Date post: | 18-Dec-2014 |
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Einleitung
Im 1. Teil dieser Artikelserie wurde ausgehend von ersten Syn-drombeschreibungen [5] hin zu einem therapiespezifischen mo-dernen Diagnoseschema [1, 16] mit der M�glichkeit, zuk�nftigeEntwicklungen und Erkenntnisse problemlos integrieren zu k�n-nen, der lange Weg der zahn�rztlichen Funktionsdiagnostik er�r-tert. Dieser 2. Teil veranschaulicht nun die praktische Durchf�h-rung der klinischen Funktionsanalyse sowie die erweitertenUntersuchungsm�glichkeiten und diskutiert kritisch bekannteUntersuchungsmethoden.
Diagnostik
Die zahn�rztliche Funktionsuntersuchung will eine Antwort aufdie Frage geben, ob beim betroffenen Patienten eine Okkluso-
pathie, eine Myopathie und/oder eine Arthropathie vorliegt. DesWeiteren sind Screening-Tests mit Hinweisen auf notwendigekonsiliarische Befunderhebungen und Behandlungen im Sinneeiner Nebendiagnose (Orthop�die) zu ber�cksichtigen. Nichtvergessen werden sollten auff�llige Differenzialdiagnosen, dienicht in direktem Zusammenhang mit der kraniomandibul�renDysfunktion (CMD) stehen. Zur systematischen Befunderhebungmit automatisierten Konsil- und Therapieempfehlungen sindheute bereits sehr anwenderfreundliche Softwareprogramme er-h�ltlich (z.B. CMDfact 2.0).
Am Beginn der zahn�rztlichen Funktionsuntersuchung stehtneben dem zahn�rztlichen Befund die klinische Funktionsana-lyse, die bei Bedarf durch bildgebende und andere Verfahren er-g�nzt wird.
Kraniomandibul�re Dysfunktion – Diagnostik undTherapie aus der Sicht des Zahnarztes
Teil 2: Zahn�rztliche klinische Funktionsanalyse und erweiterteUntersuchungsm�glichkeitenE. Ludwig
Craniomandibular Dysfunction – Diagnosis and Therapy from a Dentist’sViewpoint – Part 2: Dental Clinical Functional Analysis and Extended ExaminationPossibilities
InstitutsangabenUniversit�tsklinikum Ulm, Abt. f�r zahn�rztliche Prothetik
KorrespondenzadresseDr. med. dent. Elmar Ludwig · Universit�tsklinikum Ulm, Abt. f�r zahn�rztliche Prothetik ·
Albert-Einstein-Allee 11 · D-89070 Ulm · E-mail: [email protected]
Manuskript eingetroffen: 15.09.2006 · Manuskript akzeptiert: 16.09.2006
BibliografieManuelle Therapie 2006; 10: 243–250 � Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
DOI 10.1055/s-2006-927249ISSN 1433-2671
Zusammenfassung
Der 2. Teil der Beitragsserie veranschaulicht die praktischeDurchf�hrung der klinischen Funktionsanalyse sowie die erwei-terten Untersuchungsm�glichkeiten. Außerdem werden bekann-te Untersuchungsmethoden kritisch diskutiert.
Schl�sselw�rterKraniomandibul�re Dysfunktion · klinische Funktionsanalyse ·bildgebende Verfahren · Axiographie
Abstract
The second part of this series illustrates the practical applicationof clinical functional analysis as well as advanced examinationoptions. In addition, common methods for diagnosis are criticallydiscussed.
Key wordsCraniomandibular dysfunction · clinical functional analysis ·imaging methods · axiography
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Klinische Funktionsanalyse
Die Deutsche Gesellschaft f�r Funktionsdiagnostik und -therapiein der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGFDT) stellt f�r deninteressierten Zahnarzt auf ihrer Homepage ein Erfassungs-formular Funktionsstatus mit Anleitung zur Anwendung alsDownload zur Verf�gung (www.dgzmk.de).
