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Buch Ein lauf durch die Zeit - h.e.p. verlagKalte Krieg in der Welt des Sports? Diese und zahlreiche...

Date post: 08-Feb-2021
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Thomas Notz, Dominique Fankhauser, Eric Jeisy, Walter Mengisen Ein Lauf durch die Zeit. Sportgeschichte – eine Einführung
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  • Thomas Notz, Dominique Fankhauser, Eric Jeisy, Walter Mengisen

    Ein Lauf durch die Zeit.Sportgeschichte – eine Einführung

    Was verbindet die Gesänge heutiger Hooligans mit den kultischen Aspekten der Olympischen Spiele der Antike? Warum galt das Turnen im 19. Jahrhundert als Stütze des Staates? Weshalb durften bis vor wenigen Jahrzehnten nur Amateursportler und Amateursportlerinnen an Olympischen Spielen teilnehmen? Wie widerspiegelte sich der Kalte Krieg in der Welt des Sports? Diese und zahlreiche andere Fragen aus der Sportgeschichte beantwortet «Ein Lauf durch die Zeit».

    Folgende Themenbereiche werden dabei beleuchtet: Sport als kulturelles, historisches und soziales Phänomen Sport und Kult Gemeinschaft und Vielfalt im Sport Sport und Staat Sport und Wirtschaft

    Ein knapper Längsschnitt von der Antike bis zur Gegenwart run-det das Buch ab und bietet eine interessante Übersicht über die internationale und schweizerische Sportgeschichte. Die Themen wurden einerseits im Hinblick auf den exemplarischen Einsatz im Geschichtsunterricht, andererseits auch im Hinblick auf Einsatz-möglichkeiten in den Ergänzungsfächern Geschichte und Sport an Maturitätsschulen ausgewählt.

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    Inhalt

    Danksagung 7

    Einführung 9

    1. «Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.» Eine Einführung in die Sport geschichte am Beispiel des Laufens 111.1 Einleitung 111.2 Geschichten zum Laufen 121.3 Von Laufgeschichten zur Sportgeschichte – Ein Ordnungsversuch 24Weiterführende Literatur 29

    2. Von Olympia bis zur Fankurve: Kultische Aspekte des Sports 312.1 Einleitung 312.2 Gymnastik und Kult in der Antike als gesellschaftlicher Anlass 322.3 Sport und Erziehung – der allseitig gebildete Mensch 342.4 Panhellenische Spiele – die «Golden Four» der Antike 362.5 Moderner Olympismus – von der Erziehungsidee zur Ökonomie 392.6 Stadien statt Kathedralen – kultische Aspekteim modernen Sport 432.7 Politik und Sport – zwei entfernte Bekannte? 46Weiterführende Literatur 47

    3. Vom Cheeseburger zum Sportmenü. Wechsel wirkungen zwischen Sport und Wirtschaft 493.1 Einleitung 493.2 Das Goldene Dreieck von Sport, Medien und Wirtschaft 503.3 Spitzensport als Wirtschaftsfaktor 593.4 Sportliche Grossanlässe: Gewinn oder Verlustgeschäft? 653.5 Breitensport als Wirtschaftsfaktor 683.6 Sport und Tourismus: Beispiel Wintertourismus 743.7 Besonderheiten der Wirtschaft des professionellen Sports 79Weiterführende Literatur 81

    4. Vom Freizeitvergnügen zur Staatsaufgabe. Sport und Politik 834.1 Einleitung 834.2 Turnen als Schulfach – der Bund als Förderer 844.3 Die Eidgenössische Turnkommission – der verlängerte Arm des Bundes 874.4 Frau und Sport – eine bewegte Geschichte 894.5 Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Organisationen – Kooperenz 904.6 Verhältnis Staat und Sport – fördern und fordern 924.7 Ursprünge der Leistungssportförderung 964.8 Internationale Entwicklung 984.9 Nation, Nationalismus und Fussball 99Weiterführende Literatur 101

    5. Gemeinschaft und Vielfalt im Sport 1035.1 Einleitung 1035.2 Sport und soziale Frage 1045.3 Sport und bewegte Jugend 1115.4 Sport und geschlechtliche Identität 118Weiterführende Literatur 127

