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Buchbesprechungen

Date post: 07-Feb-2017
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buchbesprechungen 36 Buchbesprechungen 1 3 Ulrich Sollmann Einführung in die Körpersprache und nonverbale Kommunikation Carl-Auer Compact, Heidelberg 2013. ISBN 978- 3-8497-0003-4, EUR 14,40. Körpersprache und nonverbale Kommu- nikation, ersteres eine positive Begriffs- bestimmung, also eine bestimmte Art von Sprache; zweiteres eine Negation, die nur sagt, was sie nicht ist, nämlich verbal. Ich erwähne das nicht aus Wort- klauberei, sondern weil es mir als sym- ptomatisch für die Sache erscheint: Es werden nicht zufällig zwei Facetten ein und derselben Sache angesprochen: Dass Mimik, Gestik, Haltung, Bewe- gung, Mitteilungscharakter haben wissen wir alle. Dass daran aber viel Unbestimmtes, wenig Fassbares, nicht Explizites in die Kommunikation einfließt, ist die andere, die dunklere Seite und nicht zufällig verwenden wir, verwende ich, um das zu fassen, wieder lauter, lauter Negationen. Wir Psychothera- peutInnen widmen den körpersprach- lichen Äußerungen unserer KlientInnen vermutlich zwar mehr Aufmerksamkeit, insbesondere dann, wenn diese mit ver- balen kontrastieren, wir sprechen das in der Regel an, aber vermutlich geht das Wissen meist nicht über eine wache Auf- merksamkeit und intuitive Dekodierung der Signale hinaus. Ulrich Sollmann, selbst Psychothera- peut und langjähriger Redaktionskollege im Psychotherapie Forum ist daneben – und auch bereits seit Jahren – ein profilierter Experte, der von deutschen Medien regelmäßig mit der Analyse kör- persprachlicher Mitteilungen wahlwer- bender Politiker beauftragt wird. Ulrich Sollmann hat nun ein kompak- tes aber fundiertes Fachbuch veröffent- licht, das den Namen insofern verdient, als es sich von der Mehrzahl der Ange- bote, die durch gezielten – und im Grunde manipulativen – Einsatz berufli- chen Erfolg versprechen, abhebt. Sollmann bezieht sich in seiner Dar- stellung auf drei Konzepte: einen biogra- phisch, entwicklungspsychologischen Ansatz, ein psychophysiologisches Funktionsmodell und nonverbale Kom- munikations- und Beziehungsmodelle. Eines der Bezugssysteme ist die Theorie der Affektlogik von Ciompi, einer Synthese von neurobiologischen, psychologischen, psychoanalytischen, soziodynamischen und evolutions- theoretischen Erkenntnissen, wonach sich das Erleben situativ zu integrierten Fühl-, Denk- und Verhaltensprogram- men organisiert. Ein anderer Zugang ist die lebens- geschichtliche Entwicklung der Kör- persprache und den sich daraus entwickelnden Grunddispositionen bzw. basalen Polaritäten: Urmisstrauen-Ur- vertrauen, Autonomie-Scham/Zweifel, Initiative – Schuldgefühl, Werksinn-Min- derwertigkeitsgefühl, denen Sollmann jeweils plausible Erläuterungen widmet. Was vielen LeserInnen vermutlich ent- gegenkommen wird, ist eine tabellari- sche Übersicht über fünf Identitätstypen und deren grundsätzliches Ausdrucks- verhalten bzw. deren Ausdrucksverhal- ten in Belastungssituationen. Das lädt zum Verweilen und Nachspüren ein. So ist man dann schon gut vorbereitet für den letzten Abschnitt, der der Praxis des „Körperlesens“ gewidmet ist. Hier bekommt man einige Hilfestellungen für ein systematisches Vorgehen, also Hilfe- stellungen für jene, die über das intuitive Erfassen des körperlichen Ausdrucks- verhaltens eines Gegenübers hinaus gehen möchten. In Summe steckt in dem kleinen Büchlein vergleichsweise viel drin. Wer sich näher mit dem Thema befassen möchte, ist mit ihm gut bedient und es ist Jürgen Kriz zuzustimmen, der im hin- teren Umschlag zitiert wird: …. „entgeht Sollmann den üblichen Vereinfachungen in der Populärliteratur zu diesem Thema. Das werden Leser zu schätzen wissen“. Oskar Frischenschlager Wien, Österreich E-Mail: [email protected] Online publiziert: 28. März 2014 © Springer-Verlag Wien 2014 Psychotherapie Forum (2014) 19:36–40 DOI 10.1007/s00729-014-0006-3 Buchbesprechungen
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Ulrich Sollmann

Einführung in die Körpersprache und nonverbale Kommunikation

Carl-Auer Compact, Heidelberg 2013. ISBN 978-

3-8497-0003-4, EUR 14,40.