Der 1. Teil des Funktionsstatus erfragt biografische Ereignisse(Unfall mit Kopf-Hals-Beteiligung), Arztkontakte anderer Fach-richtungen (Internist – Polyarthritis, HNO – Nasennebenh�hlen-entz�ndungen, Orthop�de – Wirbels�ulenerkrankungen) sowiezahn�rztliche Vorbehandlungen (Kieferorthop�die, Zahnersatz,funktionelle Vorbehandlungen) und schließt mit einer genaue-ren Charakterisierung der bestehenden Schmerzen (Art, H�ufig-keit, Dauer) unter Zuhilfenahme visueller Analogskalen.
Der 2. Teil des Funktionsstatus umfasst die eigentliche klinischeFunktionsanalyse (Abb.1). Neben der Palpation und Auskulta-tion der Kiefergelenke (Abb. 2) werden auch bestimmte Muskel-gruppen palpatorisch beurteilt und im Sinne der manuellenStrukturanalyse untersucht (Abb. 3). Danach erfolgt die Beurtei-lung der Unterkieferbeweglichkeit (Abb. 4) sowie der vertikalenKieferrelation �ber die so genannte Ruheschwebehaltung. Dabeiwird der Patient aufgefordert, zun�chst zuzubeißen und an-schließend den Unterkiefer unter Lippenschluss entspannt h�n-gen zu lassen. Nach mehrmaliger Wiederholung zur �bung kanndie vertikale Kieferrelation als Interokklusalabstand (IOA; Norm:2 – 3 mm) gemessen werden.
Nach diesen extraoralen Befunden erfolgt die Analyse der hori-zontalen Kieferrelation bzw. statischen Okklusion. Von besonde-rem Interesse sind hier neben fehlenden Kontakten (Nonokklusi-on) Fr�hkontakte (Prim�rkontakte), die eine ventrale, retraleund/oder laterale Verlagerung des Unterkiefers aus der Schluss-bissposition bewirken und sich bei aufrechter Kopf-K�rper-Hal-tung passiv manuell gef�hrt ohne retrale Forcierung mithilfe vonOkklusionsfolie identifizieren lassen (Abb. 5).
Bei der Beurteilung der dynamischen Okklusion ist vor allem da-rauf zu achten, ob einzelne Zahnpaare die schlussbissnahen Gleit-bewegungen im Sinne eines Gleithindernisses ung�nstig beein-flussen (Hyperarbeitskontakte auf der Laterotrusionsseite bzw.Hyperbalancekontakte auf der Mediotrusionsseite; Abb. 6 u. 7).
Um eine gesteigerte parafunktionelle Aktivit�t zu beurteilen, wer-den schließlich Abrasionen, keilf�rmige Defekte sowie Wangen-und Zungenimpressionen erfasst. Nach Ansicht des Autors solltebesonders auf Lockerungen einzelner Z�hne geachtet werden, dahier meist versteckte Prim�rkontakte oder Gleithindernisse vorlie-gen, die z.B. bei der Eingliederung keramisch verblendeter Kronennicht ausreichend reduziert wurden (Abb. 8).
Der 2. Teil des Funktionsstatus endet mit der Entscheidung f�reventuelle weitere konsiliarische Untersuchungen, einer Ver-dachtsdiagnose und der vorl�ufigen Festlegung geeigneter the-rapeutischer Maßnahmen. Im Hinblick auf die Initialdiagnosemuss der Zahnarzt folgende 3 Fragen beantworten:– Vertikale Kieferrelation �ber die Bestimmung des Interokklu-
salabstands (IOA): Ist der Biss zu hoch oder zu niedrig?
– Horizontale Kieferrelation (statische Okklusion) �ber dieIdentifizierung von Prim�rkontakten bzw. ausgepr�gtenSchlussbisskontakten in der Front: Ist der Unterkiefer imSchlussbiss zur Seite, vor allem aber nach ventral oder nachretral verlagert?
– Dynamische Okklusion �ber die Identifizierung von Gleithin-dernissen: Bestehen im schlussbissnahen Bereich Hyper-arbeits- bzw. Hyperbalancebahnen?
Fehlerbeispiel: Vertikale Kieferrelation
Ein auff�llige senile Mimik, eventuell mit Faulecken im Bereichder Mundwinkel bei gleichzeitig großem IOA, fehlende oderstark abgenutzte Seitenz�hne bzw. okklusale Stufen k�nnenmyoarthropathische Beschwerden verursachen (Abb. 9a u. b,Abb.10).