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  • 6

    6. Schlaglichter auf die Sportgeschichte. Ein Längsschnitt 1296.1 Einleitung 1296.2 Antikes Griechenland 1306.3 Römisches Reich 1326.4 Der Wandel der Körperkultur 1346.5 Mittelalter 1356.6 Frühe Neuzeit: Auf dem Weg zum modernen Sport 1386.7 Die Turnbewegung 1416.8 Entstehung und Ausbreitung des modernen Sports 1436.9 An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert 1486.10 Globalisierung 1516.11 Körperkultur im 20. Jahrhundert 155Weiterführende Literatur 157

    Anhang 158Personenverzeichnis 158

    Glossar 165

    Abkürzungsverzeichnis 172

    Abbildungsverzeichnis 174Kapitel 1 174Kapitel 2 174Kapitel 3 175Kapitel 4 176Kapitel 5 177Kapitel 6 178

    Literaturverzeichnis 179Bibliografie Kapitel 1 179Bibliografie Kapitel 2 181Bibliografie Kapitel 3 181Bibliografie Kapitel 4 182Bibliografie Kapitel 5 183Bibliografie Kapitel 6 187

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  • 9

    Das ist keine Sportgeschichte der Medaillenspiegel und Heldengeschich-ten, auch wenn solche am Rande erwähnt werden. Dieses Buch erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es soll vielmehr «Fenster» auf die Geschichte des Sports und auf sportgeschichtliche Fragestellun-gen öffnen. Es ist wie ein Orientierungslauf durch sportgeschichtliche Themen angelegt: Die einzelnen Kapitel können wie die Posten eines Orientierungslaufes gesucht, und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Jedes Kapitel setzt ein bestimmtes Thema in Beziehung zum Sport und erläutert dieses an exemplarischen Beispielen vor allem aus der Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte. Die Darstellung soll zu einer kritischen, differenzierten kulturgeschichtlichen Betrachtung des Sports beitragen. Wer aber statt einzelner Themen als Orientierungs-hilfe einen chronologischen Überblick sucht, findet diesen im letzten Kapitel.

    Besonders markierte Begriffe werden im Anhang in einem Glossar erläutert. Zu den in den Texten erwähnten Personen gibt es auch ein Verzeichnis mit näheren Angaben.

    Zitate, die zum Nachdenken oder Diskutieren einladen, sind grafisch besonders hervorgehoben.

    Jedes Kapitel wird durch den Hinweis «Weiterführende Literatur» abge-schlossen. Die dort genannten Bücher vertiefen einige in dem betreffen-den Kapitel behandelte Themen. Sie stellen eine Auswahlbibliografie dar, die für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe von besonderem Interesse sein könnte. Eine ausführliche Gesamtbibliogra-fie befindet sich im Anhang. Diese ist nach Kapiteln geordnet.

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf Fussnoten verzichtet. Die Quellen- und Literaturangaben für die Kapitel können detailliert bei den Autoren nachgefragt werden.

    Einführung

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    Die abgebildete Amphore stammt aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Gefüllt mit Öl (vom heiligen Olivenhain in Attika) war sie für einen der Sieger an den Panathenischen Spielen im

    antiken Athen bestimmt. Die Panathenäen waren ein religiöses Fest zu Ehren von Athene, der Schutzgöttin Athens, das im kleinen Rahmen jährlich und im grossen Rahmen alle vier Jahre durchgeführt wurde. Die auf der Preisamphore abgebildeten Wettläufe waren Bestandteil körperbezogener Wettkämpfe (gymnische Agone) zwischen Knaben, Jugendlichen und Männern. Neben Laufwettbewerben mit und ohne Waffen wurden an den Panathenäen Zweikämpfe in verschiedenen Dis-ziplinen (z. B. Ringen, und Faustkampf) und ein antiker Fünfkampf (Pentathlon) durchgeführt. Wettkämpfe mit Pferden (hippische Agone) und Wettbewerbe im musischen Bereich (musische Agone) vervollstän-digten zusammen mit zahlreichen Prozessionen und Opferritualen das Festprogramm.