Körpersprache und nonverbale Kommu-nikation, ersteres eine positive Begriffs-bestimmung, also eine bestimmte Art von Sprache; zweiteres eine Negation, die nur sagt, was sie nicht ist, nämlich verbal. Ich erwähne das nicht aus Wort-klauberei, sondern weil es mir als sym-ptomatisch für die Sache erscheint: Es werden nicht zufällig zwei Facetten ein und derselben Sache angesprochen:

Dass Mimik, Gestik, Haltung, Bewe-gung, Mitteilungscharakter haben wissen wir alle. Dass daran aber viel Unbestimmtes, wenig Fassbares, nicht Explizites in die Kommunikation einfließt, ist die andere, die dunklere Seite und nicht zufällig verwenden wir, verwende ich, um das zu fassen, wieder lauter, lauter Negationen. Wir Psychothera-peutInnen widmen den körpersprach-lichen Äußerungen unserer KlientInnen vermutlich zwar mehr Aufmerksamkeit, insbesondere dann, wenn diese mit ver-balen kontrastieren, wir sprechen das in der Regel an, aber vermutlich geht das Wissen meist nicht über eine wache Auf-merksamkeit und intuitive Dekodierung der Signale hinaus.

Ulrich Sollmann, selbst Psychothera-peut und langjähriger Redaktionskollege im Psychotherapie Forum ist daneben – und auch bereits seit Jahren – ein profilierter Experte, der von deutschen Medien regelmäßig mit der Analyse kör-persprachlicher Mitteilungen wahlwer-bender Politiker beauftragt wird.

Ulrich Sollmann hat nun ein kompak-tes aber fundiertes Fachbuch veröffent-licht, das den Namen insofern verdient, als es sich von der Mehrzahl der Ange-bote, die durch gezielten – und im Grunde manipulativen – Einsatz berufli-chen Erfolg versprechen, abhebt.

Sollmann bezieht sich in seiner Dar-stellung auf drei Konzepte: einen biogra-phisch, entwicklungspsychologischen Ansatz, ein psychophysiologisches Funktionsmodell und nonverbale Kom-munikations- und Beziehungsmodelle.

Eines der Bezugssysteme ist die Theorie der Affektlogik von Ciompi, einer Synthese von neurobiologischen, psychologischen, psychoanalytischen, soziodynamischen und evolutions-theoretischen Erkenntnissen, wonach sich das Erleben situativ zu integrierten Fühl-, Denk- und Verhaltensprogram-men organisiert.

Ein anderer Zugang ist die lebens-geschichtliche Entwicklung der Kör-persprache und den sich daraus entwickelnden Grunddispositionen bzw.

basalen Polaritäten: Urmisstrauen-Ur-vertrauen, Autonomie-Scham/Zweifel, Initiative – Schuldgefühl, Werksinn-Min-derwertigkeitsgefühl, denen Sollmann jeweils plausible Erläuterungen widmet. Was vielen LeserInnen vermutlich ent-gegenkommen wird, ist eine tabellari-sche Übersicht über fünf Identitätstypen und deren grundsätzliches Ausdrucks-verhalten bzw. deren Ausdrucksverhal-ten in Belastungssituationen. Das lädt zum Verweilen und Nachspüren ein. So ist man dann schon gut vorbereitet für den letzten Abschnitt, der der Praxis des „Körperlesens“ gewidmet ist. Hier bekommt man einige Hilfestellungen für ein systematisches Vorgehen, also Hilfe-stellungen für jene, die über das intuitive Erfassen des körperlichen Ausdrucks-verhaltens eines Gegenübers hinaus gehen möchten.

In Summe steckt in dem kleinen Büchlein vergleichsweise viel drin. Wer sich näher mit dem Thema befassen möchte, ist mit ihm gut bedient und es ist Jürgen Kriz zuzustimmen, der im hin-teren Umschlag zitiert wird: …. „entgeht Sollmann den üblichen Vereinfachungen in der Populärliteratur zu diesem Thema. Das werden Leser zu schätzen wissen“.

