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Bruderkrieg - Verlag für Berlin-Brandenburg · 13 Euro: im Vordergrundein DDR-Gren-zer mit...

Date post: 05-Aug-2020
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Glitzerndes und Glänzendes zum Jubiläum des Mauerfalls Die staatlichen Banken des Vatikans, Bel- giens, Kameruns, Burundis und Samoas haben sonst nicht allzu viel gemeinsam, in diesen historischen Tagen aber schon: Sie alle haben zum 25. Jubiläum des Berliner Mauerfalls Gedenkmünzen herausgebracht. Eine Medaille „13 Jahre Klaus Wowereit“, mit der unlängst die Staatliche Münze Berlin in die Schlagzei- len kam – das ist hübsch, doch fehlt das Moment des Erhabenen. Kein Mantel der Geschichte weht dabei im Wind, von dem der Käufer einer Mauerfall-Münze oder -Medaille zwar auch noch keinen Zipfel erhascht, aber einen losen Faden vielleicht schon. So ist es oft bei histori- schen Terminen: Die Prägestätten des Globus werfen ihre Maschinen an, liefern klingende Münze, die weniger dem Wa- rentausch dient, vielmehr die Sammel- lust anstacheln soll, auf dass die Münze selbst zur Ware werde. Mitunter gar mit päpstlichem Segen: „XXV Anniversario del Crollo del Muro di Berlino 1989 – 2014“ steht auf dem zweifarbigen Geld- stück des Vatikans, dazu ist das Branden- burger Tor abgebildet samt stilisierten Mauersteinen, Stacheldraht und Lorbeer- zweig, zum Nennwert von 2 Euro, doch im Internet um ein Vielfaches teurer ange- boten, zwischen 40 und 50 Euro. Ohne Tor kommt eigentlich keines der Glitzerdinger aus: Auf der von Kamerun herausgegebenen Goldmünze (Nennwert 1500 Francs) dient es als Hintergrund ei- nes durch die Mauer brechenden Trabis, Burundis Mauergold (Nennwert 100 Francs) zeigt das Tor hinter der lücken- haften Mauer, Belgien hat sie auf seiner 20-Euro-Silbermünze noch mit Graffiti verziert: „Wir sind das Volk – Freedom“. San Marino fügt auf seinem 5-Euro-Silber- ling Mauer und Tor noch den Umriss Ber- lins und die Goldelse hinzu. Dem Tagesspiegel wurde zwar selbst zum Mauerfallfest das Münzrecht nicht ge- währt, aber eine Medaille gibt es schon, in zweifacher, auf je 150 Stück limitierter Ausfertigung: in Feinsilber (59 Euro) und – auf Vorbestellung – in Feingold (899 Euro), mit Zertifikat und Schmuckrah- men. Auf einer Seite sieht man das Bran- denburger Tor, auf der anderen Jubelnde an einem Mauerdurchbruch (exklusiv er- hältlich unter www.tagesspiegel.de/shop oder 030 -29021520 und im Tagesspie- gel-Shop, Askanischer Platz 3, nahe An- halter Bahnhof, Mo–Fr 9–18 Uhr). Die Münze Berlin steuert zum Jubiläum eine Medaille in Silber bei, erhältlich für 13 Euro: im Vordergrund ein DDR-Gren- zer mit blumengeschmücktem Gewehr, dahinter die geöffnete Mauer samt Tor (www.muenze-berlin.de). Der Münz- händler MDM hat diverse Medaillen im Sortiment, darunter eine zweifarbig „wie- dervereinigte“ mit einer Massenjubel- szene vor dem geöffneten Tor (29,90 Euro, www.mdm.de): Links liegt der Os- ten in Silber, rechts der Westen in Gold. Fast metaphorisch. Andreas Conrad Nachträglich scheint der Buchtitel gera- dezu gemünzt auf den Stapel der Manu- skriptseiten: „Wir können warten“. Knapp 80 Jahre dauerte es, bis das Typo- skript, das im Literaturarchiv der Österrei- chischen Nationalbibliothek vor sich hin- dämmerte, den Weg in die Setzerei fand. Und dabei hatte es vom Autor, dem Journa- listen und Schriftsteller Stefan Groß- mann, nicht mal letzten Schliff erhalten, zeigte noch alle Ungenauigkeiten, Brüche und Flüchtigkeiten des Schreibens. Doch hatte der todkranke, fast mittellos in Wien lebende Exilant nicht mehr die Zeit, dies zu polieren: Am 3. Januar 1935 starb Groß- mann, knapp zwei Jahre nach der Flucht aus Berlin, dessen neuen Machthabern als Jude und linksliberaler, gegen Hitler an- schreibender Literat doppelt verhasst. Doch nach Berlin, für zwei Jahrzehnte Wahlheimat des gebürtigen Wieners, führte sein letztes, nun endlich gedruck- tes Werk zurück, dessen Arbeitstitel noch „Der Roman Ullstein“ lautete. Dem libera- len Verlagshaus war Großmann selbst über Jahre verbunden gewesen, erst als Wiener Korrespondent, dann als Feuille- tonchef der „Vossischen