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CAGED ARCHITECTUREGebäude mit Netz und doppelter Fassade
7AFA Architekturmagazin
Architektur
Überall dort, wo Gitter die Szenerie beherrschen, geht es gewissermaßen um Schutz und Abschirmung. Doch sperrt sie nun ein oder sperrt sie aus, diese von domi-nanten Geflechten und fragilen Netzen charakterisier-te Architektur? Besonders spannend ist die Frage, da sie eine der Perspektive ist – stets mäandernd um die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum.
Vogelfrei im Käfig
Mitten im dichten Stadtgefüge von Colombo, Meltingpot von Kulturen und Gemeinschaften, scheint er wie zufällig abgesetzt,der„BirdCage“(2013).DochwasderNameheraufbeschwört, nämlich ein Gefühl der Enge, der hermetischen Abriegelung, gelingt dem Architekten Narein Perera zu konterkarieren: Das Haus offenbart eine Folge von offenen und frei fließenden Räumen, die den Bewohnern paradoxerweise ein hohes Maß an Freiheit und Geborgenheit zugleich bieten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Außenraum, der von allen drei Ebenen des Gebäudes erlebbar ist und den das umgebende Gitter dem Privatbereich zuordnet. Fortsetzung erfährt der Garten zuoberst des kubischen Volumens: Diese Terrassen zur Vorder und Rückseite verstehen sich als räumliches Kontinuum und lösen die Grenzen des aufgrund des kompakten Grundstückes gestauchten Raumes auf. Im Inneren scheinen die zwei Stockwerke über dem Erdgeschoss zu schweben. Lichtschächte, die im Kern des Hauses durch die Etagen schießen, stärken Offenheit und Dialog der Bewohner. Das markanteste Charakteristikum im Hinblick auf Ästhetik ist zweifelsohne der weiß glänzende Käfig aus galvanisiertem Eisen. Als durchlässige Haut klammert er die gesamte Komposition und schließt den privaten Raum in sich ein, ohne ihn jedoch merklich zu beschränken. In ähnlicher Weise funktioniert das Projekt „Songpa Micro Housing“ (2014,Seoul, SsD) als vermittelnde Instanz zwischen innen und außen. Auch hier ranken sich schmale vertikale Streben als vorgesetzte Fassade vom ersten Stockwerk empor. Auf
der höheren, fünf Geschosse umfassenden Gebäudehälfte verjüngen sie sich ab Firsthöhe und imitieren über der Terrasse in ihrer Morphologie die Schräge eines Zeltdaches. Mit schlanker Gestalt überragt diese Seite den von einer vertikalen Glasfuge zäsierten gegenüberliegenden Bauteil. Ebenso hält hier das Gitter die zu Würfel geformten Wohneinheiten im Zaum und schenkt ihnen damit auf restriktivem Grund maximal ausgedehnte bewohnbare Geschossfläche. Auch hier suchen die Architekten durch zunächst einmal Beschränkung erzeugendes Vokabular soziale Intentionen zu verfolgen: In der Tat ist „Songpa Micro Housing“ eine neue Typologie, die durch eine weiche Übergangszone natürliche wie soziale Zirkulation ermöglicht. In vierzehn solcher Blöcke kann Raum den Lebens und Arbeitssituationen entsprechend flexibel genutzt werden – als Einheit oder in größerer Konfiguration. Nichtzuletzt dadurch, so die Idee, würde das Gebäude aufgrund seiner langfristigen Nutzbarkeit einen nachhaltigen Charakter erhalten.
Geschossübergreifende Lichtschächte vermitteln Offenheit.
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Architektur
Schaukasten oder Verschleierung?