Oskar Frischenschlager Wien, Österreich E-Mail: [email protected]

Online publiziert: 28. März 2014© Springer-Verlag Wien 2014

Psychotherapie Forum (2014) 19:36–40DOI 10.1007/s00729-014-0006-3

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Martina Leibovici-Mühlberger

Die Burnout Lüge. Was uns wirklich schwächt, wie wir stark bleiben

edition a, Wien 2013. ISBN 978-3-99001-062-4,

EUR 19,95.

Vorweg, ich gebe zu, hätte ich nicht nahezu zeitgleich zwei medizinische Diplomarbeiten zum Thema Burnout betreut, ich hätte die Ankündigung die-ses Buches an mir vorbeiziehen lassen. Das Wort Lüge im Titel ist mir einfach zu reißerisch als dass ich dahinter ein seriöses Buch vermuten würde. Lüge ist doch eine von einer Person wissentlich geäußerte Unwahrheit, also etwas, das man gesellschaftlichen Verhältnissen grundsätzlich nicht unterstellen kann. Eine Gesellschaft kann Verhältnisse schaffen, die man als Fehlentwicklung, als Verirrung oder dergleichen bezeich-nen kann, aber sie kann nicht lügen. Lügen macht also in dem hier gemeinten Zusammenhang einfach keinen Sinn und ist reißerisch.

Nun aber zum Inhalt. Die Autorin, vier-fache Mutter, Ärztin, Psychosomatikerin, Pschotherapeutin (laut Klappentext) schreibt von ihrer eigenen Erfahrung als einer, die insofern selbst der „Burnout-Lüge“ aufgesessen sei als sie „…mit großer Anteilnahme das Schicksal der überarbeiteten Gutmensche mitbekamt, Patienten ausufernd auf meinen Schoß genommen, sie darin bestätigt, dass sie schwerst erkrankt und unbedingt scho-nungsbedürftig wären……“.

Es mag durchaus eine erste unreflek-tierte Herangehensweise sein, Betroffe-nen einen krankheitswertigen Zustand zu unterstellen. Wenn man sich darüber hinaus ein bisschen informiert, stellt man allerdings fest, dass das ICD-10 (Inter-national Classification of Diseases der WHO, zehnte Revision) dies nicht tut, sondern vielmehr das Burnout-Syn-drom als ein Zustandsbild (Z 73, „Pro-bleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“), das vor-rangig mit Erschöpfung und zahlreichen damit assoziierten Symptomen einher-geht, jedoch explizit nicht als Störung klassifiziert.

Der Autorin geht, so scheint es, aber auch das zu wenig weit. Sie bringt in der Folge eine Vielzahl sehr lebendig beschriebener, detaillierter und weit-gehend substanzieller Fallbeispiele, die zeigen sollen, dass – in guter Tradition einer auch soziologisch denkenden, engagierten Psychotherapeutin – der Einzelfall ein dynamisches Ganzes aus Entwicklungs-, aus sozialen, gesell-schaftlichen, situativen usw. Aspek-ten ist. Gerade in ihrem ausführlich beschriebenen Fall „Petra“ zeigt sie aber sehr schön und gut nachvollziehbar, wie dieses Zusammenspiel aus persönli-chen, herkunftsbezogenen, biographi-schen, sozialen, aktuellen, und anderen Faktoren über eine halbe Lebensspanne hinweg ins Burnout führen kann. Und gerade mit diesem Beispiel schwächt sie meines Erachtens ihre Hauptaussage, auf die sie das gesamte Buch hindurch hinarbeitet: es ist (nur) die völlig falsche gesellschaftliche Entwicklung, die wir uns eingebrockt haben und die dem Ein-zelnen früher oder später auf den Kopf fällt. Die „Lüge“ besteht dann darin, dass wir dem einzelnen Betroffenen eine Schwäche, ein Versagen zuschreiben anstatt – kurz gesagt – den gesellschaft-lichen Wahnsinn in Frage zu stellen.

Ja, dem ist ja weitestgehend zuzu-stimmen. Ich denke auch, dass eine Fülle von Indizien für eine kranke Gesell-schaft spricht. Nur, wie erwähnt, die Bei-spiele, die die Autorin bringt, gerade die Fallgeschichte der Petra zeigt, wie auch andere Faktoren ihren Beitrag leisten.

Man könnte aber nichtsdestotrotz – vermutlich würde die Autorin da auch zustimmen – die Kernaussage so auf den Punkt bringen: in den Siebzigern hatten wir Stress als öffentliches Gesprächs-thema, nun, als logische Fortführung einer fatalen gesellschaftlichen Dynamik, haben wir das Burnout.