Zeitung“ – auch nach seinem Ausscheiden 1919 ein scharf- sichtiger Beobachter der kulturellen, poli- tischen und medialen Entwicklung in Ber- lin. Einer fatalen Entwicklung, hin zum 30. Januar 1933 und weit darüber hinaus, die Großmann nicht absehen, sich wohl auch nie vorstellen konnte, sonst hätte er dem Roman kaum solch einen resig- niert-hoffnungsvollen Titel gegeben: Für die Millionen Opfer von Krieg und Holo- caust war alles Warten vergebens. Wie Großmann war auch das Haus Ull- stein den Nazis doppelt verhasst: jüdische Besitzer, liberale Grundhaltung. Ein will- kommenes, trotz aller wirtschaftlich-me- dialen Macht leichtes Angriffsziel, war doch der Verlag in Folge der Weltwirt- schaftskrise angeschlagen und die Eigen- tümerfamilie völlig zerstritten. Die fünf Söhne des Verlagsgründers Leopold Ull- stein führten das Haus offiziell gemein- sam, tatsächlich aber verstrickt in einen heillosen Bruderkrieg. „Wir können warten“ ist der Schlüssel- roman zu diesem Krieg, der 1934 in der Enteignung und „Arisierung“ des Hauses Ullstein mündete. Wobei sich Großmann einer simplen 1:1-Umsetzung versagte und etwa aus den fünf Brüdern, nun unter dem Familiennamen Kronstein, sechs machte, die sich schon daher der eindeuti- gen Identifizierung mit realen Vorbildern widersetzen. Romanfiguren, die gegen- einander intrigieren, im Kampf um Leser wie Inserenten und gegen die Repressions- versuche des Staates immer hilfloser agie- ren, ihre liberalen Prinzipien vernachlässi- gen, zuletzt eher lavieren als kämpfen. Bei Ullstein sei „das Ideal: ein ,Völkischer Be- obachter‘ mit der Genehmigung des Rabbi- nats“, so hat es Carl von Ossietzky 1932 überspitzt formuliert, das trifft in der Ten- denz auch aufs Haus Kronstein zu. „Die Presse hat versagt“, bilanzierte der Her- mann Ullstein die Niederlage. „Es ist aller- dings fraglich, ob eine heftigere Gegen- wehr viel verändert hätte.“ Doch ist „Wir können warten“ nicht al- lein der Roman eines Verlagshauses, des- sen Urstoff schon Hermann Ullstein in sei- ner 2013 wiederaufgelegten Chronik „Das Haus Ullstein“ und Sten Nadolny 2003 in seinem „Ullsteinroman“ gestaltet hatten. Es ist ebenso das subtile Porträt ei- ner Familie wie einer Gesellschaft in der Zeit eines katastrophalen Umbruchs, mit psychologisch fein ziseliertem Personal und einer Handlung mit geschickt geführ- tem Spannungsbogen, der in den titelge- benden, leider doch zu optimistischen Schlusssatz mündet. Kurz: ein spät ent- deckter, nun glücklich gehobener Schatz. D MAUER ALS MODELL Wer hat wohl gerade jetzt die Absicht, eine Mauer zu errichten? Modellbauer mit historischem Bewusstsein beispielsweise, die ihre Modellbahnen nicht länger nur an idyllischen Ideallandschaften vorbeisausen lassen wollen, sondern sich für ihre kleine Welt etwas mehr Realismus wünschen. Zum Beispiel zum Wendejubiläum die Berliner Mauer in den Monaten nach dem 9. November 1989, mit den Löchern der Mauerspechte und Malereien à la East Side Gallery. Einige von deren Kunstwerken haben es jetzt tatsächlich auf die von der Firma Faller angebotene Modellmauer geschafft: Andrej Smolaks Friedenstaube etwa und Dimitri Vrubels sozialistischer Bruderkuss, zu einem Bild verschmolzen mit Birgit Kinders die Mauer durchbrechendem Trabi. Großes handwerkliches Geschick setzt das Zusammenleimen der Mauer nicht voraus, das sieht auch der Hersteller so: „Schwierigkeitsgrad Anfänger“. ac – Berliner Mauer. Bausatz mit 40 Einzelteilen, teilweise bedruckt. Erhältlich für die Spurweiten H0 (21,99 Euro) und N (19,99 Euro), nicht aber in TT, die in der DDR üblich war. Erhältlich im Fachhandel, Infos: www.faller.de. Ein „Symbol der wiedervereinten Stadt“ – so nennt der Berliner Historiker Siegfried Heimann den alten Preußischen Landtag, nachdem der ruinöse Bau Anfang der 90er Jahre zum Sitz des Abgeordnetenhau- ses umgebaut wurde. Die wechselvolle, zeitweise abenteuerliche Geschichte des Gebäudes, das im Stil der Neorenaissance 1899 feierlich eröffnet wurde und nach dem Mauerfall aus Ost-Berliner Randlage wieder in das Zentrum rückte, war dem Autor sogar zwei Bücher wert. Im ersten Band, 2011 veröffentlicht, schrieb Heimann