Date post: | 21-Jul-2016 |
Category: |
Documents |
Upload: | junius-verlag |
View: | 214 times |
Download: | 0 times |
AlbumHamburgischer
Costüme
in fünfunddreißig vornehmlich von Heinrich Jessen nach der Natur gezeichneten
und lithographierten colorierten Blättern
Mit erläuternden Texten von Friedrich Georg Buek und
einem Vorwort des Verlags
Album Hamburgischer
Costüme
— 5 —
Eine echte „Hamburgensie“ – seit es kaum mehr Bücher mit Bilddokumenten aus der älteren Hamburger Stadtgeschichte für ein breiteres Publikum gibt und selbst die Klassiker des Genres nur noch antiquarisch zu bekommen sind, hat das schöne Wort etwas Staub angesetzt. Aber wenn das Wort „Hamburgensie“ eine Sache treffend bezeichnet und diese Sache ihm prächtige Anschaulichkeit gibt, dann sind es die Bilder in diesem Buch. In seiner ursprünglichen Bedeutung nämlich wurde der Begriff für Stadtansichten und bildliche Darstellungen der Hamburger Alltagskultur – den Ausruf in
Hamburg (1808) und die Hamburgischen Trachten (1810) von Christoffer Suhr – geprägt. Und auch wenn Suhrs Bildmappen für die Hamburgischen Costüme Modell gestanden haben und die Sammlung der Hamburger Berufsmode aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nur als Fortsetzung seines Ausrufs gedacht war – in ihrem zeitlosen und freundlichen Illustrationsstil sprechen die Costüme den heutigen Betrachter viel direkter an als die weit bekanntere Vorlage.
Das Album Hamburgischer Costüme mit 96 überwiegend von dem Künstler Heinrich Jessen angefertigten Zeichnungen erschien erstmals in den Jahren 1843 bis 1847 im Hamburger Verlag B.S. Berendsohn. Eine Ergänzung des Suhr’schen Ausrufs hielt der Herausgeber für notwendig, weil seit dessen Erscheinen vierzig Jahre zuvor „selbst die stabilsten und konservativsten Klassen ganz andere Trachten angenommen“ hätten. Vor allem erweiterte er die Darstellung der bäuerlichen Trachten aus dem Hamburger Umland und der
Vorwort
— 6 —
„Gewerbe, mit denen sich unsere Straßenbevölkerung beschäftigt“, um städtische „Costüme“ – „halbamtliche“ und „amtliche“ Kleidung, an der sich die Zugehörigkeit ihrer Träger zu bestimmten Berufsgruppen und „Ämtern“ (norddt. für Zünfte) ablesen ließ.
Zu den Sammlern gelangten die kolorierten Lithographien in 48 unpaginierten Lieferungen, die die „verehrlichen Subscri benten“ sich „entweder nach den Lieferungen oder irgend einem anderen Systeme“ in eine mitgelieferte Mappe binden ließen. Dass dies ein recht exklusives Vergnügen gewesen sein muss, lässt die Liste der regelmäßigen Bezieher erahnen. Darunter finden sich zahlreiche Bürgermeister, Senatoren und viele weitere „Exzellenzen“; die Aufzählung ihrer Namen – unter anderem Alardus, Amsinck, Benecke, Donner, Jenisch, Kellinghusen, Spalding – liest sich wie ein Who is Who des Hamburger Stadtadels.
Begleitet wurden die Bilder von Texten des Hamburger Advokaten Friedrich Georg Buek (1795–1860), einem Mitbegründer des Vereins für Hamburgische Geschichte und langjährigen Leiter von dessen Archiv. Seine Informationen sammelte Buek in Gesprächen mit dem Allermöher Pastor und Universalschriftsteller Karl Johann Heinrich Hübbe, der den Kommentar zur Suhr’schen Sammlung geschrieben hatte, sowie aus Büchern, betrieb aber auch eigene Feldforschung, der er „die Belehrung manch freundlicher Hausfrau“ verdankte. Nach einem festen Schema scheint er bei diesen Recherchen aber nicht vorgegangen zu sein, die mit
— 7 —
unter zufällig wirkende Zusammenstellung der Informationen zu den Bildern ist auf sympathische Weise dilettantisch.