Die Autorin greift in ihrer Darstellung zu sehr engagierten, wie mir scheint, oft angemessen harten Formulierungen bei der Diagnose unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Da ist ihr nur zuzustimmen.

Den Stil, in den diese oft guten und griffigen Formulierungen über weite Strecken eingebettet sind, muss man mögen oder aushalten. In den USA wäre

das Buch vermutlich ein mit großer Auf-lage belohntes; die Autorin würde von Talk zu Talk tingeln, verdientermaßen, wie ich zugebe. Es ist ja nichts falsch, nur ein bisschen ungewohnt.

Oskar Frischenschlager Wien, Österreich E-Mail: [email protected]

Margherita Spagnuolo Lobb

The Now-for-Next in Psychotherapy. Gestalt Therapy Recounted in Post-Modern Society

Franco Angeli, Milano 2013. ISBN 978-8820420840,

EUR 35,–.

Das jüngste Buch der Direktorin des Italienischen Instituts für Gestaltthera-pie, Margherita Spagnuolo Lobb, ist auf Italienisch, Spanisch und Russisch und nun auf Englisch erschienen. Mit vie-len Bezügen zu eigenen Publikationen der letzten Jahrzehnte und zur gegen-wärtigen Diskussion unter US- und italienischen Kollegen gibt sie in den 10 Kapiteln dieses Bandes einen Über-blick über wichtige Aspekte ihrer Sicht einer zeitgemäßen Gestalttherapie. Die Schülerin von Isadore From hebt für die klinische Gestalttherapiepraxis in der Postmoderne (1.  Kapitel) hervor, dass Selbstregulation im Austausch von Organismus und Umfeld geschieht (jenseits des vulgarisierten Modells von Essenseinnahme) und Kreativität ein „normales“ Ergebnis der Individuums/Gesellschafts-Beziehung ist (39). Mit Daniel Stern betont sie die konkrete Realität der therapeutischen Beziehung, die es dem Patienten ermöglicht, die Kontaktfähigkeit zu erneuern.

Im Kontrast dazu situiert sie schon in der Einleitung die Entstehung der Gestalttherapie (und anderer wichtiger Therapierichtungen) in den 1950ern in das Bedürfnis nach Unabhängigkeit mit Vernachlässigung der Sorge um den anderen („narzisstische Gesellschaft“). In den Jahren zwischen den 70ern und 90ern („technische/borderline-Gesell-schaft“) seien die Gruppen und die therapeutische Beziehung als heilsa-mer betrachtet worden. In der gegen-

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wärtigen Gesellschaft (der „liquiden“ nach Bauman) sei die Unterstützung des Kontaktprozesses prominent, weil Ängstlichkeit und in der Folge Desensi-bilisierung vorherrschen (vgl. 26 ff.). Mit einem langen kommentierten Therapie-beispiel – einer Arbeit an der introjekti-ven Abwehr – demonstriert die Autorin, dass die Wahrnehmung an der Kontakt-grenze zwischen Therapeutin und Klien-tin verändert, nicht etwa rechtfertigende Erklärungen über vergangene Erfahrun-gen (65).

Im 2.  Kapitel gibt Spagnuolo Lobb Anregungen zur Lektüre des Grün-dungsbuches der Gestalttherapie (F. Perls/R. Hefferline/P. Goodman, Gestalt-Therapie – Lebensfreude und Persön-lichkeitsentfaltung); sie verweist auf die dort geäußerte Absicht, gängige Dicho-tomien durch die Figur/Grund-Struktur zu überbrücken. In diesem Abschnitt, der wie andere Teile des Buches schon anderweitig publiziert ist (was dieses Buches redundant macht), werden inte-ressante Einwände/Punktationen von Philipp Lichtenberg (Sie ist wie er Mit-glied des New York Institute for Gestalt Therapy) wiedergegeben. Er hält PHG für nicht leicht verständlich, weil insbe-sondere Goodman einerseits die Psy-choanalayse kritisiert und sich zugleich auf eine fortschrittliche Variante, näm-lich die von Fenichel stark stützt, was bei nicht ausreichender Kenntnis der Quellen verwirre (70). Er ist sich in dieser Theoriereflexion mit der Autorin einig, dass From die soziale Perspektive der Ich-Funktionen und anderen Funktionen des Selbst betont hat: „helping the other identify and alienate“ (81) – die geläufige Umschreibung dieser Ich-Funktion.

(Die Gestalttherapie versteht in ihrem methodologischen Ansatz das Selbst als Prozess an der Grenze zwischen dem einzelnen Organismus und der Umwelt und beschränkt sich in einer phänome-nologischen Reduktion auf die Wahr-nehmungen aus diesem Organismus/Umwelt-Feld.

