Chinesischer Outbound-Tourismus
in Deutschland
Entwicklung – Perspektiven – Herausforderungen
Prof. Dr. Wolfgang Georg Arlt
1 Einleitung
Die Touristifizierung der Welt (Picard 1996, Wöhler 2001, Tucker 2003) lässt
weder Reisende noch Bereiste unberührt. Der Wunsch, die Bilder und
Vorstellungen über sein eigenes und erst recht andere Länder vor Ort zu
bestätigen und mit eigenen Erfahrungen anzureichern, hat sich in den
vergangenen Jahrzehnten über den Globus verbreitet.
Die große Mehrheit der im Jahre 2003 getätigten 715 Mio. internationalen
Reisen (WTO 2004) unternahmen Menschen aus dem „westlichen“ Kulturkreis,
d.h. aus Europa und Nordamerika. Diese Quellmärkte lassen aber aufgrund der
bereits vorhandenen hohen Reiseintensität sowie demografischer und
ökonomischer Faktoren kaum noch hohe Zuwächse erwarten. Um die von der
World Tourism Organisation für 2020 prognostizierte Zahl von 1,6 Mrd.
internationalen Reisen zu erreichen, müssen die „neuen“ Touristen aus anderen
Erdteilen, vor allem aus Süd-, Südost- und Ostasien kommen. Damit entwickelt
sich der Tourismus kulturell und geografisch von der kolonialen Einbahnstrasse
mit festen Rollenzuweisungen von Gastgeber und Gast hin zum „Two-Way-
Traffic“, bei dem alle Beteiligten temporär beide Rollen spielen.
Daraus entstehen sowohl für die Tourismuswissenschaften wie für die
Touristiker jedoch neue Aufgaben und Herausforderungen, denn implizit oder
explizit beziehen sich sowohl europäische Tourismustheoretiker, von Löfgren
(1999) über Urry (2001) bis de Bouton (2003), wie die Erfahrungen der
Tourismuspraktiker in Fragen der Erwartungen und Verhaltensweisen bisher
fast ausschließlich auf Touristen aus individualistisch-abendländisch geprägten
Kulturen. Der Mangel an theoretisch ausreichend fundierten Ansätzen, den
Cooper (2003) der Tourismusforschung allgemein attestiert, trifft für die Analyse
des asiatisch-pazifischen Raumes als Reiseziel- und Reisequellmarkt in noch
größerem Masse zu (Pearce 2004).
„To date“, stellt Charles Goeldner fest, „few scholars have studied the culturally
diverse visitor and the role of national cultural characteristics. Cross-cultural
awareness and sensitivity to cultural differences seem to be missing in the
tourism literature.” (Vorwort zu Reisinger/Turner 2003)
Für die Tourismusindustrie kommt Valene Smith zu einem ähnlichen Ergebnis:
„.. the West is poorly prepared to meet and satisfy the interests and needs of
ethnic Asians about whom we know very little in terms of differences in
nationality, age, gender, education and occupation” (Smith 2003:1)
Die Volksrepublik China, mit 1,3 Mrd. Einwohnern Heimat eines Fünftels der
Menschheit, ist der derzeit am schnellsten wachsende dieser neuen
touristischen Quellmärkte. In der Dekade 1994-2003 wuchs die Zahl der
Ausreisen von unter 4 auf über 20 Mio. an, in den ersten fünf Monate des
Jahres 2004 allein konnten bereits 11,17 Mio. Reisende gezählt werden (CNTA
2004b). Inklusive Hong Kong generierten die Chinesen 2002 bereits 6% des
Umsatzes im internationalen Tourismus und lagen damit an vierter Stelle hinter
den USA, Deutschland und Großbritannien (WTO 2003b).
„All eyes on China“ betitelte die WTO eine Pressemeldung anlässlich der 15.
Generalversammlung der WTO 2003 in Beijing (Alcantara 2003). Dabei ist
allerdings eher die vorhergesagte Entwicklung Chinas zur weltweit führenden
Inbound-Destination im Jahre 2020 gemeint. Entsprechend befassen sich auch
einschlägige Bücher über den chinesischen Tourismus eher am Rande mit dem
Outbound-Tourismus (Lew et.al. 2003; Oakes 1998; Xu 1999, Wen/Tisdell
2001; Lew/Wong 2003). Selbst in der VR China konzentriert sich die erst
langsam wachsende wissenschaftliche Beschäftigung fast ausschließlich auf
den Inbound-Tourismus1 (Zhang 2003a:77).
Existierende Texte (z.B. Becken 2003, Yeh 2003, Bauer 2002, Arlt 2002, Kim
2000) zeigen die Bandbreite der noch kaum untersuchten Fragen.
Reisinger/Turner fassen alle nicht-japanischen asiatischen Touristen immer
noch als “Other Asian cultures” zusammen (2003:122). Immerhin wächst die
Zahl der nationalen Tourismusorganisationen2, die, wie auch die EU und die
WTO3, Studien zum Quellmarkt China anfertigen lassen.
1 Auch die zentralen chinesischen Publikationen wie das Yearbook of China Tourism Statistics
(CNTA 2003a) oder das Green Book of China’s Tourism 2002-2004 (Zhang 2003b) beschäftigen sich fast ausschliesslich mit Inbound- und Domestic Tourism.
2 z.B. Scandinavian Tourist Board (2002, 2004 und Andersen/Blok 2002), Canadian Tourism Commission (Strizzi 2001), DZT (Xu 2002), Austrian National Tourist Office (Roth 1998).