Fehlerbeispiel: Horizontale Kieferrelation/statischeOkklusion
Ausgepr�gte Kontakte im Bereich der Oralfl�chen �berkronter,meist keramisch verblendeter Oberkieferfrontz�hne, m�gli-cherweise mit Lockerungen der Pfeilerz�hne k�nnen durch dieRetralverlagerung des Unterkiefers im Schlussbiss einen Kom-pressionsschmerz in den Kiefergelenken erkl�ren. Durch Dis-kusverlagerungen bedingte Gelenkger�usche sind auch ohneBissh�henverlust zu beobachten (Abb.11 u. 12).
Prim�rkontakte im Seitenzahnbereich (z.B. nach kieferorthop�di-scher Therapie aufgrund nicht korrigierter Gleithindernisse im Be-reich der Kaufl�chen) k�nnen unter anderem eine Ventralverlage-rung des Unterkiefers provozieren (Abb.13a u. b) und infolgegesteigerter parafunktioneller Aktivit�t myopathische Beschwer-den, Zahnlockerungen, Rezessionen am Zahnfleisch, keilf�rmigeDefekte und Abrasionsschlifffl�chen verursachen.
In diesen F�llen kommen kurative zahn�rztlich therapeutischeMaßnahmen infrage, sollten aber erst durchgef�hrt werden, wennsichergestellt ist, dass Bisslagever�nderungen nicht auf allgemeineHaltungsfehler (Beckenschiefstand, Skoliose) zur�ckzuf�hren sind.Aus diesem Grund schl�gt der Autor hier grunds�tzlich ein physio-therapeutisches bzw. orthop�disches Konsil vor.
Erweiterte Bildgebung: Sch�ller/Computertomographie/Magnetresonanztomographie
Bei Verdacht auf eine kraniomandibul�re Dysfunktion kann zus�tz-lich zu den klassischen zahn�rztlichen R�ntgenbefunden auf derGrundlage von Panoramaschicht- (OPT) und Mundfilmaufnahmendie Kiefergelenkaufnahme nach Sch�ller durchgef�hrt werden. Da-bei verl�uft der Strahlengang von der gegen�berliegenden Seite inAnn�herung zur L�ngsachse des Kondylus (258 kranial, 108 dorsal;Abb.14). Diese mundgeschlossene („Fest zubeißen!“) Aufnahme-technik muss immer im Seitenvergleich bewertet werden und istbei Verdacht auf Kompression, Distraktion, Retral- bzw. Ventral-verlagerung des Kondylus nicht allein beweisend (Abb.15a u. b),sondern dient der Erg�nzung bzw. Best�tigung der klinischen Ana-
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Abb. 2 Auskulta-tion der Kiefergelen-ke (evtl. mit Stetho-skop; mitfreundlicher Geneh-migung von Dr.Wolfram Widmaier,Ulm).
Abb. 5 Beurteilung der statischen Okklusion zur Identifizierung vonPrim�rkontakten (nicht retral forciert).
Abb. 4 Bestim-mung der maximalenSchneidekanten-distanz (mit freund-licher Genehmigungvon Dr. WolframWidmaier, Ulm).
Abb. 3 Palpationdes M. masseter(Beurteilung immerim Seitenvergleich;mit freundlicherGenehmigung vonDr. Wolfram Wid-maier, Ulm).
Abb. 6 Abkl�rungvon Hyperarbeits-bzw. Hyperbalan-cebahnen durch„Knirschen auf denBackenz�hnen“.Kontrolle mit Okklu-sionsfolie.
Abb. 7 Schlifffl�-chen auf Goldguss-restaurationen infol-ge ungen�genderEinpassung bei Ein-gliederung (Pfeile;m�nnlich, 36 J.).
Abb. 8 Abkl�rungvon Zahnlockerun-gen aufgrund vonPrim�rkontaktenmithilfe von Okklusi-onsfolie und manu-ellem Gegendruck.
Abb. 1 Instrumentarium f�r die zahn�rztlich klinische Funktions-analyse.