über den Preußischen Landtag von 1899 bis 1947. Jetzt er- schien die Fortset- zung, die die Nach- kriegs- und Wende- zeit bis zum Umzug des Abgeordneten- hauses am 23. April 1993 aus dem Rat- haus Schöneberg ins teuer sanierte Ge- bäude in der Niederkirchnerstraße be- schreibt.Nicht ohne Grund wird im Unter- titel darauf verwiesen, dass hier eine „poli- tische Geschichte“ zu lesen ist – keine Ar- chitektur- oder Sanierungskritik. Im Grunde nutzt Heimann, Mitglied der Historischen Kommission der SPD, den Preußischen Landtag als markante Ortsmarke: als Ausgangspunkt für eine Analyse der politischen Geschehnisse in der sowjetisch besetzten Zone Berlins nach dem Krieg, später Hauptstadt der DDR. Akribisch recherchiert, detailge- nau, aber lebendig erzählt und an den han- delnden Personen orientiert. Ab und zu werden hübsche Anekdoten eingefloch- ten. So erfährt man, dass die heutige Wan- delhalle des Landesparlaments nach dem Auszug des DDR-Ministerrats 1953 zeit- weise dem Sonderverkauf von Jeans-Be- kleidung und als Sportraum für Frauen- gymnastik diente. Kurze Biografien wer- den eingeflochten: etwa über Kurt Lieb- knecht, den Neffen des prominenten Na- mensvetters Karl. Über Otto Grotewohl, den ersten DDR-Ministerpräsidenten, aberauch dessen Sekretärin Elli Barczatis, die als angebliche Spionin 1955 hingerich- tet wurde. Doch immer wieder kommt Heimann auf den Gegenstand seines Bu- ches zurück. Auf ein Bauwerk, das in den letzten Kriegstagen teilweise zerstört, auf Befehl der sowjetischen Besatzungs- macht notdürftig zusammengeflickt wurde, aber spätestens mit dem Mauer- bau in eine prekäre Randlage geriet. Den Hochsicherheitskräften in der DDR berei- tete dies stets großes Kopfzerbrechen. Mit der besonderen Lage in der geteil- ten Stadt erklärt Heimann auch die vielen wechselnden Funktionen des Baus: als DDR-Regierungssitz und Standort der DDR-Länderkammer,des Land- undForst- wirtschaftsministeriums; als Sitz der Staat- lichen Plankommission und Sekretariat ei- ner Tagung des Rats für Gegenseitige Wirt- schaftshilfe (RGW) im Herbst 1960; als Gedenkstätte der Gründung der Kommu- nistischen Partei Deutschlands, direkt an der Mauer ohne Publikumsverkehr – und nicht zuletzt als gut gelegener Horchpos- ten der Stasi. Ulrich Zawatka-Gerlach Sammel MAL Bruderkrieg Kurz vor dem Tod 1935 schrieb Stefan Großmann seinen Ullstein-Roman. Jetzt erst wurde das Verlags- und Zeitporträt „Wir können warten“ gedruckt Bruderkuss in Spurweite H0 — Siegfried Heimann: Der ehemalige Preußi- sche Landtag. Eine po- litische Geschichte des heutigen Abgeord- netenhauses von Ber- lin 1947 bis 1993. Ch. Links Verlag, Ber- lin. 189 Seiten, 39 Ab- bildungen, 19,90 Euro Mehr Mauerfall-Münzen im Bild unter www.tagesspiegel.de/berlin Jeans und Politik Wie es dem Preußischen Landtag in der DDR erging Von Andreas Conrad — Stefan Großmann: Wir können warten oder Der Roman Ullstein. (Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Erhard Schütz.) Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin. 384 Seiten, 22,99 Euro. Sekretärin wurde als angebliche Spionin hingerichtet Exilant aus Berlin. Der Autor Stefan Groß- mann. Foto: promo/Imagno – brandstaetter images Runde Sache. Die Medaille des Tagesspie- gels zum Mauerfall-Jubiläum in Gold Foto: promo 14 DER TAGESSPIEGEL / WWW.TAGESSPIEGEL.DE/BERLIN-EXTRA NR. 22 216 / MITTWOCH, 5. NOVEMBER 2014 BERLIN extra Foto: promo Foto: promo Karrierekompass – das Magazin für Ausbildung, Studium und Weiterbildung Los geht‘s: So fi nde ich den Job, der zu mir passt Die ersten 100 Tage: Tipps für den Star t in die Ausbildung Das ist neu: spannende Studiennge an deutschen Hochschulen Die Messe „Einstieg“: Berufswelten unterm Funkturm Bafög, Stipendien & Co: Finanzspritzen r Studierende Mastermind: Wenn Berufstätige studieren Weiterbildung: Durchblick im Anbieter-Dschungel Am Samstag, den 8. November in Ihrem Tagesspiegel!
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Page 1: Bruderkrieg - Verlag für Berlin-Brandenburg · 13 Euro: im Vordergrundein DDR-Gren-zer mit blumengeschmücktem Gewehr, dahinter die geöffnete Mauer samt Tor (). Der Münz-händler