3 WTO-ETC 2002, WTO 2003a.
Die erwachende Reisebegeisterung der Chinesen bietet auch deutschen
Anbietern neue Möglichkeiten der Gästegewinnung. Nach einigem Zögern
haben sich DZT und Politik seit der Jahrtausendwende diesem Markt
zugewandt und fordern inzwischen die Branche auf, sich auf die neuen Kunden
einzustellen (Staffelt 2003)4. Die Verdoppelung der deutschen
Übernachtungszahlen in der Dekade 1994-2003 von knapp 300.000 auf knapp
600.000 (Statistisches Bundesamt 2004, VR China incl. Hong Kong)
verdeutlicht einerseits die Vitalität des Quellmarktes, im Vergleich zur
Verfünffachung der Zahlen für Gesamtchina jedoch gleichzeitig die Relativität
der bislang erzielten Erfolge.
Nachfolgend sollen kurz die allgemeine Entwicklung des Tourismus, vor allem
des Outbound Tourismus, in der VR China und insbesondere die Situation für
Deutschland als Reiseziel dargestellt werden. Dem schließen sich einige
Überlegungen zu den Perspektiven und Herausfordungen einer erfolgreichen
Partizipation am Boom des chinesischen Outbound-Marktes an.
Der Autor, Sinologe und lange Zeit selbst im China-Incoming-Tourismus
engagiert, konnte nach Aufnahme seiner Lehrtätigkeit an der FH Stralsund mit
Unterstützung des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie des
Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommerns, unter Inanspruchnahme von
Landes- und Bundesmitteln aus dem Hochschulwissenschaftsprogramm ein
Forschungsprojekt „Erschließung des Tourismusquellmarktes China für
Mecklenburg-Vorpommern mit Hilfe moderner IuK-Technik“ in den Jahren
2002/2003 durchführen. An diesem Projekt war auch das dwif (Dr. Feige/Th.
Feil) in bedeutendem Masse beteiligt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes
und des daraus hervorgegangenen „COP China Outbound Tourism Project
Stralsund“ bilden die Grundlage der hier vorgelegten Gedanken.
Wichtige Impulse verdankt der Text auch Gesprächen mit führenden
chinesischen Tourismusexperten wie Prof. Dr. Zhang Guangrui, Leiter des
Tourism Research Institute der Chinese Academy of Social Sciences, Dr. Wang
Xinjun, Organisator des ersten International Forum on Chinese Outbound
Tourism in Shenzhen 2003 und weiterer Kollegen u.a. in Beijing, Hangzhou und
Ningbo. Allen Vorgenannten wie auch den am COP beteiligten Studierenden
4 2005 wird die VR China Partnerland der ITB in Berlin sein.
des Studiengangs Leisure and Tourism Management an der FH Stralsund sei
an dieser Stelle herzlich gedankt.
2 China - Ein Vierteljahrhundert janusköpfiges Wachstum
Seit dem Beginn der Politik der „Öffnung und Reform“ im Jahre 1978 und in
Verbindung mit dem drastischen Rückgang des Bevölkerungswachstums hat
die Volksrepublik China einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung
erfahren, der über ein Vierteljahrhundert hinweg sowohl eine durchschnittlich
etwa neunprozentige Zuwachsrate des nationalen Bruttoinlandsprodukts wie
auch eine fast gleich hohe Zuwachsrate des Pro-Kopf-BIPs ermöglichte5. Ob in
der Zahl der Handy- oder Internet-Nutzer, als Absatzmarkt für Stahl oder
Luxuslimousinen, als Bierproduzent, als Empfänger ausländischer
Direktinvestitionen – in vielen Bereichen brachte die Kombination aus „Welt-
Fabrik“ und großen nationalem Absatzmarkt die Volksrepublik China auf die
vordersten Plätze6.
Gleichzeitig erhöhten sich vor allem seit Beginn der 90er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts jedoch auch die Unterschiede im Lebensstandard
zwischen Stadt und Land, Küste und Hinterland, Ost- und Westchina.
Stadtbewohner verdienen durchschnittlich 3,1mal soviel wie Landbewohner. „If
non-currency factors are taken into consideration, China’s urban-rural income
gap is the widest in the world“ (Li/Yue 2004). Das nach dem Einkommen
gerechnet oberste Prozent der Bevölkerung verdiente im Jahre 2002 6,1% des
Gesamteinkommens, die obersten 5% vereinigten 20% auf sich. Entsprechend
steht nicht nur der nationale Gini-Koeffizient bei 0.4547 und damit deutlich höher
5 Je nachdem, welches Zahlenwerk man bevorzugt, schwanken die Werte zwischen etwa 8%
und 10% bzw. 6% und 8% per annum. 2003 erreichte das BIP nach offiziellen Angaben in absoluten Zahlen umgerechnet 1.406 Mrd. US$, das BIP pro Kopf 1.090 US$ entsprechend (China Daily 2004). Zur Problematik der Zuverlässigkeit chinesischer Statistiken vgl. z.B. Dougherty 1997.
6 Der omnipräsente Zukunftsforscher Horx sieht schon die „Chinobalisierung“ im Anmarsch: „Und wer in der globalen Tourismusindustrie tätig ist, weiss, wer in den kommenden Jahren die Langstrecken-Gross-Airbusse bis auf den letzten Platz ausbuchen wird: Chinesen.“ (Horx 2003)
7 Der Gini-Koeffizient misst die Verteilung des Einkommens in einer Gesellschaft. Je näher der Wert an 1 liegt, desto ungleicher ist die Verteilung. Für die Bundesrepublik Deutschland liegt der Wert derzeit bei 0,39 (Statistisches Bundesamt 2004).
als in den meisten Industrienationen oder beispielsweise in Indien, sondern
auch der Koeffizient für das städtische China belegt mit 0,32 die deutlichen
Einkommensunterschiede auch innerhalb der urbanen Bevölkerung (Wu/Perloff
2004, Li/Yue 2004).