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lyse (Gerber-Resilienztest, Kompression/Traktion in der Statik). Beigravierenden Dysfunktionszust�nden mit morphologischen Ver-�nderungen, wie z.B. einer Randzacke des Kondylus bzw. Erosio-nen der Gelenkpfanne oder hohe Kollumfrakturen, ist eine sicherediagnostische Aussage m�glich (Abb.16a–c). Zur Reduzierung derStrahlenbelastung lassen sich heute mittels moderner Orthopanto-mographieger�te entsprechende Funktionsaufnahmen anfertigen.
In den letzten 20 Jahren wurden durch Steigerung der Aufl�sungund dreidimensionale Rekonstruktion der Datens�tze die diagnos-
Abb. 9 a, b Zu niedriger Biss (m�nnlich, 61J.). a Interokklusalabstand (IOA) ca. 8 mminfolge sekund�rer Abrasion im Oberkiefer-frontzahnbereich. b IOA ca. 8 mm infolgeSt�tzzonenverlust im Oberkiefer rechts undlinks.
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Abb. 11 a, b Re-tralverlagerung desUnterkiefers mit Dis-kusverlagerung nachventral (dunkelblau)infolge �berkon-turierter Oralfl�-chenkonfigurationenvon Kronen bzw.Br�cken in der Ober-kieferfront undgleichzeitigem H�-henverlust im Sei-tenzahnbereich.
Abb. 10 Okklusionsstufe im Unterkiefer als Ursache f�r einen Biss-h�henverlust.
Abb. 14 Strahlengang der R�ntgenkiefergelenkaufnahme nach Sch�ller(mit freundlicher Genehmigung von Dr. Wolfram Widmaier, Ulm).
Abb. 12 �berkonturierte Oralfl�chenkonfigurationen mit Glanz-schlifffl�chen (Pfeile), die so nur bei Goldgussrestaurationen sichtbarsind (m�nnlich, 59 J.).
Abb. 13 a, b Ven-tralverlagerung desUnterkiefers auf-grund von Prim�r-kontakten im Sei-tenzahnbereich(m�nnlich, 18 J.).a Manuell gef�hrtePrim�rkontaktsitua-tion. b HabituelleSchlussbisssituation.
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tischen M�glichkeiten der Computertomographie (CT) und vor al-lem der Magnetresonanztomographie (MRT) zur Darstellung derKnorpelanteile der Kiefergelenke stark verbessert [15]. Die patien-tenbezogene Outcome-Effektivit�t, also die Frage, ob die Patientendurch den Einsatz dieser Maßnahmen wirklich profitieren, mussjedoch kritisch gesehen werden. So besteht keine gute Korrelationzwischen Gelenkschmerzen und bildgebenden Befunden [3, 17,25], und eine r�ntgenologische Gelenkspaltverminderung erlaubtkeine zuverl�ssige Aussage �ber den Zustand des Gelenkknorpels[7]. Bei Patienten mit Kiefergelenkschmerzen und Dysfunktionenohne rheumatische Grunderkrankung hinken die R�ntgenbefundeden akuten klinischen Erscheinungen deutlich hinterher [24].
Auch moderne MRT-Aufnahmetechniken lassen keine Voraus-sagen f�r Gelenkschmerzen aufgrund nachweislich dargestellterDiskusverlagerungen zu [11, 33]. In habitueller Okklusion der Z�h-ne finden sich bei Patientenkollektiven in bis zu �ber 80% anterio-re Verschiebungen. Diese k�nnen allerdings in 20–35% der F�lleauch bei asymptomatischen Personen beobachtet werden [13, 18,19, 21, 28, 38]. Bis zum heutigen Tag werden Effusionen (Gelenker-g�sse) sowie kernspintomographische Befunde des retrodiskalenGewebes und im Bereich des kondyl�ren Knochenmarks als bild-gebende �quivalente f�r Gelenkschmerz sehr unterschiedlich be-urteilt [4, 9, 11, 14, 21, 26, 30–32, 34, 35, 38– 40].