Für die vorliegende Ausgabe der Hamburgischen Costüme wurden die Texte Bueks orthographisch modernisiert und teilweise gekürzt. Fortgelassen wurden dabei Informationen, die sich auf historische Tagesereignisse beziehen, sowie einige Textstücke, in denen sich der Autor im historischen Detail seiner Quellen verliert. Erklärt werden dafür jene Begriffe, die für das Verständnis des historischen Zusammenhangs unerlässlich sind. Sie sind jeweils mit einem Stern versehen, ihre Erläuterung findet sich in einem Glossar am Ende des Buches.
Was die Auswahl der Bilder anbelangt, so wird der von Buek gewählte Schwerpunkt auf städtische Bekleidungen mit den 35 Blättern in diesem Buch noch weiter konzentriert. Dasselbe gilt für ihre Urheber. Stammte schon der Großteil der Originalsammlung von Heinrich Jessen und nur eine kleinere Zahl der Bilder von Carl Beer, so sind ledig lich die Bardowikerinnen in dieser Auswahl dem Letzteren zuzuordnen. Ganz verzichtet wurde bei der Zusammenstellung schließlich auf die Militärbekleidungen, die einen erheblichen Teil der Sammlung bilden. Sie dürften den heutigen Betrachtern so fremd erscheinen, dass sie eine eigene Publikation für Spezialisten verdienen.
— 8 —
„Denn Malaga und auch Sizil / Bringt uns der edlen Früchte viel“,
heißt es, wenn auch nicht klassisch-poetisch, doch wahr in einer ge-
reimten Schilderung Hamburgs. Alljährlich zweimal, zu Anfang des
Frühjahrs und im Spätsommer, kommen große Ladungen von Zi-
tronen und Apfelsinen nach Hamburg, um teils hier verzehrt, teils
weiterbefördert zu werden. Messina, Palermo, Genua, Malaga, Lissa-
bon und andere Orte der pyrenäischen und iberischen Länder schi-
cken diese Südfrüchte nach Hamburg, wo sie, zur Verwunderung von
Fremden, in großen Maßen und sehr wohlfeil verkauft werden. Den
Vorzug gibt man den Ladungen aus Messina, wo die Apfelsinen dün-
nere Schale und süßeren Geschmack, die Zitronen eine angenehmere,
nicht herbe Säure haben sollen. In Messina werden die Zitronen ab-
geschnitten, in Malaga abgepflückt. Apfelsinen werden in Hamburg
fast bei jedem Nachtisch aufgesetzt und finden außerdem reichlich
Konsumenten, teils im natürlichen Zustande, teils eingemacht in Ge-
lée usw. Vor einer Reihe von Jahren verordneten Ärzte auch Apfelsi-
nenkuren. Die beste Auswahl von Apfelsinen und Zitronen hat man
in den Fruchthandlungen; wer aber nicht gerade so wählerisch ist,
kann recht gute Ware von den Herumträgern kaufen.
Apfelsinen & Zitronen-Verkäufer
— 9 —
— 14 —
Welcher Fremde, der auch Hamburg und seine reizende Umgebung
nicht gesehen, hätte nicht von Blankense gehört; wer, der Hamburg
bewohnt oder besucht, hätte nicht einen Ausflug dahin gemacht, nach
diesem auf zwischen Hügeln malerisch gruppierten, mehrere Male
schon abgebrannten und doch immer wieder frisch und mit neuen
Ziegeldächern hervorlugenden Dorfe, das so ziemlich die Grenze bil-
det, mit der das Malerische des Elbufers aufhört? Wem also braucht
es gesagt zu werden, dass Blanknese zu Nienstedten eingepfarrt ist
und etwa 3000 Einwohner zählt, unter denen die Männer die gefähr-
lichen Gewerbe der Fischer, Schiffer und Lotsen treiben und in allen
dreien sich einen ausgezeichneten und in der ganzen Welt bekannten
Ruf erwerben?