Diese Zahlen verdeutlichen, wieso ein Land, in dem das Jahreseinkommen pro
Kopf nur bei 1.020 US$ (Stadt) bzw. 316 US$ (Land) liegt, zu einem wichtigen
Quellmarkt für den internationalen Tourismus werden kann. Verschiedene
Schätzungen gehen von 50 (Arlt 2002), 65 (Chon, in: Smith 2003) oder gar 80
(Xu 2002) Mio. Chinesen aus, die gegenwärtig über die finanziellen
Möglichkeiten für eine Auslandsreise verfügen. Dies entspricht in etwa den
bestgestellten 5% der Bevölkerung und auch der Zahl der Internet-Nutzer in
China8. Für das oberste Prozent mit einem Durchschnittseinkommen von mehr
als 25.000 US$ (Xu 2002) kann man davon ausgehen, dass internationale
Reisen inzwischen zur „Normalität“ gehören. 236.000 Bürger der Volksrepublik
China besitzen bereits ein Privatvermögen von mehr als 1 Mio. US$ (Xinhuanet
2004).
Entsprechend der Einkommensverteilung lebt auch die Mehrzahl der
chinesischen Outbound-Touristen in den 15 Städten Chinas mit mehr als 4
Millionen Einwohnern. Die Hälfte aller Auslandsreisenden stammen aus den
Städten Beijing und Shanghai sowie der Provinz Guangdong (Wang 2003).
3 Entwicklung des Chinesischen Outbound- Tourismus
Im Gleichschritt mit der allgemeinen ökonomischen Entwicklung Chinas hat sich
der Tourismus seit 1978 mit zweistelligen Wachstumsraten entwickelt.
Deng Xiaoping, der Motor des Prozesses der “Reform und Öffnung”, verfasste
bereits 1978/79 fünf Artikel, in denen er die Entwicklung der chinesischen
Tourismusindustrie zu einem bedeutenden Wirtschaftssektor befürwortete
(Literature Research Center 2000), obwohl Tourismus bis zu Beginn der 90er
Jahre von der Kommunistischen Partei als „unproduktiv“ (Wen/Tisdell 2001:5)
8 Per Januar 2004 betrug die Zahl der Internetnutzer 79,5 Mio. Personen (CNNIC 2004).
and daher negativ angesehen wurde. Die erst im Jahr 2000 vom Zentralkomitee
der KP Chinas veröffentlichten Texte bilden heute die ideologische Basis zur
Verteidigung dieser „bourgeoisen“ Industrie, die bereits für rund 6% des BIPs
verantwortlich ist.9
Deng’s Hauptaugenmerk galt dabei dem devisenträchtigen Inbound Tourismus,
der in den 80er Jahren allmählich zu wachsen begann und China von Rang 18
bei den Ankünften und Rang 34 bei den Einkünften 1980 bis auf den jeweils
fünften Platz mit 98 Mio. Ankünften und 20 Mrd. US$ Einkünften im Jahre 2002
katapultierte (WTO 2003a, CNTA 2003b, CNTA 2004a).
Der Inlandstourismus beschränkte sich vor 1992 überwiegend auf
Familienbesuche und Kongressteilnahmen. Mit der stärkeren Betonung des
Dienstleistungssektors in der chinesischen Wirtschaft, der wachsenden
Kaufkraft der städtischen Bevölkerung, dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
und der Übernahme westlicher bzw. japanischer Vorstellungen entwickelte sich
ein neues Konsummuster der Vergnügungsreise, die innerhalb von zehn Jahren
die Einnahmen aus dem nationalen Tourismus von 1992 3 Mrd. US$ auf 2002
fast 50 Mrd. US$ explodieren ließ. Die Regierung unterstützte diese
Entwicklung im Rahmen ihrer Anti-Deflationsmaßnahmen insbesondere durch
die Einführung der “Goldenen Wochen” ab dem Jahr 1999. Im Januar oder
Februar, im Mai und im Oktober10 hat seitdem das ganze Land Ferien und nutzt
dies vor allem für touristische Aktivitäten. Mit fast 900 Mio. Reisenden pro Jahr
hat sich China damit zum zahlenmäßig größten nationalen Reisemarkt der Welt
entwickelt. Inbound und Domestic Tourismus trugen 2002 zusammen mit 67.25
Mrd. US$ Umsätzen bereits 5,5% zum Bruttoinlandsprodukt Chinas bei (CNTA
2004a).
Während des Frühlingsfestes 2004 generierten 63 Mio. Reisen eine Einnahme
von 3,5 Mrd. US$, in der ersten Maiwoche 2004 stiegen die Zahlen sogar auf
87 Mio. Reisen und 4,4 Mrd. US$ Einnahmen, wohlgemerkt in einer Woche
(CNTA 2004a)!
9 Bis zum Jahr 2020 soll dieser Anteil auf 11% ansteigen, womit sich Freizeit und Tourismus
zur zentralen „Säule“ der chinesischen Wirtschaft entwickeln (People’s Daily 2003). 10 Die Woche des Neujahrsfestes (mit wechselndem Datum), die ersten Maiwoche nach dem
Tag der Arbeit und die erste Oktoberwoche nach dem Nationalfeiertag.
Tab. 1: Die Entwicklung des chinesischen Inlandstou rismus 1990-2003
Jahr Touristen Änderung Einnahmen Änderung
(in Mio.) (in %) (in Mrd. US$) (in %)
1984 200 - - -
1987 290 - 1.75 -
1990 280 - 2.06 -
1991 300 7 2.42 17,6
1992 330 10 3.03 25,0
1993 410 24 10.46 245,6
1994 520 27 12.39 18,5
1995 630 21 16.65 34,4
1996 640 2 19.84 19,1
1997 640 0 25.58 29,0
1998 690 8 28.95 13,2
1999 720 4 34.28 18,4
2000 740 4 38.44 12,1
2001 780 5 42.64 10,9
2002 880 13 49.20 15,4
2003 870 - 1 41.58 - 15,5
Quelle: Eigene Berechnungen nach WTO 2003a, CNTA 2004a, Sun 2004
Diese Zahlen zeigen auch an, dass die durch die Verbreitung von SARS für
2003 zu verzeichnenden Rückgänge bereits im Folgejahr mindestens wieder
ausgeglichen werden dürften.