    Überreste wie diese Amphore, archäologische Funde, Schriftquellen etc. belegen vielfältige körperliche Aktivitäten und Wettkämpfe in der Antike. Zahlreiche Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissen-schaftler sowie Historikerinnen und Historiker sehen in diesen frühen Formen bewegungskultureller Handlungen die Ursprünge und Anfänge des Sports, wie wir ihn heute kennen und wie er aus unserem gesell-schaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Aber handelt es sich bei diesen Wettläufen in der griechischen Antike wirklich um sportli-che Wettkämpfe? Der Begriff Sport ist jüngeren Datums. Er geht auf das lateinische deportare und das französische (se) de(s)porter zurück und taucht im 18. Jahrhundert in England in der Bedeutung von «Zerstreu-ung, Vergnügen, Zeitvertreib, Spiel» wieder auf. England gilt denn auch für viele Historikerinnen und Historiker als Mutterland des modernen Sports. Ist Sport also ein neuzeitliches, allenfalls sogar geografisch begrenztes Phänomen? Oder ist Sporttreiben ein globales, universel-les Phänomen, das in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen lediglich andere Ausdrucksformen gefunden hat? Was ist überhaupt Sport und wie lässt er sich in historischer Dimension erforschen?

    Um auf diese grundlegenden Fragen der historischen Beschäftigung mit dem Sport eingehen zu können, werden am Beispiel des Laufens einige Geschichten aus unterschiedlichen Zeitepochen erzählt. Die verschie-denen Episoden stehen für wichtige Ereignisse oder erkenntnisreiche Aspekte in der Geschichte des Sports und der Bewegungskultur. Sie werden in einem abschliessenden Kapitel unter spezifischen Gesichts-punkten kommentiert und ergänzt, um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

    1. «Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.» Eine Einführung in die Sportgeschichte am Beispiel des LaufensEric Jeisy

    Abbildung 1: Panathenäische Preisamphore, ca. 530 vor Christus, Metropolitan Museum of Art.

    1.1 Einleitung

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    Die abgebildete Amphore stammt aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Gefüllt mit Öl (vom heiligen Olivenhain in Attika) war sie für einen der Sieger an den Panathenischen Spielen im

    antiken Athen bestimmt. Die Panathenäen waren ein religiöses Fest zu Ehren von Athene, der Schutzgöttin Athens, das im kleinen Rahmen jährlich und im grossen Rahmen alle vier Jahre durchgeführt wurde. Die auf der Preisamphore abgebildeten Wettläufe waren Bestandteil körperbezogener Wettkämpfe (gymnische Agone) zwischen Knaben, Jugendlichen und Männern. Neben Laufwettbewerben mit und ohne Waffen wurden an den Panathenäen Zweikämpfe in verschiedenen Dis-ziplinen (z. B. Ringen, und Faustkampf) und ein antiker Fünfkampf (Pentathlon) durchgeführt. Wettkämpfe mit Pferden (hippische Agone) und Wettbewerbe im musischen Bereich (musische Agone) vervollstän-digten zusammen mit zahlreichen Prozessionen und Opferritualen das Festprogramm.

    Überreste wie diese Amphore, archäologische Funde, Schriftquellen etc. belegen vielfältige körperliche Aktivitäten und Wettkämpfe in der Antike. Zahlreiche Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissen-schaftler sowie Historikerinnen und Historiker sehen in diesen frühen Formen bewegungskultureller Handlungen die Ursprünge und Anfänge des Sports, wie wir ihn heute kennen und wie er aus unserem gesell-schaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Aber handelt es sich bei diesen Wettläufen in der griechischen Antike wirklich um sportli-che Wettkämpfe? Der Begriff Sport ist jüngeren Datums. Er geht auf das lateinische deportare und das französische (se) de(s)porter zurück und taucht im 18. Jahrhundert in England in der Bedeutung von «Zerstreu-ung, Vergnügen, Zeitvertreib, Spiel» wieder auf. England gilt denn auch für viele Historikerinnen und Historiker als Mutterland des modernen Sports. Ist Sport also ein neuzeitliches, allenfalls sogar geografisch begrenztes Phänomen? Oder ist Sporttreiben ein globales, universel-les Phänomen, das in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen lediglich andere Ausdrucksformen gefunden hat? Was ist überhaupt Sport und wie lässt er sich in historischer Dimension erforschen?

    Um auf diese grundlegenden Fragen der historischen Beschäftigung mit dem Sport eingehen zu können, werden am Beispiel des Laufens einige Geschichten aus unterschiedlichen Zeitepochen erzählt. Die verschie-denen Episoden stehen für wichtige Ereignisse oder erkenntnisreiche Aspekte in der Geschichte des Sports und der Bewegungskultur. Sie werden in einem abschliessenden Kapitel unter spezifischen Gesichts-punkten kommentiert und ergänzt, um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

    1. «Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.» Eine Einführung in die Sportgeschichte am Beispiel des LaufensEric Jeisy

    Abbildung 1: Panathenäische Preisamphore, ca. 530 vor Christus, Metropolitan Museum of Art.