Die Frau auf unserem Blatte bietet getrocknete Schollen feil, im
Holländischen heißt die Scholle: Schar, daher der Name, der auf diese
getrockneten Fische der kleineren Sorte übergegangen ist. Das Aus-
nehmen, Kerben und Trocknen der Fische, die in langen Reihen auf
Bindfäden an den Häusern in Blankense hängen, ist eine Beschäfti-
gung der Frauen. Man kann die Scharen roh oder gekocht essen. Zu
den gekochten werden gewöhnlich grüne Erbsen genossen.
In früheren Zeiten kleideten die Blankeneserinnen sich ähnlich
ihren Nachbarinnen von gegenüber im Alten Lande. Aber auch hier
hat die Kultur und Mode nachgeholfen und den ungebührlich kurzen
und hinten hoch aufstehenden Rock verlängert und niedergedrückt.
Blankeneserin Fische feilbietend
— 15 —
— 16 —
Börsendiener
Bis zum Ende des Jahres 1841 war die hamburgische Börse ein offener,
zum Teil unbedeckter Platz, auf welchem der sich dort versammeln-
de Kaufmannsstand allen Unbilden des Wetters ausgesetzt war. Seit
anfangs 1804 wurden die meisten Geschäfte in dem unfern gelegenen
Privatinstitute der Börsenhalle abgemacht, und es war kein Wunder,
dass sich die Zeit der eigentlichen Börsenversammlung immer mehr
verspätete, so dass die Börse eine Zeitlang erst gegen 5 Uhr nachmit-
tags zu Ende war. Versuche, die Börse abzuschließen, um das Ende
früher herbeizuführen, mussten wieder aufgegeben werden. Endlich
kam die Kommerzdeputation im Jahre 1831 auf den Einfall, die Börse
nicht zu schließen, sondern wie die Stadttore nur zu sperren und den
späteren Eintritt gegen eine kleine Abgabe zu gestatten, welche der
Makler-Witwenkasse überwiesen wurde.
Die neue Börse am Adolphsplatz sollte alle Börsenbesucher fassen
und wenn nun einerseits auf eine Vermehrung der Börsensperrgel-
der für freiwillige oder notgedrungene Verspätung zu rechnen war,
so musste andererseits die Aussicht für die Makler-Witwenkasse
getrübt werden, indem das jährlich zu tausend Taler angeschlagene
Sperrgeld zur Deckung der Bauanleihe mitverwiesen werden muss-
te. Die Einkünfte der Börse aus den mitvermieteten Lokalen hatten
aber nicht nur die Erwartung übertroffen, sondern das Sperrgeld trug
auch schon während der ersten zehn Monate etwa 8000 Mark ein,
und somit konnte Erbgesessene Bürgerschaft am 20. Februar 1843
den Antrag E. Hochw. Senates genehmigen, der Maler-Witwenkasse
bis zum Belaufe von jährlich 3000 Mark dasjenige zu überlassen, was
mehr als 3000 Mark an Börsensperrgeldern eingehen würde.
— 17 —
— 26 —
Wenn nicht gelegentliche Empfehlungen stattfinden, wenden sich
Herrschaften und Dienstboten an einen der vielen, unter Aufsicht
des Gesindebüros stehenden, konzessionierten männlichen oder
weiblichen Dienstbotenvermieter, auf Plattdeutsch „Mädvermeeder“,
deren Taxen für wirkliches Unterbringen gesetzlich reguliert sind,
wobei das sogenannte Anschreibegeld * zu fordern verboten ist. Nun
geht die Not mit dem „Sehenlassen“ und mit dem „Nachfragen“ an.
Die Jungfer wählt zum Ausgehen wohl nicht immer die Zeit, welche
der Madam passt, bleibt auch über die Gebühr aus und klagt dagegen,
dass ihr nicht die nötige Zeit gelassen wird. Zum Ausgehen zieht das
Mädchen sich auf das Vorteilhafteste an, reinlich, hübsch und mo-
disch, aber ohne unnötigen Staat, um der gehofften neuen Herrschaft
keinen Anstoß zu geben. Unerlässlich ist für jedes Dienstmädchen
die Mütze in ihren unendlichen Varietäten nach Heimat und Mode
und der Marktkorb mit einer höchst überflüssig großen Korbdecke;
Näherinnen tragen ein Handkörbchen. Filethandschuhe * und ein
sauberes Taschentuch gehören zum guten Ton, Schnippenkleid und
enge Ärmel zur Mode im April 1844; für längere Zeit möchte ich
nicht einstehen.