Neben der oben schon charakte-risierten, in der Therapie zu stärken-den, Ich-Funktion wird die Es-Funktion genannt: die teils vorbewussten, sen-somotorischen Vorgänge „innerhalb der Haut“; zuletzt die Persönlichkeitsfunk-

tion – „wer bin Ich?“ -, in der bisherige assimilierte, also für gut befundene Erfahrungen zusammenfließen und wei-tere Kontaktnahme erlauben).

In der Überwindung des Egotismus (damit der Engführung der traditionellen Psychoanalyse) und der Gewinnung von Kreativität aus der Beziehung sieht sie das Ziel der Therapie (88). Als diagnos-tisches Mittel im Kontaktprozess wird der Zeitpunkt des Auftretens von Angst/Unterbrechung genannt, sowie an Stelle der Übertragungsanalyse der Beitrag des Therapeuten zum Geschehen her-ausgestellt (Wie trage ich dazu bei, dass Sie das sagen? – 92). Die Vorwegnahme neuer Entwicklungen in der Psychoana-lyse (wie etwa die emotionale Selbst-regulation oder das intuitive Verstehen von Individuum und Umwelt) durch die Gestalttherapie erkennt der Psychoana-lytiker Paolo Migone im Vorwort auch an.

Das Kap. 3 (Somatic Experience and Developmental Perspective) hinterließ mich ratlos, nicht wie nahezu voraus-gesagt in erster Linie wegen des dop-pelten Gebrauchs der Kontaktstile, in Anlehnung an Polster und Wheeler, der den gesunden nicht vom pathologischen Prozess trennt (80).

Vielmehr blieb ich skeptisch, weil die Kontaktmodalitäten Konfluenz, Int-rojektion, Projektion, Retroflektion und Egotismus zwar als Fähigkeitsberei-che (tabellarisch als domains of abili-ties/capacities mit möglichen Risiken) beschrieben werden (109), jedoch durch die gewählte Darstellung entgegen der erklärten Absicht der Eindruck entstand, als seien sie zugleich als Phasen der kindlichen Entwicklung zu sehen. Zudem wird z.  B. Introjektion im positiven Ver-ständnis als „assimilation of environ-mental stimuli“ (107) charakterisiert, eine überbordende Umdeutung der Auffas-sung davon, wie sie im letzten (dem Aus-bildungs-) Kapitel durch ein bekanntes PHG I, VIII-Zitat im Zusammenhang mit der dentalen Aggression wiedergegeben wird: „If the previous form it not totally destroyed and digested, there occurs, instead of assimilation, either introjection or areas of no contact“ (258). Das Ein-steigen auf den Kontaktstil als diagnos-tisches und therapeutisches Instrument zieht sich durch das ganze Buch, die

Charakterisierung derselben scheint mir noch diskussionsbedürftig zu sein.

Die Intentionalität des Kontakts – the now-for-next

Aber was in den kommentierten The-rapievignetten überzeugt, wie durch das Mitgehen mit den eingefahrenen, desensibilisierten Kontaktmustern das „now-for-next“ (Buchtitel) erfasst wird, um die Intentionalität des Kontakts zur Vollendung zu bringen; das ist ein Grundzug in diesem Buch. Die alten Konzepte von Übertragung und Gegen-übertragung können als „being-there at the boundary“ redefiniert werden (119). Die Sinneswahrnehmungen sind in die Therapeut/Klient-Dyade eingebettet, der Therapeut, geschult, seine Emotio-nen als zum Feld gehörig einzuschätzen, muss diese nicht als Störungen nehmen, sondern kann sie therapeutischen Zielen zuführen (ebd.).

Einerseits angeregt, andererseits ermüdet durch Wiederholungen, durch m.  E. zu kurze theoretische Abschnitte und durch den englischen Text, habe ich mich in der Lektüre des Buches den vielen Therapiebeispielen in den Kapiteln zugewandt, vorübergehend sozusagen die „Sportseiten“ ausgewählt. So zeigt sie im Kap.  4 (Gestaltdiagnose), wie sie die Spannkraft der Erfahrungswei-sen (Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflektion) der Klienten aufgreift, um zur Intentionalität des Kontakts weiter-zuführen. Es gehe darum, bei der Int-rojektion die „sigificant presence“ zu unterstützen, beim projektiven Stil die Energie (Körperwahrnehmung), beim retroflektiven Stil die Anteilnahme (sha-ring), bei der Konfluenz das (Selbst-) Gefühl, beim letzteren beispielsweise durch kognitive Unterstützung/Psycho-edukation. Diese Ansätze werden als diagnostische Landkarte verstanden. Das wird auch im Folgekapitel über Aggression exemplifiziert, mit dem Hin-weis, dass in Zeiten der Postmoderne mehr als früher das Gefühl der Sicher-heit in Beziehung und Kontakt gestützt werden muss.