Abb. 1: Inland-Tourismus in China 1990-2003 (Reisen in Mio.)
0
200
400
600
800
1000
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Quelle: Eigene Darstellung
Der Outbound-Tourismus startete in der Volksrepublik China (Wang 2003, Arlt
2003a, Arlt 2003b, WTO 2003a) 1984 mit sehr bescheidenen Anfängen, als
erstmals einige Einwohner der Provinz Guangdong die Genehmigung erhielten,
Verwandte im benachbarten Hong Kong zu besuchen. Zuvor waren
Funktionäre, Botschaftsangehörige, Seeleute sowie wenige Firmenvertreter und
Messebesucher die einzigen Volkschinesen gewesen, die das Land im Rahmen
ihrer beruflichen Aufgaben zeitweilig verlassen durften. Ende der 1980er Jahre
bekamen auch andere Grenzgebiete die Möglichkeit, Tagesreisen zu
organisieren, beginnend mit Reisen von Dandong nach Sinuiju in Nord-Korea
im Jahre 1987.
Übersee-Chinesen in Südostasien konnten ihre Festlands-Verwandten zu
Besuchen einladen, wenn sie dafür alle Kosten übernahmen. Solche
Arrangements waren ab 1988 für Thailand, später auch für Singapur, Malaysia
und die Philippinen realisierbar. Trotzdem blieb die Gesamtzahl der Ausreisen
bis zum Beginn der 90er Jahre unterhalb der Millionenmarke. 1993 reisten
bereits 3,7 Mio. Menschen, davon aber noch 60% mit einem offiziellen Pass,
d.h. in der Regel auf Kosten des Staates oder des Betriebes.
Die eigentliche Anerkenntnis der Existenz von Reisenden, die weder aus
beruflichen noch aus verwandtschaftlichen Gründen das Land zeitweise
verlassen wollten, bedeutete 1995 die Einführung des sogenannten „ADS –
Approved Destination Status“ Systems. Durch bilaterale Abkommen erhalten
die ADS-Staaten die Möglichkeit, Touristenvisa auszustellen und für ihr Land
als Destination in China zu werben. Entsprechende Regelungen stellen für die
chinesische Regierung sicher, dass die Reisenden keine Möglichkeit haben,
länger als genehmigt sich im Zielland aufzuhalten. Durch die Aufstellung von
Listen mit Reisemittlern, die jeweils die Erlaubnis zur Durchführung von
Gruppenreisen für chinesische Kunden besitzen11, versucht die chinesische
Regierung zudem, eine gewisse Kontrolle über das Geschehen zu behalten.
Zunächst erhielten die Länder, die schon als Verwandtenbesuchsziele
anerkannt waren, den ADS, 1997 folgten Australien und Neuseeland als erste
„westliche“ Staaten. Das ADS-System erfuhr eine immer schnellere
Verbreitung. Per Mai 2004 hat China 73 Ländern als ADS-Gebiet anerkannt, mit
Ausnahme der USA sind inzwischen fast alle wichtigen Reiseziele integriert. Mit
dem 1. September 2004 sind in Europa alleine nicht weniger als 32 Länder
vollständig in das ADS-System integriert. Es ist daher zu erwarten, dass dieses
System als ein Zwischenschritt in der chinesischen Tourismusentwicklung sich
in absehbarer Zukunft überholt haben wird12
11 Die Partnerstaaten haben diese Listen pflichtschuldig abgeliefert, obwohl z.B. in
Deutschland die Regierung keineswegs ein ordentlich angemeldetes Reiseunternehmen davon abhalten kann, Reisende aus der VR China zu betreuen.
12 Analog z.B. zu den „FEC – Foreign Exchange Certificates“, die von 1978 bis 1994 in China für Ausländer die einzig erlaubte Währung waren und heute schon völlig vergessen sind.
Tab. 2: Länder mit ADS-Status (Stand: Mai 2004, in chronologischer
Reihenfolge)
28 Länder mit funktionierendem ADS
.
Singapur, Malaysia, Thailand,
Philippinen, Australien, Neuseeland,
Süd-Korea, Japan, Vietnam,
Kambodscha, Myanmar, Nepal,
Indonesien, Brunei, Ägypten, Türkei,
Malta, Deutschland, Sri Lanka,
Malediven, Indien, Südafrika, Kroatien,
Ungarn, Pakistan, Kuba, sowie die
SARs Hong Kong und Macao
26 Länder mit vereinbartem ADS, aber
noch nicht umgesetzten Gruppen-
reisen
Russland, Jordanien, Schweden,
Finnland, Frankreich, Spanien,
Portugal, Italien, Luxemburg, Belgien,
Niederlande, Griechenland, Österreich,
Tschechien, Estland, Lettland, Litauen,
Polen, Slowenien, Slowakei, Zypern,
Dänemark, Island, Irland, Kenia,
Seychellen.
13 Länder mit vereinbartem ADS, bei
denen die Gruppenreisen noch in
Verhandlung sind
Ukraine, Marokko, Vereinigtes
Königreich, Norwegen, Schweiz,
Liechtenstein, Mauritius, Äthiopien,
Tunesien, Zimbabwe, Sambia,
Tansania, Laos.