Das Nachfragen bei der jetzigen oder auch bei früheren Herrschaf-
ten übernimmt die ein Mädchen suchende Hausfrau entweder selbst
oder lässt es durch sonst jemand verrichten. Auch in dieser Hinsicht
haben die öfteren Vorschläge, Zeugnisbücher einzurichten und etwa
mit den Gesindekarten * zu verbinden, keinen Eingang gefunden,
und es ist nicht zu leugnen, dass trotz der Gesindeordnung und trotz
vielfacher Bemühungen, Kosten und Preisschriften der Patriotischen
Gesellschaft unser Gesindewesen noch an mancherlei Mängeln leidet.
Dienstmädchen Condition suchend
— 27 —
— 32 —
Fleete sind bekanntlich in Hamburg die natürlichen Elbarme oder
künstlichen Kanäle der wasserreichen Altstadt, die also auch, gleich
der Elbe, der Ebbe und Flut unterworfen sind. So wie in diese Flee-
te gesetzlich und ungesetzlich manches hineingespült und -gewor-
fen wird, was man in den Häusern nicht mehr haben mag, so gerät
auch manches durch Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit hinein, was
man ungern vermisst oder was noch andere gebrauchen können. Zur
Ebbe zeit machen sich nun Leute ein Gewerbe daraus, in den Fleeten
umherzuwaten und zu gucken (plattdeutsch kieken), ob dergleichen
nutzbarer Abfall für sie zu finden sei. Einer polizeilichen Kontrolle
sind diese Leute weiter nicht unterworfen, als dass sie, gleich jedem
andern, gesetzlich verpflichtet sind, gefundene Sachen dem mutmaß-
lichen Eigentümer oder der Polizeibehörde zu übergeben, welch letz-
tere dann nötigenfalls einen angemessenen Fundlohn vermittelt. Das
Geschäft ist gewiss mühsam und unangenehm, schwerlich aber be-
sonders einträglich. Der auf unserem Bild dargestellte Mann scheint,
ungeachtet der trübseligen Scharten in seiner Kleidung, doch noch zu
den behäbigen seines Standes zu gehören, weil er gute Wasserstiefel
trägt; manche seiner Kollegen haben für die unteren Ex tremitäten
eben so wenig Bekleidung wie ihre gefiederten Gewerbsgenossen, die
Störche. Ob dermaleinst besondere Sielkieker organisiert werden,
bleibt dahingestellt; vielleicht geraten auch in diese Abzüge Löffel,
wie unser Fleetenkieker einen kritisch mustert, ob er Argentan *,
Packfong * oder aufrichtiges Silber ist.
Fleetenkieker
— 33 —
— 38 —
Die eigentliche Krabbe, cancer crangon, ist nur in der Ostsee zu
Hause und kommt aus Wismar, in neuerer Zeit auch aus Lübeck
nach Hamburg. In der Nordsee aber werden die jetzt auch in Ham-
burg viel häufigeren Krabben gefangen, die man Karnathen, Grana-
ten oder Garnelen nennt, englisch shrimps, französisch chevrettes, vielleicht eine Verstümmelung des normannischen crevettes.
Die Ostseekrabben werden durch Kochen hochrot, die Karnathen,
die ungekocht schmutzig grau aussehen, blassrot. Kenner ziehen die
Karnathen ihres zarteren Fleisches wegen den Krabben vor. Gefangen
werden sie zu Millionen, im Amte Ritzebüttel größtenteils von Frau-
en, die mit Beinkleidern und Schifferstiefeln auf die Watten gehen
und längs derselben die Netze hinziehen, deren Maschen die kleinsten
Tiere durchfallen lassen und nur die größeren aufziehen. In den Orten
an der Elbmündung: Neuhaus, Otterndorf, Ritzebüttel usw. sind diese
Karnathen eine tägliche Beispeise, ohne welche kaum ein Frühstück,
Mittagessen oder Abendbrot stattfindet, wobei die Schnelligkeit und
Geschicklichkeit Bewunderung erregt, womit jeder und jedes versteht,
die Tiere aus ihrer glasartigen Schale zu enthülsen. Dort pflegt man
nur die diejenigen Karnathen zu essen, die noch an demselben Tage
gefangen und gekocht sind. In Hamburg begnügt man sich, die einige
Tage alten zu essen und sie viel teurer zu bezahlen als an der Elbmün-
dung, wo eine Handvoll nur einen Pfennig kostet.