Glitzerndes und Glänzendeszum Jubiläum des MauerfallsDie staatlichen Banken des Vatikans, Bel-giens, Kameruns, Burundis und Samoashaben sonst nicht allzu viel gemeinsam,in diesen historischen Tagen aberschon: Sie alle haben zum 25. Jubiläumdes Berliner Mauerfalls Gedenkmünzenherausgebracht. Eine Medaille „13 JahreKlaus Wowereit“, mit der unlängst dieStaatliche Münze Berlin in die Schlagzei-len kam – das ist hübsch, doch fehlt dasMoment des Erhabenen. Kein Mantel derGeschichte weht dabei im Wind, vondem der Käufer einer Mauerfall-Münzeoder -Medaille zwar auch noch keinenZipfel erhascht, aber einen losen Fadenvielleicht schon. So ist es oft bei histori-schen Terminen: Die Prägestätten desGlobus werfen ihre Maschinen an, liefernklingende Münze, die weniger dem Wa-rentausch dient, vielmehr die Sammel-lust anstacheln soll, auf dass die Münzeselbst zur Ware werde. Mitunter gar mitpäpstlichem Segen: „XXV Anniversariodel Crollo del Muro di Berlino 1989 –2014“ steht auf dem zweifarbigen Geld-stück des Vatikans, dazu ist das Branden-burger Tor abgebildet samt stilisiertenMauersteinen, Stacheldraht und Lorbeer-zweig, zum Nennwert von 2 Euro, dochim Internet um ein Vielfaches teurer ange-boten, zwischen 40 und 50 Euro.Ohne Tor kommt eigentlich keines derGlitzerdinger aus: Auf der von Kamerunherausgegebenen Goldmünze (Nennwert1500 Francs) dient es als Hintergrund ei-nes durch die Mauer brechenden Trabis,Burundis Mauergold (Nennwert 100Francs) zeigt das Tor hinter der lücken-haften Mauer, Belgien hat sie auf seiner20-Euro-Silbermünze noch mit Graffitiverziert: „Wir sind das Volk – Freedom“.San Marino fügt auf seinem 5-Euro-Silber-ling Mauer und Tor noch den Umriss Ber-lins und die Goldelse hinzu.Dem Tagesspiegel wurde zwar selbst zumMauerfallfest das Münzrecht nicht ge-währt, aber eine Medaille gibt es schon,in zweifacher, auf je 150 Stück limitierterAusfertigung: in Feinsilber (59 Euro) und– auf Vorbestellung – in Feingold (899Euro), mit Zertifikat und Schmuckrah-men. Auf einer Seite sieht man das Bran-denburger Tor, auf der anderen Jubelnde