Im 6. Kapitel (Liebe in der Psychothe-rapie – Tod des Ödipus) erinnert Spagu-nolo Lobb daran, dass die Behandlung

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psychischer Störungen durch Unterstüt-zung der Spontaneität möglich wird und nicht durch Unterdrückung von Impul-sen. Mit einer Frage wie „Stell dir vor, jemand ist neben mir; wen siehst du?“ (163) kann eine möglicherweise isolierte Sicht der/s Therapeutin/en durch die/den Klientin/en durchbrochen und eine Engführung in die ödipale Blindheit auf-gelöst werden.

Im Paartherapiekapitel (7.) folgt sie R. Lee und den Modellen von Cleve-land und Cape Cod, betont auch hier die Herausarbeitung der Kontaktintentiona-lität hinter den Wunden des Paares; jen-seits der Wahrnehmung der Andersheit des anderen gehe es im letzten Schritt um den Sprung ins Ungewisse als einer Überwindung der egotistischen Haltung (185), die aber leider hier wie auch nicht im gesamten Buch durch eine Therapie-vignette dokumentiert wird, – am ehes-ten am Ende des langen, vielschichtigen Therapiebeispiels über Familientherapie (8.), in dem sie ein an der Figur/Hinter-gund-Struktur orientiertes vierstufiges Modell vorschlägt (227 f.), sowie umsich-tig das richtige Setting für Familien der „liquid society“ (202 ff.) erörtert.

In Kap.  9 findet sich eine geraffte literarische Übersicht über Gestaltgrup-pentherapie von F. Perls (die Gruppe lernt an der Arbeit des Protagonisten) bis zur gegenwärtigen Auffassung (der Gruppenprozess als Untergrundströ-mung gibt den auftauchenden Ereignis-sen in der Gruppe Bedeutung, 232). In ihrem fünfstufigen Gruppenmodell gibt sie jeweils therapierelevante Hinweise für den Gruppenleiter. Ähnlich fünfstu-fig strukturiert sie im schon erwähnten letzten Kapitel die Ausbildungsschritte, inhaltlich die Gestalttherapie auch Konzepten Freuds gegenüberstellend (255–258).

In dieser abgerundeten Darstel-lung von Theorie und Arbeitsfeldern der Gestalttherapie kann dieses Buch sowohl Grundlage von Lehre sein wie auch Anregung für eben diese Arbeits-felder – Einschränkungen siehe in die-ser Besprechung. Die Autorin vermittelt als langjährige internationale Trainerin kenntnisreich Quellen und Weiterent-wicklung der Gestalttherapie aus diesen ureigenen Quellen und verzichtet daher

auf überflüssige Anleihen bei anderen psychotherapeutischen Modellen; eine Auseinandersetzung mit diesen (v.  a. mit Psychoanalyse und Systemischer Therapie) wird aber geleistet. Schade, dass dieses Buch noch nicht in Deutsch vorliegt, da es neben den vorhandenen Übersetzungen selbst schon ins Polni-sche übertragen wird.

Leopold Kröll Wien, Österreich E-Mail: [email protected]

Gottfried Fischer, Rosmarie Barwinski, Monika Becker-Fischer (unter Mitarbeit von Christiane Eichenberg)

Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung. Manual der modernen tiefenpsychologischen und analytischen Psychotherapie.

Roland Asanger Verlag, Kröning, 2011, ISBN 3-89334-

535-9, EUR 34,50.

Tiefenpsychologische und analytische Psychotherapie muss sich durch die Neuerscheinung von Fischer und Kol-leginnen nicht mehr dem Vorwurf der theoretischen und praktischen Inflexibi-lität aussetzen. Das Problem in diesen Therapieformen war unseres Erachtens eher der Mangel an praxeologischem Zugang und vermutlich weniger ihr geltendes Paradigma, welches an die Grenze seiner Gültigkeit gelangt wäre. Das therapeutische Handeln war letzt-lich zwar theoriegeleitet, aber in der Anwendung dann doch häufig thera-peutischer Intuition überlassen. Damit war tiefenpsychologische und analyti-sche Anwendung zwar vorhanden, aber nicht ausreichend genug „regelgeleitet“. Dies wird gleich schon zu Beginn des Werkes deutlich, wenn sich die Autorin-nen und der Autor mit der empirischen Wende in der Psychoanalyse befassen und damit dem Ruf nach wissenschaft-licher Transparenz gefolgt wurde. Doch bevor die verschiedenen Elemente des Buches und ihre Bedeutung für moderne Anwendung erläutert werden, soll das Ziel des Buches – so wie wir es verstan-den haben – erörtert werden.