Krabbenbauer
— 39 —
— 46 —
Matrosen Koch, Untersteuermann und Leichtmatrose
So wie die Flaggen und Wimpel aller see- und flussfahrenden Nati-
onen beider Hemisphären Hamburgs Hafen schmücken, so schicken
auch alle Völker ihre Repräsentanten als Matrosen an die gastlichen
Gestade der Welthandelsstadt. Ihr gewöhnlicher Tummelplatz ist die
Vorstadt St. Pauli, der bei den Seefahrern aller Zonen wohlbekannte,
von sittenschildernden Schriftstellern oft nur zu sehr als berüchtigt
verschriene „Hamburger Berg“. Dort verzehrt, verjubelt und ver-
schenkt der Matrose den sauer und mit Lebensgefahr errungenen
Verdienst vieler Monate oft in wenigen Tagen und geht dann ebenso
sorglos wieder auf sein Schiff, um wieder einige Monate Schiffszwie-
back und Pökelfleisch zu essen, seinen Lohn notgedrungen zu sparen
und dann wieder auf dem lieben Hamburger Berge oder in einem an-
deren Hafen den Kreislauf von neuem zu beginnen, bis ihn Gewissen
und Erfahrung mahnen, auf „die Zeit der Jugendpossen das Alter der
Vernunft“ folgen zu lassen, um im Seedienste höher zu steigen oder
sich auf dem Lande zur Ruhe zu setzen.
Dass es auf dem Hamburger Berg, wenn viele Schiffe an der Stadt
liegen, nicht immer so ganz friedlich hergeht in den bekannten Wirts-
häusern, ist sehr begreiflich, und Patronat und Polizei nebst ihren hel-
fenden Beamten freuen sich, wenn es nur dabei bleibt, dass ein briti-
scher Boxkampf ausgefochten oder dänische Küsse * ausgeteilt wurden
und nicht Messer gezogen sind und ernstlich verwundet haben. Schwer
genug mag es den einschreitenden Polizisten zuweilen werden, die wü-
tenden, von Grog und Zorn und Nationalhass aufgestachelten Meer-
wölfe auseinanderzubringen. Dennoch kommt es verhältnismäßig
selten zu ernstlichen Exzessen, und nach ausgeschlafenem Rausche
können die Parteien gewöhnlich nach ihren Schiffen geschickt werden.
— 47 —
— 48 —
Zu dem ausgedehnten Gerichtsbezirk des königlichen hannoverschen
Amtes Harburg im Fürstentum Lüneburg gehört auch die Vogtei
Altenwerder *, bestehend aus einer Elbinsel, nördlich vom hambur-
gischen Moorburg, welche eine Kirche und etwa 132 Häuser mit
ungefähr 1400 Einwohnern enthält. Die Einwohner treiben einigen
Schiffbau, Viehzucht und Fischerei. Bedeutender aber ist der Gemü-
sebau, dessen Erzeugnisse in Hamburg Absatz finden. Es scheint, als
ob die meisten Altenwerder, oder deren Frauen, welche ihre Ware
nach Hamburg bringen, keine Aufkäufer, sondern wirklich Gemüse-
gärtner sind und nur das, was sie in den Häusern ihrer Kunden nicht
absetzen können, den Hökern zum Wiederverkauf überlassen. Die
einfache und züchtige Kleidertracht der Altenwerderinnen weicht
nicht ab von der ihrer Nachbarinnen auf den Elbinseln, mit denen sie
die im Winter oft lebensgefährliche Fahrt durch den Köhlbrand teilen
müssen, um die Hamburger Küchen mit Kohl, Früchten, Wurzeln
usw. zu versorgen.
Milchmädchen aus Altenwerder
* Zu dem Blatt „Milchmädchen“ liefert die Sammlung keinen eigenen Text, sondern verweist auf den hier abgedruckten Text zum Blatt „Altenwerderin“.