an einem Mauerdurchbruch (exklusiv er-hältlich unter www.tagesspiegel.de/shopoder 030-29021520 und im Tagesspie-gel-Shop, Askanischer Platz 3, nahe An-halter Bahnhof, Mo–Fr 9–18 Uhr).Die Münze Berlin steuert zum Jubiläumeine Medaille in Silber bei, erhältlich für13 Euro: im Vordergrund ein DDR-Gren-zer mit blumengeschmücktem Gewehr,dahinter die geöffnete Mauer samt Tor(www.muenze-berlin.de). Der Münz-händler MDM hat diverse Medaillen imSortiment, darunter eine zweifarbig „wie-dervereinigte“ mit einer Massenjubel-szene vor dem geöffneten Tor (29,90Euro, www.mdm.de): Links liegt der Os-ten in Silber, rechts der Westen in Gold.Fast metaphorisch. Andreas Conrad

Nachträglich scheint der Buchtitel gera-dezu gemünzt auf den Stapel der Manu-skriptseiten: „Wir können warten“.Knapp 80 Jahre dauerte es, bis das Typo-skript,dasimLiteraturarchivderÖsterrei-chischen Nationalbibliothek vor sich hin-dämmerte, den Weg in die Setzerei fand.UnddabeihatteesvomAutor,demJourna-listen und Schriftsteller Stefan Groß-mann, nicht mal letzten Schliff erhalten,zeigte noch alle Ungenauigkeiten, Brücheund Flüchtigkeiten des Schreibens. Dochhatte der todkranke, fast mittellos inWienlebende Exilant nicht mehr die Zeit, dieszupolieren:Am3.Januar1935starbGroß-mann, knapp zwei Jahre nach der FluchtausBerlin,dessen neuenMachthabern alsJude und linksliberaler, gegen Hitler an-schreibender Literat doppelt verhasst.

Doch nach Berlin, für zwei JahrzehnteWahlheimat des gebürtigen Wieners,führte sein letztes, nun endlich gedruck-tes Werk zurück, dessen Arbeitstitel noch„DerRomanUllstein“lautete.Demlibera-len Verlagshaus war Großmann selbstüber Jahre verbunden gewesen, erst alsWiener Korrespondent, dann als Feuille-tonchef der „Vossischen Zeitung“ – auchnachseinemAusscheiden1919einscharf-sichtigerBeobachterderkulturellen,poli-tischenundmedialenEntwicklunginBer-lin. Einer fatalen Entwicklung, hin zum30. Januar 1933 und weit darüber hinaus,die Großmann nicht absehen, sich wohlauch nie vorstellen konnte, sonst hätte erdem Roman kaum solch einen resig-niert-hoffnungsvollen Titel gegeben: Fürdie Millionen Opfer von Krieg und Holo-caust war alles Warten vergebens.

Wie Großmann war auch das Haus Ull-stein den Nazis doppelt verhasst: jüdischeBesitzer, liberale Grundhaltung. Ein will-kommenes, trotz aller wirtschaftlich-me-dialen Macht leichtes Angriffsziel, wardoch der Verlag in Folge der Weltwirt-schaftskrise angeschlagen und die Eigen-tümerfamilie völlig zerstritten. Die fünfSöhne des Verlagsgründers Leopold Ull-stein führten das Haus offiziell gemein-sam, tatsächlich aber verstrickt in einenheillosen Bruderkrieg.

