kann man lesen: Kunst ist die Perversion des Lebens. Die Bilder aus dem Liebes Leben berhren und stimmen wehmtig, auch wenn man nicht wei, dass zehn Jahre nach der

    Entstehung des Bandes Irene bei einem Motorradunfall starb. n

    Info:

    Irene

    Vintage Prints aus dem Band Liebes Leben

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    Quelle: Edition Patrick Frey

  • strassen|feger 11/2013

    18 Brennpunkt

    Gerechtigkeit in DeutschlandParteibergreifende Mehrheit fr hhere Steuern und mehr Bildungs- und Sozialausgaben

    Parittischer Wohlfahrtsverband verffentlicht Umfrage zur Verteilungsgerechtigkeit und Steuerpolitik Zusammengefasst von Andreas Dllick

    Eine geradezu berwltigende Zustimmung fr einen Richtungswechsel in der Steuer- und Ausgabenpolitik. Das belegt eine aktuelle Studie des Parittischen Wohl-fahrtsverbandes auf Basis einer reprsenta-

    tiven Erhebung von TNS Infratest Politikforschung, die der Verband am 16. Mai in Berlin vorstellte. Der Wohlfahrtsverband fordert nunmehr alle Parteien auf, diesem beraus klaren Mehrheitsvotum in der Bevlkerung im anstehenden Wahlkampf und darber hinaus Rechnung zu tragen.

    Viele Brger wollen mehr Investitionen im Sozialbereich und BildungLaut Studie sprachen sich mehr als die Hlfte der Befragten fr mehr Investitionen in den Sozialbereich und sogar ber drei Viertel fr mehr Investitionen in Bildung aus. Es ist hocherfreulich, dass diese Ansicht mehrheitlich in allen Bevlkerungsschichten und ber alle Parteigrenzen hinweg geteilt wird, erluterte Ulrich Schneider, Hauptgeschftsfhrer des Parittischen Gesamtverbandes in Berlin. Ein ebenso klares Bild zeige die Studie hinsichtlich der Steuerpolitik. Fr eine hhere Besteuerung groer Vermgen und hoher Einkommen haben sich 77 Prozent der Befragten ausgesprochen. Besonders

    berraschend: Auch bei den Unions-Anhngern betrage die Zustimmungsrate berwltigende 66 Prozent, wie der Verband feststellte. Ulrich Schnei-der: Angesichts der Tatsache, dass Frau Merkel noch vor Kurzem Steuererhhungen ausgeschlossen hat, hat uns dieses Ergebnis schon erstaunt. Frau Merkel ist mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf gut beraten, ihre Meinung zu berdenken.

    Sozialer Frieden in Deutschland stark gefhrdetDas Ergebnis spiegle auch eine tiefe Verunsicherung in der Bevlkerung wider, die den sozialen Frieden in Deutschland durch die Kluft zwischen Arm und Reich zu 73 Prozent gefhrdet sieht. Auch hier bilde die CDU mit 64 Prozent keine Ausnahme. Angesichts der Tatsache, dass unter den Anhngern aller Par-teien von CDU bis Linkspartei ber 70 Prozent die gegebene Vermgensverteilung als ungerecht empfi nden, kann sich keiner in der Politik im eigenen Interesse in diesem Wahljahr dem Thema Umverteilen verschlieen, so Schneider.

    Das fordert der Parittische Wohlfahrtsverband Die Frage der Verteilungs- und Steuergerechtig-

    keit und der nachhaltigen Finanzierung unseres Gemeinwesens muss zum Wahlkampfthema werden. Alle Parteien mssen fr diese Fragen zumindest sensibilisiert werden.

    Die Bevlkerung muss ber den erheblichen Reichtum in Deutschland, die Vermgensverteilung und die fi nanzpolitischen Spielrume, die diese erffnen, aufgeklrt sein.

    Der Bevlkerung muss die Scheu genommen werden, bestehende Ungleichheiten und vor allem aber Reichtum zu thematisieren und Solidaritt zugunsten unser aller Gemeinwesen einzufordern.

    Die Studie im EinzelnenBefund 1: Eine deutliche und parteibergreifende Mehrheit der Befragten ist der Auffassung, dass in die Bereiche Bildung und Soziales zu wenig investiert wird. 57 Prozent beklagen unzureichende Investitionen in den Sozialbereich und in die Bildung sogar 78 Prozent.