— 49 —
— 72 —
Das Geschäft eines Weinhändlers ist in Hamburg ein freies Gewer-
be, das an keine Zunft oder Amt gebunden ist. Indes erfordert die
wirkliche Ausübung des Geschäftes für eigene Rechnung oder als Ge-
schäftsvorsteher so vielerlei technische Kenntnisse und Fertigkeiten,
dass man diese methodisch erlernen muss. Die Dauer der vier- bis
sechsjährigen Lehrzeit, so wie die übrigen Bedingungen, werden
durch den Kontrakt festgestellt, welchen Lehrherr und Bursche mit-
einander schließen. Nach überstandener Lehrzeit wird der Bursche
Küfer oder Gesell und übt in der Regel nun erst recht Zunge und
Hand im Probieren und Behandeln der verschiedenen Weinsorten
und ihrer Gebinde. Die Hansestädte sind von jeher eine gute Schule
für Weinküfer gewesen, und noch immer werden Weinküfer gesucht
und vorgezogen, die in Hamburg, Lübeck oder Bremen gelernt haben.
Besonders häufig finden sie Anstellung in Russland, falls sie es nicht
vorziehen, sich in Hamburg zu etablieren, wo ein geschickter und
redlicher Weinhändler immer sein Brot findet.
Handlungshäuser, welche Weinlager zum Wiederverkauf im Gro-
ßen halten, nehmen entweder einen eigenen Weinküfer als Lager-
aufseher in ihren Dienst, oder sie wenden sich an einen Weinhändler,
der durch seine Küfer das Lager behandeln und die verschiedenarti-
gen Arbeiten des Auffüllens usw. besorgen lässt.
Bis in die neuere Zeit bestand ein Amt der „Weinverlasser und
Fassbinder“, dessen praktischer Nutzen sich aber größtenteils darauf
beschränkte, dass die Amtsmitglieder einen Vorzug und zugleich die
Verantwortlichkeit dafür hatten, bei Weinauktionen berufen zu wer-
den, um dafür zu bürgen, dass die vorgelegten Proben wirklich aus
den zu verkaufenden Fässern genommen waren.
Weinküfer
— 73 —
— 76 —
Die Makler in rohen Zuckern halten sich Leute, deren hauptsächli-
che und bei den am meisten beschäftigten Maklern einzige Arbeit
es ist, aus den Kisten verkäuflicher Rohzucker die Proben auszuste-
chen, nach der Reihenfolge der Kisten auf ein Brett zu häufen, den
Kauflustigen hinzubringen und nach geschlossenem Handel bei dem
Nachstechen, bei dem Vergleichen der Proben mit dem Inhalte der
Kisten gegenwärtig zu sein. Dies Geschäft erfordert natürlich Erfah-
rung, Sachkunde und große Genauigkeit, so dass den Zuckermaklern
ein tüchtiger und redlicher Austräger unentbehrlich ist. Die Leute
stehen in Wochenlohn, erhalten außerdem die üblichen Trinkgelder
und den Erlös der Proben, welche sie an die Fabrikanten verkaufen,
die den rohen Zucker zu Melis * oder Raffinaden verarbeiten.
In alten Zeiten sahen die Austräger stattlicher und ehrenfester aus,
indem sie meistens schwarze Überwurfjacken von sogenannter Baum-
seide trugen. Bei der jetzt allgemein eingerissenen Nachlässigkeit der
Kleidung sind auch die Austräger nicht zurückgeblieben und sind von
anderen Hausknechten nicht zu unterscheiden als etwa durch die un-
vermeidlichen Schmutzflecken auf dem Ärmel. Übrigens bilden die
Austräger unter sich eine Art freiwilliger Korporation mit dem lobens-
werten Zweck einer Totenlade *. Ihr gewöhnlicher Verkehr ist in dem
bekannten „Proppensnider-Keller“ unweit der Zollenbrücke.