„Wir können warten“ ist der Schlüssel-roman zu diesem Krieg, der 1934 in derEnteignung und „Arisierung“ des HausesUllstein mündete. Wobei sich Großmanneiner simplen 1:1-Umsetzung versagteund etwa aus den fünf Brüdern, nun unterdem Familiennamen Kronstein, sechsmachte,diesichschondaherdereindeuti-gen Identifizierung mit realen Vorbildern

widersetzen. Romanfiguren, die gegen-einander intrigieren, im Kampf um LeserwieInserentenundgegendieRepressions-versuche desStaates immerhilfloseragie-ren,ihreliberalenPrinzipienvernachlässi-gen,zuletzteher lavieren alskämpfen.BeiUllstein sei „das Ideal: ein ,Völkischer Be-obachter‘mitderGenehmigungdesRabbi-nats“, so hat es Carl von Ossietzky 1932überspitzt formuliert,dastrifft inderTen-denz auch aufs Haus Kronstein zu. „DiePresse hat versagt“, bilanzierte der Her-mannUllsteindieNiederlage.„Esistaller-dings fraglich, ob eine heftigere Gegen-wehr viel verändert hätte.“

Doch ist „Wir können warten“ nicht al-lein der Roman eines Verlagshauses, des-senUrstoffschonHermannUllsteininsei-ner 2013 wiederaufgelegten Chronik„Das Haus Ullstein“ und Sten Nadolny2003 in seinem „Ullsteinroman“ gestaltethatten. Es istebenso das subtilePorträtei-ner Familie wie einer Gesellschaft in derZeit eines katastrophalen Umbruchs, mitpsychologisch fein ziseliertem Personalund einer Handlung mit geschickt geführ-tem Spannungsbogen, der in den titelge-benden, leider doch zu optimistischenSchlusssatz mündet. Kurz: ein spät ent-deckter, nun glücklich gehobener Schatz.

DMAUER ALS MODELL

Wer hat wohl gerade jetzt die Absicht,eine Mauer zu errichten? Modellbauermit historischem Bewusstseinbeispielsweise, die ihre Modellbahnennicht länger nur an idyllischenIdeallandschaften vorbeisausen lassenwollen, sondern sich für ihre kleine Weltetwas mehr Realismus wünschen. ZumBeispiel zum Wendejubiläum die BerlinerMauer in den Monaten nach dem 9.November 1989, mit den Löchern derMauerspechte und Malereien à la EastSide Gallery. Einige von derenKunstwerken haben es jetzt tatsächlichauf die von der Firma Faller angeboteneModellmauer geschafft: Andrej SmolaksFriedenstaube etwa und Dimitri Vrubelssozialistischer Bruderkuss, zu einem Bildverschmolzen mit Birgit Kinders dieMauer durchbrechendem Trabi. Großeshandwerkliches Geschick setzt dasZusammenleimen der Mauer nichtvoraus, das sieht auch der Herstellerso: „Schwierigkeitsgrad Anfänger“. ac

– Berliner Mauer. Bausatz mit 40Einzelteilen, teilweise bedruckt.Erhältlich für die Spurweiten H0 (21,99Euro) und N (19,99 Euro), nicht aber inTT, die in der DDR üblich war. Erhältlichim Fachhandel, Infos: www.faller.de.

Ein „Symbol der wiedervereinten Stadt“ –so nennt der Berliner Historiker SiegfriedHeimann den alten Preußischen Landtag,nachdem der ruinöse Bau Anfang der90erJahrezumSitzdesAbgeordnetenhau-ses umgebaut wurde. Die wechselvolle,zeitweise abenteuerliche Geschichte desGebäudes, das im Stil der Neorenaissance1899 feierlich eröffnet wurde und nachdem Mauerfall aus Ost-Berliner Randlagewieder in das Zentrum rückte, war demAutor sogar zwei Bücher wert.

Im ersten Band, 2011 veröffentlicht,schrieb Heimann über den PreußischenLandtag von 1899bis 1947. Jetzt er-schien die Fortset-zung, die die Nach-kriegs- und Wende-zeit bis zum Umzugdes Abgeordneten-hauses am 23. April1993 aus dem Rat-haus Schöneberg insteuer sanierte Ge-bäude in der Niederkirchnerstraße be-schreibt.NichtohneGrundwirdimUnter-titeldaraufverwiesen,dasshiereine„poli-tische Geschichte“ zu lesen ist – keine Ar-chitektur- oder Sanierungskritik.