    1.1 Einleitung

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    Mit diesen Worten pflegte der tschechische Langstreckenläu-fer und vierfache Olympiasieger Emil Zátopek seine Leiden-schaft fürs Laufen zu erklären. Und tatsächlich scheint das Laufen eine grundlegende menschliche Bewegungsform zu sein, die uns von anderen Lebewesen unterscheidet. Der auf-

    rechte, zweibeinige Gang gilt als eine der wichtigsten Veränderungen bei der Herausbildung des anatomisch modernen Menschen (homo sapi-ens). Gemäss einigen Anthropologen und Anthropologinnen war es aber erst das Laufen als Steigerungsform des Gehens, das uns vor rund zwei Millionen Jahren zu dem machte, was wir heute sind.

    Die Fähigkeit, lange, ausdauernd und mit unterschiedlichen Tempi laufen zu können, ist das Resultat eines evolutionären Selektionsprozesses, bei dem diejenigen Menschenaffen (Australopithecinen) überlebten, die anato-misch günstige Körperformen zum Laufen hatten. Laufen bot bei der Jagd viele Vorteile, da man in den Savannen Afrikas längere Distanzen zurück-legen konnte, um Tiere zu jagen oder Kadaver zu finden. Auch gegenüber anderen Raubtieren bot das Laufen einen Vorteil: Um gegen die schnel-leren Konkurrenten wie beispielsweise Löwen und Hyänen, die meist in der Dämmerung oder in der Nacht jagten, eine Chance zu haben, bot sich der Tag als ideale Jagdzeit an. Die hohen Temperaturen tagsüber stellten dabei einen strategischen Vorteil dar: Während Menschen den Tempe-raturanstieg bei körperlicher Aktivität durch Schwitzen regulieren kön-nen, sind viele Tiere auf Pausen angewiesen, um eine steigende Körper-temperatur durch Hecheln ausgleichen zu können. Durch die Fähigkeit, auch bei hohen Temperaturen, lange und ausdauernd laufen zu können, gelang es den Urmenschen, ihre Beute so lange aufzuscheuchen und zu hetzen, bis diese aufgrund von Überhitzung kollabierten.

    Unabhängig davon, ob der Mensch nun eigentlich ein Geher oder Läu-fer ist, kann festgehalten werden, dass die Fähigkeit zum Laufen eine menschliche Ureigenschaft darstellt, die auf vielfältige Weise genutzt werden kann. Laufen in prähistorischer Zeit diente der Befriedigung natürlicher Bedürfnisse, und um das eigene Überleben zu sichern. Lau-fen wird erst viel später zur (bewegungs-)kulturellen Handlung, die sich von der Befriedigung primärer Bedürfnisse löst und in unterschiedli-chen historischen und sozialen Zusammenhängen zu vielfältigen Insze-nierungsformen führt. Zu den frühesten Zeugnissen und Überresten solcher, mit Bedeutung versehener, bewegungskultureller Läufe zählt der Königslauf der Pharaonen im alten Ägypten.

    Die wohl ersten Läufe vor Publikum in einer eigens dafür eingerichteten Laufanlage fanden vor rund 5000 Jahren im alten Ägypten statt. Im Rahmen des Sedfestes (Heb-Sed), eines

    königlichen Erneuerungsfestes, lief der Pharao jeweils eine mit Steinen markierte Strecke ab, die symbolisch für sein Reich stand. Das Sedfest wurde in der Regel dreissig Jahre nach Beginn einer Regentschaft und dann im Dreijahresrhythmus durchgeführt. Allerdings hielten sich nicht alle Pharaonen an diesen Rhythmus. Ramses II. zum Beispiel fei-erte während seiner fast 70-jährigen Regierungszeit dreizehn oder vier-zehn Feste. Für diesen Lauf entledigte sich der Herrscher jeweils seines langen Königsmantels und lief mit einem kurzen Schurz samt Tier-schwanz bekleidet um die Steinmarkierungen.