Zuckerproben-Austräger
— 77 —
Bardowikerinnen
jetzt * = nach der Belagerung durch
Heinrich den Löwen im 12. Jahrhundert
und der Niederbrennung der Stadt
durch die Sachsen im 14. Jahrhundert
Niederlage* = Filiale/Verkaufsstelle
Bickbeeren-Verkäuferin
Farrenkraut * = Farn
Kontinentalsystem* = Landblockade
britischer Waren durch Napoleon
im Jahr 1806
Licentbrief * = Erlaubnisschein (für
Ausnahmeregelungen)
Briefträger
Regal* = Hoheits und Sonderrechte
Bürgermeister
Wahlrezess* = die Wahl betreffender
Vertrag zwischen Rat und Erbgesessener
BürgerschaftStaltrock*= Staatskleid, Amtskleid der
Ratsleute und Oberalten
Richey* = Michael Richey, Verfasser des
ersten hamburgischen Mundartwörter
buchs Idioticon Hamburgense von 1743
Buttermädchen
Detailverkauf * = Verkauf an Privatleute/
Endabnehmer
Die Currende
Gotteskasten* = Behältnis zur Aufbe
wahrung des Vermögens der Kirchen
gemeinde
Oberalte* = Kollegium aus den Kirchen
vorständen der Hauptkirchen
von Heß* = Jonas Ludwig von Heß
(1756–1823), Verfasser u.a. der Schrift
Hamburg topographisch, politisch und
historisch beschrieben (1787–1792)
Dienstmädchen
Anschreibegeld * = erfolgsunabhängige
Grundgebühr für die Vermittlungstätig
keit der „Dienstbotenvermieter“
Filethandschuhe* = aus Netzstoff gefer
tigte Handschuhe
Gesindekarte* = amtliche Meldekarte für
das Hauspersonal
Eisenbahn-Beamter
Lindley* = William Lindley (1808–1900),
englischer Ingenieur, der von 1838 bis
1860 vor allem auf dem Gebiet des
Wasser und Eisenbahnbaus sowie der
Ver und Entsorgung in Hamburg tätig
war
Effekten* = Wertsachen/Wertpapiere
Fleetenkieker
Argentan* = „Neusilber“, eine Legierung
Glossar
aus Kupfer, Nickel und Zink
Packfong* = chinesische Bezeichnung für
Neusilber
Kindermädchen
Lütjmaid * = Bezeichnung für alle
Dienstmädchen außer der Amme
und der „Köksch“ (Köchin)
Matrosen
dänische Küsse* = Kopfnüsse
Milchmann
Detailverkauf * = Verkauf an Privatleute/
Endabnehmer
Chichorienwasser* = Ersatzkaffee
Polizei-Sergeant
Offiziant* = Beamter/Amtsträger
Quartiersleute
Handelsküper* = vom „Küfer“ (Fass
binder) abgeleitete Bezeichnung für
einen Beruf in der Lagerhaltung, im
englischen Sprachraum „Tallyman“
Schlachtergesell
Fleischscharren* = einfache, offene
Verkaufsstände der Knochenhauer
Contrabuch* = „Gegenbuch“, in das
der Kontrolleur die vom Buchhalter
ins Hauptbuch eingetragenen
Posten einträgt
Schornsteinfeger
Amt* = norddeutsch für Zunft
Amtsgerechtsame* = Amtsbefugnisse
von Heß* = Jonas Ludwig von Heß
(17561823), Verfasser u.a. der Schrift
Hamburg topographisch, politisch und
historisch beschrieben (1787–1792)
Ältermann* = Vorsteher
Vierländer
von Heß * = Jonas Ludwig von Heß
(17561823), Verfasser u.a. der Schrift
Hamburg topographisch, politisch
und historisch beschrieben (1787–1792)
Waisenkinder
Provisor* = Verwalter, besonders in
geistlichen Einrichtungen
Zuckerproben-Austräger
Melis* = alte Bezeichnung für einen
leicht gelblichen Zucker
Totenlade* = Einrichtung der gegen
seitigen Hilfe für den Fall des Todes
eines Mitglieds der Korporation
Die lithographierten Blätter in
diesem Buch erschienen erstmals 1843 bis 1847
im Verlag B.S. Berendsohn, Hamburg.
Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.juniusverlag.de
© 2014 by Junius Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Design, Layout & Satz:
Benjamin Wolbergs
Printed in Germany 2014
ISBN 9783885060475