    Whrend bei der Bildung mit Blick auf die ffentlichen Diskussionen und auch die politischen Statements aus allen Parteien ein solches Ergebnis durchaus

    BUNDESTAGSWAHL 2013

    Die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fi ndet am 22. September 2013 statt. Der strassenfeger interviewt dazu im Vorfeld

    in loser Folge die Spitzenkandidaten der Parteien, Gewerkschafter,

    Wahlforscher und Brger.

    Gerechtigkeit in

  • 11/2013 strassen|feger

    19Brennpunkt

    Die reprsentative Erhebung wurde am 6. und 7. Mai 2013 von TNS Infratest Politik-forschung im Auftrag des Parittischen Gesamtverbandes durchgefhrt. Insgesamt wurden 1.000 wahlberechtigte Personen ber 18 Jahren in Deutschland befragt. Es handelt sich dabei um eine reprsentative Zufallsauswahl (Randomstichprobe).

    Die komplette Studie fi nden Sie auf der Webseite 8 www.der-paritaetische.de unter 130516_steuergerechtigkeit_2013.pdf

    Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschftsfhrer des Parittischen Wohlfahrtsverbandes Foto: Andreas Dllick VG Bild-Kunst

    erwartbar war, berrascht jedoch das ebenfalls klare Votum auch fr den Sozialbereich. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass die regelmig vorgebrachten Missbrauchs- und Fehlverwendungsvorwrfe und die Argumentation, die Mittel mssten nur zielgenauer eingesetzt werden, bei der breiten Mehrheit der Bevlkerung offensichtlich nicht verfangen.

    Befund 2: Mehr als drei Viertel der Bundesbrger (77 Prozent) vertreten mittlerweile die Auffassung, dass Personen mit sehr hohem Einkommen und sehr groen Verm-gen hhere Steuern zahlen sollten als bisher, damit mehr fi nanzielle Mittel fr ffentliche Aufgaben zur Verfgung stehen. Nur 20 Prozent sprachen sich gegen eine hhere Besteuerung aus.

    Befund 3: Drei Viertel der Bevlkerung sehen den sozialen Frieden in Deutschland durch die bestehende Kluft zwischen Arm und Reich gefhrdet. Fast drei Viertel der Bevlkerung stimmen der Aussage, dass die Kluft zwischen Arm und Reich den sozialen Frieden gefhrde, eher zu. Nur ein Viertel glaubt das eher nicht.

    Befund 4: Rund 80 Prozent, also vier von fnf Bundesbrgern, bewerten die reale Vermgensverteilung in Deutsch-land als ungerecht.

    Befund 5: Eine knappe Mehrheit der Befragten macht sich eher keine Sorgen ber ihre knftige fi nanzielle Absi-cherung. 45 Prozent schon. Eine knappe Mehrheit, nmlich 53 Prozent der Befragten, gab an, sich eher keine Sorgen ber ihre knftige fi nanzielle Absiche-rung zu machen. 45 Prozent sorgten sich eher. n

    Quellen: www.der-paritaetische.de Gwendolyn Stilling

    In fo:

  • strassen|feger 11/2013

    20 Brennpunkt

    Garland Teague and Dori Wilson bekommen eine Urkunde fr zwei erfolgreiche Jahre im Projekt Louisville Housing First Project for Homeless Adults (Housing First).

    Prof. Dr. Andreas Strunk

    Vom Schweinezyklus in der Wohnungswirtschaft

    und entsorgten Menschen

    Die Jahrestagung des Vereins fr Sozialplanung (VSOP) 2013 und der Wohnungsmarkt

    Text Jan Markowsky

    Der strassenfeger beschftigt sich seit Jahren mit zunehmender Sorge mit den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in Berlin. Menschen am Existenzminimum sind zunehmend gefhrdet, ihre Wohnung

    zu verlieren. Dabei spielt keine Rolle, ob der Mensch bezahlte Arbeit hat oder von staatlichen Transferlei-stungen lebt. Berlin ist die Hauptstadt der prekren Beschftigung. Drastischer Mangel an Wohnungen und stark steigende Mieten beschrnkt sich nicht auf Berlin. In allen Gro- und Universittsstdten fehlen massiv Wohnungen und steigen die Mieten dramatisch.

    Deshalb befasste sich die Jahrestagung des Vereins fr Sozialplanung 2013 mit dem Wohnungsmarkt. Thema: Wohnraumversorgung als Herausforderung und Aufgabe kommunaler Sozialplanung. Die Tagung wurde gemeinsam mit der BAG Wohnungs-losenhilfe, dem Senator Hachfeld im Haus des CVJM Bremen organisiert. Es gab Foren und Arbeitsgruppen, und ich war natrlich neugierig, wer Sozialplanung macht. Dazu hatte ich im Tagungshaus Teilnehmer nach ihrem Job befragt. Ergebnis: Das Gros der Teilnehmer arbeitet in der Verwaltung: Jugendamt, Sozialamt, Bau- und Woh-nungsverwaltung, Stabsstelle.