Fischer und seine Kolleginnen refor-mieren die Psychoanalyse fundamental. Neben den Grundpfeilern wie Abwehr-mechanismen, Übertragung und Wider-stand wird die emotionale Einsicht als tiefgreifendes therapeutisches Ver-änderungsmoment aufgegriffen. Nur die ungehinderte Untersuchung von Affekten, der Ausdruck von Emotio-nen, sowie die Erfahrung einer alter-nativen Beziehung im therapeutischen Arbeitsbündnis ermöglichen eine posi-tive psychotherapeutische Wirkung und Nachwirkung. Die Einführung der dialek-tisch-ökologischen Sichtweise stellt eine weitere bedeutende Veränderung dar. Diese ermöglicht eine Verbindung und Ergänzung zur Traumatherapie. Durch diese Sichtweise wird der Komplexität der traumatischen Ätiologie, sowie auch der Behandlung und Therapie Rech-nung getragen, und es können Trau-maparadigma und Neurosenparadigma ohne Theoriebruch zur therapeutischen Anwendung gelangen. In dieser trauma-adaptierten Weiterentwicklung verlassen Fischer und Kolleginnen den zeitweilig vorherrschenden psychoanalytischen Mainstream und ziehen die Psychotrau-matologie ins Zentrum der modernen Psychoanalyse. Die Psychotraumatolo-gie zeigt sich als spezieller Bereich der kausalen Psychotherapie, unter Orien-tierung an der Ätiologie und einem dia-lektisch-ökologischen Denken.

Die moderne Tiefenpsychologie und analytische Psychologie (TP/AP) zeigt sich fortschrittlicher hinsichtlich theore-tischer Reflexion und empirischer For-schung. Wie bereits in der Logik der Psychotherapie (Fischer 2008) ist die gegenseitige Durchdringung von Theorie und Praxis Basis tiefenpsychologischen und therapeutischen Tuns und Denkens. Nur die Abstimmung von Empirie und Theorie ermöglicht Fortschritte in der Wissenschaft und stellt so den Begrün-dungspfeiler der Psychotherapiewissen-schaft dar. Fischer und seine Kolleginnen erfüllen dies mit der erkenntnistheoreti-schen Grundlage, der dialektisch-öko-logischen Sichtweise, die im Mittelpunkt der modernen tiefenpsychologischen und analytischen Praxis steht. Dialek-tisches Denken enthüllt die Innenpers-pektive, die Geschichte menschlicher Subjektivität. Ökologisches Denken ent-spricht dem objektiven, umweltbezoge-

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die Epistemologie der psychotherapeu-tischen Praxis mit den Stufen Phäno-menologie, Hermeneutik und Dialektik gelegt. Fallbeispiele demonstrieren die „Aufhebung“ von pathogenen Konflik-ten, Widersprüchen und Symptomen mit Hilfe der einzelnen Stufen der Inter-ventionslehre. Themen, wie Abwehr und Widerstand finden in gesonderten Kapiteln ihren Niederschlag. Neben der Dialektik und dem ökologischen Denken wird die klassische Deutungslehre um das semiotische Instrumentarium erwei-tert. Die Semiotik wird sowohl auf der Ebene der Symptomatik, als auch der Interventionen ausgeführt.

Dass das Buch nicht nur informiert, sondern darüber hinaus zum Studium einlädt, zeigt der didaktische Aufbau. Jeder Themenblock wird von einer Kurz-fassung, welche die wichtigsten Thesen enthält, angeführt. Bereits eine anfäng-liche Kurzübersicht über den Gesamt-inhalt ermöglicht ein umfassendes und vertieftes Verständnis. Darüber hinaus werden die einzelnen Kapitel mit Ver-ständnis- und Feedbackfragen zur Orientierung beendet. Dies macht die Arbeit auch zu einem Trainingsmanual für die berufliche Praxis, für Studierende und andere interessierte Leser.