In größerer Dimension verfolgt „QBIG two“ (2016, Heilbronn, Riemer Planung GmbH) die Strategie der flexiblen Raumnutzung und veranschaulicht das Konzept durch eine imposante vorgesetzte Fassade. Rechteckige Öffnungen verschiedener Größe sind in den weißen Vorhang – eine PfostenRiegelKonstruktion – eingeschnitten. Auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar, täuscht die Ummantelung aus215TonnenrecycelbaremStahlvor,nachdemSchaukastenprinzip die innere Raumstruktur abzubilden. Doch zeigen die vermeintlichen Fenster etwas ganz anderes: Nichts ist hier festgelegt. In dem innenliegenden Kubus mit raumhoher, blauer Verglasung ist die 4.500 Quadratmeter umfassende Gesamtfläche auf fünf Etagen bedarfsorientiert nutzbar. Anders als vermutet, ist hier eine natürliche Belichtung im gesamten Gebäude gegeben. Mit einem solchen optischen Effekt ergänzt „QBIG two“ im Heilbronner Businesspark eine bald dreiteilige Serie: Der benachbarte Vorgängerbau des Büros sowie das noch fertigzustellende „QBIG III“ spielen mit jener verschleiernden Ästhetik und machen durch diese expressive Architektursprache ihre Zusammengehörigkeit ablesbar.
Geflecht der Kulturen
Die kulturelle Vielfalt Europas zu veranschaulichen und gleichzeitig anspruchsvollen Nutzungsanforderungen gerecht zu werden, ist bei dem Ratssitz der Europäischen Union in Brüssel (2016, Philippe Samyn and PartnersmitStudio Valle Progettazioni und Buro Happold) gelungen. Das Herz des Sitzungszentrums artikuliert sich hier als großdimensionales laternenförmiges Volumen, dessen kurvige Konturen der umschließende GitterKubus nur andeutungsweise freigibt. Zwei neue Fassaden, gewandt in nordöstliche Richtung, schenkt der Würfel als Erweiterung des zwischen 1922 und 1927 erbauten Residenzpalastes (Architekt: Michel Polak) dem ursprünglich Lförmigen Gebäude, das heute zu großen Teilen zum belgischen Kulturerbe zählt. Die neue Hülle, ausgebildet als durchlässige Doppelfassade, schützt das fragile Innere erfolgreich vor Straßenlärm und Umwelteinflüssen, distanziert sich dennoch von jeglicher Opazität. Auch in anderer Hinsicht offenbart der Bau ein Spiel aus Kontrasten: Streng geometrische Formen treffen auf fließende Elemente – nicht nur im Dialog von Innenraum und Außenhaut, sondern auch in ihrer Gestaltung. Denn besonders in der Verwendung der Materialien, die im Übrigen aus verschiedenen europäischen Ländern stammen, bleibt der Dualismus stets evident: Akkurat gliedert das HightechGitterwek in horizontaler Ausrichtung die Glasflächen. Einen historischen Anstrich verleihen dagegen die wiederverwendeten, Jahrzehnte alten Fensterrahmen aus Eichenholz, die den nachhaltigen Ansatz des Projekts unterstreichen sollen. Das Resultat ist im wörtlichen Sinne ein imposanter Rahmen, der in seiner Ästhetik auf ein enges Geflecht europäischer Kulturen und (Bau)Traditionen verweist und somit laut Architekten eine „Verbindung zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft symbolisiert“.
High-Tech trifft auf wiederverwendete Eichenholz-Rahmen.