    Bauen im Schweinezyklus und entsorgte MenschenDen Eingangsvortrag hielt Prof. Dr. Andreas Strunk, der bis zu seiner Emeritierung an der Hochschule Esslingen lehrte. Er engagiert sich in einem Projekt fr Haftentlassene in Bielefeld und erinnerte daran, dass das Magazin Der Spiegel Ende September 1995 den Beitrag Bauen im Schweinezyklus verffent-lichte. Hintergrund: Arthur Hanau hatte in seiner 1927 eingereichten Dissertation die Schwankungen des Preises fr Schweinefl eisch untersucht und dabei festgestellt, dass die Zeit, die es braucht, ehe aus Ferkel schlachtreife Schweine werden, dafr sorgt, dass sich berangebot mit niedrigen Preisen und Mangel an Schweinefl eisch mit hohen Preisen wechseln.

    Solche Latenzen, Zeitspannen zwischen Investition und Ertrag, existieren nicht nur bei Schweinen. Der Schweinezyklus auf dem Wohnungsmarkt sorgt fr beinah regelmigen massenhaften Verlust von eige-nem Wohnraum, weil Mieten unbezahlbar werden. Die BAG Wohnungslosenhilfe konstatiert einen Anstieg der Zahl von wohnungslosen Menschen und erwartet in den nchsten Jahren einen weiteren massiven Anstieg. Wohnungsnot ist in der Bundesrepublik Deutschland kein neues Phnomen. Der Geschfts-fhrer der BAG Wohnungslosenhilfe Dr. Thomas Specht besttigte das spter in kleinerer Runde. Wenn es dann nicht mehr an Wohnungen mangelt, spielen Wohnungslose keine Rolle. Die sind ja untergebracht. Prof. Strunk spricht hier vom Entsorgungssystem. Das mag zynisch klingen, ist allemal besser, als sich mit dem Schlechten zufrieden zu geben. Der Professor im Unruhestand hat vor Jahren Wohnungslose in Wohnungen gebracht und dafr gesorgt, dass sie die Hilfe bekommen, die sie bentigen. Housing First, ein Projekt, das ber Grobritannien kommend jetzt in Hamburg fr Aufsehen sorgt, ist also so neu in Deutschland nicht. Gute innovative Konzepte setzten sich nicht immer durch.

    Wohnraumkonzept in Mainz kritischer Blick wendet zweifelhafte StudieMich interessierte besonders das Thema Wohnraum-versorgung im Niedriglohnsektor. Nicht nur in Berlin konkurrieren Bezieher staatlicher Transferleistungen um die verbliebenen preiswerten Wohnungen. Die Prsentation der Verhltnisse in Mainz machten Vertreter von Stadtplanungs- und Sozialamt. Die Stadt Mainz hat knapp 200.000 Einwohner und gehrt zum Rhein-Main-Gebiet, ein Gebiet mit steigender Nachfrage nach Wohnungen, steigendem Kaufpreis- und Mietniveau und knapper werdendem Angebot. In Mainz wohnen mehr Menschen mit WBS, als Wohnungen in diesem Segment vorhanden sind. Die Situation wird durch die geringe Fluktuation mit nur sieben Prozent verschrft. An einem Konzept zur Bewltigung der Situation arbeitet eine Kommission.

    Der Leiter des Sozialamtes, nach eigenem Bekunden federfhrend, hat bei der Prsentation die gute Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Verwaltungen betont. Das Konzept, auf dass die Verwaltung jetzt stolz ist, startete unter einem ungnstigen Stern. Vom Stadtplanungsamt brauchte

    man fr mehrere grere Areale (Hafen, Flchen mit militrischer Nutzung) ein Konzept fr eine neue Nutzung und hat bei der empirica AG ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das wurde dann nicht umgesetzt. Die Vorschlge (Einfamilien- und Reihenhuser) stieen bei der Verwaltung auf Skepsis, und die Flchen sind zum groen Teil noch nicht frei gerumt. Die Situation wurde genutzt, um bei empirica ein Gutachten fr ein Wohnraumversorgungskonzept mit besonderem Blick auf Menschen mit geringem Ein-kommen in Auftrag zu geben. Ob das den Menschen in prekren wirtschaftlichen Verhltnissen hilft, bleibt abzuwarten. Erst muss es umgesetzt werden.