6 Länder mit vereinbartem ADS, bei
denen die Verhandlungen über
Gruppenreisen noch nicht begonnen
haben
Mexiko, Ecuador, Peru, Brasilien,
Argentinien, Chile
Quelle: Eigene Darstellung nach CNTA 2004a
1996 überschritt die Zahl der internationalen Ausreisen erstmals die 5
Millionenmarke und die chinesische Regierung sah sich im folgenden Jahr
veranlasst, mit den “Provisional Measures on the Management of Outbound
Tourism by Chinese Citizens on Their Own Expenses” erstmals Regeln für den
privaten Outbound Tourismus aufzustellen.
Reisen in ferne Länder entwickelte sich zu dieser Zeit zu einem Statussymbol
wohlhabender Chinesen, die nach der Eigentumswohnung, dem Sohn auf der
Universität und dem privaten Pkw nun die Möglichkeit eines Einwochen-Trips
nach Südafrika oder einer romantischen Reise auf die Malediven als
Hochzeitsgeschenk in Betracht ziehen konnten (People’s Daily 2003b). Im
Jahre 2000 übersprang die Zahl der Auslandsreisen nicht nur die 10-Millionen-
Hürde, gleichzeitig reisten auch erstmals mehr Chinesen mit einem Privatpass
als mit einem offiziellen Pass ins Ausland. 2003 reisten sogar mehr als 20
Millionen Menschen ins Ausland, wobei der Anteil der Privatpass-Reisenden auf
fast 75% anstieg.
Dazu hat auch beigetragen, dass ab 2003 für die Bewohner einiger Städte und
Provinzen die Reisebeschränkungen für Besuche in Hong Kong praktisch ganz
aufgehoben wurden. Gleichzeitig vereinfachten sich die Vorschriften zum Erhalt
und zur Nutzung des privaten Passes und verbesserten sich die Möglichkeiten
des Devisenumtauschs deutlich.
Abb. 2: Ausreisen aus China 1992-2004 nach Passtyp (in Mio.)
048
1216202428
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 04*
GesamtGesamtGesamtGesamt PrivatPrivatPrivatPrivat OffiziellOffiziellOffiziellOffiziell
* Hochrechnung basierend auf dem Wert für Jan-Mai 2004: 11,17 Mio.
Tab. 3: Ausreisen aus der VR China 1992-2004
Jahr Gesamt
(in Mio.)
Änderung
(in %)
Privat
Reisende
(in Mio.)
Änderung
(in %)
Offiziell
Reisende
(in Mio.)
Änderung
(in %)
1991 2,13 - 0,88 - 1,25 -
1992 2,92 37,1 1,19 35,2 1,73 38,4
1993 3,74 27,7 1,47 22,9 2,27 31,2
1994 3,73 -0,2 1,64 12,.0 2,09 - 0,8
1995 4,52 21,1 2,05 25,1 2,47 17,9
1996 5,06 12,0 2,41 17,5 2,65 7,3
1997 5,32 5,2 2,43 1,1 2,88 9,0
1998 8,42 * 3,19 30,8 5,24 *
1999 9,23 9,6 4,27 33,7 4,97 - 5,1
2000 10,47 13,4 5,63 32,0 4,84 - 2,6
2001 12,12 15,9 6,94 23,3 5,19 7,2
2002 16,60 36,8 10,06 44,9 6,54 26,1
2003 20,20 21,8 14,81 47,2 5,93
1-5/2004 11,17
* Keine Vergleichbarkeit gegeben, da die statistischen Erhebungsmethoden geändert wurden, außerdem werden ab 1998 Seeleute und Flugzeugbesatzungen als offizielle Reisende mitgezählt. Quelle: eigene Berechnungen nach: CNTA 2004b (Daten 2004), Wang 2003, CNTA 2004a, Lew et.al. 2003 (Daten 1992-2003), Chen 1998 (Daten 1991)
Inzwischen existiert eine ausgebildete Infrastruktur für Auslandsreisen.
Während früher nur wenige chinesische Reiseveranstalter das Recht hatten,
Auslandsreisen zu organisieren, konkurrieren heute mehr als 1.300 Anbieter
miteinander13, Reisemagazine im Fernsehen und eine Reihe von Hochglanz-
Reisezeitschriften beschleunigen den Lernprozess über Destinationen und
richtiges Verhalten als „Traveller“, Reiseführer füllen die Regale der Buchläden
und die ADS-Staaten nutzen ihre Möglichkeiten bei PR und Werbung.
Drei japanische und ein Hong Konger Reiseveranstalter konnten entsprechend
den Verpflichtungen aus dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation 2003
und 2004 als Wholly Foreign Owned Co. gegründet werden, 13 Joint-Venture-
13 Die in unterschiedlichen Abstufungen das Recht auf die Organisation von Nah- und
Fernreisen besitzen.
Veranstalter beginnen ebenfalls auf diesem Markt aktiv zu werden, darunter
auch die TUI China (CNTA 2004a, Schaefer 2004)
SARS konnte die Reisewut der neuen chinesischen Mittelschicht nur für einige
Monate bremsen und auch eine zu befürchtende Banken- oder Wirtschaftskrise
in China wird aller Voraussicht nach nicht zu einer Verlangsamung des
Wachstums der Ausreisezahlen führen. Die Vorhersage der WTO (1997), dass
China im Jahre 2020 100 Mio. Ausreisen verzeichnen wird, erscheint im Lichte
der aktuellen Entwicklung als eher konservativ. Chinesische Schätzungen
erwarten bereits für 2010 eine Zahl von 56 Mio. Ausreisen (China Pictorial
2003).