    1.2 Geschichten zum Laufen

    «Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft»

    Laufende Pharaonen

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    Der sogenannte Königslauf hatte eine symbolische, rituelle Bedeutung. Durch den Lauf sollten die physischen und magischen Kräfte des Pharaos in regelmässigen Abständen erneuert werden. Es ging nicht darum, der Schnellste zu sein. Gegner gab es keine und auch die Laufzeit spielte noch keine Rolle. Der Sedfestlauf diente dazu, die Herrschaftsansprüche des Pharaos zu unterstreichen. Er war nur einer unter vielen Ritualläufen, die aus dieser Zeit überliefert sind. Andere rituelle Läufe wie der Apislauf, Vogellauf, Vasenlauf oder der Ruderlauf dienten der Götterverehrung.

    Die Steinmarkierungen, die bei archäologischen Ausgrabungen an der Tempelanlage von König Djoser in Sakkara gefunden wurden, stam-men aus dem Jahr 2600 vor Christus. Sie stellen die ältesten Belege für eine von Menschen geschaffene Laufanlage dar. Ein Sporthistoriker, der wesentlichen Anteil an der Erforschung dieser Laufbahn hatte, sieht in ihr die «älteste Sportanlage der Weltgeschichte». Zusammen mit schrift-lichen und bildlichen Quellen auf Papyrus, Ton oder Stein geben sie Auf-schlüsse über frühe läuferische Aktivitäten im alten Ägypten. Neben den religiös geprägten, kultischen Läufen wie dem Königslauf findet man in Ägypten und Mesopotamien auch Hinweise auf militärische Läufe. Die spärliche und fragmentarische Quellenlage erschwert die Deutung dieser frühen bewegungskulturellen Aktivitäten. Von einer vielfältigen sportiven Bewegungskultur, wie sie sich in der griechischen Antike zei-gen lässt, und wovon Überreste wie die panathenäische Preisamphore (Abbildung 1) zeugen, kann zu der Zeit jedoch noch keine Rede sein.

    «Wir haben gesiegt!», soll der griechische Meldebote Pheidippides der Legende nach gerufen haben, bevor er – gezeichnet von den Strapazen eines Distanzlaufs von Marathon nach

    Athen – tot zusammenbrach. Pheidippides wurde in voller Kampfmon-tur losgeschickt, um nach der erfolgreichen Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.) im rund vierzig Kilometer entfernten Athen die frohe Botschaft des Sieges über die Perser zu verkünden. Heute wissen wir, dass dieser Lauf in dieser Form nie stattgefunden hat. Er geht zurück auf eine Legende, die sich aus griechischen und römischen Überlieferungen von Schriftstellern und Historikern speist.

    Abbildung 2: Darstellung des Sedlaufes auf

    der Grabstätte von Pharao Djoser in Sakkara.

    «Wir haben gesiegt!»

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    Während die Legende vom Marathonlauf in der Antike wenig bekannt war, so kennt heute fast jeder diese Erzählung. Grund dafür ist eine Wiederbelebung der Legende im 19. Jahrhundert durch die Gründer der modernen Olympischen Spiele. Ohne den historischen Wahrheitsge-halt zu überprüfen, diente der rund vierzig Kilometer lange Lauf von Marathon nach Athen als antikes Vorbild für den modernen Marathon-lauf, der 1896 anlässlich der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit seine offizielle Premiere hatte. Von Athen aus trat diese Form des wett-kampfbezogenen Ausdauerlaufes eine Erfolgsgeschichte an, die ihn zum wahrscheinlich berühmtesten Lauf der Welt machte und jährlich Millionen von Läuferinnen und Läufern auf der ganzen Welt in seinen Bann zieht. Die heute gültige Distanz von exakt 42,195 km wurde erst später festgelegt. Bei den Olympischen Spielen von London (1908) ver-längerte man die 40-Kilometer-Strecke um ein kleines Stück, damit die königliche Familie dem Start des Marathons im Schlosspark von Wind-sor beiwohnen konnte. Von da aus waren es dann exakt 26 Meilen und 385 Yards (42,195 km) bis zum Ziel im White City Stadium in London.