    Notizen zum Verein fr SozialplanungDer Verein VSOP ist 1991 als Netzwerk von Sozial-planer_Innen gegrndet worden. Er hat eine kleine Geschftsstelle in Speyer. Hhepunkte sind seit Jahren die Jahrestagungen. Dabei wird ein Positi-onspapier erarbeitet. In den Pausengesprchen habe ich von dem 2012 verffentlichten Positionspapier zur Inklusion erfahren, ber das mit Stolz gesprochen wurde. Auf meine Frage nach der Wissenschaft, wurde mir geantwortet, dass sich die Wissenschaftler an diesem Papier orientieren. n

    Foto: homeless.samhsa.gov

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  • 11/2013 strassen|feger

    strassen|feger radio 21

    Rhrenempfnger Marke Graetz Musica Foto: Guido Fahrendholz

    Wir gehen mit der Zeit, wir senden analog!Ein Rhrenempfnger mit magischem Auge das Ohr zur Welt

    Text Guido Fahrendholz

    Die Begeisterung fr das Medium Radio begann schon in meiner frhesten Kindheit. In der alten Schneiderstube meines Vaters stand, so lange ich denken kann, auf einer Kommode ein monstrser Rhrenempfn-

    ger. Auf den Frequenzleisten fr MW, KW und LW *1 prangten Stdtenamen. Mit dnnen Klebestreifen hatte mein Vater auf der UKW-Leiste die Positionen seiner regionalen Lieblingssender markiert. Bei der Bedienung der Tasten musste jedes Mal ein deutlich vernehmbarer Schaltwiderstand berwunden werden. Mein Ohr zur Welt, wie mein Papa diesen Kasten liebevoll nannte, bentigte einiges an Zeit, um die Betriebstemperatur und damit vollstndige Empfangsleistung zu erreichen. Nie werde ich den Augenblick vergessen, als mir mein Vater erlaubte, meinen eigenen Positionsstreifen auf die Frequenz-scheibe zu kleben. Spter bekam ich einen eigenen Schlssel und durfte vom Feierabend der Schnei-derinnen bis zur Schlieung des Ladens, immerhin zwei Stunden, in der Schneiderstube Radio hren. Ich lschte das Licht, schaltete das Gert ein, und die Frequenzscheibe begann in einem warmen Orange zu leuchten. Die Rhren im Innern nahmen langsam ihren Dienst auf, und ich schaute wie gebannt auf das grne Schimmern des Magischen Auges, eine Abstimmanzeigerhre, die sich an exponierter Stelle der Gertefront befand.

    Pure NostalgieAuch die heutigen Hightech-UKW-Empfangsgerte tuschen nicht darber hinweg, dass im digitalen Zeitalter eigentlich andere bertragungsformen lngst berfllig sind. Zumindest auf dem Papier und in den Kpfen der IDR (Initiative Digitaler Rundfunk) der Bundesregierung. Diese hatte bereits zur Jahrtausendwende erklrt dass zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt der UKW-Hrfunk durch (DAB) Digital Audio Broadcasting abgelst werden soll. Der Zeitpunkt sollte 2010 erreicht sein, digitales Radio flchendeckend mglich und der analog-digitale Umstieg in den Haushalten weitestgehend abgeschlossen sein. Fnf Jahre spter ist davon aber schon keine Rede mehr. DAB ist zwar in den meisten Ballungsrumen und entlang der Bundesautobahnen problemlos empfangbar, das Angebot angemessen. Doch von flchendeckend kann man in Anbetracht der Unterversorgung lndlicher Regionen tatschlich nicht sprechen. Also rudert man an verantwortlicher Stelle deutlich zurck und erklrt: Der analoge UKW-Hrfunk wird noch auf lange Sicht der wichtigste Verbreitungsweg fr Radioprogramme bleiben. Ein Zeitplan fr den Prozess der Umstellung des UKW-Bereichs kann zurzeit noch nicht erstellt werden.

    Am Hrer vorbei diskutiertEin Nachteil von Fachkongressen der Medienbranche und deren Diskussionen um die Zukunft des Radios ist und bleibt die thematische Reduzierung auf die nutzfhigen bertragungswege. Inhaltliche Entwicklungen und eine nachhaltige Hrerbin-dung spielen nur eine untergeordnete Rolle. Der Verlust bisheriger Alleinstellungsmerkmale wie beispielsweise Kurznachrichten, Wetter- und Verkehrsberichte, die inzwischen jederzeit digital abrufbar sind, werden einfach ignoriert. Hier ein paar Beispiele fr die Selbstwahrnehmung einiger verantwortlicher Radiomacher: Lennart Hemme, Moderator bei Radio Emscher Lippe, wiegt sich und sein Format in Sicherheit, denn schlielich mache wir Lokalradio. Das ist per se nach wie vor ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Christian Bollert, Geschftsfhrer des Internetradios detektor.fm, beschwrt die Zukunft der Spartenprogramme via Internet. Die Aufgabe des Radiojournalisten sei es, Ordnung ins Chaos zu bringen. Die Menschen wollen jemanden, der fr sie aus der Flut von Informationen Inhalte vorsortiert und gewichtet. Das sollte Radio als Mehrwert leisten. Ist das nicht das Mrchen vom puren Konsumenten?