Nicht vergessen werden darf bei diesen beeindruckenden Zahlen, dass 2003
rund zwei Drittel der 20 Mio. Reisen nicht weiter als nach Hong Kong oder
Macao führten (CNTA 2004a). In die EU-Länder reisten im Jahre 2002 etwa
650.000 Chinesen (EU 2002), also etwa 4% aller Reisenden. Europa insgesamt
hat eine Anteil von ca. 10%, allerdings unter Einbeziehung Russlands, obwohl
die überwiegende Zahl der Reisen im kleinen Grenzverkehr mit Sibirien und
Russisch-Fernost stattfindet und nicht in den europäischen Teil führt. Unter den
zehn Hauptreisezielen 2003 befand sich abgesehen von Russland kein
europäisches Land.
Tab. 4: Zielgebiet chinesischer internationaler Rei sen nach Kontinenten
1999/2000
1999 2000
Anzahl
(Mio.)
Änderung
(%)
Anzahl
(Mio.)
Änderung
(%)
Gesamt 9,23 9,6 10,47 15,4
Destination Asien 7,81 9,9 8,85 13,2
Destination Ozeanien und
Afrika 0,12 11,8 0,15 26,1
Destination Europa 0,82 7,0 1,08 31,3
Destination Amerikas 0,43 8,4 0,52 21,7
Quelle: Nach WTO-ETC 2002
4 Chinesischer Outbound-Tourismus nach Deutschland – Entwicklung und Perspektiven
Auch vor der Erlangung des ADS war Deutschland bereits nach Frankreich das
beliebteste Reiseziel der Chinesen in Europa. 1993 wurde erstmals die 100.000
Ankünfte-Grenze überschritten, für 2004 ist mit einem Wert über 300.000
Ankünften zu rechnen.
Tab. 5: Ankünfte und Übernachtungen von Gästen aus der VR China
und Hong Kong in Deutschland
Jahr Ankünfte Übernachtungen
1994 100.396 288.649
1995 115.460 333.266
1996 130.764 336.044
1997 141.878 362.101
1998 161.454 388.380
1999 177.467 397.309
2000 213.897 467.654
2001 236.443 512.866
2002 270.308 572.594
2003 267.803 577.646 Beherbergungsgewerbe mit mindestens 9 Betten Quelle: Statistisches Bundesamt 2004
Abb. 3: Einreisen aus China in Deutschland
0
100000
200000
300000
400000
500000
600000
1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
AnkünfteAnkünfteAnkünfteAnkünfte ÜbernachtungenÜbernachtungenÜbernachtungenÜbernachtungen
Quelle: Statistisches Bundesamt
„Europa fasziniert die meisten Chinesen wegen seiner langen Geschichte,
seinen prächtigen Gebäuden, den vielen Ländern mit unterschiedlichen
Kulturen und der schönen Natur.“ (Sun 2004:27). Der Okzident ist aufgrund
seiner Andersartigkeit für chinesische Gäste ebenso „exotisch“ wie der Orient
für Europäer und zudem – anders als die USA oder Australien – die Quelle der
westlichen Zivilisation (WTO 2003a). Als „Traumziel“ steht Europa an erster
Stelle für chinesische Reisende, auch wenn aus finanziellen Gründen für viele
zunächst Hong Kong oder nähergelegene Destinationen in Südostasien oder
Ozeanien als realisierte Reiseziele umsetzbar sind (Wang 2003; Australia
Tourist Commission 2004).
Deutschland ist in China vordringlich als Geschäfts- und Messereiseziel
bekannt, als Heimat berühmter Erfinder wie Siemens oder Benz und Produzent
qualitativ hochwertiger Produkte von Autos über Bier bis Maschinen14. Aber
auch Künstler wie Beethoven oder Bach, romantische Landschaften und
mittelalterliche Stadtzentren und Feste gehören zu diesem Bild (Xu 2002, Finck
2004, Kelemen 2003).
Die Übernachtungszahlen belegen jedoch, dass Deutschlandtourismus in der
Realität für Gäste aus China fast ausschließlich Städtetourismus bedeutet. Die
Hälfte aller 572.000 Übernachtungen des Jahres 2002 fanden nur in den
Städten Frankfurt, München, Berlin, Hamburg, Nürnberg, Köln und Stuttgart
statt. Gleichzeitig konnte die Hälfte aller deutschen Tourismusregionen noch
nicht einmal 500 Übernachtungen von Gästen aus China oder Hong Kong im
Jahr verbuchen (Indrich 2004). Die „schönen Landschaften“ werden also
überwiegend nur aus dem Fenster des Reisebusses, dem wichtigsten
Fortbewegungsmittel chinesischer Touristen in Europa, wahrgenommen. Und
auch die Bauten, allen voran der Kölner Dom, dienen vor allem als
Fotohintergrund. „At the present time most of the Chinese tourists do not have
the interest to see antiques with a completely different cultural background.”
(Huang/Fang 2003) – zumindest nicht in großer Zahl15.
14 Auch ohne empirische Daten vorweisen zu können, darf vermutet werden, dass die
Assoziation mit Qualitätsfussball derzeit an Stärke verliert. 15 „Kathedrale-Bus fahren und dösen-Kathedrale-Bus fahren und dösen-Kathedrale“ fasste ein
frustrierter chinesischer Tourist seine europäischen Reiseerlebnisse dem Autor gegenüber zusammen.
Entsprechend bezeichneten bei einer aktuellen Umfrage in China zu den
Interessen chinesischer Reisender in Deutschland mit großem Vorsprung 80%
aller Befragten „Städtereisen“ als Hauptinteresse, am unteren Ende der Skala
landete „Esskultur“ (Sun 2004).
Eine wichtige Tätigkeit für chinesische Touristen ist das Einkaufen. Bei Global
Refund Deutschland belegten 2003 unter den Nicht-EU-Bürgern, die sich die
Mehrwertsteuer rückerstatten lassen, hinter russischen und polnischen Kunden
Gäste aus China den dritten Platz, 2004 werden sie auf die zweite Position
vorrücken. Dabei stehen hochwertige Markenartikel der gehobenen Preisklasse
im Mittelpunkt der Kaufinteresses, 15% der Global Refund gemeldeten Käufe
beziehen sich auf Schmuck, Uhren und Juwelen (Global Refund 2004). Wie bei
der Europareise selbst steht auch bei den Einkäufen der Prestigefaktor im
Vordergrund, gefolgt von „authentischen“ Mitbringseln wie Kuckucksuhren.