    Eine ähnliche, mythologische Entstehungsgeschichte rankt sich um einen der ersten Volksläufe in der Schweiz. So wie Pheidippides soll ein unbe-kannter Meldeläufer 1476 nach der Schlacht von Murten nach Fribourg geeilt sein, um den Sieg der Eidgenossen über das Heer von Karl dem Kühnen im Burgunderkrieg zu verkünden. Als Zeichen des Sieges trug er einen Lindenzweig in der Hand, den er auf dem Schlachtfeld abgebrochen hatte. An der Stelle, wo der Bote vor Erschöpfung tot zusammenbrach, mitten in der Stadt Fribourg, soll ein Lindenbaum entstanden sein, der als «Murtenlinde» bekannt wurde und erstmals 1482 von Historikern erwähnt worden ist. Auch an dieser Legende ist vieles unstimmig: So wurde die Linde bereits einige Jahre vor der Schlacht von Murten gepflanzt und die Geschichte des Murtenläufers geht auf französische Aufklärer und Schrift-steller zurück, die im 16.  Jahrhundert eine Verbindung zwischen den Schlachten von Marathon und Murten herstellen wollten.

    Die Parallelen zwischen dem historischen Marathonlauf und dem Mur-tenlauf liegen auf der Hand. Die Rückbezüge auf ein antikes und auf ein spätmittelalterliches Vorbild dienten primär der Verherrlichung der Gegenwart. Der Marathonlauf war ein weiteres Puzzleteil, um die Olympischen Spiele der Neuzeit mit der antiken Tradition zu verbandeln. Dabei spielte es keine Rolle, dass es in der Antike keine wettkampfbezo-genen Ausdauerläufe über solch lange Distanzen gab. Die Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit nutzten das im 19. Jahrhundert in Europa herrschende Interesse an der antiken griechischen Kultur, um der noch jungen Sportbewegung zum internationalen Durchbruch zu verhelfen.

    Abbildung 3: Illustration des sagenhaften Murtenlaufs

    (Künstler: Eugène Reichlen).

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    Die Wiederbelebung des Mythos vom Murtenlauf geht auf die Initiative eines Fussballers und Sportlers zurück: Die Sportler und mit ihnen die Leichtathleten hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen schweren Stand in der Schweiz (mehr dazu im Kapitel «Volkstümliche Übungen»). Um den Sport im Allgemeinen und damit indirekt auch den Fussball in seiner Region populärer zu machen, schlug Theo Aeby, als Mitglied eines Freiburger Fussballclubs, vor, einen Volkslauf von Murten nach Fribourg zu organisieren (1904). Ein Gedenklauf auf den Spuren des in der Bevölkerung und bei den Behörden bekannten und beliebten Mur-tenläufers sollte helfen, seinen von Krisen geschüttelten Sportclub in der Region besser zu verankern. Obwohl die Idee gemäss historischen Quellen auf offene Ohren stiess, dauerte es weitere dreissig Jahre, bis der erste offizielle Murtenlauf 1933 durchgeführt wurde. Zuerst noch als kleiner Vereinswettkampf organisiert, entwickelte sich der Lauf «Mur-ten – Fribourg» zu einem beliebten Volkslauf, der bis heute stattfindet und jährlich gegen 10 000 Läuferinnen und Läufer anlockt.

    Im April 1822 berichtet die englische Sportzeitschrift The Sporting Magazine von einem George Wilson, der vor 15 000 begeisterten Zuschauerinnen und Zuschauern in Newcastle

    in 24 Stunden 90 Meilen (145 Kilometer) weit gelaufen sei. Drei Lamm-keulen soll der 56-jährige Läufer gegessen haben, um mit vollen Ener-giespeichern den garstigen Wetterbedingungen (Regen, Schneefall und eisige Winde) während seines Laufes zu trotzen. Von König Heinrich V. wird berichtet, dass er ohne Bogen und Waffen in der Lage war, Wild-tiere in einem Park zu Tode zu hetzen und Foster Powell gelang es 1773 innerhalb von sechs Tagen von London nach York und wieder zurück zu laufen. Powell hatte eine Wette über 100 Guineas (alte englische Gold-münzen) laufen, dass er die 394 Meilen (634 Kilometer) in der vorgege-benen Zeit absolvieren konnte. Die Vorgabe von sechs Tagen wurde gewählt, weil das Laufen um die Wette am Sonntag verboten war.

    Mit Lammkeulen zum Rekord

    Abbildung 4: Porträt von Foster Powell, einem heraus-ragenden Geher und Läufer

    im 18. Jahrhundert.

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