    Wenn die beiden Kollegen sich da mal nicht tuschen. Radio ist und bleibt in seiner Nutzung vor allem auch ein vielschichtiges Generationsphnomen. Alters-strukturen und Hrgewohnheiten unterscheiden sich

    deutlich und verndern sich stetig. Interaktion macht Hrerbeteiligung zum Formatinhalt. Radio bentigt tatschlich eine neue Wertschpfung! Und UKW ist momentan in Ballungsrumen wie Berlin noch immer regional alternativlos, fast schon unkaputtbar. Das schlgt sich auch in den regelmigen Medienana-lysen deutlich nieder.

    strassenfeger radio in der RhreVor wenigen Tagen hatte ich wieder einen solch unvergesslichen Moment. Manchmal unumgnglich, hatte ich zwei Radiosendungen vorproduzieren mssen. Die dadurch frei gewordene Zeit nutzte ich, um meinen alten Herschafften einen Besuch abzustatten. Sie sind lngst Rentner, und der alte Kasten aus der Schneiderstube versieht nun seinen Dienst in der kleinen privaten Werkstatt meines Vaters. Als ich ihn dort traf, hrte er gerade seinen eigenen Sohn, also mir, im strassenfeger radio auf

    88vier zu. Nicht ganz strungsfrei, dafr aber mit einem doch ordentlichen Signalfluss und deutlich sichtbar im Magischen Auge. Ich war begeistert. n

  • strassen|feger 11/2013

    22 Kulturtipps

    MusikTav Falco

    Tav Falco gilt als der Grandseigneur des postmodernen Blues und Art-Damage Rockabilly. Seit Grndung der Panther Burns 1979 zusammen mit Alex Chilton, produziert er seinen eigenen, oft als No-Wave oder Proto-Wreckobilly miss-kategorisierten Sound. Er beeinflusste mit seiner Musik unter anderem die Gories, Dirtbombs, Pussy Galore und die Jon Spencer Blues Explosion. Sein Sptwerk wird zunehmend beeinflusst durch seine Liebe zum Tango. Seine Live-Auftritte gelten als legendr, wie eine ausverkaufte US-Tour im November 2012 belegte. Am 1. Juni spielen sie im Bassy Cowboy Club

    ein Pflichttermin! The Magnificent Brotherhood sind ohne jeden Zweifel unter den ersten zehn von Berlins Psych & Garage Rock Bands. Sie spielen einen sofort schtig machenden Sound, der ohne Umwege direkt ins Tanzbein fhrt. Fuzz Gitarre und Combo-Orgel prgen ihren wilden Sound und ihr Songwriting-Stil, wie eine ordentliche Prise Freak-Out und machen diese Band zu einem musikalischen Erlebnis.

    Am 1. Juni, um 21 Uhr, Einlass ab 20 Uhr

    Eintritt: 14,20 Euro

    Ticketbestellung: online unter www.adticket.de, auch zum Selbstausdru-cken!

    Bassy Cowboy ClubSchnhauser Allee 17610119 Berlin

    Info: www.bassy-club.de

    Bildnachweis: www.truemmerpromotion.de

    AusstellungTennis Elephant 2004 grndeten neun Berliner Knst-ler, die sich in der Kunsthochschule Berlin-Weiensee beim Studieren begegnet waren, die Knstlergruppe Tennis Elephant. Es wurde keine Zeit damit verbracht, einen kleinsten gemeinsamen Nenner knstlerischer Positionen zu finden, formale Betrachtungen fhrten nie zu einem einheitlichen Kurs. Die Gruppe sollte eine Mischung aus Musketieren und Stadtmusikanten sein: man wollte gemeinsam auf Tour gehen, an immer neuen Orten zusammen ausstellen, reisen und feiern. Und auch wenn es der Auenstehende nicht auf Anhieb durchschaut: die Teilnehmer der Reise-gruppe wissen, was sie verbindet. Seit fast zehn Jahren ist Tennis Elephant in gleicher Besetzung unterwegs. Die neun Knstler gehen ihrer Arbeit nach, haben nach wie vor viel Freude an ihrer Erfindung und mchten zusammenbleiben. Die allererste Ausstellung der Gruppe gab es 2004 in der Galerie Parterre. Sinnfllig, dass auch der zehnte Jahrestag hier begangen wird, hat die Galerie doch eine Art Urvertrauen in die Grndung bewiesen. Die Statements von damals lassen sich brigens noch heute im Galeriearchiv nachlesen.