Trotz der Bereitschaft und der Möglichkeit, viel Geld für Shopping auszugeben,
sind die chinesischen Kunden sehr preisbewusst und können die Preise im
Boss-Outlet in Metzingen genau mit den entsprechenden in Shanghai oder
Hong Kong vergleichen. Im chinesischsprachigen Shopping-Guide, den Global
Refund Deutschland zusammen mit der DZT produziert, prangt dann auch die
Anzeige des exklusiven Juwelier gleich neben „Geiz ist Geil“ der Saturnkette
(Global Refund/DZT 2004).
Für Deutschland ist vor allen anderen EU-Staaten zum 15. Februar 2003 das
ADS-Abkommen in Kraft getreten. Der mit viel Medieninteresse angereisten
ersten „offiziellen“ Touristengruppe folgte dann aber sehr schnell die SARS-
Epidemie, so dass nur in geringem Umfang der Vorsprung gegenüber den
übrigen EU- und anderen europäischen Staaten, für die erst am 1. September
2004 ADS wirksam wird16, ausgenutzt werden konnte.
Für die meisten chinesischen Gäste, vor allem für die Erst-Besucher, ist
„Deutschland“ sowieso nicht die Destination, sondern „Europa“, zumeist in Form
einer rasanten Tour durch zahlreiche Länder Mittel- und Westeuropas. Diese
Klientel ist für Destinationen außerhalb der „Rennstrecke“ nur „mit hohem
16 Mit Ausnahme Maltas, das bereits vor Deutschland den ADS erhielt, ohne dass dem
nennenswerte touristische Inbound-Aktivitäten aus China folgten (Malta Independent 2004).
Marketingaufwand“ (Xu 2002) bzw. gar nicht zu interessieren. Aussichtsreicher
ist die Ansprache der im Zuge der Entwicklung des chinesischen Outbound-
Tourismus wachsenden Zahl der Reisenden, die mehrfach nach Europa
kommen. Doch ist bei dieser Zielgruppe auch von einem entsprechend
gewachsenen Anspruch und einer besseren Vergleichsmöglichkeit bezüglich
Qualität und Service zu rechnen.
5 Chinesischer Outbound-Tourismus nach Deutschland - Herausforderungen
„Finally, as China is a new generating country of international tourists, its
destination countries and regions have only preliminary knowledge of its
tourists. As a result, the completeness of service facilities, the creation of
service items, the adaptive renovation of relevant environments and the
convenience of language and signage of the destinations are far from the extent
that Chinese tourists would feel comfortable at. Therefore, those countries and
regions that target China’s outbound tourists as their major market should make
an effort to improve their environment in order to better attract Chinese tourists
and increase their satisfaction.“ (Du 2003:125)
Die gewachsene Bedeutung und Erfahrung des chinesischen Outbound-
Tourismus führt zu einem gesteigerten Bewusstsein über die eigenen
Ansprüche gegenüber den Destinationen, die sich um den neuen Quellmarkt
bemühen. Europa und Deutschland stehen dabei in Konkurrenz zu Ländern, die
über größere kulturelle Affinität (Südostasien, Japan, Korea) bzw. längere
Erfahrung mit chinesischen Touristen (Australien, Neuseeland) oder größere
chinesische Bevölkerungsgruppen im eigenen Land (USA) verfügen.
„More efforts needed in new Areas for Outbound Tourism” verlangt ein CITS-
Manager in einem Artikel (China Planner 2003). Und auch die Teilnehmer des
ersten deutschen „China Outbound Tourism Forum“ in Köln im Januar 2004
beklagten den Mangel an angepassten touristischen Produkten.
Vor welchen Herausforderungen steht also die deutsche Tourismusbranche?
Einige Stichworte:
Information: Als wichtigste Informationsquellen dienen neben den Angeboten
der chinesischen Reiseveranstalter für potentielle Deutschlandreisende das
Internet, Fernsehen und Zeitschriften sowie die Mund-zu-Mund-Propaganda
(Sun 2004). Nur wenige Destinationen bieten bereits Internetseiten an, die in
chinesischer Sprache und an chinesische Interessen und Gewohnheiten
angepasste Informationen enthalten. Von den Bundesländern war
Mecklenburg-Vorpommern das erste, das im Mai 2003 entsprechende Seiten
online stellte17.
Dabei sind diese Seiten nicht für individuelle Buchungszwecke bereitzustellen,
da die meisten chinesischen Touristen innerhalb von Reisegruppen nach
Europa kommen, sondern zur Imageverbreitung und -pflege. Auch schlichte
1:1-Übertragungen deutscher Texte ins Chinesische führen nicht zum
gewünschten Erfolg (Arlt 2004). PR-Maßnahmen durch die Organisation von
Journalistenreisen, die Lancierung von Artikeln und TV-Berichten in den
chinesischen Medien, die Zusammenstellung von Thementouren statt
Bearbeitung einzelner Destinationen gehören hier, mehr noch als im üblichen
Auslandsmarketing, zum unverzichtbaren Handwerkszeug. Die - lobenswerte18
– Arbeit der DZT alleine kann hier nicht ausreichen.
Reiseleiter : Eine der häufigsten Forderungen ist die Bereitstellung qualifizierter
Reiseleiter. In Deutschland haben sowohl der Incoming-Veranstalter Caissa wie
die Zeitschrift Travel and Trade in Europe damit begonnen, Kurse mit
entsprechender Zertifizierung anzubieten. Gerade für das „exotische“ Europa
sind die Guides die entscheidenden Mediatoren (Ooi 2002).