„Bildgebende Verfahren werden oft als S�ndenb�cke herangezo-gen, wenn die klinische Untersuchung nicht die Diagnose offen-
bart. Auch werden sie als Friedensstifter ben�tigt, um dem for-dernden Patienten deutlich zu machen, dass nichts unterlassenund alles getan wurde“ [12]. In diesem Sinne setzt der Autor er-weiterte bildgebende Verfahren nur ein, wenn es gilt, einen Tu-morprozess auszuschließen.
Abb. 16 a–c Sichere Diagnosen. a Erosion der linken Gelenkpfanne.b Randzacke Kondylus links. c Hohe Kollumfraktur mit muskelzug-bedingter Verlagerung des rechten Kondylus nach ventral, medial undkaudal (Pfeile).
Abb. 15 a, b Seitenvergleich Kiefergelenk rechts und links. Verdachts-diagnose Retralverlagerung des linken Kondylus (Pfeile).
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Arthroskopie
Die von Ohnishi 1974 erstmals f�r die Kiefergelenke beschriebe-ne Methode erlaubt bei bis zu 97 % der Patienten eine exakte Di-agnosenstellung hinsichtlich „der Oberfl�chenbeschaffenheitund Position des Diskus, sein Lageverhalten bei Bewegungendes Unterkiefers sowie den Zustand (Elastizit�t), die Ausdeh-nung und die Beweglichkeit der Aufh�ngungsb�nder“ [22, 27].Aufgrund des operativen Risikos sollte die Arthroskopie abernur bei den Patienten angewendet werden, bei denen konser-vative Maßnahmen keine Linderung der Beschwerden verschaf-fen; dann allerdings besteht im Gegensatz zur Schichtbilddiag-nostik zugleich die M�glichkeit, therapeutisch im Sinne einesDebridement oder einer Lavage t�tig zu werden bzw. abzusch�t-zen, ob offenchirurgische Verfahren angezeigt sind [22].
Instrumentelle Funktionsanalyse
Die instrumentelle Funktionsanalyse erm�glicht im Vorfeld ei-ner indizierten Einschleiftherapie, den Substanzabtrag im Be-reich der Z�hne darzustellen. Die okklusalen Fehler des Patien-ten werden �ber Abformungen, einen Gesichtsbogen und einBissregistrat bei passiv manuell gef�hrtem Kieferschluss in auf-rechter Kopf-K�rper-Haltung sch�delgelenkbez�glich im Artiku-lator dargestellt. �ber sukzessiven Abtrag an den Gipsmodellenerfolgt eine kontrollierte Absenkung zum Zwecke der Harmoni-sierung der statischen Okklusion. Dieses Schleifprotokoll erlaubteine Prognose �ber das Ergebnis der Einschleiftherapie und im
Vergleich zu einem 2. unbeschadeten Modellsatz eine anschauli-che Grundlage zur Aufkl�rung des Patienten. Die Maßnahme istnach Ansicht des Autors nur bei Verdacht auf eine Ventralver-lagerung des Unterkiefers sinnvoll. Der Grad einer Retralverlage-rung l�sst sich nicht darstellen, weil die fehlerhafte Schlussbiss-position pathologisch angepasst ist, vom Patienten also beimSchließen stets spontan eingenommen wird.
Orthop�die
Eine konsiliarische Vorstellung beim Orthop�den ist bei Fehlhal-tung oder bei Verdacht auf eine Fehlfunktion der (Hals-)Wirbels�ule angezeigt [1]. Das grunds�tzliche Verst�ndnis desZahnarztes der „Funktionsketten“ ist w�nschenswert, da in der„Manualmedizin schon immer Wechselwirkungen zwischen demAtlas und dem Kreuzdarmbeingelenk, also dem obersten und demuntersten Glied der Wirbels�ule, beschrieben wurden“ [6].
Fink et al. [8] schließen die „Beweiskette“ unter dem Hinweisauf die funktionelle Verbindung zwischen einer Okklusionsst�-rung und Dysfunktionen sowohl der Zervikal- als auch der Sak-roiliakalregion. Erst dieses Wissen l�sst beispielsweise denZusammenhang einer funktionellen Beinl�ngendifferenz beiLangstreckenautofahrern erkennen. Die Identifizierung vonBlockierungen und die Untersuchung der Haltung bzw. Laxizi-t�t mit den jeweilig differenzierten Techniken �bersteigen imNormalfall weit die Kompetenzen des Zahnarztes. Er sollteaber wenigstens das von Danner [6] und Ahlers [2] beschriebe-ne Ortho-Screening anwenden (Abb.17).