    Noch bis zum 23. Juni

    Von Mittwoch bis Sonntag von 13 Uhr bis 21 UhrDonnerstags von 10 Uhr bis 22 Uhr

    Eintritt frei!

    Galerie Parterre und Kunstsammlung PankowDanziger Strae 101Haus 10310405 Berlin

    Info: www.galerieparterre.de Bildnachweis: Andreas Koletzki

    LesungEskimo Limon

    Willkommen in Niederbrechen: Eine jdische Familie zieht in die hessische Provinz. Fr die alarmierte Dorfge-

    meinschaft stellt sich die bange Frage: Wie geht man mit den Neuen um? Wh-rend sich Ehemann Chen in die Arbeit strzt und Ehefrau Ziggy versucht, sich mithilfe des altlinken Dorfkauzes Rainer Koffel in der neuen Heimat zurechtzufinden und ihre eigene Emanzipationsgeschichte vorantreibt, klrt Sohn Eran seine interessierten Mitschler darber auf, dass die Eis am Stiel-Filme, anders als von der Dorfjugend vermutet, nicht aus Italien, sondern aus Israel kommen wo sie Eskimo Limon heien. Dabei tritt in einem Reigen von Missverstndnissen die Wahrheit zutage: Die Deutschen wissen zwar vieles ber Judenvernich-tung aber kaum etwas ber Juden Am 8. Juni, um 19 Uhr

    Eintritt frei! Aber eine vorherige Anmeldung ist notwendig.

    Anmeldung bei Renate Witt per E-Mail unter [email protected] oder per Telefon unter 030- 6152999

    Treffpunkt:

    SchokofabrikMariannenstrae. 6 HHIV. Etage10997 Berlin

    Info und Bildnachweis:www.schokofabrik.de

    KabarettDie Liebe in der Zeit der Cola

    Marc-Uwe Kling in Hochform: Die besten Geschichten, lustigsten Lieder, kommunistischsten Knguruanekdo-ten, unpassendsten Texthnger, selt-samsten Denkpausen, schndlichsten Skandale und mindestens ein neuer Witz. Mit Gassenhauern wie Wer hat uns verraten? Cocktailtomaten oder

    Papa, erzhl mir noch mal vom Benzin-preis hat der Poetry-Slam-Champion, gerade den Deutschen Kleinkunstpreis 2012 gewonnen. In der Bar jeder Vernunft prsentiert Marc-Uwe Kling das Beste aus Wenn alle Stricke reien, kann man sich nicht mal mehr aufhn-gen, Anarchie und Leidenschaft und

    Die Knguru-Chroniken.

    Am 3. Juni, um 20 Uhr

    Eintritt: zwischen 19 Euro und 22 Euro

    Kartenbestellung: per Telefon unter 030- 8831582

    Bar jeder VernunftSchaperstr. 2410719 Berlin

    Info: www.bar-jeder-vernunft.de Bildnachweis: www.marcuwekling.de

  • 11/2013 strassen|feger

    23Kulturtipps

    Zusammengestellt von Laura

    Festivalpoesiefestival berlin

    Jeden Sommer verwandelt sich Berlin fr zehn Tage in eine Hochburg der Poesie. Am 8. Juni kommen 100 bis 200 Dichter und Knstler aus aller Welt zum poesiefestival berlin 2013 und prsentieren aktuelle Tendenzen zeit-genssischer Dichtkunst. Neben dem Buch hat sich die Poesie lngst auch andere Prsentationsformen gesucht und experimentiert munter mit Theater, Performance, Musik, Tanz, Film und digitalen Medien. Das poesiefestival berlin verschafft der Sprachkunst Aufmerksamkeit, beschreitet neue Wege der Prsentation, Publikation und Distribution und erreicht weltweite Ausstrahlung. Eine der Lesungen ist die Poets Corner, bei der Andreas Altmann, Ricardo Domeneck, Daniel Falb, Kathrin Schmidt und Pedro Sena-Lino ihre Texte zum Besten geben. Musikalisch begleitet wird die Lesung durch Aurlie Maurin und Pedro Sena-Lino.