Architektur
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In einen Dialog mit der Architekturgeschichte tritt die „Güiro Art Bar“ (2012, zur 11. Art BaselMiami Beach, LosCarpinteros mit Absolut Art Bureau) erst auf den zweiten Blick. Zunächst geht ihre Gestalt auf ein gleichnamiges Instrument aus Kuba zurück. Hier ausgebildet als begehbares Oval ist wesentliches Merkmal dieser Interpretation die gerasterte Lattenstruktur, die durch eine Beleuchtung von innen zusätzliche Betonung erfährt. Die rechteckigen Öffnungen dienen Besuchern des FreiluftPavillions als Sitzplätze, im Inneren findet sich das gleichmäßige Netz durch die in der mittigen Theke eingelassenen Regale wiederholt. Neben der Funktion als Plattform für künstlerischen Austausch verdeutlicht das Projekt die theroretische Auseinandersetzung des Künstlerkollektivs mit der Typologie des PanoptikumGefängnisses. Zurückgehend auf den englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748-1832) soll diekreisförmige Gestaltung eines Raumes der totalen Überwachung der sich in ihm befindlichen Personen dienen. Mit neuer architektonischer Sprache suchen Los Carpinteros dieses Konzept aufzubrechen und ihm ein hohes Maß an Offenheit und Raum für zufällige Begegnungen entgegenzusetzen.
Transparenz statt hermetisches Gitter durch eine gerasterte Lattenstruktur.
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Entmaterialisierung von Raum
In ständiger Entwicklung begreift die italienische Fondazione Golinelli die Disziplinen Kunst und Wissenschaft, deren Förderung sie sich verschrieben hat. Eine Sichtweise, der das Büro Mario Cucinella ArchitectsmitdemBaudes„CentroArti&Scienze“ (2016,Bologna) ein Gesicht gegeben hat. Die Architektur, die an eine Abstraktion chemischer Molekülketten erinnert und sich in ihren Extremitäten nur noch durch minimalistische Dreimensionalität in Form ausgebildeter stählerner Würfelkanten artikuliert, scheint sich aufzulösen in einem ununterbrochenen evolutionären Prozess. Von seinem reduzierten Äußeren nach innen betrachtet, hingegen verdichtet sich der Raum. Sein Kondensat ist ein opaker Kubus aus milchigweißem Glas, der gleichzeitig als solider Sockel für die auf ihm thronende Netzstruktur fungiert. Der Raum ist entmaterialisiert, doch scheinen sich seine immer noch präsenten Elemente zu ergänzen und im dynamischen Erleben dieser sich immer neue Blickbezüge zu offenbaren. Ein mögliches Vorbild für diese Idee könnte bei Sou Fujimoto Architects zu finden sein: Noch weiter konzentriert auf das Wesentliche, ist der „Serpetine Gallery Pavilion“ (2013, London) schließlich zunächsteinmal nichts als Gerüst – ein Konzept eines Luftschlosses, das nicht nur ob seiner wolkenartigen Form der architektonischen Installation den Namen „Cloud“ beschert hat.
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Offenheit ist die dominierende Kraft: Die jeweils etwa 40 Zentimenter breiten Module des dreidimensionalen Stahlgitters, das sich im Grün des Londoner Hyde Parks niedergelassen und ausgebreitet hat, treten dem Besucher mit einladender Geste entgegen. Von der kleinsten Einheit bis hin zum gesamten Kunstwerks – die Möglichkeit der eigenen Perzeption von Raum, Perspektive und ihrer Veränderbarkeit steht hier im Mittelpunkt. Erfahrbar sind diese von kleinen Plateaus, die innerhalb des Konstrukts in unterschiedlicher Höhe angeordnet worden sind. Changierend zwischen privatem und öffentlichem Raum wird der Mensch Teil der Architektur – der Gegensatz von konstruierter Geometrie und dem Natürlichen, von strenger Ordnung und und Weichheit wird hier einmal mehr unmittelbar erlebbar.
Laura Stillers Journalistin
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CAGED ARCHITECTUREGebäude mit Netz und doppelter Fassade Seite 6
Deutschland 4,90 EUR Österreich 5,50 EUR Schweiz 7,90 CHFAusgabe 1/2017 April - Juni
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Architekturreisen Kasachstan und Iran Seite 72
Die Stadt zurückgewinnen
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Jeder Teilnehmer erhält ein Fachbuch
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Seite 35
Nicht nur Poesie in Beton Seite 76
Augmented Reality und Smart-Technology Seite 40