Nicht akzeptabel ist die g�ngige Praxis, den auf dem Stuhl sitzen-den Patienten zu begr�ßen und zu verabschieden. Die Fehlfunk-tionszust�nde betroffener Patienten verraten sich oft durch denGang und die Art und Weise, wie sie sich hinsetzen und vor allemwieder aufstehen.
Axiographie, Elektromyographie
Zum Erfassen der Unterkieferbewegungen kommen mecha-nisch bzw. elektromechanisch gekoppelte Systeme wie auchber�hrungslose optoelektronische bzw. elektromagnetischeMesssysteme zur Anwendung [10, 20, 23, 29, 36]. Das zurzeitam weitesten entwickelte System mit sehr komplexen funk-tionsdiagnostischen und -therapeutischen M�glichkeiten d�rf-
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Orthopädische Befundeseitlich
Orthopädische Befundefrontal
Maß: 2 HanddickenAbstand vom Lot
Abb. 17 Orthoscreening zur Indikationsstellung eines orthop�di-schen bzw. manualtherapeutischen Konsils.
Abb. 18 a, b CMS20JMA-System der Fa.Zebris (Isny) zur Erfassung von Unterkiefer-bewegungen (gelenkferne Sensorik). Klebe-elektroden im Bereich der Kaumuskulaturerlauben zus�tzlich elektromyographischeMessungen.
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te das CMS20-JawMotionAnalysis-System der Fa. Zebris (Isny)sein (Abb.18a u. b). Es basiert auf der computergest�tzten, ber-�hrungslosen Laufzeitunterschiedmessung von Ultraschall-impulsen. Eine paraokklusale Fixierung der Sendeeinheit er-laubt die Messung schlussbissnaher Bewegungen (Abb.19).Erst dadurch werden unter Lastfunktion die Resilienzspielr�u-me der Kiefergelenke vollst�ndig erfasst (Abb. 20a u. b). EinView-Recorder und eine 3D-Darstellung zeigen dem Patientenanschaulich und wiederholbar die pathologischen Ver�nderun-gen im Bewegungsablauf (Abb. 21a u. b). Klebeelektroden imBereich der Kaumuskulatur stellen zus�tzlich die Aktivit�ts-potenziale (Elektromyographie) dar.
Die Anwendung dieser Systeme ist jedoch sehr aufw�ndig (Ger�-teaufbau, Fixierung der paraokklusalen Halterung) und die Tech-nik sehr empfindlich (Fixierung der Kopfhalterung, Einfluss vonMagnetfeldern und Schallquellen). Außerdem sollte die Interpre-tation der Messdaten erfahrenen Anwendern �berlassen bleiben.
Ausblick
Von der Diagnose zur Therapie – der 3. Teil (Heft 1/07) konzent-riert sich anhand verschiedener Patientenbeispiele auf die Indika-tionsstellung und Durchf�hrung notwendiger Vorbehandlungs-maßnahmen und schließlich definitiver zahn�rztlicher – auchinterdisziplin�rer – Behandlungsstrategien auf der Basis der im
1. Teil beschriebenen therapiespezifischen Diagnosen unter Zuhil-fenahme der oben genannten Befundbausteine.
Der Autor m�chte abschließend auf einen gemeinsamen Work-shop in Kooperation mit niedergelassenen Physiotherapeutenam 12./13.1. 2007 hinweisen, Infos unter: [email protected].
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Abb. 20 a, b Bewe-gungsspielr�umedes Kiefergelenks.a Bei Leerfunktionkraftfrei gelenkge-f�hrte kurvilineareBahnen (blau). b BeiLastfunktion (Para-funktion) neuromus-kul�r induzierte Be-wegungsfelder(blau).
Abb. 21 a, b Anschauliche 3D-Darstellung der Bewegungsabl�ufe.
Abb. 19 Paraokklusale Fixierung f�r Messung der schlussbissnahenBewegungen.
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