    Vom 7. Juni bis zum 15. Juni, zu unterschiedlichen Zeiten, die der Internetseite www.literaturwerkstatt.org entnommen werden knnen.

    Eintritt: Bitte selbst erkundigen unter www.literaturwerkstatt.org.

    Das Poets Corner findet am 8. Juni um 14 Uhr statt.

    Studio im HochhausZingster Strae 2513051 Berlin

    Info und Bildnachweis: www.literaturwerkstatt.org

    Leute treffen Beim Barte des Rabiners

    Die berlieferten Mrchen des frher jiddischsprachigen Kulturraums sollten dem unter Vertreibung und Diaspora leidenden jdischen Volk Lehren ber die Welt vermitteln, seine Traditionen wahren und ihm Hoffnung und Trost vermitteln. Die so gewonnenen philo-sophischen Erkenntnisse mit ihren teils humorvollen, teils berraschenden Wendungen und Pointen richten sich an Zuhrer jeden Kulturkreises und an Jung und Alt gleichermaen. Erzhlt von der Mrchenerzhlerin Diana Krger und begleitet von jiddischer Musik, kann der Zuhrer die magische Welt einer versunkenen Zeit vor seinem Auge wiedererstehen lassen.

    Am 2 Juni, um 18 Uhr

    Eintritt frei!

    Creativ-Centrum Neukllner Leucht-turmEmserstr. 11712051 Berlin

    Info: www.neukoellnerleuchtturm.de

    Bildnachweis: Diana Krger

    VortragObdachlosen-Uni

    Der Philosophiekurs Angewandte Ethik: Moralische Konflikte findet zweiwchentlich mit Anke Schnebeck statt. Die Obdachlosen-Uni ist eine mobile Bildungseinrichtung von und fr Obdachlose, Wohnungslose, Menschen mit Armutserfahrungen und deren Sympathisanten. Von Mai bis November 2011 fand eine Befragung unter Berliner Wohnungslosen statt. Es sollte herausgefunden werden, welche Interessen bei Wohnungslosen herrschen und welche sie bereit sind, zu vermitteln. Obdachlose sollen durch das Uni-Projekt eine neue Perspektive bekommen, z. B. auch als Dozent an der

    Obdachlosen-Uni zu arbeiten.

    Jeden zweiten Donnerstag, das nchste Mal am 30. Mai und am 13. Juni, von 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr.

    Eintritt frei!

    Obdachlosen-UniMuskauer Str. 210997 Berlin

    Info und Bildnachweis: www.berlinpiloten.com

    Performance Month of Performance

    ber 150 Performanceknstler aus zwanzig Lndern schwrmen noch bis Ende Mai zwischen Havel und Spree aus. Die insgesamt mehr als 110 Performances werden an sechzig verschiedenen Orten in fast ganz Berlin gezeigt. In die Stadt gelockt wurden die Knstler vom Team um Francesca Romana Ciardi und Florian Feigl, das zum dritten Mal den Monat der Performancekunst in Berlin, kurz genannt MPA-B organisiert. MPA-B stellt nicht nur die Arbeiten unabhn-giger Berliner Performanceknstler vor, sondern es reisen auch mehr und mehr internationale Knstler speziell fr die Prsentation ihrer Projekte nach Berlin. Einige der Vorstellungen des Month of Performance sind kostenfrei. Dazu gehrt zum Beispiel die Performance path acts, die am 30. Mai von 15.30 Uhr bis 16 Uhr am Mehringplatz, am U-Bahnhof Hallesches Tor stattfindet. path acts basiert auf Beobachtungen und Geruschen in der Stadt. Eine andere kostenlose Performance ist (con)temporary space-time, die von den Knstlern Kao Jun-Hong, Lin Chi-Wei, Tang Huang-Chen und anderen initiiert wird. Diese Performance-Vorstellung, bei der sich alles um eine Verbindung von Gegenwart und Geschichte und deren Co-Existenz dreht, findet am 31. Mai von 17 Uhr bis 22 Uhr im Rosalux statt, dessen Adresse unterhalb dieses Textes zu finden ist.

    Noch bis zum 31. Mai, zu unterschied-lichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten, die auf www.mpa-b.org eingese-hen werden knnen. Die Internetseite ist in englischer Sprache.

    Eintritt: Bitte selbst erkundigen unter www.mpa-b.org.