Im Grunde nutzt Heimann, Mitgliedder Historischen Kommission der SPD,den Preußischen Landtag als markanteOrtsmarke: als Ausgangspunkt für eineAnalyse der politischen Geschehnisse inder sowjetisch besetzten Zone Berlinsnach dem Krieg, später Hauptstadt derDDR. Akribisch recherchiert, detailge-nau,aber lebendigerzähltundandenhan-delnden Personen orientiert. Ab und zuwerden hübsche Anekdoten eingefloch-ten. So erfährt man, dass die heutige Wan-delhalle des Landesparlaments nach demAuszug des DDR-Ministerrats 1953 zeit-

weise dem Sonderverkauf von Jeans-Be-kleidung und als Sportraum für Frauen-gymnastik diente. Kurze Biografien wer-den eingeflochten: etwa über Kurt Lieb-knecht, den Neffen des prominenten Na-mensvetters Karl. Über Otto Grotewohl,den ersten DDR-Ministerpräsidenten,aberauchdessenSekretärinElliBarczatis,diealsangeblicheSpionin1955hingerich-tet wurde. Doch immer wieder kommtHeimann auf den Gegenstand seines Bu-ches zurück. Auf ein Bauwerk, das in denletzten Kriegstagen teilweise zerstört, aufBefehl der sowjetischen Besatzungs-macht notdürftig zusammengeflicktwurde, aber spätestens mit dem Mauer-bau in eine prekäre Randlage geriet. DenHochsicherheitskräfteninderDDRberei-tete dies stets großes Kopfzerbrechen.

Mit der besonderen Lage in der geteil-ten Stadt erklärt Heimann auch die vielenwechselnden Funktionen des Baus: alsDDR-Regierungssitz und Standort derDDR-Länderkammer,desLand-undForst-wirtschaftsministeriums;alsSitzderStaat-lichenPlankommissionundSekretariatei-nerTagungdesRatsfürGegenseitigeWirt-schaftshilfe (RGW) im Herbst 1960; alsGedenkstätte der Gründung der Kommu-nistischen Partei Deutschlands, direkt ander Mauer ohne Publikumsverkehr – undnicht zuletzt als gut gelegener Horchpos-ten der Stasi. Ulrich Zawatka-Gerlach

Sammel MAL

BruderkriegKurz vor dem Tod 1935 schrieb Stefan Großmann seinen Ullstein-Roman.

Jetzt erst wurde das Verlags- und Zeitporträt „Wir können warten“ gedruckt

Bruderkussin Spurweite H0

— Siegfried Heimann:Der ehemalige Preußi-sche Landtag. Eine po-litische Geschichtedes heutigen Abgeord-netenhauses von Ber-lin 1947 bis 1993.Ch. Links Verlag, Ber-lin. 189 Seiten, 39 Ab-bildungen, 19,90 Euro

Mehr Mauerfall-Münzen im Bild unterwww.tagesspiegel.de/berlin

Jeans und PolitikWie es dem Preußischen Landtag in der DDR erging

Von Andreas Conrad

— Stefan Großmann:Wir können warten oderDer Roman Ullstein.(Hrsg. und mit einemVorwort versehen vonErhard Schütz.) Verlagfür Berlin-Brandenburg,Berlin. 384 Seiten, 22,99Euro.

Sekretärinwurde alsangeblicheSpioninhingerichtet

Exilant aus Berlin. Der Autor Stefan Groß-mann. Foto: promo/Imagno – brandstaetter images

Runde Sache. Die Medaille des Tagesspie-gels zum Mauerfall-Jubiläum in Gold

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14 DER TAGESSPIEGEL / WWW.TAGESSPIEGEL.DE/BERLIN-EXTRA NR. 22 216 / MITTWOCH, 5. NOVEMBER 2014BERLIN extra

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Karrierekompass –das Magazin für Ausbildung, Studium und Weiterbildung

Los geht‘s: So fi nde ich den Job, der zu mir passt

Die ersten 100 Tage: Tipps für den Start in die Ausbildung

Das ist neu: spannende Studiengänge an deutschen Hochschulen

Die Messe „Einstieg“: Berufswelten unterm Funkturm

Bafög, Stipendien & Co: Finanzspritzen für Studierende

Mastermind: Wenn Berufstätige studieren

Weiterbildung: Durchblick im Anbieter-Dschungel

Am Samstag, den 8. November in Ihrem Tagesspiegel!

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