Das Buch führt konsequent frühere Werke des Erstautors weiter und ebenso zusammen. Es wird dem Leser, der Leserin in „Emotionale Einsicht und the-rapeutische Veränderung“ nicht mehr – wie in Logik der Psychotherapie (Fischer 2008) – jeweils im Detail die theoretische oder geisteswissenschaftliche Herlei-tung einer Annahme begründet, sondern darauf auf- und weitergebaut. Dies führt in dem Werk zunehmend zu „Setzun-gen“. Das kann man beabsichtigen oder nicht. Der Vorteil besteht darin, dass sich den Lesenden quasi rascher die praxeologische Nutzbarkeit erschließt, hat jedoch den Nachteil, dass sie mit der einen oder anderen „Setzung“ konfron-tiert zu sein scheinen, da die Herleitung unmittelbar nicht mehr gegeben ist. Dies macht dieses Buch zwar trotzdem zu einem „Nachschlagwerk“, aber eben mit der Einschränkung, dass es zum Manual wird. In jedem Fall ist dieses Buch als Lehr- und Arbeitsbuch zu verstehen.

nen Moment, in dem sich die Geschichte des Subjekts entfaltet. Um die Innenwelt zu verstehen, bedarf es der Erkenntnis der Außenwelt.

Eine weitere Bedeutung dieses Werkes zeigt sich in der ätiologischen Ausrichtung hinsichtlich Genese und Symptombehandlung. Diese Ausrich-tung basiert auf der nosologischen Pyramide, bei welcher das Symptom als pathologische Endstrecke (S. 205) des Krankheitsgeschehens auftritt. Aufgrund des ätiologie-orientierten Ansatzes wer-den Symptome aus ihrer überindividuell konstatierten Erscheinung entnommen und aus einem spezifischen Kontext ver-standen. Auch eine Therapieplanung, welche sich ausschließlich am Symptom-bild orientiert, sei laut dem/den Autor/innen nicht zielführend. Psychotherapie, welche sich hingegen am polyätiologi-schen Modell orientiert, ermöglicht eine kausale Psychotherapie. Kausale Psy-chotherapie, ein bedeutendes Merkmal der modernen TP/AP, beinhaltet nicht nur das Ziel der Symptombeseitigung, sondern ebenso die Unterbrechung des Krankheitsprozesses und seine Rückführung in eine selbstregulierende Persönlichkeitsentwicklung.

Gelungen in dieser Konzeptualisie-rung ist der Einsatz von handlungsbe-zogenen Interventionen. Die Autorinnen und der Autor bewirken damit sowohl eine Abgrenzung als auch eine Annähe-rung an die Verhaltenstherapie mit dem Ziel der Förderung einer „semiotischen Progression“. Nur eine präzise Beschrei-bung des Vorgehens gewährleistet die adäquate Einbettung der behavioralen Trainingselemente in die entwicklungs-orientierte Therapie, wobei die psycho-dynamische Fallkonzeption sowie die Beziehungsgestaltung stets Vorrang haben.

Die Darstellung und Beschreibung der besonderen Merkmale der moder-nen TP/ AP steht den Kapiteln der „therapeutischen Veränderung“ und des „psychotherapeutischen Dialogs in Theorie und Praxis“ gegenüber. Beson-dere Beachtung findet in diesem Kon-text die Übertragungsbeziehung, welche nach wie vor den Motor der Veränderung darstellt. Im psychotherapeutischen Dia-log wird besonderes Augenmerk auf

Letztlich tragen Fischer und Kollegin-nen nicht nur zur weiteren Entwicklung psychotherapeutischer Tiefenpsycholo-gie bei, sondern begründen die Psycho-therapiewissenschaft mit bzw. tragen zu ihrer weiteren Verankerung bei. Der/die Autor/innen blicken anhand ihres dialek-tisch-ökologischen Modells und den von ihnen ausgeführten „besonderen Merk-malen der modernen TP/ AP“ hinter die Erscheinungsbilder. Ein Ansatz, der sich auf den Umgang mit Widersprüchen ver-steht und eine beschränkte Sichtweise verlässt. Mit ihrem Werk stellen sie ein Manual für die psychotherapeutische Praxis bereit, welches das moderne Bild der Psychoanalyse, aber auch deren alte, bewährte Grundmauern wiedergibt. Zu empfehlen ist dieses praxisorientierte Manual sowohl informierten und inter-essierten Laien, als auch Theoretikern und Praktikern aus den Bereichen der psychotherapeutischen und psychologi-schen Heilkunde.

Verena Rattensberger und Pia Andreatta Innsbruck, Österreich E-Mail: [email protected]


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