Angepasste Produkte : “PRC outbound travel executives are suggesting that ..
tourist businesses in destination countries and regions should develop new
products that better cater to PRC tourists, actively cooperate with their own
governments in promoting PRC destinations and strengthen co-operation with
their PRC counterparts. Simple actions such as improving signage at tourist
spots and boosting the number of qualified Chinese-speaking guides would help
PRC visitors feel welcome and boost the popularity of that destination.” (Travel
Daily News 2004)
17 Unter www.auf-nach-mv.de. 18 Auf der ITB 2004 erhielt die DZT in der Kategorie Länder die Goldmedaille des „European
Chinese Tourists Welcoming Award“ (Travel and Trade in Europe 2004).
Die Schere zwischen Nachfrage und Angebot klafft bei den Offerten für
chinesische Gäste oft weit auseinander:
„Was chinesische Gäste wünschen vs. was sie bekommen:
� Begrüßung als willkommene wichtige Personen vs. Paternalistische
Drittweltler-Behandlung
� Kontakt zu den „exotischen“ Einheimischen und deren Festen, Gebräuchen
und ihren Alltag vs. Kirchen, Denkmäler, Museen
� Photographier-Möglichkeiten für Bilder mit den Gästen vor
Sehenswürdigkeiten vs. Vorträge zur europäischen Kunstgeschichte
� Bezüge in Informationsmaterialien zu chinesischen Gegebenheiten,
historischen Verbindungen usw. vs. Informationen, die für Englisch
sprechende westliche Touristen gemacht sind
� Einkaufsmöglichkeiten vs. kurze Lücken im Zeitplan zwischen dem „echten“
Sightseeing
� Hinweise auf mögliche Geschäftskontakte oder Begrüßungen durch lokale
Politiker vs. Reduzierung auf „Urlaubs“aktivitäten
� Viele Superlative in möglichst kurzer Zeit vs. Marketing, das auf die
Verlängerung der Übernachtungsdauer in der jeweils eigenen Destination
abzielt
� Thematisch orientierte Angebote vs. geografisch orientierte Angebote in
kleinen Regionen
� Angebote für verschiedene chinesische Zielgruppen (Faustregel: Kultur für
Pekinger, Shopping für Shanghainesen und Spielbanken für Kantonesen) vs.
Verwechslung von chinesischer und japanischer Kultur“ (Arlt 2003a)
Diese Übersicht verdeutlicht, dass eine Anpassung der Angebote an die
Bedürfnisse der chinesischen potenziellen Kunden notwendig ist, aber
entsprechende Kenntnisse voraussetzt. Die eigene Sicht, dass 15 Stunden
Helligkeit im Sommer und Schnee im Winter keine touristischen Ressourcen
aufgrund ihrer Normalität für eine deutsche Stadt darstellen, ist nicht die Sicht
eines Gastes aus Guangdong oder Shanghai.
Angepasste Kommunikation : “National tourism organisations of destination
countries should stress their cultural difference and uniqueness when promoting
to PRC travellers, more carefully position their tourist products and more clearly
demonstrate diversity.“ (Travel Daily News 2004) Neben der Notwendigkeit, aus
Prestige- mehr als aus sachlogischen Gründen auf Chinesisch zu
kommunizieren und hierarchische Strukturen in der Kommunikation zu
respektieren, ist die Markenbildung im Sinne der Verdeutlichung der
„Sustainable Competitive Advantage“ einer Destination und gleichzeitig ihrer
Verbundenheit mit anderen Destinationen in unterschiedlichen thematischen
Bezügen unverzichtbar.
6 Schlussbetrachtung
Der chinesische Quellmarkt ist für den deutschen Incoming-Tourismus von
wachsender Bedeutung. Mit den bisherigen Methoden und Angeboten wird aber
das Wachstum der Ankünfte und Übernachtungen weiterhin unterproportional
zur Gesamtentwicklung des Quellmarktes China bleiben. Mit den Reisenden
aus der Volksrepublik China betreten erstmals Gäste die Bühne des
internationalen Tourismus, die nicht von einer grundsätzlichen Referenz
gegenüber der „westlichen“ Kultur und ihren verdinglichten Symbolen geprägt
sind und diese nicht der ihrigen Kultur für tendenziell überlegen zu halten
gelernt haben (Arlt 2002).
Ein weiterer rascher Anstieg der touristischen Ausreisen aus China ist unter fast
jedem weltwirtschaftlichen Szenario zu erwarten. An die Erwartungen dieser
Kundengruppe angepasste touristischen Produkte und
Kommunikationsstrukturen sind zu entwickeln, wobei Segmentierungen nach
regionaler Herkunft, Alter und Reisebiografie usw. notwendig sind. Hierzu
bedarf es offensichtlich intensiver Marktforschung und Analyse der
vorhandenen Ressourcen aus der Sicht der Kunden bzw. entsprechendes
Expertenwissen.
Deutschland hat gegenüber anderen europäischen Ländern Vorteile: Als großer
und wirtschaftlich bedeutender Staat ist Deutschland neben Frankreich das
bekannteste Gebiet Europas, an der Tüchtigkeit und Ehrlichkeit seiner
Bewohner wird in China nicht gezweifelt. Dass hierzulande auch eine den
Preisen angemessene hohe, auf chinesische Bedürfnisse zugeschnittene
Produkt- und Servicequalität im Tourismus angeboten wird, bleibt zu beweisen.
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Prof. Dr. Wolfgang Georg Arlt
Leisure and Tourism Management
Fachhochschule Stralsund
Zur Schwedenschanze 15
D-18439 Stralsund
Tel.: ++49 (0) 3831 456961
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