    Bei der Veranstaltung (con)temporary space-time ist der Eintritt frei. Sie findet statt im:

    RosaluxWriezener Str. 1213359 Berlin

    Info und Bildnachweis: www.mpa-b.org & www.rosalux.com

    Schicken Sie uns Ihre schrgen, skurrilen, famosen und preis-werten Veranstaltungstipps an: [email protected]

  • strassen|feger 11/2013

    24 Verein

    Cover

    Zwischen den Zwngen

    Den strassenfeger lesen? Natrlich, aber wenn er mir in die Hnde kam, waren das Titelbild und die Texte dazu erst mal Nebensache. Man musste die Zeitung von hinten lesen, wie eine hebrische Bibel. Da, ganz bescheiden am Schluss, war Wolfgang Mockers

    Platz fr seine Schnittstelle. Dort griff er mit ebenso viel Leidenschaft wie Leichtigkeit die aktuellen Fragen der Zeit auf, immer getreu der Maxime des rmischen Satirikers Horaz lachend die Wahrheit sagen. Im Sommer 2009 blieb die Schnittstelle leer. Wolfgang Mocker war verstorben. Sein Licht zeichnete nicht mehr die Konturen der Schatten der Dinge, die sich selbst zu gern als bloe Lichtgestalten sahen, deren Schattenseiten Mocker auch grndlich beleuchtete. Das alles fehlte pltzlich.

    Daher ist es umso erfreulicher, dass jetzt ein Band mit einer Auswahl von Mockers Aphorismen erschienen ist, der aus dem Lebenswerk Mockers schpft und noch einmal die Freude sammelt, die seine Leser durch die Jahre begleitet hat. 212 Aphorismen sind in dem kleinen Bndchen versammelt und geben ein facettenreiches Bild von Mockers dichterischem Schaffen. Von Geburt und Leben bis Tod, von DDR bis Rechts-staat, von Freiheit bis Reichtum wird alles gegen den Strich gekmmt, um eine berraschende Pointe hervorzuzaubern. Ein kenntnisreiches Nachwort von Tobias Grterich bringt dem Leser die Person Wolfgang Mockers nher und erlutert seine Schreib- und Denkweise. Das alles auf nur 78 Seiten, aber eine Lektre, die man tagelang nicht aus der Hand legt. Das Buch ist seine acht Euro wert. Wolfgang Mocker: Zwischen den Zwngen. Ausgewhlte Aphorismen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Tobias Grterich. Mergard Verlag Lauterbach 2013. n

    Ausgewhlte Aphorismen.

    Ein neuer Textband schpft aus dem Lebenswerk von

    Wolfgang Mocker

    Text Manfred Wolff

  • 11/2013 strassen|feger

    25Verein

    Zufall oder Notwendigkeit? Wissenschaftler haben entdeckt, da Geldscheine dieselben Wege benut-zen wie Viren. Geld breitet sich im Idealfall also genauso aus wie die Vogelgrippe. Nur dass in diesem Fall die rmeren Leute garantiert verschont bleiben. Ich habe darum spaeshalber einmal den Weg eines einzelnen VERDIENTEN EURO DES VOLKES genauer verfolgt. Was geschieht eigentlich mit ihm? Nun, in dem Moment, wo er verdient wird, wird er zunchst einmal ordnungsgem besteuert, und etliche Cent setzen sich in Richtung Fiskus von ihm ab. Das war nicht weiter berraschend. Eine Weile liegt unser Euro dann auf einem Girokonto rum. Weitgehend folgenlos, denn nur die wenigsten Girokonten werfen Zinsen ab. Interessant wird es wieder in dem Moment, da der Rest unsres Euro ausgegeben werden soll. Wofr auch immer. Wieder wird er besteuert. Wofr auch immer. Wieder verschwinden etliche Cent in den ewigen Jagdgrnden unseres undurchschau-baren Steuersystems. Wird unser Rest-Euro gar fr Tabak oder Benzin verausgabt, versickern weitere

    hingegen fr die Altersversorgung zurck, wird er bei der Rentenauszahlung in ein paar Jahren sofort wieder besteuert. Als wre er ein regulres Einkom-men. Was er sptestens da nun wirklich nicht mehr ist. Dafr ist viel zu wenig von ihm briggeblieben. Wie wir uns drehen und wenden, den Euro haben wir praktisch umsonst verdient. Und von jedem weiteren verdienten Euro htten wir im Prinzip genauso viel.

    Schnittstelle aus der Ausgabe 6/2006 von Wolfgang Mocker(und ihre Familien!) und nicht zu vergessen die ganzen ratlosen Politiker mit Realittsallergie (und natrlich ihre zahlreichen Familien!), die das Ganze berhaupt erst mglich machen. Ich meine, wer schafft denn letzten Endes die vielen Arbeitspltze,


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